Skip to content

„Dread-Desease“-Versicherung – Voraussetzungen der Eintrittspflicht

LG Saarbrücken, Az.: 14 O 254/12, Urteil vom 26.05.2014

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger zur Last.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Streitwert: 178.952,- Euro (§ 3 ZPO, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag über Leistungen bei bestimmten schweren Krankheiten (sog. „Dread-Desease“-Versicherung).

"Dread-Desease"-Versicherung - Voraussetzungen der Eintrittspflicht
Symbolfoto: Von pogonici /Shutterstock.com

Zwischen den Parteien besteht ein – noch von der Rechtsvorgängerin der Beklagten policierter – Versicherungsvertrag in Gestalt eines sog. „Plan for Life“-Vorsorge-Plans, Versicherungsschein Nr. … bis … (Bl. 9ff. GA). Zu den versicherten Leistungen zählt u.a. eine eigenständige Leistung bei bestimmten schweren Krankheiten in Höhe von insgesamt 300.000,- DM (= 153.387,56 Euro) „oder, falls größer, 105 Prozent des Wertes der Fondsanteile, die dem Vertrag zu diesem Zeitpunkt zugewiesen sind. Bestandteil des Vertrages sind u.a. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den „Plan for Life“ Vorsorgeplan (AVB, Bl. 23ff. GA).

Ziff. 4.1.2.3 AVB lautet:

„Ist laut Versicherungsschein oder eines Nachtrages zum Vertrag eine eigenständige Leistung bei bestimmten schweren Krankheiten versichert, so zahlt die Gesellschaft im Zeitpunkt des Leistungsanspruches wegen bestimmter schwerer Krankheiten den größeren der folgenden Beträge:

(a) die zum Zeitpunkt des Leistungsanspruches versicherte Leistung bei Eintritt bestimmter schwerer Krankheiten oder

(b) 105 Prozent des Wertes der Fondsanteile, die zu diesem Zeitpunkt dem Vertrag zugewiesen sind, zum Auflösungspreis“.

Ziff. 4.3 AVB lautet:

„Bei Leistungen unter 4.1.2 ist der Anhang 4 – „Bestimmungen zur Leistung bei bestimmten schweren Krankheiten“ zu beachten“.

Ziff. 4.4 AVB lautet:

„Bei Eintritt bestimmter schwerer Krankheiten ist der Zeitpunkt des Leistungsanspruchs der 29. Tag, nachdem ein Facharzt oder eine Fachklinik an der im Versicherungsschein genannten versicherten Person eine bestimmte schwere Krankheit (gemäß Anhang 4 – „Bestimmungen zur Leistung bei bestimmten schweren Krankheiten“) sicher diagnostiziert hat, sofern diese Person dann noch am Leben ist“.

In Anhang 4 – Bestimmungen zur Leistung bei bestimmten Krankheiten (Bl. 35ff. GA) heißt es u.a.:

„1. Definition des Begriffs „bestimmte schwere Krankheit“:

Als bestimmte schwere Krankheit werden eine oder mehrere der nachstehend definierten Erkrankungen bezeichnet: (…)

Benigner Gehirntumor: Ein lebensbedrohlicher, nicht karzinomatöser Tumor des Gehirns mit den charakteristischen Symptomen eines erhöhten Intrakranialdrucks wie Papillenoedem, psychopathologische Symptome, Anfällen und neurologischen Ausfällen, die durch einen Facharzt für Neurologie bestätigt sein müssen. Das Vorhandensein des Tumors muss durch bildgebende Untersuchungsverfahren wie Computertomographie oder Kernspintomographie nachgewiesen sein.

Zysten, Glaukome, Missbildungen von Arterien oder Venen des Gehirns, Haematome und Tumore der Hypophyse oder Wirbelsäule sind nicht eingeschlossen“.

Im Jahre 2011 wurde bei dem Kläger ein Kavernom im rechten Gyrus cinguli in einer Größe von ca. 12 mm mit direktem Anschluss an den Interhemisphärenspalt festgestellt. Am 9. September 2011 erfolgte eine operative Entfernung des Kavernoms. Mit Schreiben vom 23. März 2011 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Leistungsansprüche geltend. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 17. August 2011 ihre Eintrittspflicht abgelehnt.

Der Kläger behauptet, der Versicherungsfall in der Versicherung bei bestimmten schweren Krankheiten sei durch die bei ihm erhobene Diagnose eines Kavernoms eingetreten. Dieser falle unter die Definition eines „benignen Gehirntumors“ im Sinne des Anhanges 4 der Versicherungsbedingungen, was u.a. daraus folge, dass der Kläger im Vorfeld der Entfernung des Kavernoms mehrere cerebrale Krampfanfälle erlitten habe, so u.a. am 11. März 2011.

Der Kläger, der mit seiner Klage ursprünglich noch weitere Versicherungsleistungen zugunsten seiner mitversicherten Kinder in Höhe von zwei Mal 12.782,30 Euro geltend gemacht, die Klage insoweit jedoch zurückgenommen hat, beantragt zuletzt (Bl. 2, 211 GA):

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 153.387,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 2.714,03 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt (Bl. 61, 211 GA), die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Eintrittspflicht nicht für gegeben, da es sich bei dem am Kläger diagnostizierten Kavernom ihrer Auffassung nach schon nicht um einen Tumor handele, dieser aber jedenfalls nicht lebensbedrohlich sei. Überdies handele es sich bei dem Kavernom um eine Gefäßmissbildung, die unter den Begriff der „Missbildungen von Arterien oder Venen des Gehirns“ falle und auch aus diesem Grunde nicht vom Versicherungsschutz erfasst werde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen … vom 10. Juni 2013 und vom 29. November 2013 (Bl. 99ff., 164ff. GA) sowie auf das Protokoll der mündlichen Erläuterung vom 28. April 2014 (Bl. 207ff. GA) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist nicht begründet.

Die vom Kläger mit seiner Klage zuletzt geltend gemachten Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag bestehen nicht, da der Kläger nicht bewiesen hat, dass der Versicherungsfall in der Versicherung über Leistungen bei bestimmten schweren Krankheiten eingetreten ist.

1.

Gegenstand des durch den streitgegenständlichen Vertrag gewährten Versicherungsschutzes ist u.a. eine Leistung bei bestimmten schweren Krankheiten in Höhe von insgesamt 153.387,56 Euro. Voraussetzung der Leistungspflicht der Beklagten ist nach den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen (Ziff. 4 AVB) insbesondere der Eintritt „bestimmter schwerer Krankheiten“ bei der versicherten Person. Die unter den Versicherungsschutz fallenden „bestimmten schweren Krankheiten“ werden in Anhang 4 der Versicherungsbedingungen, auf den Ziff. 4.3 AVB verweist, im Einzelnen definiert. Dem Wesen dieser Versicherungsart entsprechend, stets nur „bestimmte“ Krankheiten zu versichern (vgl. Schneider, in: Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., Vor § 150 Rn. 38), ist die dortige Aufzählung abschließend und einer erweiterten Auslegung nicht zugänglich. Außerdem muss der jeweilige Zustand gemäß der entsprechenden Definition von einem Facharzt oder einer Fachklinik eindeutig diagnostiziert und durch entsprechende Nachweise bestätigt worden sein.

2.

Der Kläger, der geltend macht, an einer versicherten Krankheiten – hier: einem „benignem Gehirntumor“ – zu leiden, hat nicht bewiesen, dass die bedingungsgemäßen Voraussetzungen einer unter den Versicherungsschutz fallenden Erkrankung entsprechend der in den Versicherungsbedingungen für diese Erkrankung festgeschriebenen Definition in seiner Person vorliegen:

a)

Ausweislich Anhang 4 der Versicherungsbedingungen gilt als „bestimmte schwere Krankheit“ u.a. das Vorliegen eines „benignen Gehirntumors“ nach Maßgabe folgender Definition: „Ein lebensbedrohlicher, nicht karzinomatöser Tumor des Gehirns mit den charakteristischen Symptomen eines erhöhten Intrakranialdrucks wie Papillenoedem, psychopathologische Symptome, Anfällen und neurologischen Ausfällen, die durch einen Facharzt für Neurologie bestätigt sein müssen. Das Vorhandensein des Tumors muss durch bildgebende Untersuchungsverfahren wie Computertomographie oder Kernspintomographie nachgewiesen sein. Zysten, Glaukome, Missbildungen von Arterien oder Venen des Gehirns, Haematome und Tumore der Hypophyse oder Wirbelsäule sind nicht eingeschlossen“. Jedenfalls die ersten beiden Sätze dieser Definition stellen primäre Risikobeschreibungen dar, da sie die Voraussetzungen, unter denen Versicherungsschutz zu gewähren ist, positiv umschreiben, mit der Folge, dass der Kläger für das Vorliegen dieser Voraussetzungen nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast trägt (Prölss, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 1 Rn. 115). Demgegenüber beschreibt Satz 3 der Definition einzelne, negative Komponenten der versicherten Erkrankung, die aus dem Versicherungsschutz herausgenommen werden und deren Voraussetzungen dementsprechend von der Beklagten bewiesen werden müssten (vgl. BGH, Urt. v. 10. März 2004 – IV ZR 169/03, VersR 2004, 591). Für den Beweis gilt jeweils der Maßstab des § 286 ZPO; danach muss das Gericht von der zu beweisenden Tatsache überzeugt sein, was einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit erfordert, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urt. v. 14. Januar 1993 – IX ZR 238/91, NJW 1993, 935).

b)

Im Streitfall scheitert die Klage bereits daran, dass der Kläger den ihm obliegenden Nachweis der Voraussetzungen des behaupteten Versicherungsfalles nicht führen konnte. Nach dem Ergebnis der vom Gericht angeordneten Begutachtung liegen wesentliche Voraussetzungen für die Annahme eines „benignen Gehirntumors“ im Sinne der vorgenannten Definition bei dem Kläger nicht vor:

aa)

Der gerichtlich bestellte Sachverständige … hat in seinem zur Beweisfrage eingeholten Gutachten eingehend und nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei dem im Jahre 2011 diagnostizierten und in der Folge operativ entfernten Kavernom im rechten Gyrus cinguli zwar um einen „gutartigen Tumor“ im medizinischen Sinne handele, der allerdings nicht unter die vorgegebene Definition des „benignen Gehirntumors“ aus den Versicherungsbedingungen der Beklagten falle, da weitere Voraussetzungen dieser Definition bei dem Kläger nicht festzustellen seien:

(1)

Zwar könne die Diagnose eines cavernösen Hämagioms (= Kavernoms) – und damit eines Tumors – bei dem Kläger als gesichert gelten; dies folge aus der kernspintomographischen Befundlage, die durch einen histopathologischen Befund abgesichert worden sei (Bl. 106 GA). Im Regelfall – und so auch hier – handele es sich bei derartigen Erkrankungen jedoch nicht um „lebensbedrohliche“ Tumore des Gehirns. Bei einem – wie hier – symptomatischen, gut behandlungsfähigen Kavernom handele es sich per se eher nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung, wenngleich ein unglücklicher Verlauf mit einer seltenen massiven Blutung bei beispielsweise problematischer Lokalisation des kavernösen Hämangions durchaus „im minderwahrscheinlichen Einzelfall theoretisch zu einem lebensbedrohlichen Verlauf führen könnte, wie dies auch bei zahlreichen anderen, grundsätzlich anzunehmenderweise heutzutage nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen (z.B. Influenza, Blinddarmentzündung) im Einzelfall geschehen könnte“ (Bl. 107 GA). Das Risiko einer solchen Erstblutung hat der Sachverständige unter Auswertung der hierzu verfügbaren medizinischen Literatur mit weniger als 3 Prozent beziffert (Bl. 210 GA; s. auch Bl. 107 GA: 0,25 bis 3,1 Prozent). In Bezug auf die Person des Klägers seien Anhaltspunkte für ein erhöhtes Risiko nicht festzustellen (Bl. 107 GA). Eine Hirnblutung sei auf der Grundlage der vorliegenden Befunde nicht feststellbar; bei dem Kläger diagnostizierte Mikroblutungen, sog. Hämosiderinablagerungen, stellten einen nahezu regelhaften Befund – „typischer Randsaum“ – dar, der von einer – vom Kläger behaupteten – innerzerebralen Blutung unterschieden werden müsse (Bl. 209 GA). Eine stattgehabte Hirnblutung sei auch im Nachhinein noch nachweisbar, und zwar weniger durch das Hämosiderin als durch die neurologischen Schädigungen, die daraus zu erkennen seien, dass sie strukturelle Schädigungen hinterließen, die über längere Zeit noch vorhanden seien, wofür hier jedoch keine Anhaltspunkte vorlägen.

(2)

Auch die in den Versicherungsbedingungen genannten weiteren Voraussetzungen der Definition des Versicherungsfalles in Gestalt von „charakteristischen Symptomen eines erhöhten Intrakranialdrucks wie Papillenoedem, psychopathologische Symptome, Anfällen und neurologischen Ausfällen, die durch einen Facharzt für Neurologie bestätigt sein müssen“, seien beim Kläger nicht feststellbar. Aus den seinerzeit erhobenen klinischen Befunden und Resultaten der cerebralen Bildgebung zeige sich „zweifelsfrei keine Hirndrucksymptomatik“ (Bl. 108 GA). Insbesondere attestiere auch die präoperative kernspintomographische Kontrolluntersuchung der Universitätsklinik Heidelberg eine seinerzeit „unveränderte Befundlage“ und damit ein Fehlen von Progredienz und Hindruckentwicklung (a.a.O.). Entsprechendes gelte für die in der Definition genannten Symptome (Papillenoedem, psychopathologische Symptome, Anfälle und neurologische Ausfälle). Soweit es bei dem Kläger zu epileptischen Anfällen gekommen sei, seien diese zwar mit einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ (Bl. 109 GA), „überwiegend wahrscheinlich, aber keineswegs absolut sicher“ (Bl. 108 GA), ursächlich dem Kavernom zuzuordnen, erklärbar durch eine lokale Herabsetzung des neuronalen Erregbarkeitsniveaus. Der kausale Entstehungsmechanismus sei aber ein anderer als der eines erhöhten Intrakranialdruckes (Bl. 109 GA). Ursache sei vielmehr nach gängiger neuropathischer Lehrmeinung das Auftreten kleiner Eisen- (Hämosiderin-)ablagerungen infolge von häufigen und klinisch aber symptomlosen sog. Mikroblutungen von ätiopathogenetischer Relevanz, nicht aber einer hypostasierter Hirndruck (Bl. 108 GA). Auch müsse das Kavernom nicht die alleinige Ursache des Krampfanfalles sein; vielmehr verhalte es sich lediglich in der Praxis so, dass bei vielen Menschen das Kavernom zunächst nicht auffällig sei, diese in der Folge einen Krampfanfall erlitten und im Rahmen der dadurch veranlassten Abklärung das Kavernom entdeckt werde, während der Krampfanfall durchaus auch andere Ursachen haben könne (Bl. 209 GA).

bb)

Damit hat der Kläger nicht bewiesen, dass der Versicherungsfall – hier in Gestalt eines „benignen Gehirntumors“ als versicherter „bestimmter schwerer Krankheit“ eingetreten ist. Denn es lässt in Ansehung maßgeblicher, von der Definition dieser Erkrankung in den Versicherungsbedingungen aufgestellter Voraussetzungen nicht feststellen, dass diese im Streitfall tatsächlich vorliegen.

(1)

Für das Verständnis der durch die Versicherungsbedingungen vorgegeben Definition einer versicherten Krankheit ist – wie dem Sachverständigen vor Erläuterung seines Gutachtens (Bl. 208 GA) dargelegt wurde – nach allgemeinen Grundsätzen auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse abzustellen (BGH, Urt. v. 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83). Deshalb ist grundsätzlich entscheidend, wie der Kläger die Bedingungen bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen musste, nicht hingegen, was sich der Verfasser dieser Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte (BGH, Urt. v. 9. Juli 2003 – IV ZR 74/02, VersR 2003, 1163). Maßgeblich für das Verständnis verwendeter Begriffe ist grds. der allgemeine Sprachgebrauch; allein fest umrissene Rechtsbegriffe sind entsprechend ihrer Bedeutung in der Rechtssprache zu verstehen, sofern nicht das allgemeine Sprachverständnis von der Rechtssprache in einem Randbereich deutlich abweicht oder der Sinnzusammenhang der Versicherungsbedingungen etwas anderes ergibt (vgl. BGH, Urt. v. 21. Mai 2003 – IV ZR 327/02, VersR 2003, 1122). Für medizinische (Fach-)begriffe gilt im Grundsatz nichts Anderes. Auch hier ist auf die fachwissenschaftliche Bedeutung abzustellen, soweit nicht der allgemeine Sprachgebrauch den verwendeten Begriffen einigermaßen bestimmte, von der Fachterminologie abweichende Bedeutung verliehen hat und der in Frage stehende Begriff nicht erkennbar aus der Fachwissenschaft übernommen wurde (OLG Karlsruhe, VersR 1993, 1221; Prölss, in: Prölss/Martin, a.a.O., Vorbem. III Rn. 9; vgl. auch OLG Oldenburg, VersR 2010, 752). Da Risikobeschreibungen in Versicherungsbedingungen allerdings nicht dazu dienen können, medizinische Streitfragen zu schlichten, ist bei divergierenden Auffassungen über das Verständnis eines (Fach-)Begriffs im Zweifel auf das – dem Versicherungsnehmer erkennbare – hergebrachte Verständnis abzustellen (vgl. Prölss, in: Prölss/Martin, a.a.O., Vorbem. III Rn. 10).

(2)

In Anwendung dieser Grundsätze genügt im Streitfall für das Vorliegen einer versicherten Erkrankung nicht schon die – durch den Sachverständigen bestätigte – Annahme, der Kläger leide (oder litt) an einem „gutartigen Hirntumor“. Denn die in Anhang 4 der Versicherungsbedingungen enthaltene Definition dieser Erkrankung erfordert darüber hinaus – für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar – weitere Voraussetzungen, die kumulativ gegeben sein müssen. So wird durch die Beigabe eines entsprechenden Adjektivs zunächst gefordert, dass der nicht karzinomatöse Tumor des Gehirns „lebensbedrohlich“ sein müsse; außerdem müsse er die „charakteristischen Symptome eines erhöhten Intrakranialdrucks wie Papillenoedem, psychopathologische Symptome, Anfälle und neurologischen Ausfälle“ aufweisen. Diese weiteren Voraussetzungen haben nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme beim Kläger jedoch nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit vorgelegen:

(a)

Das beim Kläger diagnostizierte Kavernom kann nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung nicht als „lebensbedrohlich“ erachtet werden. Als durchschnittlicher Versicherungsnehmer muss der Kläger unbeschadet seiner beruflichen Qualifikation – er ist selbst Arzt – das Erfordernis einer „lebensbedrohlichen“ Erkrankung dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend dahin verstehen, dass eine solche nur dann vorliegt, wenn sie sich im konkreten Fall als unmittelbare Bedrohung für das Leben des Betroffenen darstellt; dies entspricht auch dem Verständnis des Gesetzgebers zu entsprechenden Rechtsbegriffen im Sozialversicherungsrecht (vgl. § 2 Abs. 1a SGB V; dazu BT-Drucks. 17/6906, S. 53) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung, wonach dies bedeute, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen müsse, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde (vgl. BSG, Urt. v. 14. Dezember 2006 – B 1 KR 12/06 R, ASR 2007, 82; BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 26. März 2014 – 1 BvR 2415/13, juris). Dass ein solcher Fall hier vorgelegen hätte, lässt sich dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung indes nicht einmal ansatzweise entnehmen, nachdem der Sachverständige ausführt, dass das hier gegenständliche Kavernom – allgemein – nicht lebensbedrohlich sei und nur – wie andere an sich nicht lebensbedrohliche Erkrankungen auch – bei unglücklichem Verlauf „im minderwahrscheinlichen Einzelfall theoretisch“ zu einem lebensbedrohlichen Verlauf führen könne, dieses Risiko allerdings weniger als 3 Prozent betrage und – konkret – in Bezug auf den Kläger Anhaltspunkte für ein solches erhöhtes Risiko nicht festzustellen seien (Bl. 107 GA).

(b)

Ebenso wenig hat der Kläger bewiesen, dass die weiteren von den Versicherungsbedingungen als Voraussetzung normierten „charakteristischen Symptome eines erhöhten Intrakranialdrucks wie Papillenoedem, psychopathologische Symptome, Anfälle und neurologische Ausfälle“ im Streitfall vorgelegen hätten. Der Kläger hat zu diesem Zweck auf mehrere von ihm im Vorfeld der Operation angeblich erlittene „Krampfanfälle“ verwiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich indes schon nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass diese – behaupteten – Anfälle, wie von den Versicherungsbedingungen gefordert, überhaupt ursächlich auf das Kavernom zurückzuführen sind, und ebenso wenig ist ersichtlich, dass hierfür ein – beim Kläger nicht festgestellter – erhöhter Hirndruck verantwortlich wäre. Aus der in der Definition des Versicherungsfalles gewählten Formulierung, wonach es sich um einen Tumor „mit den charakteristischen Symptomen eines erhöhten Intrakranialdrucks, wie … neurologischen Ausfällen“ handelt muss, wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer der geforderte Ursachenzusammenhang, wonach die „charakteristischen Symptome“ aus dem Vorhandensein des Tumors und, hierdurch bedingt, einem erhöhten Interkranialdruck resultieren müssen, deutlich vor Augen geführt. Dass diese Voraussetzungen hier gegeben waren, vermochte der Sachverständige indes – wie bereits oben dargestellt – nicht zu erkennen. Vielmehr besteht nach seinen Ausführungen schon keine notwendige Kausalität zwischen dem Kavernorm und den vom Kläger dargestellten Anfällen, die zwar möglicherweise auf dieser, jedoch auch auf anderen Ursachen beruhen können. Jedenfalls lasse sich erhöhter Hirndruck, der für die behaupteten Anfälle verantwortlich zeichne, bei dem Kläger nicht nachweisen.

c)

Kann damit nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit angenommen werden, dass das beim Kläger diagnostizierte Kavernom die Voraussetzungen eines lebensbedrohlichen Tumors mit den charakteristischen Symptomen eines erhöhten Intrakranialdrucks erfüllte, so fehlt es im Streitfall an den zur Begründung des Versicherungsfalles erforderlichen Voraussetzungen einer „bestimmten schweren Krankheit“ in der Gestalt eines „benignen Gehirntumors“ gemäß der Definition in Anhang 4 der Versicherungsbedingungen. Eine Eintrittspflicht der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag scheidet damit schon aus diesem Grunde aus. Keiner Entscheidung bedarf daher, ob das hier gegenständliche Kavernom – wie von der Beklagten ergänzend behauptet – auch zu den in Satz 3 der Definition erwähnten „Missbildungen von Arterien oder Venen des Gehirns“ zählt und der Versicherungsschutz daher auch aus diesem Grunde im Streitfall ausgeschlossen wäre.

3.

Da sich die Beklagte mangels eines ihr gegenüber bestehenden Anspruchs auf die Versicherungsleistung bei Erteilung des Mandats an den klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht mit der Leistung im Verzug befand (§ 286 Abs. 1 BGB), hat der Kläger schon aus diesem Grunde auch keinen Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

4.

Einer Entscheidung über die – ursprünglich angekündigten – Klageanträge zu 2) und zu 3), die auf Leistung zugunsten der mitversicherten Kinder des Klägers in Höhe von jeweils 12.782,30 Euro gerichtet waren, bedurfte es nicht, nachdem der Kläger die Klage insoweit zurückgenommen hat (Bl. 211 GA).

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!