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Kaskoversicherung wann ist von einem Glasbruchschaden i.S.v. A.2.2.1.5 AKB 2015 auszugehen

LG Saarbrücken – Az.: 13 S 109/22 – Urteil vom 10.02.2023

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 21.6.2022 – 20 C 371/21 (76) abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 925,71 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.8.2020 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 10% und die Beklagte zu 90%. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Das Berufungsurteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die beklagte Versicherungsgesellschaft auf Erstattung von Reparaturkosten für eine beschädigte Windschutzscheibe an seinem Fahrzeug in Höhe von zuletzt 925,71 Euro nebst Zinsen aus einem zwischen ihnen bestehenden Kaskoversicherungsverhältnis in Anspruch, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB 2015, S. 25 f. d.A.) zugrunde liegen. Der Kläger ließ sein Fahrzeug in einer Reparaturwerkstatt reparieren, die hierfür am 14.8.2020 einen Betrag von 1.175,71 Euro in Rechnung stellte. Diesen hat der Kläger zunächst geltend gemacht. Nach teilweiser Klagerücknahme unter Abzug einer Selbstbeteiligung von 150 Euro trägt er vor, der Schaden sei ordnungsgemäß über die Werkstatt gemeldet worden. Er meint, Angaben darüber, wo und wann der Schaden entstanden sei, bedürfte es bei Steinschlagschäden an der Windschutzscheibe nicht.

Die Beklagte, die ihre Eintrittspflicht vorgerichtlich mit Schreiben vom 28.8.2020 abgelehnt hatte, ist dem entgegengetreten und trägt vor, der Kläger habe den Versicherungsfall schon nicht ordnungsgemäß gemeldet, er habe zumindest Schadensdatum, -örtlichkeit und -ursache benennen müssen, um Versicherungsschutz zu erhalten. Überdies handele es sich bei dem Schaden um nicht versicherte Kratzer und Abplatzungen, nicht dagegen um einen versicherten Bruchschaden. Schließlich seien auch die geltend gemachten Recyclingkosten nicht erstattungsfähig.

Kaskoversicherung wann ist von einem Glasbruchschaden i.S.v. A.2.2.1.5 AKB 2015 auszugehen
(Symbolfoto: Tatyana Pe/Shutterstock.com)

Das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen, weil das Schadensereignis aufgrund der Angaben nicht näher eingrenzbar sei. Dies sei angesichts offenbar bestehender Vorschäden in Form von Steinschlägen oder Kratzern unerlässlich.

Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen Klageantrag weiterverfolgt. Er meint, das Erstgericht habe verkannt, dass die Beklagte selbst vom 29.7.2020 als Schadenszeitpunkt ausgegangen sei und keine weiteren Angaben angefordert habe. Der Schadenszeitpunkt sei daher unstreitig gewesen. Die Beklagte habe sich außergerichtlich im Schreiben vom 28.8.2020 allein darauf gestützt, dass es sich um nicht versicherte Steinschläge gehandelt habe, weshalb es ihr verwehrt sei, sich nun auf fehlende Substantiierung des Schadenseintritts zu berufen, zumal das Fahrzeug seit Inbesitznahme durch den Kläger in 2013 bei der Beklagten versichert sei. Überdies sei davon auszugehen, dass der Steinschlag, der zu einem drohenden Riss geführt habe, in der Zeit zwischen dem 25.9.2019 und dem 29.7.2020 entstanden sei. Am 25.9.2019 sei das Fahrzeug zur Inspektion gewesen. Die dort vorgenommene Sichtprüfung auch der Windschutzscheibe habe keine reparaturwürdigen Steinschläge ergeben.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und hat u.a. eingewandt, der Schadenszeitpunkt sei mangels näherer Angaben auf den Tag der Schadensmeldung durch die Reparaturwerkstatt bestimmt worden. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Beklagte ist zum Ausgleich der geltend gemachten Kosten verpflichtet.

1. Aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Teilkasko-Versicherungsvertrag ergibt sich, dass u.a. Bruchschäden an der Verglasung versichert sind (A.2.2.1.5 AKB 2015).

2. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts scheitert das Klagebegehren nicht daran, dass der Kläger einen Glasbruchschaden i.S.d. Nr. A.2.2.1.5 nicht hinreichend schlüssig vorgetragen hat. Insbesondere kommt es nicht entscheidend darauf an, dass der Kläger das Schadensereignis nicht näher zeitlich eingrenzen konnte. Da es nach allgemeiner Meinung auf die Ursache für den Glasbruch nicht ankommt (vgl. etwa Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2018, A.2 Kaskoversicherung Rn. 250; Klimke in Prölls/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, A.2.2.2 AKB Rn. 77, jew. m.w.N.), genügt zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs der Nachweis eines Glasbruchschadens, der sich im Allgemeinen anhand des Schadensbildes unproblematisch führen lässt (vgl. Koch aaO Rn. 256 m.w.N.). Soweit das Erstgericht meint, mit Blick auf die Abgrenzung von vorhandenen, nicht versicherten Altschäden an der Windschutzscheibe, sei eine zeitliche Bestimmung des Schadenseintritts notwendig, wird damit nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich gerade Glasbruchschäden an der Windschutzscheibe, die sich aus einem Steinschlag ergeben, häufig erst mit einiger zeitlicher Verzögerung zeigen, etwa in Form von Rissen infolge von Spannungen. Schon deshalb würde es die Anforderungen an einen Erstattungsanspruch überspannen, wenn der Versicherungsnehmer zwar nicht die Ursache des Risses, aber dessen Eintritt genau zeitlich einordnen müsste, wenn zugleich feststeht, dass der Schaden – wie hier – erst zeitnah zur Schadensmeldung bemerkt worden ist.

3. Auch der Einwand der Beklagten, es habe sich nicht um einen Glasbruch i.S.d. AKB 2015 gehandelt, hat sich nach der Beweisaufnahme nicht als durchgreifend herausgestellt.

a) Voraussetzung für einen ersatzpflichtigen Glasschaden ist ein Bruch an der Verglasung des Fahrzeuges. Was unter einem „Bruch“ der Verglasung zu verstehen ist, bestimmt sich entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen danach, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer den Begriff bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. etwa BGH, Urt. v. 26.01.2022 – IV ZR 144/21, VersR 2022, 312 Rn. 10; Urt. v. 9.11.2022 – IV ZR 62/22, juris Rn. 11).

b) Ausgehend vom Sprachgebrauch des täglichen Lebens und nicht etwa einer Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist (BGH, Urteil vom 29. März 2017 – IV ZR 533/15, r+s 2017, 252 Rn. 13 m.w.N.), kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem Begriff „Bruch“ entnehmen, dass die Scheibe nicht notwendigerweise zerbrochen sein muss, da nach allgemeinem Sprachgebrauch auch bereits Einschnitte, Risse oder Sprünge in Scheiben z.B. durch Steinschlag unter den Begriff des Glasbruches fallen. Dagegen fallen bloße Kratzer und Trübungen auf der Oberfläche des Glases nicht unter A.2.2.1.5 S. 1 AKB 2015 (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28. Februar 2020 – 11 U 103/19 –, juris; Koch aaO Rn 251; Klimke aaO Rn. 77; Stadler in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl. 2017 Rn. 271, jew. m.w.N.). Folglich scheiden bloß oberflächliche Beschädigungen an den Fahrzeugscheiben aus, jedenfalls wenn sie ersichtlich keine Auswirkung auf die Verkehrssicherheit haben und ein Austausch der Scheibe in erster Linie aus kosmetischen Gründen erfolgen würde.

c) Im Streitfall liegen die Dinge dagegen anders. Wie die Vernehmung des Zeugen … und die anschließende Begutachtung durch den Sachverständigen … ergeben hat, war die streitgegenständliche Windschutzscheibe durch zahlreiche Steinschläge, darunter 4-5 mindestens 5 mm breite und entsprechend vertiefte, teils mit Schmutz gefüllte Ausbrechungen, beschädigt. Auch wenn daraus zwar noch kein sichtbarer Riss entstanden war und sich auch nicht mit hinreichender Sicherheit prognostizieren ließ, dass ein solcher Riss zeitlich unmittelbar drohte, lagen damit mehrere – wenngleich geringfügige – Aus“brüche“ am Glas vor. Die Anzahl der Steinschläge, deren Intensität sowie deren Verortung im Sichtfeld des Fahrers ließen zudem erkennen, dass die Verkehrssicherheit nicht unerheblich beeinträchtigt und eine Beanstandung im Rahmen der Hauptuntersuchung nicht ausgeschlossen war. Vor diesem Hintergrund diente der Austausch der Scheibe nicht mehr (allein) kosmetischen Gründen, sondern war unter dem Gesichtspunkt der eingeschränkten Verkehrssicherheit angezeigt, zumindest aber aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers vernünftig, zumal eine Reparatur von Steinschlägen im Sichtfeld des Fahrers mit § 40 Abs. 1 StVZO nicht in Einklang zu bringen ist. Er durfte daher davon ausgehen, dass eine solche, in der Summe und Intensität der Steinschläge nicht mehr nur oberflächliche Beschädigung der Scheibe als Glasbruch i.S.d. AKB einzuordnen ist.

4. Weil somit der Versicherungsfall eingetreten ist, war die Beklagte vertraglich zum Ersatz der Scheibe nebst Aus- und Einbaukosten (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. September 2007 – 12 U 107/07 –, juris; Klimke aaO A.2.5 Rn. 19, jew. m.w.N.) abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung von 150 Euro, mithin (1.075,71 – 150 =) 925,71 Euro verpflichtet. Anders als die Beklagte meint, umfasst die Höhe des versicherten Glasbruchschadens auch die unmittelbar mit dem Austausch verbundenen Kosten der fachgerechten Entsorgung (vgl. AltfahrzeugV Anhang Nr. 3.2.3.3 Spiegelstrich 4). Die Zinsforderung ergibt sich aus Verzug, §§ 286 f. BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, 269 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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