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Kfz-Haftpflichtversicherung – Kausalitätsgegenbeweis bei Verkehrsunfallflucht

Verkehrsunfallflucht und Kfz-Haftpflicht: Deutung des Kausalitätsgegenbeweises

In einem Fall, der vor dem Amtsgericht Dinslaken verhandelt wurde, steht ein Klägerin, die eine Kfz-Haftpflichtversicherung darstellt, im Zentrum der Debatte. Hier wird die Erstattung eines Teils der Versicherungsleistungen, die sie infolge eines Verkehrsunfalls gezahlt hat, vom Beklagten, dem Mitversicherten, gefordert. Das Herz der Kontroverse: Der Beklagte entfernte sich unerlaubt vom Unfallort – eine Situation, die auch als Verkehrsunfallflucht bekannt ist.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte hätte arglistig gehandelt, indem er den Unfallort ohne die erforderlichen Feststellungen verließ, obwohl er wusste, dass er das Fahrzeug des Geschädigten beschädigt hatte. Dieser Vorfall wurde von einer Zeugin beobachtet und die Polizei konnte den Beklagten später an seiner Wohnanschrift ausfindigmachen. Gegenüber den Polizeibeamten räumte der Beklagte seine Fahrereigenschaft und den Hergang des Unfallgeschehens ein.

Direkt zum Urteil Az: 32 C 299/20 springen.

Das Dilemma der Verkehrsunfallflucht

Der Vorfall ereignete sich nach einem gemeinsamen Handballtraining des Beklagten und des Geschädigten auf dem Parkplatz vor der Sporthalle. Der Beklagte fuhr rückwärts aus dem Parkplatz und stieß dabei mit dem Fahrzeug des Geschädigten zusammen, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Sporthalle befand. Nach dem Vorfall stieg der Beklagte aus seinem Fahrzeug aus und inspizierte den Schaden am Fahrzeug des Geschädigten. Trotz seines Wissens über den Unfall und die Identität des Geschädigten entschied er sich, den Unfallort zu verlassen.

Die Suche nach Gerechtigkeit

Die Polizei konnte den Beklagten anhand des von der Zeugin bereitgestellten Kennzeichens und der Aussage des Geschädigten ausfindig machen. An seiner Wohnanschrift konfrontiert, gab der Beklagte zu, das Fahrzeug geführt zu haben und den Unfall verursacht zu haben. Daraufhin wurden die entstandenen Schäden vom Kfz-Haftpflichtversicherer, der Klägerin, reguliert. Mit der aktuellen Klage fordert die Klägerin nun einen Teil dieser Zahlungen vom Beklagten zurück.

Der entscheidende Ausgang

Das Amtsgericht Dinslaken wies schließlich die Klage ab. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


Das vorliegende Urteil

AG Dinslaken – Az.: 32 C 299/20 – Urteil vom 22.04.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Kfz-Haftpflichtversicherung auf Erstattung eines Teils der von der Klägerin anlässlich eines Verkehrsunfalls vom 02.10.2017 an den Geschädigten gezahlten Versicherungsleistungen in Anspruch.

Zum Unfallzeitpunkt war die Klägerin Kfz-Haftpflichtversicherer des von dem mitversicherten Beklagten geführten Fahrzeuges, amtliches Kennzeichen … Der streitgegenständliche Verkehrsunfall ereignete sich auf dem Parkplatz vor der Sporthalle in … nach einem gemeinsamen Handballtraining des Beklagten und des Geschädigten. Im Rahmen eines Rückwärtsausparkvorgangs fuhr der Beklagte mit dem von ihm geführten Fahrzeug gegen das ebenfalls auf dem Parkplatz geparkte Fahrzeug des Geschädigten, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Sporthalle befand. Der Beklagte stieg daraufhin aus seinem Fahrzeug aus und sah sich den an dem Fahrzeug des Geschädigten entstandenen Schaden an. Ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, entfernte sich der Beklagte, der erkannt hatte, dass es sich bei dem beschädigten Fahrzeug um das des Geschädigten handelt, anschließend vom Unfallort.

Der Unfall wurde von der Zeugin … beobachtet. Sie machte den Geschädigten auf den Schaden an seinem Fahrzeug aufmerksam, als dieser die Sporthalle nach dem Handballtraining verlassen hatte. Aufgrund des von der Zeugin mitgeteilten Kennzeichens sowie der Erklärung des Geschädigten, das Fahrzeug könne von dem Beklagten geführt worden sein, gelang es der hinzugezogenen Polizei kurze Zeit später den Beklagten ausfindig zu machen und ihn an seiner Wohnanschrift anzutreffen. Gegenüber den Polizeibeamten räumte der Beklagte seine Fahrereigenschaft und den Hergang des Unfallgeschehens ein (vgl. Bl. 4 ff. der beigezogenen Akte).

Wegen der unfallbedingt entstandenen Schäden des Geschädigten regulierte die Klägerin insgesamt 3.663,84 EUR, von welchen sie mit der vorliegenden Klage nunmehr 2.500,00 EUR von dem Beklagten erstattet verlangt.

Die Klägerin trägt vor, der Beklagte habe sich arglistig verhalten, als er sich unerlaubt vom Unfallort entfernt habe. Er hätte an der Unfallörtlichkeit verbleiben können, um auf den Geschädigten zu warten bzw. erneut die Sporthalle aufsuchen können, um den Geschädigten zu informieren. Letztlich hätte der Beklagte als Unfallverursacher die Polizei anrufen müssen. Da der Beklagte – insoweit unstreitig – einen Zwillingsbruder habe, gegen den ein eingeleitetes Strafverfahren erst spät eingestellt worden sei, sei es nicht fernliegend, dass sich der Beklagte der strafrechtlichen Verantwortung habe entziehen wollen und damit gleichzeitig auch die Interessen der Klägerin habe schädigen wollen. Ohne die schnelle Aufklärungsarbeit der Polizei wäre es möglicherweise zu erheblichen Aufklärungsschwierigkeiten gekommen.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.12.2019 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er behauptet, er habe entweder den Geschädigten oder einen anderen Handballkollegen nach der Kollision auf dem Heimweg angerufen, jedoch niemanden erreicht. Im Übrigen beruft sich der Beklagte auf den Kausalitätsgegenbeweis. Sein Verhalten habe die von der Klägerin vorzunehmende Schadensregulierung in keiner Weise beeinflusst, da sich der Unfall im ruhenden Verkehr ereignet habe und ein Mitverschulden des Geschädigten von vornherein ausscheide. Zusätzliche Aufklärungsmöglichkeiten hätten für die Klägerin nicht bestanden.

Das Gericht hat den Beklagten persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … Wegen des Ergebnisses der Anhörung sowie der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 08.04.2021, Bl. 57 ff. GA, Bezug genommen. Die Strafakte des Amtsgerichts Dinslaken, Az.: 4 Ds 78/18, ist beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf anteilige Erstattung der an den Geschädigten regulierten Versicherungsleistungen aus dem Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag wegen des Verkehrsunfalls vom 02.10.2017 zu.

Zwar hat sich der Beklagte seinerzeit unerlaubt vom Unfallort entfernt und damit eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung begangen. Der Beklagte hat aber den Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 28 Abs. 3 S. 1 VVG geführt. Ein solcher ist nicht durch § 28 Abs. 3 S. 2 VVG ausgeschlossen, da ein arglistiges Verhalten des Beklagten nicht festzustellen ist, was zulasten der Klägerin geht, die als Versicherer die Beweislast für das Vorliegen der Arglist trägt.

Aus dem Sacherhalt ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das vorsätzliche unerlaubte Entfernen vom Unfallort Einfluss auf den Umfang der Leistungspflicht der Klägerin genommen hat. Die Klägerin hat auch nicht aufgezeigt, welchen anderen Verlauf die Regulierung voraussichtlich genommen hätte, wenn der Beklagte die notwendigen Feststellungen am Unfallort ermöglicht hätte. Vielmehr konnte das Unfallgeschehen mit Hilfe der Zeugin sowie der Erklärung des Geschädigten zeitnah aufgeklärt werden. Die alleinige Unfallverursachung durch den Beklagten war klar und durch die Zeugin belegt. Der Beklagte konnte bereits kurze Zeit später als Unfallverursacher ausfindig gemacht werden; seine Fahrereigenschaft ist zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt worden. Nachteile, welche der Klägerin durch das unerlaubte Entfernen vom Unfallort entstanden sind, vermag das Gericht – auch mangels entsprechenden Sachvortrages der Klägerin – nicht zu erkennen. Insbesondere trägt die Klägerin nicht dazu vor, welche Maßnahmen sie bei Erfüllung der Obliegenheiten getroffen und welchen Erfolg diese sich davon versprochen hätte, wenn der Beklagte vor Ort seine Personalien als Unfallverursacher angegeben und auf das Eintreffen der Polizei gewartet hätte. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der Beklagte einen Zwillingsbruder habe und aus diesem Grund eine Verwechslungsgefahr bestanden habe, ist dem entgegenzuhalten, dass sich ausweislich der beigezogenen Akte das eingeleitete Strafverfahren von Anfang an gegen den Beklagten gerichtet hat, da dieser seine Fahrereigenschaft gegenüber den Polizeibeamten eingeräumt hatte. Lediglich die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Duisburg bezog sich zunächst – aus welchem Grund auch immer – irrtümlich auf den Zwillingsbruder des Beklagten. Die Verwechslung konnte indes zeitnah aufgeklärt und anschließend Anklage gegen den Beklagten erhoben werden.

Ein arglistiges Verhalten des Beklagten, das dazu führen würde, dass sich der Beklagte nicht auf den Kausalitätsgegenbeweis berufen kann, ist nicht feststellbar.

Ein solches setzt voraus, dass der Versicherte der Obliegenheit bewusst und gewollt zuwider handelt und zugleich wenigstens in Kauf nimmt, das Verhalten des Versicherers dadurch zu dessen Nachteil zu beeinflussen. Der Versicherte muss daher einen aus seiner Sicht gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgen. Dies ist vorliegend nicht ersichtlich. Dass sich der Beklagte vorsätzlich unerlaubt vom Unfallort entfernt hat, lässt nicht den Schluss auf ein arglistiges Verhalten zulasten der Klägerin zu. Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, damit stets einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, gibt es nicht. Konkrete Anhaltspunkte, die für die Verfolgung eines gegen die Interessen der Klägerin gerichteten Zwecks sprechen, sind – was zulasten der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin geht – nicht zu erkennen. Der Beklagte war unstreitig Fahrer des versicherten Fahrzeuges. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Beklagte durch sein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort Umstände verschleiern wollte, die der Klägerin die Möglichkeit eines Regresses geben könnten, wie zum Beispiel eine alkohol- oder drogenbedingte Fahruntüchtigkeit. Dagegen spricht, dass der Beklagte zeitnah seine Fahrereigenschaft eingeräumt hat und keine ernsthaften Umstände vorliegen, die gegen die Verkehrstüchtigkeit des Beklagten sprechen. Auch die Schuldfrage war vorliegend unproblematisch. Der Beklagte war zu 100 % für den Unfall verantwortlich und dies war durch die Zeugin belegt. Letzteres hat der Beklagte ausweislich seiner Erklärungen im Rahmen seiner persönlichen Anhörung auch bemerkt, so dass er damit rechnen musste, dass die Polizei oder der Geschädigte von der Zeugin über den Unfallhergang und seine Person informiert werden würde. Er musste daher davon ausgehen, dass die Feststellungen alsbald getroffen werden würden, was ebenfalls gegen die Annahme eines arglistigen Verhaltens des Beklagten spricht. Zuletzt entspricht es der Lebenserfahrung, dass die schuldhafte Verursachung eines – auch außerhalb des fließenden Verkehrs eingetretenen – Unfalls häufig eine besondere Überforderung auslöst. Deshalb liegt der Schluss, der Versicherte habe bei seinem Entfernen vom Unfallort auch in sein Vorstellungsbild aufgenommen, hierdurch möglicherweise seinen Versicherer zu schädigen, nicht stets nahe. Vielmehr muss auch im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass sich der Beklagte im entscheidenden Zeitpunkt, dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort, überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hat, dass er durch sein Verhalten möglicherweise die klägerische Regulierung des Schadens negativ beeinflussen kann (vgl. zum Ganzen auch OLG Hamm, Beschluss vom 28.02.2018, Az.: I-20 U 188/17).

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 2.500,00 EUR

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