OLG München, Az.: 10 U 2166/15, Urteil vom 26.02.2016
Entscheidungsgründe
In dem Rechtsstreit wegen Forderung erlässt der 10. Zivilsenat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2016 folgendes Endurteil
1. Auf die Berufung des Klägers vom 18.06.2015 wird das Endurteil des LG Traunstein vom 09.06.2015 (Az. 1 O 3555/14) insgesamt abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.516,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.08.2014 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,18 € zu bezahlen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I. Das Landgericht hat nach Auffassung des Senats zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Erstattung des Fahrzeugschadens (Wiederbeschaffungswert ohne Mehrwertsteuer abzüglich Restwert ohne Mehrwertsteuer abzüglich Selbstbeteiligung = 10.516,56 €) aus dem zwischen den Parteien bestehenden Fahrzeugvollversicherungsvertrag nach dem Unfall vom 06.06.2014 verneint.
Die Beklagte kann sich nicht auf Leistungsfreiheit nach den Ziffern E 1.3 S. 1 und E. 6.1 S. 1 der dem Vertrag zugrunde liegenden AKB i.V. § 28 II 1 VVG berufen. Hinsichtlich der in E.1.3 AKB 2008 formulierten Obliegenheit ist es zwar für die Berufung auf Leistungsfreiheit nicht in jedem Fall erforderlich, an das Erfüllen des objektiven und subjektiven Tatbestandes des § 142 StGB anzuknüpfen (vgl. OLG Stuttgart, VersR 2015, 444; OLG Frankfurt, VersR 2016, 47). E. 1.3 S. 1 der AKB 2008 erfordert aber auch nicht, dass der in einen Unfall verwickelte Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant in jedem Fall das Eintreffen des geschädigten Eigentümers abwartet oder die Polizei verständigt.
1. Der Senat ist nicht der Auffassung, dass die Regelung dem Versicherungsnehmer hinsichtlich der Ermöglichung der Feststellungen an der Unfallstelle mehr abverlangt als § 142 StGB. „…Die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen“ heißt nicht gleichzeitig, in jedem Fall die Polizei hinzuziehen oder endlos auf alle Geschädigten warten zu müssen. Der BGH hat in der in NJW 2013, 936 veröffentlichten Entscheidung für ausreichend erachtet, dass der Versicherungsnehmer sich, nachdem er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hatte, unverzüglich statt an die in § 142 II StGB Genannten an seine Versicherung wandte, den Unfall mitteilte und dieser so Gelegenheit zu weiteren Weisungen gab. Damit wäre eine Auslegung der Klausel AKB E 1.3., die ein Entfernen nach Ablauf einer Wartezeit verböte, unvereinbar. Gegen eine derartige Erweiterung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmer gegenüber der früheren Rechtsprechung spricht, dass ein Versicherungsnehmer die Aufklärung auch „ermöglicht“, wenn er sich als Unfallbeteiligter zu erkennen gibt und für Feststellungen passiv zur Verfügung hält. Einem Versicherungsnehmer ist bewusst, was das Gesetz von ihm nach einem Verkehrsunfall verlangt. Hält er sich daran, wäre es überraschend, würde ihm vorgehalten, sein Versicherungsvertrag verlange mehr als das Gesetz, nämlich gleichsam eine Verewigung der Wartepflicht oder entgegen dem allgemeinen Rechtsverständnis die Pflicht, doch die Polizei in jedem Fall zu verständigen. Dies gilt vorliegend umso mehr, als nach E. 3.3 der Bedingungen zusätzlich zu den allgemeinen Pflichten im Schadensfall gerade für die Kaskoversicherung lediglich bei bestimmten – hier nicht vorliegenden – Schäden die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige des Schadensereignisses bei der Polizei normiert ist. Diese Erweiterung wäre dann unverständlich, müsste der Versicherungsnehmer auch in allen anderen Fällen immer die Polizei hinzuziehen.
Die AKB 2008 E 1.3. enthalten zwar eine versicherungsvertraglich eigenständige Obliegenheit, deren Rechtsfolgen sich nach § 28 VVG bestimmen. Inhalt und Grenzen stimmen aber mit den gesetzlichen des § 142 I, II StGB überein. Sollen mit der Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen weitergehende Pflichten erfasst werden, müsste der Versicherungsnehmer hierauf gesondert hingewiesen werden, wie dies in E 3.3. für bestimmte Schäden auch der Fall ist. Denn die Auslegung der Bedingungen erfolgt aus der Sicht und dem Verständnishorizont eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers (vgl. Knappmann in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Aufl. 2015, Vorbem. zu A.1.1. AKB 2008, Rd. 1).
2. Vorliegend hat sich der Fahrer von der Unfallstelle erst entfernt, nachdem gegenüber geschädigten feststellungsbereiten Personen die Angaben gem. § 142 I 1 StGB getätigt wurden.
Die erforderlichen Feststellungen wurden durch die Erklärung zu Person, Fahrzeug und Art der Beteiligung gegenüber den Mietern und damit in ihrem Besitzrecht beeinträchtigten und auch geschädigten Besitzern des Anwesens, insbesondere durch die Angabe, dass der Zeuge R. als Fahrer mit dem Pkw den Unfall verursachte, ermöglicht und es ist nicht vorgetragen worden, dass weitere Feststellungen gewünscht wurden und es steht auch nicht fest, dass der Pkw bereits zuvor entfernt worden wäre. Im Gegenteil ergibt sich aus den von der Beklagten selbst vorgelegten Unterlagen, dass die Mieterin am nächsten Morgen den Eigentümer verständigte und aus der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige (Bl. 26 d. A.) ist zu entnehmen, dass die Mitteilungen der Mieterin an den Eigentümer auch die Nachschau bei Fahrer und Repräsentant ermöglichten. Die Mieterin war daher vorliegend eine bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht nur geschädigte, sondern auch feststellungsbereite Person.
3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus E.1.3. der AKB, soweit dem Versicherungsnehmer die Pflicht auferlegt werden soll, „alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann“. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausführte, dieser umfassende Pflichtenkreis beinhalte hier, dass der Repräsentant des Klägers und der Fahrer vor Ort verpflichtet gewesen wären, die Polizei zu rufen und das Unfallfahrzeug nicht von der Unfallstelle zu entfernen, ist dies abzulehnen, da die Aufklärung im Gegensatz zur Anzeigepflicht zunächst keine am Unfallort spontan zu erfüllende Verpflichtung ist. Sie setzt ein Auskunftsverlangen des Versicherers voraus (sog. Schadenanzeigeformulare), der dadurch zugleich in den Grenzen der Sachdienlichkeit den Umfang der Aufklärungspflicht vorgibt (vgl. Knappmann, a. a. O., AKB 2008 E.1. Rd. 14).
4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 I, 288 I BGB, die vorgerichtlichen Gebühren errechnen sich unter Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG wie tenoriert.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.