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Kaskoversicherung – Kippen eines Fahrzeugs vom Wagenheber als Unfallereignis

OLG München – Az.: 14 U 1328/14 – Beschluss vom 30.07.2014

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28.02.2014, Az. 012 O 3509/13, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.

I. Der Kläger beansprucht (unter Berücksichtigung der vereinbarten Selbstbeteiligung von 300.– Euro) eine Leistung aus der bei der Beklagten bestehenden Fahrzeugversicherung, nachdem an seinem Fahrzeug unstreitig ein (inzwischen reparierter) Schaden in Höhe von 5.846,83 entstanden ist, als er im April 2013 beim Reifenwechsel an einem abzunehmenden Reifen zog und rüttelte und dadurch der Pkw vom Wagenheber stürzte.

Der Senat nimmt Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.

Kaskoversicherung - Kippen eines Fahrzeugs vom Wagenheber als Unfallereignis
Symbolfoto: Von Evannovostro /Shutterstock.com

Das Landgericht hat der Klage auf Leistung aus der Fahrzeugversicherung stattgegeben, da es zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es sich bei dem geltend gemachten Schadensereignis nach den AGB der Beklagten (Anlage K 2) um einen versicherten Unfall handelte, der nicht als „Betriebsvorgang“ von der Haftung der Beklagten ausgenommen sei.

Es komme nicht darauf an, ob eine Unfallursache, sondern ob das Schadensereignis den Unfallbegriff erfülle.

Der Bedienungsfehler des Klägers sei irrelevant, da eine Einwirkung von außen zum Schadensereignis geführt habe, nämlich der Sturz des Fahrzeugs auf den Wagenheber.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, dass das Landgericht verkannt habe, dass bereits kein Unfall i.S. der Bedingungen vorliege.

Soweit sich das Erstgericht auf eine Entscheidung des OLG Braunschweig gestützt habe, liege der Sachverhalt dort insoweit anders, als der Baumstamm, der das Fahrzeug beschädigt habe, keiner Einwirkung von Dritten oder des Fahrzeugführers ausgesetzt gewesen sei, sondern sich unkontrolliert in Bewegung gesetzt habe.

Im vorliegenden Fall habe der Kläger entweder den Wagenheber nicht ordnungsgemäß angebracht oder der Kläger habe zu heftig an dem Rad gerüttelt und das Fahrzeug quasi vom Wagenheber gezogen. In beiden Fällen handele es sich nicht um eine von außen kommende Schadensursache i.S. der AKB.

Ein typisches Unfallrisiko liege gerade nicht vor.

Nach der Rechtsauffassung des Erstgerichts müssten fast alle Bedienungsfehler unter den Unfallbegriff subsumiert werden.

Eine Einwirkung von außen wäre noch nachvollziehbar, wenn ein Dritter das Fahrzeug angestoßen hätte, ohne den Wagenheber zu sehen

Keine Rolle spiele es, ob der Versicherungsnehmer selbst oder ein Dritter den Reifenwechsel versucht und dabei den Schaden verursacht habe.

Im übrigen werde bestritten, dass der Kläger den auf Anlage K 4 abgebildeten Wagenheber benutzt habe und dass der Kläger den verwendeten Wagenheber ordnungsgemäß benutzt und gegen Wegrutschen gesichert habe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28.2.2014, Az. 012 O 3509/13 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das Ersturteil.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und übergebenen Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffs im angefochtenen Urteil ist frei von Rechtsfehlern. Sie beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verspricht keine neuen entscheidungserheblichen Erkenntnisse und ist auch nicht wegen der Bedeutung der Rechtsverfolgung für den Berufungsführer erforderlich.

Das Erstgericht hat im vorliegenden Fall zu Recht angenommen, dass der streitgegenständliche Schaden durch ein versichertes Unfallereignis eingetreten ist.

1. Entscheidungserheblich ist die Auslegung der den Muster-AKB 2008 nachgebildeten Klausel (vgl. insoweit Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, S. 1964) unter A. 2.1 i.V. mit A. 2.3 der AGB der Beklagten.

Danach besteht Vollkaskoversicherungsschutz u.a. bei Beschädigung des Fahrzeugs „infolge“ (so in der einleitenden Klausel unter A. 2.1.) bzw. „durch“ (so die Formulierung im einleitenden Satz von Ziffer A. 2.3 „Unfälle des Fahrzeugs“ (aus A.2.3.2 Satz 1) .

Im 2. und 3. Satz von A. 2.3.2 heißt es sodann: “

Als Unfall gilt ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis.

Nicht als Unfallschäden gelten insbesondere Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs…. Dazu zählen z.B. ….. Schäden aufgrund Bedienungsfehler oder Überbeanspruchung des Fahrzeugs und Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen.“

Für die Auslegung ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse abzustellen und vom Wortlaut der Klausel auszugehen (BGH NJW-RR 2003, 1248, 1248 m.w.N.).

Anders als in der Ausschlussklausel gemäß § 12 Abs. 1 II. lit e AKB a.F. wird in der streitgegenständlichen Ausschlussklausel das Wort „insbesondere“ verwendet wird.

Da selbständige Ausschlusstatbestände – objektiv betrachtet – nicht ausreichend bzw. umfassend definiert werden können, wenn sie nur durch die einleitende Verwendung des Wortes „insbesondere“, also beispielhaft aufzählt werden, muss die Auflistung der Negativtatbestände in Satz 3 von A.2.3.2 dahingehend ausgelegt werden, dass damit nur die wichtigsten Fälle genannt werden sollen, die die einleitende Definition des Unfalls nicht erfüllen, nämlich keine plötzliche mechanische gewaltsame Einwirkung auf das Fahrzeug „von außen“ darstellen.

Insoweit wird in der Literatur zu Recht von einer deklaratorischen Ausschlussklausel gesprochen (vgl. Stadler in Stiefel/Maier, AKB, 18. Aufl., Rn. 17 zu A.2.3. AKB wobei Stadler das Wort „teilweise“ verwendet).

Ein Schadenereignis wirkt von außen, wenn es nicht auf einem „inneren Betriebsvorgang“ beruht (Stadler, a.a.O.).

Dass der Schaden auf einem Fehlverhalten des Versicherungsnehmers beruht, hindert die Annahme eines Unfalls nicht; erforderlich für die Einwirkung „von außen“ ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass äußere Umstände eine – nicht bloß den Gebrauch ermöglichende – Rolle gespielt haben. Daher ist z.B. das Auffahren auf ein Hindernis ein von außen einwirkendes Ereignis (BGH VersR 1981, 450, 451 m.w.N.).

Das Erfordernis des „Plötzlichen“ schließt solche Ereignisse aus dem Bereich des Unfallbegriffs aus, die einen allmählichen, sich auf einen längeren Zeitraum erstreckenden Eintritt des schädigenden Umstandes bedeuten (BGH, a.a.O.).

Der Begriff schließt aber auch ein subjektives Element des Unerwarteten, Nichtvorausgesehenen ein. Unmittelbar i.S. der Bedingungen wirkt eine Ursache ohne das Dazwischentreten weiterer Ursachen (Stadler, a.a.O. m.w.N.).

2. Der Schaden ist im vorliegenden Fall – ungeachtet der Frage, welcher konkrete Wagenheber verwendet wurde – unstreitig „infolge“ des Rüttelns bzw. Ziehens des Klägers am abzumontierenden Reifen und das dadurch bewirkte Wegrutschen des Wagenhebers bzw. des Fahrzeugs mit dem Ergebnis, dass das Fahrzeug nach unten auf den Wagenheber stürzte, entstanden.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob man auf das Rütteln am Reifen als Ausgangsursache oder nur das dadurch bewirkte Wegrutschen des Wagenhebers oder Fahrzeugs vom Wagenheber abstellt. Der abschließende Sturz stellt sich nicht als Dazwischentreten einer weiteren Ursache dar, sondern nur als Teil der durch das Rütteln/Ziehen ausgelösten Kausalkette.

Es handelt sich in beiderlei Hinsicht um ein von außen mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes plötzliches Unfallereignis i.S. der Vertragsbedingungen.

Wie oben dargelegt kommt es auf ein evtl. mitwirkendes Fehlverhalten des Fahrzeugführers nicht an.

3. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob der in der streitgegenständlichen Klausel formulierte Ausschluss von Schäden aufgrund „eines Betriebsvorgangs“ möglicherweise insgesamt wegen völliger Entwertung des Versicherungsschutzes oder Unklarheit unwirksam ist (für Letzteres Knappmann in Prölss/Matin, VVG, 28. Aufl., Rn. 13 zu AKB 2008, A.2.3).

Bei der willentlich von außen durchgeführten bzw. begonnenen Demontage eines Reifens an einem aufgebockten und somit nicht unmittelbar betriebsbereiten Kraftfahrzeug handelt es sich – objektiv betrachtet und insbesondere aus der Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers – nicht um einen „Betriebsvorgang“ oder einen Bedienungsfehler des Fahrzeugs.

Für die Definition eines „Betriebsvorgangs“ kann auf die höchstrichterliche Rechtssprechung zu „Betriebsschäden“ i.S. von § 12 AKB zurückgegriffen werden.

Darunter fallen Schäden, die auf Einwirkungen beruhen, denen ein Fahrzeug „nach seiner Verwendung im gewöhnlichen Fahrbetrieb“ ausgesetzt ist (BGH VersR 1969, 32, 33).

Vor diesem Hintergrund sind auch die genannten „Bedienungsfehler“ zu sehen.

Der streitgegenständliche Vorgang eines Reifenwechsels ist – anders als ein Tankvorgang, vgl. BGH NJW-RR 2003, 1248) – vielmehr der Situation einer Fahrzeugreparatur durch einen Werkstattbetrieb oder den Fahrzeughalter selbst vergleichbar.

Auch diese liegt, da es sich nicht nur um eine Art der Verwendung im gewöhnlichen Fahrbetrieb handelt, außerhalb des eigentlichen „Betriebsvorgangs“.

Der Berufungsführer kann sich zu diesem Hinweis binnen drei Wochen ab Zustellung äußern. Dabei sollte aus Kostengründen (Ermäßigung der Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 ) auch eine Rücknahme der Berufung geprüft werden.

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