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Kraftfahrzeugmietvertrag – Klausel über Wegfall der Haftungsfreistellung bei Obliegenheitsverletzung

OLG Oldenburg – Az.: 8 U 196/10 – Urteil vom 10.03.2011

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 9. November 2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Oktober 2009 sowie vorgerichtliche Kosten von 179,60 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 4/5 und der Beklagte zu 1/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Kraftfahrzeugmietvertrag - Klausel über Wegfall der Haftungsfreistellung bei Obliegenheitsverletzung
(Symbolfoto: Von Halfpoint/Shutterstock.com)

Die Beklagte, die eine Autovermietung betreibt, fordert von dem Beklagten, dem sie gemäß Mietvertrag vom 11. Juli 2009 eines ihrer Fahrzeuge überlassen hat, Schadensersatz wegen der Beschädigung dieses Fahrzeugs.

Wegen des Sachverhalts nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat den Beklagten nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 10.838,99 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten verurteilt. Dagegen richtet sich dessen Berufung.

Der Beklagte macht geltend, ihm sei die in den Mietbedingungen der Klägerin enthaltene so genannte Polizeiklausel „nicht bewusst bekannt“ gewesen; im Fahrzeug sei ein entsprechender Aufkleber nicht angebracht gewesen. Die Polizeiklausel in den Mietbedingungen benachteilige ihn unangemessen und sei deshalb unwirksam. Sie entspreche nicht dem Leitbild der Kaskoversicherung nach dem neuen Versicherungsvertragsgesetz (in Kraft seit dem 1. Januar 2008), weil der Mieter bei einem Verstoß den Versicherungsschutz verliere und die volle Haftung trage. Das sei mit der individuell im Mietvertrag vereinbarten Haftungsreduzierung nicht zu vereinbaren. In rechtlicher Hinsicht verweist der Beklagte auf die Entscheidung des Landgerichts Hamburg vom 5. März 2010 (331 S 57/09, ZMR 2010, 606). Seine Entscheidung, die Polizei nicht zu verständigen, sei – weil nur Sachschaden am Fahrzeug entstanden und kein Dritter beteiligt gewesen oder geschädigt worden sei –  allenfalls als fahrlässig zu bewerten. Die Verletzung der Obliegenheit sei für den eingetretenen Schaden nicht ursächlich.

Die Klägerin habe ihn bei Rückgabe des Fahrzeugs und Schadensmeldung nicht darauf hingewiesen, dass er den gesamten Schaden – und nicht nur die Selbstbeteiligung – tragen müsse; ihm sei dadurch die Möglichkeit genommen worden, den Schaden nachträglich der Polizei zu melden.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt das angefochtene Urteil. Sie vertritt die Auffassung, dass die in ihren Mietbedingungen enthaltene Polizeiklausel den Beklagten nicht unangemessen benachteilige; sie habe ein berechtigtes Interesse an der polizeilichen Aufnahme von Schadensfällen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache zum Teil Erfolg.

Die Klägerin hat lediglich Anspruch auf die für den Schadensfall vereinbarte Eigenhaftung, hier in Höhe von 2.000,00 €, weil der Beklagte zwei Schadensfälle verursacht hat. Schadensersatz kann sie mangels Wirksamkeit von Ziffer 2. g) ihrer Mietbedingungen, die Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind, nicht verlangen.

Die Klägerin kann sich auf die dem Beklagten vorzuwerfende Verletzung der Obliegenheit, in jedem Schadensfall sofort die Polizei zwecks Aufnahme des Schadens hinzu zu ziehen, nicht berufen.

Der von den Parteien geschlossene Mietvertrag fällt unter die Geltung des am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Versicherungsvertragsrechts, es geht um einen  Neuvertrag im Sinne des Art. 1 EGVVG. Die mietvertragliche Haftungsfreistellung hat sich am Leitbild des VVG 2008 und der AKB 2008 zu orientieren. Der Mieter eines Fahrzeugs, der mit dem Vermieter gegen Entgelt eine Haftungsreduzierung nach Art der Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung vereinbart, darf wie ein Versicherungsnehmer darauf vertrauen, dass die Reichweite des mietvertraglich vereinbarten Schutzes im Wesentlichen dem Schutz entspricht, den er als Eigentümer des Fahrzeugs und als Versicherungsnehmer in der Fahrzeugvollversicherung genießen würde (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. etwa BGH VersR 2009, 1123, 1124; m. w. N.).

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BGH NJW 2009, 3229, Tz. 18 ff; NJW-RR 2010, 480, Tz. 12) benachteiligt die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen normierte Pflicht, im Schadensfall die Polizei hinzu zu ziehen, den Mieter eines Fahrzeugs nicht unangemessen im Sinne des § 307 BGB. Die dem Mieter auferlegte Obliegenheit, bei jedem Unfall/jeder Beschädigung für eine polizeiliche Unfallaufnahme zu sorgen, fügt sich in das Leitbild der Kaskoversicherung und die dort bestehenden Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers ein. Die Abwägung der Interessen beider Parteien eines Mietvertrags führt zu dem Ergebnis, dass der Mieter durch die Pflicht zur Hinzuziehung der Polizei nicht unangemessen beeinträchtigt wird (BGH NJW 2009, 3229, Tz. 21 ff.).

Die Polizeiklausel als solche normiert damit eine wirksame Obliegenheit des Mieters. Bei der Prüfung der Wirksamkeit der Polizeiklausel in den Mietbedingungen der Klägerin ist allerdings nicht nur auf den Tatbestand der Obliegenheit, sondern weiter auf die in der Klausel an die Verletzung der Obliegenheit geknüpften Rechtsfolgen abzustellen. Diese in den Mietbedingungen der Klägerin normierten Rechtsfolgen, nämlich der Verlust des Versicherungsschutzes und die volle Haftung des Mieters als Sanktion jeder Obliegenheitsverletzung, gehen nicht mit dem Leitbild des § 28 VVG konform. Nach dem Wegfall des Alles-oder-Nichts-Prinzips ist im Fall einer Obliegenheitsverletzung nur noch eine Leistungskürzung möglich, bei grober Fahrlässigkeit ist die Möglichkeit einer Schadensquotelung vorzusehen,  § 28 Abs. 2 VVG; die Leistungsfreiheit des Versicherers setzt den Kausalitätsnachweis voraus, § 28 Abs. 3 VVG.

Der Mieter des Fahrzeugs wird durch die in den Mietbedingungen normierte Sanktion, die dem nunmehr maßgeblichen Leitbild des Versicherungsvertragsgesetzes 2008 widerspricht, unangemessen benachteiligt, § 307 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Rechtsfolge ist die vollständige Unwirksamkeit der Klausel. Eine geltungserhaltende Reduktion mit der Maßgabe, dass im Fall einer Obliegenheitsverletzung die noch dem bisherigen Versicherungsvertragsrecht verhafteten Rechtsfolgen der Klausel zu Ziffer 2. g. der Mietbedingungen durch die Rechtsfolgen des § 28 Abs. 2, 3 VVG 2008 substituiert werden, ist unzulässig (vgl. LG Nürnberg-Fürth Urt. v. 27. Januar 2010 – 8 O 10700/08, r+s 2010, 145, Tz. 41 ff.; von Fürstenwerth r+s 2009, 221, 223 f.). Dagegen sprechen die vom Gesetzgeber in Art. 1 Abs. 3 EGVVG mit dem Ziel, ein Auseinanderfallen von Tatbestand der Obliegenheit und Rechtsfolge einer Obliegenheitsverletzung zu vermeiden, eingeräumte Anpassungsmöglichkeit binnen eines Jahres, weiter der Gang des Gesetzgebungsverfahrens, der die Annahme ausschließt, dass vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion abgerückt werden sollte (vgl. im Einzelnen LG Nürnberg-Fürth a.a.O. Tz. 44; Fürstenwerth a.a.O.).

Die Obliegenheitsverletzung durch den Beklagten bleibt damit ohne Rechtsfolgen; die Klägerin kann sich nicht auf den Wegfall der individuell vereinbarten Haftungsbefreiung berufen. Die Klage ist lediglich im Umfang der für den  Schadensfall vereinbarten Eigenhaftung von 1.000,00 € begründet, mithin in Höhe von insgesamt 2.000,00 €, weil der Beklagte zwei Schadensfälle verursacht hat.

Verzugszinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten sind der Klägerin nur auf der Grundlage des zuerkannten Betrages von 2.000,00 € zuzusprechen.

Auf die weiteren Berufungsangriffe des Beklagten kommt es für die Entscheidung nicht an; sie hätten der Berufung ohnehin nicht zum Erfolg verholfen. Der Beklagte hat die Polizei nicht gerufen; er kann sich in diesem Fall nicht darauf berufen, dass sie sowieso nicht erschienen wäre. Eine nachträgliche Schadensmeldung nach Hinweis der Beklagten anlässlich der Rückgabe des Fahrzeugs wäre zu spät gewesen; nach den Mietbedingungen der Klägerin ist die Polizei sofort zu rufen, was interessengerecht und nicht zu beanstanden ist. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme hat im Übrigen die Richtigkeit der Behauptungen des Beklagten zu den Vorgängen bei der Rückgabe des Fahrzeugs und der Schadensmeldung gerade nicht bestätigt

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO.

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