Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Versicherer haftet für unrealistische Renditeversprechen: Gesamtschaden bei kreditfinanzierter Lebensversicherung ersatzpflichtig (KG Berlin, Az.: 6 U 57/16)
- Ausgangssituation: Die „S…-…-Rente“ als kreditfinanziertes Kapitalanlagemodell mit Lebensversicherung
- Streitpunkte vor Gericht: Unrealistische Renditeprognosen und Zurechnung des Vermittlerhandelns
- Entscheidung des Kammergerichts Berlin: Berufung der Versicherung voraussichtlich erfolglos
- Begründung der Entscheidung: Bestätigung der Haftung des Versicherers für Aufklärungsfehler
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet „Vorvertragliche Aufklärungspflicht“ im Zusammenhang mit Lebensversicherungen?
- Wann gelten Renditeprognosen für eine Lebensversicherung als „unrealistisch“ und somit als Verletzung der Aufklärungspflicht?
- Was bedeutet „Erfüllungsgehilfe“ im Versicherungsrecht und wann haftet die Versicherungsgesellschaft für das Handeln von Vermittlern?
- Welche Ansprüche habe ich als Versicherungsnehmer, wenn die Versicherungsgesellschaft ihre vorvertraglichen Aufklärungspflichten verletzt hat?
- Was ist bei der Finanzierung einer Lebensversicherung durch einen Kredit zu beachten und welche Risiken birgt ein solches Modell?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 6 U 57/16 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: KG Berlin
- Datum: 30.01.2018
- Aktenzeichen: 6 U 57/16
- Verfahrensart: Beschluss im Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht, Vertragsrecht, Schadensersatzrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Der Versicherungsnehmer, der Schadensersatz fordert, um so gestellt zu werden, als hätte er das gesamte Anlagekonzept nicht abgeschlossen, insbesondere um von Kreditverbindlichkeiten befreit zu werden.
- Beklagte: Die Versicherungsgesellschaft, die sich gegen die Forderung verteidigt und mehrere Einwände erhebt, unter anderem gegen eine Pflichtverletzung, deren Zurechenbarkeit und die Kausalität für das gesamte Anlagekonzept.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Der Kläger schloss eine fondsgebundene Lebensversicherung bei der beklagten Versicherungsgesellschaft ab. Diese war Teil eines kreditfinanzierten Kapitalanlagekonzepts (S…-Rente), das über Vertriebsmittler verkauft wurde. Nachdem das Konzept scheiterte, kündigte der Kläger die Versicherung und klagte auf Schadensersatz für das gesamte Modell, weil die Vertriebsmittler mit unrealistischen Renditeprognosen geworben hätten.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage war, ob die Versicherungsgesellschaft für den Schaden aus dem gesamten kreditfinanzierten Anlagekonzept haftet, obwohl ihre Lebensversicherung nur ein Bestandteil war, wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch ihre Vertriebsmittler, die unrealistische Renditen prognostizierten.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Gericht beabsichtigt, die Berufung der beklagten Versicherungsgesellschaft gegen das Urteil des Landgerichts zurückzuweisen. Damit würde das erstinstanzliche Urteil, das die Beklagte zu Schadensersatz verurteilt und den Kläger so stellt, als hätte er das gesamte Anlagekonzept nie abgeschlossen, voraussichtlich bestehen bleiben.
- Begründung: Das Gericht bestätigte die Haftung wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch unrealistische Renditeprognosen der Vertriebsmittler, deren Verhalten der Beklagten zuzurechnen ist. Die Beklagte wusste, dass ihre Versicherung ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtkonzepts war; daher ist ihr das Scheitern des gesamten Modells zurechenbar. Die Ansprüche sind nicht verjährt, und der Kläger ist zur Geltendmachung des Schadens am eigenen Vermögen berechtigt.
- Folgen: Die beklagte Versicherungsgesellschaft muss voraussichtlich Schadensersatz leisten, der den Kläger so stellt, als hätte er keinen der Verträge des Anlagekonzepts abgeschlossen, einschließlich der Befreiung von verbleibenden Kreditschulden und der Erstattung geleisteter Zahlungen.
Der Fall vor Gericht
Versicherer haftet für unrealistische Renditeversprechen: Gesamtschaden bei kreditfinanzierter Lebensversicherung ersatzpflichtig (KG Berlin, Az.: 6 U 57/16)
Ein Versicherungsnehmer, der eine fondsgebundene Lebensversicherung als Teil eines komplexen, kreditfinanzierten Kapitalanlagemodells abgeschlossen hatte, kann von der Versicherungsgesellschaft Schadensersatz für das gesamte fehlgeschlagene Investment verlangen.

Dies gilt, wenn die Gesellschaft oder ihre Vermittler vorvertragliche Aufklärungspflichten durch unrealistische Renditeprognosen verletzt haben. Das Kammergericht (KG) Berlin beabsichtigt, ein entsprechendes Urteil des Landgerichts Berlin zu bestätigen, das die Versicherungsgesellschaft zur Freistellung von Darlehensverbindlichkeiten und zur Erstattung geleisteter Zahlungen verurteilte.
Ausgangssituation: Die „S…-…-Rente“ als kreditfinanziertes Kapitalanlagemodell mit Lebensversicherung
Der Versicherungsnehmer hatte bei der später verklagten Versicherungsgesellschaft eine kapitalbildende Lebensversicherung abgeschlossen. Dieser Vertrag war jedoch nicht isoliert zu betrachten, sondern diente als zentraler Baustein eines umfangreichen Kapitalanlagemodells, der sogenannten „S…-…-Rente“ (im Folgenden S…-Modell). Das Ziel dieses Modells war es, durch die Anlage eines sechsstelligen Einmalbeitrags, der vollständig über Kredite finanziert wurde, in eine Lebensversicherung und weitere Komponenten eine lebenslange Rente zu erwirtschaften. Die spezifische Lebensversicherung der beklagten Gesellschaft fungierte dabei als sogenannte „Tilgungsversicherung“. Ihre Rendite sollte die Kosten der aufgenommenen Darlehen decken und idealerweise übersteigen.
Der Vertrieb dieses komplexen Finanzprodukts erfolgte über die S…-Gruppe und deren Untervermittler, namentlich einen Herrn M… . Die Finanzierung des hohen Einmalbeitrags wurde durch Darlehensverträge mit einer Bank realisiert, eine Tatsache, die der Versicherungsgesellschaft bekannt war. Zur Absicherung dieser Kredite musste der Versicherungsnehmer (beziehungsweise seine Ehefrau, deren Versicherungen er jedoch wirtschaftlich trug) zusätzlich Risikolebensversicherungen abschließen und die daraus resultierenden Ansprüche an die finanzierende Bank abtreten. Später kündigte der Versicherungsnehmer die fondsgebundene Lebensversicherung bei der beklagten Gesellschaft. Der Rückkaufswert floss direkt an die finanzierende Bank, minderte jedoch die Kreditschulden nur unzureichend.
Streitpunkte vor Gericht: Unrealistische Renditeprognosen und Zurechnung des Vermittlerhandelns
Der Versicherungsnehmer machte daraufhin Schadensersatzansprüche geltend. Sein zentrales Begehren war, so gestellt zu werden, als hätte er keinen der Verträge des S…-Modells jemals abgeschlossen. Dies umfasste insbesondere die Befreiung von den noch offenen Kreditverbindlichkeiten bei der Bank und die Erstattung aller bereits geleisteten Zahlungen, einschließlich der Beiträge für die zusätzlichen Risikolebensversicherungen. Der Kernvorwurf des Versicherungsnehmers an die Adresse der Versicherungsgesellschaft lautete, dass bei den Vertragsanbahnungsgesprächen mit völlig unrealistischen Renditeprognosen für die Lebensversicherung geworben worden sei.
Das Landgericht Berlin hatte der Klage in erster Instanz weitgehend stattgegeben und die Versicherungsgesellschaft zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Das Landgericht sah eine vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzung durch die Verwendung von Renditeprognosen in Höhe von 6,5 % bzw. 6,85 % als erwiesen an. Es wertete den Vermittler M… als Erfüllungsgehilfen der Versicherungsgesellschaft, dessen Fehlverhalten dieser zuzurechnen sei. Ferner war das Landgericht davon überzeugt, dass der Versicherungsnehmer ohne diese Pflichtverletzung das gesamte S…-Modell nicht abgeschlossen hätte. Auch die Klagebefugnis des Versicherungsnehmers und die fehlende Verjährung der Ansprüche wurden vom Landgericht bejaht.
Gegen dieses Urteil legte die Versicherungsgesellschaft Berufung ein. Sie bestritt weiterhin die Klagebefugnis des Versicherungsnehmers und das Vorliegen einer Aufklärungspflichtverletzung. Ihrer Ansicht nach seien die Prognosen realistisch gewesen, oder der Versicherungsnehmer habe einen falschen Tarif bzw. Fondsbezug unterstellt. Zudem wandte sie sich gegen die Zurechnung des Vermittlerverhaltens, die Zurechenbarkeit der Risiken des Gesamtmodells zur Lebensversicherung, die Kausalität der Pflichtverletzung für den Abschluss des gesamten Modells und argumentierte, die Ansprüche seien verjährt.
Entscheidung des Kammergerichts Berlin: Berufung der Versicherung voraussichtlich erfolglos
Das Kammergericht (KG) Berlin teilte in einem Hinweisbeschluss mit, dass es beabsichtigt, die Berufung der Versicherungsgesellschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin gemäß § 522 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) einstimmig zurückzuweisen. Dies bedeutet, dass das erstinstanzliche Urteil, welches die Versicherungsgesellschaft zu umfangreichem Schadensersatz verurteilt und den Versicherungsnehmer so stellt, als hätte er das gesamte S…-Modell nie abgeschlossen, voraussichtlich Bestand haben wird. Eine mündliche Verhandlung hielt das Gericht nicht für erforderlich.
Begründung der Entscheidung: Bestätigung der Haftung des Versicherers für Aufklärungsfehler
Das Kammergericht Berlin stützte seine beabsichtigte Entscheidung auf eine detaillierte Begründung, die im Wesentlichen die Argumentation des Landgerichts bestätigte und in einigen Punkten vertiefte.
Klagebefugnis des Versicherungsnehmers für Gesamtschaden bestätigt
Zunächst bestätigte das KG die Klagebefugnis des Versicherungsnehmers. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch zielt darauf ab, ihn so zu stellen, als hätte er sämtliche Verträge des S…-Modells, einschließlich der Darlehensverträge mit der Bank, nicht abgeschlossen. Dieser umfassende Anspruch steht allein dem Versicherungsnehmer zu und wird nicht durch etwaige Sicherungsinteressen der finanzierenden Bank beeinträchtigt. An die Bank waren lediglich Ansprüche auf Leistungen aus der spezifischen Tilgungsversicherung abgetreten worden. Die Forderung des Versicherungsnehmers auf Freistellung von noch offenen Verbindlichkeiten und die Erstattung bereits geleisteter Zahlungen betrifft hingegen seinen eigenen, unmittelbaren Vermögensschaden.
Haftungsgrundlage: Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo)
Das KG folgte dem Landgericht darin, dass zwischen dem Versicherungsnehmer und der Versicherungsgesellschaft kein separater Beratungsvertrag zustande gekommen war. Die Haftung der Versicherungsgesellschaft ergibt sich stattdessen aus einer Verletzung vorvertraglicher Pflichten, einem sogenannten Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo, c.i.c.).
Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch Versicherer als Haftungsgrund
Die Richter sahen mit überzeugenden Argumenten eine Haftung der Versicherungsgesellschaft auf Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluss durch die Verletzung von Aufklärungspflichten als gegeben an.
Der Umfang der Informations- und Aufklärungspflichten der Versicherungsgesellschaft bestimmte sich nach § 10a Abs. 1 S. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz alter Fassung (VAG a.F.) in Verbindung mit der dazugehörigen Anlage Teil D. Insbesondere bei fondsgebundenen Versicherungen war detailliert über den zugrunde liegenden Fonds und die Art der Vermögenswerte zu informieren (Teil D Abschnitt I Nr. 2 e VAG a.F.). Die Versicherungsgesellschaft hatte im Antragsformular jedoch nur allgemein auf ein immobilienorientiertes Portfolio hingewiesen und auf weiteres Material verwiesen, dieses aber weder dem Versicherungsnehmer vorgelegt noch im Prozess substantiiert dargelegt, in welche konkreten Fonds der Einmalbeitrag für den hier relevanten Tarif L…/2002 zum Zeitpunkt der Beratungsgespräche investiert werden sollte. Ein Prospekt, der auf einen bestimmten O…-Fonds Bezug nahm, lag dem Versicherungsnehmer bei den Vertragsverhandlungen unstreitig nicht vor.
Das gesamte S…-Modell wurde vom Gericht als Kapitalanlagegeschäft qualifiziert. Dies deshalb, weil es primär auf die Erzielung eines wirtschaftlichen Erfolgs durch den Einsatz fremdfinanzierten Kapitals ausgerichtet war und nicht, wie bei klassischen Lebensversicherungen, auf die Absicherung des Todesfallrisikos. Auch die isolierte Betrachtung der Lebensversicherung selbst stellte sich aufgrund des kreditfinanzierten, sechsstelligen Einmalbeitrags – eine Tatsache, von der die Versicherungsgesellschaft Kenntnis hatte – als Kapitalanlage dar. Das Ziel war eindeutig, eine Rendite zu erwirtschaften, die die Kreditkosten übersteigt. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 9.7.1998 – III ZR 158/97). Die geringe Todesfallleistung der Kapitallebensversicherung allein hätte die Darlehensverbindlichkeiten im Todesfall des Versicherungsnehmers bei Weitem nicht gedeckt, was die Notwendigkeit der zusätzlichen Risikolebensversicherungen als Kreditsicherheit zusätzlich unterstreicht.
Anbieter eines Kapitalanlageproduktes, so das Gericht, müssen korrekt und vollständig über das Produkt, dessen Chancen und insbesondere dessen Risiken informieren. Bei einem kreditfinanzierten Einmalbeitrag für eine fondsgebundene Lebensversicherung gehört dazu zwingend der Hinweis auf ein drohendes Verlustrisiko. Dieses Risiko besteht nicht nur darin, dass der Fondswert sinkt, sondern auch darin, dass die erzielte Rendite hinter den Finanzierungskosten zurückbleibt (BGH, Urt. v. 9.7.1998 – III ZR 158/97). Die Versicherungsgesellschaft konnte nicht darlegen, diese essenziellen Aufklärungspflichten selbst, insbesondere in schriftlicher Form, erfüllt zu haben.
Unrealistische Renditeprognosen als zentrale Pflichtverletzung
Die maßgebliche Pflichtverletzung sah das KG darin, dass der Versicherungsnehmer mit unrealistischen Renditeberechnungen zum Vertragsabschluss bewogen wurde. Konkrete Aussagen über eine zu erwartende Wertentwicklung müssen realistisch sein. Ist absehbar, dass die prognostizierten Werte nicht erreicht werden können, muss darüber aufgeklärt werden (BGH, Urt. v. 11.7.2012 – IV ZR 164/11). Die dem Versicherungsnehmer vorgelegten Musterberechnungen wiesen Renditen von 6,85 % pro Jahr aus (eine spätere Berechnung im Dezember 2004 sogar 8,5 %), obwohl für diese Prognosen keine tragfähige Grundlage bestand. Beworbene Ergebnisse aus der Vergangenheit bezogen sich nicht auf den konkreten Tarif L…/2002. Ein internes Schreiben der Versicherungsgesellschaft selbst nannte für einen vergleichbaren Tarif (L… 2) lediglich eine Durchschnittsrendite von 2,49 % im Jahr 2004. Entscheidend war zudem, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unklar war, in welchen Fonds überhaupt investiert werden sollte. Eine interne Notiz deutete darauf hin, dass der O…-Fonds, dessen erwartete Rendite ohnehin bei maximal 5,5 % lag, angeblich nicht für den Tarif zur Verfügung stand. Die spätere tatsächliche Investition in den O…-Fonds ändert nichts an der fehlenden Grundlage für die Renditeversprechen zum Zeitpunkt der Vertragsanbahnung. Eine Renditeprognose von 8,5 %, wie sie im Dezember 2004 noch verwendet wurde, entbehrte nach den fundamentalen Marktveränderungen seit Juni 2003 jeglicher Grundlage und hätte nicht mehr verwendet werden dürfen.
Zurechnung des Vermittlerverschuldens an die Versicherungsgesellschaft nach § 278 BGB
Das Gericht stellte klar, dass die Versicherungsgesellschaft für das Verschulden der S…-Gruppe und ihrer Untervermittler als Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haftet. Ob die S…-Gruppe rechtlich als Makler mit einem möglichen Doppelrechtsverhältnis einzuordnen ist, sei unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass die Versicherungsgesellschaft die S…-Gruppe und deren Vermittler zur Erfüllung ihrer eigenen Aufklärungs- und Informationspflichten eingesetzt und ihnen diese Aufgaben überlassen hat. Die Vermittler wurden somit im Pflichtenkreis der Versicherungsgesellschaft tätig (BGH, Urt. v. 5.4.2017 – IV ZR 437/15). Folglich muss sich die Versicherungsgesellschaft auch unzutreffende Aussagen der Vermittler zurechnen lassen, selbst wenn diese über die originären Pflichten hinausgingen, sofern sie nicht aus damaliger Sicht (ex ante) vertretbar waren (BGH, Beschl. v. 26.9.2012 – IV ZR 71/11). Die Tatsache, dass der Tarif L… ein Spezialtarif war, der im Zusammenwirken von Versicherungsgesellschaft und S…-Gruppe speziell für das S…-Konzept entwickelt und ausschließlich über die S…-Gruppe im Strukturvertrieb vertrieben wurde, untermauert diese Zurechnung maßgeblich. § 6 Abs. 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in seiner neuen Fassung sei hier nicht relevant, da es um die Zurechnung von deliktischem Verhalten im Rahmen des Verschuldens bei Vertragsschluss (c.i.c.) gehe.
Kausalität: Ohne Falschberatung kein Abschluss des gesamten Anlagekonzepts
Das Landgericht hatte nach Ansicht des KG zutreffend festgestellt, dass der Versicherungsnehmer bei pflichtgemäßer Aufklärung – insbesondere über die realistischen Renditechancen und die spezifischen Risiken der Lebensversicherung als Tilgungsinstrument – das gesamte S…-Konzept nicht abgeschlossen hätte. Die Tilgungsversicherung der beklagten Gesellschaft war ein maßgeblicher und unverzichtbarer Baustein des gesamten Modells. Ohne diese Versicherung oder eine vergleichbare, überzeugende Alternative wäre die Kreditfinanzierung nicht zustande gekommen und das Gesamtkonzept wäre gescheitert. Dem Versicherungsnehmer wurde ausschließlich der Tarif der beklagten Versicherungsgesellschaft empfohlen. Die Versicherungsgesellschaft, der das Fehlverhalten des Vermittlers zuzurechnen ist, konnte nicht darlegen, dass ein Produkt eines anderen Versicherers den Kläger überzeugt hätte, wenn er realistisch über die Renditeaussichten der als Tilgungsinstrument vorgesehenen Lebensversicherung aufgeklärt worden wäre. Da die Versicherungsgesellschaft wusste, dass ihr Tarif ein unverzichtbarer Baustein des Gesamtkonzeptes war, sind ihr auch die Risiken des Gesamtmodells zurechenbar.
Schadensumfang und Erstattungspflicht für das gesamte Modell
Die Höhe des Schadens war im Berufungsverfahren zwischen den Parteien unstreitig geblieben. Das KG stellte klar, dass die Kosten für die Risikolebensversicherungen der Ehefrau, die der Versicherungsnehmer nachweislich getragen hatte, einen eigenen Vermögensschaden des Klägers darstellen und es sich nicht um eine unzulässige Geltendmachung eines Drittschadens (Drittschadensliquidation) handelt.
Keine Verjährung der Schadensersatzansprüche des Anlegers
Die Ansprüche des Versicherungsnehmers sind nach Auffassung des KG nicht verjährt. Die bloße Kenntnis der tatsächlichen schlechten Renditeentwicklung der Lebensversicherung gab dem Versicherungsnehmer allein noch keine Kenntnis davon, dass die ihm gegenüber gemachten Prognosen bereits im Zeitpunkt der Antragsstellung unzutreffend und unseriös waren. Ein Schreiben der Versicherungsgesellschaft aus dem Jahr 2011, in dem diese sogar betonte, dass die negative Entwicklung so nicht vorhersehbar gewesen sei, stützt nach Ansicht des Gerichts die Annahme, dass der Versicherungsnehmer keine Kenntnis von der ursprünglichen Pflichtwidrigkeit der Beratung hatte.
Keine grundsätzliche Bedeutung des Falls – Anwendung gefestigter BGH-Rechtsprechung
Das KG sah keine Veranlassung, die Revision zum Bundesgerichtshof zuzulassen. Die Sache habe keine grundsätzliche Bedeutung, da der Senat lediglich die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den konkreten Einzelfall anwende. Es bestehe weder eine Notwendigkeit zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung durch ein Urteil mit Revisionszulassung noch zur Rechtsfortbildung. Weitere Gründe, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machen würden, lagen nach Einschätzung des Gerichts ebenfalls nicht vor.
Der Versicherungsgesellschaft wurde eine Frist von drei Wochen eingeräumt, um zum Beschlussentwurf Stellung zu nehmen und aus Kostengründen gegebenenfalls die Rücknahme der Berufung zu erwägen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Bei unrealistischen Renditeprognosen für Kapitallebensversicherungen haftet der Versicherer für den gesamten entstandenen Schaden – auch bei komplexen kreditfinanzierten Anlagemodellen. Versicherer müssen korrekt über Risiken aufklären und haften für Fehlverhalten ihrer Vermittler, selbst wenn diese als selbstständige Vertriebspartner agieren. Das Urteil stärkt die Position von Anlegern, die durch überhöhte Renditeversprechen in finanziell nachteilige Vertragskonstellationen gelockt wurden, und verpflichtet Versicherungsunternehmen zu realistischen, nachvollziehbaren Prognosen bei der Beratung.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „Vorvertragliche Aufklärungspflicht“ im Zusammenhang mit Lebensversicherungen?
Die vorvertragliche Aufklärungspflicht bedeutet, dass ein Versicherungsunternehmen vor dem Abschluss einer Lebensversicherung bestimmte wichtige Informationen an Sie als potenziellen Versicherungsnehmer übermitteln muss. Sinn und Zweck ist es, dass Sie alle wesentlichen Punkte kennen, um eine fundierte Entscheidung für oder gegen den Vertrag treffen zu können. Diese Pflicht dient Ihrem Schutz und stellt sicher, dass Sie nicht „die Katze im Sack kaufen“.
Diese Pflicht verlangt vom Versicherungsunternehmen, Sie umfassend und verständlich über die wichtigsten Merkmale der geplanten Lebensversicherung zu informieren. Zu diesen Informationen gehören typischerweise:
- Die Art und der genaue Umfang des Versicherungsschutzes (was ist versichert und was nicht?).
- Die gesamte Vertragsdauer und die Höhe der regelmäßig zu zahlenden Beiträge.
- Alle anfallenden Kosten und Gebühren, sowohl einmalige bei Vertragsbeginn als auch laufende über die gesamte Laufzeit.
- Informationen zum möglichen Rückkaufswert, also dem Betrag, den Sie bei einer vorzeitigen Kündigung erhalten würden, und wie dieser berechnet wird.
- Details zu den möglichen Erträgen oder Überschüssen bei bestimmten Vertragsarten, einschließlich der damit verbundenen Chancen und Risiken. Oft werden hier Beispielrechnungen für verschiedene Szenarien gezeigt.
- Ihre wichtigsten Rechte als Versicherungsnehmer, insbesondere das gesetzliche Widerrufsrecht, das Ihnen erlaubt, den Vertrag innerhalb einer bestimmten Frist zu überprüfen und gegebenenfalls rückgängig zu machen.
- Wichtige Informationen über das Versicherungsunternehmen selbst.
Wenn das Versicherungsunternehmen seine Pflicht zur vorvertraglichen Aufklärung nicht oder nur mangelhaft erfüllt, kann das rechtliche Konsequenzen haben. Eine wichtige Folge kann sein, dass die Frist für Ihr Widerrufsrecht unter Umständen nicht korrekt zu laufen beginnt oder sich sogar verlängert. Dies gibt Ihnen möglicherweise länger Zeit, sich doch noch gegen den Vertrag zu entscheiden, nachdem Sie die fehlenden Informationen erhalten haben. In bestimmten Fällen können bei schwerwiegenden Verletzungen der Aufklärungspflicht auch Ansprüche auf Schadensersatz in Betracht kommen, wenn Ihnen durch die mangelhafte Information ein finanzieller Nachteil entstanden ist.
Sich gut über die geplante Lebensversicherung zu informieren und die erhaltenen Unterlagen genau zu prüfen, ist daher ein wichtiger Schritt, bevor Sie einen Vertrag abschließen.
Wann gelten Renditeprognosen für eine Lebensversicherung als „unrealistisch“ und somit als Verletzung der Aufklärungspflicht?
Eine Renditeprognose bei einer Lebensversicherung ist ihrer Natur nach eine Schätzung der zukünftigen Entwicklung und keine Garantie. Sie gilt dann als „unrealistisch“ im rechtlichen Sinne, wenn sie den Kunden zum Zeitpunkt ihrer Abgabe über die tatsächlichen Ertragschancen ernsthaft in die Irre führen konnte. Es geht also nicht darum, ob die vorhergesagte Rendite am Ende tatsächlich erzielt wurde, sondern ob die Prognose von Anfang an nicht auf einer vertretbaren Grundlage beruhte.
Gerichte beurteilen die Realitätsnähe einer solchen Prognose, indem sie prüfen, auf welchen Annahmen die Versicherung die Vorhersage aufgebaut hat. Wichtige Anhaltspunkte dabei sind:
- Die allgemeine Marktsituation: Wie sahen die Bedingungen an den Finanzmärkten zu dem Zeitpunkt aus, als die Prognose erstellt wurde? Waren die Annahmen angesichts der damaligen Zinsen und der allgemeinen Wirtschaftslage plausibel?
- Historische Entwicklungen: Welche Erfahrungen gab es in der Vergangenheit mit ähnlichen Anlageformen? Auch wenn vergangene Ergebnisse keine Garantie für die Zukunft sind, geben sie eine Orientierung. Eine Prognose, die weit über dem liegt, was jemals zuvor erzielt wurde, kann ein Hinweis auf Unrealistik sein.
- Interne Berechnungen und Erwartungen der Versicherung: Welche eigenen, realistischen Schätzungen und Kalkulationen hatte die Versicherung selbst zu diesem Zeitpunkt? Eine Prognose, die internen, konservativeren Schätzungen widerspricht, kann als irreführend gelten.
- Die verwendete Methode zur Prognose: Wurde die Prognose auf Basis nachvollziehbarer finanzmathematischer Methoden oder auf unrealistisch optimistischen, spekulativen Annahmen erstellt?
Für Sie als Kunde bedeutet das: Eine Prognose ist dann wahrscheinlich problematisch, wenn sie von der Versicherung oder dem Vermittler wesentlich zu positiv dargestellt wurde und Sie aufgrund dieser unzutreffenden oder stark übertriebenen Darstellung eine Entscheidung getroffen haben, die Sie bei realistischer Information nicht oder anders getroffen hätten. Eine leichte oder moderate Überschätzung allein macht eine Prognose in der Regel noch nicht rechtlich „unrealistisch“ im Sinne einer Pflichtverletzung. Es muss sich um eine erhebliche Diskrepanz zur realistisch erwartbaren Entwicklung handeln, die auf unbegründeten oder manipulativen Annahmen beruht.
Was bedeutet „Erfüllungsgehilfe“ im Versicherungsrecht und wann haftet die Versicherungsgesellschaft für das Handeln von Vermittlern?
Stellen Sie sich vor, Sie schließen eine Versicherung ab. Oft sprechen Sie dabei nicht direkt mit der Versicherungsgesellschaft, sondern mit einem Versicherungsvermittler – zum Beispiel einem Makler oder einem Vertreter. Rechtlich kann das Handeln dieses Vermittlers der Versicherungsgesellschaft unter bestimmten Umständen zugerechnet werden. Das geschieht nach dem Prinzip des „Erfüllungsgehilfen“.
Was ist ein „Erfüllungsgehilfe“?
Vereinfacht gesagt ist ein „Erfüllungsgehilfe“ jemand, den eine Partei (hier: die Versicherungsgesellschaft) nutzt, um ihre eigenen Aufgaben oder Pflichten gegenüber einer anderen Partei (hier: Ihnen als Kunde) zu erfüllen.
Im Versicherungsrecht bedeutet das: Wenn die Versicherungsgesellschaft einen Vermittler einschaltet, um Aufgaben zu erledigen, die eigentlich die Gesellschaft selbst Ihnen gegenüber hat – wie das Aufklären über die Versicherung oder das Aufnehmen Ihres Antrags –, dann handelt der Vermittler als ihr „Erfüllungsgehilfe“.
Denken Sie daran wie bei einer Handwerkerfirma: Wenn die Firma einen Mitarbeiter schickt, um bei Ihnen eine Reparatur durchzuführen, ist dieser Mitarbeiter der Erfüllungsgehilfe der Firma.
Wann haftet die Versicherungsgesellschaft für Fehler des Vermittlers?
Das Prinzip des Erfüllungsgehilfen führt dazu, dass die Versicherungsgesellschaft für Fehler oder Pflichtverletzungen des Vermittlers haftet, so als hätte sie diese Fehler selbst gemacht.
Das ist wichtig, denn es bedeutet für Sie als Kunden: Wenn der Vermittler bei der Erfüllung seiner Aufgaben für die Versicherungsgesellschaft einen Fehler macht und Ihnen dadurch ein Schaden entsteht, können Sie die Versicherungsgesellschaft direkt dafür verantwortlich machen.
Beispiele für solche Fehler können sein:
- Der Vermittler gibt Ihnen falsche oder unvollständige Informationen über den Versicherungsschutz.
- Der Vermittler nimmt Ihren Versicherungsantrag auf, macht dabei aber Fehler, die später zu Problemen führen.
- Der Vermittler leitet wichtige Informationen, die Sie ihm geben (z.B. Änderungen, die für den Versicherungsschutz wichtig sind), nicht oder falsch an die Versicherungsgesellschaft weiter.
Die Haftung der Versicherungsgesellschaft besteht dann, wenn der Vermittler diese Fehler im Rahmen seiner Tätigkeit als Erfüllungsgehilfe – also bei der Wahrnehmung von Aufgaben für die Gesellschaft – begangen hat. Für Sie bedeutet das eine höhere Sicherheit, da Sie einen starken Vertragspartner – die Versicherungsgesellschaft – für Fehler in Anspruch nehmen können, die im Verkaufsprozess durch Personen entstanden sind, die im Auftrag oder Interesse der Gesellschaft handelten.
Welche Ansprüche habe ich als Versicherungsnehmer, wenn die Versicherungsgesellschaft ihre vorvertraglichen Aufklärungspflichten verletzt hat?
Wenn eine Versicherungsgesellschaft ihre Pflichten vor Vertragsabschluss nicht richtig erfüllt hat, kann das für Sie als Versicherungsnehmer unangenehme Folgen haben, besonders wenn Sie den Vertrag aufgrund falscher oder unvollständiger Informationen abgeschlossen haben. Das Gesetz schützt Sie in solchen Fällen.
Warum ist Aufklärung vor Vertragsabschluss wichtig?
Bevor Sie einen Versicherungsvertrag abschließen, hat die Versicherungsgesellschaft wichtige Pflichten. Dazu gehört, Sie umfassend und richtig über die angebotene Versicherung zu informieren. Sie muss Ihnen erklären, was genau versichert ist, welche Kosten entstehen und welche Bedingungen gelten. Auch über Ihr Recht, den Vertrag zu widerrufen, müssen Sie klar und verständlich aufgeklärt werden. Dies nennt man vorvertragliche Aufklärungspflicht. Der Grund dafür ist, dass Sie eine informierte Entscheidung treffen können.
Welche Rechte haben Sie, wenn die Aufklärung fehlerhaft war?
Wenn die Versicherungsgesellschaft diese Aufklärungspflichten verletzt hat, stehen Ihnen unter bestimmten Voraussetzungen verschiedene Rechte zu. Diese Rechte sollen Sie so stellen, als ob die Pflichtverletzung nicht passiert wäre.
Ein wichtiges Recht ist oft das Recht auf Widerruf des Versicherungsvertrages. Wenn die Belehrung über Ihr Widerrufsrecht bei Vertragsabschluss nicht korrekt oder unvollständig war, kann die normalerweise geltende Frist für den Widerruf unter Umständen gar nicht erst beginnen oder erst viel später enden. Ein wirksamer Widerruf führt dazu, dass der Versicherungsvertrag so behandelt wird, als wäre er nie geschlossen worden. Das bedeutet, Sie erhalten Ihre gezahlten Prämien zurück.
Neben dem Widerrufsrecht können auch Ansprüche auf Schadensersatz in Betracht kommen. Ein solcher Anspruch entsteht, wenn Sie durch die Verletzung der Aufklärungspflichten einen finanziellen Schaden erlitten haben. Stellen Sie sich vor, Ihnen wurde eine Versicherung empfohlen und verkauft, die gar nicht zu Ihrem Bedarf passt, weil wichtige Informationen fehlen oder falsch waren. Oder Sie haben aufgrund der Falschinformationen eine teurere Versicherung abgeschlossen, als nötig gewesen wäre.
Was kann Schadensersatz bedeuten?
Das Ziel von Schadensersatz ist, Sie wirtschaftlich so zu stellen, als hätten Sie die korrekten Informationen erhalten. Das kann verschiedene Formen annehmen:
- Rückabwicklung des Vertrages: In manchen Fällen kann der Schadensersatzanspruch dazu führen, dass der Vertrag rückabgewickelt wird. Ähnlich wie beim Widerruf erhalten Sie Ihre gezahlten Beiträge zurück. Dies ist oft der Fall, wenn der Vertrag bei richtiger Aufklärung gar nicht erst abgeschlossen worden wäre.
- Ersatz konkreter finanzieller Nachteile: Haben Sie aufgrund der fehlerhaften Aufklärung zum Beispiel unnötige Kosten gehabt oder hätten Sie bei richtiger Information eine günstigere oder passendere Versicherung abgeschlossen, kann die Differenz oder der entstandene Nachteil als Schaden ersetzt werden.
Die Versicherungsgesellschaft muss grundsätzlich nachweisen, dass sie Sie ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Daher ist die Dokumentation der Beratungsgespräche und übergebenen Informationen sehr wichtig.
Wenn Sie glauben, dass Sie nicht korrekt aufgeklärt wurden und dadurch einen Nachteil erlitten haben, ist es wichtig zu prüfen, welche Rechte Sie im konkreten Fall haben.
Was ist bei der Finanzierung einer Lebensversicherung durch einen Kredit zu beachten und welche Risiken birgt ein solches Modell?
Wenn Sie eine Lebensversicherung nicht aus laufenden Einnahmen bezahlen, sondern dafür einen Kredit aufnehmen, sprechen Experten von einer Kreditfinanzierung der Lebensversicherung. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen Geld bei einer Bank auf, um damit die Beiträge für Ihre Versicherung zu bezahlen. Das ist im Grunde eine Wette darauf, dass die Erträge oder die Ablaufleistung Ihrer Lebensversicherung am Ende höher sind als die gesamten Kosten des Kredits (inklusive Zinsen) und die gezahlten Versicherungsbeiträge zusammen.
Ein solches Modell birgt deutliche zusätzliche Risiken im Vergleich zur direkten Zahlung der Versicherungsbeiträge. Das größte Risiko ist die Überschuldung. Dies kann passieren, wenn:
- Die Zinsen für den Kredit höher sind oder steigen, als ursprünglich erwartet.
- Die Erträge oder die spätere Auszahlung der Lebensversicherung niedriger ausfallen als erhoff. Lebensversicherungen garantieren oft nur einen kleinen Teil der möglichen Auszahlung, der Rest hängt von der Entwicklung der Kapitalmärkte oder den Überschüssen des Versicherers ab.
- Sie in der Zwischenzeit den Kredit nicht mehr bedienen können, weil sich Ihre finanzielle Situation ändert.
Diese Risiken können dazu führen, dass die Kreditschulden und Zinsen die Ablaufleistung der Versicherung übersteigen. Im schlimmsten Fall reicht das Geld aus der Versicherung nicht aus, um den Kredit zurückzuzahlen, und Sie bleiben auf Schulden sitzen.
Worauf Sie achten sollten
Bei der Entscheidung für oder gegen eine Kreditfinanzierung ist höchste Sorgfalt geboten. Sie sollten das Modell und seine Funktionsweise vollständig verstehen. Dazu gehört, dass Sie sich über folgende Punkte klar sind:
- Gesamtkosten des Kredits: Rechnen Sie genau aus, wie viel Zinsen über die gesamte Laufzeit anfallen. Diese Kosten fallen zusätzlich zu den Versicherungsbeiträgen an.
- Erwartete Erträge der Versicherung: Seien Sie bei den erwarteten Renditen der Versicherung realistisch und vorsichtig. Schauen Sie sich nicht nur die Hochrechnungen an, sondern vor allem die garantierte Mindestleistung.
- Ihre finanzielle Belastbarkeit: Können Sie die monatlichen Kreditraten sicher und langfristig bezahlen, auch wenn unvorhergesehene Ausgaben auf Sie zukommen oder sich Ihre Einkommenssituation verändert?
Man spricht hier auch von einer erhöhten Aufklärungspflicht durch den Anbieter des Modells. Wer Ihnen eine solche Finanzierung vorschlägt, sollte Sie ausführlich und verständlich über alle Risiken informieren und die potenziellen Kosten und Erträge transparent darstellen. Dennoch liegt die letzte Verantwortung bei Ihnen, die Risiken einzuschätzen und zu entscheiden, ob Sie diese tragen wollen und können. Ein solches Modell ist in der Regel nur für Personen geeignet, die über stabile Finanzen verfügen und hohe Risikobereitschaft mitbringen. Für die meisten Menschen ist die direkte Zahlung der Beiträge der sicherere Weg.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Vorvertragliche Aufklärungspflicht
Die vorvertragliche Aufklärungspflicht verpflichtet die Versicherungsgesellschaft, den potenziellen Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrags umfassend und verständlich über alle wesentlichen Vertragsmerkmale zu informieren. Dazu gehören Informationen zu Leistungen, Kosten, Risiken und Renditechancen der Lebensversicherung. Diese Pflicht soll sicherstellen, dass der Kunde eine fundierte Entscheidung treffen kann und schützt ihn vor „Kauf im Unklaren“. Wird diese Pflicht verletzt, kann der Versicherungsnehmer Ansprüche auf Schadensersatz geltend machen oder den Vertrag widerrufen.
Beispiel: Wenn eine Versicherung unrealistische Renditen verspricht, ohne auf mögliche Verluste hinzuweisen, verletzt sie diese Pflicht.
Culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsschluss)
Culpa in contrahendo ist ein rechtliches Prinzip, das die Haftung für Pflichtverletzungen bereits während der Vertragsverhandlungen regelt. Wenn eine Partei – hier die Versicherung – ihre Pflichten zur Aufklärung oder zur korrekten Information vor Vertragsschluss verletzt und dadurch ein Schaden entsteht, haftet sie, auch ohne dass ein separater Beratungsvertrag besteht. Diese Haftung soll dem Kunden ermöglichen, Schäden aus fehlerhaften Vertragsverhandlungen ersetzt zu bekommen.
Beispiel: Wenn ein Vermittler falsche Angaben zu den Renditeerwartungen macht und der Kunde deshalb den Vertrag abschließt, kann die Versicherung wegen culpa in contrahendo haften.
Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB)
Ein Erfüllungsgehilfe ist eine Person, die von einer Partei (hier der Versicherungsgesellschaft) für die Erfüllung ihrer vertraglichen oder vorvertraglichen Pflichten eingesetzt wird. Im Versicherungsrecht sind Vermittler oft Erfüllungsgehilfen, wenn sie im Auftrag der Versicherung Beratung und Vertragsschluss durchführen. Das bedeutet: Die Versicherung haftet für Fehler oder falsche Angaben des Vermittlers so, als hätte sie die Fehler selbst gemacht.
Beispiel: Wenn ein Vermittler falsche Renditeversprechen macht, muss die Versicherung dafür gerade stehen, weil der Vermittler als ihr Erfüllungsgehilfe handelt.
Kreditfinanzierung einer Lebensversicherung
Die Kreditfinanzierung einer Lebensversicherung bedeutet, dass der Versicherungsnehmer für die Zahlung der Einmalbeiträge oder Prämien einen Kredit aufnimmt, anstatt eigenes Kapital zu verwenden. Ziel ist es, mit den Erträgen der Versicherung die Kreditkosten zu decken. Diese Finanzierungsform erhöht das Risiko erheblich, da bei schlechter Rendite oder steigenden Zinsen der Kredit nicht vollständig zurückgezahlt werden kann, was zu einer Überschuldung führt.
Beispiel: Wenn die Rendite der fondsgebundenen Lebensversicherung unter den Zinsen für den Kredit liegt, bleibt am Ende möglicherweise eine Kreditschuld übrig, die nicht durch die Versicherungsleistung gedeckt ist.
Schadensersatzanspruch bei Verletzung vorvertraglicher Pflichten
Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich, wenn die Versicherungsgesellschaft vor Vertragsschluss ihre Aufklärungspflichten verletzt hat und dadurch dem Versicherungsnehmer ein finanzieller Schaden entstanden ist. Ziel ist es, den Geschädigten so zu stellen, als wäre der Vertrag wegen richtiger Information nicht geschlossen worden. Das kann die Rückzahlung geleisteter Zahlungen umfassen und die Befreiung von noch bestehenden Verbindlichkeiten einschließen.
Beispiel: Wenn eine Versicherung unrealistische Renditeprognosen gibt, die zum Vertragsabschluss führen, und sich später zeigt, dass diese nicht erfüllt wurden, kann der Kunde Schadensersatz verlangen, um seine Verluste auszugleichen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 10a Abs. 1 S. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG a.F.): Regelt die vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten bei Versicherungsverträgen, insbesondere bei fondsgebundenen Lebensversicherungen, mit detaillierten Anforderungen zur Offenlegung der Vermögensanlage und Risikoinformationen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherungsgesellschaft musste umfassend und korrekt über Art und Risiko der fondsgebundenen Lebensversicherung informieren, was hier aufgrund der nur unzureichenden Angaben zu Fonds und fehlender konkreter Prospekte nicht erfolgt ist.
- culpa in contrahendo (c.i.c., Verschulden bei Vertragsschluss): Rechtsfigur, die bei vorvertraglichen Pflichtverletzungen zur Schadensersatzhaftung führt, wenn eine Partei Pflichten verletzt und dadurch der andere Vertragspartner Schaden erleidet. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Haftung der Versicherungsgesellschaft folgt aus dem Verschulden bei Vertragsschluss aufgrund der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten über Renditechancen und Risiken.
- § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Regelt die Haftung für Erfüllungsgehilfen, wonach eine Partei für das Verschulden von Personen haftet, die sie zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen einsetzt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Fehlverhalten des Vermittlers und der S…-Gruppe wurde der Versicherungsgesellschaft zugerechnet, da diese die Vermittler zur Erfüllung der Aufklärungspflichten eingesetzt hat.
- BGH-Rechtsprechung (u.a. BGH Urt. v. 9.7.1998 – III ZR 158/97): Verbindet die Pflicht zur umfassenden und realistischen Risikoaufklärung insbesondere bei kapitalanlagemäßigen Lebensversicherungen und erkennt unrealistische Renditeprognosen als Aufklärungspflichtverletzung an. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherungsgesellschaft durfte keine unrealistischen Renditeprognosen verwenden; das Gericht bestätigte, dass die Prognosen von 6,85 % bis 8,5 % keine Grundlage hatten und somit Aufklärungspflichten verletzt wurden.
- Verjährungsregelungen im Schadenersatzrecht: Schadensersatzansprüche verjähren grundsätzlich in drei Jahren ab Kenntnis von Schaden und Verantwortlichem, lösen sich aber erst durch tatsächliches Wissen um die Pflichtverletzung aus. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht verneinte die Verjährung, da der Versicherungsnehmer erst später Kenntnis von der Unrichtigkeit der Prognosen erlangte, was die Ansprüche noch nicht verjährt sein ließ.
- § 6 Abs. 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) neue Fassung: Regelt die Zurechnung des Verhaltens von Vermittlern gegenüber Versicherungsnehmern, insbesondere deren Verantwortlichkeit; hier jedoch nicht einschlägig, da es um das Verschulden bei Vertragsschluss i.S.v. c.i.c. geht. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Zurechnung des Vermittlerverhaltens an die Versicherungsgesellschaft erfolgte außerhalb des VVG, nämlich über § 278 BGB und das culpa in contrahendo, was der Versicherungsgesellschaft zwingende Haftung auferlegt.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 6 U 57/16 – Beschluss vom 30.01.2018
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