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Kfz-Haftpflichtversicherung – Unfall mit erheblicher Alkoholisierung

OLG Hamm – Az.: I-20 W 25/18 – Beschluss vom 11.01.2019

Auf die sofortige Beschwerde vom 14.11.2018 wird dem Antragsteller unter gleichzeitiger Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Paderborn vom 24.10.2018 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt T aus I zur Wahrnehmung seiner Interessen in erster Instanz beigeordnet.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine von ihm beabsichtigte Klage, mit der er nunmehr noch die Feststellung begehrt, dass die Beklagte – bei der für den Antragsteller eine private Haftpflichtversicherung besteht -, verpflichtet ist, dem Antragsteller wegen eines Schadensereignisses vom 16.10.2016 bedingungsgemäßen Versicherungsschutz zu gewähren.

An diesem Tag habe der Antragsteller gegen 00:30 Uhr als Gast einer privaten Geburtstagsfeier einem anderen Gast nach einer zunächst nur verbal geführten Auseinandersetzung einen Faustschlag und einen Fußtritt versetzt, wodurch jener erheblich verletzt wurde. Nach dem Vorfall sei bei dem Antragsteller eine Blutalkoholkonzentration von 2,17 ‰ festgestellt worden. Aufgrund dieser Alkoholisierung sei ein vorsätzliches Verhalten nicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den angefochtenen Beschluss des Landgerichts Bezug genommen.

II.

Die als sofortige Beschwerde auszulegende „Beschwerde“ ist gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere nach Maßgabe von § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO fristgerecht binnen eines Monats ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung eingelegt.

Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts bietet die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg.

a)

Ein Leistungsausschluss gemäß § 103 VVG und Ziff. 7.1 der dem Vertrag zugrunde liegenden „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB)“ (Anlage K1 zum Schriftsatz vom 07.01.2019, dort unter Buchstabe N) mag sich im weiteren Verlauf des Verfahrens ergeben; aus dem bei der Prüfung der Schlüssigkeit der beabsichtigten Klage allein zugrunde zu legenden Vorbringen des Antragstellers ergibt er sich aber nicht.

aa)

Kfz-Haftpflichtversicherung – Unfall mit erheblicher Alkoholisierung
(Symbolfoto: tawanroong/Shutterstock.com)

Zwar trifft es zu, dass § 827 S. 2 BGB auch im Rahmen von § 81 VVG – und damit auch § 103 VVG – entsprechend anzuwenden ist (BGH, Urteil vom 22.06.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011, 1037, juris Rn. 12). Dies betrifft aber nur Fälle, in denen der Versicherungsnehmer gegen eine Anwendung von § 81 VVG einwendet, er habe den Versicherungsfall im Zustand der Schuldlosigkeit herbeigeführt, sein Vorsatz habe also wegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht auf einer freien Willensbildung beruht.

Eine derart starke Alkoholisierung, dass sie zur Schuldunfähigkeit des Antragstellers im Sinne von § 827 BGB geführt hätte, wird jedoch vom Antragsteller selbst nicht einmal behauptet.

bb)

Vielmehr behauptet der Antragsteller, dass aufgrund der erheblichen Alkoholisierung kein Vorsatz gegeben sei (GA 5).

(1)

Im Rahmen von § 81 VVG ist bedingter Vorsatz ausreichend, wobei sich dieser – anders als z.B. im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB – nicht nur auf die haftungsbegründende Verletzungshandlung beziehen, sondern auch die Schadensfolgen umfassen muss (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 23.02.1983 – IVa ZR 130/81, VersR 1983, 477; ferner Senat, Urteil vom 18.01.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006, 781). Für § 103 VVG gilt Entsprechendes (Prölss/Martin-Lücke, VVG, 30. Aufl. 2018, § 103 Rn. 5).

Erforderlich ist also auch, dass der Versicherungsnehmer die Schadensfolgen in ihrem wesentlichen Umfang als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen hat (BGH, a.a.O.). Dabei führt aber nicht jede kleine Abweichung zwischen Vorstellungsbild und tatsächlichem Geschehen zu einer Unanwendbarkeit von § 103 VVG; vielmehr sind auch hier unwesentliche Abweichungen vom vorgestellten Kausalverlauf unschädlich (vgl. z.B. Senat, Urteil vom 12.11.1980 – 20 U 111/80, VersR 1981, 789; ferner OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.05.1999 – 4 U 84/98, VersR 2000, 447).

(2)

Beweisbelastet für den Vorsatz des Versicherungsnehmers ist der Versicherer, und zwar auch dann, wenn eine nicht zur Schuldunfähigkeit führende starke Alkoholisierung des Versicherungsnehmers im Raume steht (BGH, Urteil vom 17.06.1998 – IV ZR 163/97, VersR 1998, 1011; vgl. auch BGH, Urteil vom 29.10.2003 – IV ZR 16/03, VersR 2003, 1561; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.08.2005 – 4 U 172/04, VersR 2006, 402, juris Rn. 17). Bislang hat die mithin beweisbelastete Beklagte eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht einmal konkret behauptet, da sie überhaupt nicht zu dem Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers Stellung genommen hat.

(3)

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann auch nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, eine gedachte Beweiserhebung werde bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen (vgl. dazu Zöller/Geimer, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 114 Rn. 19).

Zwar kann aus der Intensität und Heftigkeit eines Angriffs indiziell auf den Vorsatz der Herbeiführung einer Körperverletzung (einschließlich der Verletzungsfolgen) geschlossen werden (vgl. z.B. Senat, Urteil vom 18.01.2006 – 20 U 159/05, VersR 2006, 781). Bei einem Faustschlag gegen das Opfer spricht zunächst viel für ein vorsätzliches Handeln, denn wer einen gezielten und kraftvollen Schlag in das Gesicht seines Gegners setzt, handelt willentlich und ist sich regelmäßig bewusst, dass er damit in die körperliche Integrität des anderen eingreift und dass er ihn verletzt. (vgl. Senat, Urteil vom 26.11.2003 – 20 U 143/03, r+s 2004, 145; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.05.1999 – 4 U 84/98, NVersZ 2000, 97). Das Vorliegen von Vorsatz erfordert zudem nicht, dass die genaue Verletzung in allen Einzelheiten vorhergesehen wird; vielmehr kann es ausreichen, wenn der Versicherungsnehmer ganz allgemein Gesichtsverletzungen billigend in Kauf nimmt (vgl. Senat, Urteil vom 26.11.2003 – 20 U 143/03, r+s 2004, 145, Rn. 58 und 60).

Dennoch kann ein Indizienschluss auf den Vorsatz auch bei Faustschlägen dann problematisch sein, wenn der Versicherungsnehmer in erheblichem Umfang alkoholisiert war. Solange nicht feststeht, dass die Alkoholisierung ein solches Ausmaß erreichte, dass ein Zustand der Zurechnungsunfähigkeit im Sinne von § 827 BGB vorlag und ein Ausschluss der freien Willensbestimmung erreicht war, bleibt zwar vorsätzliches Handeln auch bei einer (starken) Alkoholisierung möglich (Piontek, Haftpflichtversicherung, 1. Aufl. 2016, § 4 Rn. 23). Es bedarf aber stets einer tatrichterlichen Feststellung im konkreten Einzelfall, ob die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in einem Maße beeinträchtigt war, dass sie die Fähigkeit des Versicherungsnehmers beeinträchtigte, die (möglichen) Folgen seines Tuns zu erkennen und zu billigen (BGH, Urteil vom 17.06.1998 – IV ZR 163/97, VersR 1998, 1011; ferner Senat, Urteil vom 16.10.1998 – 20 U 88/98, r+s 1999, 102).

Diese Feststellungen sind im konkreten Fall nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zu treffen. Hier bleibt es bei der schlüssigen und von der Beklagten bislang nicht bestrittenen Behauptung des Antragstellers, sein Vorsatz sei wegen der Alkoholisierung ausgeschlossen.

b)

Soweit der Antragsteller zunächst Prozesskostenhilfe für einen Antrag begehrt hat, der auf die Feststellung einer Freistellungspflicht der Beklagten gerichtet war, hat er diesen Antrag auf den Hinweis des Senats mit Schriftsatz vom 07.01.2019 angepasst.

2.

Da der Antragsteller auch die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann (§ 114 Abs. 1 S. 1 ZPO), ist ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

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