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Kaskoversicherung – Überfahren eines Wildschweinkadavers

AG Kaiserslautern, Az.:  4 C 575/13, Urteil vom 11.12.2015

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.747,31 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.01.2013 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin zu Händen der Rechtsanwälte R., einen Betrag in Höhe von 213,31 € für deren außergerichtliche Tätigkeit zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 18% , die Beklagte 82 %.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Kaskoversicherung wegen eines Schadensereignisses am 11.11.2012.

Die Klägerin ist -wie zuletzt (Bl. 269 d.A.) zwischen den Parteien unstreitig – Eigentümerin eines Fahrzeugs der Marke BMW, amtl. Kennzeichen … . Für dies besteht bei der Beklagten eine Teilkaskoversicherung, die auch den Eintritt der Beklagten bei Wildunfällen am versicherten Fahrzeug der Klägerin  abdeckt. Die Klägerin ist Versicherungsnehmerin der Beklagten.

Am 12.11.2012 meldete die Klägerin der Beklagten telefonisch den hier streitgegenständlichen Schadensfall, dessen Ablauf zwischen den Parteien streitig ist. Am 15.11.2012 wurde das Klägerfahrzeug von einem Schadensgutachter der Beklagten begutachtet. Auf Verlangen der Beklagten meldete die Klägerin am 20.11.2012 das mutmaßliche Schadensereignis auch bei der Polizei nach.

Nachdem eine Schadensregulierung seitens der Beklagten nicht erfolgte, wurde sie mehrfach gemahnt, zuletzt durch Anwaltsschriftsatz vom 07.01.2013 unter Fristsetzung zum 20.01.2013. Für die anwaltliche Tätigkeit macht die Klägerin einen Betrag in Höhe von 256,62 € geltend.

Die Klägerin trägt vor, am 11.11.2012 habe der Zeuge K. die A62 Richtung Trier befahren. Zwischen der Abfahrt Bann und dem Hörnchenbergtunnel habe einige Zeit, bevor der Zeuge K. dort angekommen sei, eine Wildschweinrotte die Fahrbahn überquert, wobei 5 Tiere getötet worden seien. Die Kadaver hätten sich zum Zeitpunkt des Eintreffens des Klägerfahrzeugs noch auf der Fahrbahn befunden. Der Zeuge K. habe versucht, diesen auf der Fahrbahn liegenden Kadavern auszuweichen, was ihm jedoch nicht gelungen sei. Daher habe er einen der Kadaver überfahren. Das Klägerfahrzeug sei hierdurch beschädigt worden. Der Zeuge habe das Fahrzeug zwar noch eine kurze Strecke gefahren, dann aber bemerkt, dass es kaum noch lenkbar gewesen sei, weshalb er es habe stehenlassen. Die Schäden in Gestalt von Reparaturkosten beziffert die Klägerin aufgrund eines von der Beklagtenseite eingeholten Gutachtens auf 4.542,98 €. Weitere Schadensereignisse in Gestalt eines Verkehrsunfalles hätten bei dem Unfallfahrzeug nicht vorgelegen. Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten von Vorschäden gesprochen habe, seien dies Gebrauchsspuren. Die Klägerin bestreitet vor dem Hintergrund des unstreitigen Tatbestandes das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung bei der Schadensmeldung.

Die Klägerin beantragt,

1) Die Beklagte wird verurteilt, an sie einen Betrag in Höhe von 4.542,98 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 21.01.2013 zu zahlen.

2) Die Beklagte wird weiter verurteilt, an sie zu Händen der Unterzeichner einen Betrag in Höhe von 256,62 € für die außergerichtliche Tätigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Nachdem sie zunächst die Eigentümerstellung und Aktivlegitimation der Klägerin bestritten hatte, hält sie hieran zuletzt nicht mehr fest. Sie bestreitet jedoch, dass das Klägerfahrzeug zur Unfallzeit am Unfallort gewesen sei sowie dessen Beteiligung am Unfallgeschehen. Ferner bestreitet sie, dass die Klägerseite behaupteten Schäden am Fahrzeug von diesem mutmaßlichen Unfallgeschehen stammen. Am Fahrzeug seien keine Haarwildspuren festgestellt worden, als es durch die Beklagte begutachtet worden sei. Ferner sei es nicht möglich, dass die festgestellten Schäden vom Überfahren eines Tierkadavers herrühren könnten. An dem Klägerfahrzeug hätten ferner Vorschäden aus früheren Schadensereignissen vorgelegen, zu denen die Klägerin nicht vorgetragen habe. Nicht zuletzt beruft sich die Beklagte darauf, dass die Klägerin ihren Aufklärungs- bzw. Mitteilungspflichten nicht nachgekommen sei, da sie den Sachschaden erst zwei Tage nach dem mutmaßlichen Unfallgeschehen gemeldet habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen K., C., W., H. und Sch. sowie durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-ing. F, das dieser mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens vom 06.06.2015 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 20.11.2013 sowie vom 26.10.2015 verwiesen. Die Parteien haben nach Richterwechsel der Verwertung der Zeugenaussagen durch die nunmehr entscheidende Richterin im Wege des Urkundsbeweises mit Schriftsätzen vom 23.09.2015, Bl. 259 d.A. und vom 17.09.2015, Bl. 265 d.A. zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet. Die Klägerin hat wegen des Schadensereignisses vom 11.11.2012 einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des tenorierten Betrages aus dem zwischen ihnen  bestehenden Teilkaskoversicherungsvertrag.

1) Unstreitig besteht zwischen den Parteien o.g. Teilkaskovertrag, der ebenso unstreitig Wildunfallschäden abdeckt. Hieraus ergibt sich der Anspruch der Klägerin.

2) Es steht darüber hinaus zur gem. § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit des Gerichts fest, dass sich ein Wildunfall ereignet, dass der Zeuge K. mit dem Klägerfahrzeug am 11.11.2012 über einen Wildschweinkadaver gefahren ist, wobei die in dem Gutachten des Sachverständigen F. festgehaltenen Schäden am Klägerfahrzeug entstanden sind. Vorschäden aus vergangenen Unfällen liegen nach Überzeugung des Gerichts nicht vor, vielmehr handelt es sich bei den sachverständigerseits festgestellten „Vorschäden“ um normale Gebrauchsspuren. Auch eine Verletzung der Obliegenheiten oder ein Mitverschulden der Klägerin als der Versicherten vermag das Gericht nicht zu erkennen, so dass die Klage in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe begründet ist. Im Einzelnen gilt Folgendes:

a) Das Gericht ist zunächst überzeugt, dass sich ein Wildunfall am streitgegenständlichen Tag auf der von dem Klägerfahrzeug befahrenen A 62 ereignet hat. Der Zeuge Sch. hat bei seiner Vernehmung am 20.11.2013 (Protokoll der mündlichen Verhandlung dieses Tages ab Bl. 69 d.A.) angegeben, er sei als aufnehmender Polizeibeamter zu einem Wildunfall gerufen worden, bei dem 5 Tiere überfahren worden seien, die dann durch die Polizei von der Straße gezogen worden seien. Auch die Zeugen H. haben bei ihrer Vernehmung an vorgenanntem Tag angegeben, sie seien als Unfallbeteiligte in die Wildschweine „hineingefahren“, woraus ebenfalls zu folgern ist, dass die verletzten oder verendeten Tiere auf der Straße liegen blieben. Mit vorstehenden Zeugenaussagen in Einklang steht auch die Aussage des Zeugen W. vom 20.11.2013, der an einem Wildunfall zur streitigen Zeit am streitigen Ort beteiligt war und ebenfalls von mindestens zwei auf der Straße liegenden Wildschweinen sprach. Die Aussagen der vier unabhängigen Zeugen H., Sch. und W. stehen miteinander in Einklang und sind auch in sich schlüssig. Die Zeugen waren sämtlich am Rechtsstreit unbeteiligt und haben keinerlei Interesse an dessen Ausgang. Mithin steht aufgrund des Inhalts von deren Aussagen, die das Gericht mit Erlaubnis der Parteien im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat, zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es am streitgegenständlichen Tag einen Wildunfall auf der A 62 gegeben hat.

b) Weiter steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Zeuge Mehmet K. kurz nach dem Unfallgeschehen mit dem Klägerfahrzeug über eines der auf der Autobahn liegenden Wildschweinkadaver gefahren ist. Die Zeugen H., Sch. und W. haben unabhängig voneinander am 20.11.2013 bei ihrer Vernehmung angegeben, dass auch nach dem Unfallgeschehen noch weitere Fahrzeuge die Unfallstelle passierten. Der Zeuge W. gab an, bei einem der passierenden Fahrzeuge habe man „noch was hören“ können. Dies erweist, dass es nach dem Unfallgeschehen noch weiteren Verkehr an der Unfallstelle gab, die Strecke also nicht etwa unmittelbar nach dem Geschehen unpassierbar gewesen wäre.

Dass gerade der Zeuge K. mit dem Klägerfahrzeug über einen der Wildschweinkadaver gefahren ist, steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Aussage der Zeugen K. und C.. Beide waren Insassen des Klägerfahrzeugs bei dem streitigen Geschehen und gaben übereinstimmend bei ihren Vernehmungen am 20.11.2013 an, der Zeuge K. sei bei seiner Fahrt über etwas drüber gefahren. Die Zeugin C. sprach von einem Knall, den es dabei gegeben habe. Beide konnten nicht angeben, dass Tiere auf der Fahrbahn gelegen haben, was aber aus Sicht des Gerichts auch nicht zwingend der Fall gewesen sein muss. Die Zeugin C. sass hinten im Fahrzeug, so dass ihre Sicht auf die Straße ohnehin zumindest stark eingeschränkt war. Der Zeuge K. war zwar Führer des Klägerfahrzeugs mit freier Sicht auf das Geschehen auf der Straße, jedoch gab er -für das Gericht nachvollziehbar- an, er habe aufgrund des plötzlichen Erscheinens des Hindernisses nicht sehen können, was es gewesen sei („Ich hab dann plötzlich einen Berg vor uns gesehen“). Aufgrund der Tatsache, dass der Zeuge sich mit einer Geschwindigkeit zwischen 80 und 140 km/h dem Geschehen annäherte und hiermit nicht rechnete, erscheint dies dem Gericht nachvollziehbar. Zudem stehen die Angaben der Zeugen K., C., W., H. und Sch. miteinander in Einklang. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass der Zeuge K. im Klägerfahrzeug über einen auf der Straße liegenden Wildschweinkadaver gefahren ist.

c) Auch die Tatsache, dass die klägerseits behaupten Schäden am Fahrzeug bei gerade diesem Ereignis entstanden sind, steht zur Überzeugung des Gerichts insbesondere aufgrund der Aussage der Zeugen K. und C. sowie nach den Ausführungen des Sachverständigen F. fest.

Der Zeuge K. hat bei seiner Vernehmung vom 20.11.2013 angegeben, er habe als Führer des Klägerfahrzeugs nachdem er über o.g. „Berg“ gefahren sei, das Klägerfahrzeug zunächst angehalten. Als er dann weitergefahren sei, habe er Probleme beim Bremsen und Lenken bemerkt. Diese Angaben bestätigte und präzisierte er bei seiner Vernehmung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26.10.2015, bei der er noch angab, er habe bemerkt, dass die Reifen am Blech gerieben hätten, wodurch Geruch entstanden sei. Dieser Eindruck der „reibenden“ Reifen habe sich dann einige Kilometer weiter, nachdem er von der Autobahn abgefahren sei, bei einem Bremstest bei geringer Geschwindigkeit, bei dem die Klägerin aus dem Fahrzeug ausgestiegen war und den Vorgang von außen beobachtet hatte, bestätigt.

Die Angaben des Zeugen K. in den beiden Verhandlungsterminen sind in sich schlüssig und stehen auch miteinander in Einklang in der Art, dass der Zeuge die Angaben aus der Vernehmung im Jahr 2013 bei seiner späteren Vernehmung auf zielgerichtete Fragen hin vertieft und präzisiert hat. Mit seinen Angaben in Einklang steht auch die Aussage der Zeugin C., die angegeben hat, das Fahrzeug habe sich nicht anhalten und lenken lassen, so dass der Zeuge K. es ganz vorsichtig habe zum Stehen bringen müssen.

Nicht zuletzt stehen die Schilderungen der Zeugen auch mit den objektiven Feststellungen des Sachverständigen F. in Einklang und werden von dessen Ausführungen ergänzt. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 06.06.2015 (Bl. 152 ff.d.A.) nachvollziehbar ausgeführt, die an dem Klägerfahrzeug festgestellten Schäden (mit Ausnahme von Verschürfungen im Eck- und Frontmittenbereich der Unterkante des Stoßfängers, vgl. hierzu unten) ließen einen Anstoß der vorderen rechten Fahrzeugecke mit einem „weichen“ Gegenstand oder Tier rekonstruieren. Der Reifen und die Felge vorne rechts seien hierbei nicht beschädigt worden, was gerade darauf hindeute, dass kein festes, sondern ein weiches Hindernis vorgelegen habe, das das Klägerfahrzeug „weggeschoben“ habe (vgl. mündliche Erläuterung des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2015, Bl. 275 d.A.). Durch den Anstoß sei möglicherweise der Stoßfänger im unteren Bereich zerbrochen. Es sei jedenfalls der Temperaturfühler aus der Halterung gebrochen. Durch den Anstoß des rechten Vorderrades gegen das Hindernis habe eine erhebliche Krafteinwirkung auf den unteren Querlenker gewirkt, der beschädigt worden sei, was der Sachverständige näher ausführt (Bl. 184 d.A.). Durch die Beschädigung des Querlenkers sei die Lenkung des Fahrzeuges stark beeinträchtigt gewesen. Somit stehen die objektiven Beweisergebnisse des Sachverständigen insoweit mit den Angaben der Zeugen K. und C. in Einklang. Der Sachverständige erklärte weiter, es habe nicht zwingend ein Überrollen des Kadavers stattfinden müssen, sondern das Schadensbild sei auch durch ein Wegschieben des Tieres erklärbar.

 

In seiner mündlichen Erläuterung des Gutachtens in der Verhandlung vom 26.10.2015 (Bl. 276 d.A.) hat der Sachverständige nochmals betont, dass der Unfallablauf wie klägerseits geschildert im Einklang mit dem Schadensbild zu bringen sei. Insbesondere habe o.g. Schadensbild dazu führen müssen, dass das Fahrzeug nach dem Unfall Probleme beim Bremsen und Lenken bereitete. Auf Frage des Gerichts gab er an, dass eine Weiterfahrt nach dem Unfall auf der von dem Zeugen beschriebenen Strecke in der von diesem beschriebenen langsamen und vorsichtigen Fahrweise noch möglich sei, womit also auch die Schilderung des Zeugen, er habe das Fahrzeug nach dem Unfall noch einige Kilometer weiter bewegt, aus technischer Sicht plausibel ist. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass die Angaben des Zeugen auch dadurch plausibel seien, dass aufgrund der Weiterfahrt die äußere Reifenschulter abgerieben und die Radlaufschale durchgeschliffen gewesen sei, was mit einer Weiterfahrt trotz des vorbeschriebenen Schadensbildes in Übereinstimmung stehe.

Das Gericht schließt sich den nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen nach eigener Prüfung vollständig an.

Nach vorstehenden Umständen steht es somit zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die streitgegenständlichen Schäden auf den o.g. Unfall zurückzuführen sind.

d) Bezüglich der Schadenshöhe ist allein der austenorierte Betrag erforderlich, um den Schaden zu beheben, so dass die Klägerin auch nur Anspruch hierauf hat. Das Gericht schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten (dort ab S. 33, Bl. 185 ff. d.A.) nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Im Hinblick auf die Abzüge die der Sachverständige vorgenommen hat, sind auch diese für das Gericht schlüssig und nachvollziehbar. Die Klägerin bleibt im Hinblick auf evtl. Schäden an der A-Säule (vgl. S. 34 d. Gutachtens), einer Erneuerung des ABS-Sensors und des Federbeins beweisfällig.

Soweit der Sachverständige einen Abzug wegen „Vorschäden“ am vorderen Stoßfänger vorgenommen hat, so erschließt sich dies dem Gericht zum einen, da diese Beschädigungen unspezifisch und nicht eindeutig dem Unfallgeschehen zuzuordnen sind. Zum anderen liegt nach Auffassung des Gerichts kein „Vorschaden“ am Stoßfänger insoweit vor, als dass es sich zwingend um einen Unfallschaden handelt. Der Beklagten ist zuzugeben, dass nach der herrschender Rechtsprechung (vgl. KG Berlin, Hinweisbeschluss vom 22.03.2010, Az. 12 U 128/09; LG Hagen, Urteil vom 15.06.2012, Az. 9 O 298/11- abgedruckt in NZV 2013, 446; KG Berlin, Beschluss vom 31.07.2008, Az. 12 U 137/08; OLG Köln, Beschluss vom 08.04.2012, Az. 11 U 214/12- abgedruckt in NZV 2013, 445; KG Berlin, Beschluss vom 06.06.2007, Az. 12 U 57/06-zitiert nach juris) hat im Falle von unstreitigen oder bewiesenermaßen vorliegenden Vorschäden im Schadensbereich des nunmehr streitgegenständlichen Unfallgeschehens der Geschädigte darzulegen hat, dass jene mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Eintritt des neuen Schadensfalles fachgerecht beseitigt worden sind. Dies gilt insbesondere bei Überlappung der Schadensbereiche. Diese Rechtsprechung findet vorliegend jedoch keine Anwendung. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen ist das Gericht bereits nicht davon überzeugt, dass am Stoßfänger Vorschäden im Sinne von Altunfallschäden vorlagen. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es sich bei diesen „Vorschäden“ in Form von Verschrammungen um unspezifische Beschädigungen handelt, die auch durch ein späteres Überfahren oder Anfahren eines Bordsteins beruhen können. Der Sachverständige hat lediglich festgehalten, dass er diese Beschädigungen dem Unfallgeschehen nicht zwingend zuordnen konnte, da eine zeitnahe Untersuchung des Fahrzeugs nicht möglich war. Mithin greift o.g. Rechtsprechung nicht ein. Die Klägerin trifft mithin keine Pflicht zu weiterem Vortrag als erfolgt zur Frage von Vorschäden bzw. deren Reparatur.

e) Soweit sich die Beklagte auf eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin beruft, da diese eine Feststellung der Schäden nicht zeitnah ermöglicht, sondern den Schaden erst zwei Tage nach dem Unfalldatum gemeldet habe, so vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Die Klägerin als Versicherungsnehmerin trifft gem. § 30 Abs. 1 S. 1 VVG die Pflicht, den Eintritt des Versicherungsfalls unverzüglich anzuzeigen. Für den Begriff der Unverzüglichkeit gilt die Definition des § 121 Abs. 1 BGB, mithin „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. Prölss/Martin, VVG, 29. Auflage 2015, § 30, Rdnr. 6 f.). Das Vorliegen einer vertraglich vereinbarten Frist ist beklagtenseits nicht vorgetragen, so dass es bei der Frage des schuldhaften Zögerns der Klägerin verbleibt. Die Unverzüglichkeit der Anfechtung verlangt nicht, dass sofort – also etwa noch am Tag der Kenntniserlangung vom Anfechtungsgrund – angefochten werden muss. Bei der Feststellung der Unverzüglichkeit sind vielmehr die berechtigten Belange der Beteiligten angemessen zu berücksichtigen (OLG Hamm NJW 2012, 1156): Einerseits gebietet es schon das allgemeine Rechtsschutzinteresse, den Erklärungsgegner nicht länger als unvermeidlich im Ungewissen zu lassen; andererseits ist dem Erklärenden aber auch ein je nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessender Zeitraum (Prüfungs- und Überlegenszeit) zuzubilligen, damit er seine Entscheidung überdenken kann (BGH NJW 2012, 3305, 3306 NJW 2008, 985, 986 NJW 2005, 1869). Die zeitliche Obergrenze für eine (gerade noch) unverzügliche Erklärung wird deshalb von der herrschenden Rechtsprechung bei einer maximalen Zeitdauer von höchstens zwei Wochen zwischen Kenntniserlangung  Abgabe der Erklärung liegen (vgl. BAG NJW 1991, 2723; BGH NJW 1980, 1302; OLG Hamm NJW-RR 1990, 523). In besonders gelagerten Ausnahmefällen (zB bei plötzlicher schwerer Erkrankung oder längerer Handlungsunfähigkeit nach einem Unfall) muss allerdings auch eine längere Frist in Betracht gezogen werden; idR wird die Zeitspanne jedoch deutlich kürzer zu bemessen sein. Im Hinblick auf die kurze Frist von (nach Beklagtenvortrag) nur zwei Tagen sieht das Gericht kein schuldhaftes Zögern der Klägerin gegenüber der Beklagten im Hinblick auf die Mitteilung des Versicherungsfalles, zumal die Klägerin (was zwischen den Parteien unstreitig geblieben ist) auch vorgetragen hat, sie habe direkt am Morgen nach dem Unfallgeschehen bei der Beklagten angerufen, wo man ihr mitgeteilt habe, man wolle einen Gutachter schicken. Dass dies dann bis zum 15.11.2012 (von diesem Tag datiert das Gutachten, Bl. 5 ff.d.A.) unterblieben ist, liegt in der Sphäre der Beklagten und ist der Klägerin nicht anzulasten. Die Frage der Schadensmeldung bei der Polizei am 20.11.2012 ist für die Beurteilung der Voraussetzungen nach § 30 VVG ohne Belang.

f) Ein Mitverschulden der Klägerin bzw. des Zeugen K. dahingehend, dass letzterer das Fahrzeug nach dem Unfall weiter gefahren hat und das zu einer Anspruchsminderung nach § 254 BGB führen würde, ist vorliegend nicht gegeben. Der Sachverständige hat nachvollziehbar angegeben, dass das Fahrzeug sich trotz vorliegenden Schadens bei langsamer und vorsichtiger Fahrweise noch fahren und lenken und die vom Zeugen K. beschriebene Strecke zurücklegen ließ. Der Zeuge K. hat nachvollziehbar angegeben, dass er die schwere Lenkbarkeit des Klägerfahrzeugs erst einige Zeit nach der Kollision, nämlich beim Abfahren von der Autobahn bemerkte. Dies, obwohl er bei stehendem Fahrzeug einen „Lenktest“ durchgeführt hatte. Soweit der Zeuge das Fahrzeug dann von der Autobahn gefahren und einige Kilometer weiter angehalten hat, ist dies nicht zu beanstanden. Dem Gericht ist die Örtlichkeit an dieser Stelle bekannt. Es ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten schwierig, wenn nicht gar unmöglich, mit einem schwer lenkbaren Fahrzeug an einer Stelle anzuhalten, die sich vor der von dem Zeugen K. beschriebenen Stelle befindet. Soweit das Klägerfahrzeug mithin noch die beschriebene Strecke zurückgelegt hat, ist dies nicht zu beanstanden und führt aus Sicht des Gerichts auch nicht zu einem Mitverschulden.

Somit steht der Klägerin der tenorierte Betrag aufgrund des Teilkaskoversicherungsvertrages mit der Beklagten zu. Soweit sie weitere Beträge geltend macht, die sich aus dem Schadensgutachten der Beklagten ergeben, so bleibt sie diesbezüglich beweisfällig. Die Klage ist insoweit abzuweisen.

3) Die Klägerin hat unter dem Gesichtspunkt des Verzuges auch einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten, wenn auch nicht in der beantragten Höhe von 256,62 €, sondern lediglich in der tenorierten Höhe.

Die Beklagte wurde vor dem Schreiben vom 07.01.2013 unstreitig mehrfach zur Schadensregulierung angemahnt, so dass sie sich bereits vor dem 07.01.2013 mit der Regulierung o.g. Schadens in Verzug befand. Damit ist das Anwaltsschreiben vom 07.01.2013, für das Kosten geltend gemacht werden, erstellt worden, während sich die Beklagte bereits in Verzug befand, so dass die Kosten hierfür als Verzugsschäden ersatzfähig sind.

Jedoch sind nicht die beantragten Kosten, sondern ein geringerer Betrag wie tenoriert ersatzfähig, da der Berechnung der Anwaltskosten lediglich ein Gegenstandswert von bis zu 4.000,00 € zugrunde zu legen ist. Es gilt die Gebührentabelle aus Anlage 2 zum RVG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Hieraus ergibt sich folgende Berechnung:

0,65 Geschäftsgebühren gem. Ziff. 2300 VV RVG    159,25 €

Porto- und Telekommunikationspauschale gem. Ziff. 7002 VV RVG    20,00 €

Gesamt netto      179,25 €

Umsatzsteuer 19% gem. Ziff. 7008 VV RVG      34,06 €

Gesamt brutto      213,31 €.

Diesen Betrag schuldet die Beklagte der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Ersatzes außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 288, 291 BGB.

4) Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ZPO. § 92 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO findet vorliegend entgegen der Auffassung der Klägerin keine Anwendung mit der Folge, dass die Kosten verhältnismäßig zu teilen und nicht vollständig der Beklagten aufzuerlegen sind.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO, für die Klägerin aus § 709 S. 2 ZPO.

Beschluss: Der Streitwert wird auf 4.542,98 € festgesetzt.

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