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Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung: Rückgriff bei erheblicher Alkoholisierung des unfallbeteiligten Kraftfahrzeugführers

AG Senftenberg, Az..: 21 C 376/16

Urteil vom 12.06.2017

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.000,- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins seit dem 06.06.2016 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin war am 23.12.2015 Haftpflichtversicherer für das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … . Versicherungsnehmer des Fahrzeugs war die Tochter des Beklagten, nämlich … geborene … .

Die Versicherung kam so zustande, dass die Versicherungsnehmerin einen entsprechenden Antrag übersandte (Blatt 103 f. d. A.), bei der ihre Bevollmächtigte unter anderem folgenden vorgedruckten Text unterschrieb:

„Empfangsbestätigung und Unterschrift

Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung: Rückgriff bei erheblicher Alkoholisierung des unfallbeteiligten Kraftfahrzeugführers
Symbolfoto: Kalinovskiy/Bigstock

Hiermit bestätige ich, dass ich die Vertragsinformation zur beantragten Kfz-Vorsicherung (Formular Nr. …) und das entsprechende Produktinformationsblatt in Textform (z. B. schriftlich per Post, per Fax oder per Download als FDF-Datei unter http.//www.E..de/vertragsinformationen) erhalten habe.

08.12.2011 … eigenhändige Unterschrift des Antragstellers, bei Minderjährigen der Datum … der gesetzliche Vertreter“

Am 08.01.2016 übersandt die Klägerin der Versicherungsnehmerin einen Nachtrag (Blatt 138 ff. der Akte), in dem auf die Versicherungsbedingungen der Klägerin hingewiesen wurde.

Die oben genannten Bezug genommenen Versicherungsbedingungen lauteten zum Zeitpunkt der Antragstellung unter anderem wie folgt:

„.. Zusätzlich in der Kfz-Haftpflichtversicherung

Das Fahrzeug darf nicht gefahren werden, wenn der Fahrer durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Außerdem dürfen Sie, der Halter oder der Eigentümer des Fahrzeugs dieses nicht von einem Fahrer fahren lassen, der durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel nicht der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen.

D.3.1 Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung

Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in D.1 und D 2 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie eine dieser Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung zu kürzen. Die Kürzung richtet sich nach der Schwere Ihres Verschuldens. Eine Kürzung unterbleibt, wenn Sie nachweisen, dass keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt.

Wir können Ihnen, dem Halter oder dem Eigentümer die Verletzung der Pflicht aus D.2.1 Satz 2 nicht entgegenhalten, soweit Sie, der Halter oder der Eigentümer durch den Versicherungsfall als Fahrzeuginsasse, der das Fahrzeug nicht gebührt hat, einen Personenschaden erlitten haben.

D.3.2. Leistungspflicht

Abweichend von D.3.1 sind wir zur Leistung verpflichtet, soweit Sie nachweisen, dass die Pflichtverletzung weder für den Eintritt des Versicherungsfalls noch für den Umfang unserer Leistungspflicht ursächlich ist. Dies gilt nicht, wenn Sie die Pflicht arglistig verletzen.

D. 3.3. Beschränkung der Leistungsfreiheit in der Kfz-Haftpflichtversicherung

In der Kfz-Haftpflichtversicherung ist die sich aus D.3.1 ergebende Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung Ihnen und den mitversicherten Personen gegenüber auf den Betrag von höchstens je 5.000 € beschränkt. Außerdem gelten anstelle der vereinbarten Versicherungssummen die in Deutschland geltenden Mindestversicherungssummen.

…“

Diese Versicherungsbedingungen entsprechen den branchenüblichen Musterbedingungen.

Der Beklagte befuhr am 23.12.2015 um ca. 20.40 Uhr bei trockener Fahrbahn mit dem versicherten Fahrzeug in L. die N. Straße. Ihm kam ein anderes Fahrzeug entgegen. Er wich dem entgegen kommenden Fahrzeug nach rechts aus und kollidierte mit einem auf dem rechten Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeug, welches erheblich beschädigt wurde. Der Unfall wurde polizeilich aufgenommen. Bei dem Beklagten wurde eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,84 Promille festgestellt.

Mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Senftenberg vom 27.05.2016 wurde der Beklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt.

Gegenüber dem Eigentümer des abgestellten Fahrzeugs leistete die Klägerin auf Grundlage einer vollständigen Haftung Schadensersatz wie folgt:

– Reparaturkosten über 14.565,29 €,

– Wertminderung über 1.000,- €,

– Sachverständigenkosten über 1.111,46 €,

– Kostenpauschale über 25,- €.

Mit Schreiben vom 26.04.2016 und vom 25.05.2016 forderte die Klägerin den Beklagten zur Zahlung von 5.000,- € auf.

Die Klägerin trägt vor: sie habe der Versicherungsnehmerin vor Abschluss der Versicherung ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen übersandt gehabt;

das abgestellt Fahrzeug sei durch Straßenlaternen ausreichend beleuchtet gewesen;

der Kläger habe an dem abgestellten Fahrzeug vorbeifahren wollen;

in Folge seiner Alkoholisierung habe er das entgegen kommende Fahrzeug zu spät erkannt;

ein nüchterner Fahrer hätte das entgegen kommende Fahrzeug rechtzeitig bemerkt und nicht zum Vorbeifahren am abgestellten Fahrzeug angesetzt.

Die Klägerin beantragt, wie erkannt.

Der Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Er trägt vor: das abgestellte Fahrzeug habe sich in einem unbeleuchteten Kernschatten einer Straßenlaterne befunden, sei also nicht sichtbar gewesen;

Es sei erst durch den Aufprall ca. 10 Meter nach vorne in einen beleuchteten Bereich geschoben worden;

er sei schon über längere Distanz auf der linken Fahrbahnseite gefahren, als ihm das andere Fahrzeug entgegen gekommen sei;

es besteht also kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Alkoholisierung und Unfall.

Der Beklagte meint, die Klägerin habe gegenüber dem Geschädigten gar nicht zu 100 % einzustehen.

Entscheidungsgründe

Die zulässig Klage ist begründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Rückgriffsanspruch entweder gemäß § 426 Abs. 2 BGB i. V. m. § 116 Abs. 1 Satz 2 VVG, D.2., D.3. der klägerischen Versicherungsbedingungen oder gemäß § 426 Abs. 2 BGB i. V. m. § 116 Abs. 1 Satz 2 VVG und ergänzender Auslegung des Versicherungsvertrags zu. Es kann also dahin stehen, ob die genannten Klauseln in den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag gemäß § 7 Abs. 1 VVG einbezogen wurden.

Der Beklagte hat jedenfalls eine Obliegenheitsverletzung begangen, indem er trotz erheblicher Alkoholisierung das versicherte Fahrzeug geführt hat. Geht man von einer Einbeziehung der o. g. Klauseln aus, so ergibt sich dies aus deren Wortlaut. Geht man nicht von einer Einbeziehung aus, so folgt aus einer ergänzenden Vertragsauslegung nichts anderes. Ist es nämlich nicht zur Einbeziehung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen gekommen, so liegt ein Fall ergänzender Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB vor, da die völlige Streichung der Bedingungen nicht mehr den Interessen der Vertragsparteien entsprechen kann – selbst eine grobe Obliegenheitsverletzung bliebe sanktionslos, und mangels ergänzender Regelungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen bliebe oftmals überhaupt nur ein versicherungsvertraglicher „Torso“ übrig, welcher die wechselseitigen Rechte und Pflichten nicht hinreichend festlegt. Eine sachgerechte Abwägung der wechselseitigen Interessen führt deshalb dazu, dass der Versicherungsvertrag durch die branchenüblichen Musterbedingungen zu ergänzen ist (vgl. Prölss-Martin, VVG, 28. A., § 8 Rn. 54 ff.).

Im Entscheidungsfall hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, dass die Regelungen der Trunkenheitsfahrt in D.2., D.3. ihrer Allgemeinen Versicherungsbedingungen den branchenüblichen Musterbedingung entspricht. Dem ist der Beklagte nicht entgegengetreten, so dass der klägerische Sachvortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Dass eine Trunkenheitsfahrt das versicherte Risiko erheblich erhöht und der Versicherer nicht uneingeschränkt für durch Trunkenheitsfahrten verursachte Schäden haftet, ist im Übrigen auch einleuchtend und sachgerecht.

Die Obliegenheitsverletzung war kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls. Dies folgt hier aus den Regeln über den Beweis des ersten Anscheins. Der Beweis des ersten Anscheins setzt einen typischen Geschehensablauf voraus, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist. Die Gesamtgestaltung des Falles muss so sein, dass sich aus der Erfahrung des Lebens der gezogene Schluss ohne Weiteres aufdrängt (vgl. BGH NJW 1951, 362).

Ist ein Kraftfahrzeugführer im Zustand relativer Fahruntüchtigkeit – zumal weit oberhalb der 0,5-Promille-Grenze gemäß § 24 a Abs. 1 StVG – gegen ein am Straßenrand stehendes Fahrzeug gefahren, so spricht der erste Anschein dafür, dass dies auf seiner Alkoholisierung beruht. Denn es ist ein völlig ungewöhnlicher Vorgang, dass ein nüchterner Fahrer nicht schafft, an einem abgestellten Fahrzeug vorbei zu fahren (vgl. für Abkommen von der Fahrbahn: OLG Hamm r + s 2013, 188; vgl. für eine Kollision mit einem Hindernis bei Abkommen von der Fahrspur: OLG Köln r + s 2003, 315). Im Entscheidungsfall sprechen keine besonderen Umstände gegen die Anwendung der Regeln über den Beweis des ersten Anscheins. Die Fahrbahn war trocken, so dass keine besondere Rutschgefahr wie bei Schneeglätte bestand. Auch bei Dunkelheit wie im vorliegenden Fall und bei entgegen kommenden Fahrzeugen ist es bei einem nüchternen Fahrer üblich, dass dieser die Entfernungen und die Geschwindigkeit richtig einschätzt, das abgestellte Fahrzeug rechtzeitig sieht und auf ein Vorbeifahren am abgestellten Fahrzeug verzichtet, um zunächst den bevorrechtigten entgegen kommenden Verkehr passieren zu lassen. Es spricht demnach alles dafür, dass die alkoholbedingten Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit wie Selbstüberschätzung und/oder verengtes Gesichtsfeld ursächlich für den streitgegenständlichen Unfall waren.

Die Pflichten aus dem Versicherungsvertrag trafen auch den Beklagten als mitversicherte Person (vgl. Prölss-Martin-Knappmann, VVG, 28. A., f.1. bis f.3. AKB Rn. 2).

Gemäß § 28 Abs. 2 VVG führt die Obliegenheitsverletzung hier im Ergebnis dazu, dass der Beklagte den Höchstbetrag von 5.000,- € gemäß §§ 5 Abs. 3, 6 Abs. 1 KfzPflVV schuldet. Dabei mag dahin stehen, ob die Voraussetzungen für eine Leistungsfreiheit oder nur für eine Leistungskürzung vorliegen. Denn der Höchstbetrag stellt eine Kappungsgrenze dar und wird nicht seinerseits gequotelt, sondern ist in voller Höhe geschuldet, wenn der gequotelten Betrag aus der Versicherungsleistung seinerseits höher ist (vgl. Prölss-Martin, VVG, 28. A., § 28 Rn. 141). Nimmt man nämlich zu Gunsten des Beklagten eine Kürzung an, so ist angesichts des Gesamtschadens selbst bei einer nicht mehr vertretbaren Kürzung auf nur 1/3 der Höchstbetrag von 5.000,- € überschritten. Der Gesamtschaden beträgt hier nämlich über 15.000,- €, 1/3 hiervon sind jedenfalls mehr als 5.000,- €. Indessen ist eine Kürzung um mehr als 50 % angesichts der als besonders grob einzuschätzenden Obliegenheitsverletzung – ein Alkoholisierungsgrad von 0,82 Promille, der nicht von ungefähr kommt, wird einerseits durch den Alkoholkonsum und andererseits durch die darauf beruhenden Ausfallerscheinungen bemerkt – ohnehin nicht zu vertreten.

Der Rückgriffsanspruch ist nicht gemäß § 280 Abs. 1 BGB durch nachlässiges Regulierungsverhalten weggefallen. Zwar begründet es einen Schadensersatzanspruch, welcher dem Rückgriffsanspruch entgegen gehalten werden kann, wenn der Versicherer leichtfertig auch solche Schäden reguliert, die der Versicherte gar nicht verursacht haben kann. Ein solches Verhalten ist der Klägerin hier aber nicht vorzuwerfen. Die Parteien haften auf Grund des groben Verkehrsverstoßes des Beklagten gegenüber dem Geschädigten gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 Abs. 2 StVG in voller Höhe. Die geltend gemachten Schadenspositionen sind vom Schadensersatzanspruch umfasst. Es ist auch nicht ersichtlich, dass irgend ein Betrag der Schadensersatzposition überhöht ist.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Beklagte kam jedenfalls auf Grund der zweiten Zahlungsaufforderung vom 25.05.2016 ab dem geltend gemachten Zinsdatum 06.06.2016 in Verzug.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 1, Satz 3 ZPO.

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