Das Oberlandesgericht Hamm hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, da der Versicherer den Beweis für eine vorsätzliche Unfallmanipulation erbracht hat. Die Gesamtschau der Indizien lässt den Schluss auf eine Unfallmanipulation zu. Die Leistungsfreiheit der Kfz-Kaskoversicherung wurde bestätigt.
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Übersicht
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Kfz-Kaskoversicherung: Leistungsfreiheit bei Unfallmanipulation
- Der Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm im Detail
- ✔ FAQ zum Thema: Kfz-Kaskoversicherung, Unfallmanipulation
- Was versteht man unter Leistungsfreiheit in der Kfz-Kaskoversicherung?
- Welche Beweise benötigt ein Versicherer, um Leistungsfreiheit geltend zu machen?
- Wie wird die technische Plausibilität eines Unfallhergangs überprüft?
- Welche Rolle spielen psychologische Faktoren bei der Bewertung von Unfallhergängen?
- Inwiefern beeinflusst der Zeitpunkt und Ort eines Unfalls die Entscheidung der Versicherung?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ➜ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Hamm
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Der Kaskoversicherer ist von der Leistungspflicht befreit, wenn er den Vollbeweis für die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer erbringt.
- Der Nachweis einer Unfallmanipulation kann durch die Häufung typischer verdächtiger Umstände erbracht werden, die insgesamt nur diesen Schluss zulassen.
- Das Gericht sah den Vollbeweis als erbracht an, da die Schäden teilweise nicht mit dem Unfallhergang vereinbar waren und der zweite Anstoß technisch nicht plausibel erschien.
- Weitere Indizien waren das hochwertige Fahrzeug, der späte Unfalltag und -ort ohne Zeugen sowie die fehlende Ortsbesichtigung des Gutachters, da die genauen Anstoßstellen nicht mehr ermittelbar waren.
- Der Sachverständige nutzte Bilddaten und frühere Messungen, um den Unfallhergang so weit wie möglich zu plausibilisieren.
- Die Gesamtschau aller Indizien ließ für das Gericht den Schluss auf eine Unfallmanipulation zu.
Kfz-Kaskoversicherung: Leistungsfreiheit bei Unfallmanipulation
Eine Kfz-Kaskoversicherung ist für viele Autofahrer eine wichtige Absicherung, um im Falle eines Unfalls die Reparaturkosten erstattet zu bekommen. Doch was passiert, wenn der Versicherungsnehmer den Unfall womöglich selbst herbeigeführt hat? In solchen Fällen kann der Versicherer von seiner Leistungspflicht befreit sein. Um eine Unfallmanipulation zweifelsfrei nachzuweisen, müssen Gerichte hohe Anforderungen erfüllt sehen. Neben dem Vorliegen eindeutiger Beweise spielt auch die Gesamtschau aller Umstände eine entscheidende Rolle.
In einem konkreten Fall, den wir Ihnen im Folgenden vorstellen werden, hatte das Oberlandesgericht Hamm darüber zu entscheiden, ob der Kläger seinen Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hatte und daher kein Anspruch auf Kostenerstattung bestand. Die Begründung des Gerichts liefert interessante Einblicke in die Prüfung solcher Manipulationsvorwürfe.
Der Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm im Detail
Kfz-Kaskoversicherung: Leistungsfreiheit bei Unfallmanipulation
Der Fall dreht sich um einen Streit zwischen einem Kläger und seiner Kfz-Kaskoversicherung. Der Kläger machte fiktive Reparaturkosten für einen angeblichen Unfall geltend, der sich auf einer Autobahnausfahrt ereignet haben soll. Er behauptete, mit seinem Fahrzeug zunächst die linke Leitplanke und anschließend aufgrund einer Schockreaktion auch die rechte Leitplanke gestreift zu haben. Die Versicherung lehnte die Zahlung ab und begründete dies mit dem Verdacht einer vorsätzlichen Unfallmanipulation durch den Kläger. Das Landgericht wies die Klage des Klägers ab, woraufhin dieser Berufung einlegte. Im Kern geht es in diesem Fall also um die Frage, ob der Versicherer den Beweis für eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger erbringen konnte, um so von seiner Leistungspflicht befreit zu werden. Die Herausforderung liegt dabei in den hohen Anforderungen, die an einen solchen Beweis gestellt werden.
OLG Hamm: Berufung des Klägers zurückgewiesen
Das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) schloss sich in seinem Beschluss der Entscheidung des Landgerichts an und wies die Berufung des Klägers zurück. Das Gericht sah den Vollbeweis für eine Unfallmanipulation als erbracht an. Dabei stützte es sich auf eine Gesamtschau verschiedener Indizien, die Zweifel an der Darstellung des Klägers aufkommen ließen.
Indizien für eine Unfallmanipulation
1. Fehlende Kompatibilität der Schäden mit dem Unfallhergang: Ein Sachverständiger stellte fest, dass einige der geltend gemachten Schäden, insbesondere an den Scheinwerfern und der rechten Felge, nicht mit dem behaupteten Unfallhergang vereinbar waren. So fehlten beispielsweise korrespondierende Schrammspuren, die bei einem Streifschaden an der Leitplanke oder durch Bewuchs am Fahrbahnrand zu erwarten gewesen wären.
2. Technisch nicht plausibler Zweitanstoß: Der Sachverständige beurteilte auch den zweiten Anstoß des Fahrzeugs an der rechten Leitplanke als technisch nicht plausibel. Nach seinen Berechnungen hätte der Kläger ausreichend Zeit und Wegstrecke gehabt, um sein Fahrzeug nach dem ersten Anstoß kontrolliert zum Stehen zu bringen oder zumindest den zweiten Anstoß zu vermeiden. Auch der flache Anstoßwinkel sprach gegen die vom Kläger behauptete Panikreaktion.
3. Weitere verdächtige Umstände: Das Gericht berücksichtigte zudem weitere Indizien, die auf eine Unfallmanipulation hindeuteten. Dazu zählten das hochwertige Fahrzeug, bei dem sich die fiktive Abrechnung von Reparaturkosten lohne, der späte Unfallzeitpunkt und -ort ohne Zeugen sowie die Tatsache, dass der Kläger mit seinem privaten Pkw und nicht mit dem verfügbaren Dienstwagen unterwegs gewesen war.
Begründung des Gerichts im Detail
Das OLG Hamm betonte, dass der Vollbeweis für die vorsätzliche Herbeiführung eines Versicherungsfalls hohe Anforderungen an die Beweisführung stellt. Eine bloße Wahrscheinlichkeit reiche nicht aus. Im vorliegenden Fall sah das Gericht diese Anforderungen jedoch als erfüllt an, da die Gesamtschau der Indizien den Schluss auf eine Unfallmanipulation zuließ.
Das Gericht setzte sich dabei auch mit den Einwänden des Klägers auseinander. So führte der Kläger an, dass der Sachverständige aufgrund fehlender Sachkunde keine Aussagen zu psychischen Schockreaktionen treffen könne. Das Gericht hielt dem entgegen, dass der Sachverständige lediglich die technische Plausibilität des Unfallhergangs beurteilt habe und seine Ausführungen daher verwertbar seien.
Auch die Rüge des Klägers, dass der Sachverständige keine Ortsbesichtigung durchgeführt habe, wies das Gericht zurück. Da die genauen Anstoßstellen nicht mehr feststellbar gewesen seien, hätte eine Ortsbesichtigung keine zusätzlichen Erkenntnisse gebracht. Der Sachverständige habe stattdessen auf Bilddaten und frühere Messungen zurückgegriffen, um den Unfallhergang nachzuvollziehen.
Letztlich überzeugten die Argumente des Klägers das Gericht nicht. Die Berufung wurde zurückgewiesen und die Leistungsfreiheit der Kfz-Kaskoversicherung bestätigt.
✔ FAQ zum Thema: Kfz-Kaskoversicherung, Unfallmanipulation
Was versteht man unter Leistungsfreiheit in der Kfz-Kaskoversicherung?
Leistungsfreiheit in der Kfz-Kaskoversicherung tritt ein, wenn der Versicherer nachweisen kann, dass der Versicherungsnehmer den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Der Versicherer ist dann trotz des eingetretenen Versicherungsfalls nicht zur Erbringung der Versicherungsleistung verpflichtet.
Vorsätzliches Handeln liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer den Schaden absichtlich herbeiführt oder den Eintritt eines Schadens für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Vorsätzlich herbeigeführte Schäden sind in der Regel nicht von der Kaskoversicherung gedeckt.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Beispiele sind das Überfahren einer roten Ampel, Sekundenschlaf trotz Ermüdungsanzeichen oder das Liegenlassen von Wertsachen im offenen Cabrio.
Bei grober Fahrlässigkeit kann der Kaskoversicherer seine Leistung ganz oder teilweise verweigern. Manche Tarife sichern aber auch Schäden trotz grober Fahrlässigkeit voll ab, wenn dies vertraglich vereinbart ist.
Im Gegensatz dazu muss die Kfz-Haftpflichtversicherung auch bei grober Fahrlässigkeit gegenüber geschädigten Dritten haften. Sie kann aber beim Verursacher bis zu 5.000 Euro Regress nehmen.
Welche Beweise benötigt ein Versicherer, um Leistungsfreiheit geltend zu machen?
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Versicherer für die Geltendmachung der Leistungsfreiheit in der Kfz-Kaskoversicherung folgende Punkte beweisen muss:
Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer:
Der Versicherer muss nachweisen, dass der Versicherungsnehmer den Schaden absichtlich verursacht hat oder den Schadenseintritt zumindest billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz). Hierfür trägt der Versicherer die volle Beweislast. Indizien können herangezogen werden, ein Anscheinsbeweis reicht jedoch nicht aus.
Grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls:
Bei grober Fahrlässigkeit kann der Versicherer seine Leistung kürzen. Er muss beweisen, dass der Versicherungsnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Beispiele sind Sekundenschlaf trotz Ermüdungsanzeichen oder das Liegenlassen von Wertsachen im offenen Cabrio.
Obliegenheitsverletzungen durch den Versicherungsnehmer:
Verletzt der Versicherungsnehmer vertragliche Pflichten grob fahrlässig oder vorsätzlich, kann dies zur Leistungsfreiheit führen. Der Versicherer muss den objektiven Obliegenheitsverstoß nachweisen. Bei Obliegenheitsverletzungen nach Eintritt des Versicherungsfalls muss der Versicherer zudem beweisen, dass er den Versicherungsnehmer korrekt über die Rechtsfolgen belehrt hat.
Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden:
Der Versicherer ist trotz Pflichtverletzungen zur Leistung verpflichtet, wenn diese nicht ursächlich für den Schadenseintritt waren. Dies gilt nicht bei Arglist des Versicherungsnehmers.
Gelingt dem Versicherer der Nachweis nicht, muss er regulär leisten. Der Versicherungsnehmer muss lediglich nachweisen, dass ein Unfall als versichertes Ereignis vorliegt. Hierfür genügt es, wenn die Schäden nach Art und Beschaffenheit nur aus einem Unfall resultieren können.
Wie wird die technische Plausibilität eines Unfallhergangs überprüft?
Um die technische Plausibilität eines geschilderten Unfallhergangs zu überprüfen, gehen Sachverständige wie folgt vor:
Analyse der Schäden und Spuren:
Der Gutachter untersucht zunächst detailliert die Beschädigungen an den beteiligten Fahrzeugen sowie Spuren am Unfallort wie Brems- und Schleuderspuren, Splitterfelder, Endpositionen etc. Aus dem Schadensbild lässt sich der tatsächliche Kollisionsablauf ableiten.
Kompatibilitätsprüfung:
Es wird geprüft, ob die Schäden an den Fahrzeugen zueinander passen, also durch gegenseitigen Kontakt verursacht worden sein können. Dazu werden u.a. die Schadenshöhen verglichen und untersucht, ob sich Lackspuren des Unfallgegners finden. Altschäden müssen von unfallbedingten Schäden abgegrenzt werden.
Rekonstruktion des Unfallablaufs:
Basierend auf den Anknüpfungstatsachen rekonstruiert der Sachverständige den wahrscheinlichen Bewegungsablauf der Fahrzeuge vor, während und nach der Kollision. Dazu werden physikalische Gesetzmäßigkeiten wie Impuls- und Energieerhaltungssätze herangezogen. Auch Simulationsprogramme kommen zum Einsatz.
Abgleich mit Unfallschilderungen:
Der rekonstruierte Ablauf wird mit den Schilderungen der Beteiligten und Zeugen verglichen. Ergeben sich Widersprüche, deutet dies auf einen unplausiblen Unfallhergang hin. Der Sachverständige beurteilt, welcher Ablauf technisch nachvollziehbar ist.
Prüfung der Vermeidbarkeit:
Abschließend wird oft noch geprüft, ob und wie der Unfall bei regelkonformem Verhalten vermeidbar gewesen wäre. Dazu werden Anhalte- und Reaktionswege berechnet und mit den örtlichen Gegebenheiten abgeglichen.
Das Ergebnis der Plausibilitätsprüfung hängt entscheidend von der Qualität der verfügbaren Anknüpfungstatsachen ab. Je früher der Sachverständige eingeschaltet wird, desto besser kann er Spuren sichern. Widersprüche zwischen Schadensbild und Unfallschilderung sind ein starkes Indiz für einen manipulierten Unfall und können zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen.
Welche Rolle spielen psychologische Faktoren bei der Bewertung von Unfallhergängen?
Psychologische Faktoren können bei der Bewertung von Unfallhergängen eine wichtige Rolle spielen:
Schockreaktionen unmittelbar nach dem Unfall:
Direkt nach einem Unfall können Beteiligte unter Schock stehen. Typische Symptome sind Bewusstseinseinengung, Desorientierung, mechanisches Handeln oder Erstarren. Dies kann dazu führen, dass Betroffene sich selbst gefährden, z.B. auf die Straße laufen. Solche Schockreaktionen sind bei der Beurteilung des Verhaltens nach dem Unfall zu berücksichtigen.
Erinnerungslücken und verzerrte Wahrnehmung:
Durch den Stress in der Unfallsituation kann es zu Erinnerungslücken („Filmriss“) oder einer verzerrten Wahrnehmung des Geschehens kommen. Dies erschwert die Rekonstruktion des Unfallhergangs anhand von Zeugenaussagen. Widersprüche zwischen Aussagen und objektiven Spuren sind daher nicht zwangsläufig Zeichen für Manipulation.
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS):
Schwere Unfälle können als psychisches Trauma wirken und zu einer PTBS führen. Betroffene leiden dann unter Symptomen wie Albträumen, Angst und Depressionen. Dies kann ihre Aussagefähigkeit und Kooperation bei der Unfallaufklärung beeinträchtigen. Eine frühzeitige psychologische Unterstützung ist wichtig.
Schuldgefühle und Abwehrmechanismen:
Gerade wenn Menschen durch den Unfall zu Schaden gekommen sind, können starke Schuldgefühle auftreten. Dies kann unbewusst zu Abwehrmechanismen und einer verzerrten Schilderung führen, um das eigene Versagen zu verleugnen.
Sachverständige sollten daher neben der technischen Rekonstruktion auch mögliche psychologische Einflussfaktoren im Blick haben. Eine enge Zusammenarbeit mit psychologischen Experten kann sinnvoll sein, um Aussagen angemessen zu würdigen und gleichzeitig Manipulationen zu erkennen.
Inwiefern beeinflusst der Zeitpunkt und Ort eines Unfalls die Entscheidung der Versicherung?
Der Zeitpunkt und der Ort eines Unfalls können die Entscheidung der Versicherung über die Regulierung eines Schadensfalls durchaus beeinflussen:
Plausibilität des Unfallhergangs:
Unfallort und -zeitpunkt müssen zum geschilderten Unfallhergang passen. Geschieht ein Unfall an einem ungewöhnlichen Ort oder zu einer unüblichen Zeit, kann dies Zweifel an der Unfallschilderung wecken. Beispielsweise wäre ein Wildunfall mitten in der Stadt zu nächtlicher Stunde wenig glaubhaft. Die Versicherung wird dann genauer prüfen, ob Unstimmigkeiten auf eine mögliche Manipulation hindeuten.
Verfügbarkeit von Zeugen und Beweismitteln:
Je nach Unfallort und -zeit sind Zeugen und Beweismittel unterschiedlich gut verfügbar. Ein Unfall auf belebter Straße tagsüber lässt sich leichter aufklären als ein nächtlicher Alleinunfall auf abgelegener Strecke. Fehlen neutrale Zeugen oder objektive Spuren, erschwert dies die Überprüfung des Unfallhergangs. Die Versicherung ist dann stärker auf die Angaben des Versicherungsnehmers angewiesen, was Manipulationen begünstigen kann.
Reaktionsverhalten des Versicherungsnehmers:
Auch das Verhalten des Versicherten direkt nach dem Unfall spielt eine Rolle. Meldet er den Schaden unverzüglich oder erst mit Verzögerung? Alarmiert er Polizei und Rettungskräfte oder verlässt er eigenmächtig die Unfallstelle? Gerade bei schweren Unfällen zu ungewöhnlicher Zeit kann ein pflichtwidriges Verhalten Misstrauen wecken und als Indiz gegen die Unfallschilderung gewertet werden.
Möglichkeit technischer Überprüfungen:
Moderne Fahrzeuge speichern eine Vielzahl von Daten, die Rückschlüsse auf das Unfallgeschehen zulassen. Dazu zählen Brems- und Lenkmanöver, Geschwindigkeit, Gurtnutzung etc. Anhand des Zeitstempels lässt sich überprüfen, ob diese Daten zum behaupteten Unfallzeitpunkt passen. Auch die Endposition des Fahrzeugs und Spuren am Unfallort geben Aufschluss darüber, ob der Unfall wie geschildert stattgefunden haben kann.
Bestehen aufgrund der Unfall-Umstände begründete Zweifel an den Angaben des Versicherungsnehmers und können diese nicht ausgeräumt werden, darf die Versicherung die Regulierung verweigern. Sie trägt hierfür die Beweislast. Der Versicherungsnehmer ist im Gegenzug gehalten, zur Aufklärung des Unfalls nach besten Kräften beizutragen und die Versicherung unverzüglich und vollständig zu informieren.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 81 Abs. 1 VVG (Versicherungsvertragsgesetz): Dieser Paragraph regelt die Leistungsfreiheit des Versicherers bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer. Im vorliegenden Fall wurde dieser Paragraph angewendet, da der Kläger beschuldigt wird, einen Unfall vorsätzlich herbeigeführt zu haben, um Versicherungsleistungen unrechtmäßig zu erlangen.
- § 286 Abs. 1 ZPO (Zivilprozessordnung): Dieser Paragraph behandelt den erforderlichen Grad der Überzeugung eines Gerichts, um einen Vollbeweis als erbracht anzusehen. Die Anwendung dieses Paragraphen ist entscheidend, da das Landgericht überzeugt sein musste, dass der Unfall tatsächlich manipuliert wurde.
- § 522 Abs. 2 ZPO: Dieser Abschnitt ermöglicht es einem Gericht, eine Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Dieser Paragraph wurde vom OLG Hamm herangezogen, um die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
- § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO: Dieser Paragraph legt fest, inwieweit ein Berufungsgericht an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden ist. Dies ist relevant, weil das Berufungsgericht die Feststellungen des Landgerichts als bindend und korrekt anerkennen musste, solange keine substantiellen Zweifel vorgebracht werden.
➜ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Hamm
OLG Hamm – Az.: I-20 U 156/23 – Beschluss vom 16.10.2023
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
I.
Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Ersatz fiktiver Reparaturkosten für aus einem – behaupteten – Unfallgeschehen vom 22.04.2019 auf der Ausfahrt der BAB 43 resultierende Reparaturkosten zu. Die Beklagte ist gem. § 81 VVG wegen einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger leistungsfrei. Die Angriffe des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 24.08.2023 (Bl. 41 ff. eGA-II) sowie aus dem innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen weiteren Schriftsatz vom 29.08.2023 (Bl. 53 eGA-II) greifen nicht durch.
1.
Das Landgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Kaskoversicherer nur dann gem. § 81 Abs. 1 VVG von der Leistungsverpflichtung befreit ist, wenn er den Vollbeweis für das vorsätzliche Herbeiführen eines Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer oder dessen Repräsentanten führt, wobei ihm Beweiserleichterungen nicht zu Gute kommen. Dieser Beweis einer Unfallmanipulation kann u.a. auch durch den Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung von typischen Umständen erbracht werden, die für sich betrachtet auch eine andere Erklärung finden mögen, in ihrem Zusammenwirken vernünftigerweise jedoch nur den Schluss zulassen, dass der Anspruchsteller die Beschädigung seines Fahrzeuges bewusst und gewollt herbeigeführt bzw. in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat. Hierbei bedarf es in Anwendung des § 286 Abs. 1 ZPO für den erforderlichen Vollbeweis keiner von allen Zweifeln freien Überzeugung des Gerichts. Erforderlich ist aber ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie notwendigerweise völlig auszuschließen. Eine bloße Wahrscheinlichkeit – und sei sie auch erheblich – genügt demgegenüber nicht (vgl. zu den Anforderungen: Senat, Urt. v. 03.05.2021 – 20 U 256/20, Juris Rn. 21 m.w.N.; OLG München, Urt. v. 08.03.2013 – 10 U 3241/12, Juris Rn. 6 jeweils m.w.N.).
2.
Dass das Landgericht diesen Beweis im Streitfall als geführt angesehen hat, ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil unter Beachtung des Beweismaßstabs des § 286 ZPO im Rahmen einer Gesamtschau aller für und wider ein manipuliertes Unfallgeschehen sprechenden Umstände überzeugend begründet, warum es mit der hinreichenden, für das praktische Leben brauchbaren Gewissheit, welche vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, zu der Überzeugung gelangt ist, dass ein manipuliertes Unfallgeschehen vorliegt. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen bestehen nicht (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
a) Das Landgericht hat die Feststellung des manipulierten Unfallgeschehens im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zunächst auf das Indiz der fehlenden Kompatibilität des Unfallgeschehens für Teile der behaupteten unfallbedingten Schäden gestützt (Seite 8 LGU). Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. … könnten diverse Schrammspuren auf der linken Fahrzeugseite, teilweise kreuzend auf dem linken Scheinwerfer, sowie die Schrammspuren am rechten Frontscheinwerfer und die Beschädigungen an der rechten vorderen Felge mit dem behaupteten Unfallhergang nicht in Einklang gebracht werden. Diese Schäden könnten nicht durch einen Streifschaden an der Leitplanke entstanden sein. Auch könne – mit Ausnahme des Streifschadens an der Fahrzeugseite – ausgeschlossen werden, dass diese Schäden durch am Fahrbahnrand befindliche Bäume oder Gehölze verursacht worden seien, weil die in diesem Fall zwingend zu erwartenden korrespondierenden und vergleichbaren Schrammspuren an anderen Karosserieteilen fehlten. Sofern ein Streifschaden durch einen Ast für den Streifschaden an der linken Fahrzeugseite in Betracht zu ziehen sei, hat das Landgericht nach dem Gesamtbild der Schädigung und Gesamtwürdigung aller Umstände ausgeschlossen, dass Baum- oder Buschwerk, welche einen Streifschaden bspw. an der Fahrzeugseite hätte verursachen können, an der Fahrbahngrenze vorhanden gewesen sei. Das Landgericht hat die Ausführungen des Sachverständigen für überzeugend gehalten, auch wenn der Sachverständige keinen Ortstermin durchgeführt hatte. Die Durchführung eines Ortstermins sei nicht erforderlich gewesen, weil mangels Kenntnis der ganz konkreten Anstoßstellen des Fahrzeugs mit den jeweiligen Leitplanken sowie des mittlerweile erfolgten Zeitablaufs auch kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten gewesen sei. Zudem hätten dem Gutachter die Feststellungen der Privatgutachter zur Verfügung gestanden, die dieser ausgewertet und berücksichtigt habe.
Zudem hat das Landgericht als weiteres Indiz den Umstand berücksichtigt, dass der Sachverständige den vom Kläger behaupteten zweiten Anstoß mit der rechten Fahrzeugseite an der rechten Leitplanke infolge einer behaupteten Panikreaktion nach dem Erstanstoß auf der linken Fahrzeugseite aus technischer Sicht als nicht plausibel eingestuft hat (Seite 9 ff. LGU), da der Kläger unter Zugrundelegung der angenommenen Fahrstrecke zwischen Erst- und Zweitanstoß und der Annahme der von dem Kläger angegebenen Geschwindigkeit von 40-50 km/h aus technischer Sicht ausreichend Zeit und genug Wegstrecke zur Verfügung gehabt habe, um das Fahrzeug kontrolliert ohne Zweitanstoß zum Stehen zu bringen oder zumindest den Zweitanstoß zu vermeiden. Der Zweitanstoß könne aus technischer Sicht auch nicht mit einer als Panikreaktion vorgenommenen starken Rechtslenkung erklärt werden. Denn gegen eine Panikreaktion spreche der anhand der Schleifspuren feststellbare flache Anstoßwinkel des Fahrzeugs mit der Leitplanke, der bei der behaupteten Panikreaktion in Form einer starken Rechtslenkung steiler hätte sein müssen.
Schließlich hat das Landgericht als weitere Indizien für ein gestelltes Unfallgeschehen in die Erwägung eingestellt, dass es sich um ein hochwertiges Fahrzeug handelt, bei dem sich die fiktive Abrechnung von Reparaturkosten lohne und dass sich der Unfall zu später Stunde nach den Angaben des Klägers an einer ansonsten nicht befahrenen Autobahnausfahrt ereignet haben soll, auf der jedenfalls die Anwesenheit anderer Zeugen nicht zu erwarten gewesen sei. Die von der Beklagten angeführten vermeintlichen finanziellen Schwierigkeiten der Ehefrau des Klägers sowie den Umstand, dass der Kläger mit dem eigenen und nicht mit dem zur Verfügung stehenden Dienstfahrzeug den Unfall erlitten haben will, hat das Landgericht hingegen nicht als Indizien für einen vorgetäuschten Unfall herangezogen. Zudem hat das Landgericht ausgeführt und in die Gesamtwürdigung eingestellt, dass das Hinzurufen der Polizei indiziell gegen die Annahme eines gestellten Unfallgeschehens spreche.
b) Die nachvollziehbar und überzeugend begründete Gesamtwürdigung der einzelnen Indizien, die letztlich mit der gebotenen hinreichenden Überzeugung auf ein manipuliertes Unfallgeschehens schließen lässt, ist für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend. Der Kläger hat mit der Berufungsbegründung keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Feststellungen der einzelnen Indizien oder der Gesamtabwägung in dem Sinne aufgezeigt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle erneuter Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden (vgl. BGH, Beschluss vom 08.08.2023 – VIII ZR 20/23, Rn. 14-16).
aa) Der Kläger hat zunächst keine Anhaltspunkte für Vollständigkeits- und/oder Richtigkeitszweifel dahingehend dargelegt, dass der Unfallhergang hinsichtlich des (Zweit)Anstoßes als Teilakt des Unfallgeschehens nicht plausibel sei.
Der Kläger rügt, dass das Landgericht aufgrund der fehlenden Sachkunde des Sachverständigen zu psychischen Schockreaktionen infolge des Erstanpralls diesem nicht hätte folgen dürfen. Das Landgericht hätte vielmehr die glaubhaften Ausführungen des Klägers, er sei in Panik und überfordert gewesen und habe das Fahrzeug schockbedingt ohne Bremsung ruckartig nach rechts gezogen, zu Grunde legen müssen.
Der Kläger zeigt indes mit dieser Rüge keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung auf, er setzt vielmehr seine eigene Würdigung an die Stelle des Landgerichts.
Das Landgericht hat sich mit der Behauptung des Klägers, er habe aufgrund einer Schockreaktion eine scharfe Lenkung nach rechts vorgenommen, im angefochtenen Urteil auseinandergesetzt und nachvollziehbar unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen überzeugend festgestellt, dass bei einer schockbedingten scharfe Rechtslenkung – wie sie der Kläger behaupte – der aus technischer Sicht zu erwartende steile Anprallwinkel nicht gegeben sei, weswegen der Einlassung des Klägers nicht gefolgt werden könne.
Mit der Begründung des nicht plausiblen Aufprallwinkels setzt sich der Kläger nicht auseinander.
Sofern er auf die nicht gegebene Sachkunde des Sachverständigen für psychische Reaktionen abstellt, so hat der Sachverständige im schriftlichen Gutachten deutlich gemacht (Seite 47), dass es aufgrund der Wegstrecke und der Geschwindigkeit aus unfallanalytischer Sicht nicht notwendig gewesen ist, im Anschluss an die erste Kollision mit der linken Leitplanke auch noch die rechte Leitplanke zu kontaktieren. Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es der abschließenden Würdigung des Gerichts obliege, ob der Kläger aufgrund des geltend gemachten falschen Reflexes sich der Möglichkeit eines kontrollierten Lenk- und Bremsvorgangs begeben habe. Dass es aus technischer Sicht nicht nötig gewesen sei, mit der rechten Leitplanke zu kollidieren, hat der Sachverständige während der Erläuterung des Gutachtens (Bl. 337 GA) bestätigt und ausgeführt, dass es zudem selbst bei der behaupteten Schockreaktion an dem zu erwartenden spitzen Winkel fehle. Dem hat sich das Landgericht nachvollziehbar angeschlossen. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung war – welche genauen weiteren Aufklärungsmaßnahmen der Kläger vermisst, trägt er nicht vor – deswegen nicht geboten. Warum das unfallanalytische Sachverständigengutachten nicht verwertbar sein soll – wie der Kläger meint – erschließt sich dem Senat angesichts des Umstands, dass der Sachverständige mehrfach deutlich gemacht hat, dass er ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten erstellt hat, nicht. Es bestand und besteht kein Anlass, etwa noch ein „unfallpsychologisches“ Gutachten einzuholen.
bb) Ohne Erfolg rügt der Kläger auch, dass das Landgericht den Ausführungen des Sachverständigen zu einer nicht gegebenen Plausibilität des behaupteten Unfallhergangs für die geltend gemachten Schäden an den Scheinwerfern und an der Felge vorne rechts, nicht hätte folgen dürfen, da sich diese Ausführungen ohne eigene Feststellungen des Sachverständigen vor Ort zu Baum- oder Sträucherbewuchs an der Unfallstelle oder zur konkreten Höhe der an der Unfallstelle befindlichen Leitplanken und weiterer relevanter Umstände als bloße Spekulation erwiesen; daran ändere nichts, dass die Feststellungen unter Berufung auf Aufnahmen, die ca. zwei Monate nach dem Unfallgeschehen angefertigt worden seien, sowie auf Aufnahmen aus dem Internet getroffen worden seien. Auch insoweit bestehen keine Zweifel i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
(1) Zu weiteren – über die bereits dokumentierten Höhen durch den Gutachter Lerch hinausgehenden – Feststellungen zu Höhen der als Anstoßstelle in Betracht kommenden Leitplanken oder der Beschaffenheit der Leitplankenpfosten war der Sachverständige nicht gehalten.
Der Sachverständige hat in dem schriftlichen Gutachten überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass Feststellungen vor Ort aus seiner sachverständigen Sicht nach seiner Beauftragung Jahre nach dem Unfallgeschehen nicht erforderlich waren, da (vgl. Seite 29 des Gutachtens) von einer Ortsbesichtigung durch ihn keine besseren Erkenntnisse als von den zuvor tätigen Privatgutachtern zur konkreten Anstoßstelle zu erwarten gewesen seien. Aus diesem Grund habe er davon Abstand genommen. Die genaue Anstoßstelle sei weder an der rechten noch an der linken Leitplanke bekannt gewesen. Der Gutachter … habe eine informelle Ortsbesichtigung durchgeführt und die genaue Unfallstelle nicht rekonstruieren können, er habe aber die Höhen der Leitplanken in dem in Frage kommenden Streckenabschnitt vermessen und diese Messung durch Fotografien belegt. Auch der Unfallskizze der Polizei hätten sich keine genaueren Angaben zur Anstoßstelle entnehmen lassen, da die dort mitgeteilte Streckenkilometerangabe zu weit hinter den von dem Kläger angegebenen Stellen gelegen habe.
Zur näheren Konkretisierung der möglichen Anstoßstelle hat der Sachverständige sodann die von dem Kläger angefertigte Skizze diskutiert (Seite 13 des Gutachtens) und zur genaueren Eingrenzung der möglichen Anprallstellen Luftbilder von G. E. aus dem Jahr 2021, ein Bild von Straßen NRW aus dem Jahr 2018 sowie ein weiteres Bild von www…..com aus dem Jahr 2016 herangezogen. Zudem hat der Sachverständige die zwei Monate nach dem behaupteten Unfallgeschehen angefertigte Videodatei des Sachverständigenbüros … sowie aus diesem Video generierte Fotos und weitere Aufnahmen des Sachverständigen … hinzugenommen, um Anschlusstatsachen zu der konkreten Situation an der Unfallörtlichkeit zu gewinnen. Da an mehreren Stellen entlang des für einen Anstoß infrage kommenden Streckenabschnitts unterschiedliche Leitplankenelemente montiert worden seien, müsse eine größere Höhentoleranz von mindestens 3 cm zum konstruktionsbedingten Sollmaß für die Leitplanken für die Plausibilitätsberechnungen zu Grunde gelegt werden (Seite 28 des Gutachtens). Den weiteren Ausführungen des Sachverständigen ist sodann zu entnehmen, dass er zur Plausibilisierung der Spuren beispielsweise auf Seite 37 des Gutachtens unter Zugrundelegung der Vermessungsaufnahmen des Gutachters … die dort festgestellte Höhe der Leitplanke von etwa 82 cm zu Grunde gelegt hat, also von der von dem Gutachter … gemessenen Höhe ausgegangen ist.
Der Vorwurf des Klägers, dass der Gutachter infolge reiner Spekulation zu seinen Ergebnissen gekommen sei, ist demnach haltlos. Der Sachverständige hat aufgrund des Umstands, dass die genauen Anstoßstellen nicht mehr ermittelbar sind, die Skizze des Klägers unter Zuhilfenahme von Bildern aus Internetdiensten und Straßen NRW soweit wie möglich plausibilisiert und zudem die bereits vorhandenen Messdaten der Privatgutachter genutzt. Dass dem Sachverständigen hier Fehler unterlaufen sind oder dieser von falschen Anschlusstatsachen ausgegangen ist, zeigt der Kläger nicht auf und ist auch nicht ersichtlich.
(2) Der Sachverständige war auch nicht gehalten, im Rahmen eines Ortsbesuchs nähere Feststellungen zum Bewuchs der behaupteten Unfallörtlichkeit mit Bäumen oder Sträuchern zu treffen, die der Kläger als Ursache für die nicht einem Leitplankenanstoß zuordnungsfähige Teilschäden in Betracht zieht.
Das Landgericht hat sich mit der Frage des Vorhandenseins von Grünbewuchs auseinandergesetzt und für die Entscheidung relevanten Bewuchs mit Baum- oder Buschwerk an der Fahrbahngrenze indes mit einer nachvollziehbaren und überzeugenden Begrünung ausgeschlossen.
Das Landgericht hat zu dem im Laufe des Verfahrens vom Kläger behaupteten Bewuchs des Fahrbahnrandes mit Bäumen und Buschwerk ausgeführt, dass für den Sachverständige nach eigenem Bekunden in der Anhörung anhand der ihm zur Begutachtung vorliegenden Lichtbildern mit Datum zwei Monate nach dem streitgegenständlichen Unfall nichts ersichtlich sei. Zudem sei nach den Ausführungen des Sachverständigen zu erwarten gewesen, dass bei Kratzspuren durch Gehölz – anders als aber hier – auch korrespondierende Schrammspuren an anderen Karosserieteilen vorzufinden sein müssten. Letztlich habe auch der Kläger in seiner persönlichen Anhörung einen relevanten Bewuchs des Fahrbahnrandes nicht schildern können. Der Kläger habe im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zunächst bei freier Schilderung seiner Wahrnehmungen zum Unfallhergang keinerlei Umstände zu einem schriftsätzlich noch behaupteten Fahrbahnrandbewuchs bekundet und erst auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts erklärt, an den Leitplanken sei Grünwuchs gewesen, schließlich dann aber eingeräumt, sich an Details nicht erinnern zu können.
Anhaltspunkte für Zweifel i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat der Kläger auch hier nicht aufgezeigt. Er hat lediglich die eigene Würdigung der eigenen Angaben an die Stelle des Gerichts gesetzt und die Ausführungen des Sachverständigen sowie die eigenen Angaben während seiner Anhörung unberücksichtigt gelassen.
Der Kläger hat sich bereits mit der Feststellung des Landgerichts, dass bei einem durch Grünbewuchs verursachten Streifschaden auch an anderen Fahrzeugteilen korrespondierende Streifschäden zu erwarten gewesen seien, die indes nicht vorhanden waren, nicht auseinandergesetzt.
Eigene Feststellungen des Sachverständigen zum Vorhandensein von Buschwerk zum Zeitpunkt des Unfallereignisses ließen zudem keine weiteren Erkenntnisse erwarten, da er erst im Jahr 2021 beauftragt worden war. Den zeitlich am nächsten an dem Unfall angrenzenden Aufnahmen zwei Monate nach dem Unfall konnte nicht entnommen werden, dass relevanter Grünbewuchs am Fahrbahnrand am Schadenstag vorhanden gewesen ist, worauf der Sachverständige auch schon in seinem schriftlichen Gutachten hingewiesen hatte.
cc) Der Kläger hat auch keinen Aufklärungsmangel aufgezeigt, indem er rügt, das Landgericht sei dem Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen … zu der Tatsache, dass das Fahrzeug „zum Zeitpunkt des Unfalls völlig unbeschädigt“ gewesen sei, nicht nachgekommen.
Das Landgericht war nicht gehalten, den Zeugen … zu vernehmen. Unstreitig war der Zeuge … während des Unfallgeschehens und auch in der Zeit zwischen der nicht näher dargelegten Abholung des Fahrzeugs und der behaupteten Unfallzeit nicht mit dem Kläger zusammen unterwegs. Unterstellt, der Zeuge … könne bestätigen, dass das Fahrzeug bei der Abholung keine Vorschäden aufwies, könnten die nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht plausibel auf das Unfallereignis zurückzuführenden Schäden an den Scheinwerfern, der linken Seite des Fahrzeugs und an der rechten vorderen Felge immer noch zeitlich nach der Abholung des Fahrzeugs an anderer Stelle als der behaupteten Unfallstelle auf der BAB43 aus anderem Anlass verursacht worden sein.
dd) Der Kläger hat auch keine Zweifel an der Vollständigkeit der Beweisaufnahme aufgezeigt, indem er rügt, dass die zum Beweis der Tatsache, dass das Fahrzeug des Klägers von den Polizeibeamten an der rechten Leitplanke stehend aufgefunden worden ist (vgl. Bl. 261 R GA), als Zeugen angebotenen Polizisten nicht vernommen worden seien.
Auch die Vernehmung dieser angebotenen Zeugen ist nicht geboten. Die Tatsache, dass das Fahrzeug von den Polizisten an der rechten Leitplanke stehend vorgefunden worden ist, kann unterstellt werden. Dieser Umstand ändert indes nichts daran, dass der Unfallhergang nicht in Gänze plausibel ist und ein Teil der geltend gemachten Schäden nicht auf den behaupteten Unfallhergang zurückgeführt werden kann.
Dass die Polizisten in dem Verfahren 67 C 176/21 vor dem Amtsgericht Bochum vernommen worden sein sollen (das Aktenzeichen dieses Verfahrens ist entgegen den Ausführungen des Klägers in dessen Schriftsatz vom 29.08.2023 bereits in erster Instanz mitgeteilt worden, vgl. Übersendung des Protokoll Bl. 229 ff GA), ändert daran nichts.
Wie das Landgericht zutreffend im angefochtenen Urteil ausgeführt hat, können die Polizisten im Übrigen keine eigene Wahrnehmung zum Unfallgeschehen äußern, da sie selbst bei dem Unfallgeschehen nicht zugegen waren.
ee) Schließlich führt auch die Rüge des Klägers nicht zum Erfolg, dass ein Motiv des Klägers für einen gestellten Unfall auf Klägerseite durch das Gericht nicht festgestellt worden ist und auch angesichts der beruflichen Stellung des Klägers nicht erkennbar sei.
Zwar ist es anerkannt, dass ein finanzielles Motiv eines Versicherungsnehmers – neben anderen Indizien – ein Indiz für ein gestelltes Unfallgeschehen sein kann (vgl. Franzke/Nugel, NJW 2015, 2071, 2073 m.w.N.). Der Umstand, dass das Landgericht kein Motiv des Klägers festgestellt hat, schließt indes die Annahme eines manipulierten Unfallgeschehens im Rahmen einer Gesamtwürdigung der feststellbaren Indizien nicht zwingend aus. Entscheidend ist, dass die vom Gericht festgestellten Indizien – wie hier – im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung die Annahme des manipulierten Unfallgeschehens tragen. Einer zwingenden Feststellung eines Motives bedarf es hierzu nicht.
ff) Auch sonst sind Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts nicht ersichtlich. Nach alledem hat das Landgericht die zu berücksichtigten Indizien beanstandungsfrei festgestellt und es ist im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung nachvollziehbar und überzeugend mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, zu dem Ergebnis gelangt, dass ein gestelltes Unfallgeschehen vorliegt.
Die Berufung hat deswegen keine Aussicht auf Erfolg.
II.
Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.