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Kfz-Kaskoversicherung – Leistungsfreiheit – Ausschluss Kausalitätsgegenbeweis

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 26/16 – Urteil vom 01.02.2017

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 26.04.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 66/15 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

3. Dieses Urteil sowie das mit der Berufung angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 106.443,36 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt eine Vollkaskoentschädigung in Höhe von 106.443,36 EUR wegen eines Unfallschadens vom 25.04.2013.

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten zum Unfallzeitpunkt eine Kraftfahrtversicherung (Rahmenvertrag Kraftfahrt – Anlage K1 – Bl. 11 d.A.). Danach gewährte die Beklagte der Klägerin Versicherungsschutz unter anderem für die dem Versicherungsnehmer zugeteilten roten Kennzeichen zur ausschließlichen Verwendung von Prüfungs-, Probe- oder Überführungsfahrten gemäß den Bestimmungen des § 16 in Verbindung mit § 2 Ziffer 23-25 FZV für eigene Zwecke. Nach Ziffer 2.1 des Vertrages besteht der Versicherungsschutz für Fahrzeuge, die einer der in der beiliegenden Liste aufgeführten Fahrzeugart entsprechen, wenn und solange sie ein dem Versicherungsnehmer zugeteiltes rotes Kennzeichen führen. Für jeden Schadensfall war eine Selbstbeteiligung von 500 EUR vereinbart.

In den dem Vertrag zu Grunde gelegten Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (Anlage K2 – Bl. 30 d.A.) war u.a. geregelt:

„E.1 Bei allen Versicherungsarten

Anzeigepflicht

E.1.1 Sie sind verpflichtet, uns jedes Schadenereignis, das zu einer Leistung durch uns führen kann, innerhalb einer Woche anzuzeigen. …

E.1.2 Ermittelt die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder eine andere Behörde im Zusammenhang mit dem Schadenereignis, sind Sie verpflichtet, uns dies … unverzüglich anzuzeigen, auch wenn Sie uns das Schadenereignis bereits gemeldet haben.

Aufklärungspflicht

E.1.3 Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständige beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

Sie haben unsere für die Aufklärung des Schadenereignisses erforderlichen Weisungen zu befolgen.“

[…]

E.6 Welche Folgen hat eine Verletzung dieser Pflichten?

Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung

E.6.1 Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1 bis E.5 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weisen Sie nach, dass Sie die Pflicht nicht grob fahrlässig verletzt haben, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.

E.6.2 Abweichend von E.6.1 sind wir zur Leistung verpflichtet, soweit Sie nachweisen, dass die Pflichtverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang unserer Leistungspflicht ursächlich war. Dies gilt nicht, wenn Sie die Pflicht arglistig verletzen.

[…]“

Am 24.04.2013 fuhr der Geschäftsführer der Klägerin einen Pkw Alpha Romeo C8 Spider, der noch nicht zugelassen war, aus einer Garage in der S. Straße hinaus und stieß nach wenigen Metern gegen eine Fabrikhalle der Firma … & …. Nach Aussage von Zeugen hielt der Pkw an der Kreuzung für ein paar Sekunden, fuhr dann plötzlich mit hoher Geschwindigkeit an und stieß mit einem so starken Aufprall gegen die der Einmündung gegenüberliegende Fabrikhalle, dass ein 1 x 2 m großes Loch in der Wand entstand.

Nach dem Unfall stieg der Geschäftsführer der Klägerin aus und verließ nach weniger als 3 Minuten die Unfallstelle, nachdem seine beiden Söhne erschienen waren. Einer seiner Söhne entfernte das Unfallfahrzeug. Als nach wenigen Minuten ein Mitarbeiter von … & … an der Schadenstelle eintraf, befand sich niemand mehr am Unfallort. Kurze Zeit später erschienen die beiden Söhne des Geschäftsführers des Klägers, reinigten den Unfallort und erklärten einem Mitarbeiter von … & …, dass der Schaden bezahlt werde. Angaben zum Unfallhergang oder zum Fahrer des Unfallfahrzeuges verweigerten die Söhne. Außerdem gaben sie ein Kennzeichen an, welches nicht dem roten Kennzeichen MZG-… entsprach.

Als die Polizei mehr als eine halbe Stunde nach dem Unfall erschien und den Standort des Kraftfahrzeuges in einer nahegelegenen Garage anhand einer Flüssigkeitsspur ermittelte, war an dem Unfallfahrzeug hinten das der Klägerin zugewiesene rote Kennzeichen angeschraubt. Gegenüber der Polizei erklärte einer der Söhne des Geschäftsführers der Klägerin, er sei der Fahrer gewesen. Er legte den roten Fahrzeugschein und dass nach § 16 FZV zu führenden Fahrzeugscheinheft vor, in dem lediglich er und nicht der Geschäftsführer der Klägerin als Fahrer an diesem Tage eingetragen war.

Der Unfall wurde durch eine Überwachungskamera der Firma … & … aufgezeichnet.

Im Schadensanzeigeformular gab die Klägerin gegenüber der Beklagten auf die Frage nach dem Fahrer an: „ein berechtigter Fahrer“. In der weiteren Korrespondenz mit der Beklagten gab die Klägerin schriftlich den Namen des Fahrers nicht an.

Die Beklagte verweigerte Zahlung aus der Kaskoversicherung mit der Begründung, der Geschäftsführer der Klägerin habe sich unerlaubt von der Unfallstelle entfernt und damit vorsätzlich seine Aufklärungspflicht verletzt.

Der Geschäftsführer der Klägerin wurde wegen dieses Unfalles wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort durch das Amtsgericht Lebach (5 Ds 67 Js 570/13 (318/13)) zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die Klägerin hat behauptet, der Geschäftsführer, dem ein Defibrillator implantiert ist, habe Schmerzen und Luftnot verspürt und sich deshalb in ärztliche Untersuchung in die M. Klinik St. E. in L. begeben. Beim Verlassen der Unfallstelle habe er seinen Sohn angewiesen, der Firma … & … Bescheid zu geben, dass der Schaden bezahlt werden solle. Die Kontaktaufnahme sei durch die ihm bekannte Person des Dr. Sch. erfolgt. Nach der Rückkehr vom Arzt habe er erfahren, dass die Polizei bereits informiert worden sei. Soweit nicht das rote Kennzeichen MZG-… angegeben worden sei, sei dies lediglich versehentlich wegen einer Verwechselung mit dem alten Rotkennzeichen geschehen. Das der Klägerin zugeteilte rote Kennzeichen MZG-… sei an dem Kraftfahrzeug zum Unfallzeitpunkt angebracht gewesen. Grund der Fahrt sei eine Probefahrt gewesen, weil sich ein Kaufinteressent für das Kraftfahrzeug angesagt hatte und das Fahrzeug längere Zeit gestanden war. Die Reparaturkosten des beschädigten Kraftfahrzeuges beliefen sich auf 106.943,36 EUR. Später sei dem Versicherungsagenten der Beklagten mitgeteilt worden, dass der Geschäftsführer der Klägerin Fahrer zum Unfallzeitpunkt gewesen sei. Der den Geschäftsführer der Klägerin behandelnde Arzt Dr. H. habe bei der Untersuchung keine Anzeichen für eine Alkoholisierung oder die Einnahme sonstiger berauschender Mittel festgestellt.

Die Beklagte hat behauptet, der Geschäftsführer der Klägerin habe einem Zeugen des Unfalles noch am Unfallort erklärt, ihm fehle nichts, bevor er sich entfernt habe.

Das Landgericht hat mit am 26.04.2016 verkündeten Urteil (Bl. 177 d.A.) die Klage abgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 6. 26.04.2016 die Beklagte zu verurteilen, an sie 106.443,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2014 zu zahlen,

sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 2.348,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Verletzung des Rechts noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch wegen der Beschädigung des Unfallfahrzeuges zu, weil die Beklagte wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach E 1.3 gemäß E 6.1 und 6.2 AKB leistungsfrei geworden ist.

(1.)

Nach Buchst. E.1.3 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann; insbesondere darf er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

Schon in früheren Fassungen der AKB, welche die „Unfallflucht“ nicht ausdrücklich als Obliegenheitsverletzung definierten, war anerkannt, dass die vertragliche Aufklärungsobliegenheit, „alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann“, auch die in § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Rechtspflichten umfasste (BGH, Urt. v. 01.12.1999 – IV ZR 71/99 – VersR 2000, 222; Senat, Urt. v. 28.01.2009 – 5 U 424/08 – VersR 2009, 1355). Die – von der Klausel nach wie vor stillschweigend in Bezug genommene – Vorschrift des § 142 StGB sanktioniert das Verhalten eines Unfallbeteiligten, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Gemäß § 142 Abs. 2 StGB wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich zwar nach Ablauf einer angemessenen Wartezeit (§ 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB) bzw. berechtigt oder entschuldigt (§ 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB) vom Unfallort entfernt, die Feststellungen jedoch nicht unverzüglich nachträglich durch ein den Anforderungen des § 142 Abs. 3 StGB genügendes Verhalten ermöglicht hat.

Die Strafvorschrift entfaltet einen Schutzreflex für das Aufklärungsinteresse der Kraftfahrzeugversicherung, weil das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen mittelbar auch dieser zugutekommt (BGH, Urt. v. 15.04.1987 – Iva ZR 28/86 – VersR 1987, 657). Dass mit der Verletzung der Pflichten des § 142 StGB der Leistungsanspruch gegen den Versicherer gefährdet sein kann, muss sich dem Versicherungsnehmer schon deshalb aufdrängen, weil er um dessen Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallhergangs und der Unfallursachen weiß und sich bewusst ist, dass er es mit dem Verlassen des Unfallorts nachhaltig beeinträchtigt. Die Obliegenheit besteht auch bei eindeutiger Haftungslage (BGH, Urt. v. 01.12.1999 – IV ZR 71/99 – VersR 2000, 222), denn in der Kaskoversicherung geht es stets auch darum, zu prüfen, ob der Versicherer (teilweise) gemäß § 81 VVG leistungsfrei ist, weil eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit den Unfall verursachte (vgl. BGH, Urt. v. 21.11.2012 – IV ZR 97/11 – VersR 2013, 175; BGH, Urt. v. 01.12.1999 – IV ZR 71/99 – VersR 2000, 222; Senat, Urt. v. 28.01.2009 – 5 U 424/08 – VersR 2009, 1355; OLG Celle, Schaden-Praxis 2010, 118; OLG Oldenburg, VersR 1996, 746).

Gegen diese Aufklärungsobliegenheit hat der Geschäftsführer der Klägerin verstoßen, indem er gegen § 142 Abs. 2 und 3 StGB verstoßen hat.

Das Aufklärungsinteresse des Versicherers wird grundsätzlich auch durch die Verletzung der Pflicht zur „unverzüglichen“ nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen beeinträchtigt, selbst wenn die Aufklärung nicht mehr in allen Fällen in jeder Hinsicht mit derselben Zuverlässigkeit erfolgen kann wie bei einem am Unfallort verbliebenen und dort angetroffenen Unfallbeteiligten. Denn auch die unverzügliche nachträgliche Ermöglichung von Feststellungen gemäß § 142 Abs. 3 StGB kann unter Umständen noch eine Aufklärung der Fahrtüchtigkeit des Fahrers ermöglichen (BGH, Urt. v. 21.11.2012 – IV ZR 97/11 – VersR 2013, 175).

Eine nachträgliche Mitteilung ist dann noch unverzüglich im Sinne des § 142 StGB – und genügt damit der Aufklärungsobliegenheit des Buchst. E.1.3 AKB 2014 – wenn sie noch den Zweck erfüllt, zugunsten des Geschädigten die zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit erforderlichen Feststellungen treffen zu können. Das ist im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Ist die Haftungslage eindeutig, kann auch eine spätere Meldung noch unverzüglich im Sinne des § 142 Abs. 2 StGB sein. Das kann insbesondere dann angenommen werden, wenn – wie hier – nur ein Sachschaden an einem stehenden Objekt verursacht worden ist. Innerhalb der Grenzen der Unverzüglichkeit besteht ein Wahlrecht zwischen einer Information des Berechtigten oder der Polizei (§ 142 Abs. 3 StGB; BGH, Urt. v. 21.11.2012 – IV ZR 97/11 – VersR 2013, 175; OLG München, DAR 2014, 469; OLG Karlsruhe, VersR 2002, 1021).

Eine solche unverzügliche Information des Berechtigten oder der Polizei behauptet die Klägerin nicht einmal in substantiierter Weise, ohne dass es im vorliegenden Fall darauf ankommt, welcher Zeitrahmen dem Geschäftsführer der Klägerin überhaupt zuzubilligen gewesen wäre. § 142 Abs. 3 StGB verlangt von dem sich berechtigt Entfernenden die nachträgliche Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, die Mitteilung seiner Anschrift, seines Aufenthaltes sowie des Kennzeichens und des Standortes seines Fahrzeugs und das Zurverfügunghalten des Fahrzeuges zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit.

An all dem fehlt es. Es ist unstreitig, dass der Geschäftsführer der Klägerin entsprechende Angaben mehrere Wochen nach dem Unfall weder gegenüber der Polizei noch gegenüber dem Geschädigten tätigte. Soweit er sich vage darauf beruft, seine Söhne beauftragt zu haben, Kontakt zu der geschädigten Firma über die ihm bekannte Person des Dr. Sch. zu suchen, ist auch dies weder unverzüglich noch in einer Art und Weise erfolgt, dass den Anforderungen des § 142 Abs. 3 StGB Genüge getan wäre. Die Söhne des Klägers haben gegenüber den an der Unfallstelle erschienenen Mitarbeitern der geschädigten Firma Angaben zum Fahrer, zum Fahrzeug und zum Kennzeichen ausdrücklich verweigert und auch der Polizei gegenüber keine zutreffenden Angaben hinsichtlich des Fahrers gemacht. Da die Klägerin nicht behauptet, dass die Söhne ihres Geschäftsführers entgegen seiner Anweisung gehandelt haben, lässt dies nur den Schluss zu, dass die Söhne vom Geschäftsführer der Klägerin gerade nicht angewiesen worden sind, die nach § 142 Abs. 3 StGB erforderlichen Angaben dem Geschädigten bzw. der Polizei gegenüber zu machen.

Auch gegenüber Dr. Sch. erfolgten keine ausreichenden Angaben. Nach dessen Zeugenaussage im Ermittlungsverfahren wurde er erst einen Tag nach dem Unfall durch einen Sohn des Geschäftsführers der Klägerin informiert, dass durch ein Fahrzeug der Klägerin eine Wand des Werkes in L. beschädigt worden war, die Angabe, wer Fahrer gewesen war, wurde jedoch ausdrücklich verweigert.

Dass der Unfall durch die Videokamera der geschädigten Firma aufgezeichnet wurde, ändert an den Verpflichtungen gemäß § 142 StGB nichts. Unabhängig davon, dass die entscheidenden Informationen zum Kennzeichen und zum Fahrer durch die Aufzeichnung mangels Bildqualität nicht festgehalten wurden, bestehen die Verpflichtungen nach § 142 StGB auch dann, wenn der Unfall beobachtet wird. Für eine Kameraaufzeichnung gilt nichts anderes.

(2.)

Offen bleiben kann, ob die Obliegenheitsverletzung nach Buchst. E.1.3 AKB 2008 ebenso wie § 142 StGB voraussetzt, dass bei dem Unfall ein nicht völlig belangloser fremder Sach- oder Körperschaden eingetreten sein muss (so Maier in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl. 2010, AKB Buchst. E, Rdn. 128), oder ob die Klausel – insoweit die frühere Bedingungslage verschärfend – ein Verweilen an der Unfallstelle auch dann verlangt, wenn kein oder nur ein geringer Schaden entstanden ist (in diesem Sinne Kreuter-Lange in Halm/Kreuter/Schwab, AKB, 2010, Rdn. 2008). Denn der vorliegende Schaden von über 10.000,00 EUR ist jedenfalls kein Bagatellschaden (vgl. dazu allgemein: Maier in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl. 2010, AKB Buchst. E, Rdn. 128 m.w.N.).

(3.)

Der Klägerin ist es verwehrt, sich auf den Kausalitätsgegenbeweis des § 28 Abs. 3 VVG, Buchst. E.6.2 AKB zu berufen, weil ihr Geschäftsführer die Aufklärungspflichtverletzung zum Nachteil der Beklagten arglistig begangen hat.

Eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Dies muss im Wege einer einzelfallbezogenen Betrachtung des Handelns des Versicherungsnehmers geprüft werden und insbesondere darauf geachtet werden, dass es für die Beurteilung des Handelns des Versicherungsnehmers allein auf den Zeitpunkt ankommt, in dem dieser die Obliegenheit verletzt, hier also die Zeit, zu der der Kläger seiner Pflicht aus § 142 Abs. 2 StGB noch hätte nachkommen können (BGH, Urt. v. 21.11.2012 – IV ZR 97/11 – VersR 2013, 175).

Dafür ist die gerichtliche Überzeugung erforderlich, dass der Versicherungsnehmer sich zu dem Zeitpunkt, zu dem er seine Pflichten nach § 142 StGB erfüllen musste, bewusst der im Interesse des Versicherers liegenden Feststellungen entzogen hat.

Die allgemeine Annahme, dass bei jedem Verkehrsunfall, bei dem sich der Fahrer von der Unfallstelle entfernt oder nachträgliche Feststellungen nicht ermöglicht, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine alkohol- bzw. betäubungsmittelbedingte Verkehrsuntüchtigkeit des Fahrers spricht, erscheint zu weitgehend. Je nach den Umständen des Einzelfalles muss berücksichtigt werden, welche Anhaltspunkte für oder gegen eine solche Annahme sprechen (Heß/Höke in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3.Aufl., § 29 Rdn. 323; siehe zu einem zweifelhaften Fall LG Bonn, ZfSch 2014, 215, in dem der Versicherungsnehmer möglicherweise lediglich aus Unachtsamkeit ein parkendes Fahrzeug gestreift hat).

Vorliegend entfernte sich der Geschäftsführer der Klägerin in weniger als 5 Minuten nach dem Unfall von der Unfallstelle und verweigerte im Nachhinein über Wochen hartnäckig die Angabe, dass er der Fahrer war. Auch das Handeln seiner Söhne, die sogar der Polizei gegenüber falsche Angaben zum Fahrer gemacht haben, ohne dass die Klägerin behauptet, dass diese entgegen dem Willen und entgegen der Kenntnis ihres Geschäftsführers gehandelt hätten, lässt nur den Schluss zu, dass der Geschäftsführer der Klägerin sich bewusst weiteren Feststellungen entziehen und sich nicht als Fahrer zu erkennen geben wollte. Es kommt hinzu, dass der Unfall nur durch eine erhebliche Fahruntüchtigkeit zu erklären ist. Wer ohne bedrängt zu sein in einer einfachen Anfahrbewegung ein Fahrzeug so beschleunigt, dass er entgegen der von ihm angestrebten Fahrrichtung über eine Straße hinweg mit erheblicher Geschwindigkeit gegen eine Mauer fährt, der ist offensichtlich zur Bedienung des Kraftfahrzeuges nicht in der Lage. Selbst wenn es sich um ein ungewohntes Fahrzeug handelt, ist nicht erkennbar, dass sich bei der sich dann aufzudrängenden nötigen Sorgfalt ein solches Fahrmanöver ereignet, wenn keine erhebliche Beeinträchtigung des Fahrers vorliegt.

Zu dem Zeitpunkt, als er nach seinem Arztbesuch am Unfalltag den Entschluss fasste, seiner Meldepflicht nicht unverzüglich nachzukommen, also gegen § 142 Abs. 2 und 3 StGB verstoßen hat, ging es dem Geschäftsführer der Klägerin folglich darum, Feststellungen zu seiner Fahrtüchtigkeit zu verdecken. Als Motiv dafür drängt sich die Absicht auf, einen Entzug der Fahrerlaubnis zu vermeiden und seinen Versicherungsschutz zu erhalten. Es kann nicht angenommen werden, dass der Geschäftsführer der Klägerin, der dies auch nicht behauptet hat, sich auch in den Stunden nach dem Abklingen des Unfallschocks nicht darüber Gedanken gemacht hat, dass ein Unfall im Zustand einer Fahruntüchtigkeit seinem Versicherungsschutz im Wege stehen könnte.

Die Überlegung, dass ein aufgrund Fahruntüchtigkeit allein verschuldeter Schaden einem Ersatzanspruch gegenüber der Vollkaskoversicherung im Wege stehen könnte, wird beim durchschnittlichen Versicherungsnehmer stattfinden. Selbst wenn unmittelbar nach einem Unfall der erste Gedanke einer strafrechtlichen Verfolgung gelten sollte, so werden mit zeitlichem Abklingen des Unfallschocks und einsetzender Überlegung über die eigene Situation recht schnell die wirtschaftlichen Auswirkungen des Schadens ebenfalls in den Blick geraten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass ein Versicherungsnehmer nachträgliche Feststellungen nicht nur deswegen verhindert, um einen Entzug seiner Fahrerlaubnis zu verhindern, sondern auch in dem Bewusstsein, der Gefahr entgegenzuwirken, dass der Versicherer Kenntnis von seiner Fahruntüchtigkeit erlangt, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Dafür kommt es auch nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer positiv weiß, dass sein Zustand zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt. Arglistig handelt der Versicherungsnehmer nämlich schon dann, wenn er sich bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH, Urt. v. 22.06.2011 – IV ZR 174/09 – VersR 2011, 1121). Damit hat der Geschäftsführer der Klägerin einen – zumindest auch – gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt.

Dass es dem Kläger nur darum gegangen sein kann, seine Fahruntüchtigkeit zu verdecken, folgt auch daraus, dass er sich mit gutem Gewissen der Polizei gegenüber als Fahrer hätte zu erkennen geben können, wenn er sich tatsächlich berechtigterweise in ärztliche Behandlung begeben hat und sich deswegen bewusst ist, die erforderlichen Angaben ohne strafrechtliche Nachteile nachzuholen. Warum sich ein fahrtüchtiger Fahrer, der sich berechtigterweise notfallmäßig in ärztliche Behandlung begeben hat, nachträglichen polizeilichen Feststellungen mit großem Aufwand und dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung seiner Verwandten entziehen sollte, ist nicht erkennbar.

(4.)

Aus diesem Grunde kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, dass die Klägerin auch nicht bewiesen hat, dass für das unfallgeschädigte Fahrzeug im Zeitpunkt des Unfalles Versicherungsschutz bei der Beklagten bestand. Nachdem die Beklagte bestritten hat, dass die roten Kennzeichen zum Zeitpunkt des Unfalles an dem geschädigten Fahrzeug angebracht waren, hätte die Klägerin dies beweisen müssen. An einem geeigneten Beweisantritt fehlt es jedoch. Dass auf den Lichtbildern zu erkennen ist, dass zumindest am unbeschädigten Heck des Fahrzeugs das entsprechende Kennzeichen angebracht war, als die Polizei dieses später in der Garage aufspürte, genügt nicht. Zwischen dem Unfall und dem Erscheinen der Polizei liegt eine so große Zeitspanne, dass das Schild problemlos im Nachhinein angebracht worden sein kann. Auch zeigt das vordere Kennzeichen, welches lose hinter der Frontscheibe lag, keine Unfallspuren, die zu erwarten gewesen wären, wenn es vorne am Fahrzeug angebracht gewesen wäre. Auch der Umstand, dass ein entsprechender Eintrag im Fahrtenbuch fehlt, deutet auf Unregelmäßigkeiten bei der Klägerin hin.

Da das Fahrzeug von der Unfallstelle entfernt wurde, bevor dort festgestellt werden konnte, dass die roten Kennzeichen, für die die Beklagte Versicherungsschutz gewährt, tatsächlich angebracht waren, bestehen daran Zweifel.

(5.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen.

 

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