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Kfz-Kaskoversicherung – Anforderungen an den Nachweis eines Diebstahls

OLG Karlsruhe – Az.: 12 U 44/14 – Urteil vom 31.07.2014

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 28.01.2014 – 3 O 340/13 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil und die angefochtene Entscheidung sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Kfz-Kaskoversicherung - Anforderungen an den Nachweis eines Diebstahls
Symbolfoto: Von Daniel Jedzura /Shutterstock.com

Der Kläger begehrt von der beklagten Versicherung Leistungen aus einer Kraftfahrzeugkaskoversicherung.

Zwischen den Parteien besteht ein Kaskoversicherungsvertrag betreffend den Pkw VW Golf V, 1,9 TDI, Fahrzeug-Ident.-Nr. W.. des Klägers. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB 2008) zugrunde.

Das Fahrzeug wurde zwischen dem 31.12.2012 und dem 21.01.2013 von unbekannten Personen in Holland gestohlen. Der Sohn des Klägers, dem das Fahrzeug zur ständigen Nutzung überlassen war, stellte den Pkw am 31.12.2012 vor dem Bahnhof in A., Holland verschlossen ab. Der Fahrzeugschein sowie ein Originalfahrzeugschlüssel befanden sich im Handschuhfach des Fahrzeugs. Der Fahrzeugbrief befand sich in einem DIN-A4-Aktenordner in einer von zwei Umzugskisten, welche im Kofferraum des Fahrzeugs verstaut und aufgrund der Sichtschutzablage von außen nicht zu sehen waren. Weder auf der Rückbank noch im Beifahrerbereich lagen irgendwelche Gegenstände. Von außen war nicht zu erkennen, dass sich Wertgegenstände oder Umzugsgut im Fahrzeug befanden. Als der Sohn des Klägers am 21.01.2013 von seinem Kanada-Aufenthalt zurückkam, stellte er fest, dass das Fahrzeug entwendet worden war. Strafanzeige bei den holländischen Behörden wurde gestellt und der Diebstahl der Beklagten mitgeteilt.

Nachdem der Kläger die Beklagte mehrfach unter Fristsetzung erfolglos zur Regulierung aufgefordert hatte, beauftragte er seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung der Leistungen aus dem Kaskoversicherungsvertrag. Mit Anwaltsschreiben vom 24.06.2013 wurde die Beklagte nochmals unter Fristsetzung bis 08.07.2013 zur Zahlung von 10.800,00 € sowie zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 € aufgefordert.

Mit Schreiben vom 22.08.2013 ließ die Beklagte mitteilen, dass die Versicherungsleistung des Klägers um 50 % gekürzt werde wegen grober Fahrlässigkeit. Ausgezahlt wurde an den Kläger – ausgehend von einem Wiederbeschaffungswert von 9.512,20 € und unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung von 150,00 € – ein Betrag in Höhe von 4.606,10 €.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei zu einer Kürzung der Versicherungsleistung wegen grober Fahrlässigkeit nicht berechtigt gewesen. Sie habe das Vorliegen von Umständen, welche die Annahme grober Fahrlässigkeit gem. § 81 Abs. 2 VVG rechtfertigten, nicht bewiesen. Eine Gefahrerhöhung i. S. v. § 23 Abs. 1 VVG habe nicht vorgelegen. Da der Wiederbeschaffungswert des gestohlenen Fahrzeugs 10.800,00 € (differenzbesteuert) betrage, sei die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 10.650,00 € (10.800,00 € Wiederbeschaffungswert abzüglich 150,00 € Selbstbehalt) verpflichtet, so dass unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlung noch ein Betrag in Höhe von 6.043,90 € offen sei.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.043,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.07.2013 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 837,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.07.2013 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger bzw. dessen Sohn hätten den Versicherungsfall gemäß § 81 Abs. 2 VVG grob fahrlässig herbeigeführt. Die bewusste Aufbewahrung der Fahrzeugpapiere und des Zweitschlüssels durch den Sohn im Fahrzeuginneren in Verbindung mit dem Umstand, dass das Fahrzeug bewusst für 3 Wochen an einem ruhigen Vorortbahnhof in Holland über den Jahreswechsel abgestellt wurde, stelle zudem eine Gefahrerhöhung gem. § 23 Abs. 1 VVG dar. Die Diebstahlgefahr habe sich schon alleine dadurch erhöht, dass das Fahrzeug drei Wochen unbeabsichtigt auf einem öffentlichen Parkplatz eines Vorstadtbahnhofs abgestellt wurde. Der Wiederbeschaffungswert des Kfz betrage lediglich 9.512,20 €.

Das Landgericht hat zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Rainer K. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14.01.2014 verwiesen.

Mit Urteil vom 28.01.2014, auf dessen Feststellungen im Übrigen verwiesen wird, soweit sie zu den vorliegend getroffenen nicht in Widerspruch stehen, hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung 4.756,10 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Eine Kürzung der Versicherungsleistung gem. § 81 Abs. 2 VVG scheide aus, da die Beklagte den Nachweis einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger oder dessen Sohn nicht geführt habe. Weder der Abstellort noch die Dauer des Abstellens von rund drei Wochen begründeten den Vorwurf grober Fahrlässigkeit. Insoweit sei ungeklärt, an welchem Tag das Fahrzeug gestohlen wurde; zum Diebstahl könne es möglicherweise bereits kurz nach dem Abstellen gekommen sein. Das Belassen der Fahrzeugpapiere im nicht einsehbaren Fahrzeuginneren sei für den Diebstahlsentschluss nicht ursächlich. Das Zurücklassen des Zweitschlüssels im von außen nicht einsehbaren Handschuhfach habe keinen gesteigerten Anreiz für einen Diebstahlsversuch geschaffen.

Das Verhalten des Sohnes als Repräsentant des Klägers als Versicherungsnehmer sei nicht als Gefahrerhöhung i. S. v. § 23 Abs. 1 VVG zu qualifizieren, weshalb eine Leistungskürzung gem. § 26 Abs. 1 VVG ausscheide. Auch insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Zeitpunkt des Diebstahls und damit die Dauer des Abstellvorganges ungeklärt sei. Die Beklagte habe nicht bewiesen, dass die Fahrzeugpapiere bzw. der Zweitschlüssel tatsächlich dauerhaft im Fahrzeug verwahrt worden seien und damit überhaupt eine Gefahrerhöhung vorgelegen habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Begehren um vollständige Klageabweisung weiterverfolgt. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei von einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles gem. § 81 Abs. 2 VVG auszugehen. Das Landgericht habe sich insoweit lediglich mit den einzelnen Umständen isoliert befasst, ohne die gebotene Gesamtwürdigung vorzunehmen. Hiernach sei aber von einem grob fahrlässigen Verhalten des Sohnes des Klägers auszugehen. Hierdurch sei der Versicherungsfall auch „herbeigeführt“ worden. Soweit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.12.1996 – IV ZR 321/95 – ausgeführt habe, dass unter der „Herbeiführung“ in diesem Sinne zu verstehen sei, dass der Versicherungsfall ermöglicht oder veranlasst werde, sei dies nicht zu verallgemeinern. Das bloße Aufbrechen des Fahrzeuges stelle noch nicht den Versicherungsfall „Entwendung“ dar. Fahrzeuge würden in einer Vielzahl von Fällen aufgebrochen, ohne dass sich die Entwendungsabsicht auf das Fahrzeug beziehe, sondern vielmehr auf dessen Inhalt. Manche Täter ließen im Hinblick auf die Absetzbarkeit das Fahrzeug stehen, wenn sie in diesem keine Papiere auffinden. Ein Automatismus „Aufbruchentschluss = Diebstahlsentschluss“ sei keineswegs zwingend. Entschließe sich ein zunächst auf den Inhalt des Kfz reflektierender Täter nach Auffinden des Kfz-Scheins, des Briefs und des Schlüssels zur Entwendung des gesamten Fahrzeuges, liege eine „Herbeiführung“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor. Da sich aber für den Versicherer der Nachweis, welche Art von Täter sich an dem Fahrzeug zu schaffen gemacht habe, regelmäßig nicht führen lasse, müsse es ausreichen, dass das Zurücklassen von Kfz-Schein, Brief und Schlüssel im Fahrzeug grundsätzlich – unabhängig von der Sichtbarkeit von außen – eine derartige Erhöhung des Gefahrenpotentials darstelle, dass hierin stets eine Herbeiführung i. S. v. § 81 VVG liege. Überdies genüge zum Kausalitätsnachweis eine Mitursächlichkeit; durch den Verbleib des Kfz-Briefs, des Scheins und der Schlüssel im Fahrzeug sei aber ein gutgläubiger Erwerb unproblematisch möglich.

Das Landgericht habe überdies § 23 VVG verkannt. Das Dauererfordernis diene dazu, lediglich kurzfristige Gefahrerhöhungen auszuscheiden. Es sei aber nicht erforderlich, dass im konkreten Fall der Zustand erhöhter Gefahr lange gedauert habe. Vorliegend habe sich der Gefahrenzustand mit Verlassen des Parkplatzes durch den Sohn zum Antritt einer 3-wöchigen Reise derart manifestiert, dass sie real und gegenwärtig und damit auch von Dauer gewesen sei. Es sei unerheblich, wie lange das Fahrzeug in diesem Zustand auf dem Parkplatz gestanden habe.

Die Beklagte beantragt: Das am 28.01.2014 verkündete Urteil des Landgerichts Karlsruhe, Az.: 3 O 340/13 wird aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung. § 23 Abs. 1 VVG finde überdies neben § 81 Abs. 2 VVG keine Anwendung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

Dem Kläger steht aus dem streitgegenständlichen Kaskoversicherungsvertrag der zuerkannte Anspruch auf Zahlung weiterer 4.756,10 € zu.

1. Der Versicherungsfall gemäß § 1 S. 1 VVG, Ziffer A.2.1.2 AKB 2008 ist eingetreten, nachdem das versicherte Fahrzeug unstreitig im Zeitraum 31.12.2012 bis 21.01.2013 entwendet wurde.

2. Zutreffend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte weder gemäß § 81 Abs. 2 VVG, Ziffer 2.8.1 AKB 2008 noch gemäß §§ 23, 26 Abs. 1 S. 2 VVG zur teilweisen Leistungskürzung berechtigt ist.

a. Der Versicherungsfall wurde zunächst nicht durch den Kläger bzw. dessen Sohn i. S. v. § 81 Abs. 2 VVG, Ziffer A.2.8.1 AKB 2008 grob fahrlässig herbeigeführt.

(1) Dabei kann dahinstehen, ob – wie die Beklagte meint – bei Gesamtwürdigung der Umstände (Abstellen des Fahrzeuges auf einem öffentlichen Parkplatz eines Vorstadtbahnhofs in Holland für einen Zeitraum von 3 Wochen; Zurücklassen der Fahrzeugpapiere und des Zweitschlüssels im von außen nicht einsehbaren Fahrzeuginneren) von einem grob fahrlässigen Verhalten auszugehen ist.

(2) Eine Leistungskürzung gemäß § 81 Abs. 2 VVG setzt nämlich voraus, dass der Versicherungsfall durch das grob fahrlässige Verhalten verursacht worden ist (BGH, VersR 1995, 909 = r + s 1995, 288; Senat, VersR 1998, 94; Senat, Urteil v. 20.06.2002 – 12 U 15/02, juris, Tz. 8). Diesen ihr obliegenden Nachweis (Senat, Urteil v. 09.05.1996 – 12 U 49/96; Prölss/Martin, 28. Aufl. 2010, § 81 VVG, Rn. 9, 22; AKB 2008 A.2.16, Rn. 53; Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus, PK-VersR, 2. Aufl. 2011, § 81 VVG, Rn. 82) hat die Beklagte – wie bereits das Landgericht zutreffend erkannt hat – nicht erbracht.

Der Zeitpunkt des Diebstahls steht nicht fest. Damit kann aber auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, das die Entwendung des Fahrzeuges bereits in den ersten Stunden nach dem Abstellen am 31.12.2012 und damit zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu welchem dem Kläger bzw. seinem Sohn kein Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann (vgl. zum insoweit erforderlichen Nachweis der Entwendung zu einem Zeitpunkt, in dem das Abstellen bereits grob fahrlässig war: Senat, Urteil v. 20.06.2002 – 12 U 15/02, juris, Tz. 8; Prölss/Martin – Knappmann, 28. Aufl. 2010, AKB 2008, A.2.16, Rn. 53). Im Hinblick auf die Auswahl des Abstellortes für ein Fahrzeug käme die Annahme grober Fahrlässigkeit nur in Betracht, wenn hierdurch der als vertragsgemäß vorausgesetzte Standard an Sicherheit gegenüber der Diebstahlsgefahr deutlich unterschritten würde und durch die Art des Abstellens und des gewählten Platzes dringende Diebstahlsgefahr bestünde (vgl. BGH, Urteil v. 06.03.1996 – IV ZR 38/94, juris, Tz. 16). Hieran fehlt es vorliegend. Das verschlossene Abstellen eines Fahrzeuges auf dem öffentlichen Parkplatz eines Vorortbahnhofes als solches bewegt sich innerhalb der Bandbreite des vom Versicherer mit Vertragsabschluss übernommenen Durchschnittsrisikos und begründet eine solche dringende Diebstahlsgefahr nicht.

Zwar fördert ein mehrtägiges Abstellen eines Fahrzeuges die Möglichkeit, dass ein Dieb durch längere Beobachtung Anhaltspunkte dafür gewinnen kann, dass es erst nach längerer Zeit abgeholt werden wird. Selbst wenn man hieraus zugunsten der Beklagten einen Anscheinsbeweis herleiten wollte (vgl. Senat, Urteil v. 20.06.2002 – 12 U 15/02, juris, Tz. 9), müsste dieser im konkreten Fall als entkräftet angesehen werden. Als ernsthafter abweichender Geschehensablauf kommt vorliegend nämlich in Betracht, dass der Pkw alsbald nach dem Abstellen – noch am 31.12.2012 – entwendet wurde. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass ein Dieb in Anbetracht des Standortes des Fahrzeuges auf dem Parkplatz eines Bahnhofs nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgehen konnte, dass der Fahrer seine Fahrt mit der Bahn fortgesetzt hatte und gerade in der ersten Zeit unmittelbar nach dem Zurücklassen des Pkw nicht zurückkehren werde.

Soweit der Sohn des Klägers den Zweitschlüssel und den Fahrzeugschein im Handschuhfach, den in einem DIN A4-Ordner befindlichen Fahrzeugbrief in einem Umzugskarton im Kofferraum des Fahrzeuges belassen hatte, hat die Beklagte den Eintritt des Versicherungsfalles – die Entwendung des Fahrzeuges – gerade durch dieses Verhalten ebenfalls nicht bewiesen. Nach § 81 Abs. 2 VVG ist entscheidend, ob der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt, also erst ermöglicht oder veranlasst hat. Dies ist aber – worauf bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – nicht der Fall, wenn der Täter vor seinem Diebstahlsentschluss nicht gesehen hat, dass sich die Fahrzeugpapiere bzw. der Zweitschlüssel im Fahrzeug befinden. Dann fehlt es an der für eine Leistungskürzung gemäß § 81 Abs. 2 VVG erforderlichen Kausalität (vgl. BGH, Urteil v. 17.05.1995 – IV ZR 279/94, juris, Tz. 13; BGH, Urteil v. 06.03.1996 – IV ZR 38/94, juris, Tz. 15; Prölss/Martin – Knappmann, 28. Aufl. 2010, AKB 2008, A.2.16, Rn. 53).

Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass das bloße Aufbrechen eines Fahrzeuges noch nicht den Versicherungsfall „Entwendung“ darstelle, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Es mag durchaus sein, dass ein Täter, der ein Fahrzeug zunächst aufbricht, um im Fahrzeuginneren befindliche Wertgegenstände an sich zu bringen, sich erst nach Auffinden von Fahrzeugpapieren bzw. Fahrzeugschlüsseln zur Entwendung des Fahrzeuges als solchem entschließt. Um zu einer Leistungskürzung gemäß § 81 Abs. 2 VVG berechtigt zu sein, müsste die hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 VVG beweisbelastete Beklagte aber einen solchen Geschehensablauf beweisen. Die Unaufklärbarkeit des Kausalzusammenhangs geht zu Lasten der Beklagten. Ihre diesbezügliche Beweislast kann weder umgekehrt noch eingeschränkt werden. Die Beweisnot, in der sich der Versicherer in solchen Fällen des Diebstahls eines Fahrzeugs – sowohl im Hinblick auf die Frage der Zeitdauer zwischen Abstellen und Entwendung als auch hinsichtlich der Frage, ob der Diebstahlsentschluss im konkreten Fall erst nach Feststellung von Fahrzeugpapieren bzw. Fahrzeugschlüssel im Fahrzeug gefasst wurde – hinsichtlich der Ursächlichkeit einer groben Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers befinden mag, könnte zwar zu einer entsprechenden Nachlässigkeit der Versicherungsnehmer führen. Ob dies bei Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen wirklich in nennenswertem Umfang zu befürchten ist, kann indes dahinstehen. Die Versicherer stünden einer solchen – unerwünschten – Entwicklung jedenfalls nicht schutzlos gegenüber. Sie könnten sich gegen derartige Fälle durch eine entsprechende Vertragsgestaltung – z. B. durch eine Einschränkung der Beweislastregelung des abdingbaren § 81 VVG oder durch Vereinbarung einer besonderen Obliegenheit – angemessen absichern (BGH, VersR 1980, 180; Senat, Urteil v. 19.12.1996 – 12 U 219/96 = VersR 1998, 94; Senat, Urteil v. 20.06.2002 – 12 U 15/02, juris, Tz. 10). Letzteres ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Die dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zugrundeliegenden AKB 2008 (vgl. zur Leistungskürzung bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles: Ziffer A.2.8.1 AKB 2008) lassen die Beweislastregelung hinsichtlich der grob fahrlässigen Verursachung des Schadens unangetastet.

Soweit die Beklagte auf die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs im Hinblick auf im Fahrzeug befindliche Fahrzeugpapiere, insbesondere den Fahrzeugbrief, und dort verwahrte Fahrzeugschlüssel hinweist, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Zwar mag – auch wenn § 935 Abs. 1 S. 1 BGB einen rechtswirksamen gutgläubigen Erwerb im Falle einer Entwendung auch bei Vorliegen der Originalfahrzeugpapiere umfassend ausschließt – die Verwertung eines gestohlenen Fahrzeuges durch die Verfügbarkeit der Fahrzeugpapiere und des Zweitschlüssels erleichtert werden. Dies rechtfertigt aber nicht die Schlussfolgerung, dass hierdurch bereits der vorangegangene Versicherungsfall, die Entwendung des Fahrzeugs als solche, zumindest mitverursacht wurde.

b. Zutreffend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte auch nicht gemäß §§ 23 Abs. 1, 26 Abs. 1 S. 2 VVG zur Leistungskürzung berechtigt ist.

(1) Die Vorschriften über die Gefahrerhöhung gemäß § 23 ff VVG sind zwar – entgegen der Rechtsansicht des Klägers – neben den Regelungen zur grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 Abs. 2 VVG, Ziffer A.2.8.1 AKB 2008) anwendbar (Prölss/Martin, 28. Aufl. 2010, § 23 VVG, Rn. 59; Stiefel/Maier, AKB, 18. Aufl. 2010, § 23 VVG, Rn. 11 m. w. N.).

(2) Allerdings ist vorliegend vom Vorliegen einer Gefahrerhöhung i. S. v. § 23 Abs. 1 VVG nicht auszugehen. Während – anders als bei § 81 Abs. 2 VVG – der Versicherer die Kausalität zwischen Gefahrerhöhung und Eintritt des Versicherungsfalles nicht zu beweisen hat, es vielmehr dem Versicherungsnehmer obliegt, den Nachweis fehlender Kausalität zu erbringen (§ 26 Abs. 3 Nr. 1 VVG; Prölss/Martin, a.a.O., § 26 VVG, Rn. 7; OLG Koblenz, VersR 1998, 233), trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass überhaupt eine Gefahrerhöhung eingetreten ist, der Versicherer (Prölss/Martin, a.a.O., § 23 VVG, Rn. 55; § 26 VVG, Rn. 6; Stiefel/Maier, a.a.O., § 23 VVG, Rn. 22).

Eine Gefahrerhöhung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn sich die bei der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers vorhandenen Umstände nachträglich ändern und so den Eintritt des Versicherungsfalles wahrscheinlicher machen. Erforderlich ist ein Gefährdungsvorgang, der einen neuen Zustand erhöhter Gefahr schafft, wobei dieser mindestens von der Dauer sein muss, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Gefahrenverlaufs bilden kann und damit den Eintritt des Versicherungsfalles generell zu fördern geeignet ist (BGH, Urteil v. 27.01.1999 – IV ZR 315/97, juris, Tz. 9, Prölss/Martin, a.a.O., § 23 VVG, Rn. 19 m. w. N.; Stiefel/Maier, a.a.O., § 23 VVG, Rn. 1, 15).

Durch das Abstellen des Fahrzeuges in verschlossenem Zustand auf dem Parkplatz des Vorortbahnhofs, das Zurücklassen von Kraftfahrzeugschein und Zweitschlüssel im Handschuhfach und des Kraftfahrzeugbriefs in einem Umzugskarton im Kofferraum ist – auch bei der gebotenen Gesamtwürdigung – eine Gefahrerhöhung in diesem Sinne noch nicht eingetreten.

So bietet das Abstellen des Fahrzeuges auf dem Parkplatz eines Vorortbahnhofs – auch für längere Zeit – zunächst keinen Raum für die Annahme, dass hiermit eine erhöhte Diebstahlsgefahr verbunden wäre. Vielmehr bewegt sich ein solches Verhalten innerhalb der Bandbreite des vom Versicherer im Rahmen der streitgegenständlichen Kaskoversicherung bei Vertragsabschluss übernommenen Risikos. Gleiches gilt, soweit Kraftfahrzeugpapiere und Zweitschlüssel – von außen nicht sichtbar – im Pkw verblieben sind (vgl. zum gelegentlichen Zurücklassen des Kfz-Scheins im Fahrzeug bereits: Senat, Urteil v. 26.01.1995 – 12 U 249/94 = ZfSch 1995, 260). Dass Zweitschlüssel und Fahrzeugpapiere dauernd im versicherten Fahrzeug aufbewahrt worden wären (vgl. insoweit: Stiefel/Maier, a.a.O., § 23 VVG, Rn. 38; OLG Koblenz, VersR 1998, 233), ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Dass Fahrzeuge aufgebrochen, aber nur dann entwendet werden, wenn sich darin Fahrzeugschlüssel und -papiere befinden, entspricht nicht allgemeiner Lebenserfahrung. In der überwiegenden Zahl der Diebstahlsfälle treten diese vielmehr ein, ohne dass derartige Gegenstände im Fahrzeug zurückgelassen wurden.

Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass die Möglichkeit der Leistungskürzung gem. §§ 23, 26 VVG nicht voraussetzt, dass im konkreten Fall der Zustand erhöhter Gefahr lange gedauert hat. Erforderlich ist aber, dass es zu einem solchen Zustand erhöhter Gefahr überhaupt gekommen ist. Hiervon ist – wie ausgeführt – vorliegend bei der gebotenen Gesamtwürdigung noch nicht auszugehen.

3. Die Beklagte ist vor diesem Hintergrund gemäß § 1 S. 1 VVG i. V. m. Ziffer A.2.4.1 AKB 2008 zur Erstattung des Wiederbeschaffungswerts des streitgegenständlichen Fahrzeuges verpflichtet. Dieser beläuft sich nach den zutreffenden, auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen K. getroffenen und in der Berufung auch nicht angegriffenen landgerichtlichen Feststellungen auf 9.512,20 €. Unter Berücksichtigung der bereits vorgerichtlich geleisteten Zahlung der Beklagten in Höhe von 4.606,10 € und des vereinbarten Selbstbehalts von 150,00 € besteht ein restlicher Zahlungsanspruch des Klägers in Höhe von 4.756,10 €.

4.Aus den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts, auf die der Senat Bezug nimmt, ist die Beklagte überdies gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 BGB zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 775,64 € verpflichtet. Der Anspruch auf die zuerkannten Zinsen folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Grundsätzliche oder einer Rechtsfortbildung bedürftige Fragen wirft der Rechtsstreit nicht auf. Eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) war daher nicht geboten.

 

 

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