Piloten-Krankentagegeld: OLG klärt Fluguntauglichkeit als Arbeitsunfähigkeit
Private Krankentagegeldversicherungen bieten Schutz gegen Verdienstausfälle bei Krankheiten oder Unfällen, die zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit führen. Dabei ist die Bewertung, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, entscheidend für den Versicherungsschutz. Bei Berufsgruppen mit besonderen Anforderungen wie Piloten kann die Situation komplexer sein. Die Fluguntauglichkeit kann hier unter bestimmten Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt werden.
Genaue Klärung finden solche Fragen oft erst vor Gericht, wenn Versicherer und Versicherungsnehmer unterschiedliche Auffassungen zur Leistungspflicht haben. Dabei kommt es auf die vertraglichen Regelungen und die Art der Beschäftigung an. Im folgenden Beitrag beleuchten wir ein aktuelles Gerichtsurteil zu diesem Thema.
Übersicht
- Piloten-Krankentagegeld: OLG klärt Fluguntauglichkeit als Arbeitsunfähigkeit
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- ➜ Der Fall im Detail
- ✔ Häufige Fragen – FAQ
- Was versteht man unter Fluguntauglichkeit in Bezug auf Krankentagegeldversicherungen?
- Wie wird die Fluguntauglichkeit medizinisch und behördlich festgestellt?
- Welche Konsequenzen hat eine festgestellte Fluguntauglichkeit für den Versicherungsschutz?
- In welchem Verhältnis steht die behördliche Genehmigung zur medizinischen Flugtauglichkeit?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- Das vorliegende Urteil
[Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 7 U 96/20 >>>]
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Krankentagegeld bei Fluguntauglichkeit: Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass bei einem Piloten die Fluguntauglichkeit mit Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen ist, wenn die Vertragsbedingungen dies so vorsehen.
- Medizinische Bescheinigung entscheidend: Die Auslegung der Vertragsklausel hängt davon ab, ob eine medizinische Bescheinigung die Fluguntauglichkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit feststellt.
- Zeitraum der Krankentagegeldzahlung: Der Kläger hat Anspruch auf Krankentagegeld vom 26.10.2017 bis zum 03.12.2017, da bis dahin Fluguntauglichkeit bestand.
- Einstellung der Zahlung bei Wiederherstellung der Flugtauglichkeit: Ab dem 04.12.2017 besteht kein Anspruch auf Krankentagegeld mehr, da der Kläger wieder als flugtauglich eingestuft wurde.
- Bedeutung der ärztlichen Prognose: Der Anspruch des Klägers stützt sich auf ärztliche Prognosen, die seine Arbeitsunfähigkeit bis zum 15.12.2017 bescheinigten, auch wenn das LBA die Flugtauglichkeit bereits am 04.12.2017 feststellte.
- Behördliche Genehmigung als Voraussetzung: Das Urteil verdeutlicht, dass in Fällen, wo die Berufsausübung eine behördliche Genehmigung erfordert (wie die Flugtauglichkeit), diese entscheidend für den Versicherungsschutz sein kann.
- Berücksichtigung individueller Berufsbedingungen: Das Gericht betont, dass die spezifischen Bedingungen und Anforderungen des Berufsbildes (hier: Pilot) für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ausschlaggebend sind.
➜ Der Fall im Detail
Krankentagegeld bei festgestellter Fluguntauglichkeit eines Piloten
Der Fall betrifft einen Flugkapitän, der von seiner Krankentagegeldversicherung, vertreten durch die Beklagte, die Auszahlung weiterer Leistungen für den Zeitraum vom 25. Oktober 2017 bis zum 15. Dezember 2017 verlangt.

Grundlage hierfür ist seine anhaltende Fluguntauglichkeit aufgrund einer Beinvenenthrombose, die trotz medizinischer Behandlung fortbestand. Der Kläger war bereits seit Januar 2017 arbeitsunfähig und erhielt bis zum 25. Oktober 2017 Zahlungen von der Versicherung. Nach einem Gutachten des Luftfahrtbundesamts (LBA) wurde er am 4. Dezember 2017 als eingeschränkt flugtauglich eingestuft. Die Versicherung stellte jedoch die Zahlungen ein, da sie der Ansicht war, dass keine medizinische Arbeitsunfähigkeit mehr vorlag. Dies führte zu einer rechtlichen Auseinandersetzung über die Interpretation der Vertragsklausel, die Fluguntauglichkeit mit Arbeitsunfähigkeit gleichsetzt.
Rechtliche Klärung der Fluguntauglichkeit als Arbeitsunfähigkeit
Das Oberlandesgericht Frankfurt musste entscheiden, ob die Fluguntauglichkeit des Klägers unter die bestehenden Vertragsbedingungen fällt und ihm somit ein Anspruch auf das Krankentagegeld zusteht. Das Gericht wies die weitergehende Berufung zurück und änderte das Urteil der Vorinstanz teilweise ab, indem es die Beklagte verurteilte, weitere Zahlungen für den streitigen Zeitraum zu leisten. Es bestätigte die Auffassung, dass die Fluguntauglichkeit bei Piloten einer Arbeitsunfähigkeit gleichkommt, solange keine behördliche Genehmigung zur Wiederaufnahme der Tätigkeit vorliegt.
Gerichtliche Abwägungen und medizinische Bewertungen
Die Gerichtsentscheidung basierte auf der Abwägung zwischen medizinischen Befunden und den vertraglichen Vereinbarungen. Obwohl der Kläger ab dem 4. Dezember 2017 als eingeschränkt flugtauglich eingestuft wurde, galt er bis zum Eingang dieser behördlichen Entscheidung als arbeitsunfähig. Das Gericht sah es als entscheidend an, dass die Flugtauglichkeit nicht allein durch medizinische Befunde, sondern durch die formale Bestätigung der Behörde festgestellt wird. Diese Einschätzung unterstreicht die spezifische berufliche Situation von Piloten, bei denen die behördliche Genehmigung eine zentrale Rolle spielt.
Konsequenzen des Urteils für die Versicherungspraxis
Die Entscheidung des Gerichts verdeutlicht die Bedeutung der genauen Auslegung von Versicherungsbedingungen im Kontext berufsspezifischer Risiken. Insbesondere für Berufsgruppen, deren Tätigkeit besondere Anforderungen an die Gesundheit stellt, bestätigt dieses Urteil die Notwendigkeit, dass Versicherungsverträge und deren Bedingungen klar und eindeutig formuliert sein müssen, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Die Betonung liegt auf der gesetzlichen und vertraglichen Regelung, dass bei Piloten die Arbeitsfähigkeit direkt an die Flugtauglichkeit gekoppelt ist.
Zukünftige Implikationen und Rechtsprechung
Dieser Fall könnte für zukünftige Urteile in ähnlichen Fällen als Referenz dienen, insbesondere in der Diskussion, wie spezifische berufliche Anforderungen in Standardversicherungsverträge integriert werden sollten. Es stellt auch die Rolle von medizinischen Sachverständigen und behördlichen Entscheidungen in den Vordergrund, die in bestimmten Berufsfeldern über die berufliche Zukunft von Personen entscheiden können.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was versteht man unter Fluguntauglichkeit in Bezug auf Krankentagegeldversicherungen?
Fluguntauglichkeit im Kontext von Krankentagegeldversicherungen bezieht sich auf den Zustand, in dem ein Pilot aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen temporär oder dauerhaft nicht in der Lage ist, seine beruflichen Pflichten im Flugdienst auszuüben. Dies kann durch verschiedene medizinische Gründe bedingt sein, wie beispielsweise körperliche Erkrankungen, psychische Störungen oder die Wirkungen von Medikamenten, die die sichere Ausführung der Flugtätigkeiten beeinträchtigen könnten.
In Deutschland wird die Fluguntauglichkeit in der Krankentagegeldversicherung oft der Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt. Das bedeutet, dass Piloten, die vorübergehend als fluguntauglich eingestuft werden, unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Krankentagegeld haben können. Dies ist besonders relevant, da die berufliche Identität und die finanzielle Sicherheit von Piloten stark von ihrer Lizenz und ihrer körperlichen sowie geistigen Eignung abhängen.
Die rechtliche Gleichstellung von Fluguntauglichkeit mit Arbeitsunfähigkeit ermöglicht es betroffenen Piloten, finanzielle Unterstützung durch ihre Krankentagegeldversicherung zu erhalten, auch wenn sie möglicherweise noch andere, nicht flugbezogene Tätigkeiten ausüben könnten. Diese Regelung trägt der spezifischen Natur des Berufsstandes Rechnung, bei dem die Sicherheit und Gesundheit sowohl des Personals als auch der Passagiere oberste Priorität hat.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die genauen Bedingungen und der Umfang des Krankentagegeldanspruchs von den spezifischen Bestimmungen der jeweiligen Versicherungspolice abhängen können. Versicherungsverträge können unterschiedliche Definitionen und Kriterien für die Anerkennung von Fluguntauglichkeit als Arbeitsunfähigkeit festlegen, was wiederum die Leistungen beeinflusst, die im Falle einer solchen Diagnose zur Verfügung stehen.
Wie wird die Fluguntauglichkeit medizinisch und behördlich festgestellt?
Die Feststellung der Fluguntauglichkeit erfolgt durch einen mehrstufigen Prozess, der sowohl medizinische Untersuchungen als auch behördliche Entscheidungen umfasst. Zunächst wird die medizinische Untersuchung von einem flugmedizinischen Sachverständigen oder in einem flugmedizinischen Zentrum durchgeführt. Diese Untersuchungen sind detailliert und umfassend, da sie sowohl physische als auch psychische Aspekte der Gesundheit eines Piloten abdecken müssen.
Nach der medizinischen Untersuchung erstellt der flugmedizinische Sachverständige ein Gutachten über die Tauglichkeit des Piloten. Dieses Gutachten wird dann an die zuständige Behörde, in Deutschland oft das Luftfahrt-Bundesamt, weitergeleitet. Die Behörde überprüft die medizinischen Befunde und trifft die endgültige Entscheidung über die Flugtauglichkeit. Diese Entscheidung wird dem Piloten offiziell mitgeteilt.
Die behördliche Entscheidung basiert auf den Vorgaben und Richtlinien, die in relevanten gesetzlichen Regelungen wie der Verordnung über Luftfahrtpersonal (LuftPersV) und der EU-Verordnung 1178/2011 festgelegt sind. Diese Regelungen definieren die Kriterien für die Flugtauglichkeit und die Prozesse, die bei der Feststellung der Tauglichkeit zu befolgen sind.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Feststellung der Fluguntauglichkeit nicht nur die medizinische Unfähigkeit eines Piloten betrifft, sondern auch rechtliche und sicherheitsrelevante Aspekte beinhaltet, die sicherstellen, dass nur gesundheitlich geeignete Personen Flugzeuge führen dürfen.
Welche Konsequenzen hat eine festgestellte Fluguntauglichkeit für den Versicherungsschutz?
Die festgestellte Fluguntauglichkeit hat erhebliche Konsequenzen für den Versicherungsschutz von Piloten, insbesondere im Kontext der Krankentagegeldversicherung und der Berufsunfähigkeitsversicherung. Die spezifischen Auswirkungen hängen von den Bedingungen der jeweiligen Versicherungspolice ab.
- Krankentagegeldversicherung: Wenn ein Pilot als fluguntauglich eingestuft wird, kann dies in vielen Fällen einer Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt werden, was bedeutet, dass der Pilot Anspruch auf Krankentagegeld hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Versicherungsbedingungen eine Klausel enthalten, die Fluguntauglichkeit explizit der Arbeitsunfähigkeit gleichstellt. Die Zahlung des Krankentagegeldes erfolgt dann entsprechend den vereinbarten Bedingungen, meist ab einem bestimmten Tag der Arbeitsunfähigkeit bis zur Wiederherstellung der Flugtauglichkeit oder bis zu einem maximalen Zeitraum.
- Berufsunfähigkeitsversicherung: Fluguntauglichkeit kann auch zur Berufsunfähigkeit führen, wenn der Pilot aufgrund medizinischer Gründe dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. In diesem Fall können Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung relevant werden, die eine finanzielle Absicherung bieten, wenn der Pilot seinen Beruf nicht mehr ausüben kann.
- Loss-of-Licence-Versicherung: Speziell für Piloten gibt es die Loss-of-Licence-Versicherung, die greift, wenn Piloten ihre Lizenz aufgrund von Fluguntauglichkeit verlieren. Diese Versicherung deckt in der Regel den Einkommensverlust ab, der durch den Verlust der Fluglizenz entsteht.
Die Feststellung der Fluguntauglichkeit führt also zu verschiedenen Versicherungsleistungen, abhängig von der Art der Versicherung und den spezifischen Bedingungen des Vertrags. Es ist wichtig für Piloten, die genauen Bedingungen ihrer Versicherungspolicen zu kennen, um im Falle einer Fluguntauglichkeit ihre Rechte und den Umfang des Versicherungsschutzes zu verstehen.
In welchem Verhältnis steht die behördliche Genehmigung zur medizinischen Flugtauglichkeit?
Die behördliche Genehmigung zur medizinischen Flugtauglichkeit steht in einem engen und notwendigen Verhältnis zur ärztlichen Feststellung der Flugtauglichkeit. Dieses Verhältnis ist durch die Notwendigkeit gekennzeichnet, dass eine ärztliche Feststellung der Flugtauglichkeit allein nicht ausreicht, um die Flugtauglichkeit offiziell zu bestätigen und die berufliche Tätigkeit als Pilot wieder aufzunehmen. Die behördliche Genehmigung ist erforderlich, um die medizinische Eignung eines Piloten offiziell zu bestätigen und rechtlich zu legitimieren.
- Ärztliche Feststellung: Die medizinische Untersuchung und Beurteilung der Flugtauglichkeit wird von einem flugmedizinischen Sachverständigen oder in einem flugmedizinischen Zentrum durchgeführt. Diese Untersuchung umfasst eine umfassende Bewertung der körperlichen und psychischen Gesundheit des Piloten, um sicherzustellen, dass keine medizinischen Bedingungen vorliegen, die die sichere Ausführung der Flugtätigkeiten beeinträchtigen könnten.
- Behördliche Genehmigung: Nach der ärztlichen Feststellung muss die Flugtauglichkeit von einer zuständigen Behörde, wie dem Luftfahrt-Bundesamt in Deutschland, offiziell genehmigt werden. Diese Genehmigung basiert auf den medizinischen Befunden des flugmedizinischen Sachverständigen, aber die Behörde führt eine eigene Überprüfung und Bewertung dieser Befunde durch, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Diese behördliche Genehmigung ist entscheidend, da sie die rechtliche Grundlage für die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit als Pilot bildet.
Die Notwendigkeit einer behördlichen Genehmigung trotz vorliegender ärztlicher Feststellung der Flugtauglichkeit ergibt sich aus der Bedeutung der öffentlichen Sicherheit und der hohen Anforderungen an die Sicherheit im Luftverkehr. Die behördliche Überprüfung stellt sicher, dass alle relevanten medizinischen Informationen korrekt bewertet wurden und dass die Sicherheit des Luftverkehrs nicht durch möglicherweise übersehene medizinische Risiken gefährdet wird.
Zusammengefasst ist die behördliche Genehmigung ein unerlässlicher Schritt, der auf der ärztlichen Feststellung aufbaut und diese ergänzt, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit im Luftverkehr zu gewährleisten.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 1 Teil II Abs. 3 MB/KT (Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung): Regelung, die Fluguntauglichkeit bei fliegendem Personal (Piloten) als Arbeitsunfähigkeit definiert. Dieser Paragraph ist zentral, weil er direkt die Anspruchsgrundlage des Klägers auf das Krankentagegeld bei festgestellter Fluguntauglichkeit definiert.
- Verordnung (EU) Nr. 1178/2011: Legt die Mindestanforderungen für die medizinische Tauglichkeit von Flugpersonal fest. Sie ist relevant, weil das Luftfahrtbundesamt (LBA) auf dieser Basis entscheidet, ob eine Person flugtauglich ist, was direkten Einfluss auf den Status der Arbeitsfähigkeit des Klägers hat.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 286 Zinsen für Verzug: Regelt die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen bei Nichterfüllung finanzieller Verpflichtungen. Dieser Paragraph wird im Kontext der Verzugszinsen genannt, die der Kläger auf die ausstehenden Krankentagegeldzahlungen fordert.
- Zivilprozessordnung (ZPO): Legt die Verfahrensregeln für die Durchführung zivilrechtlicher Verfahren vor deutschen Gerichten fest, einschließlich Berufungen und Revisionen. Sie ist entscheidend für das Verständnis des rechtlichen Weges, den der Kläger und die Beklagte in der Auseinandersetzung beschreiten.
- Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankentagegeldversicherung: Enthalten spezifische Klauseln und Regelungen, die für die Versicherungsleistung relevant sind, wie die Definition der Arbeitsunfähigkeit und die Bedingungen für die Leistungszahlung. Diese Bedingungen bilden den Rahmen für die Interpretation der Rechte und Pflichten beider Parteien im Versicherungsvertrag.
- Medizinproduktegesetz (MPG): Im Kontext der medizinischen Diagnosen und Behandlungen, die im Rahmen der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erforderlich sind, kann dieses Gesetz relevant sein, insbesondere in Bezug auf die Verwendung von medizinischen Geräten und Therapien, die bei der Diagnose und Behandlung der Erkrankung des Klägers verwendet wurden.
Das vorliegende Urteil
OLG Frankfurt – Az.: 7 U 96/20 – Urteil vom 01.03.2024
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 06.04.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 30. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 2/30 O 288/19) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.952,91 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 22.12.2017 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.100,51 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 76 % und der Kläger 24 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zur Vollstreckung gebrachten Betrages leistet. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zur Vollstreckung gebrachten Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger, von Beruf Flugkapitän bei der A AG, macht weitere bedingungsgemäße Leistungen in Form von Krankentagegeld aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Krankentagegeldversicherung für den Zeitraum 25.10.2017 bis 15.12.2017 geltend.
Zwischen den Parteien besteht eine private Krankentagegeldversicherung. Ausweislich des Nachtrags zum Versicherungsschein, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, war ein Krankentagegeld pro Tag in Höhe von 434,69 Euro vereinbart. Das Krankentagegeld war bei bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit zu zahlen.
Mitvereinbart waren außerdem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Tarifbedingungen 2009, auf deren Inhalt ebenfalls Bezug genommen wird. In § 1 Teil II Abs. 3 MB/KT war vereinbart, dass bei fliegendem Personal (Piloten, Kabine) die Fluguntauglichkeit gleichbedeutend mit Arbeitsunfähigkeit sein sollte. Über die Auslegung dieser Klausel streiten die Parteien.
Der Kläger erkrankte im Januar 2017 an einer Beinvenenthrombose und war deswegen und wegen der dreimonatigen notwendigen Therapie mit NOAK, die auf sechs Monate ausgedehnt wurde, ab dem 23.01.2017 arbeitsunfähig.
Die Beklagte leistete ausweislich ihrer Abrechnung vom 07.09.2017 für den Zeitraum ab Ablauf der Karenzzeit bis einschließlich zum 25.10.2017 Krankentagegeld in Höhe von 22.193,28 Euro.
Der Kläger legte der Beklagten ein von dem Fliegerarzt C ausgefülltes Formular der Beklagten vom 24.11.2017 vor, aus dem sich ergab, dass an diesem Tag eine Untersuchung stattgefunden und sich ergeben habe, dass der Kläger weiterhin bis zum 15.12.2017 arbeitsunfähig sei. Zur Frage, ab wann wieder Arbeitsfähigkeit bestehe, gab C an, dass dies unklar sei, möglicherweise ab Dezember. Im Übrigen wies er darauf hin, dass die Prüfung (der Flugtauglichkeit) bei dem Luftfahrtbundesamt (im Weiteren: LBA) liege. Entsprechend nahm C eine Verweisung der Angelegenheit zur Entscheidung über die Flugtauglichkeit an das LBA vor.
Das LBA, das die Flugtauglichkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 als Genehmigungsbehörde zu beurteilen hatte, stellte durch die medizinische Sachverständige D am 04.12.2017 fest, dass der Kläger flugtauglich nach der Klasse 1 mit Einschränkungen sei, und setzte die Gültigkeitsdauer des Tauglichkeitszeugnisses auf sechs Monate fest.
Die Beklagte erbrachte keine über den 25.10.2017 hinausgehenden Zahlungen, da ihrer Auffassung nach aus medizinischer Sicht keine Arbeitsunfähigkeit mehr vorlag. Sie hielt eine über diesen Zeitpunkt hinausgehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers für nicht nachvollziehbar. Der Kläger widersprach der Leistungseinstellung und behauptete, er sei über den 25.10.2017 hinaus bis zum 15.12.2017 arbeitsunfähig gewesen. Die Beklagte blieb jedoch bei ihrer Leistungseinstellung.
Der Kläger ist der Auffassung gewesen, ihm stehe das mit der Klage geltend gemachte weitere Krankentagegeld zu. Allein entscheidend sei, dass er ohne eine entsprechende Genehmigung des LBA nicht mehr im Flugdienst habe tätig werden dürfen, da in den Bedingungen die Fluguntauglichkeit der Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt sei. Er sei durchgängig vom 23.01.2017 bis zum 15.12.2017 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Zudem sei er von C bis zum 15.12.2017 arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen, was dieser auf dem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Formular bestätigt habe. Er habe seine berufliche Tätigkeit wegen der fehlenden Feststellung der gesundheitlichen Wiederherstellung durch das LBA nicht ausüben können. Entscheidender Zeitpunkt für das Ende der Fluguntauglichkeit sei der Zugang der behördlichen Entscheidung. Zu seinem Berufsbild als Pilot bedürfe es im Übrigen keines weiteren Vortrags mehr.
Er hat gemeint, ihm stehe ein weiteres Krankentagegeld für den Zeitraum 26.10.2017 bis einschließlich 15.12.2017 in Höhe von 22.169,19 Euro (51 Tage à 434,69 Euro) zu.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22.169,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.12.2017 zu zahlen;
2. Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.242,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten hieraus seit dem 10.05.2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht vollständig arbeitsunfähig gewesen; es fehle an einem entsprechenden medizinischen Befund. Die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit von C vom 24.11.2017 gehe nicht auf den gesundheitlichen Zustand des Klägers zurück, was sich an dem Vermerk „Prüfung liegt bei LBA“ zeige. Zudem handele es sich um eine unzulässige Vorausbescheinigung. Der Kläger sei bereits zum 01.08.2017 austherapiert gewesen. Er habe mitzuteilen, wann er einen Antrag auf Erteilung der Flugtauglichkeit gestellt habe. Es komme nicht auf die behördliche Genehmigung an, sondern auf den Gesundheitszustand des Klägers. Neben dem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit fehle es auch an schlüssigem Vortrag zum zuletzt ausgeübten Tätigkeitsbild des Klägers. Der Kläger habe seine berufliche Tätigkeit nicht krankheitshalber, sondern allein wegen des Fehlens der behördlichen Genehmigung nicht ausführen können. Der Zeitraum zwischen Genesung und behördlicher Freigabe falle nicht unter den Versicherungsschutz; diesen Zeitraum würden Piloten üblicherweise durch andere Versicherungen absichern. Da die Flugtauglichkeit ausweislich des Zeugnisses des LBA ab dem 04.12.2017 wieder bestanden habe, könne der Kläger ohnehin für den darüber hinaus gehenden Zeitraum bis zum 15.12.2017 kein Krankentagegeld verlangen.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend – in Höhe von 17.387,60 Euro für die Zeit von 40 Tagen vom 25.10.2017 bis zum 04.12.2017 – stattgegeben.
Zur Begründung hat es angeführt, es komme für den Zeitpunkt der wiedererlangten Arbeitsfähigkeit auf die positive behördliche Feststellung der Flugtauglichkeit an, die hier bis zum 04.12.2017 die Fluguntauglichkeit festgestellt habe; bis dahin bestehe die Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen fort. Ausschlaggebend sei die konkret ausgeübte Tätigkeit; vorliegend komme es deshalb allein darauf an, ob der Kläger in der Lage sei, ein Flugzeug zu führen. Deshalb stehe die Fluguntauglichkeit bei fliegendem Personal der Arbeitsunfähigkeit gleich. Sofern man der von der Beklagten vertretenen Auffassung folgen wollte, Fluguntauglichkeit meine lediglich, dass es ausreiche, wenn ärztlicherseits Fluguntauglichkeit anstelle von Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werde, wäre die Klausel wegen der verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten insoweit unklar.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter und macht geltend, die von dem Landgericht vorgenommene Auslegung der Klausel sei unvertretbar. Aus der gesamten Systematik des Regelwerkes ergebe sich, dass das Bedingungswerk den Begriff der Fluguntauglichkeit nur für den Fall der medizinisch bedingten Fluguntauglichkeit mit demjenigen der Arbeitsunfähigkeit gleichsetze. Voraussetzung für die Versicherungsleistung sei in jedem Fall, dass die berufliche Tätigkeit „nach medizinischem Befund“ nicht mehr ausübbar sei; dies gelte auch für die Frage der Flugtauglichkeit. Durch die Gleichsetzung der Fluguntauglichkeit mit der Arbeitsunfähigkeit solle lediglich klargestellt werden, dass es bei der medizinisch bedingten Fluguntauglichkeit nicht darauf ankomme, ob andere zum Tätigkeitsgebiet gehörende Tätigkeiten möglicherweise noch ausübbar seien. Es komme deshalb darauf an, ob nach medizinischem Befund tatsächlich Fluguntauglichkeit vorgelegen habe, worüber Beweis erhoben hätte werden müssen. Hinsichtlich der Höhe der Versicherungsleistung habe das Landgericht unabhängig davon einen Tag zu viel angesetzt, da dem Kläger bereits ab dem 04.12.2017 die Flugtauglichkeit positiv bescheinigt worden sei.
Hinsichtlich der Anschlussberufung behauptet die Beklagte, dass der Kläger ab dem 04.12.2017 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei. Der Kläger habe dazu bereits nicht schlüssig vorgetragen, weshalb auch die Prognoseentscheidung des C nicht weiterhelfe. Wegen der positiv festgestellten Flugtauglichkeit könne sich der Kläger auch ab dem 04.12.2017 nicht mehr auf die Fluguntauglichkeitsklausel und auf Arbeitsunfähigkeit berufen.
Die Beklagte beantragt mit ihrer Berufung, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage vollständig abzuweisen.
Hilfsweise beantragt sie, das angefochtene Urteil aufzuheben und an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Mit seiner Anschlussberufung beantragt er außerdem, unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 4.781,59 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil, soweit es ihm günstig ist, unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens.
Hinsichtlich der Berufung der Beklagten ist der Kläger der Auffassung, die von dem Landgericht vorgenommene Auslegung sei zutreffend. Zudem habe der Kläger durch Vorlage der von C ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Nachweis der bedingungsgemäßen Erkrankung bis zum 15.12.2017 geführt. Der Kläger habe bis zu diesem Zeitpunkt an einer Thrombose (ICD I 80.3) gelitten und sei durch C behandelt worden, was die Beklagte nicht in Abrede gestellt habe. Andere ergänzende Unterlagen habe die Beklagte zu keinem Zeitpunkt gefordert.
Hinsichtlich seiner Anschlussberufung ist er der Auffassung, ihm stehe auch ein Anspruch auf Krankentagegeld für den Zeitraum vom 04.12.2017 bis einschließlich 15.12.2017 zu (11 Tage à 434,29 Euro). Für diesen Zeitraum liege eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 24.11.2017 von C vor, bei der es sich nicht lediglich um eine Prognoseentscheidung handele. Die Frage, ob er ab dem 04.12.2017 wieder flugtauglich gewesen sei, sei unabhängig davon zu betrachten und richte sich allein nach der Entscheidung des LBA. Er sei auch in dieser Zeit durchgängig arbeitsunfähig gewesen.
Der Senat hat ein schriftliches flugmedizinisches Sachverständigengutachten des E eingeholt, das dieser zusätzlich mündlich erläutert hat. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 15.09.2022 sowie auf die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen, wie aus dem Protokoll zur Senatssitzung vom 24.05.2023 ersichtlich, Bezug genommen. Des Weiteren hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C und D. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 01.11.2023.
II.
Die Berufung und die Anschlussberufung sind zulässig, insbesondere sind sie form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung hat jedoch in der Sache nur in geringem Umfang und die Anschlussberufung hat keinen Erfolg.
Hinsichtlich der Berufung der Beklagten gilt, dass dem Kläger nach § 1 Teil II Abs. 3 MB/TK in Verbindung mit der Krankentagegeldversicherung ein weiteres Krankentagegeld für den Zeitraum ab 26.10.2017 bis 03.12.2017 in Höhe von 16.952,91 Euro (39 Tage à 434,69 Euro) zusteht. Für den 04.12.2017 besteht entgegen der Auffassung des Landgerichts kein Anspruch auf Krankentagegeld mehr, da der Kläger an diesem Tag bereits wieder flugtauglich war; insoweit hat die Berufung Erfolg.
Nach § 1 Teil I Abs. 1 MB/KT besteht Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit wird ein bedingungsgemäßes Krankentagegeld gezahlt. Nach Absatz 2 liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte seine berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und auch keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht. Nach § 4 Teil I Abs. 7 MB/KT muss die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt werden.
Nach den in Teil II geregelten Tarifbedingungen ist außerdem nach § 1 Abs. 3 MB/KT bei fliegendem Personal (Piloten, Kabine) Fluguntauglichkeit gleichbedeutend mit Arbeitsunfähigkeit.
Vorliegend hat die Beweisaufnahme ergeben, dass der Kläger medizinisch bedingt bis einschließlich 03.12.2017 fluguntauglich im Sinne der vereinbarten Bedingungen war. Auf der Grundlage der flugmedizinischen Begutachtung der im Referat „Flugmedizinische Tauglichkeitsentscheidung“ des LBA tätigen Ärztin D hat diese dem Kläger mit Bescheid vom 04.12.2017 die Flugtauglichkeit behördlich bescheinigt und ihm mit Datum vom selben Tag das Tauglichkeitszeugnis, das sogenannte Medical, ausgestellt.
Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat den Nachweis erbracht, dass er im genannten Zeitraum aus medizinischer Sicht bedingungsgemäß fluguntauglich gewesen ist.
Zwar konnte der Kläger den Nachweis nicht allein durch die Vorlage der Bescheinigung des behandelnden Arztes führen. Mit der Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann der Versicherungsnehmer regelmäßig noch nicht beweisen, dass er bedingungsgemäß arbeitsunfähig war (BGH, Urteil vom 03.05.2000, Az. IV ZR 110/99, zitiert nach Juris). Entsprechendes gilt im vorliegenden Fall.
Die Beklagte hat erstinstanzlich eine bedingungsgemäße Arbeits- bzw. Fluguntauglichkeit über den 25.10.2017 hinaus bestritten und behauptet, der Kläger sei seit dem 01.08.2017 nach medizinischem Befund bereits austherapiert gewesen. Dieses Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit bzw. der Fluguntauglichkeit durch die Beklagte ist ausreichend, ohne dass sie zunächst die Fehlerhaftigkeit des Bescheides nachweisen muss (Prölss/Martin/Voit, VVG, 30. Auflage 2018, 410 § 4 MB/KT Rn. 24 m. w. N.).
Allerdings hat die Zeugin D glaubhaft und überzeugend bestätigt, dass der Kläger im genannten Zeitraum fluguntauglich gewesen ist. Bei der Ärztin handelte es sich um eine flugmedizinische Sachverständige des LBA, der die Entscheidung über die Flugtauglichkeit des Klägers nach MED.B.001 a) (1) i) und MED.A.050 a) des Anhangs IV der VO (EU) Nr. 1178/2011 übertragen worden war. Die Verweisung an das LBA war notwendig geworden, weil es um ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 ging und der Kläger an einer Thrombose litt, die sechs Monate lang mit NOAK behandelt worden war. Sie hat ihre Entscheidung auf der Grundlage der von dem Fliegerarzt C vorgelegten ärztlichen Befunde getroffen. Dieser hat glaubhaft und ebenfalls überzeugend dargelegt, dass er eine tiefe, bis über das rechte Knie reichende Beinvenenthrombose diagnostiziert und zusätzlich einen Gesundheitscheck und eine komplette Umfelddiagnostik hat vornehmen lassen. Zusätzlich wurde der Kläger an verschiedene Ärzte überwiesen, bei denen Spezialuntersuchungen durchgeführt wurden. Nachdem der behandelnde Venenarzt mitgeteilt hatte, dass sich die Thrombose stabilisiert habe, weitere Befunde eingeholt waren und C eine Abschlussuntersuchung durchgeführt sowie eine Zusammenschau der Befunde angestellt hatte, kam er Ende August bzw. Anfang September zu dem Ergebnis, dass der Kläger aus medizinischer Sicht mit gewissen Einschränkungen wieder flugtauglich sei. Er hat die ärztlichen Unterlagen mit einer Empfehlung am 25.08.2017 zur Entscheidung über die Flugtauglichkeit an das LBA gesandt.
Soweit die Beklagte meint, der Kläger sei seit dem 01.08.2017 nach medizinischem Befund bereits austherapiert gewesen, weshalb er spätestens am 25.10.2017 wieder arbeitsfähig und damit flugtauglich gewesen sei, hat sie damit keinen Erfolg.
Nach der vorzunehmenden Auslegung der hier einschlägigen Klauseln endet der Versicherungsfall vorliegend nämlich nicht, wenn aus medizinischer Sicht keine Arbeitsunfähigkeit mehr vorliegt, sondern aufgrund der Gleichstellung von Fluguntauglichkeit und Arbeitsunfähigkeit in § 1 Teil II Abs. 3 MB/KT erst, wenn aufgrund medizinischer Befunde keine Fluguntauglichkeit mehr gegeben ist. Für die Wiedererlangung der Flugtauglichkeit bedurfte es damit bei sachgerechter Auslegung nicht nur der Heilung der Thrombose, sondern zusätzlich der behördlichen Bescheinigung der Flugtauglichkeit durch das LBA und der Ausstellung des entsprechenden behördlichen Zeugnisses am 04.12.2017.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es grundsätzlich auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 18.11.2020, Az. IV ZR 217/19; zitiert nach Juris).
Zusätzlich kommt es auch auf den betreffenden Versicherungszweig und den durch ihn üblicherweise angesprochenen Personenkreis an. Abzustellen ist dann auf die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises. Fachwissenschaftliche Begriffe sind anhand ihrer allgemeinsprachlichen Bedeutung auszulegen; gibt es eine solche nicht, ist die fachwissenschaftliche Bedeutung für die Auslegung maßgeblich (Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 30. Auflage 2018, Einleitung 1, Rn. 260). Auch aus der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich, dass dieser ebenfalls eine berufsgruppenspezifische Betrachtung – in dem zu entscheidenden Fall die eines Steuerberaters – anstellt (BGH, Urteil vom 15.11.2023, Az. IV ZR 277/22; zitiert nach Juris).
Hier handelt es sich bei dem typischen Empfängerkreis der Versicherung unter anderem um Piloten, die über ein entsprechendes Fachwissen verfügen. Vor diesem Hintergrund bezieht sich der Begriff der Flugtauglichkeit sprachlich auf die unter Piloten bekannten, festgelegten Bedingungen, die vorliegen müssen, damit ein Pilot zum Führen eines Flugzeugs berechtigt ist. Aufgrund der besonderen Verantwortung für die Sicherheit des Luftverkehrs, die gerade für Piloten im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung besteht, sind an deren Gesundheit erhöhte Anforderungen aufgrund des möglichen Gefährdungspotentials für Mitmenschen bei Vorliegen einer Krankheit zu stellen. Trotz ärztlich festgestellter Arbeitsfähigkeit kann ein Pilot deshalb aus medizinischen Gründen fluguntauglich sein. Daher bedarf es neben des medizinischen Befundes zusätzlich einer behördlichen Überprüfung und Genehmigung.
Die Erweiterung der Versicherung auf die Flugtauglichkeit hat aus Sicht des versicherten Piloten den erkennbaren Zweck, den Versicherungsschutz den speziellen Bedingungen der kommerziellen zivilen Luftfahrt anzupassen. Ohne eine gültige Flugtauglichkeitsbescheinigung darf ein Pilot nicht fliegen und ist damit als Berufspilot arbeitsunfähig. Für den Piloten ist die Ausübung der fliegerischen Tätigkeit untrennbar mit der behördlichen Tauglichkeitsbeurteilung verbunden. Um im Falle einer Erkrankung ausreichend abgesichert zu sein, reicht es aufgrund der geschilderten Besonderheiten nicht aus, dass der Pilot wieder genesen ist; zusätzlich muss auch die behördliche Genehmigung erteilt werden, damit er wieder als arbeitsfähig gilt. Der Sachverständige E hat dazu in seinem Gutachten und in dessen mündlicher Erläuterung ausgeführt, dass für die behördliche Entscheidung über die Flugtauglichkeit nicht reichte, dass – im vorliegenden Fall – die Thrombose wieder abgeklungen ist; vielmehr war zusätzlich zu berücksichtigen, dass das verabreichte Antithrombotikum NOAK in den einschlägigen Verordnungen noch nicht gelistet und evaluiert gewesen ist und es deshalb weitergehender Vorsichtsmaßnahmen mit Blick auf die Flugtauglichkeit bedurfte.
Aus der Sicht des zur Berufsgruppe der Piloten gehörenden Versicherten ist die Regelung nach ihrem Sinn und Zweck deshalb so zu verstehen, dass es für den medizinischen Befund zur Feststellung der Fluguntauglichkeit auf die Einschätzung eines sachverständigen Arztes im Sinne eines Fliegerarztes oder flugmedizinischen Sachverständigen ankommt, der verbindlich beurteilt, ob ein Pilot aus medizinischer Sicht flugtauglich ist. Dies ergibt sich gerade aufgrund der speziellen medizinischen Anforderungen, die an die Flugtauglichkeit zu stellen sind. Zwar lässt sich dem Wortlaut der Regelung in § 1 Teil II Abs. 3 MB/KT nicht ausdrücklich entnehmen, dass die Fluguntauglichkeit durch einen entsprechenden formellen Bescheid des LBA nachzuweisen ist. Nach dem Verständnis des versicherten Piloten wird dieser die Regelung aber vor dem Hintergrund des ihm geläufigen Verfahrens zur Feststellung der Flugtauglichkeit sehen und daher erwarten, dass es für den geforderten medizinischen Nachweis der Flugtauglichkeit des üblichen Verfahrens bedarf, bei dem auf der Grundlage eines flugmedizinischen Gutachtens über die Flugtauglichkeit entschieden wird. Er wird weiter davon ausgehen, dass eine vorausgegangene, lediglich vorbereitende Untersuchung eines Fliegerarztes mit einer entsprechenden Empfehlung regelmäßig nicht ausreicht, auch wenn dessen Ergebnisse in die endgültige Entscheidung über die Flugtauglichkeit einfließen mögen.
Nach diesem Verständnis der Klausel und in Abweichung von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln (Urteil vom 17.12.2019, Az. 9 U 195/18; zitiert nach Juris) können Verdienstausfälle, die der Pilot in der Zeit nach einer medizinischen Feststellung der Flugdiensttauglichkeit – diese kann dann nur durch den Fliegerarzt erfolgen – bis zur abschließenden positiven Entscheidung durch das LBA über die Wiedererteilung des Medicals erleidet, nicht dem Versicherungsnehmer aufgebürdet werden. Es hätte der Beklagten freigestanden, ihre Bedingungen insoweit eindeutiger zu fassen.
Die Anschlussberufung des Klägers bleibt vor diesem Hintergrund ohne Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf das mit der Anschlussberufung für den Zeitraum vom 03.12.2017 bis 15.12.2017 geltend gemachte weitergehende Krankentagegeld. Er hat nicht bewiesen, dass er in diesem Zeitraum weiterhin fluguntauglich war.
Nach den Angaben der Zeugin D und des behandelnden Arztes C lässt sich schon nicht feststellen, dass der Kläger in diesem Zeitraum überhaupt noch aus medizinischer Sicht arbeitsunfähig bzw. fluguntauglich war. Darüber hinaus hat ihm das LBA durch das Medical vom 04.12.2017 die Flugtauglichkeit bescheinigt.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass C gegenüber der Beklagten am 24.11.2017 bescheinigt hat, der Kläger sei weiterhin arbeitsunfähig bis zum 15.12.2017. Abgesehen davon, dass letztlich die Entscheidung über die Flugtauglichkeit zwar unter Berücksichtigung der Behandlungsunterlagen von C, aber aufgrund eigenständiger Prüfung bei dem LBA lag, war die medizinische Einschätzung von C für sich genommen medizinisch nicht ausreichend unterlegt. Vielmehr hat C glaubhaft ausgesagt, dass es sich bei der Angabe lediglich um eine Prognose gehandelt und er den Zeitpunkt des 15.12.2017 „gegriffen“ habe. Das Datum habe sich daran orientiert, wann das LBA voraussichtlich über die Erteilung der Genehmigung entschieden haben würde. Auch die Zeugin D hat bestätigt, dass aus ihrer Sicht nichts dafürgesprochen hat, dass der Kläger erst am 15.12.2017 wieder medizinisch flugtauglich gewesen sei. Soweit der Sachverständige E in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt hat, es habe eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit bis zum 15.12.2017 bestanden, vermag dies nicht zu überzeugen. Zum einen führt der Sachverständige selbst aus, dass der Grund für die Arbeitsunfähigkeit in diesem Zeitraum der Akte nicht zu entnehmen sei. Es fehlt dem Sachverständigen somit an einer Beurteilungsgrundlage für seine Einschätzung. Zum anderen führt er weiter aus, dass der Fliegerarzt über die Tauglichkeit entscheide, der es dem Kläger bis zum 15.12.2017 untersagt habe, wieder zu fliegen. Diese Annahme ist jedoch aus den bereits dargelegten Gründen unzutreffend, denn tatsächlich oblag die Entscheidung über die Flugtauglichkeit ausschließlich dem LBA. Entsprechend hat der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Senat seine Aussage dahin relativiert, die Frage des Zeitpunktes der Wiedererlangung der Flugtauglichkeit nicht selbst beurteilen zu können.
Unabhängig davon kann der Kläger entgegen seiner Auffassung auch das Krankentagegeld nicht solange beanspruchen, bis ihm der Bescheid des LBA mit der Flugtauglichkeitsbescheinigung zugegangen ist. Die Auffassung des Klägers findet im Wortlaut der Klausel keine Stütze. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt, zu dem die Flugtauglichkeit aufgrund des medizinischen Befundes tatsächlich behördlich festgestellt wurde. Aus Gründen der Gleichstellung mit den Grundsätzen zur Arbeitsunfähigkeit kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem das sachverständigenseits beratene LBA die Flugtauglichkeit feststellt. Nach Sinn und Zweck der getroffenen Vereinbarung soll dem Piloten der Verdienstausfall ausgeglichen werden, der ihm infolge seiner medizinisch festgestellten Fluguntauglichkeit entsteht. Nicht ersetzt werden soll danach aber der weitere Verdienstausfall, der ihm durch die Dauer des behördlichen Zustellungsverfahrens entsteht, auch wenn er seine berufliche Tätigkeit bis zur Zustellung noch nicht wiederaufnehmen kann. Nach der getroffenen Regelung ist der Versicherungsfall auf den Zeitraum begrenzt, in dem die Fluguntauglichkeit nach medizinischem Befund feststeht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Parteien. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO, § 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist in Hinblick auf die abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (Urteil vom 17.12.2019, Az. 9 U 195/18; zitiert nach Juris) hinsichtlich der Auslegung der Klausel zur Fluguntauglichkeit gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO veranlasst.