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Kfz-Kaskoversicherung – Leistungskürzung auf Null bei Alkoholfahrt mit 0,88 Promille

OLG Hamm – Az.: I-20 U 129/21 – Beschluss vom 19.07.2021

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung – auf die der Senat Bezug nimmt – abgewiesen. Die Berufungsangriffe des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 22. Juni 2021 (Bl. 23 ff. der elektronischen Gerichtsakte II. Instanz; im Folgenden: eGA-II und für die erste Instanz eGA-I) greifen nicht durch. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Kaskoentschädigung nicht zu. Der Beklagte ist gemäß A.2.9.1 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AKB leistungsfrei, da der Kläger den Versicherungsfall infolge des Genusses alkoholischer Getränke zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hat.

1.

Das Landgericht ist im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass im Bereich unterhalb der Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit die Fahruntüchtigkeit der individuellen Feststellung aufgrund von Ausfallerscheinungen oder eines festgestellten Fahrfehlers bedarf, der typischerweise durch Alkoholgenuss bedingt ist, und auf die Fahruntüchtigkeit nicht kraft eines Anscheinsbeweises geschlossen werden darf (BGH, Urteil vom 24. Februar 1988 – IVa ZR 193/86, VersR 1988, 733). Dieser kann erst für die Frage der Ursächlichkeit der Fahruntüchtigkeit für den Unfall herangezogen werden (Senatsurteil vom 20. Januar 1993 – 20 U 193/92, r+s 1993, 172). Gegen diesen Ansatz wendet sich die Berufung zu Recht nicht.

Entgegen der Auffassung der Berufung ist es aber auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nach den gegebenen Umständen eine relative Fahruntüchtigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt festgestellt hat.

Äußere Anzeichen für alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit können sich aus alkoholbedingten Ausfallerscheinungen ergeben, die z.B. im Blutentnahmeprotokoll festgehalten sind und den Schluss zulassen, der Fahrer habe ernsthafte Anzeichen für seine Fahruntüchtigkeit missachtet. Sie können sich aber auch aus groben Fahrfehlern ergeben, die typischerweise auf Alkoholgenuss zurückzuführen sind (Senatsurteil vom 20. Januar 1993 aaO; vgl. auch Senatsurteil vom 29. Januar 2003 – 20 U 179/02, r+s 2003, 188).

An diesen Grundsätzen gemessen kann es – wie das Landgericht richtig gesehen hat – nicht zweifelhaft sein, dass der Kläger im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles infolge des Genusses alkoholischer Getränke (relativ) fahruntüchtig war.

Hierfür spricht zunächst der Untersuchungsbefund im Rahmen der Blutentnahme, der dem Kläger im Untersuchungszeitpunkt unter anderem einen torkelnden Gang, eine unsichere plötzliche Kehrtwendung, eine verwaschene Sprache, eine unsichere Finger-Finger- und Finger-Nase-Prüfung sowie ein benommenes Bewusstsein, mithin alkoholtypische Ausfallerscheinungen, bescheinigt. Lässt sich schon dieser Befund für sich genommen – anders als die Berufung geltend macht – mit der Anflutungsphase des Alkohols oder physiologischen Besonderheiten nicht plausibel erklären, ergibt sich eine Fahruntüchtigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt jedenfalls aus dem Unfallhergang selbst.

In Fällen, in denen ein Fahrer – wie hier – in Folge von alkoholbedingt erklärbarem Fehlverhalten von der Fahrbahn abkommt und gegen ein Hindernis prallt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dies eine typische Folge der Alkoholisierung ist (Senatsurteil vom 25. August 2010 – 20 U 74/10, VersR 2011, 206; s. auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 30. Oktober 2014 – 4 U 165/13, r+s 2015, 340; Maier in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung 19. Aufl. D.1 AKB 2015 Rn. 160 mwN).

Der Kläger ist hier mit seinem Fahrzeug innerorts bei einer – wie von ihm selbst angegeben – allenfalls geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitung und nahezu geradem Straßenverlauf ohne erklärbare Alternativursache von der Fahrbahn abgekommen. Selbst wenn die Straße regennass war und selbst wenn auf ihr in gewissem Umfang Laub gelegen haben sollte, was sich der Ermittlungsakte schon nicht entnehmen lässt, lag eine Situation vor, die von einem nur einigermaßen aufmerksamen Kraftfahrer beherrscht werden können muss. Bei dem Fahrfehler des Klägers handelt es sich demnach um ein Versagen, das typischerweise durch Alkoholgenuss bedingt ist, da auf eine gegebene Verkehrssituation grob falsch reagiert wird.

Dies alles spricht dafür, dass die beschriebenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen des Klägers als die alleinige Unfallursache anzusehen sind. Der Kläger hat zwar – erstmals im Rahmen seiner zweiten Anhörung durch das Landgericht und erst auf Vorhalt seines Prozessbevollmächtigten – allgemein die Möglichkeit in den Raum gestellt, durch den Bordcomputer abgelenkt gewesen zu sein. Dies stellt indes einerseits lediglich eine theoretische Ersatzursache dar, für die der Kläger keine konkreten Anzeichen vorgetragen hat. Andererseits handelt es sich wiederum um eine alltägliche Situation, mit der jeder nüchterne Fahrer spielend fertig geworden wäre.

2.

Die festgestellte alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit war für den Unfall auch ursächlich. Dies ergibt sich im Wege des Anscheinsbeweises, den der Kläger nicht entkräftet hat. Bei typischen Fahrfehlern aufgrund einer Alkoholisierung kann eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, dass der Unfall durch die Alkoholisierung verursacht wurde, sofern andere nachvollziehbare Erklärungen nicht gegeben sind (s. BGH, Urteil vom 9. Oktober 1991 – IV ZR 264/90, VersR 1991, 1367 unter II 3 mwN; s. auch Halbach in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung 19. Aufl. A.2 AKB 2015 Rn. 964).

Zwar kann der Anscheinsbeweis dadurch entkräftet werden, dass der Versicherungsnehmer als Gegner des für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 81 VVG (oder hier der den gesetzlichen Risikoausschluss einschränkenden Klausel in A.2.9.1 AKB) beweisbelasteten Versicherers Umstände nachweist, aus denen sich die ernsthafte (und nicht nur theoretische) Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1991 aaO). Diese Grundsätze hat aber entgegen der Auffassung der Berufung das Landgericht nicht missachtet, indem es das Beweisangebot des Klägers für unerheblich gehalten hat.

3.

Es ist schließlich auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht von vollständiger Leistungsfreiheit des Versicherers ausgegangen ist. Hierbei kann offenbleiben, ob im Allgemeinen in Fällen relativer Fahruntüchtigkeit eine vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers nicht in Betracht kommt oder aber eine Differenzierung zwischen absoluter und relativer Fahruntüchtigkeit nicht zu treffen ist, da der Unterschied zwischen absoluter und relativer Fahruntüchtigkeit nur das Beweisrecht betrifft, die relative Fahruntüchtigkeit demgemäß keine mindere Form der Fahruntüchtigkeit ist (s. zum Streitstand Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht 26. Aufl. § 81 VVG Rn. 16 mwN).

Denn eine Leistungskürzung des Versicherers auf Null ist jedenfalls in besonderen Ausnahmefällen möglich, was etwa (aber eben nicht nur) bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit in Betracht kommt; Grund dafür ist (auch), dass sich derartige Fälle in der Regel im Grenzgebiet zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bewegen und das Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu den schwersten Verkehrsverstößen überhaupt gehört (s. BGH, Urteil vom 22. Juni 2011 – IV ZR 225/10, BGHZ 190, 120 Rn. 32 mwN).

Dabei ist zwar selbst in Fällen absoluter Fahruntüchtigkeit immer eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles erforderlich, so dass nicht pauschal in jedem Fall von Fahruntüchtigkeit eine Leistungskürzung auf Null vorzunehmen ist (aaO Rn. 33). Eine Leistungsfreiheit des Versicherers kommt aber jedenfalls auch dann in Betracht, wenn – wie hier – in einem Fall relativer Fahruntüchtigkeit die Blutalkoholkonzentration nicht weit von der absoluten Fahruntüchtigkeit entfernt ist und sich der Alkohol erheblich auf den Eintritt des Unfalls ausgewirkt hat, ohne dass Umstände vorgetragen sind, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit jedenfalls im subjektiven Bereich in milderem Licht erscheinen lassen.

Völlig zu Recht hat das Landgericht insoweit mildernde Umstände nicht festzustellen vermocht, sondern es im Gegenteil erschwerend berücksichtigt, dass der Kläger in dem Bewusstsein bereits (nach eigenen Angaben) eine halbe bis dreiviertel Flasche Wein konsumiert zu haben, die Fahrt nur deshalb unternommen hat, weil er sich noch mehr Alkohol besorgen wollte. Hierbei belegen die beim Kläger während der Untersuchung festgestellten deutlichen Ausfallerscheinungen und der Unfallhergang als solcher, dass sich der Kläger bei Fahrtantritt über die Erkenntnis seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit zumindest leichtfertig hinweggesetzt hat. Das Verhalten des Klägers ist daher jedenfalls im konkreten Einzelfall einer Vorsatzsituation angenähert. Auch bei (lediglich) grob fahrlässiger Herbeiführung eines Versicherungsfalles kommt aber eine Leistungsfreiheit des Versicherers insbesondere dann in Betracht, wenn der Schweregrad der groben Fahrlässigkeit sich dem Vorsatz annähert (BGH, Urteil vom 22. Juni 2011 aaO Rn. 30).

II.

Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.

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