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Kaskoversicherung – Nichtanzeige Überschreitung der Jahresfahrstrecke

LG Koblenz – Az.: 16 S 2/21 – Urteil vom 01.09.2021

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 16.12.2020, Az. 23 C 193/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Kaskoversicherung - Nichtanzeige Überschreitung der Jahresfahrstrecke
(Symbolfoto: Everyonephoto Studio/Shutterstock.com)

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zahlung von 500 € als Vertragsstrafe nach K. 4. 4. ihrer AKB (Anlage 4). Zwischen den Parteien besteht seit 2017 ein Kaskoversicherungsvertrag, in dem zur Beitragsabrechnung eine maximale Fahrleistung von 15.000 Km pro Jahr vereinbart ist. Diese Jahresfahrleistung wurde vom Beklagten überschritten, was erst im Zuge der Regulierung eines Schadens durch die Klägerin zu Tage trat. Die Klägerin hatte den Beklagten vorgerichtlich erfolglos zur Zahlung einer Vertragsstrafe von 500 € aufgefordert.

Die Klägerin hat vor dem Amtsgericht Westerburg beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 500 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2019 zu verurteilen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen des sonstigen erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die in K. 4. 4 der AKB vereinbarte Vertragsstrafe zum Nachteil des Versicherungsnehmers von den gesetzlichen Bestimmungen über die Gefahrerhöhung (§§ 19 ff. VVG) abweiche und die Klägerin als Versicherer den Anforderungen gem. § 32 VVG Genüge getan habe, indem sie die Vertragsstrafe nur bei einem schuldhaften Nichtanzeigen vorsehe; die Vertragsstrafenregelung sei jedenfalls unter Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S.1, Abs. 2 Nr.1 BGB unwirksam, weil sie den Versicherungsnehmer unangemessen benachteilige, indem sie unverhältnismäßig hoch festgesetzt sei.

Gegen dieses Urteil, dass der Klägerin am 18.12.2020 zugestellt worden ist, hat die Klägerin mit einem am 15.01.2021 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 18.03.2021 begründet.

Die Klägerin meint, die Regelung in K.4.4 AKB stütze sich auf die Musterbedingungen des GDV und sei nicht zu beanstanden; das Amtsgericht habe insbesondere den wesentlichen Umstand übersehen, dass die Vertragsstrafe nicht für das Überschreiten der entsprechenden Kilometerlaufleistung angesetzt werde, sondern für das Ausbleiben der Anzeige.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2019 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seiner erstinstanzlichen Argumentation.

Mit Beschluss vom 15.06.2021 (Bl. 34 d.A.) hat das Gericht mit Zustimmung der Parteien das schriftliche Verfahren angeordnet. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, wurde der 13.07.2021 bestimmt. Mit Verfügung vom 26.07.2021 (Bl. 37 GA) wurde die Frist zur Stellungnahme für beide Parteien auf den 02.08.2021 verlängert.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1.

Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Kammer teilt die Einschätzung des Amtsgerichts, dass die streitgegenständliche Vertragsstrafenregelung jedenfalls unter Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S.1, Abs. 2 Nr.1 BGB unwirksam ist, weil sie den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt, indem sie unverhältnismäßig hoch festgesetzt ist.

a)

Zu Recht weist das Amtsgericht darauf hin, dass eine Regelung dann unangemessen im Sinne der Norm ist, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, NJW 2000, 1110-1112), der Angemessenheitsprüfung ein generalisierender, überindividueller Prüfungsmaßstab und eine von den Besonderheiten des Einzelfalls losgelöste typisierende Betrachtungsweise zu Grunde zu legen ist (vgl. BGH, NJW 2012, 2107) und eine Vertragsstrafe insbesondere dann unangemessen ist, wenn die Sanktion außer Verhältnis zum Gewicht des Verstoßes und zu seinen Folgen für den Vertragspartner steht (vgl. BGH, NJW 1997, 3233, 3234).

Im Hinblick auf die vorzunehmende Angemessenheitsprüfung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Entscheidungsgründe in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

b)

Ergänzend weist die Kammer auf Folgendes hin:

Da die zu Grunde gelegte Fahrleistung mit Prämienvorteilen korrespondiert, muss der Versicherungsnehmer damit rechnen, dass eine Änderung der Bemessungsgrundlagen für die Prämienberechnung durch eine Erhöhung des Risikos infolge einer erhöhten Fahrleistung zu einer Kompensation zu Gunsten des Versicherers und der durch diesen vertretenen Versichertengemeinschaft führt. Darin ist grundsätzlich auch keine unbillige Sanktion zu erblicken, da es ansonsten jedem Versicherungsnehmer risikolos möglich wäre, zu Lasten der Versichertengemeinschaft bei Antragstellung unangemessene niedrige Jahreskilometerangaben zu machen, um eine möglichst niedrige Versicherungsprämie zahlen zu müssen (so auch: LG Dortmund NJW-RR 2009, 249). Die Kammer verkennt auch nicht, dass eine Vertragsstrafe in pauschaler Höhe von 500 EUR bei Überschreitung der in der Kaskoversicherung vereinbarten Laufleistung von der Rechtsprechung in der Vergangenheit schon als angemessen eingestuft worden war (vgl. AG Leutkirch VersR 2009, 1398; AG Heidenheim VersR 2009, 628) und eine Vertragsstrafe grundsätzlich auch in Übereinstimmung mit den Musterbedingungen des GDV steht.

Allerdings weicht die hier streitgegenständliche Regelung – ganz erheblich – von den Musterbedingungen des GDV ab.

Ziffer K.4.4 der Musterbedingungen (vgl. etwa Prölss/Martin/Klimke, 31. Aufl. 2021, AKB 2015 Abs. K_4 K.4) lautet:

„Haben Sie vorsätzlich unzutreffende Angaben gemacht oder Änderungen vorsätzlich nicht angezeigt und ist deshalb ein zu niedriger Beitrag berechnet worden, ist zusätzlich zur Beitragserhöhung eine Vertragsstrafe in Höhe von … zu zahlen.“

Die streitgegenständliche Regelung lautet nach den Feststellungen des Amtsgerichts in Ziffer K 4.4, an die die Kammer gebunden ist, demgegenüber:

„Haben sie schuldhaft unzutreffenden Angaben gemacht oder Änderungen schuldhaft nicht angezeigt und ist deshalb ein zu niedriger Betrag berechnet worden, ist zusätzlich zur Beitragserhöhung eine Vertragsstrafe in Höhe von 500 EUR zu zahlen.“

Entgegen den Musterbedingungen des GDV ist eine Vertragsstrafe nach den hier streitgegenständlichen Regelungen daher nicht nur dann verwirkt, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich unzutreffende Angaben gemacht oder Änderungen vorsätzlich nicht angezeigt hat, sondern bereits dann, wenn er dies lediglich „schuldhaft“ und damit auch bereits (einfach) fahrlässig nicht getan hatte. Die verwendete Klausel weicht daher in erheblichem Maße zulasten des Versicherungsnehmers von den Musterbedingungen des GDV ab.

Die Kammer verkennt nicht, dass eine Abweichung grundsätzlich zulässig ist.

Im vorliegenden Falle führt diese jedoch, wie das Amtsgericht zutreffend herausgearbeitet hat, dazu, dass eine Vertragsstrafe in Höhe von 500 Euro nach Ziffer K.4.4. bereits dann verwirklicht ist, wenn eine Überschreitung der jährlichen Kilometerleistung um nur 1 km fahrlässig (§ 276 BGB) nicht angezeigt wird und deshalb ein um 0,01 Euro zu niedriger Beitrag berechnet worden ist, so dass nach abstrakt-genereller Auslegung bereits für geringfügigste Verletzungen der Anzeigepflichten eine unverhältnismäßig hohe Strafe fällig ist.

Der Kammer ist auch bewusst, dass die Höhe der Vertragsstrafe auch geeignet sein muss, ihre Druck- und Kompensationsfunktion zu erfüllen, spürbar sein muss. Ebenso, dass irgendwo zwingend Grenzen zu ziehen sind und Grenzwerte letztlich der notwendigen Gleichbehandlung dienen.

Sofern eine Regelung ausschließlich an einen vorsätzlichen Verstoß anknüpfen würde, hätte die Kammer auch keine Bedenken, wenn eine pauschale Vertragsstrafe von 500 € vereinbart wird. Bei einem einfach fahrlässigen Verstoß steht das Gewicht des Vertragsverstoßes gegebenenfalls jedoch außer Verhältnis zu dessen Folgen, so dass die abschreckende Wirkung der Klausel die Grenze der Angemessenheit überschreitet.

Da die Klausel auch einfach fahrlässiges Handeln genügen lässt, ist sie daher grundsätzlich insgesamt unwirksam, so dass auch – wie das Amtsgericht zutreffend feststellt – weder eine Herabsetzung nach § 343 BGB noch eine geltungserhaltende Reduktion in Betracht kommt.

c)

Die Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung vermögen eine abändernde Entscheidung nicht zu rechtfertigen.

Die Klägerin trägt letztlich selbst vor, die Vertragsstrafe solle genau vor denjenigen Versicherungsnehmern schützen, die eine Anzeige unterlassen, um der Prämienerhöhung zu entgehen bzw. frei nach dem Motto: „Es wird schon gut gehen.“ verfahren. In diesen Konstellationen würde der beschriebene Versicherungsnehmer allerdings bewusst agieren und damit gerade nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich. Der Verweis auf die Musterbedingungen des GDV ist ebenfalls untauglich, da diese, wie oben erläutert, nur ein vorsätzliches Fehlverhalten erwähnen.

Streitgegenständlich ist hier jedoch eine Klausel, die eben nicht nur vorsätzliches Verhalten sanktioniert, sondern auch (einfach) Fahrlässiges. Warum die Klägerin, und zwar in gleichem Maße bzw. mit gleicher Sanktionshärte, vor Versicherungsnehmern geschützt werden muss, die eine Anzeige nur aus (einfach) fahrlässigen Gründen unterlassen, ist weder hinreichend dargelegt noch ersichtlich.

Dass der Beklagte die vereinbarte Laufleistung vorliegend erheblich überschritten hatte, ist für die Beurteilung der Klausel nicht von Bedeutung, da es keine Rolle spielt, wie der Verwender die Klausel im Einzelfall gebraucht, sondern vielmehr entscheidend ist, ob die Klausel unter Berücksichtigung aller nicht fern liegender Fallgestaltungen verwendet werden kann, ohne, dass der Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligt wird.

Entgegen der Einschätzung der Klägerin hat das Amtsgericht auch nicht verkannt, dass die Vertragsstrafe nicht bereits für das Überschreiten der vereinbarten Kilometerlaufleistung angesetzt ist, sondern für das Ausbleiben der Anzeige. Das Amtsgericht hat insoweit ausdrücklich auf Seite 4 unten/Seite 5 oben der angegriffenen Entscheidung ausgeführt, dass eine Vertragsstrafe dann verwirkt ist, wenn „eine Überschreitung ….nicht angezeigt wird“.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.

III.

Die Revision wird aufgrund des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht zugelassen. Es handelt sich weder um eine Rechtssache mit grundsätzlicher Bedeutung, noch um eine solche, die der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient und eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und klärungsfähigen Rechtsfragen auf, die sich über den hiesigen Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind. Die grundsätzliche Zulässigkeit von Vertragsstrafen in vergleichbaren Verträgen wird nicht uneinheitlich beantwortet. Die Frage, ob eine konkrete Klausel wirksam ist, berührt nicht das abstrakte Interesse der Allgemeinheit. Hier ist auch keine gedachte Vielzahl von Fällen übertroffen, sondern die eingrenzbare Anzahl der Versicherungsnehmer der Klägerin.

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