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Existenzschutzversicherung – Schadensersatz wegen Beratungsfehler bei Vertragsabschluss

 

OLG Karlsruhe – Az.: 9 U 132/19 – Beschluss vom 22.02.2022

Der Senat erwägt gemäß § 522 Abs. 2 ZPO eine Zurückweisung der Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 18.09.2019 – C 10 O 11/19 -. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung des Senats Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.

Die Klägerin macht im Rechtsstreit gegen die Beklagte Leistungsansprüche geltend aus zwei Verträgen über eine sogenannte Existenzschutzversicherung.

Die am … geborene Klägerin schloss im Jahr 2010 bei der Beklagten einen Vertrag über eine Existenzschutzversicherung ab. Die Beklagte dokumentierte die aus ihrer Sicht getroffenen Vereinbarungen in einem Versicherungsschein vom 26.11.2010 (Versicherungsnummer 70130161843, Anlage B 3). Die Versicherung sollte am 01.12.2010 beginnen. Es waren monatliche Beiträge von 38,47 € vereinbart. Vorgesehen war im Vertrag eine sogenannte Existenzrente von 1.500,00 €, die im Leistungsfall monatlich gezahlt werden sollte. Als Versicherungsumfang war im Versicherungsschein angegeben, dass „Alle Unfälle des täglichen Lebens nach AUB“ versichert sein sollten und „Beeinträchtigungen gemäß der Besonderen Bedingungen der Existenzschutzversicherung“. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den von der Beklagten vorgelegten Versicherungsschein nebst den vorgelegten Bedingungen verwiesen. Im Hinblick auf eine vorgesehene Dynamisierung stellte die Beklagte am 14.11.2013 einen „Nachtrag Nr. 3 zum Versicherungsschein“ aus, welcher erhöhte Beiträge auswies und eine erhöhte Rente in Höhe von 1.650,00 € monatlich (Anlage B 8). Ein weiterer Nachtrag vom 09.11.2016 (Anlage K 2) wies eine Rente in Höhe von 1.760,00 € monatlich aus.

Im Jahr 2013 schloss die Klägerin einen weiteren Versicherungsvertrag mit der Beklagten ab (Versicherungs-Nr: …). Die Beklagte bezeichnete den Vertrag als „Existenzschutzversicherung mit Beitragsrückzahlung“. In diesem Vertrag waren monatliche Beiträge der Klägerin in Höhe von 434,89 € vorgesehen. Der Vertrag sah eine „Existenzschutzversicherung“ vor mit einer monatlichen Rente in Höhe von 2.500,00 € im Leistungsfall, wobei der Versicherungsfall im Versicherungsschein mit „Versicherung gegen schwere Krankheiten und Unfälle des täglichen Lebens gemäß Bedingungen“ angegeben war. Es sollten „Besondere Bedingungen für die Existenzschutzversicherung mit garantierter Beitragsrückzahlung (BB ESV BR 09.12)“ und „Allgemeine Bedingungen für die Existenzschutzversicherung (AB ESV 2011)“ gelten. Außerdem enthielt der Vertrag eine Lebensversicherung. Für den Erlebensfall war nach 25 Jahren eine Kapitalzahlung der Beklagten vorgesehen, die bei gleichbleibenden Gewinnbeteiligungssätzen 134.202,53 € betragen sollte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein in der Anlage B 10 nebst den von der Beklagten vorgelegten Versicherungsbedingungen verwiesen.

Die Klägerin bezieht seit dem 01.08.2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Am 22.10.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Rentenleistungen aus den beiden abgeschlossenen Existenzschutzversicherungen. Im formularmäßigen Antrag (Anlage K 6) gab sie an, sie sei auf Grund einer schwergradigen Depression zur Bewältigung des Alltags nicht mehr in der Lage. Die Beklagte lehnte Leistungen ab. Die Voraussetzungen für Leistungen aus den beiden abgeschlossenen Verträgen seien nicht gegeben. Außerdem sei für eventuelle Leistungen aus dem Vertrag mit den Endziffern … eine vertragliche vereinbarte Wartezeit nicht erfüllt.

Mit ihrer Klage zum Landgericht hat die Klägerin von der Beklagten Rentenleistungen für die Zeit ab April 2015 in Höhe von 2.500,00 € monatlich aus dem Vertrag mit den Endziffern … und in Höhe von 1.760,00 € monatlich aus dem Vertrag mit den Endziffern … verlangt. Die vertraglichen Leistungsvoraussetzungen seien gegeben. Die Klägerin sei auf Grund schwerer Depressionen mit Erschöpfungszustand und Überlastung zu einer Berufstätigkeit nicht mehr in der Lage. Auf eventuelle Leistungseinschränkungen in Versicherungsbedingungen zum Vertrag mit den Endziffern … könnte sich die Beklagte nicht berufen, da die von der Beklagten angegebenen Versicherungsbedingungen nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden seien. Soweit in den Versicherungsbedingungen eine Leistungspflicht der Beklagten bei einem Verlust der zeitlichen und räumlichen Orientierung der Versicherungsnehmerin genannt sei, sei davon auszugehen, dass diese Voraussetzung bei der Klägerin gegeben sei. Der für die Beklagte tätige Versicherungsvertreter habe beim Abschluss des zweiten Vertrages im Jahr 2013 (Endziffer …) zudem im Beratungsgespräch auf Frage ausdrücklich erklärt, auch psychische Störungen, insbesondere bei einem Burnout, seien versichert. Wenn der Versicherungsvertreter der Beklagten dies nicht erklärt hätte, dann hätte die Klägerin den Vertrag im Jahr 2013 nicht abgeschlossen.

Die Beklagte ist der Klage mit verschiedenen Einwendungen entgegengetreten. Bei einer Berufsunfähigkeit auf Grund einer schweren Depression bestehe nach den in den beiden Verträgen vereinbarten Versicherungsbedingungen kein Leistungsanspruch. Hilfsweise hat sich die Beklagte darauf berufen, bei dem im Jahr 2013 abgeschlossenen Vertrag (Endziffern …) sei die vertraglich vereinbarte Wartefrist von sechs Monaten nicht eingehalten.

Mit Urteil vom 18.09.2019 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Für Leistungen aus den beiden Verträgen seien die vereinbarten Versicherungsbedingungen maßgeblich. Bei einer dauerhaften psychischen Störung, wie von der Klägerin geltend gemacht, sei die Beklagte nur in Ausnahmefällen zu einer Rentenleistung verpflichtet, nämlich, wenn die Erkrankung zu einer dauerhaften Vormundschaft oder Pflegschaft geführt habe, wenn es zu einer dauerhaften Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gekommen sei, oder wenn ein dauerhafter Verlust der zeitlichen und räumlichen Orientierung eingetreten sei. Bei der von der Klägerin geltend gemachten schweren Depression seien diese Voraussetzungen nicht gegeben. Dass die Klägerin tatsächlich unter einem dauerhaften Verlust der zeitlichen und räumlichen Orientierung leide, lasse sich ihrem Sachvortrag nicht entnehmen. Auf die Frage, ob bei dem zweiten Versicherungsvertrag (Endziffern …) die Wartefrist eingehalten sei, komme es unter diesen Umständen nicht an. Die Klägerin könne sich zudem nicht darauf berufen, dass der für die Beklagte tätige Versicherungsvertreter ihr eine Leistung aus dem zweiten Vertrag auch bei einem „Burnout“ zugesagt habe. Denn die Klägerin habe in diesem Punkt für ihr streitiges Vorbringen keinen Beweis angetreten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie hält das erstinstanzliche Urteil aus rechtlichen und aus tatsächlichen Gründen für fehlerhaft. Beim ersten Vertrag (Endziffern …) könne sich die Beklagte auf Einschränkungen der Leistungspflicht in den Versicherungsbedingungen nicht berufen, weil die von der Beklagten bezeichneten Bedingungen nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden seien. Soweit in den Versicherungsbedingungen eine Leistungspflicht der Beklagten auch bei einem „dauerhaften Verlust der zeitlichen und räumlichen Orientierung“ zugesagt worden sei, hätte das Landgericht Beweis erheben müssen; denn das Vorbringen der Klägerin zu einer solchen Leistungsvoraussetzung sei ausreichend. Zumindest von einem Verlust der zeitlichen Orientierung sei bei der Klägerin auszugehen. Sie sei nicht in der Lage, zu diesem Punkt substantiierter vorzutragen. Außerdem beruft sich die Klägerin zur Leistungspflicht der Beklagten weiterhin auf eine Erklärung des Versicherungsvertreters Bernd Schmitz im Jahr 2013, dass bei einer psychischen Erkrankung, wie Burnout, von der Beklagten eine Rente gezahlt werde.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 28.08.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Konstanz (Az: C 10 O 11/19) die Beklagte zu verurteilen,

1. an die Klägerin 189.620,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagzustellung zu bezahlen,

2. an die Klägerin ab dem 01.01.2019 bis längstens zum Vertragsende am 01.09.2038 aus der Existenzschutzversicherung Nr. … eine Rente von monatlich 2.500,00 €, zahlbar monatlich rückwirkend bis zum dritten Werktag eines jeden Monats, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu bezahlen,

3. an die Klägerin ab dem 01.01.2019 bis längstens zum Vertragsende am 01.12.2038 aus der Existenzschutzversicherung Nr. … eine Rente von monatlich 1.760,00 €, zahlbar monatlich rückwirkend bis zum dritten Werktag eines jeden Monats, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu bezahlen,

4. an die Klägerin 2.137,78 € vorgerichtliche, nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.12.15 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts. Sie ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin dürfte voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben. Eine Entscheidung des Senats nach mündlicher Verhandlung erscheint auch im Hinblick auf die Gesichtspunkte gemäß § 522 Abs. 2 Ziffer 2, 3 und 4 nicht erforderlich. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente aus dem im Jahr 2010 abgeschlossenen Versicherungsvertrag (Endziffern …).

a) Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen in Verbindung mit dem Nachweis über den Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung erscheint es plausibel, dass die Klägerin, wie von ihr geltend gemacht, unter einer dauerhaften schweren Depression leidet, die zumindest ab April 2015 zu einer Berufsunfähigkeit geführt hat (im Sinne der üblichen Bedingungen von Berufsunfähigkeitsversicherungen). Daraus ergibt sich jedoch kein Leistungsanspruch gegen die Beklagte aus dem Vertrag mit den Endziffern …. Denn es handelt sich bei diesem Vertrag nicht um eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Weder aus dem Versicherungsschein noch aus den von der Beklagten vorgelegten Versicherungsbedingungen ergibt sich eine Leistungspflicht beim Eintritt einer Berufsunfähigkeit aufgrund einer dauerhaften schweren Depression. Daher ist eine Beweiserhebung im Rechtsstreit zu der von der Beklagten bestrittenen psychischen Erkrankung der Klägerin nicht erforderlich.

b) Maßgeblich für die Leistungspflichten der Beklagten aus dem Vertrag mit den Endziffern … sind die Besonderen Bedingungen der Beklagten für die Existenzschutzversicherung (Anlage B 7), die auf Seite 3 des Versicherungsscheins (Anlage B 3) in Bezug genommen werden.

aa) Bei den genannten besonderen Bedingungen handelt es sich nicht um Versicherungsbedingungen, in welchen ein Leistungsversprechen eingeschränkt wird. Vielmehr fehlt im ersten Teil des Versicherungsscheins (Seite 1 – Seite 3) eine Beschreibung des versicherten Risikos. Der Begriff „Existenzschutzversicherung“ beschreibt das versicherte Risiko nicht. Der Begriff ist lediglich ein Sammelbegriff für unterschiedliche denkbare Risiken, die unter diesem Begriff zusammengefasst und gemeinsam versichert werden können. Das Leistungsversprechen der Beklagten wird erst durch die im Versicherungsschein angegebenen Besonderen Bedingungen konkretisiert. Da ohne die Besonderen Bedingungen nicht ersichtlich ist, welche Risiken die „Existenzschutzversicherung“ abdecken soll, weiß der Versicherungsnehmer, dass er die Versicherungsbedingungen benötigt, um das Leistungsversprechen der Beklagten zu kennen. Wenn eine Versicherungsnehmerin sich für den Gegenstand des Versicherungsvertrages interessiert, bestehen keine Bedenken gegen die Verständlichkeit der Bezugnahme im Versicherungsschein auf die Besonderen Bedingungen der Existenzschutzversicherung.

Die Existenzschutzversicherung der Beklagten enthält eine Kombination verschiedener Bestandteile, die der Sache nach normalerweise unterschiedlichen Versicherungssparten zugeordnet werden, nämlich der Unfallversicherung, der dread-desease-Versicherung und der Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Kombination der verschiedenen Elemente ermöglicht es dem Versicherer – im Zusammenhang mit der gleichzeitigen deutlichen Reduzierung des Versicherungsschutzes im Vergleich zu einer üblichen Berufsunfähigkeitsversicherung – den Versicherungsschutz bei gleicher Rentenhöhe mit einem deutlich geringeren Beitrag (verglichen mit einer normalen Berufsunfähigkeitsversicherung) anzubieten. Außerdem spielen Vorerkrankungen eine geringere Rolle als bei der üblichen Berufsunfähigkeitsversicherung, so dass Versicherungsschutz im Einzelfall auch dann angeboten werden kann, wenn eine übliche Berufsunfähigkeitsversicherung im Hinblick auf Vorerkrankungen nicht möglich ist. Die wesentlichen Bestandteile des Versicherungsschutzes sind im vorliegenden Fall eine Leistungspflicht bei Unfällen (Ziffer 2 der Besonderen Bedingungen), eine Leistungspflicht nach dem Organkonzept (Ziffer 3 der Besonderen Bedingungen) eine Leistung beim Verlust einzelner definierter Grundfähigkeiten (Ziffer 4 der Besonderen Bedingungen) und Leistungen bei Eintritt einer Pflegestufe (Ziffer 5 der Besonderen Bedingungen). Keine dieser Voraussetzungen ist im Fall der Klägerin erfüllt. Insbesondere fällt eine dauerhafte schwere Depression nicht unter den eng begrenzten Kreis der psychischen Störungen, die in Ziffer 3.1.2 der Besonderen Bedingungen genannt sind.

bb) Die Voraussetzungen eines dauerhaften Verlustes der zeitlichen und räumlichen Orientierung -ein Ausnahmefall, in dem auch bei einer psychischen Erkrankung eine Leistungspflicht der Beklagten bestehen soll – liegen nicht vor und lassen sich dem Sachvortrag der Klägerin nicht entnehmen. Beim Verlust der zeitlichen und räumlichen Orientierung handelt es sich um Fachbegriffe aus dem Bereich der Psychiatrie, die im Einzelfall von einem Mediziner festgestellt und abgegrenzt werden können. Der Sache nach entspricht ein dauerhafter Verlust der zeitlichen und räumlichen Orientierung einer mittleren Demenz, zum Beispiel im Fall einer Alzheimer-Erkrankung. Aus den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen ist dazu nichts ersichtlich. In der Berufungsbegründung wiederholt die Klägerin lediglich den Begriff des dauerhaften Verlustes der zeitlichen und räumlichen Orientierung, ohne diesen Begriff mit einem Sachverhalt aus den Lebensverhältnissen der Klägerin zu verbinden. Zu Recht hat das Landgericht die bloße Wiederholung des Begriffs aus den Versicherungsbedingungen als unschlüssig angesehen. Dabei kann dahinstehen, welchen Grad der Konkretisierung man für Sachvortrag zu diesem Begriff verlangen muss. Es ist nicht ersichtlich, welches – für die Klägerin selbst oder für Dritte erkennbare – Geschehen im Leben der Klägerin mit einem Verlust der örtlichen Orientierung und einem Verlust der zeitlichen Orientierung gemeint sein soll.

c) Die Klägerin wendet gegenüber der Entscheidung des Landgerichts ein, die angegebenen Versicherungsbedingungen seien bei dem Versicherungsvertrag mit den Endziffern … im Jahr 2010 nicht wirksam einbezogen worden. Dieser Einwand kann der Klägerin jedoch nicht zu einem Anspruch aus dem Vertrag verhelfen.

aa) Der Sachvortrag der Parteien zum Abschluss des Vertrages im Jahr 2010 ist unvollständig. Es liegt zwar der Versicherungsschein vor, mit welchem die Beklagte den Versicherungsantrag der Klägerin angenommen hat. Jedoch liegt der Versicherungsantrag der Klägerin aus dem Jahr 2010 nicht vor. Die von der Beklagten vorgelegte „Versicherungsbestätigung“ (Anlage B 2) enthält den Antrag nicht. Da der Versicherungsantrag der Klägerin fehlt, lässt sich auf Grund des Vorbringens der Parteien und der vorgelegten Unterlagen nicht feststellen, ob die Klägerin sich mit der Geltung der bezeichneten Bedingungen einverstanden erklärt hat, und ob die Bedingungen ihr vor Abgabe ihrer Vertragserklärung vorlagen (vgl. § 305 Abs. 2 BGB).

bb) Es kann dahinstehen, ob die von der Beklagten vorgelegten Besonderen Bedingungen (Anlage B 7) wirksam in den Vertrag einbezogen wurden. Wenn die Bedingungen einbezogen wurden, steht der Klägerin ein Anspruch aus den oben (b) erörterten Gründen nicht zu. Ein Anspruch aus der im Jahr 2010 abgeschlossenen ersten Versicherung kommt jedoch auch dann nicht in Betracht, wenn die Bedingungen nicht entsprechend § 305 Abs. 2 BGB wirksam einbezogen worden sein sollten.

Eine fehlende Einbeziehung der Bedingungen unterstellt, ist im Jahr 2010 ein wirksamer Versicherungsvertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen. Denn aus dem Begriff „Existenzschutzversicherung“ im Versicherungsschein vom 26.11.2010 ergibt sich (ohne eine anderweitige Konkretisierung) kein vertragliches Leistungsversprechen der Beklagten. Der Begriff „Existenzschutzversicherung“ ist ohne anderweitige Konkretisierung nicht geeignet, ein bestimmtes versichertes Risiko zu beschreiben. Denn der Begriff bezeichnet eine Vielzahl möglicher Kombinationen verschiedener Bestandteile aus unterschiedlichen Versicherungssparten. Es gibt kein gesetzliches Leitbild für eine Existenzschutzversicherung. Es gibt auch keinen üblichen Umfang des Versicherungsschutzes in der Versicherungswirtschaft unter dieser Bezeichnung. Es fehlen in der Versicherungswirtschaft übliche Bedingungen für diesen Begriff, auch wenn sich einschränkend feststellen lässt, dass in der Regel bei den in Betracht kommenden Versicherungsunternehmen psychische Erkrankungen entweder überhaupt nicht oder nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erfasst werden. Unter diesen Umständen kommt – ohne Konkretisierung des Begriffs „Existenzschutzversicherung“ in den Versicherungsbedingungen – eine ergänzende Vertragsauslegung für die Police vom 26.11.2010 nicht in Betracht. Vielmehr ist – wenn eine Vereinbarung zum Kern des Vertrages, nämlich zum Inhalt des Versicherungsschutzes – fehlt, ein Versicherungsvertrag im Jahr 2010 nicht zustande gekommen (vgl. zu dieser Problematik Prölss/Rudy, VVG, 31. Auflage 2021, § 7 VVG Rn. 53; Grüneberg, BGB, 81. Auflage 2022, § 306 BGB, Rn. 4).

2. Der Klägerin steht ein Rentenanspruch auch nicht aus dem im Jahr 2013 abgeschlossenen Versicherungsvertrag mit den Endziffern … zu.

a) Der Sache nach handelt es sich bei diesem Vertrag um einen Lebensversicherungsvertrag unter Einschluss einer zusätzlichen Existenzschutzversicherung (entgegen der unzutreffenden Bezeichnung der Beklagten als „Existenzschutzversicherung mit Beitragsrückzahlung“). Aus den Vertragsunterlagen und den Angaben zu Prämien und Leistungen ergibt sich, dass die Beiträge der Klägerin für diesen Vertrag zum weit überwiegenden Teil einer Kapitalbildung für die Lebensversicherung dienten, und zum geringeren Teil einer Existenzschutzversicherung, deren Charakter dem im Jahr 2010 abgeschlossenen Versicherungsvertrag entsprach.

b) Bei der Versicherung mit den Endziffern … sind die von der Beklagten angegebenen Versicherungsbedingungen wirksam gemäß § 305 Abs. 2 BGB einbezogen worden. Dies ergibt sich aus dem – für diesen Vertrag vorliegenden – Antrag der Klägerin vom 22.08.2013 (Anlage B 9).

c) Eine Leistungspflicht der Beklagten besteht auch aus diesem Vertrag nicht. Denn auch in den Bedingungen für den Vertrag mit den Endziffern … löst eine dauerhafte psychische Erkrankung bei einer schweren Depression keine Leistungspflicht der Beklagten aus. Für einen dauerhaften Verlust der zeitlichen und räumlichen Orientierung fehlt auch bei diesem Vertrag Sachvortrag der Klägerin.

d) Da dem Grunde nach eine Leistungspflicht nicht besteht, kommt es bei dem zweiten Vertrag auf die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Wartezeit nicht an.

3. Die Klägerin hat sich für den zweiten Versicherungsvertrag darauf berufen, der für die Beklagte tätige Versicherungsvertreter habe ihr eine Leistungspflicht der Beklagten bei einer psychischen Erkrankung, wie beispielsweise bei einem Burnout, bestätigt. Auch aus diesem Vorbringen kann die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte nicht herleiten. Es kommt daher nicht darauf an, ob das streitige Vorbringen der Klägerin zutrifft. Es kann auch dahinstehen, ob die Beweislast für den Ablauf der Beratung im Jahr 2013 im Hinblick auf das Fehlen einer Beratungsdokumentation gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 VVG a. F. möglicherweise die Beklagte trifft.

a) Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 6 Abs. 5 VVG liegen nicht vor. Die Klägerin könnte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente im Wege des Schadensersatzes haben, wenn ohne den von der Klägerin vorgetragenen Beratungsfehler des Versicherungsvertreters ein Versicherungsvertrag zustande gekommen wäre, aus dem sich der von der Klägerin im Rechtsstreit geltend gemachte Anspruch ergeben würde. Davon ist jedoch nach dem Vorbringen der Klägerin nicht auszugehen. Die Klägerin hat vorgetragen, ohne den Beratungsfehler des Versicherungsvertreters der Beklagten hätte sie den Vertrag im Jahr 2013 nicht abgeschlossen. Das bedeutet, dass sie auch nach ihrem eigenen Vorbringen ohne den Beratungsfehler keinen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsrente abgeschlossen hätte, welcher ihr bei einer Berufsunfähigkeit auf Grund einer schwerwiegenden Depression eine monatliche Rente von 2.500,00 € gesichert hätte. Der fiktive Abschluss eines solchen Vertrages – ohne den behaupteten Fehler des Versicherungsvertreters – ist auch keineswegs naheliegend. Denn der im Jahr 2013 abgeschlossene Vertrag diente im Wesentlichen (siehe oben) dem Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung und nur zu einem geringeren Teil dem Abschluss einer (zusätzlichen) Existenzschutzversicherung.

b) Die von der Klägerin vorgetragene Erklärung des Versicherungsvertreters im Jahr 2013 führt auch nicht zu einer Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt einer sogenannten Erfüllungshaftung. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes 2008 einen gewohnheitsrechtlichen Erfüllungsanspruch unter gewissen Voraussetzungen zugebilligt, wenn der Versicherungsvermittler dem Versicherungsnehmer bestimmte Leistungen zugesagt hatte. Für eine solchen gewohnheitsrechtlichen Erfüllungsanspruch gibt es nach Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes 2008 keine rechtliche Grundlage mehr. Denn der Gesetzgeber hat die ihm bekannte ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Versicherungsvertragsgesetz 2008 nicht übernommen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die Haftung des Versicherers bei unzutreffenden Erklärungen eines Versicherungsvertreters nach der Neuregelung ausschließlich aus § 6 VVG ergibt. Jedenfalls dann, wenn eine unzutreffende Erklärung eines Versicherungsvertreters dem Versicherer als Pflichtverletzung im Rahmen von § 6 Abs. 1 VVG zugerechnet wird, ist von einer abschließenden Regelung in § 6 VVG auszugehen (vgl. Prölss/Rudy, VVG, 31. Auflage 2021, § 6 VVG Rn. 78 mit Nachweisen). Von der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird die frühere gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung nach dem Inkrafttreten des VVG 2008 dementsprechend auch nicht mehr angewendet. (Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 19.05.2011 – VersR 2012, 342 – betraf einen Übergangsfall, in welchem sich die Beratungspflichten des Versicherers noch nicht nach § 6 VVG richteten.)

4. Da der Klägerin die geltend gemachten Hauptforderungen aus den Versicherungsverträgen nicht zustehen, besteht auch kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.

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