OLG Dresden – Az.: 4 U 1245/19 – Urteil vom 14.01.2020
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 07.05.2019 – 3 O 3357/18 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Von der Aufnahme des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
A
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht kein Anspruch gegen den Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 1. Alt. BGB auf Rückzahlung von 10.000,00 € auf den streitigen Versicherungsfall vom 18.08.2017 geleisteter Vorauszahlung zu. Der Klägerin ist der Beweis dafür, dass sie ohne rechtlichen Grund geleistet und nur ein vorgetäuschter Versicherungsfall vorgelegen hat, nicht gelungen.
1.
Als Rückfordernde trägt sie die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie ohne rechtlichen Grund geleistet hat nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2001 – IV ZR 237/00 – juris; vgl. OLG Hamm Urteil vom 11.12.2009 – 20 U 67/09 – juris). Dies gilt auch für den Versicherer, der deshalb darlegen und beweisen muss, dass er in Wahrheit nicht zur Leistung verpflichtet gewesen ist (BGH, a.a.O.). Dabei kommen Beweiserleichterungen, die dem eine Diebstahlsentschädigung beanspruchenden Versicherungsnehmer zugebilligt werden, dem Versicherer im Rückforderungsprozess grundsätzlich nicht zugute (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.1993 – IV ZR 179/92). Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin die Zahlung als „Vorauszahlung“ bezeichnet hat. Selbst wenn unter diesem Begriff ein Vorbehalt zu verstehen wäre, so ist dieser dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin dem Verständnis ihrer Leistung als Anerkenntnis entgegentreten und die Wirkung des § 814 BGB ausschließen will, sie sich also die Möglichkeit offenhalten will, das Geleistete gemäß § 812 BGB zurückzufordern (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.09.1992 – 20 U 89/92 – juris; vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, in Kommentar zum VVG, 29. Aufl., vor § 74 Rdnr. 137 f.). Ein so verstandener Vorbehalt hindert nicht die Erfüllungswirkung der Leistung nach § 362 BGB und verändert nicht die Beweislastverteilung im Rückforderungsprozess, in dem der Versicherer mithin nachweisen muss, dass er ohne Rechtsgrund geleistet hat (so Armbrüster, a.a.O.). Etwas anderes kann allenfalls dann angenommen werden, wenn der Versicherer ausdrücklich zu erkennen gegeben hat, dass er sich zum Grund der an ihn gestellten Forderung noch nicht abschließend äußern möchte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.03.1995 – 4 U 61/94 – juris). Vorliegend hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 07.09.2017 (Anlage K 13) einen Vorbehalt der Prüfung ihrer Eintrittspflicht dem Grunde nach nicht erklärt. Sie hat vielmehr die Zahlung als „Vorauszahlung“ bezeichnet, was einen Vorschuss auf eine bestehende Verbindlichkeit nahelegt. Hierfür spricht auch die Begründung dieses Schreibens, in dem die Klägerin ihrem Anwalt mitteilt, dass sie „die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft anfordern und im Anschluss daran die Restentschädigung ermitteln“ will. Damit war aus der Sicht des beklagten Versicherungsnehmers lediglich die Frage der Höhe der Entschädigungsleistung offen und zu klären.
2.
Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, dass es schon nach der Schilderung des Beklagten an einem Einbruchdiebstahl oder Raub im Sinne von § 3 Abs. 1 EHV 2007 fehle. Ein Raub liegt vor, wenn ein Täter mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, § 249 StGB. Die Darstellung des Geschehensablaufs durch den Beklagten erfüllt diesen Tatbestand: Bei der Polizei ging am 18.08.2017 gegen 19.00 Uhr ein Notruf des Beklagten – der zu 100 % schwerbehindert ist und unter einer schweren Form der Bluterkrankheit sowie Gelenkarthrosen leidet – ein, bei dem er einen Überfall vor ca. 1 1/2 Stunden in seiner Wohnung meldete. In seiner Zeugenvernehmung vor der Polizei noch am Tattag schilderte der Beklagte, dass er sich gegen 17.00 Uhr ein Eis in der Softeis-Bar geholt habe. Er sei in seine Wohnung gegangen, und als er die Wohnungstür habe schließen wollen, habe etwas gegen das Türblatt geschlagen und er sei rückwärts auf den Boden gefallen. Eine männliche Person habe ihm sofort etwas ins Gesicht gesprüht, was stark gebrannt habe. Er sei aufgestanden und sofort in die Küche gegangen, um mit kaltem Wasser seine Augen und das Gesicht zu spülen. Es seien mehrere Personen in seine Wohnung eingedrungen. Eine der Personen habe gedroht, nochmals zu sprühen, wenn er nicht Schmuck, Geld und Schlüssel für die Schränke und den Tresor aushändige. Er habe Angst gehabt, dass ihm noch Schlimmeres widerfahre und habe das Versteck genannt, in dem die Schlüssel für die abgeschlossenen Schränke und den Tresor gelegen hätten. Einer der Täter habe ihn ins Obergeschoss mitgenommen. Er habe auch dort sein Gesicht unter dem Wasserhahn gekühlt. Er habe gehört, wie die verschlossenen Schränke und der Tresor geöffnet worden seien. Einer der Personen habe ihn nach Geld gefragt. Er habe seine Geldbörse aus seiner Jeanshose gezogen und auf den Boden geworfen. Des Weiteren habe er gehört, dass in seinen Schränken gewühlt worden sei. Sodann habe es ca. nach zehn bis 15 Minuten an der Haustür geklingelt, und die Personen seien verschwunden. In seiner Geldbörse habe er 1.400,00 € in 50,00-€-Scheinen gehabt. Das Geld habe er am Nachmittag desselben Tages bei der V. Bank in der S. Straße abgehoben. Diese Angaben hat der Beklage bei seiner Anhörung vor dem Senat in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Das Sprühen von Pfefferspray stellt eine tatbestandsmäßige Gewalteinwirkung i.S.d. § 249 StGB dar, die ihm Zeitpunkt der Wegnahme auch noch gegenwärtig war. Vorsatz und Zueignungsabsicht der unbekannten Täter lassen sich dem behaupteten Geschehensablauf ebenfalls unproblematisch entnehmen. Dass die eingedrungenen Täter nicht noch einmal Gewalt gegen den Beklagten – nach seiner Darstellung – ausgeübt haben, ist aber auch deswegen unbeachtlich, weil sie ihm auch nach dem Eindringen in die Wohnung ihm mit weiterer Gewalt gedroht haben, was ebenfalls den Tatbestand des § 249 Abs. 1 StGB erfüllt.
Die von der Klägerin angeführten Indizien reichen für die Annahme einer vorgetäuschten Straftat nicht aus. Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.2015 – VIII ZR 161/14 – juris). Der Richter darf sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, a.a.O.). Diese Zweifel gehen hier zu Lasten der Klägerin.
Allerdings bleibt tatsächlich im Dunklen, weshalb der Beklagte den Notruf erst ca. 1 1/2 Stunden nach dem behaupteten Überfall abgesetzt hat. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beklagte wegen seiner Schwerbehinderung, die ihm im Jahr 2017 schon das Gehen erschwerte und bei Annahme einer Sehbehinderung durch das Pfefferspray, erscheint der von ihm geschilderte Zeitablauf zwischen Beendigung des behaupteten Raubes und dem Absetzen des Notrufes letztlich jedoch auch nicht so unplausibel, dass allein hieraus ein Indiz für das Vortäuschen einer Straftat abgeleitet werden könnte.
Für ihre Behauptung, der Beklagte habe unzutreffende Angaben zur Höhe des ihm geraubten Bargeldes gemacht, ist die Klägerin beweisfällig geblieben. Der Kontoauszug der F. Bank AG des Kontos der Mutter des Beklagten belegt eine Barabhebung in Höhe von 1.400,00 € am 18.08.2017. Im Rahmen seiner Anhörung hat der Beklagte geschildert, dass er am 18.08.2017 mit seiner Ersatzpflegekraft im Hotel … in L. gewesen sei, das sich in der Nähe der S. Straße befindet. Dort habe er bei der V. Bank das Geld abgehoben. Von den 1.400,00 €, sei ein Betrag von 1.000,00 € für eine Reise seiner Mutter bestimmt gewesen. Die restlichen 400,00 € hätte er benötigt, da er damit seine Lebensmittellieferungen habe bar bezahlen wollen. Er habe bereits seit 2017 kein eigenes Konto mehr gehabt, und seine Einnahmen und Ausgaben seien über das Konto seiner Mutter gelaufen. Diese habe ihm die Karte zur Verfügung gestellt. Zweifel daran, dass 1.400 EUR in 50 EUR Scheinen in der Geldbörse Platz gefunden haben, wie sie die Polizei in den Ermittlungsakten festgehalten hat, teilt der Senat nicht, nachdem der Beklagte im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung anschaulich demonstriert hat, dass der Betrag von 1.400 EUR bequem in seine Geldbörse passt. Die Darstellung des Beklagten, er habe für sich und seine Mutter Geld abgehoben, ist ihm auch im Übrigen nicht zu widerlegen.
Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob die Angabe des Beklagten zutrifft, er habe erst um 17:00 Uhr eine Eiswaffel gekauft, mit der er tatsächlich noch um ca. 19:15 Uhr durch die Polizei in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Aber auch dieses Indiz genügt für sich genommen nicht, um von einer vorgetäuschten Straftat auszugehen, schon weil gerichtsbekannt ist, dass auf die Zeitangaben von Opfern oder Zeugen einer Straftat, die durch das Tatgeschehen in eine Stresssituation versetzt werden, regelmäßig nur begrenzt Verlass ist, ohne dass sich hieraus aber ein Rückschluss auf ihre Wahrheitstreue ergäbe. Durchgreifende Zweifel, die vorliegend eine abweichende Beweiswürdigung geböten, zeigt die Klägerin auch im Schriftsatz vom 07.01.2020 nicht auf.
Dass die Glasplatte des Schreibtisches nach den Feststellungen der Polizeibeamten komplett und durchgängig mit einer gleichmäßigen Staubschicht bedeckt gewesen, Streifspuren nicht festgestellt worden sind und die Steckverbindungen parallel nebeneinander auf dem Mousepad gelegen haben, ist ebenfalls kein Umstand, der gegen die Schilderungen des Beklagten und die Entwendung des Laptops im Wert von 1.500,00 € spricht. Der Laptop kann auch an anderen Orten in der Wohnung benutzt worden sein. Zwar fehlen Aufbruchspuren an den Schränken trotz Schlosssicherung; der Beklagte hat insoweit aber nachvollziehbar dargelegt, dass er die Schlüssel herausgegeben hat, nachdem ihm die Täter angedroht hätten, ihn nochmal mit Pfefferspray zu besprühen. Zu Unrecht vermisst die Klägerin Vortrag dazu, welche Schränke womit konkret geöffnet worden seien und welcher Täter welche Gegenstände hinausgetragen habe. Wenn dem Beklagten – wie er behauptet – Pfefferspray ins Gesicht gesprüht worden ist und seine Augen gebrannt haben, konnte er aus nachvollziehbaren Gründen nichts sehen. Den Befund der Augenuntersuchung vom 18.08.2017 in der Universitätsklinik L. hat der Beklagte als Anlage B4 (Bl. 146 d. A.) vorgelegt. Dass der Beklagte Videoaufnahmen von den Gegenständen gefertigt hat, die gestohlen worden sein sollen, lässt keinen Rückschluss auf die Absicht zu, einen Diebstahl vorzutäuschen. Nachdem der Beklagte bereits am 16.02.2011 Opfer eines Einbruchsdiebstahls geworden war und die Klägerin diesen Versicherungsfall reguliert hatte, ist es durchaus nachvollziehbar, dass der Beklagte seinen Hausrat zu Beweissicherungszwecken vollständig per Video dokumentiert hat. Schließlich ist auch nicht davon auszugehen, dass die Darstellung des Beklagten schon deswegen unzutreffend wäre, weil er zur Tatzeit bereits an dem Rollstuhl gefesselt war und daher weder selbstständig Eis kaufen noch Geld abheben konnte. Das MDK-Gutachten vom 23.10.2018, aus dem sich dies ergibt, wurde über ein Jahr nach der behaupteten Tat erstellt und lässt keine Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand im Jahr 2017 zu.
Die Auffälligkeiten in der Stehlgutliste stellen ebenfalls keinen ausreichenden Beweis für eine vorgetäuschte Straftat dar. Zwar sind dort zahlreiche Gegenstände verzeichnet, die nicht im Eigentum des Beklagten standen, u. a. drei hochwertige Damenhandtaschen, Damenschmuck sowie 21 Damenparfums. Auffällig ist des Weiteren, dass zahlreiche Designer-Kleidungsstücke und 29 Herrenparfums gestohlen worden sein sollen. Dies hat der Beklagte in seiner Anhörung vor dem Senat jedoch noch plausibel damit erklärt, das seine Mutter jeden Tag bei ihm gewesen sei und auch einen Teil ihrer Sachen bei ihm gelagert habe, zumal ihre Wohnung „eher beengt“ gewesen sei. Sowohl seine Mutter als auch er hätten Parfum-Flakons gesammelt, die Parfums aber auch verbraucht. Die in die Liste aufgenommenen Flakons seien aufgestellt und beleuchtet worden, um den Raum zu dekorieren. Die aufgeführten Handtaschen seien lediglich ein kleiner Teil der Taschen gewesen, die seine Mutter bei ihm gelagert habe. Dies war ihm letztlich nicht zu widerlegen. Es kann dabei offen bleiben, ob die im Eigentum der Mutter stehenden Gegenstände zum Hausrat des Beklagten gehörten und daher vom Versicherungsschutz umfasst sind, denn die in der Stehlgutliste unstreitig dem Kläger zuzuordnenden Gegenstände übersteigen bereits den Wert von 10.000,00 €.
Vielmehr kann in der Gesamtabwägung zur Überzeugung des Senats nicht festgestellt werden, dass der Klägerin der Beweis für das Fehlen des äußeren Bildes oder für die Vortäuschung eines Versicherungsfalles gelungen ist. Zweifel gehen zu ihren Lasten.
B
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 3 ZPO.