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Erstattungsfähigkeit Höherstufungsschaden bei sicherungsübereigneten Fahrzeug

LG Bremen – Az.: 4 S 148/20 – Urteil vom 28.01.2022

1.) Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 14.07.2020 (Az.: 17 C 293/19) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 12,50 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2018 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, an die Klägerin den durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 10.11.2018 entstandenen Höherstufungsschaden bei Ihrer Kaskoversicherung (Versicherung1 / Gesamthöherstufung von bis zu 1.081,24 €) ausgehend von einer Haftungsquote von 50% zu erstatten.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 147,56 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.) Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 65% und die Beklagten zu 35%.

3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.) Die Revision wird nicht zugelassen.

5.) Der Streitwert für die zweite Instanz wird auf 1.606,24 € festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall.

In erster Instanz hat das Amtsgericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

„Die Klägerin verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 10.11.2019 in Bremen ereignete.

Die Klägerin hat das Fahrzeug finanziert und das Klägerfahrzeug ist sicherungsübereignet an Mercedes Benz. Die Klägerin ist Versicherungsnehmerin einer Vollkaskoversicherung für das Fahrzeug und Halterin des Fahrzeugs.

Der Verkehrsunfall ereignete sich wie folgt:

Die Klägerin fuhr mit dem PKW Mercedes Benz E200 mit dem amtlichen Kennzeichen X-XX XXXX auf der Hans-Bredow-Straße in Richtung E.damm. Mit ihr auf dem Beifahrersitz fuhr die Zeugin A. An der Kreuzung zur T.straße beabsichtigte die Klägerin, einen sogenannten U-Turn zu tätigen, um die Fahrt auf der Hans-Bredow-Straße in entgegengesetzter Richtung fortzusetzen. Sie hielt an der rot zeigenden Lichtzeichenanlage. Vor ihr stand das von der Beklagten zu 1.) gefahrene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX XXX, welches bei der Beklagten zu 2.) haftpflichtversichert ist. Nachdem die Lichtzeichenanlage auf Grün umschaltete fuhren beide Fahrzeuge an. Kurze Zeit später bremste das Beklagtenfahrzeug und das Klägerfahrzeug fuhr auf. Der weitere Unfallverlauf ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin nahm ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch.

Sie beziffert ihren Schaden wie folgt:

  • Selbstbehalt 500,00 €
  • Pauschale 25,00 €
  • Höherstufungsschaden 1.081,24 €“

Die Klägerin hat in erster Instanz behauptet, die Beklagte zu 1.) habe das U-Turn-Manöver in einem sehr engen Winkel durchgeführt und sei dabei links über die durchgezogene Linie gefahren. Sie selbst habe das Fahrmanöver entsprechend der Fahrbahnmarkierung durchgeführt. Nachdem das Fahrmanöver fast vollständig durchgeführt worden sei, habe die Beklagte zu 1.) ohne erkennbaren Grund völlig überraschend eine Vollbremsung durchgeführt. Die Klägerin habe nicht mehr rechtzeitig reagieren können, sodass es zur Kollision der Fahrzeuge gekommen sei. Gegenüber der Polizei habe die Beklagte zu 1.) angegeben, sie sei aufgrund der unübersichtlichen Kreuzung in Panik geraten und habe deshalb eine Vollbremsung durchgeführt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zunächst beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.606,24 € nebst Zinsen hierauf i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2018 zu zahlen, sowie die Klägerin von ihren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 571,44 € freizustellen.

Die Klägerin hat in erster Instanz ihren Antrag umgestellt und beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 525,00 € zu zahlen nebst Zinsen hierauf i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2018.

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, an die Klägerin den durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 10.11.2018 entstandenen Höherstufungsschaden bei Ihrer Kaskoversicherung (Versicherung1) von bis zu 1.081,24 € zu zahlen.

3. die Klägerin von ihren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 571,44 € freizustellen.

Die Beklagten haben in erster Instanz beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben erstinstanzlich behauptet, die Beklagte zu 1.) habe verkehrsbedingt abbremsen müssen, da ihr Fahrzeuge entgegengekommen seien. Sie sind der Auffassung, die Klägerin sei schon nicht aktiv legitimiert.

Das Amtsgericht hat zum Hergang des Verkehrsunfalls die Klägerin und die Beklagte zu 1.) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin A. Das Amtsgericht hat dann die Klage mit Urteil vom 08.07.2020 abgewiesen.

In dem Urteil hat das Amtsgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt:

„Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat schon nicht hinreichend dargelegt, dass sie für die von ihr geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagten aktivlegitimiert ist.

Nach der ursprünglich aufgestellten pauschalen Behauptung, Eigentümerin des Klägerfahrzeugs zu sein hat die Klägerin diesen Vortrag fallen gelassen indem sie nun dem Bestreiten der Beklagtenseite nicht entgegengetreten ist und vorgetragen hat, das Fahrzeug sei sicherungsübereignet an Mercedes Benz, über welche das Fahrzeug finanziert ist. Mercedes-Benz ist dementsprechend Eigentümerin, die Klägerin lediglich Besitzerin, Halterin und Versicherungsnehmerin des Fahrzeugs.

Aktivlegitimiert für die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches wegen Beschädigung eines Fahrzeugs bei einem Verkehrsunfall gemäß §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, § 823 BGB ist nur derjenige, der als unmittelbar Unfallbetroffener in den Schutzbereich dieser Vorschriften einbezogen ist (vgl. Landgericht Nürnberg-Fürth, Urteil vom 20.01.2017 – Az.: 8 O 2097/16).

Danach ergeben sich Ansprüche allein aus der Haltereigenschaft oder der Eigenschaft als Versicherungsnehmer grundsätzlich nicht. Anspruchsberechtigt bei Sachschäden ist im Regelfall der Eigentümer. Er ist derjenige, der den Substanzschaden an der ihm gehörenden Sache erlitten hat und damit alle verbundenen Schäden wie die Reparaturkosten und Wertminderung geltend machen kann. Auch der berechtigte unmittelbare Besitzer kann Schadensersatzansprüche haben, aber nur solche, die durch Eingriffe in das Recht zum Besitz, Gebrauch und Nutzung verursacht worden sind, also den Nutzungsschaden wie Nutzungsausfall oder Mietwagenkosten. Gegebenenfalls kommt auch in Betracht einen sogenannten Haftungsschaden geltend zu machen, den der unmittelbare Besitzer selbst dem mittelbaren Besitzer oder Eigentümer wegen der Beschädigung der Sache bezahlen muss.

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat die Klägerin trotz mehrfachen Hinweis des Gerichts schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass sie aktivlegitimiert für die von ihr geltend gemachten Ansprüche gegenüber den Beklagten ist. Trotz Hinweis ist von der Klägerin kein weitergehender substantiierter Vortrag zu ihrem rechtlichen Verhältnis gegenüber der Sicherungseigentümerin vorgebracht worden. Auch eine Prozessführungsbefugnis wurde nicht dargelegt, eine Abtretung nicht behauptet.

Die Klägerin macht im vorliegenden Fall den von ihr an ihre Versicherung gezahlten Selbstbehalt und den Höherstufungsschaden gelten. Damit macht sie keine Ansprüche geltend, die sich aus ihrer Eigenschaft als unmittelbare Besitzerin ableiten lassen. Die Klägerin trägt auch nicht dazu vor, wie ihr Verhältnis zur Eigentümerin (Mercedes-Benz) ausgestaltet ist und ob gegebenenfalls ein etwaiger Haftungsanspruch bestehen könnte.

Die Beklagten müssen vor einer doppelten Inanspruchnahme geschützt werden. Mercedes-Benz kann als Eigentümerin sämtliche Substanzschäden gegenüber den Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls geltend machen. Der Umstand, dass gegebenenfalls Mercedes-Benz als Eigentümerin eine vollständige oder teilweise Schadloshaltung dadurch erlangt hat, dass die Klägerin ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen hat, führt ohne weitere Darlegungen seitens der Klägerin nicht dazu, dass die Klägerin nun die Ansprüche von Mercedes-Benz gegenüber den Beklagten gelten kann. Grundsätzlich ist es eine freie Entscheidung der Klägerin ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen. Sie hat sich damit zunächst selbst geschädigt in Höhe des hier nun geltend gemachten Schadens und der durch den Verkehrsunfall primär Geschädigten (also die Sicherungseigentümerin) einen Teil des Schadens ersetzt. Die Klägerin hat weder Vortrag dahingehend gebracht, dass sie gegebenenfalls mit Fremdtilgungswillen für die Beklagten an die Eigentümerin geleistet hat und insoweit bereicherungsrechtliche Ansprüche in Betracht kommen könnten noch, weitere Angaben zu ihrem Rechtsverhältnis zu Mercedes-Benz oder einem etwaigen Rechtsverhältnis zu den Beklagten gemacht. Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich vielmehr, dass sie offensichtlich keinen Fremdtilgungswillen hatte, sondern in der irrigen Annahme ihre Versicherung in Anspruch nahm, da sie meinte hierzu verpflichtet zu sein. Ohne Ihren weiteren Vortrag ist aber rechtlich davon auszugehen, dass die Klägerin insoweit gehalten sein dürfte sich mit ihrem Schaden an die Eigentümerin auf der Grundlage des zwischen ihr und der Eigentümerin bestehenden Rechtsverhältnisses zu wenden und insoweit die Eigentümerin den bei ihr verbleibenden Schaden gegenüber den Beklagten geltend machen kann.

Die geltend gemachte Nebenforderung besteht mangels Anspruch auf die Hauptleistung nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, § 708 Nr. 11, 711 ZPO.“

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird ergänzend auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO).

Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.07.2020 zugestellt worden (Bl. 80 d.A.). Die Klägerin hat gegen das Urteil des Amtsgerichts Bremen durch ihren Prozessbevollmächtigten Berufung einlegen lassen, die unter dem 14.08.2020 bei Gericht eingegangen ist (Bl. 90 d.A.). Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten, eingegangen am 26.10.2020 bei Gericht, hat die Klägerin ihre Berufung in der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Die Klägerin greift unter Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags das Urteil des Amtsgerichts Bremen an und beantragt in zweiter Instanz,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 525,00 € zu zahlen nebst Zinsen hierauf i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2018.

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, an die Klägerin den durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 10.11.2018 entstandenen Höherstufungsschaden bei Ihrer Kaskoversicherung (Versicherung1) von bis zu 1.081,24 € zu zahlen.

3. die Klägerin von ihren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 571,44 € freizustellen.

Der Beklagten verteidigen unter Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens das angegriffene Urteil und beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Unfallrekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Phys. T. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 10.11.2020 sowie die schriftliche Zusammenfassung des Sachverständigen vom 04.06.2020 verwiesen.

Die Kammer hat zu Informations- und Beweiszwecken die polizeiliche Unfallakte zu Vorgangsnummer 228686/2018 beigezogen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete, also zulässige Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) der Klägerin hat in der Sache in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

1.

Soweit das Amtsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung darauf abgestellt hat, dass nicht positiv festzustellen sei, dass die Klägerin wegen geltend gemachter Substanzschäden am Eigentum „Auto“ aktiv legitimiert wäre, ist die Entscheidung des Amtsgerichts Bremen nicht zu beanstanden.

Die Klägerin war – entgegen dem anderslautenden Vortrag in der Klage – im Unfallzeitpunkt nicht Eigentümerin des streitgegenständlichen Mercedes-Benz. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt sicherungsübereignet. Eigentümer war im Zeitpunkt des Unfalles (Substanzverletzung) die finanzierende Bank. Daher war hinsichtlich der Schäden am Eigentum die finanzierende Bank aktiv legitimiert. Eine Abtretung oder eine Ermächtigung der Bank bzw. eine aus den Darlehensbedingungen/Sicherungsübereignung folgende Ermächtigung war und ist nicht vorgetragen. Der nachträgliche Eigentumserwerb nützt der Klägerin nichts, da es hinsichtlich der Entstehung des Anspruches auf den Zeitpunkt der Eigentumsbeeinträchtigung ankommt. Dass mit dem nachträglichen Eigentumserwerb bereits in der Vergangenheit entstandenen Ansprüche übertragen worden sind, ist weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich.

2.

Der Selbstbehalt stellt keine eigenständige Schadensposition dar, sondern lediglich ein Abzug von kongruenten Schadenspositionen.

Mangels konkretem Vortrag, von welcher Schadensposition der Selbstbehalt durch die Vollkaskoversicherung abgezogen worden ist, ist nicht positiv festzustellen sein, dass der Selbstbehalt sich nicht auf die Instandsetzungskosten, d.h. die Substanzbeschädigung selbst, bezieht. Daher war auch diese Schadensposition nicht zugunsten der Klägerin in die Schadensberechnung einzustellen.

3.

Da die Klägerin aufgrund des Finanzierungsvertrages und der Sicherungsübereignung berechtigte Besitzerin war, ist sie nach Auffassung der Kammer anspruchsberechtigt, soweit ihr Besitzrecht beeinträchtigt worden ist.

Aufwendungen, um die uneingeschränkte Nutzungsbeeinträchtigung abzuwehren, sind nach Auffassung der Kammer ersetzbar. Bei Verletzung eines Besitzrechtes an einem Kfz, z.B. bei einem Leasingvertrag, kann der berechtigte Besitzer als Verletzter i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG den Schaden ersetzt verlangen, der durch den Eingriff in sein Recht zum Besitz entstanden ist. Hierzu zählen in erster Linie der Nutzungsschaden (hier Nutzungsausfallschaden), aber auch die Auslagenpauschale sowie die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 02. April 2019 – I-1 U 108/18 –, Rn. 36, juris). Damit einhergehend ist der Klägerin ihr Rückstufungsschaden in der Vollkaskoversicherung zu erstatten sein, da die Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung der Wiederherstellung des uneingeschränkten Besitzrechtes gedient hat (so im Ergebnis auch bei OLG Düsseldorf, Urteil vom 02. April 2019 – I-1 U 108/18 –, Rn. 34, juris).

Der Höherstufungsschaden ist eine inkongruente Position und wird deshalb lediglich in Höhe der Haftungsquote ersetzt (OLG München 23.3.18 – 10 U 2647/17 –; OLG Celle 3.2.11 – 5 U 171/10 –; BGH 25.4.06 – VI ZR 36/05 –). Grundsätzlich ist zu seiner Geltendmachung nur die Feststellungsklage zulässig, es sei denn, die geltend gemachten Nachteile sind bereits eingetreten. Dass die Versicherungen ohne weiteres die Prämiennachteile für die Zukunft berechnen können, ist dafür unerheblich. Denn es ist überhaupt nicht absehbar, ob der Geschädigte diesen Prämiennachteil in vollem Umfang tragen muss (z.B. bei vorzeitigem Verkauf des KFZ). Die Geltendmachung des Höherstufungsschadens ist nicht etwa deswegen ausgeschlossen, weil der Geschädigte angesichts der auf ihn entfallenden Quote ohnehin die Rückstufung erlitten hätte.

Bei der Auslagenpauschale handelt es sich um eine inkongruente Schadensposition, die bei Inanspruchnahme der Vollkasko „nur“ in Höhe der Haftungsquote ersetzt wird.

4.

Im vorliegenden Fall ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme von einer Haftungsquote von 50% auszugehen.

Das von der Klägerin gehaltene Fahrzeug ist bei dem streitgegenständlichen Unfall vom 10.10.2018 auf der Habenhauser Brückenstraße in Bremen durch den von der Beklagten zu 1) gehaltenen und geführten Skoda beschädigt worden.

Die Beklagte zu 1) haftet der Klägerin gegenüber als Halter ihres Skoda (§ 7 StVG). Die Beklagte zu 2) haftet der Klägerin gegenüber nach § 115 VVG als Haftpflichtversicherer des Skoda. Mangels höherer Gewalt lag für die Beklagten kein Haftungsausschluss aus § 7 Abs. 2 StVG vor. Sie konnten auch nicht beweisen, dass der Unfall unabwendbar (§ 17 Abs. 3 StVG) gewesen ist (s.u.).

Der Klägerin haftet der Beklagten zu 1) gegenüber als Halter des Mercedes (§ 7 StVG). Mangels höherer Gewalt lag für die Klägerin auch kein Haftungsausschluss aus § 7 Abs. 2 StVG vor. Sie konnte auch nicht beweisen, dass der Unfall unabwendbar (§ 17 Abs. 3 StVG) gewesen ist (s.u.).

Nachdem für beide unfallbeteiligten Parteien die Haftung aus Betriebsgefahr grundsätzlich gegeben ist, war im Rahmen der Haftungsabwägung nach §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG zu prüfen, inwieweit die jeweilige Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge aufgrund besonderer Umstände erhöht ist. Hierbei dürfen aber nur Umstände berücksichtigt werden, die sich auf die Schadensentstehung oder –höhe tatsächlich ausgewirkt haben (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2000, Az.: VI ZR 126/99, Rz. 23 zit. n. juris, abgedruckt in NJW 2000, 3069). Ferner gilt der Grundsatz, dass jeder Halter die Umstände beweisen muss, die zu Ungunsten des Anderen berücksichtigt werden sollen (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.1996, Az.: VI ZR 126/95, Rz. 11 zit n. juris, abgedruckt in NJW 1996, 1405; Kirchhoff MDR 1998, 12). Nur zugestandene oder bewiesene Tatsachen durften berücksichtigt werden.

Bei der Überzeugungsbildung hat die Kammer zu Grunde gelegt, dass es für den Vollbeweis keiner absoluten oder unumstößlichen Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit bedarf, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 16.04.2013, Az.: VI ZR 44/12, Rz. 8, zit. n. juris). Die Überzeugung von der Wahrheit erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit, weil eine solche nicht zu erreichen ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.06.1998, Az.: IX ZR 311/95, Rz.28, zit. n. juris).

Nach Anhörung der unfallbeteiligten Fahrer und dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen sowie durch Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens war der Unfallablauf für die Kammer nicht mit der notwendigen Sicherheit dahingehend aufzuklären, dass von einem sicheren Kollisionsort und eine einem als feststehenden vorkollisionären Fahrverhalten der unfallbeteiligten Fahrer auszugehen wäre. Insbesondere nach den technischen Feststellungen des Sachverständigen sind mehrere Varianten denkbar, ohne dass auf eine Variante zwingend zu schließen wäre. Da die behauptete Bremsung des Skoda technisch nicht feststellbar ist, war auch die Unfalldarstellung der Klägerseite nicht ohne Weiteres zu übernehmen. Dass, aus welchem Grund und in welchem Maß der Skoda bei dem U-Turn verlangsamt/gebremst worden ist, ist weder positiv noch negativ nachzuhalten.

Die Ausführungen des Sachverständigen waren anhand der vorgelegten Anknüpfungstatsachen, insbesondere den Schadensbildern, für die Kammer nachzuvollziehen. Der Sachverständige hat die berücksichtigten Anknüpfungstatsachen offengelegt und plausibel dargestellt, welche Schlüsse aus technischer Sicht zu ziehen waren. Hierbei hat er nachvollziehbar dargelegt, inwieweit das dokumentierte Beschädigungsbild technisch zu bewerten war. Anhaltspunkte, warum dem Sachverständigen nicht zu folgen wäre, liegen aus Sicht der Kammer nicht vor.

Aufgrund eines Anscheinsbeweises war ebenfalls nicht auf ein Verschulden eines unfallbeteiligten Fahrzeugführers zu schließen.

Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2010 – VI ZR 33/09 –, Rn. 8, juris). Der Anscheinsbeweis ist eine Ausprägung der richterlichen Beweiswürdigung iSd § 286 ZPO. Danach muss der Richter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Richtigkeit einer Tatsache überzeugt sein. Eine solche Überzeugung kann gewonnen werden, wenn bei typischen Geschehensabläufen aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten geschlossen werden kann. Ein solcher Erfahrungssatz muss hinreichend tragfähig sein, ihm braucht zwar kein zwingender Beweiswert zukommen, es ist auch nicht erforderlich, dass er wissenschaftlich verifizierbar ist. Er muss aber eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Geschehensablauf begründen. Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10 –, BGHZ 192, 84-90, Rn. 7). Bei der als atypisch zu bezeichnenden Verkehrslage ist nach Auffassung der Kammer nicht auf einen Anscheinsbeweis zu schließen.

Eine Unabwendbarkeit iSd § 17 Abs. 3 StVG für einen Unfallbeteiligten war demnach auch nicht positiv festzustellen. Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2005, Az.: VI ZR 68/04, Rz. 21 zit. n. juris, abgedruckt in NJW 2006, 896 m.w.N.). Die Haftung aus § 7 StVG ist nicht wie die Haftung aus § 823 BGB Haftung aus Verhaltensunrecht, sondern sie bezweckt den Ausgleich von Schäden aus den Gefahren auch eines zulässigen Kraftfahrzeugbetriebs. § 17 Abs. 3 StVG stellt deshalb nicht einem verkehrswidrigen Verhalten das im Straßenverkehr vom Kraftfahrer zu verlangende gegenüber, sondern sein Maßstab hat die Gefahren aus dem Betrieb des Kraftfahrzeugs, für die die Gefährdungshaftung eintreten soll, auszugrenzen gegenüber fremden Gefahrenkreisen, für die, wenn sie sich im Schadensereignis aktualisieren, die Gefährdungshaftung nach ihrem Sinn und Zweck nicht mehr gerechtfertigt erscheint (vgl. BGH, aaO). Dabei darf sich die Prüfung aber nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein „Idealfahrer“ reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre, denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (vgl. BGH, aaO). Damit verlangt § 17 Abs. 3 StVG, dass der „Idealfahrer“ in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden (vgl. BGH, aaO). Mangels Aufklärbarkeit des Unfallgeschehens ist ein Unabwendbarkeitsnachweis nicht geführt.

Bei der im Rahmen von § 17 Abs. 2 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge hat die Kammer angesichts der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr in der konkreten Verkehrslage mangels feststehendem Verschuldens eine Haftungsverteilung von 50 zu 50 vorgenommen.

In der Folge sind der Klägerin 12,50 € Unkostenpauschale zu ersetzen sowie festzustellen, dass 50% des Zukunftsschadens (Höherstufung) zu erstatten ist und freizustellen von vorgerichtliche RVG-Kosten bezogen auf den Gegenstandswert von 556,12 €.

Für die Ansprüche des Beklagten zu 1) haften die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner, § 421 BGB.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1 ZPO, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

V.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO); die Parteien haben Gründe für eine Zulassung der Revision auch selbst nicht vorgebracht.

VI.

Die Festsetzung des Streitwertes hat seine Grundlage in §§ 43, 48 GKG, §§ 3 ff. ZPO, § 511 ZPO.

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