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Kfz-Haftpflichtversicherung – Obliegenheitsverletzung bei Entfernung von der Unfallstelle

AG Landshut – Az.: 4 C 1006/11 – Urteil vom 08.12.2011

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung aus Nr. 2 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 800,– € abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Der Streitwert wird auf 2.035,11 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Beklagte fuhr mit seinem bei der … Versicherung AG pflichtversicherten PKW am 31.12.2009 gegen 14.00 Uhr aus Richtung Süden kommend auf der F. Allee in H… bei der Einfahrt in den Landwehrkreisel, von dem Richtung Osten der S. Weg abzweigt, auf den vor der Verkehrsampel bei der Einfahrt in den Kreisel haltenden PKW des Zeugen N… auf.

Der Zeuge stieg aus seinem PKW aus, notierte sich das Kennzeichen des beklagtischen Fahrzeugs und forderte den Beklagten auf, zur Aral-Tankstelle am nächsten Kreisel, dem R… Kreisel, zu fahren, um dort die Fahrzeugdaten auszutauschen. Der Zeuge fuhr zu der Tankstelle an der G. Chaussee in der Nähe des Kreisels, der Beklagte erschien jedoch dort nicht. Als er zusammen mit seiner Freundin deren Wohnung in Hannover erreicht hatte, rief die vom Zeugen verständigte Polizei bei ihm an.

Bei dem Unfall entstand am Fahrzeug des Zeugen unstreitig ein Schaden in Höhe von 2.035,11 €, den die … Versicherung regulierte.

Die Versicherung ist der Auffassung, der Beklagte habe eine Pflichtverletzung nach § 28 II VVG begangen, in dem er sich unerlaubt vom Unfallort entfernt habe. Diese Pflichtverletzung, die zugleich auch eine Verletzung der entsprechenden Vertragsbedingungen gewesen sei, führe dazu, dass sie, die als Gesamtschuldnerin nach § 115 VVG Ersatz geleistet habe, vom Beklagten im Innenverhältnis nach § 426 Abs. 2 S. 1 BGB vollen Regress verlangen könne, da sie leistungsfrei sei.

Die … Versicherung hat diesen ihr nach ihrer Meinung zustehenden Anspruch auf ihre Tochtergesellschaft, die Klägerin, abgetreten. Diese beantragt demgemäß zu erkennen:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.035,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.10.2010 sowie Mahnspesen in Höhe von 15,– € und Portokosten in Höhe von 3,– € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt Klageabweisung.

Er habe keine Pflichtverletzung begangen, sich insbesondere nicht unerlaubt vom Unfallort entfernt. Er habe wegen der extrem schlechten Witterungsverhältnisse dem Zeugen nicht unmittelbar folgen können, sei ortsfremd gewesen und sei vom R… Kreisel statt nach links Richtung G. Chaussee nach rechts in die P. Straße abgebogen, habe dort gewendet, sei erneut zum R… kreisel gefahren und nach rechts in die F.-E.-Straße eingebogen, habe aber die Tankstelle nicht gefunden. Er habe auch die Polizei nicht informieren können, habe vorgehabt, dies sofort nach der Ankunft in der Wohnung der Freundin zu tun, da sei er jedoch selbst schon von der Polizei, die über sein Kennzeichen seine Telefonnummer rausbekommen habe, angerufen worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugen N… I. und A. P. sowie die Einnahme eines Augenscheins an der Unfallstelle, der Aral-Tankstelle und den drumherum befindlichen Straßen. Ferner wurde die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hannover beigezogen.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 18.10.2011 Bezug genommen; zur Ergänzung des Tatbestands wird ferner verwiesen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Auf Grund der Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes zum 01.01.2008 wurden die Möglichkeiten eines Versicherers, die Leistung bei Pflicht- und Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers zu versagen, deutlich eingeschränkt (vgl. Stahl Kerstin, Recht und Schaden Beilage 2011, 115). Die vom Gesetzgeber festgelegte Schwere des Verschuldens dient als Maßstab für die Leistungskürzung und wird im Gesetz selbst als einziges Bemessungskriterium genannt. Billigkeits- oder Strafrechtserwägungen dürfen demnach bei der Bemessung keine Rolle spielen (vgl. Stahl, aaO).

Nach § 28 Abs. 3 VVG ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung einer Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. § 28 Abs. 3 S. 1 VVG führt im Gegensatz zur früheren Rechtslage, der sogenannten Relevanztheorie, wonach sich der Versicherer bei einem folgenlos gebliebenen Obliegenheitsverstoß nur dann auf Leistungsfreiheit berufen konnte, wenn der Obliegenheitsverstoß generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, und wenn dem Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last gelegt werden konnte, ein Kausalitätserfordernis ein, das es auch bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen notwendig macht, dass sich die fragliche Obliegenheitsverletzung im konkreten Einzelfall zum Nachteil des Versicherers ausgewirkt hat (vgl. OLG Naumburg, Beck RS 2011, 06425). Klägerseits ist nichts vorgetragen dazu, daß die – behauptete – Pflichtverletzung des Beklagten nachteilige Auswirkungen für die Versicherung gehabt hätte.

Unstrittig trifft den Beklagten die aus § 142 StGB abzuleitende Aufklärungsobliegenheit. Die Klägerin ist jedoch für das Vorliegen des objektiven Tatbestandes der behaupteten Obliegenheitsverletzung darlegungs- und beweispflichtig (vgl. OLG Naumburg aaO). Den Beweis konnte die Klägerin nicht erbringen. Der Zeuge N… hat zwar angegeben, er habe dem Beklagten klar und deutlich erklärt, er müsse den S. Weg weiterfahren, am nächsten (dem F.) Kreisel dann links und dann sehe er schon die Tankstelle. Bei Durchführung des Augenscheins war auch ersichtlich, dass diese Tankstelle vom Kreisel aus deutlich zu sehen ist, wenn man westwärts fährt. Die Zeugin A., bezüglich deren Glaubwürdigkeit keine überzeugenden Zweifel vorgetragen werden konnten, hat demgegenüber jedoch angegeben, dass der Zeuge gesagt habe, die Tankstelle sei auf der rechten Seite. Auch war bei der Beweisaufnahme festzustellen, dass bei einer Abfahrt Richtung Osten oder Norden die Tankstelle nicht zu sehen war. Da zweifelhaft war, ob es zu einer strafrechtlichen Verurteilung komme, hat die Staatsanwaltschaft Hannover das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Aus der Einstellung des Ermittlungsverfahrens ergibt sich selbstverständlich keine Bindung des Zivilgerichts, andererseits darf aber die Zahlung der Geldauflage durch den Beklagten, um ein Strafverfahren zu vermeiden, auch nicht als Schuldeingeständnis gewertet werden.

Der Entscheidung des LG Frankfurt a.d.Oder (Beck RS 2009, 21435), auf die die Klägerin sich beruft, lag ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde. Dort hatte der Unfallverursacher unzweideutig die Unfallstelle verlassen, ohne jegliche Feststellungen zu treffen, in der Sorge, er werde überreagieren, er sei zudem in einen Erregungszustand mit verminderter Zurechnungsfähigkeit verfallen. Das LG Düsseldorf (MDR 2010, 1319) hat zwar entschieden, es könne dahingestellt sein, ob die Verletzung der Obliegenheit bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort für eindeutige Feststellung des Versicherungsfalles ursächlich sei, da der Unfallflüchter seine Obliegenheit arglistig verletze. Eine Verkehrsunfallflucht sei als arglistig einzustufen, da sie potentiell geeignet sei, die Aufklärung des Tatbestandes und die Ermittlung des Haftungsumfangs der Versicherung nachteilig zu beeinflussen, wenn z.B. der Unfallverursacher einige Zeit nicht festgestellt werde, der Unfallgeschädigte in der Zwischenzeit sein Auto instandsetzen lasse und die Versicherung nicht mehr die Möglichkeit habe, das Unfallfahrzeug in unrepariertem Zustand zu besichtigen oder bei einer Ersatzbeschaffung ein Restwertangebot abzugeben.

Abgesehen davon, dass der Unfallgeschädigte das Kennzeichen des Beklagten notiert hatte, liegt im streitgegenständlichen Fall die klassische „Unfallflucht“ nicht vor. Wegen des dichten Verkehrs und der schlechten Witterungsbedingungen war es schlechtwegs unmöglich, an der Unfallstelle selbst die erforderlichen Feststellungen treffen zu lassen. Der Beklagte entfernte sich daher im Einverständnis mit dem Geschädigten von der unmittelbaren Unfallsteile. Ein arglistiges Verhalten mit der Rechtsfolge des § 28 Abs. 3 S. 2 VVG kann ihm jedoch nicht vorgeworfen werden.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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