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Kapitallebensversicherung – Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten – Renditeprognosen

KG Berlin – Az.: 6 U 57/16 – Beschluss vom 30.01.2018

In dem Rechtsstreit … hat der Senat nunmehr über die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 10. März 2016 beraten und beabsichtigt im Ergebnis, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten, mit der er durch einen Versicherungsvertrag über eine kapitalbildende Lebensversicherung verbunden war, die zwischenzeitlich von ihm gekündigt worden ist, einen Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten wegen der Werbung mit nach seiner Auffassung zum damaligen Zeitpunkt unrealistischen Renditen geltend und verlangt von der Beklagten, finanziell so gestellt zu werden, als hätte er auch alle weiteren Verträge nicht geschlossen, die er als Bausteine einer “S…-.. -Rente” (im Folgenden: S… ) abgeschlossen hat.

Zu den Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie zum Inhalt des streitigen Parteivorbringens und der vor dem Landgericht gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Das Landgericht hat die Beklagte weitgehend antragsgemäß zum Schadensersatz verurteilt und die Klage lediglich abgewiesen hinsichtlich der begehrten Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten und soweit Zinsen für die Zeit vor Rechtshängigkeit geltend gemacht worden sind.

Es hat eine vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzung durch das Werben des als Zeugen benannten Herrn M… mit unrealistischen Renditeprognosen von 6,5% bejaht und den Zeugen M…, der als Untervermittler tätig wurde, als Erfüllungsgehilfen der Beklagten angesehen. Das Landgericht hat hinsichtlich der Kausalität die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die gesamte S… nicht abgeschlossen hätte, wenn die Pflichtverletzung unterblieben wäre.

Es hat die Klageberechtigung des Klägers bejaht und eine Verjährung des Schadensersatzanspruchs verneint. Zu den Einzelheiten der Erwägungen wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Kapitallebensversicherung - Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten – Renditeprognosen
(Symbolfoto: create jobs 51 /Shutterstock.com)

Gegen dieses ihr am 18. März 2016 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 8. April 2016 eingelegten Berufung, die sie nach der am 12. Mai 2016 beantragten und um einen Monat bewilligten Fristverlängerung am 20. Juni 2016 (einem Montag) begründet hat.

Die Beklagte verfolgt ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter und macht geltend, der Kläger sei wegen der erfolgten Abtretung der Leistungsansprüche aus der Lebensversicherung – auch der bei Verwertung vor Fälligkeit – nicht berechtigt, die Leistung zu verlangen, weil Sicherheitsinteressen der finanzierenden Bank betroffen seien.

Eine Aufklärungspflichtverletzung sei nicht gegeben. Der Zeuge M… habe mit einer Rendite von 6,85% gerechnet. Diese sei nicht unrealistisch gewesen. Die Anlage K 26 beziehe sich auf den Tarif “L… 2”. Vereinbart sei hier jedoch der Tarif L… /2002.

Es sei auch nicht sicher ausgeschlossen gewesen, dass zu diesem Zeitpunkt eine Investition in den Fonds O… erfolgen konnte. Darüber hinaus sei der Fonds O… keineswegs fester Bestandteil der vertraglichen Vereinbarung. Geschuldet war eine Investition in den Tarif L… .

Der Beklagten sei auch das Verhalten der S…-Gruppe und ihrer Untervermittler nicht zuzurechnen.

Der Beklagte sei auch nicht die Gesamtheit der mit dem S…-Modell verbundenen Risiken zuzurechnen. Die Beklagte habe keine Veranlassung dazu gegeben, dass weitere Verträge geschlossen worden sind.

Es sei auch nicht überzeugend, dass der Kläger das gesamte S…-Modell nicht abgeschlossen hätte, wenn er ordnungsgemäß über die Kapitallebensversicherung der Beklagten aufgeklärt worden wäre. Es hätten auch andere Versicherer Verträge für die Tilgungskomponente angeboten.

Die Anwendung der Grundsätze über die Drittschadensliquidation in Ansehung der von der Ehefrau des Klägers abgeschlossenen Risikolebensversicherungen sei nicht möglich.

Die Einrede der Verjährung werde aufrechterhalten.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zu den Einzelheiten des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlage verwiesen.

II.

Die Berufung ist zwar zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Berufung kann gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beide Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor.

1) Der Kläger ist zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches berechtigt. Das Landgericht hat insoweit rechtsfehlerfreie und zutreffende Erwägungen angestellt, auf deren Inhalt verwiesen wird.

Der Kläger macht einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte geltend, der darauf gerichtet ist, ihn finanziell so zu stellen, als hätte er sämtliche Verträge der S… nicht abgeschlossen. Der Anspruch ist deshalb auch darauf gerichtet, ihn finanziell so zustellen, als hätte er die Darlehensverträge mit der finanzierenden Bank nicht geschlossen. Dieser Schadensersatzanspruch steht ihm allein zu, ohne dass es auf etwaige Sicherungsinteressen der finanzierenden Bank ankommt. Ihr sind nur Ansprüche auf Leistung aus der Tilgungsversicherung abgetreten. Der nach Kündigung der Tilgungsversicherung von der Beklagten gezahlte Betrag ist an die Bank geflossen. Insoweit sind deren Sicherungsinteressen gewahrt worden. Das Risiko der Werthaltigkeit von Sicherheiten trägt grundsätzlich die Bank, der Kläger prozessiert jedoch im Einklang mit den weitergehenden Sicherungsinteressen der Bank. Denn der Kläger verlangt von der Beklagten ausdrücklich die Freistellung von den noch offenen Verbindlichkeiten, die gegenüber der finanzierenden Bank noch bestehen.

Soweit er die Erstattung von Zahlungen im Wege eines bezifferten Antrages verlangt, handelt es sich um Zahlungen, die ebenfalls an die Bank geflossen sind, um die Darlehensverbindlichkeiten teilweise zu erfüllen.

2) Das Landgericht hat unangegriffen und zutreffend ausgeführt, dass ein Beratungsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht geschlossen worden ist.

3) Das Landgericht hat auch mit überzeugenden Argumenten eine Haftung der Beklagten auf Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluss durch die Verletzung von Aufklärungspflichten bejaht.

a) Der Umfang der Informations- und Aufklärungspflichten, die die Beklagte zu erfüllen hatte, ist hier von § 10a Abs. 1 S. 1VAG aF in Verbindung mit der Anlage Teil D bestimmt (vgl. BGH, Beschl. v. 26. 9. 2012 – IV ZR 71/11 – zitiert nach juris: Rdnr. 26). Gemäß § 10a Abs. 1 S. 1VAG in der zum Zeitpunkt der Vertragsanbahnung geltenden Fassung war die Beklagte verpflichtet, den Kläger als zukünftigen Versicherungsnehmer und Verbraucher vor Abschluss des Versicherungsvertrages in einer Verbraucherinformation, die gemäß Abs. 2 schriftlich zu erfolgen hatte, über die für das Versicherungsverhältnis maßgeblichen Tatsachen und Rechte zu unterrichten. Gemäß Teil D Abschnitt I Nr. 2 e der Anlage war bei fondsgebundenen Versicherungen der Versicherungsnehmer über den der Versicherung zugrunde liegenden Fonds und die Art der darin enthaltenen Vermögenswerte zu informieren. Die Beklagte hat im Antragsformular K 17 zwar darauf hingewiesen, dass beim Tarif L… die Fondsanlage in ein immobilienorientiertes Portefeuille erfolgt. Im Antrag ist auf weiteres Informationsmaterial zur aktuellen Zusammensetzung des Portefeuilles verwiesen, derartiges Material hat die Beklagte jedoch weder vorgelegt, noch zu deren Inhalt vorgetragen. Sie legt sich auch im gesamten Rechtsstreit nicht fest, in welchen oder in welche Fonds eine Anlage des Einmalbetrages nach dem Versicherungsvertrag erfolgen sollte, als die Antragsgespräche stattfanden.

Der Kläger hat als Anlage K 15 ein gemeinsam von der Beklagten und der S… Gruppe erstelltes Prospekt vorgelegt, das allerdings nach seinem Vortrag bei den Vertragsverhandlungen nicht vorgelegen hat und das ihm vor Vertragsschluss nicht bekannt war. Dort ist im Tarif L… als Schwerpunkt des Portefeuilles der E…fonds – O… genannt. Die Beklagte behauptet selbst nicht, dass dieser Prospekt bei den Vertragsverhandlungen vorgelegt wurde, sondern beruft sich selbst darauf, dass eine Einzahlung in diesen Fonds nicht vertraglich vereinbart gewesen ist. Wie bereits dargelegt, gibt sie nicht an, in welchen Fonds der Einmalbeitrag für den Tarif L… /2002 investiert werden sollte.

b) Die Informations- und Aufklärungspflichten der Beklagten gegenüber dem Kläger richten sich hier nach Kapitalanlagegrundsätzen.

aa) Das gesamte S…-Modell ist ein Anlagegeschäft, denn es sollte ein wirtschaftlicher Erfolg für den Kläger durch den Einsatz von fremdfinanziertem Kapital erwirtschaftet werden. Dies zweifelt auch die Beklagte nicht an. Die Absicherung des Todesfallrisikos spielte dabei keine Rolle. Zahlungen sollten nicht für den Fall des plötzlichen Todes des Klägers geschuldet sein, um seine Angehörigen finanziell abzusichern. Die S… diente insgesamt dazu, dass der Kläger zu Lebzeiten seine Altersversorgung verbessert, indem er eine lebenslange Rente erhält, deren Einmalbeitrag in sechsstelliger Höhe er nicht aus eigenen Mitteln zahlt, sondern durch einen Kredit finanziert. Die hier in Rede stehende Kapitallebensversicherung, deren sechsstelliger Einmalbeitrag ebenfalls durch einen Kredit finanziert wurde, sollte dabei eine Rendite erwirtschaften, die zusammen mit den Rentenzahlungen während der Laufzeit der Kredite deren Aufwand abdeckte. Die Rendite der Lebensversicherung der Beklagten sollte die Kreditkosten weitgehend erwirtschaften. Unter Berücksichtigung steuerlicher Gesichtspunkte sollte der Kläger eine lebenslange Rente erhalten, deren Beitragsaufwand sich letztlich selbst durch die Gewinne der hier mit der Beklagten bestehenden Tilgungsversicherung selbst erwirtschaftet.

Das Risiko des plötzlichen Todes des Klägers spielte dagegen keine wesentliche Rolle. Es ging nicht darum, wegen des Risikos eines plötzlichen Todes des Klägers eine finanzielle Absicherung der Angehörigen zu erreichen, sondern das Geschäft war darauf gerichtet, trotz eines möglichen Todes des Klägers den Erfolg des Anlagegeschäftes zu sichern. Dies geschah dadurch, dass die Rentenzahlung für einen Zeitraum von 24 Jahren vereinbart war, sollte der Kläger vor Ablauf dieses Zeitraumes versterben.

bb) Die Kapitallebensversicherung der Beklagten stellte jedoch nicht nur einen unerlässlichen Bestandteil des S…-Modells als Kapitalanlage dar. Auch die isolierte Betrachtung der Kapitallebensversicherung stellt sich nach den Umständen bei wirtschaftlicher Betrachtung als Kapitalanlagegeschäft dar. Dies folgt hier daraus, dass der Einmalbeitrag in Höhe von …,- EUR kreditfinanziert war, wovon die Beklagte unstreitig Kenntnis hatte. Der Abschluss einer Kapitallebensversicherung, bei der der geschuldete sechsstellige Einmalbeitrag nicht aus dem eigenen Vermögen des Versicherungsnehmers gezahlt, sondern kreditfinanziert wird, stellt sich als Kapitalanlage dar, denn der Versicherungsnehmer will eine Rendite während der Laufzeit des Lebensversicherungsvertrages erzielen, die die Kreditkosten übersteigen soll. Der Senat steht damit im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urt. v. 9. 7. 1998 – III ZR 158/97 – = NJW 1998, 250, f. – zitiert nach juris) . Die Abdeckung des Todesfallrisikos spielte dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Zwar ist eine Todesfallleistung in Höhe von 105% des Versicherungswertes – mindestens jedoch die Höhe des Einmalbetrages – garantiert, gleichwohl hätte kein Versicherungsnehmer, der seine Angehörigen für den Fall des plötzlichen Todes finanziell absichern will, die hier in Rede stehende Versicherung abgeschlossen. Ein Dritter an Stelle des Klägers hätte sich überlegt, wie die Angehörigen finanziell stehen, wenn der Tod des Versicherungsnehmers – im schlimmsten Fall – unmittelbar nach Vertragsschluss eintritt. In diesem Fall hätte ihnen der Versicherungsnehmer Schulden hinterlassen, weil der Einmalbeitrag gerade die Kreditkosten nicht hätte abdecken können.

Dies zeigt auch der Umstand, dass die finanzierende Bank weitere Sicherheiten für die Kreditvergabe in Gestalt von weiteren Risikolebensversicherungen verlangte, deren Ansprüche an die Bank abgetreten werden mussten. Die Todesfallleistung der Kapitallebensversicherung allein hätte zur Absicherung der Darlehensverbindlichkeiten nicht ausgereicht.

c) Zu den originären Pflichten des Anbieters eines Kapitalanlageproduktes gehört eine richtige und vollständige Information über das Produkt; diese umfasst die zutreffende Beschreibung der damit verbundenen Chancen und Risiken, nicht jedoch deren Bewertung, die nur im Rahmen eines Beratungsvertrages geschuldet wird (BGH, Urt. v. 5. 4. 2017 – IV ZR 437/15 – zitiert nach juris: Rdnr. 31. m. w. Nachw.). Geschuldet war eine vollständige Information über diejenigen Umstände, die für den Anlageentschluss des Klägers von besonderer Bedeutung waren (vgl. BGH, Beschl. v. 26. 9. 2012 – IV ZR 71/11 – zitiert nach juris: Rdnr. 26. m. w. Nachw.). Diese Pflichten umfassten eine schriftliche Verbraucherinformation, wie sie oben zu a) dargestellt worden ist und erforderten bei einem kreditfinanzierten Einmalbeitrag für eine fondsgebundene Lebensversicherung einen Hinweis darauf, dass auch ein Verlustrisiko droht, weil sich erstens der Wert der fondsgebundenen Lebensversicherung negativ entwickeln kann und zweitens auch bei einer positiven Rendite aus der Lebensversicherung diese hinter den Kosten der Finanzierung zurückbleiben könnte (vgl. BGH, Urt. v. 9. 7. 1998 – III ZR 158/97 – zitiert nach juris: Rdnr. 6).

aa) Die Beklagte trägt nicht vor, dass sie selbst diesen Aufklärungspflichten nachgekommen ist. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen. Sie behauptet auch selbst nicht, dass sie einen schriftlichen Hinweis – etwa in einem von ihr herausgegebenen Prospekt – über das Verlustrisiko der Anlage erteilt hat.

bb) Sie hat die Erfüllung dieser Pflichten vielmehr der von ihr mit dem Vertrieb betrauten S… Gruppe und deren Untervermittlern überlassen. Die Beklagte beruft sich selbst darauf, dass Risikohinweise in den als Anlage BLD 1 überreichten Unterlagen enthalten sind. Es handelt sich jedoch um “Wichtige Hinweise” zur “S…-…-Rente (S… )” insgesamt, die von den Vermittlern erstellt wurden und nicht von der Beklagten stammen. Den Abschluss dieser vorformulierten Hinweise bildet eine vorgedruckte Bestätigungserklärung, die vom Kunden zu unterzeichnen ist, wonach der Kunde über die vorstehend aufgeführten Punkte detailliert und ausreichend im Informations- und Beratungsgespräch informiert worden ist. Da diese Gespräche ausschließlich von der S… Gruppe und den eingeschalteten Untervermittlern geführt wurden, hat die Beklagte sich zur Erfüllung ihrer eigenen Pflichten eben dieser Vermittler bedient.

d) Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die maßgebliche Pflichtverletzung darin begründet ist, dass der Kläger mit unrealistischen Renditeberechnungen zur Kapitallebensversicherung von der wirtschaftlichen Rentabilität der Anlage überzeugt worden ist.

Werden konkrete Aussagen über eine zu erwartende Wertentwicklung gemacht, müssen diese ein realistisches Bild vermitteln; zeichnet sich bereits bei Vertragsschluss ab, dass diese Werte tatsächlich nicht erreicht werden können, ist der Interessent hierüber aufzuklären (vgl. BGH, Urt. v. 11. 7. 2012 – IV ZR 164/11 – = BGHZ 194, 39 ff – zitiert nach juris: Rdnr. 54 m. w. Nachw.).

Gegen diese Pflicht ist hier deswegen verstoßen worden, weil sowohl in den Musterberechnungen K 8 sowie K 19 mit einer Rendite des Anlagekapitals von 6,85% jährlich gerechnet worden ist, obwohl keine Grundlage für diese Prognose bestand. In den Anlagen wird sogar damit geworben, dass in der Vergangenheit dieses Ergebnis – seit Einführung des Konzeptes – teilweise erheblich überschritten worden ist. Diese Aussage setzte jedoch bei dem Tarif L…/2002 voraus, dass festgelegt war, in welchen Fonds oder in welche Fonds der Anlagebetrag überhaupt im Oktober des Jahres 2004 angelegt werden sollte. Dies trägt die Beklagte jedoch nicht vor. Da der Tarif schon anhand seiner Bezeichnung erst seit 2002 existierte, ist von der Beklagten nicht mitgeteilt, ob überhaupt und welche Renditen in der Vergangenheit bis zum Oktober 2004 mit diesem Tarif erwirtschaftet wurden. In dem als Anlage K 16 überreichten Schreiben der Beklagten an die Vermittler wird für den Tarif L… 2 im Zeitraum vom 1. Februar 2004 bis 31. Januar 2005 eine Durchschnittsrendite von nur 2,49% angeführt. Einen Tarif L…/2002 erwähnt das Schreiben zwar nicht. Allerdings fehlt für sämtliche Tarife L… 1 – 3 wegen der deutlich geringeren Rendite eine Grundlage für eine zukünftige Renditeerwartung von 6,85%.

Das Werben mit einer Rendite von 6,85% war auch deswegen pflichtwidrig, weil im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht geklärt war, in welchen Fonds für den Tarif L…/2002 der Einmalbeitrag überhaupt investiert werden sollte. Der Vortrag des Klägers gemäß der Anlage K 26 ist zutreffend als unstreitig anzusehen, wonach im August 2004 die Anlage von Beiträgen im Tarif L… 2 “definitiv” in den “O…-Fonds” nicht erfolgen konnte, weil kein Kapital zur Verfügung stehe. Auch eine Anlage im Rahmen des “G…-Fonds” sollte danach nicht zum Tragen kommen. Das im Zusammenhang mit den abgeschlossenen Verträgen vorhandene Kapital sollte “zwischengeparkt” werden, bis es Herrn H… gelungen sei, einen interessanten Fonds zu finden. Die erwartete Rendite sollte nach dem Vermerk aber wohl kaum die 5,5% überschreiten. Die Beklagte hat nicht konkret vorgetragen, in welchen oder in welche Fonds die Einmalbeträge für den Tarif L…/2002 sonst hätten investiert werden sollen.

Die Beklagte selbst hatte für den Tarif L… mit Schreiben vom 18. Juni 2003 gegenüber der S… Gruppe eine Renditeempfehlung für eine Laufzeit von 12 – 18 Jahren von 8,5% abgegeben (vgl. K 10), mit der die S… Gruppe gegenüber Kunden werben durfte. Selbst nachdem im September 2004 die S… Gruppe (vgl. K 27) vermerkt hatte, dass Kunden, Steuerberater und Vertriebspartner mit Schadensersatzklagen drohten, weil zur Zeit nicht klar sei, in welcher Form und mit welchem Renditeergebnis eine Investition im Rahmen des Tarifes L… 2 erfolgen dürfte, ist für den Tarif L… der Antrag des Klägers aufgenommen worden (K 17) und bei dem weiteren Gespräch Anfang Dezember 2004 sogar eine eigene “Entwicklungsrechnung” (K 20) vom 1. Dezember 2004 mit einer Renditeprognose von 8,5% Fondsperformance dem Vermittler zur Verfügung gestellt worden. In diesem Schreiben ist zwar darauf hingewiesen, dass diese Rendite nicht garantiert werden könne. Eine derartige Renditeprognose entbehrte jedoch jeglicher Grundlage und durfte nicht mehr verwendet werden, nachdem sich die Verhältnisse im Jahr 2004 gegenüber dem Juni 2003 grundlegend verändert hatten.

Dass letztlich doch ein Teil des Einmalbetrages in den Europafonds O… investiert wurde (vgl. BLD 15), steht den vorstehenden Ausführungen nicht entgegen, sondern zeigt nur, dass der Einmalbeitrag, den der Kläger leistete, nicht dauerhaft “zwischengeparkt” wurde, sondern in zwei Fonds investiert wurde.

e) Umstände, die dafür sprechen, dass die vorstehend genannte Aufklärungspflichtverletzung unverschuldet im Sinne des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB begangen worden ist, werden von der Beklagten nicht vorgetragen.

4) Die Beklagte haftet gemäß § 278 BGB für das Verschulden der S… Gruppe und der von ihr eingesetzten Untervermittler bei den Antragsgesprächen mit dem Kläger.

a) Für die Haftung gemäß § 278 BGB spielt es keine Rolle, ob die S… Gruppe als Versicherungsmakler anzusehen ist, die über die Untervermittler in vertraglichem Verhältnis zu den Kunden standen. Es spielt auch keine Rolle, dass Versicherungsmakler üblicherweise auch in vertraglichen Beziehungen zum Versicherer stehen. Ein derartiges Doppelrechtsverhältnis zum Versicherungsnehmer einerseits und zum Versicherer andererseits ist trotz der Nähe zum Versicherungsnehmer nicht nur möglich, sondern unterstreicht grundsätzlich die Einordnung des Maklers als Mittelsperson (vgl. BGH, Urt. v. 1. 6. 2016 – IV ZR 80/15).

b) Voraussetzung für eine Eigenschaft als Erfüllungsgehilfe ist, dass der Versicherungsmakler oder selbständige Vermittler bei der Betreuung seines Kunden zugleich mit Wissen und Wollen Aufgaben wahrnimmt, die typischerweise dem Versicherer obliegen. Dieser muss im Pflichtenkreis des Versicherers tätig werden (vgl. BGH, Urt. v. 5. 4. 2017 – IV ZR 437/15 – zitiert nach juris: Rdnr. 23 m. w. Nachw.). Diese Voraussetzung ist hier gegeben, denn die Beklagte hat sich zur Erfüllung ihrer Aufklärungs- und Informationspflichten der S… Gruppe und deren Untervermittler bedient und ihnen die Erfüllung dieser Pflichten überlassen. Die Beklagte muss sich deshalb auch solche in den Antragsgesprächen abgegebenen Erklärungen zu Chancen und Risiken der Anlage zurechnen lassen, die innerhalb der Grenzen ihrer eigenen Aufklärungspflicht nicht geschuldet waren. Werden Auskünfte gegeben, auch ohne dass dazu eine Verpflichtung besteht, so müssen diese richtig oder, wenn es um eine Risikobewertung geht, jedenfalls ex ante vertretbar sein (vgl. BGH, Beschl. v. 26. 9. 2012 – IV ZR 71/11 – zitiert nach juris: Rdnr. 27 – 29).

c) Das Landgericht hat auch zutreffend bejaht, dass der Tarif L… ein Spezialtarif war, der von der Beklagten im Zusammenwirken mit der S… Gruppe für das S… -Konzept entwickelt wurde und nur über die S… Gruppe als Baustein der S… vertrieben wurde (vgl. auch Anlage K 14). Sonstigen Versicherungsnehmern stand der Tarif L… nicht zur Verfügung. Es handelt sich insoweit um einen Strukturvertrieb dieses Tarifs über die S… Gruppe.

d) Es bedarf danach keiner abschließenden Beurteilung, ob letztlich wegen des Verhaltens des Vermittlers M… für den Kläger auch der Eindruck entstehen musste, dass es sich um ein gemeinsames Angebot der Beklagten und der S… Gruppe handelte. Dafür spricht der Umstand, dass die langjährige Zusammenarbeit betont und dem Kläger auch kein Alternativprodukt bei der Tilgungsversicherung zur Auswahl angeboten wurde. Aus der Anlage K 15 ist ersichtlich, dass die Beklagte und die S… Gruppe gemeinsam einen Prospekt zum Tarif L… herausgaben, auch wenn dieses bei den konkreten Vertragsverhandlungen nach den Angaben des Klägers keine Verwendung gefunden hat.

e) Die Wertung der später in Kraft getretenen Vorschrift des § 6 Abs. 6 VVG spielt hier keine Rolle, denn es geht nicht um Fragen der Beratung zu einem Versicherungsprodukt, sondern um eine sachgerechte Aufklärung über die Risiken und das Vermeiden unvertretbarer Renditeprognosen und die Zurechnung dieses Verhaltens.

5) Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, die durch das Berufungsvorbringen der Beklagten nicht in Frage gestellt werden, die Auffassung vertreten, dass der Kläger bei pflichtgemäßer Aufklärung das gesamte S… -Konzept nicht abgeschlossen hätte. Dies ist deswegen überzeugend, weil die von der Beklagten angebotene Tilgungsversicherung maßgeblicher Baustein des Gesamtkonzeptes war. Zwar kamen grundsätzlich auch andere Anbieter für diesen Tilgungsbaustein in Betracht. Dem Kläger ist jedoch allein die Beklagte und deren Tarif empfohlen worden. Eine Auswahlentscheidung hatte er nicht zu treffen. Da sich die Beklagte das Verhalten des Vermittlers M… zurechnen lassen muss, kann sie den Inhalt der Antragsgespräche auch nicht mit Nichtwissen bestreiten. Sie muss darlegen, welcher andere Versicherer eine Tilgungsversicherung angeboten hätte, die bei den Rechenmodellen (K 8 und K 19) – bei realistischer Darstellung der Risiken und Renditeerwartungen – den Kläger von dem Abschluss der S… hätten überzeugen können.

Die Beklagte irrt, wenn sie meint, dass ihr die gesamten Risiken der S… nicht zuzurechnen sind. Denn sie wusste, dass der von ihr speziell für das S… -Konzept entwickelte L… -Tarif ein unverzichtbarer Baustein im Gesamtkonzept war. Ohne die Tilgungsversicherung wäre keine Kreditfinanzierung zu erlangen gewesen. Ohne Finanzierung wäre das Gesamtkonzept gescheitert.

6) Die Schadenshöhe ist im zweiten Rechtszug nicht mehr streitig. Es geht auch in Ansehung der vom Kläger getragenen Kosten für die von seiner Ehefrau abgeschlossenen Risikolebensversicherungen, die als Sicherheiten für die Finanzierungsdarlehen abgetreten wurden, nicht um eine Liquidation eines Drittschadens. Denn der Kläger hat die Zahlungen selbst geleistet, mithin – auch bei wertender Betrachtung – einen eigenen Vermögensschaden erlitten. Auf das Innenverhältnis zu seiner Ehefrau kommt es dabei nicht entscheidend an.

7) Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht verjährt. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen werden. Der Umstand, dass die tatsächlich erzielten Renditen hinter den Prognosen zurückblieben, vermittelte dem Kläger keine Kenntnis davon, dass diese Prognosen schon im Zeitpunkt der Antragsaufnahme unzutreffend waren. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 noch betont, dass die ungünstige Entwicklung der Versicherung bei Tätigung der Anlage so nicht vorhersehbar war (B… 15). Der Kläger musste keine bessere Kenntnis haben.

8) Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil unter Zulassung der Revision nicht erforderlich. Der Senat orientiert sich an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die entsprechend zitiert ist.

Zur Rechtsfortbildung eignet sich die hier streitige Sache nicht. Sonstige Gründe, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebieten, liegen nicht vor.

III.

Der Beklagten wird Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von drei Wochen gegeben. Aus Kostengründen sollte die Zurücknahme der Berufung erwogen werden.

 

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