Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Streit um unsichtbare Leistungskürzungen: Wer haftet bei Fehlberatung zur Krankenversicherung?
- Der Weg vor Gericht: Vom Wunsch nach Ersparnis zur Klage
- Die Kernfragen: Durfte der Versicherungsnehmer auf gleichen Schutz vertrauen und war sein Anspruch verjährt?
- Die Entscheidung des Landgerichts: Versicherungsmaklerin muss für Fehler geradestehen
- Warum entschied das Gericht so? Ein Blick auf die Zulässigkeit der Klage
- Die entscheidende Frage: Hat die Versicherungsmaklerin ihre Pflichten verletzt?
- War der Anspruch verjährt? Ein Wettlauf gegen die Zeit
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Pflichten hat ein Versicherungsmakler, wenn er mich zu einer privaten Krankenversicherung berät?
- Was kann ich tun, wenn ich wegen einer Falschberatung Leistungen meiner privaten Krankenversicherung verloren habe?
- Wann verjährt ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Falschberatung durch einen Versicherungsmakler?
- Welche Arten von Schäden kann ich geltend machen, wenn ich durch eine Falschberatung bei der privaten Krankenversicherung finanziell benachteiligt wurde?
- Welche Rolle spielt die sogenannte Feststellungsklage, wenn der Schaden noch nicht vollständig beziffert werden kann?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 3 S 66/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Arnsberg
- Datum: 21.08.2024
- Aktenzeichen: 3 S 66/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht, Schadensersatzrecht, Zivilprozessrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Kunde, der von einer Versicherungsmaklerin eine private Krankenversicherung vermittelt bekam. Er machte Schadensersatzansprüche geltend, da er nach eigener Aussage fehlerhaft beraten wurde und der vermittelte Tarif nicht die gewünschten Leistungen umfasste. Er bestritt zudem, frühzeitig Kenntnis von den fehlenden Leistungen gehabt zu haben.
- Beklagte: Eine Versicherungsmaklerin, die dem Kläger eine private Krankenversicherung vermittelte. Sie beantragte die Klageabweisung mit der Begründung, es habe keine fehlerhafte Beratung gegeben. Zudem erhob sie die Einrede der Verjährung, da der Kläger aus ihrer Sicht bereits früher Kenntnis vom Leistungsumfang hatte oder hätte haben müssen.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein privat krankenversicherter Kläger wechselte auf Empfehlung der beklagten Versicherungsmaklerin in einen günstigeren Tarif ohne Wahlleistungen, die er zuvor hatte. Er behauptete, weiterhin diese Leistungen gewünscht und darüber nicht aufgeklärt worden zu sein, und forderte Schadensersatz.
- Kern des Rechtsstreits: Der zentrale juristische Streitpunkt war, ob die beklagte Versicherungsmaklerin ihre Beratungspflicht verletzt hatte, indem sie dem Kläger einen privaten Krankenversicherungstarif ohne die gewünschten Wahlleistungen vermittelte, und ob die daraus resultierenden Schadensersatzansprüche des Klägers bereits verjährt waren.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Landgericht Arnsberg gab der Berufung des Klägers statt und stellte fest, dass die beklagte Versicherungsmaklerin dem Kläger sämtlichen Schaden ersetzen muss, der ihm durch ihre Beratung und Empfehlung beim Wechsel der privaten Krankenversicherung entstanden ist und zukünftig noch entsteht. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- Begründung: Das Gericht befand die Feststellungsklage als zulässig, da der Schaden noch nicht abschließend bezifferbar war und die Beklagte ihre Verpflichtung bestritt. Eine Pflichtverletzung der Maklerin lag vor, da sie einen Tarif mit geringerem Leistungsumfang vermittelte, obwohl der Kläger gleichwertige Leistungen wünschte. Der Anspruch sei zudem nicht verjährt, da dem Kläger keine grob fahrlässige Unkenntnis des Leistungsumfangs nachzuweisen war.
- Folgen: Die beklagte Versicherungsmaklerin ist nun verpflichtet, dem Kläger alle Schäden zu ersetzen, die ihm durch die fehlerhafte Beratung beim Wechsel der Krankenversicherung entstanden sind oder zukünftig entstehen werden. Die Kosten des gesamten Rechtsstreits muss die Maklerin tragen.
Der Fall vor Gericht
Streit um unsichtbare Leistungskürzungen: Wer haftet bei Fehlberatung zur Krankenversicherung?
Viele Menschen möchten bei ihren Versicherungen Geld sparen. Das ist verständlich. Doch was passiert, wenn bei dem Versuch, einen günstigeren Tarif zu finden, wichtige Leistungen unbemerkt wegfallen? Und wer trägt die Verantwortung, wenn sich herausstellt, dass die Beratung dazu fehlerhaft war? Genau mit diesen Fragen musste sich das Landgericht Arnsberg in einem Urteil vom 21. August 2024 (Aktenzeichen: 3 S 66/23) beschäftigen. Es ging um einen Mann, der seine private Krankenversicherung wechselte, um Beiträge zu sparen, und später feststellen musste, dass wichtige Zusatzleistungen wie Chefarztbehandlung und Zweibettzimmer nicht mehr enthalten waren.
Der Weg vor Gericht: Vom Wunsch nach Ersparnis zur Klage

Stellen wir uns die Ausgangslage genauer vor: Ein Mann, nennen wir ihn den Kläger, war bis Ende 2014 bei der J. Krankenversicherung a.G. privat versichert. Sein Vertrag beinhaltete sogenannte Wahlleistungen für den Fall eines Krankenhausaufenthalts. Das bedeutet, er hatte Anspruch auf Chefarztbehandlung und ein Zweibettzimmer. Dafür zahlte er monatlich 765,67 Euro. Um Kosten zu senken, wandte er sich Ende 2014 an eine Versicherungsmaklerin, die Beklagte in diesem Fall. Er wollte seinen Krankenversicherungsschutz überprüfen lassen.
Die Versicherungsmaklerin, vertreten durch ihren damaligen Mitarbeiter, den Zeugen Herrn C., schlug dem Kläger vor, zum 1. Januar 2015 zu einer anderen Gesellschaft, der U. Krankenversicherung AG, zu wechseln. Der neue Tarif war mit 567,44 Euro monatlich deutlich günstiger. Der Haken an der Sache, der erst später offenbar wurde: Dieser neue Tarif umfasste die gewünschten Wahlleistungen für stationäre Heilbehandlung nicht mehr. Der Wechsel wurde dennoch vollzogen.
Der Kläger war der Ansicht, dass die Beratung durch die Versicherungsmaklerin fehlerhaft gewesen sei. Er gab an, er habe 2014 ganz klar gesagt, dass er einen günstigeren, aber leistungsgleichen Krankenversicherungstarif suche. Ihm sei es besonders wichtig gewesen, die Chefarzt- und Zweibettzimmerleistungen beizubehalten. Sowohl er als auch der Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin, Herr C., seien beim Abschluss des neuen Tarifs bei der U. Krankenversicherung fälschlicherweise davon ausgegangen, dass diese Leistungen weiterhin enthalten seien. Über das Fehlen dieser wichtigen Bausteine sei er, so der Kläger, vom Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin nicht aufgeklärt worden.
Die Konsequenzen zeigten sich Jahre später. Zum 1. Januar 2021 wechselte der Kläger erneut die Versicherung, diesmal zur K. Versicherungsgruppe. Dieser Tarif enthielt zwar wieder die gewünschten Wahlleistungen, war aber aufgrund einer zwischenzeitlich aufgetretenen Refluxkrankheit mit einem Risikozuschlag verbunden. Nun zahlte der Kläger monatlich 926,08 Euro. Der Kläger argumentierte, ihm sei ein Schaden entstanden. Diesen könne er zwar noch nicht genau beziffern, da er nicht wisse, was er heute bei seiner alten Versicherung, der J. Krankenversicherung AG, zahlen müsste. Aber allein durch den Risikozuschlag, den er im alten Vertrag nicht hatte und ohne den ihn kein anderer Versicherer aufgenommen hätte, sei ihm ein Schaden entstanden. Daher sei sein Interesse an einer gerichtlichen Feststellung der Schadensersatzpflicht gegeben.
Ein wichtiger Punkt im Streit war auch die sogenannte Verjährung. Damit ist gemeint, dass Ansprüche nach einer bestimmten Zeit nicht mehr gerichtlich durchgesetzt werden können. Der Kläger behauptete, er habe erst bei einem Krankenhausaufenthalt im Jahr 2020 bemerkt, dass der von der Versicherungsmaklerin vermittelte Tarif keine Wahlleistungen enthielt. Die Versichertenkarte mit den korrekten Angaben habe er 2015 nach Erhalt zu seinen Unterlagen gelegt und einen Vorsorgekatalog von 2015 möglicherweise ungelesen weggeworfen. Mit einem Schreiben vom 5. Mai 2021 forderte er von der Versicherungsmaklerin Schadensersatz – ohne Erfolg.
Die Versicherungsmaklerin hingegen forderte, die Klage abzuweisen. Sie behauptete, dem Kläger seien ausschließlich kostengünstigere Tarife ohne Wahlleistungen angeboten worden, und er sei darüber auch aufgeklärt worden. Eine Pflichtverletzung liege also nicht vor. Für die Vergangenheit fehle dem Kläger das Interesse an einer Feststellung, da er ja durch die günstigeren Beiträge Geld gespart habe. Für die Zukunft sei kein Schaden erkennbar. Zudem berief sich die Versicherungsmaklerin auf Verjährung. Sie argumentierte, der Kläger habe schon viel früher vom tatsächlichen Umfang seines Tarifs erfahren müssen, zum Beispiel durch die Versichertenkarte, den Vorsorgekatalog 2015, den Versicherungsschein vom 27. August 2015, eine Bescheinigung für den Arbeitgeber oder einen Krankenhausaufenthalt des Klägers im Jahr 2017.
Das Amtsgericht Werl wies die Klage zunächst mit Urteil vom 17. April 2023 ab. Es meinte, für einen Schaden in der Vergangenheit fehle das sogenannte Feststellungsinteresse (das rechtliche Bedürfnis, eine unsichere Rechtslage klären zu lassen), da der Kläger ja Geld gespart habe. Für einen Zukunftsschaden sei ein Feststellungsinteresse zwar da, die Klage sei aber wegen Verjährung unbegründet. Das Amtsgericht ging von einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers aus. Grobe Fahrlässigkeit bedeutet, dass jemand die normale Sorgfalt in besonders schlimmer Weise missachtet hat. Der Kläger hätte, so das Amtsgericht, durch die Übersendung der Versichertenkarte und der Versicherungspolice Kenntnis vom fehlenden Leistungsumfang erlangen müssen. Außerdem hätte ihm bei der erheblichen Beitragsersparnis von fast 200 Euro monatlich (also rund 25%) auffallen müssen, dass die Leistungen geringer sein könnten.
Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Er war der Meinung, dass beim Feststellungsinteresse nicht zwischen Vergangenheit und Zukunft hätte unterschieden werden dürfen und die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ausreiche. Bezüglich der groben Fahrlässigkeit argumentierte er, dass ein Versicherungsnehmer nicht verpflichtet sei, die Police nach Erhalt genauestens zu prüfen, zumal er sich ja extra eines Versicherungsmaklers bedient habe. Er habe darauf vertraut, dass die Versicherungsmaklerin ihre umfangreichen Aufklärungs- und Beratungspflichten erfüllt und der neue Tarif ebenfalls die gewünschten Wahlleistungen enthält.
Das Landgericht Arnsberg, die nächsthöhere Instanz, hörte den Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin, Herrn C., als Zeugen an.
Die Kernfragen: Durfte der Versicherungsnehmer auf gleichen Schutz vertrauen und war sein Anspruch verjährt?
Das Landgericht Arnsberg musste nun also mehrere entscheidende Fragen klären:
- War die Klage des Mannes überhaupt zulässig? Bestand ein sogenanntes Feststellungsinteresse, also ein berechtigtes Interesse daran, gerichtlich klären zu lassen, dass die Versicherungsmaklerin für den Schaden haftet?
- Wenn ja, war die Klage auch begründet? Hatte die Versicherungsmaklerin tatsächlich ihre Beratungspflichten verletzt?
- Und ganz wichtig: Falls ja, war der Anspruch des Mannes möglicherweise schon verjährt, wie die Versicherungsmaklerin und das Amtsgericht meinten?
Die Entscheidung des Landgerichts: Versicherungsmaklerin muss für Fehler geradestehen
Das Landgericht Arnsberg kam zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz. Es änderte das Urteil des Amtsgerichts Werl ab und gab dem Kläger Recht. Das Gericht stellte fest, dass die Versicherungsmaklerin verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die fehlerhafte Beratung und Empfehlung entstanden ist und zukünftig noch entstehen wird. Das betrifft den Schaden im Zusammenhang mit der Kündigung seines alten Vertrags bei der J. Krankenversicherung a.G. und dem Neuabschluss der privaten Krankenversicherung bei der U. Krankenversicherung AG zum 1. Januar 2015. Die Kosten des gesamten Rechtsstreits muss die Versicherungsmaklerin tragen.
Warum entschied das Gericht so? Ein Blick auf die Zulässigkeit der Klage
Zunächst prüfte das Gericht, ob die Klage des Mannes überhaupt zulässig war. Hier geht es um die sogenannte Feststellungsklage nach § 256 Absatz 1 der Zivilprozessordnung (kurz ZPO – das ist sozusagen das Regelbuch für Gerichtsverfahren in Zivilsachen).
Was bedeutet „Feststellungsinteresse“ im Klartext?
Ein Feststellungsinteresse besteht, wenn dem Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht, weil die beklagte Partei dieses Recht ernstlich bestreitet, und das angestrebte Urteil diese Gefahr beseitigen kann. Einfach gesagt: Wenn zwei sich streiten, ob einer dem anderen etwas schuldet oder für etwas haftet, und diese Ungewissheit den Kläger belastet, kann er bei Gericht eine Klärung beantragen.
Das Gericht erklärte, dass eine Feststellungsklage auch dann insgesamt zulässig ist, wenn der Schaden sich zur Zeit der Klageerhebung noch in der Entwicklung befindet – selbst wenn Teile des Schadens schon beziffert werden könnten. Der Kläger muss seine Klage nicht aufteilen, wenn ein Teil des Schadens bereits da ist, aber weiterer Schaden noch zu erwarten ist. Da die Versicherungsmaklerin eine Pflichtverletzung und jegliche Schadensersatzansprüche bestritt und sogar selbst einräumte, dass dem Kläger zukünftig Schäden entstehen könnten, sah das Gericht das Feststellungsinteresse als gegeben an. Die Klage war also zulässig.
Die entscheidende Frage: Hat die Versicherungsmaklerin ihre Pflichten verletzt?
Nachdem die Zulässigkeit geklärt war, ging es um die Begründetheit. Hatte der Kläger tatsächlich einen Anspruch auf Schadensersatz? Das Gericht bejahte dies. Es sah eine sogenannte Vorvertragliche Pflichtverletzung durch den Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin, Herrn C. Eine solche Pflichtverletzung kann schon bei den Vertragsanbahnungsgesprächen entstehen, auch wenn noch kein Vertrag mit dem Makler selbst geschlossen wurde. Geregelt ist das in den Paragrafen §§ 280 Absatz 1, 311 Absatz 2 und 241 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB – das Hauptgesetzbuch für private Rechtsbeziehungen). Für Fehler ihrer Mitarbeiter müssen Arbeitgeber in der Regel einstehen, was § 278 BGB festlegt.
Die Rolle des Zeugen: Was wirklich besprochen wurde
Das Gericht war nach der Vernehmung des Zeugen Herrn C. davon überzeugt, dass dieser seine Beratungspflicht verletzt hatte. Herr C. bestätigte nämlich weitgehend die Angaben des Klägers. Er sagte aus, dass das Ziel der Beratung gewesen sei, Beiträge zu sparen, aber nicht, auf Leistungen zu verzichten. Der Kläger sei sehr auf Sicherheit bedacht gewesen, eine Leistungseinschränkung sei nicht gewollt gewesen. Herr C. gab sogar an, selbst überrascht gewesen zu sein, als der Kläger ihm 2020 (nachdem Herr C. schon nicht mehr bei der Beklagten arbeitete) mitteilte, dass die Wahlleistungen im Krankenhaus nicht mitversichert seien. Ihm sei dies bei der Beratung selbst nicht aufgefallen, da die Versicherungsangebote nicht von ihm, sondern von anderen Mitarbeitern der Versicherungsmaklerin fehlerhaft aufbereitet worden seien. Das Gericht hielt die Aussagen des Zeugen Herrn C. für glaubhaft.
Die strengen Pflichten eines Versicherungsmaklers
Das Gericht betonte, dass die Pflichten eines Versicherungsmaklers sehr weitreichend sind. Er gilt als eine Art treuhänderischer Sachwalter des Versicherungsnehmers und schuldet eine umfassende Betreuung und Beratung. Eine Pflichtverletzung liegt insbesondere dann vor, wenn der Vermittler eine nicht gleichwertige Versicherung vermittelt, obwohl der Kunde denselben Schutzumfang wünscht. Aber auch wenn kein ausdrücklicher Wunsch nach gleichem Umfang geäußert wird, muss der Makler bei einer geringeren Absicherung darüber aufklären. Vor diesem Hintergrund war für das Gericht klar: Dem Mitarbeiter Herrn C. war eine Pflichtverletzung vorzuwerfen, da er ein Angebot mit geringerem Leistungsumfang unterbreitete, obwohl der Kläger annähernd gleiche Leistungen wollte, und er den Leistungsmangel selbst nicht bemerkte. Diese Pflichtverletzung musste sich die Versicherungsmaklerin zurechnen lassen. Das Gesetz geht bei Pflichtverletzungen erstmal davon aus, dass die verantwortliche Partei auch schuldhaft gehandelt hat (Verschulden wird vermutet gemäß § 280 Absatz 1 Satz 2 BGB). Die Versicherungsmaklerin konnte diese Vermutung nicht widerlegen; vielmehr nahm das Gericht ein fahrlässiges Verhalten des Herrn C. und der beteiligten Mitarbeiter an.
War der Anspruch verjährt? Ein Wettlauf gegen die Zeit
Nun kam der letzte und oft knifflige Punkt: die Verjährung. Selbst wenn ein Anspruch besteht, kann er verjährt sein, wenn zu viel Zeit vergangen ist. Die Versicherungsmaklerin hatte sich ja darauf berufen.
Die Uhr tickt: Wann beginnt die Verjährung?
Ansprüche wie die des Klägers verjähren normalerweise innerhalb von drei Jahren (sogenannte Regelverjährungsfrist nach § 195 BGB). Diese Frist beginnt gemäß § 199 Absatz 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger (hier der Kläger) von den Umständen, die den Anspruch begründen, und der Person des Schuldners (hier die Versicherungsmaklerin) Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und das übersehen hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Der Schaden, so das Gericht, trat hier bereits mit dem Abschluss des neuen, mangelhaften Krankenversicherungsvertrags bei der U. Krankenversicherung AG ein, da der Kläger diesen Vertrag nach eigener Aussage bei Kenntnis des geringeren Leistungsumfangs nicht abgeschlossen hätte.
Grobe Fahrlässigkeit? Hätte der Kläger es früher merken müssen?
Das Gericht widersprach der Ansicht des Amtsgerichts, der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, als er den Fehler nicht schon 2015 bemerkte.
- Die Tatsache, dass der Kläger auf seiner Versichertenkarte hätte erkennen können, dass Wahlleistungen nicht umfasst sind, reichte dem Gericht nicht. Es sah keine Pflicht des Versicherten, die Angaben auf der Karte nach Übersendung genau zu prüfen, zumal diese bei flüchtigem Blick kaum zu erfassen seien und die Karte bei Privatversicherten oft weniger Bedeutung habe als bei gesetzlich Versicherten.
- Der Versicherungsschein (die eigentliche Police) enthielt unbestritten keine ausdrückliche Angabe, dass stationäre Wahlleistungen nicht versichert seien. Dass ein zusätzlicher Tarifbaustein für diese Leistungen fehlte, musste dem Kläger nicht auffallen.
- Auch der Umstand, dass die neue Krankenversicherung fast 200 Euro pro Monat günstiger war, genügte nicht für die Annahme grober Fahrlässigkeit. Einem normalen Versicherungsnehmer sind die Höhe und die Schwankungsbreite von Beiträgen bei verschiedenen Versicherungen sowie deren Kostenstrukturen in der Regel unbekannt. Hinzu kam, dass sich der Kläger ja gerade eines Versicherungsmaklers bedient hatte, um sich eben nicht selbst einen Überblick verschaffen zu müssen. Es gab für ihn zu diesem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte, die Arbeit der Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin kritisch zu hinterfragen. Es wurden ihm auch keine verschiedenen Leistungsumfänge zur Auswahl angeboten, die zu erhöhter Aufmerksamkeit hätten führen können.
Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers im Jahr 2015 konnte das Gericht also nicht feststellen.
Der Krankenhausaufenthalt 2017: Ein Beweis für frühere Kenntnis?
Die Versicherungsmaklerin hatte behauptet, der Kläger sei 2017 im Krankenhaus gewesen und habe dabei Kenntnis vom fehlenden Versicherungsschutz erlangt. Der Kläger bestritt das. Die von der Versicherungsmaklerin vorgelegte Anfrage der U. Krankenversicherung AG vom 05.04.2017 zeigte nur einen eintägigen Leistungszeitraum am 01.02.2017, was eher gegen einen stationären Aufenthalt sprach. Die Versicherungsmaklerin konnte keine weiteren Umstände darlegen oder beweisen, die für eine Kenntnis des Klägers bereits 2017 sprachen.
Ein juristischer Kniff: Die Rückwirkung der Klagezustellung
Selbst wenn der Kläger im Laufe des Jahres 2018 Kenntnis erlangt oder grob fahrlässig nicht erlangt hätte (was eine Verjährung Ende 2021 bedeutet hätte), kam ihm eine Regelung der Zivilprozessordnung zugute: die Rückwirkung der Klagezustellung gemäß § 167 ZPO. Was bedeutet das? Wenn eine Klage bei Gericht eingereicht wird (das nennt man „Anhängigkeit“), aber die offizielle Zustellung an die Gegenseite sich etwas verzögert (zum Beispiel, weil erst Gerichtskosten eingezahlt werden müssen), dann gilt die Verjährung trotzdem als unterbrochen, als ob die Klage schon bei Einreichung zugestellt worden wäre – vorausgesetzt, die Zustellung erfolgt dann „demnächst“, also ohne allzu große Verzögerung.
Hier wurde die Klage am 23. Dezember 2021 bei Gericht eingereicht (anhängig gemacht). Das Amtsgericht forderte den Gerichtskostenvorschuss mit Rechnung vom 29. Dezember 2021 an. Der Vorschuss wurde am 25. Januar 2022 eingezahlt. Die Klage wurde dann am 29. Januar 2022 zugestellt. Das Gericht berücksichtigte Postlaufzeiten, den Feiertag am 1. Januar und einen angemessenen Zeitraum für die Einzahlung nach Anforderung. Es kam zu dem Schluss, dass keine vom Kläger verschuldete Verzögerung von annähernd 14 Tagen vorlag, die einer „baldigen“ Zustellung entgegengestanden hätte. Daher wirkte die Zustellung auf den Zeitpunkt der Einreichung am 23. Dezember 2021 zurück. Damit war die Verjährung rechtzeitig gehemmt, selbst wenn sie Ende 2021 eingetreten wäre.
Im Ergebnis war die Berufung des Klägers also erfolgreich. Die Versicherungsmaklerin muss für den durch die Falschberatung entstandenen und noch entstehenden Schaden aufkommen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt klar: Versicherungsmakler müssen ihre Kunden vollständig über Leistungsunterschiede aufklären, auch wenn dadurch ein günstigerer Tarif wegfällt. Wer als Kunde ausdrücklich gleichwertige Leistungen wünscht, darf darauf vertrauen, dass der Makler dies umsetzt oder zumindest ehrlich über Abstriche informiert. Kunden sind nicht verpflichtet, nach einer professionellen Beratung alle Unterlagen penibel zu prüfen – schließlich haben sie ja gerade deshalb einen Experten beauftragt. Das Urteil stärkt damit erheblich die Rechte von Versicherungsnehmern gegenüber schlampiger oder unvollständiger Maklerberatung und macht deutlich, dass Vertrauen in die fachliche Kompetenz berechtigt ist.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Pflichten hat ein Versicherungsmakler, wenn er mich zu einer privaten Krankenversicherung berät?
Ein Versicherungsmakler nimmt eine besondere Vertrauensstellung ein, wenn er Sie zu einer privaten Krankenversicherung berät. Er ist rechtlich verpflichtet, als „Sachwalter“ oder „Treuhänder“ Ihrer Interessen zu handeln. Das bedeutet, er steht auf Ihrer Seite und muss Ihre Belange genauso sorgfältig vertreten, als wären es seine eigenen. Diese Verpflichtung geht über die eines bloßen Vermittlers hinaus, der primär die Interessen der Versicherungsgesellschaft vertritt.
Umfassende Bedarfsanalyse als Fundament
Die Grundlage einer ordnungsgemäßen Beratung ist eine detaillierte Bedarfsanalyse. Der Makler muss Ihre persönliche und wirtschaftliche Situation genau erfassen. Dazu gehören insbesondere:
- Ihre aktuellen Lebensumstände und Zukunftspläne (z.B. Familienstand, Kinderwunsch, berufliche Entwicklung).
- Ihr Gesundheitszustand und Ihre gesundheitliche Vorgeschichte.
- Ihre finanziellen Verhältnisse und Ihre Risikobereitschaft.
- Ihre individuellen Vorstellungen und Wünsche an den Versicherungsschutz.
Anhand dieser Informationen muss der Makler ermitteln, welche Art von privater Krankenversicherung wirklich zu Ihnen passt und welche Risiken Sie absichern möchten. Es geht dabei nicht nur darum, den günstigsten Tarif zu finden, sondern denjenigen, der am besten zu Ihrem individuellen Bedarf passt.
Pflicht zur umfassenden und ehrlichen Aufklärung
Sobald der Makler Ihren Bedarf ermittelt hat, muss er Sie umfassend und verständlich über die verschiedenen Möglichkeiten aufklären. Das beinhaltet:
- Vergleich verschiedener Tarife und Anbieter: Er muss Ihnen geeignete Angebote unterschiedlicher Versicherer vorstellen und deren Leistungen, Kosten (Beiträge, Selbstbehalte) und Bedingungen transparent vergleichen.
- Erklärung von Leistungsumfang und Einschränkungen: Der Makler muss klar darlegen, welche Leistungen ein Tarif beinhaltet, welche ausgeschlossen sind und welche Bedingungen für die Leistungserbringung gelten. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf mögliche Leistungseinschränkungen zu legen.
- Hinweis auf wesentliche Unterschiede: Besonders wichtig ist die Aufklärung über die Unterschiede zwischen verschiedenen Tarifen und insbesondere zwischen alten und neuen Verträgen. Sollte ein Wechsel oder eine Umstellung von einem bestehenden Vertrag in einen anderen Tarif oder zu einem anderen Anbieter in Betracht gezogen werden, muss der Makler auf alle Vor- und Nachteile, potenzielle Leistungseinbußen oder den Verlust erworbener Rechte (z.B. Alterungsrückstellungen) hinweisen.
- Information über Risikozuschläge und Ausschlüsse: Er muss Ihnen erklären, wie sich Vorerkrankungen auf die Annahme des Antrags, mögliche Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse auswirken können.
- Beitragsschwankungen und langfristige Entwicklung: Ein Makler sollte Sie auch über die möglichen Entwicklungen der Beiträge in der privaten Krankenversicherung und über Mechanismen wie Beitragsanpassungen informieren.
Für Sie bedeutet das: Sie haben ein Recht auf eine ehrliche, vollständige und auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittene Beratung, die nicht nur den Preis, sondern vor allem den Leistungsumfang und die langfristige Tauglichkeit des Versicherungsschutzes in den Vordergrund stellt. Der Makler muss Sie über alle wesentlichen Aspekte aufklären, die für Ihre Entscheidungsfindung relevant sind, und darf Ihnen keine Verträge empfehlen, die nicht Ihrem dokumentierten Bedarf entsprechen.
Was kann ich tun, wenn ich wegen einer Falschberatung Leistungen meiner privaten Krankenversicherung verloren habe?
Wenn Sie aufgrund einer fehlerhaften Beratung Leistungen Ihrer privaten Krankenversicherung verloren haben, kann unter bestimmten Umständen ein Schadensersatzanspruch gegen den beratenden Versicherungsvermittler oder Berater bestehen. Das Ziel eines solchen Anspruchs ist es, Sie rechtlich so zu stellen, als hätte die Falschberatung niemals stattgefunden. Dies kann bedeuten, dass Ihr ursprünglicher Versicherungsschutz wiederhergestellt wird oder Sie einen finanziellen Ausgleich für den erlittenen Schaden erhalten, um die entstandenen Nachteile auszugleichen.
Voraussetzungen für einen möglichen Schadensersatzanspruch
Für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs müssen in der Regel folgende Bedingungen erfüllt sein:
- Fehlerhafte Beratung: Der Versicherungsvermittler oder Berater muss seine Pflichten verletzt haben. Das ist der Fall, wenn die Beratung objektiv falsch, unvollständig oder nicht auf Ihre persönlichen Bedürfnisse und Ihre individuelle Situation zugeschnitten war. Ein Berater hat die Aufgabe, Sie umfassend und korrekt zu informieren und Ihre Interessen sorgfältig zu berücksichtigen.
- Schaden: Durch die fehlerhafte Beratung muss Ihnen tatsächlich ein konkreter finanzieller Schaden entstanden sein. Dies kann zum Beispiel der Verlust wichtiger Versicherungsleistungen sein, höhere Beiträge für einen vergleichbaren Schutz oder das Versäumnis, eine vorteilhaftere Versicherung abzuschließen.
- Kausalität (Ursächlicher Zusammenhang): Der entstandene Schaden muss direkt auf die fehlerhafte Beratung zurückzuführen sein. Ohne diese falsche oder unzureichende Beratung wäre der Schaden nicht eingetreten. Es muss also ein klarer Zusammenhang zwischen der Beratung und dem Schaden bestehen.
- Verschulden: Der Berater muss die fehlerhafte Beratung zu verantworten haben, also vorsätzlich (mit Absicht) oder fahrlässig gehandelt haben. Fahrlässigkeit bedeutet, dass der Berater die Sorgfaltspflichten, die in seiner Tätigkeit erwartet werden, missachtet hat.
Bedeutung der Dokumentation
Gerade in solchen Fällen ist die Dokumentation von großer Bedeutung. Es ist äußerst hilfreich, alle Unterlagen und Kommunikationen, die mit der Beratung und dem Abschluss der Verträge zusammenhängen, sorgfältig aufzubewahren. Dazu gehören schriftliche Beratungsdokumente, Angebote, E-Mails, Briefe, aber auch Notizen oder Gesprächsprotokolle von Telefonaten oder persönlichen Treffen. Solche Dokumente können später als Beweis dienen, um den genauen Ablauf der Beratung und den Inhalt der gegebenen Informationen nachzuvollziehen. Eine gute Dokumentation kann maßgeblich dazu beitragen, den Hergang des Geschehens zu klären und einen möglichen Schadensersatzanspruch zu belegen.
Wann verjährt ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Falschberatung durch einen Versicherungsmakler?
Die Verjährung ist ein wichtiges Konzept im Recht, das festlegt, innerhalb welcher Zeit ein Anspruch gerichtlich durchgesetzt werden kann. Wird diese Frist versäumt, ist der Anspruch zwar noch vorhanden, kann aber vom Schuldner blockiert werden.
Die Regelverjährung und ihr Beginn
Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Falschberatung durch einen Versicherungsmakler unterliegt in der Regel der dreijährigen Verjährungsfrist. Diese sogenannte regelmäßige Verjährungsfrist beginnt jedoch nicht unbedingt direkt mit der Falschberatung. Entscheidend für den Beginn der Frist ist vielmehr ein doppelter Ansatzpunkt:
- Der Schaden muss entstanden sein. Das bedeutet, Sie haben einen konkreten Nachteil durch die Falschberatung erlitten.
- Sie müssen Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schädigers haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit davon Kenntnis erlangen können.
Das bedeutet, die Frist startet erst, wenn Ihnen die schädigende Wirkung der Falschberatung und die Identität des verantwortlichen Versicherungsmaklers bekannt sind oder Ihnen diese Informationen bei normaler Sorgfalt nicht hätten entgehen dürfen.
Was bedeutet „grobe Fahrlässigkeit“ bei der Kenntnis?
Gerichte legen den Begriff der „groben Fahrlässigkeit“ bei der Frage der Kenntnis oft sehr genau aus. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und das nicht beachtet, was in der konkreten Situation jedem einleuchten müsste. Es geht also um eine erhebliche und nicht zu entschuldigende Außerachtlassung der eigenen Interessen.
Hierzu gehören auch Aspekte wie:
- Prüfungspflicht von Versicherungsunterlagen: Gerichte gehen davon aus, dass Sie als Kunde grundlegende Versicherungsunterlagen, die Sie vom Makler erhalten, auch aufmerksam lesen und prüfen. Wenn die Falschberatung direkt aus den Ihnen überlassenen Vertragsdokumenten, Angeboten oder Policen ersichtlich wäre, könnte das Nichtlesen oder die Nichtbeachtung dieser offensichtlichen Widersprüche als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden. Stellen Sie sich vor, Ihnen wird ein Vertrag als „vollkaskoversichert“ verkauft, die Police weist aber nur eine Haftpflichtversicherung aus. Wenn Sie diese Police nicht prüfen, könnte Ihnen dies als grobe Fahrlässigkeit ausgelegt werden.
- Bedeutung von Beitragsersparnissen: Auch wenn Ihnen durch eine vermeintlich bessere Beratung erhebliche Beitragsersparnisse versprochen werden, die ungewöhnlich hoch erscheinen, könnte dies ein Hinweis auf eine problematische Beratung sein. Ein zu großes Ungleichgewicht zwischen den versprochenen Vorteilen und den tatsächlich erhaltenen Leistungen, das bei näherer Betrachtung offensichtlich gewesen wäre, kann ebenfalls eine Prüfungspflicht auslösen. Wenn Sie also zum Beispiel wissen, dass eine vergleichbare Versicherung normalerweise das Dreifache kostet, aber die „neue“ Police extrem günstig ist, könnte dies als Warnsignal gewertet werden.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die genaue Beurteilung, wann grobe Fahrlässigkeit vorliegt und wann die Verjährungsfrist beginnt, immer vom Einzelfall abhängt und durch die Gerichte auf Basis aller Umstände entschieden wird.
Absolute Höchstfristen
Unabhängig von der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis gibt es zusätzlich absolute Höchstfristen für die Verjährung. Ein Anspruch auf Schadensersatz verjährt spätestens zehn Jahre nach seiner Entstehung. Das ist eine Obergrenze, die auch dann gilt, wenn der Geschädigte noch keine Kenntnis vom Schaden oder der Person des Schädigers hatte.
Welche Arten von Schäden kann ich geltend machen, wenn ich durch eine Falschberatung bei der privaten Krankenversicherung finanziell benachteiligt wurde?
Wenn Ihnen durch eine fehlerhafte Beratung bezüglich Ihrer privaten Krankenversicherung (PKV) ein finanzieller Schaden entstanden ist, können Sie verschiedene Arten von Nachteilen geltend machen. Das Ziel ist immer, Sie so zu stellen, als wäre die Falschberatung nie passiert und Sie hätten den korrekten Vertrag abgeschlossen. Man spricht hier vom sogenannten „Differenzschaden“.
Unmittelbare finanzielle Nachteile
Dazu gehören alle Kosten, die Ihnen direkt und nachweislich aufgrund der Falschberatung entstanden sind und die Sie bei einer korrekten Beratung nicht gehabt hätten. Das sind zum Beispiel:
- Höhere Beiträge: Wenn Ihnen ein Tarif empfohlen wurde, der teurer war als ein anderer, gleichermaßen geeigneter Tarif, den Sie stattdessen hätten wählen sollen, können Sie die Differenz der gezahlten Beiträge als Schaden geltend machen. Stellen Sie sich vor, Sie zahlen 100 Euro mehr im Monat, obwohl ein passender Tarif 100 Euro günstiger gewesen wäre – diese Mehrkosten sind ein Schaden.
- Unnötige Kosten: Eventuelle Gebühren, Kosten für Vertragsänderungen oder andere Ausgaben, die nur durch die fehlerhafte Beratung notwendig wurden.
Indirekte und zukünftige Schäden
Schaden kann auch dann vorliegen, wenn sich Nachteile erst später zeigen oder nicht direkt als Beitrag zu beziffern sind. Dies erfasst finanzielle Folgen, die kausal auf der Falschberatung beruhen, aber nicht sofort sichtbar waren:
- Höhere Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse bei einem Neuvertrag: Ein häufiger und besonders relevanter Schaden entsteht, wenn Sie aufgrund der Falschberatung nicht rechtzeitig in den richtigen Tarif gewechselt sind oder den falschen Vertrag abgeschlossen haben. Wenn Sie in der Zwischenzeit eine Krankheit entwickelt haben, kann ein späterer Wechsel in den eigentlich passenden Tarif mit einem Risikozuschlag oder einem Leistungsausschluss für die neu hinzugekommene Krankheit verbunden sein. Diese zusätzlichen Kosten oder der Verlust des Versicherungsschutzes, die ohne die Falschberatung nicht entstanden wären, sind als Schaden ersatzfähig.
- Verlust von Altersrückstellungen: In manchen Fällen kann eine Falschberatung dazu führen, dass angesparte Altersrückstellungen, die für günstigere Beiträge im Alter gedacht waren, verloren gehen. Dies stellt einen erheblichen finanziellen Nachteil dar.
- Kosten für Behandlungen, die eigentlich versichert gewesen wären: Wenn Sie durch die Falschberatung in einem Tarif gelandet sind, der bestimmte Leistungen nicht abdeckt, die ein korrekt gewählter Tarif abgedeckt hätte, können die Kosten für diese Behandlungen einen Schaden darstellen.
Der Verlust von Leistungen
Schaden kann auch in der Minderung des Versicherungsschutzes selbst liegen, auch wenn die Beiträge möglicherweise nicht direkt höher waren. Wenn Sie durch die fehlerhafte Beratung einen Vertrag abgeschlossen haben, der Ihnen schlechtere Leistungen bietet (z.B. weniger umfassende Krankenhausversorgung, schlechtere Zahnbehandlungsoptionen oder geringere Erstattungssätze) als ein vergleichbarer, aber korrekter Tarif, so kann der Wert dieser verlorenen Leistungen als Schaden geltend gemacht werden. Es geht hier darum, dass die erbrachte Leistung nicht dem entspricht, was Sie bei richtiger Beratung erhalten hätten.
Die Bedeutung der Feststellungsklage
Nicht alle Schäden sind sofort in ihrer Höhe bezifferbar. Gerade zukünftige Nachteile, wie ein eventueller zukünftiger Risikozuschlag, der erst beim Wechsel in einen neuen Vertrag relevant wird, oder die Kosten für Behandlungen, die Sie in der Zukunft selbst tragen müssen, können noch nicht genau berechnet werden. In solchen Fällen ist eine Feststellungsklage relevant. Hier wird gerichtlich festgestellt, dass der Berater Ihnen dem Grunde nach für alle Schäden haftet, die aus der Falschberatung entstehen werden, auch wenn deren genaue Höhe noch nicht feststeht. Dies ist wichtig, damit Ihr Anspruch auf Schadensersatz nicht verjährt, bevor der tatsächliche Schaden eingetreten und bezifferbar ist.
Welche Rolle spielt die sogenannte Feststellungsklage, wenn der Schaden noch nicht vollständig beziffert werden kann?
Die Feststellungsklage ist eine wichtige rechtliche Möglichkeit, um Klarheit über eine bestimmte Rechtslage oder Haftung zu schaffen, auch wenn die genaue Höhe eines Schadens noch nicht feststeht. Im Gegensatz zur Leistungsklage, mit der eine konkrete Geldzahlung oder Handlung eingefordert wird, zielt die Feststellungsklage darauf ab, gerichtlich feststellen zu lassen, ob ein Anspruch grundsätzlich besteht. Sie schafft somit eine rechtliche Grundlage für zukünftige Ansprüche.
Sicherung von Ansprüchen für die Zukunft
Wenn ein Schaden zwar wahrscheinlich ist, sich aber noch in der Entwicklung befindet oder seine volle Tragweite noch nicht absehbar ist, spielt die Feststellungsklage eine zentrale Rolle. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, jemand hat durch eine Fehlberatung oder einen Vorfall zukünftig mit weiteren finanziellen Belastungen oder gesundheitlichen Langzeitfolgen zu rechnen. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich der Gesamtschaden nicht vollständig beziffern, weil beispielsweise zukünftige Behandlungs- oder Pflegekosten, entgangener Verdienst oder die genaue Entwicklung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ungewiss sind.
In solchen Fällen ermöglicht die Feststellungsklage, die Haftung des Verursachers für den bereits entstandenen und zukünftig noch entstehenden Schaden gerichtlich feststellen zu lassen. Ein positives Urteil in einer Feststellungsklage bedeutet dann, dass die Grundlage für die spätere Geltendmachung aller Schäden, die aus diesem Ereignis resultieren, geschaffen ist. Dies ist besonders wichtig, um zu verhindern, dass Ansprüche verjähren, bevor der volle Schaden überhaupt bekannt ist. Die Verjährung ist eine Frist, nach deren Ablauf ein Anspruch nicht mehr durchgesetzt werden kann. Durch die Feststellungsklage werden die Ansprüche für die Zukunft gesichert.
Das „berechtigte Interesse“ an der Klage
Für eine Feststellungsklage ist ein sogenanntes „berechtigtes Interesse“ erforderlich. Dieses liegt vor, wenn eine Unsicherheit über eine Rechtsbeziehung besteht und ein Gerichtsurteil diese Unsicherheit beseitigen kann. Es muss also eine konkrete Notwendigkeit bestehen, die Rechtslage gerichtlich klären zu lassen. Diese Notwendigkeit ist typischerweise gegeben, wenn die andere Seite die Haftung bestreitet oder nicht klar ist, ob und in welchem Umfang in Zukunft weitere Schäden auftreten werden. Die Klage dient dann dazu, eine rechtsverbindliche Klärung für die Zukunft zu erreichen und so die Rechte des Geschädigten zu sichern.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Feststellungsinteresse
Feststellungsinteresse bezeichnet das berechtigte Bedürfnis einer Person, durch ein Gericht klären zu lassen, ob ein bestimmtes Recht oder eine bestimmte Verpflichtung besteht, solange zwischen den Parteien Unsicherheit darüber herrscht. Es ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der sogenannten Feststellungsklage nach § 256 Absatz 1 ZPO. In dem hier geschilderten Fall wollte der Kläger gerichtliche Klarheit erlangen, ob die Versicherungsmaklerin verantwortlich für den entstandenen Schaden ist, obwohl der Schaden noch teilweise in der Zukunft liegt. Beispiel: Wenn sich zwei Nachbarn streiten, wem ein Baum gehört, und beide sich unsicher sind, kann einer eine Feststellungsklage einreichen, um das Recht gerichtlich klären zu lassen.
Vorvertragliche Pflichtverletzung
Eine vorvertragliche Pflichtverletzung entsteht, wenn bereits vor Abschluss eines Vertrags Pflichten verletzt werden, die im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen stehen. Sie ist gesetzlich in §§ 280 Absatz 1, 311 Absatz 2 und 241 Absatz 2 BGB geregelt und kann zum Schadensersatz führen. Im Fall bedeutet dies, dass der Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin durch fehlerhafte oder unvollständige Beratung bereits vor Vertragsschluss gegen seine Pflichten verstieß. Die Versicherungsmaklerin haftet für diese Pflichtverletzung, auch wenn der Vertrag erst später mit einem Dritten (Versicherung) abgeschlossen wurde. Beispiel: Wenn ein Autohändler vor Vertragsschluss falsche Angaben über den Zustand eines Fahrzeugs macht und dadurch ein Schaden entsteht, liegt eine vorvertragliche Pflichtverletzung vor.
Grobe Fahrlässigkeit
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerwiegender Weise verletzt, also besonders leichtfertig handelt und etwas übersieht, was ihm unter normalen Umständen sofort hätte auffallen müssen. Im Zusammenhang mit der Verjährung ist grobe Fahrlässigkeit wichtig, weil sie beeinflusst, wann die Verjährungsfrist beginnt. Im geschilderten Fall musste der Kläger nicht als grob fahrlässig angesehen werden, obwohl er Unterlagen erhalten hatte, da die Prüfpflichten des Versicherungsnehmers und die Erkennbarkeit des Fehlers begrenzt sind. Beispiel: Wenn jemand bei starken Regen nicht versucht, seinen Regenschirm zu benutzen, obwohl dieser direkt neben ihm liegt, handelt er vielleicht fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit wäre, bei starkem Sturm im offenen Boot zu fahren, ohne Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.
Rückwirkung der Klagezustellung (§ 167 ZPO)
Die Rückwirkung der Klagezustellung bedeutet, dass die Verjährung eines Anspruchs durch die Einreichung einer Klage bei Gericht gehemmt wird – zwar erst mit der Zustellung der Klage an den Gegner, aber diese Hemmung gilt rechtlich rückwirkend auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung (Anhängigkeit). Voraussetzung ist, dass die Zustellung „bald“ erfolgt, das heißt ohne schuldhafte Verzögerungen. Im vorliegenden Fall verhinderte diese Regelung, dass dem Kläger die Verjährung seines Schadensersatzanspruchs zum Nachteil gereichte, obwohl die Zustellung wenige Wochen später erfolgte. Beispiel: Wenn jemand am 1. Dezember klagt, aber die Klageschrift erst am 15. Dezember zugestellt wird, gilt die Verjährung ab 1. Dezember als gehemmt.
Schadensersatzanspruch wegen Falschberatung
Ein Schadensersatzanspruch wegen Falschberatung entsteht, wenn ein Berater (hier die Versicherungsmaklerin) seine Pflichten verletzt und dem Kunden dadurch ein Schaden entsteht. Es müssen erfüllt sein: eine fehlerhafte Beratung, ein dadurch verursachter Schaden, ein ursächlicher Zusammenhang und Verschulden (vorsätzlich oder fahrlässig). Im Fall ging es darum, dass der Kunde wegen falscher Beratung einen Vertrag abschloss, der weniger Leistungen bot, und ihm dadurch finanzielle Nachteile entstanden. Der Schadensersatz soll den Kunden so stellen, als wäre keine Falschberatung erfolgt. Beispiel: Wenn ein Finanzberater einem Kunden fälschlich zu einem riskanten Investment rät und der Kunde dadurch finanzielle Verluste erleidet, kann er Schadensersatz verlangen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 280 Absatz 1 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung): Regelt, dass derjenige, der eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, dem anderen den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen hat. Dabei wird Verschulden grundsätzlich vermutet, es sei denn, der Schuldner kann seine Unschuld beweisen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherungsmaklerin haftet für die fehlerhafte Beratung, da sie ihre Pflicht verletzt hat, dem Kläger einen leistungsgleichen Tarif zu empfehlen; die Vermutung des Verschuldens wurde von ihr nicht widerlegt.
- § 311 Absatz 2 BGB (vorvertragliche Pflichten): Bestimmt, dass auch im Vorfeld eines Vertragsverhältnisses Pflichten zur Rücksichtnahme gelten, insbesondere Beratungspflichten, deren Verletzung Schadensersatzansprüche begründen kann. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Pflichtverletzung entstand schon bei den Vertragsverhandlungen und der Beratung vor dem Abschluss des neuen Versicherungsvertrags, was die Grundlage für den Schadensersatzanspruch des Klägers ist.
- § 278 BGB (Haftung für Erfüllungsgehilfen): Der Schuldner haftet für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen, also Personen, die er zur Erfüllung seiner Pflichten einsetzt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherungsmaklerin muss sich das Fehlverhalten ihres Mitarbeiters Herrn C. zurechnen lassen, da dieser als Erfüllungsgehilfe bei der Beratung tätig war.
- § 195 BGB (Regelverjährung): Ansprüche verjähren grundsätzlich in drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis erlangt hat. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die drei-Jahres-Frist ist entscheidend für den Verjährungsschutz der Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Versicherungsmaklerin.
- § 199 Absatz 1 BGB (Beginn der Verjährungsfrist): Die Verjährungsfrist beginnt erst, wenn der Gläubiger Wissen über die anspruchsbegründenden Umstände und die Person des Schuldners erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht sah keine grobe Fahrlässigkeit beim Kläger, sodass die Verjährung erst später begann, was den Anspruch noch nicht verfallen ließ.
- § 256 Absatz 1 ZPO (Feststellungsklage): Ermöglicht es, ein bereits bestehendes Rechtsverhältnis oder eine Rechtslage gerichtlich feststellen zu lassen, wenn ein berechtigtes Interesse daran besteht. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger hatte ein berechtigtes Feststellungsinteresse, weil die Versicherungsmaklerin die Haftung bestritt und zukünftige Schäden drohten; somit war die Klage zulässig.
Das vorliegende Urteil
Landgericht Arnsberg – Az.: 3 S 66/23 – Urteil vom 21.08.2024
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