OLG Nürnberg – Az.: 8 U 49/20 – Urteil vom 30.07.2020
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.12.2019, Az. 8 O 1336/19, im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von 887,03 € nebst hierauf entfallender Zinsen verurteilt worden ist. Auch in diesem Umfang wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben die Beklagte 81 % und der Kläger 19 % zu tragen.
4. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.108,96 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Kündigung eines Krankenversicherungsvertrages.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 1984 eine private Krankenversicherung, bei der seine Ehefrau mitversicherte Person war (Anlage K 1).
Zwischen 2010 und 2018 reichte die Ehefrau des Klägers in insgesamt 16 Fällen Rechnungen zur Erstattung bei der Beklagten ein, die von der Ehefrau des Klägers gefälscht worden waren und denen keine tatsächlichen Aufwendungen zugrunde lagen. Diese Rechnungen betrafen behauptete Behandlungen der Ehefrau des Klägers oder der gemeinsamen Tochter. Teilweise wurden die Rechnungen über die E-Mail-Adresse des Klägers eingereicht (Anlage B 2) bzw. die entsprechende E-Mail wurde mit dem Namen des Klägers abgeschlossen (Anlage B 3).
Aufgrund dieser Täuschungen zahlte die Beklagte insgesamt 2.114,05 € auf ein Girokonto des Klägers (Anlage B 1).
Am 16.10.2013 beantragte der Kläger die Erstattung von Kosten für die Anschaffung einer Brille (Anlage B 5). Hierauf leistete die Beklagte 155,00 €. Später gab der Kläger die Brille beim Optiker zurück und erhielt auch den gezahlten Kaufpreis von 631,50 € zurück, worüber er die Beklagte jedoch nicht informierte.
Mit Schreiben vom 17.01.2019 erklärte die Beklagte die außerordentliche fristlose Kündigung des gesamten Krankenversicherungsvertrages mit Ausnahme der Pflegepflichtversicherung (Anlage K 2).
Mit anwaltlichem Schreiben vom 31.01.2019 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung auf, schriftlich zu bestätigen, dass das Versicherungsverhältnis über den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 17.01.2019 hinaus unverändert fortbestehe (Anlage K 4). Dem kam die Beklagte nicht nach.
Der Kläger hat in erster Instanz im Wesentlichen geltend gemacht, die Kündigung des Versicherungsvertrages sei unwirksam. Er sei an den gefälschten Abrechnungen seiner Ehefrau nicht beteiligt gewesen und habe hiervon keine Kenntnis gehabt. Im Zusammenhang mit der Rückgabe der Brille treffe ihn allenfalls der Vorwurf der Fahrlässigkeit.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat der auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 17.01.2019 und Fortbestehen des Krankenversicherungsvertrages sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € gerichteten Klage ohne Beweisaufnahme überwiegend stattgegeben. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Kündigung des Vertrages nur bezogen auf die mitversicherte Ehefrau des Klägers wirksam sei. Kein Kündigungsrecht habe hingegen bezogen auf den Versicherungsschutz des Klägers bestanden. Das vertragsbezogene Verhalten des Klägers weise keine derart schwerwiegenden Umstände auf, die eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses als für die Beklagte unzumutbar erscheinen ließen. Es sei nicht erwiesen, dass der Kläger von den falschen Abrechnungen seiner Ehefrau gewusst oder dieses Verhalten sogar gefördert habe. Der Kläger müsse sich das pflichtwidrige Verhalten seiner Ehefrau nicht zurechnen lassen. Innerhalb des gesamten Versicherungsverhältnisses könne die Ehefrau des Klägers insbesondere nicht als dessen Repräsentantin angesehen werden.
Gegen dieses am 10.12.2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 07.01.2020 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel innerhalb verlängerter Frist mit einem am 10.03.2020 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte macht im Berufungsrechtszug insbesondere geltend, die Rechtsauffassung des Erstgerichts, wonach die Ehefrau des Klägers bezogen auf dessen Vertragsteil nicht Repräsentantin gewesen sei, stelle sich als rechtsfehlerhaft dar. Durch das eigenverantwortliche Einreichen von Arztrechnungen habe die Ehefrau originäre Rechte und Pflichten des Klägers wahrgenommen. Die Repräsentantenstellung sei nicht teilbar und könne nicht nur auf den Vertragsteil der versicherten Person beschränkt werden.
Es stelle ein weiteres Indiz für die Kenntnis des Klägers vom begangenen Versicherungsbetrug dar, dass der Kläger gefasst reagiert und keinen überraschten Eindruck gemacht habe, als ihn die Beklagte erstmals mit den Vorwürfen konfrontiert habe. Das entsprechende Beweisangebot der Beklagten habe das Landgericht gehörswidrig übergangen.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei der Kläger verpflichtet gewesen, die Rückabwicklung des Kaufs seiner Brille gegenüber der Beklagten offenzulegen. Der Kläger habe sich insofern Leistungen in Höhe von 155,00 € erschlichen, was ebenfalls die Kündigung rechtfertige.
Die Beklagte habe ihrerseits keine schuldhafte Pflichtverletzung begangen, so dass sie keine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten leisten müsse.
Die Beklagte beantragt in zweiter Instanz, die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.12.2019 – Az. 8 O 1336/19 – vollständig abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat durch Beschluss vom 10.06.2020 angeordnet, dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren ergeht.
Die Beklagte hat innerhalb der den Parteien gesetzten Frist mit Schriftsatz vom 09.07.2020 ergänzend Stellung genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat nur in geringem Umfang Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die Kündigung des Versicherungsvertrages in Bezug auf den Kläger für unwirksam gehalten und der entsprechenden Feststellungsklage stattgegeben (1.). Hingegen unterliegt das angefochtene Urteil insofern der Aufhebung, als dem Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € zugesprochen worden sind (2.).
1.
Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen im Hinblick auf die am 17.01.2019 erklärte außerordentliche Kündigung des Versicherungsvertrages keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht insofern auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
a)
Der vorliegende private Krankenversicherungsvertrag unterlag grundsätzlich der Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung seitens des Versicherers, d.h. hier der Beklagten. Soweit § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG für Krankheitskostenversicherungen, die die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG erfüllen, jegliches Kündigungsrecht des Versicherers ausschließt, ist diese Vorschrift teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie nur die Kündigung wegen Prämienverzugs verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2011 − IV ZR 50/11, NJW 2012, 376; KG, BeckRS 2017, 153713). Lediglich im Bereich der Pflegepflichtversicherung bleibt es wegen § 110 Abs. 4 SGB XI dabei, dass jegliche Kündigung des Versicherers ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2011 − IV ZR 105/11, NJW 2012, 1365). Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt und wird auch durch die Parteien nicht in Zweifel gezogen.
b)
Im Streitfall war der Kläger Versicherungsnehmer und eine der versicherten Personen, seine Ehefrau, war mitversichert (§ 193 Abs. 1 VVG bzw. § 178a VVG a.F.). Mangels anderer Anhaltspunkte ist – wie regelmäßig – davon auszugehen, dass die Ehefrau des Klägers nicht lediglich Gefahrsperson einer allein im Eigeninteresse des Klägers abgeschlossenen Versicherung war, sondern insoweit ein Krankheitskostenversicherungsvertrag für fremde Rechnung gemäß § 43 VVG vorlag (vgl. BGH, Urteile vom 08.02.2006 – IV ZR 205/04, NJW 2006, 1434 und vom 10.10.2007 – IV ZR 37/06, NJW-RR 2008, 116).
Die schwerwiegende Vertragsverletzung in einem Teilbereich der Krankenversicherung berechtigt nicht ohne weiteres zur Kündigung anderer Teilbereiche (vgl. Prölss/Martin/Voit, VVG, 30. Aufl., § 206 Rn. 10; Hk-VVG/Rogler, 4. Aufl., § 206 Rn. 25). Dies gilt auch für die hier vorliegende Kombination von Eigen- und Fremdversicherung im Hinblick auf die beiden versicherten Personen. Wegen der Geltung des das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben besteht daher in den Grenzen der Zumutbarkeit die Verpflichtung, die Kündigung auf einzelne versicherte Personen zu beschränken (vgl. auch § 205 Abs. 5 Satz 1 VVG, § 14 Abs. 4 MB/KK 2009).
c)
Dass die außerordentliche Kündigung des Vertrages bezogen auf den Versicherungsschutz der Ehefrau des Klägers berechtigt war, steht aufgrund des insoweit nicht angegriffenen Urteils des Landgerichts rechtskräftig fest. Nach dem zuvor genannten Grundsatz folgt hieraus jedoch nicht automatisch die Beendigung des gesamten mit dem Kläger geschlossenen Versicherungsvertrages. Zwar würde ein in der Person des Versicherungsnehmers liegender wichtiger Grund und eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung im Regelfall auch mitversicherte Angehörige des Versicherungsnehmers erfassen (vgl. OLG Frankfurt, r+s 2015, 407; einschränkend LG Dortmund, BeckRS 2006, 14559). Dies verhilft der Berufung aber nicht zum Erfolg. Denn zum einen steht der Versicherungsschutz der Ehefrau des Klägers in zweiter Instanz nicht mehr im Streit. Zum anderen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass bezogen auf den originären Krankenversicherungsschutz des Klägers ein wichtiger Grund i.S.v. § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht vorlag.
aa)
Es stellt in der Regel einen zur außerordentlichen Kündigung der Krankenversicherung berechtigenden wichtigen Grund dar, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherer durch Vorlage gefälschter Abrechnungsbelege vorsätzlich täuscht und sich auf diese Weise Leistungen erschleicht (vgl. OLG Karlsruhe, r+s 2007, 24; LG Essen, r+s 2005, 428).
Ein solches Fehlverhalten fällt dem Kläger selbst im Streitfall jedoch nicht zur Last. Die von ihm eigenständig begangene Pflichtverletzung bestand darin, dass er die Beklagte nicht darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass er den im Oktober 2013 erfolgten Kauf einer Brille rückabgewickelt und den Kaufpreis von 631,50 € vollständig zurückerlangt hat. Entgegen der Ansicht des Landgerichts traf den Kläger zumindest eine Obliegenheit, diesen Umstand der Beklagten mitzuteilen. Bezogen auf einen konkreten Versicherungsfall besteht auch ohne Auskunftsverlangen des Versicherers eine sich aus § 242 BGB ergebende Offenbarungspflicht über wesentliche Informationen, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 19.05.2011 – IV ZR 254/10, r+s 2011, 421 Rn. 3 m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn der Versicherungsnehmer – wie hier – von dritter Seite vollständige Kompensation für solche Aufwendungen erlangt, die der Versicherer bereits (anteilig) erstattet hat und unter Umständen nach § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB zurückverlangen kann.
Allerdings hat das Landgericht zutreffend entschieden, dass diese Obliegenheitsverletzung nicht zur außerordentlichen Kündigung berechtigte. Berücksichtigt man die Dauer der Vertragsbeziehung der Parteien – nahezu 35 Jahre zwischen Vertragsschluss und Kündigung – sowie die Höhe des verursachten Schadens (155,00 €) im Verhältnis zur monatlichen Prämie (zuletzt 244,98 €), so erscheint eine Vertragsfortsetzung mit allein dem Kläger als versicherter Person nicht unzumutbar. Die Beklagte war vielmehr darauf beschränkt, gegenüber dem Kläger eine Abmahnung zu erklären (§ 314 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dass sich die Beklagte nach eigenem Vortrag gezwungen sieht, zukünftig die vom Kläger eingereichten Rechnungen eingehend zu prüfen, um einen möglichen Versicherungsbetrug zu vermeiden, rechtfertigt keine andere Sichtweise. Denn dass es sich bei der Nichtanzeige des rückabgewickelten Brillenkaufs um ein vorsätzliches und planmäßiges Verhalten des Klägers gehandelt hat, konnte nicht festgestellt werden.
Zwischen dem Fehlverhalten des Klägers und dem Ausspruch der Kündigung sind im Übrigen mehr als 4 Jahre vergangen. Abgesehen davon, dass es hierzu an konkretem Vortrag der Beklagten fehlt (vgl. zur Darlegungslast: BeckOGK/Martens, BGB, § 314 Rn. 93 [Stand: 01.04.2020]), spricht vieles dafür, dass eine auf die zuvor genannte Obliegenheitsverletzung gestützte Kündigung nicht mehr innerhalb angemessener Frist erfolgt ist (§ 314 Abs. 3 BGB).
bb)
Das Landgericht hat sich keine zweifelsfreie Überzeugung davon verschaffen können, dass der Kläger von den gegenüber der Beklagten begangenen Täuschungshandlungen seiner Ehefrau wusste oder diese Handlungen sogar gefördert hat. Dies ist berufungsrechtlich nicht zu bestanden und das Landgericht hat insbesondere in der gebotenen Weise die vorliegenden Indizien (E-Mail-Adresse des Klägers, gemeinsames Konto der Eheleute) in den Blick genommen.
Hiergegen erhebt die Berufung nur insoweit Einwendungen, als das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt und ein Beweismittel (Zeugin G.) übergangen worden sei. Damit kann die Berufung nicht durchdringen.
Das Landgericht hat den entsprechenden Sachvortrag der Beklagten als wahr unterstellt und zutreffend ausgeführt, dass sich hieraus keine Rückschlüsse auf ein Wissen und Wollen des Klägers bezüglich der bis zu 8 Jahre zurückliegenden Tathandlungen seiner Ehefrau ziehen lassen. Dass der Kläger im Rahmen eines am 16.01.2019 mit der Zeugin geführten Telefonats keinen überraschten Eindruck vermittelt und die ihm eröffneten Vorwürfe „gefasst hingenommen“ hat, würde – wie auch die Berufung einräumt – lediglich ein weiteres Indiz darstellen. Dieses Indiz ist aber auch nach Auffassung des Senats weder für sich allein noch in der Gesamtschau geeignet, einen zweifelsfreien Nachweis über den Kenntnisstand des Klägers in den Jahren 2010 bis 2018 zu erbringen (vgl. zu den Anforderungen an den Beweiswert von Indizien: Jäckel, Das Beweisrecht der ZPO, 2. Aufl., Rn. 165 m.w.N.). Dem Beweisantrag der Beklagten war daher nicht nachzugehen.
cc)
Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht schließlich entschieden, dass sich der Kläger in Bezug auf die Kündigungsvoraussetzungen nicht das Verhalten seiner Ehefrau zurechnen lassen muss.
(1)
Eine gesetzlich angeordnete Zurechnung existiert nicht. Sie folgt insbesondere nicht aus § 47 Abs. 1 VVG (bzw. § 79 VVG a.F.). Diese Vorschrift gilt auch in der Krankenversicherung (§ 194 Abs. 3 Satz 1 VVG) und erfährt durch § 193 Abs. 2 VVG eine Erweiterung auf Fälle, in denen die andere Person Gefahrsperson ist, also keine Versicherung für fremde Rechnung vorliegt (vgl. Prölss/Martin/Voit, aaO., § 193 Rn. 7).
Handelt es sich jedoch um eine kombinierte Eigen- und Fremdversicherung, so wird das Fehlverhalten der (mit-)versicherten Person dem Versicherungsnehmer nur in Bezug auf die aus der Deckung des fremden Interesses folgenden Versicherungsansprüche nach § 47 Abs. 1 VVG zugerechnet (vgl. Langheid/Rixecker, VVG, 6. Aufl., § 47 Rn. 8). Ist die Vertragsverletzung in einer solchen Konstellation nur der versicherten Person vorzuwerfen, so schadet sie also grundsätzlich auch nur dieser (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2003 – IV ZR 41/02, NJW-RR 2003, 600, 601; OLG Köln, r+s 2003, 296). Bei der hier vorliegenden Kombination von Eigen- und Fremdversicherung besteht im Hinblick auf den Eigenversicherungsteil nicht per se ein derartiger Gleichlauf von Versicherungsnehmer und mitversicherter Person, der es rechtfertigen würde, die versicherte Person ohne Hinzutreten weiterer Umstände dem „Lager“ des Versicherungsnehmers zuzurechnen (vgl. Prölss/Martin/Klimke, aaO., § 47 Rn. 13). Der einheitliche Versicherungsvertrag ist insoweit aufzuspalten (vgl. Looschelders/Pohlmann/Koch, VVG, 3. Aufl., § 47 Rn. 20; Beckmann in: Bruck/ Möller, VVG, 9. Aufl., § 47 Rn. 31).
(2)
Diese allgemein anerkannten Grundsätze können nicht durch die von der Beklagten angeführten Billigkeitserwägungen umgangen werden. Die aus Sicht des Versicherers bestehende Gefahr, dass ein vollversicherter Versicherungsnehmer eine zusatzversicherte Person „vorschieben“ und seine Unkenntnis behaupten kann, ohne seinen eigenen Vertragsteil zu gefährden, veranlasst nicht, von klaren Zurechnungskriterien Abstand zu nehmen.
(3)
Die Ehefrau des Klägers war bezogen auf dessen Eigenversicherung weder Repräsentantin noch Wissenserklärungs- oder Wissensvertreterin.
Eine allgemeine Wissenszurechnung findet unter Ehegatten nicht statt. Sie greift nur ein, wenn und soweit die Voraussetzungen des Repräsentantenbegriffs erfüllt sind (vgl. BGH, Urteile vom 08.02.1965 – II ZR 171/62, VersR 1965, 425, 429 und vom 10.02.1982 – IVa ZR 194/80, VersR 1982, 463, 465). Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Kündigung des Versicherungsvertrages (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, aaO., § 28 Rn. 111). Die Anforderungen an die Repräsentantenstellung sind sehr streng. Denn der Versicherungsschutz wäre weitgehend entwertet, wenn der Versicherungsnehmer für das Verschulden sämtlicher Familienangehörigen einstehen müsste (vgl. Looschelders, r+s 2015, 581, 589).
Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder sonstigen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Repräsentant kann nur sein, wer bei Würdigung der Gesamtumstände befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung). Übt der Dritte aufgrund eines Vertrags- oder ähnlichen Verhältnisses die Verwaltung des Versicherungsvertrages eigenverantwortlich aus, kann dies für seine Repräsentantenstellung sprechen (Vertragsverwaltung). Dem Versicherungsnehmer darf es nicht freistehen, den Versicherer dadurch schlechter und sich besser zu stellen, dass er einen Dritten an seine Stelle hat treten lassen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 10.07.1996 – IV ZR 287/95, NJW 1996, 2935 und vom 07.12.2011 − IV ZR 50/11, NJW 2012, 376 Rn. 31).
Gemessen hieran ist eine Repräsentantenstellung der Ehefrau des Klägers zu verneinen. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts hat der Kläger Erstattungsanträge für ihn selbst betreffende ärztliche Behandlungen nahezu ausnahmslos selbst bei der Beklagten eingereicht. Lediglich in einem Fall hat die Ehefrau des Klägers am 02.06.2017 einen Leistungsantrag gestellt, der eine Behandlung des Klägers betraf und bei dem es zu keinerlei Manipulation kam. Alle übrigen Leistungsanträge der Ehefrau des Klägers gegenüber der Beklagten betrafen vermeintliche Aufwendungen für ärztliche Behandlungen bzw. für Heilmittel der Ehefrau oder der gemeinsamen Tochter. Nach der Einlassung des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Befragung entsprach dies der Arbeitsteilung der Eheleute. Der Kläger habe sich um die seine Ehefrau und die Tochter betreffenden Erstattungsanträge nicht gekümmert, die diesbezügliche Rechnungseinreichung mit seiner Frau nicht besprochen und auf dem Konto eingehende Erstattungsbeträge auch nicht in Frage gestellt. Insoweit handelte die Ehefrau des Klägers also nicht für den Versicherungsnehmer, sondern für sich selbst. Es existierten abgrenzbare Geschäftsbereiche.
Dabei kann offen bleiben, ob bezogen auf die Fremdversicherung eine eigene Empfangsberechtigung der Ehefrau des Klägers bestimmt worden war (§ 193 Abs. 4 VVG, § 6 Abs. 3 MB/KK 2009). Denn jedenfalls hat es die Beklagte über Jahre hinweg akzeptiert, dass die Ehefrau des Klägers eigene, sie selbst betreffende Erstattungsanträge einreicht. Demgegenüber ist seine Ehefrau bezogen auf die Eigenversicherung des Klägers und das insofern versicherte Risiko so gut wie nie gegenüber der Beklagten in Erscheinung getreten. Schon gar nicht lässt sich feststellen, dass die Ehefrau hinsichtlich dieses Risikos zu selbständigem Handeln in signifikantem Umfang befugt war.
Der Umstand, dass die Ehefrau des Klägers teilweise ein von diesem eingerichtetes, aber gemeinsam verwendetes E-Mail-Konto für ihre eigenen Leistungsanträge nutzte, führt nicht dazu, dass sie eigenverantwortlich das versicherte Risiko des Klägers verwaltete. Ebenso liegen die Dinge hinsichtlich des Empfängerkontos, dessen Inhaber zwar der Kläger war, über das seine Ehefrau aber gleichermaßen verfügen konnte.
Die vorstehenden Ausführungen betreffen die Frage, ob die Ehefrau des Klägers überhaupt dessen Repräsentantin war, d.h. deren Verhalten einer eigenen Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers gleichzusetzen ist. Die von der Berufung aufgeworfene Frage einer teilbaren Repräsentanteneigenschaft stellt sich hingegen nicht. Denn die Kündigung der Fremdversicherung der Ehefrau des Klägers konnte auf deren eigenes Fehlverhalten gestützt werden (vgl. § 47 Abs. 1 VVG: „soweit“) und bedurfte keines Rückgriffs auf die Figur der Repräsentantenhaftung.
2.
Zu Unrecht hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € bejaht. Insofern erweist sich die Klage als unbegründet, denn die Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt.
a)
Das Landgericht hat ausgeführt, ein Erstattungsanspruch bestehe „unter dem Aspekt des Verzugsschadens“. Damit ist ersichtlich ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB gemeint. Allerdings hat das Erstgericht keine Feststellungen darüber getroffen, ob und mit welcher konkreten Leistung sich die Beklagte im Zeitpunkt der Beauftragung des Klägervertreters in Verzug befand. Zwar hat infolge der Unwirksamkeit der Kündigung vom 17.01.2019 auch über den Zeitpunkt des Zugangs hinaus ein Anspruch auf Versicherungsschutz bestanden (§ 1 Satz 1 VVG). Eine fällige Forderung, die einen Verzug zu begründen vermag, wird jedoch erst mit Eintritt eines Versicherungsfalles und nach Beendigung der notwendigen Feststellungen begründet (§ 14 Abs. 1 VVG).
b)
Der Ausspruch der Kündigung vom 17.01.2019 stellt auch keine sonstige schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten i.S.d. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB dar. Zwar handelt eine Vertragspartei, die ein nicht bestehendes Gestaltungsrecht ausübt, i.d.R. pflichtwidrig (vgl. BGH, Urteil vom 18.05.2005 – VIII ZR 368/03, NJW 2005, 2395, 2396 m.w.N). Sie hat diese Pflichtverletzung aber nur dann zu vertreten, wenn sie ihre Rechtsposition als nicht plausibel ansehen durfte (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2009 – V ZR 133/08, NJW 2009, 1262 Rn. 19 ff.).
Im vorliegenden Fall ist die Rechtslage nicht auf den ersten Blick eindeutig und die Gründe, die die Beklagte für die Berechtigung zur Kündigung (auch) gegenüber dem Kläger angeführt hat, erscheinen nicht unvertretbar. Der Beklagten kann daher nicht vorgeworfen werden, dass sie sich mit der Kündigung nicht zurückgehalten, sondern ihrem Standpunkt Ausdruck verliehen hat.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Kostenquote für die erste Instanz ist im Hinblick auf den Teilerfolg der Berufung abzuändern. Bezogen auf die Kosten der zweiten Instanz erweist sich dieser Teilerfolg jedoch als geringfügig.
4.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
5.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Rechtsstreit betrifft die Anwendung höchstrichterlich geklärter Grundsätze auf einen konkreten Einzelfall.
6.
Der Streitwert war gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO festzusetzen. Analog § 9 ZPO ist hierfür auf die 3,5-fache Jahresprämie – soweit sie den Versicherungsschutz des Klägers betrifft – abzustellen (vgl. Beschluss vom 10.10.2001 – IV ZR 171/01, NVersZ 2002, 21, 22; OLG Schleswig, BeckRS 2008, 11061).