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Hausratversicherung – Klausel über den Einwendungsverzicht bei grober Fahrlässigkeit

LG Berlin, Az.: 23 S 3/14, Urteil vom 26.11.2014

Auf die Berufung des Klägers wird das am 09. Dezember 2013 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wedding zum Geschäftszeichen 15b C 96/13 wie folgt geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.115,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22. März 2013 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben der Kläger 20 % und die Beklagte 80 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 313aAbs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

Hausratversicherung - Klausel über den Einwendungsverzicht bei grober Fahrlässigkeit
Symbolfoto: Von Tiko Aramyan /Shutterstock.com

I. Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Amtsgericht hat die auf restliche Entschädigung aus einer Hausratsversicherung gerichtete Klage in Höhe von 1.384,20 € (= 50 % von 2.768,40 €), soweit sie in Höhe von 1.115,80 EUR (= 2.500,00 € – 1.384,20 €) noch Gegenstand der Berufung ist, zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte hat wegen grober Fahrlässigkeit des Klägers seine im Übrigen unstreitige Entschädigung unter Berufung auf § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG und vertraglichen Regelungen um 50 % gekürzt. Dieser Kürzung steht indessen die Klausel HR 0054 entgegen, die folgenden Wortlaut hat:

„Abweichend von den §§ 24, 25, 26 und 31 VHB verzichten wir bei Schadensfällen bis zu einer Schadenshöhe von bis zu 2.500,- EUR auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit in der Form, dass wir von der in diesen Vorschriften genannten Quotenregelung in Bezug auf die Leistungskürzung keinen Gebrauch machen.“

Die Klausel ist dahin auszulegen, dass die Beklagte auf eine Leistungskürzung in Höhe eines Sockelbetrages von 2.500,- EUR verzichtet. Dies ergibt sich aus der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB, wonach Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders, mithin hier der Beklagten, gehen.

1. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB würde nicht eingreifen, wenn, wie das Amtsgericht meint, die Klausel bei gebotener Auslegung einen eindeutigen Inhalt aufweist und eine andere Auslegung nicht ernstlich in Betracht käme (BGH, Urteil vom 26. Februar 2013 – XI ZR 417/11, NJW 2013, 1803, juris: Rz. 18; BGH, Urteil vom 15. November 2006 – VIII ZR 166/06, VersR 2007, 404, juris: Rz. 23). Dies ist indessen nicht der Fall. Auch nach Ausschöpfung sämtlicher Gesichtspunkte zur Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen verbleiben Zweifel und es sind mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten zur Klausel rechtlich vertretbar.

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, std. Rspr., zuletzt u. a. Urteil vom 26. März 2014 – IV ZR 422/12, VersR 2014, 625, juris: Rz. 37).

b) Nach diesem Auslegungsmaßstab erweist sich die Klausel als mehrdeutig.

aa) Bereits der Bedingungswortlaut bringt nicht eindeutig zum Ausdruck, ob sich der ausbedungene Kürzungsverzicht auf einen Sockelbetrag von 2.500,- EUR bezieht oder voraussetzt, dass der Gesamtschaden 2.500,- EUR nicht übersteigt: Es ist zum einen sprachlich möglich, die „Schadenshöhe von bis 2.500,- EUR“ als nähere Beschreibung der erfassten Schadensfälle zu verstehen. Damit wären nur Kleinschäden mit einem Gesamtschaden von bis zu 2.500,- EUR überhaupt vom ausbedungenen Verzicht auf die Leistungskürzung bei grober Fahrlässigkeit betroffen. Da der Gesamtschaden im Streitfall unstreitig höher ist, könnte der Kläger der vorgenommenen Leistungskürzung von 50 % der Entschädigungsforderung die Klausel HR 0054 nicht entgegenhalten.

Ernstlich in Betracht zu ziehen ist aber auch die Auslegungsvariante, die die „Schadenshöhe von bis 2.500,- EUR“ auf den Umfang bezieht, in dem die Beklagte auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit verzichtet. Die Beklagte würde damit unabhängig von der Gesamtschadenshöhe auf jeden Fall auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit „bis zu einer Schadenshöhe von bis zu 2.500,- EUR“ verzichten. Nach dieser Auslegung wäre der streitgegenständliche Entschädigungsrest in Höhe von 1.115,80 € vom Kürzungsverzicht erfasst. Für diese dem Kläger günstige Auslegung spricht, dass die Beklagte formuliert hat: „bei Schadensfällen bis zu einer Schadenshöhe von bis zu 2.500,- EUR“ statt – was die Voraussetzung einer nicht überschrittenen Gesamtschadenshöhe deutlich machen würde – „bei Schadensfällen mit einer Schadenshöhe von bis zu 2.500,- EUR“ oder – noch deutlicher – „bei Schadensfällen mit einer Gesamtschadenshöhe von bis zu 2.500,- EUR“.

bb) Auch der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klausel geben keinen weiteren eindeutigen Aufschluss. Im Ansatz richtig geht die Beklagte davon aus, dass mit der Klausel – für den verständigen Versicherungsnehmer noch erkennbar – die Vereinfachung und Beschleunigung der Regulierung von Bagatellschäden bezweckt wird. Ob unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs der verständige Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung und aufmerksamer Durchsicht den Schluss ziehen muss, dass hiermit eine Auslegung der Klausel unvereinbar ist, wonach der Versicherer stets einen kürzungsfreien Sockelbetrag von 2.500,- EUR zahlen muss, erscheint zumindest zweifelhaft. Immerhin wäre dann dieser Sockelbetrag im Sinne einer Bagatellbefriedigung dem Streit entzogen. Überdies spricht gegen eine Beschränkung des Kürzungsverzichts auf Fälle mit einem Gesamtschaden von nicht mehr als 2.500,- EUR, dass dann das Ergebnis für den verständigen Versicherungsnehmer ebenfalls sinnwidrig und nicht einleuchtend wäre. Hiernach müsste nämlich in Fällen grober Fahrlässigkeit, die – unterstellt – an sich eine hälftige Kürzung rechtfertigen würde, der Versicherer

– bei einem Gesamtschaden von 2.500,- EUR den vollen Schadensbetrag, aber

– bei einem Gesamtschaden von 2.600,- EUR lediglich einen Teilbetrag von 1.300,- EUR

zahlen.

Die Beklagte verweist demgegenüber darauf, dass der ausbedungene Kürzungsverzicht nur in den Fällen Sinn macht, in denen der Gesamtschaden 2.500,- EUR nicht übersteigt, weil mit der Verzichtsklausel der Aufwand zur Ermittlung und Feststellung des Kürzungsrechts insgesamt erspart werden sollte. Diese Erwägung kann indessen bei der Auslegung nicht berücksichtigt werden. Denn für eine am Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verfasser der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte (BGH, Urteil vom 27. Juni 2012 – IV ZR 212/10, VersR 2012, 1253, juris: Rz. 19; Urteil vom 2. Oktober 1985 – IVa ZR 184/83, VersR 1986, 177, 178, juris: Rz. 6). Die dem Versicherungsnehmer typischerweise unbekannte Entstehungsgeschichte von Versicherungsbedingungen hat bei ihrer Auslegung außer Betracht zu bleiben; auch versicherungswirtschaftliche Überlegungen können allenfalls insoweit Berücksichtigung finden, wie sie sich dem Versicherungsnehmer aus dem Bedingungswortlaut unmittelbar erschließen (BGH, Urteil vom 27. Juni 2012 – IV ZR 212/10, VersR 2012, 1253, juris: Rz. 19). Hiernach kann vom verständigen Versicherungsnehmer bezogen auf die streitgegenständliche Klausel nicht verlangt werden, sich darüber Gedanken zu machen, inwieweit der Kürzungsumfang zur Darlegungs- und Beweislast des Versicherers steht und ob der Kürzung aufwändige Ermittlungen des Versicherers vorausgehen müssen, die dieser sparen möchte. All diese Erwägungen erschließen sich aus dem Bedingungswort nicht unmittelbar, sondern setzen geradezu versicherungsrechtliche und prozessuale Kenntnisse voraus.

2. Ist damit die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB anwendbar, ist die Klausel HR 0054 zugunsten des Klägers auszulegen. Sie sperrt damit die von der Beklagten vorgenommene Kürzung der Entschädigung innerhalb des Sockelbetrages von 2.500,- EUR. Dem Kläger ist daher der streitgegenständliche Kürzungsbetrag von 1.115,80 EUR zuzusprechen.

Der Zinsanspruch für die damit begründete Klageforderung beruht auf Verzug infolge anwaltlicher Mahnung (§§ 286Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat in den §§ 708Nr. 10, 711,713 ZPO mit Blick auf § 26 Nr. 8 EGZPO seine Grundlage.

Die Revision war nicht zuzulassen (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO). Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt einer Rechtssache nicht schon deshalb zu, weil die Entscheidung von der Auslegung einer Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen abhängt. Erforderlich ist weiter, dass deren Auslegung über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist und dass die Rechtssache damit eine Rechtsfrage im konkreten Fall als entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig aufwirft und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2013 – IV ZR 6/13, VersR 2014, 332, juris: Rz. 14). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen dazu vertreten werden (BGH, ebd.). All das ist hier nicht der Fall. Auch zu einer Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gibt der Rechtsstreit keinen Anlass.

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