Die private Unfallversicherung verweigerte eine Nachzahlung, obwohl die fristgerechte ärztliche Invaliditätsfeststellung AUB für die Hauptverletzung pünktlich vorlag. Darf der Versicherer die Leistung ablehnen, weil unsichtbare neuropathische Schmerzen nicht separat im selben Körperbereich festgestellt wurden?
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Muss meine Invaliditätsfeststellung auch unsichtbare neuropathische Schmerzen erfassen?
- Kann ich eine Nachzahlung der Invaliditätsleistung wegen späterer Nervenschäden fordern?
- Welche Fristen gelten für die ärztliche Feststellung von Invalidität bei Spätfolgen?
- Was tun, wenn die Unfallversicherung meine unsichtbaren chronischen Schmerzen ablehnt?
- Welche Fristen gelten für die ärztliche Feststellung von Invalidität bei Spätfolgen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 8 U 736/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
- Datum: 29.09.2025
- Aktenzeichen: 8 U 736/25
- Verfahren: Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht
- Rechtsbereiche: Private Unfallversicherung, Zivilprozessrecht
- Das Problem: Ein Versicherter forderte von seiner privaten Unfallversicherung eine Nachzahlung wegen einer hohen Invalidität nach einem Arbeitsunfall. Die Versicherung lehnte Ansprüche wegen unfallbedingter neuropathischer Schmerzen ab. Sie behauptete, diese Schmerzen seien nicht fristgerecht ärztlich bescheinigt worden. Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage zudem wegen eines angeblich verspäteten Vortrags des Klägers ab.
- Die Rechtsfrage: Darf ein Gericht den Vortrag einer Partei als zu spät zurückweisen, obwohl es zuvor eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hatte? Verliert ein Versicherter seinen Anspruch, wenn Folgeerscheinungen wie Schmerzen am selben Körperteil nicht separat, aber die Primärverletzung fristgerecht gemeldet wurde?
- Die Antwort: Nein. Das Oberlandesgericht hob das Urteil des Landgerichts auf. Das Landgericht verletzte das rechtliche Gehör des Klägers durch die unzulässige Abweisung des rechtzeitig eingegangenen Vortrags. Die fristgerechte Feststellung der Primärverletzung am Körperteil schließt auch adäquate Schmerzsyndrome desselben Bereichs mit ein.
- Die Bedeutung: Ein Gericht muss fristgerecht eingereichte Schriftsätze berücksichtigen. Im Versicherungsrecht muss die Versicherung Folgeschäden, die denselben Körperbereich betreffen wie die bereits fristgerecht gemeldete Hauptverletzung, bei der Leistungsprüfung berücksichtigen.
Der Fall vor Gericht
Erfasst eine ärztliche Invaliditätsfeststellung auch unsichtbare Schmerzen?
Ein Arbeitsunfall hinterlässt sichtbare Spuren: gerissene Muskeln am Sitzbein, eine verletzte Sehne in der Schulter. Die private Unfallversicherung des Mannes erkennt die Verletzungen an und zahlt auf Basis eines orthopädischen Gutachtens eine erste Summe. Doch der Verletzte spürt mehr. Ein quälender, unsichtbarer Schmerz durchzieht sein Bein und seine Schulter – eine neuropathische Symptomatik, die sein Leben stark beeinträchtigt. Er fordert eine Nachzahlung seiner Invaliditätsleistung, denn sein Leiden sei weitaus größer als von der Versicherung bemessen.

Die Versicherung weigert sich. Ihr Argument: Für diesen „unsichtbaren“ Schaden fehle ein entscheidendes Dokument, das fristgerecht hätte eingereicht werden müssen. Der Fall landete vor Gericht, wurde zunächst abgewiesen und ging dann in die nächste Instanz. Das Oberlandesgericht Nürnberg musste klären, ob jede einzelne Folge eines Unfalls penibel auf einem separaten Attest dokumentiert sein muss.
Warum kassierte das OLG das erste Urteil komplett?
Das erste Urteil des Landgerichts Ansbach scheiterte an einem schweren Verfahrensfehler. Die Richterin hatte den Vortrag des Mannes zu seinen Nervenschmerzen als zu ungenau kritisiert. Sie gab ihm daraufhin eine offizielle Frist, um seine Argumente schriftlich zu präzisieren – ein übliches Vorgehen nach der Zivilprozessordnung (§ 139 Abs. 5 ZPO). Der Anwalt des Mannes lieferte pünktlich. Er reichte einen Schriftsatz ein, der die Schmerzsymptome detailliert beschrieb und auf bereits vorhandene Arztbriefe verwies.
Dann geschah etwas Unerwartetes. Das Landgericht ignorierte diesen fristgerecht eingereichten Text. Es stufte den Vortrag als verspätet ein (§ 296 Abs. 1 ZPO) und wies die Klage ohne Beweisaufnahme ab.
Das Oberlandesgericht Nürnberg pulverisierte diese Vorgehensweise. Ein Gericht kann nicht erst eine Frist zur Nachbesserung setzen und dann die fristgerechte Nachbesserung als verspätet zurückweisen. Ein solches Vorgehen verletzt den Kläger in seinem Grundrecht auf Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Man muss ihm die Chance geben, seine Sache darzulegen. Der Fehler war so gravierend, dass das gesamte Urteil aufgehoben werden musste. Die Richter in Nürnberg schickten den Fall zur komplett neuen Verhandlung an das Landgericht zurück (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das Spiel begann von vorn.
Muss für jede Unfallfolge ein separates Attest vorliegen?
Im Zentrum des Streits stand die Klausel der Versicherung. Sie verlangt, dass eine Invalidität innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt wird. Der Mann hatte mehrere ärztliche Atteste fristgerecht eingereicht. Diese beschrieben die Muskel- und Sehnenrisse an Bein und Schulter. Die Versicherung argumentierte, diese Atteste würden nur die orthopädischen Schäden abdecken. Für die behaupteten Nervenschmerzen fehle eine eigene, fristgerechte neurologische Feststellung.
Das Oberlandesgericht durchkreuzte diese enge Auslegung. Die Richter stellten klar: Eine fristgerecht eingereichte ärztliche Feststellung für eine Verletzung in einem bestimmten Körperbereich – hier Bein und Schulter – wirkt wie ein Scheinwerfer. Sie leuchtet den gesamten betroffenen Bereich aus. Die Versicherung ist damit verpflichtet, alle möglichen Folgeschäden in dieser Körperregion zu prüfen. Das schließt auch Schmerzsymptome ein, die eine direkte Folge der ursprünglichen Verletzung sein können.
Im Klartext bedeutet das: Das orthopädische Attest über den Muskelriss im Bein genügt, um auch die Prüfung von Nervenschmerzen im selben Bein anzustoßen. Der Versicherte muss nicht für jede einzelne Symptomatik ein separates Facharzt-Attest innerhalb der Frist vorlegen. Die erste, rechtzeitige Meldung der Hauptverletzung reicht aus, um den Leistungsfall für alle damit verbundenen Gebrechen in Gang zu setzen. Die Frage, ob die Nervenschmerzen tatsächlich vom Unfall herrühren und dauerhaft sind, ist eine medizinische Frage. Sie muss durch Gutachter geklärt werden. Sie darf aber nicht von vornherein mit einem formalen Argument abgeblockt werden.
Wie geht es für den verletzten Mann jetzt weiter?
Das Oberlandesgericht hat nicht selbst entschieden, wie viel Geld der Mann bekommt. Stattdessen gab es dem Landgericht Ansbach eine klare Marschroute für das neue Verfahren vor. Zuerst muss ein neurologisches Sachverständigengutachten klären, ob die Schmerzsymptomatik des Mannes tatsächlich eine Folge des Unfalls ist und einen dauerhaften Schaden darstellt. Anschließend soll ein weiteres, unfallchirurgisch-orthopädisches Gutachten die Gesamtinvalidität bewerten. Dieses Gutachten muss sowohl die unstrittigen Muskel- und Sehnenverletzungen als auch die möglicherweise festgestellten neurologischen Schäden berücksichtigen.
Der Mann trägt die Beweislast. Er muss nachweisen, dass seine Beschwerden die Voraussetzungen für die Versicherungsleistung erfüllen. Die Richter wiesen das Landgericht an, im neuen Verfahren die Beweisaufnahme nach diesen Vorgaben umfassend durchzuführen. Nur so kann am Ende eine Entscheidung stehen, die auf einer vollständigen Tatsachengrundlage beruht.
Die Urteilslogik
Ein Gericht kann die materielle Prüfung eines Versicherungsfalls nicht durch die unzulässige Ablehnung eines rechtzeitig eingereichten Sachvortrags verhindern.
- Rechtliches Gehör gewährleistet: Setzt ein Gericht eine Frist zur Nachbesserung oder Präzisierung eines Schriftsatzes, muss es den fristgerecht eingereichten ergänzenden Vortrag umfassend würdigen; ignoriert es diesen, verletzt es das Grundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör und macht das gesamte Urteil anfechtbar.
- Erweiterte Wirkung der Invaliditätsfeststellung: Die fristgerechte ärztliche Feststellung einer Hauptverletzung in einem spezifischen Körperbereich löst die Leistungspflicht des Versicherers für alle direkt damit verbundenen Folgeschäden aus, einschließlich unsichtbarer Symptome wie neuropathischer Schmerzen, auch wenn diese nicht separat fristgerecht attestiert wurden.
Die Rechtsprechung stellt sicher, dass formale Fristen zur Meldung einer Invalidität nicht dazu führen dürfen, die tatsächliche medizinische Tragweite eines Arbeitsunfalls unvollständig zu beurteilen.
Benötigen Sie Hilfe?
Stehen Ihre Ansprüche wegen neuropathischer Schmerzen vor ähnlichen Ablehnungsgründen? Kontaktieren Sie uns für eine vertrauliche erste rechtliche Einschätzung Ihres Sachverhalts.
Experten Kommentar
Viele Versicherungen versuchen, Spätfolgen wie chronische neuropathische Schmerzen formalistisch abzuwehren, indem sie auf enge Attestfristen für jedes einzelne Symptom pochen. Das Oberlandesgericht Nürnberg zieht hier eine klare rote Linie: Die fristgerechte Meldung der Hauptverletzung in einer Körperregion leuchtet den gesamten betroffenen Bereich aus. Ist beispielsweise der Muskelriss im Bein gemeldet, muss die Versicherung auch die daraus resultierenden Nervenschmerzen in diesem Bein prüfen. Damit wird verhindert, dass Versicherer den Leistungsanspruch mit dem Argument abblocken, es fehle ein separates, frühzeitiges Attest für die „unsichtbaren“ Schmerzen. Das Urteil ist konsequent praxisnah und stellt sicher, dass am Ende medizinische Gutachter statt enger formaler Fristen über die tatsächliche Invalidität entscheiden.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Muss meine Invaliditätsfeststellung auch unsichtbare neuropathische Schmerzen erfassen?
Nein, Sie müssen keine separate ärztliche Feststellung ausschließlich für neuropathische Schmerzen vorlegen. Die Sorge, dass chronische Nervenschäden formal nicht anerkannt werden, weil sie erst spät diagnostiziert wurden, ist unbegründet. Entscheidend ist die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürnberg, die von einem Scheinwerferprinzip spricht, welches die Versicherungsprüfung umfassend beleuchtet.
Die Regel: Die fristgerechte Feststellung der Hauptverletzung in einem bestimmten Körperbereich genügt völlig. Das OLG Nürnberg stellte klar, dass dieses Erst-Attest die gesamte betroffene Region beleuchtet. Die Unfallversicherung muss alle möglichen Folgeschäden in dieser Körperregion prüfen, solange diese nachweislich kausal mit dem Unfall zusammenhängen. Das orthopädische Attest über einen Muskelriss im Bein schlägt damit eine juristische Brücke zu später auftretenden Nervenschmerzen im selben Bein.
Sie müssen für jede einzelne, später auftretende Symptomatik kein eigenes Facharzt-Attest innerhalb der vertraglichen 18-Monats-Frist einreichen. Verlangt die Versicherung dies, wendet sie eine unzulässig enge Auslegung der Bedingungen an. Versuchen Sie daher nicht, nachträglich rückdatierte Atteste zu beschaffen; dies ist unnötig und kann die Glaubwürdigkeit Ihres Falls mindern. Die entscheidende Frage ist die medizinische Kausalität zum Unfall, nicht das genaue Dokumentationsdatum der Spätfolge.
Öffnen Sie Ihr fristgerecht eingereichtes Erst-Attest und dokumentieren Sie, dass Ihre heutigen Schmerzen exakt in der dort genannten Körperregion auftreten, um Ihren Anspruch zu sichern.
Kann ich eine Nachzahlung der Invaliditätsleistung wegen späterer Nervenschäden fordern?
Ja, Sie können in den meisten Fällen eine Nachzahlung der Invaliditätsleistung fordern, wenn sich Ihr Zustand nach der ersten Bewertung verschlechtert hat. Stellt sich nachträglich heraus, dass die anfänglich bemessene Invalidität viel zu gering war, muss die Versicherung die Summe nachkorrigieren. Dies gilt besonders, wenn bislang unberücksichtigte Spätfolgen, wie chronische neuropathische Schmerzen, hinzukommen, die das Leben stärker beeinträchtigen als zunächst angenommen.
Der ursprüngliche Leistungsfall muss neu bewertet werden, falls die tatsächliche Beeinträchtigung die erste Zahlungssumme wesentlich übersteigt. Die Forderung auf Nachzahlung setzt voraus, dass die Nervenschäden eindeutig und ursächlich auf den ursprünglichen Unfall zurückzuführen sind. Diese chronischen Schmerzen müssen juristisch einen dauerhaften Schaden darstellen, der die Gesamtinvalidität neu definiert. Die Gesamtinvalidität muss alle Unfallfolgen, ob sichtbar oder unsichtbar, umfassen und eine Korrektur der ursprünglichen Bemessung erforderlich machen.
In gerichtlichen Verfahren zur Nachforderung kommt es oft zu einer umfassenden Beweisaufnahme durch neutrale Gutachter. Konkret: Das Gericht wird zur Feststellung der Gesamtinvalidität ein zweistufiges Sachverständigengutachten anordnen. Zuerst klärt ein neurologisches Gutachten die Schmerzursache und deren Kausalität zum Unfall. Anschließend bewertet ein unfallchirurgisch-orthopädisches Gutachten die Gesamtinvalidität unter Berücksichtigung aller neuen Befunde und der festgestellten neurologischen Schäden.
Sammeln Sie alle Unterlagen zur ersten Zahlung sowie dem damaligen Gutachten und suchen Sie damit einen Fachanwalt für Versicherungsrecht auf.
Welche Fristen gelten für die ärztliche Feststellung von Invalidität bei Spätfolgen?
Die vertraglich vereinbarte Frist, meist 18 Monate nach dem Unfall, bezieht sich auf die Erstfeststellung der Invalidität des betroffenen Körperteils insgesamt. Sie müssen keine Angst haben, dass diese Ausschlussfrist für später auftretende Symptome wie neuropathische Schmerzen erneut beginnt. Die rechtzeitige ärztliche Feststellung der ursprünglichen Hauptverletzung reicht aus, um den Leistungsanspruch grundsätzlich zu sichern.
Die Frist bezieht sich auf die Invaliditätsfeststellung, nicht auf die finale Diagnose jeder einzelnen Symptomatik. Die Versicherung darf die Versicherungsbedingungen nicht unzulässig eng auslegen, indem sie für jede Spätfolge eine separate Fristeinhaltung verlangt. Das Oberlandesgericht Nürnberg stellte klar: Die fristgerechte Einreichung der Erstfeststellung der Hauptverletzung bindet die Versicherung an die Prüfung aller Folgeschäden in dem betroffenen Bereich.
Konkret: Hatten Sie fristgerecht ein Attest über eine Verletzung am Bein eingereicht, sichert dieses Dokument den Anspruch auch für alle späteren Nervenschmerzen in diesem Bein. Die erste Meldung wirkt wie ein „Scheinwerfer“ auf die betroffene Region. Die Forderung der Versicherer nach einer separaten, fristgerechten neurologischen Diagnose für jeden unsichtbaren Schmerz wird juristisch zurückgewiesen, solange der Schaden kausal auf den Unfall zurückzuführen ist.
Prüfen Sie Ihre Versicherungsunterlagen (AUB) und stellen Sie sicher, dass der Nachweis über die rechtzeitige ärztliche Feststellung der ursprünglichen Verletzung parat liegt.
Was tun, wenn die Unfallversicherung meine unsichtbaren chronischen Schmerzen ablehnt?
Wenn Ihre Unfallversicherung die Zahlung wegen unsichtbarer chronischer Schmerzen ablehnt, sollten Sie umgehend einen Fachanwalt für Versicherungsrecht konsultieren. Versicherer versuchen oft, Zahlungen aufgrund formaler Mängel, wie dem Fehlen eines separaten Attestes für die Schmerzen, zu verweigern. Diese Argumentation ist in vielen Fällen juristisch nicht haltbar, insbesondere wenn die Hauptverletzung fristgerecht gemeldet wurde.
Die Ablehnung wegen eines fehlenden separaten Attestes widerspricht der gängigen Rechtsprechung, die Gerichte anwenden. Das Oberlandesgericht Nürnberg prägte hierzu das sogenannte Scheinwerferprinzip. Wurde die ursprüngliche Verletzung in einem Körperbereich rechtzeitig festgestellt, muss die Versicherung alle daraus resultierenden Folgeschäden in diesem Bereich prüfen. Die formale Forderung nach einem zusätzlichen neurologischen Attest wird damit als unzulässige Einschränkung der Versicherungsbedingungen gewertet.
Auch im laufenden Gerichtsverfahren müssen Sie wachsam bleiben, da Fehler in der Prozessführung auftreten können. Stellt ein Gericht beispielsweise eine Frist zur Nachbesserung von Argumenten (§ 139 ZPO), darf es die fristgerecht eingereichten Schriftsätze nicht ignorieren. Ein Gericht, das eine solche Nachbesserung als verspätet abweist, verletzt das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Solche schweren Verfahrensfehler führen zur Aufhebung des gesamten Urteils durch die nächsthöhere Instanz.
Legen Sie Ihrem Anwalt den Ablehnungsbescheid vor und bestehen Sie darauf, die Ablehnungsgründe anhand der aktuellen OLG-Rechtsprechung anzufechten.
Welche Fristen gelten für die ärztliche Feststellung von Invalidität bei Spätfolgen?
Die Sorge, dass die Frist für spät diagnostizierte Nervenschmerzen bereits abgelaufen ist, ist unbegründet. Die vertraglich vereinbarte Frist von meist 18 Monaten bezieht sich nicht auf jede einzelne Symptomatik oder deren finale Diagnose. Vielmehr muss die ärztliche Feststellung der Invalidität des betroffenen Körperteils insgesamt rechtzeitig erfolgen. Solange diese Erstfeststellung fristgerecht vorlag, gilt die Frist auch für spätere neuropathische Spätfolgen als gewahrt.
Liegt eine fristgerechte Erstfeststellung der Hauptverletzung vor, etwa ein Muskelriss oder eine Sehnenverletzung, gilt die Frist für alle späteren Folgeschäden in diesem Bereich als eingehalten. Das Oberlandesgericht Nürnberg bestätigte, dass diese rechtzeitige Meldung der Hauptverletzung wie ein „Scheinwerfer“ wirkt. Sie verpflichtet die Versicherung, sämtliche damit verbundenen Gebrechen in der betroffenen Körperregion umfassend zu prüfen.
Eine unzulässig enge Auslegung der Versicherungsbedingungen wäre es, für jede neue Spätfolge ein separates Facharzt-Attest innerhalb der 18-Monats-Frist zu verlangen. Die fristgerechte Einreichung der Erstfeststellung sichert Ihren Anspruch auf die spätere Leistungsprüfung ab. Entscheidend ist die Klärung der Kausalität, also ob die Nervenschmerzen eine direkte Folge der ursprünglichen Unfallverletzung darstellen.
Prüfen Sie Ihre Versicherungsunterlagen genau und stellen Sie sicher, dass Sie den Nachweis über die rechtzeitige ärztliche Feststellung der ursprünglichen Verletzung parat haben.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Beweislast
Die Beweislast legt fest, welche Partei in einem Gerichtsverfahren die Verpflichtung trägt, die Richter von den Tatsachen zu überzeugen, auf denen ihr Anspruch oder ihre Verteidigung beruht. Wer einen Anspruch geltend macht, muss die rechtlichen Voraussetzungen dafür nachweisen. Das Gesetz stellt damit sicher, dass die Gerichte Entscheidungen nicht auf Basis unbewiesener Behauptungen treffen.
Beispiel: Im Streit um die Invaliditätsleistung trägt der verletzte Mann die Beweislast dafür, dass seine später aufgetretene neuropathische Symptomatik tatsächlich eine kausale Folge des ursprünglichen Arbeitsunfalls ist.
Kausalität
Juristen verstehen unter Kausalität den notwendigen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis – etwa einem Unfall – und der daraus resultierenden Rechtsfolge, wie einem geltend gemachten Invaliditätsschaden. Nur Schäden, die nachweislich durch das fragliche Ereignis verursacht wurden, sind relevant und lösen eine Leistungspflicht der privaten Unfallversicherung aus. Diese zwingende Verknüpfung schließt willkürliche oder zufällige Forderungen aus.
Beispiel: Das Gericht muss mithilfe eines neurologischen Sachverständigengutachtens klären, ob die chronische Schmerzsymptomatik des Klägers in direkter Kausalität zum ursprünglichen Arbeitsunfall steht.
Rechtliches Gehör
Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist ein fundamentales Grundrecht, das jeder Partei garantiert, sich vor Gericht umfassend äußern und zu den Vorwürfen der Gegenseite Stellung nehmen zu können. Dieses Grundrecht stellt eine zentrale Säule des fairen Verfahrens dar und verhindert, dass Gerichte Sachvorträge, Anträge oder fristgerechte Erklärungen der Parteien ignorieren. Bei einer Verletzung dieses Rechtes wird das gesamte Urteil von der nächsthöheren Instanz aufgehoben.
Beispiel: Das Oberlandesgericht kassierte das erste Urteil komplett, weil das Landgericht den fristgerecht eingereichten Schriftsatz des Klägers als verspätet ignorierte und ihm damit das Recht auf rechtliches Gehör verletzte.
Scheinwerferprinzip
Das Scheinwerferprinzip ist eine in der Rechtsprechung, insbesondere des OLG Nürnberg, etablierte Auslegung von Versicherungsbedingungen, wonach eine fristgerechte ärztliche Feststellung einer Hauptverletzung den gesamten betroffenen Körperbereich für Folgeschäden „ausleuchtet“. Dieses Prinzip verhindert eine unzulässig enge Auslegung der vertraglichen Fristen durch die Versicherer. Dem Versicherten wird die unzumutbare Pflicht erspart, für jede einzelne, erst später auftretende Symptomatik ein separates Facharzt-Attest innerhalb der knappen Meldefrist vorzulegen.
Beispiel: Wegen des Scheinwerferprinzips genügt das fristgerecht eingereichte orthopädische Attest über den Muskelriss, um auch die Prüfung der später festgestellten Nervenschmerzen im selben Bein zu verlangen.
Schriftsatz
Ein Schriftsatz ist ein schriftliches Dokument, das ein Rechtsanwalt oder eine Partei im Zivilprozess bei Gericht einreicht, um Tatsachen vorzutragen, Beweismittel zu benennen oder bestimmte Anträge zu stellen. Dieses zentrale Kommunikationsmittel dient der Einhaltung des Schriftlichkeitsprinzips im Verfahren und strukturiert den geordneten Austausch der Argumente beider Seiten. Die Zivilprozessordnung regelt genau, welche Anforderungen an einen solchen Vortrag gestellt werden.
Beispiel: Nachdem das Landgericht eine Frist zur Präzisierung der Argumente setzte, reichte der Anwalt einen ausführlichen Schriftsatz ein, der die neuropathische Symptomatik detailliert beschrieb.
Verfahrensfehler
Von einem Verfahrensfehler sprechen Juristen, wenn ein Gericht während des laufenden Prozesses gegen zentrale Formvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) oder gegen übergeordnete Rechtsprinzipien verstößt. Solche gravierenden Mängel, wie die Verletzung des rechtlichen Gehörs, führen dazu, dass die nächsthöhere Instanz das gesamte Urteil aufhebt. Die Richter schicken den Fall dann zur kompletten Neuverhandlung an die Vorinstanz zurück.
Beispiel: Das Landgericht Ansbach beging einen schweren Verfahrensfehler, als es dem Kläger eine Frist zur Nachbesserung setzte und anschließend den fristgerecht eingereichten Vortrag als verspätet ignorierte.
Das vorliegende Urteil
OLG Nürnberg – Az.: 8 U 736/25 – Endurteil vom 29.09.2025
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