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Kaskoversicherung – Obliegenheitsverletzung bei Verkehrsunfallflucht

LG Schweinfurt – Az.: 22 O 748/15 – Urteil vom 13.04.2017

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.300,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %- Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.03.2015 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.019,83 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.02.2016 zu bezahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

5. Der Streitwert wird auf 9.300,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Versicherungsleistung aus dem zwischen ihnen bestehenden Versicherungsvertragsverhältnis.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Kaskoversicherung für sein Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen N… eine Vollkaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 300 Euro.

Der Kläger kam am 29.01.2015 mit seinem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug auf schneeglatter Fahrbahn von der Fahrbahn ab. Das Fahrzeug rutsche eine Böschung herab und prallte gegen eine Esche, wo es zum Stehen kam. Im Fahrzeug befanden sich die drei Kinder des Klägers.

Der Kläger beauftragte die Bergung des Fahrzeugs, die eine Stunde später den Abschleppvorgang ausführte. Die Polizei wurde nicht hinzugezogen.

Im Rahmen der Schadensabwicklung wurde mit der Straßenmeisterei Gersfeld Kontakt aufgenommen. Diese veranlassten eine Besichtigung des Baumes und stellten fest, dass ein Schaden am Baum nicht entstanden war und keine Wiederherstellungskosten oder Behandlungskosten angefallen seien. Die geltend gemachten Kosten in Höhe von 82,82 € ergaben sich aus den Aufwendungen für die Begutachtung.

Bei Reparaturkosten von 17.567,64 €, einem Wiederbeschaffungswert von 15.500 € bei einem verbleibenden Restwert von 5.990,00 € ist am Fahrzeug ein wirtschaftlicher Totalschaden entstanden.

Die Beklagte lehnte eine Regulierung ab.

Der Kläger trägt vor, er habe seine versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nicht verletzt. Es sei allenfalls ein geringer Fremdschaden entstanden. Auf den im Prozess vorgelegten Fotos sei lediglich ersichtlich, dass etwas Rinde vom Baum abgeplatzt sei. Dies für von ihm nachvollziehbar nicht als zumindest bemerkenswerter Fremdschaden gewertet worden.

Der Kläger habe im entscheidenden Zeitraum keinen Alkohol zu sich genommen. Die Tatsache, dass er mit seinem Kinder unterwegs gewesen sei, dürfe schon indiziell für seine absolute Nüchternheit gelten.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass eine Verpflichtung, die Polizei hinzuzuziehen, nicht bestehe. Darüber hinaus gelte die Wartepflicht am Unfallort nur und solange dies zumutbar sei. Die Klausel sei intransparent, da sie nicht erkennen lasse, welche erforderlichen Feststellungen und durch wen getroffen werden müssten. Selbst bei einer grob fahrlässigen Begehungsweise wäre die Beklagte lediglich zur Quotelung berechtigt.

Der Kläger begehrt mit der Klage die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9.300,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.03.2015 zu zahlen;

die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.019,83 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.02.2016 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe seine Obliegenheiten verletzt. Er habe mitgeteilt, dass ein Fremdschaden nicht eingetreten sei. Ein erheblicher Fremdschaden sei aber vorhanden und erkennbar gewesen. Am Baum sei ein Schaden von circa 3.000 € brutto entstanden, so dass die Hinzuziehung der Polizei unbedingt erforderlich gewesen sei. Der Versicherte sei verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein könnte.

Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die Straßenmeisterei unverzüglich informiert worden sei und von dort die Auskunft erhielt, dass am Baum kein Schaden entstanden sei, dass sich die E-Mail auf den streitgegenständlichen Unfall beziehe und die Auskunft, dass kein größerer Schaden am Baum entstanden sei, richtig ist.

Die Lichtbilder (Anlage B… 2 und B… 3) belegten eindrucksvoll, dass sich ein Fremdschaden am Baum geradezu aufgedrängt habe und dem Kläger nicht habe entgehen können. Ein Blick auf die Fotos mache wohl hinreichend deutlich, dass niemand bei einem Unfall dieser Größenordnung davon ausgehen dürfe, dass er sich ohne Meldung des Unfallgeschehens an einer öffentlichen Stelle einfach entfernen dürfe.

Dennoch habe er die Polizei nicht verständigt, so dass vor Ort auch keine Feststellungen zur tatsächlichen Unfallursache und zur Fahrtüchtigkeit des Klägers getroffen worden seien.

Dies sei für die Feststellungen der Beklagten insoweit relevant, als die vom Kläger angegeben Unfallursache zwar grundsätzlich plausibel sei, ebenso gut könne jedoch eine Alkoholisierung ursächlich für den Schaden gewesen sein, was eine Leistungspflicht der Beklagten nach § 81 VVG begründen würde. Der Tatbestand einer leistungsbefreienden Obliegenheitsverletzung gemäß E 1.3 AKB i.V.m. § 28 VVG sei insoweit zweifelsfrei erfüllt. Der Kläger habe vorsätzlich gehandelt.

Die Beklagte macht geltend, die Aufklärungspflicht reiche weiter als der Straftatbestand des § 142 StGB.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen C. . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahmen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 02.08.2016 Bezug genommen.

Das Gericht hat weiter Beweis erhoben durch Erholung eines Gutachtens des Sachverständigen S. vom 06.02.2017. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.08.2016 verwiesen.

Die Parteien haben sich mit Schriftsatz vom 15.03.2017 und vom 28.03.2017 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

1. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Versicherungsleistung in Höhe von 9.300 € aus dem zwischen ihnen bestehenden Versicherungsvertrag.

a.) Am Baum ist kein feststellbarer Fremdschaden entstanden. Dies hat die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts ergeben. Auch das erholte Sachverständigengutachten hat keinen nennenswerten Schaden ergeben.

aa.) Der Kläger führte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung aus, das Fahrzeug sei nicht am Baum mit einem lauten Knall abrupt stehen geblieben, sondern es habe sich beim Rutschen auf dem Hang ja schon verlangsamt und sei dort quasi hängengeblieben.

Jedenfalls sei es so gewesen, dass nicht einmal die Airbags ausgelöst hätten.

bb.) Der Zeuge C. bekundete im Rahmen seiner Vernehmung, er habe am Baum keinen Schaden festgestellt, der dazu führen würde, dass er entfernt werden müsste. Es sei auch kein landschaftsrelevanter Baum, sondern ein Baum, der am Waldrand stehe. Es handele sich um eine 35 bis 40 cm ca. starke Esche. Er habe dann entschieden, dass hinsichtlich dieses Baumes keine Maßnahmen erforderlich seien. Deshalb habe sich die aufgestellte Summe allein auf die Fahrzeit zur Feststellung bezogen. Dieser Baum, um den es hier konkret gehe, der sei aber nur in sehr geringer Art und Weise beschädigt, so dass er sagen würde, das steckt er locker weg.

Zum Zustand des Baumes jetzt könne er sagen, dass es das allgemeine Auftreten von Eschentriebsterben gebe, welches durch einen Pilz verursacht werde, der einen Befall im Juni/Juli zeige. Das sei auch bei dieser Esche der Fall, wobei man aus seiner Sicht nicht sagen könne, dass es etwas mit diesem Anfahrschaden zu tun habe. Der Baum sei auch in verschiedenerlei Hinsicht beeinträchtigt: Zum einen durch sein nahen Standort zur Straße, so dass auch das Streusalz von der Straße auf ihn einwirke, zum anderen durch den genannten Pilz und dann hinzukommend noch durch den streitgegenständlichen Anfahrschaden.

cc.) Der Sachverständige S. führt in seinem Gutachten aus, die Vorschadensbilanz könne als erheblich eingestuft werden. Der fallgegenständliche Baum sei Bestandteil des Waldes und als Waldbaum Teil einer Produktionsstätte für Holz. Der streitgegenständliche Baum sei von erheblichen Mängeln geprägt, welche aufgrund einer urbanen Wertberechnung einen Totalschaden bedeuten würde. Diese Maßstäbe hätten erst recht zu gelten, wenn der fallgegenständliche Waldbaum anhand seines Ertragswertes berechnet werde.

Aufgrund der massiven Vorschäden (Anfahrschäden als auch wuchsbedingte Strukturschäden) habe die Esche vor dem streitgegenständlichen Unfallereignis den Wert von Brennholz. Der durch den streitgegenständlichen Unfall zugeführte Schaden habe den Wert des Brennholzes nicht verändert.

Sie habe daher keinen Schaden von 3.000 € erlitten. Die Esche habe selbst als vollkommen intakter Waldbaum keinen Baumwert von 3.000 €.

b.) Die streitgegenständliche Klausel im Versicherungsvertrag ist nicht unwirksam. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nicht intransparent ist, sondern eine zulässige und erforderliche Verallgemeinerung enthält.

c.) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht aber davon überzeugt, dass die Erkennbarkeit eines Schadens, der ein Ausmaß erreicht, der den Kläger zu weiteren Maßnahmen zur Ermöglichung von Feststellungen hätte veranlassen müssen, im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Die Erkennbarkeit ist vom Versicherer zu beweisen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 05.06.2008 – 12 U 13/08 = NJW-RR 2008, 1248; Prölss/Martin – Knapmann, Versicherungsvertragsgesetz, AKB 2008 E.2, Rn 55). Ein Fremdschaden entfällt auch dann, wenn der Schaden so gering ist, dass mit Ansprüchen Dritter nicht gerechnet werden muss.

aa.) Der Berechtigte hat – außer Feststellungskosten – keinen Schaden geltend gemacht. Der Zeuge C. hat die für die Abwägung maßgeblichen Gesichtspunkte auch plausibel und nachvollziehbar erläutert.

bb.) Der Sachverständige hat für das Gericht nachvollziehbar und unter Berücksichtigung anderweitiger Feststellungen in einem Privatgutachten ausgeführt, dass ein Schaden nicht entstanden ist. Dem schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung an.

d.) Die Beklagte kann auch nicht mit dem Vortrag gehört werden, die Frage der Schädigung könne vom Kläger aus eigener Anschauung nicht beurteilt werden. Wenn der Zeuge der Straßenmeisterei und der gerichtliche Sachverständige jedoch keinen Schaden am Baum selbst feststellen können, kann eine solche Vermögenseinbuße aber nicht im Sinne der Versicherungsbedingungen „erkennbar“ sein. Ein nicht bestehender Schaden ist keinesfalls „erkennbar“. Der Kläger hat keine versicherungsrechtliche Obliegenheit verletzt.

Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung der Sichtbedingungen am Unfallort zur Unfallzeit und bei Würdigung der winterlichen Bedingungen neben der Straße.

2. Der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus § 280 I, II; 286, 288 BGB.

Die Klage hat damit vollumfänglich Erfolg.

II.

1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.

III.

Die Entscheidung zum Streitwert folgt aus § 3 ZPO i.V.m. §§ 48 I 1, 63 II GKG.

 

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