Ein Elektroinstallateur klagte wegen attestierter Depression auf BU-Leistung, doch entscheidend war die konkrete Ausgestaltung des Berufs in der Praxis. Die fehlende Benennung geeigneter Zeugen und zu spät eingereichte Berichte ließen den medizinischen Nachweis wertlos erscheinen.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was genau ist die „konkrete Ausgestaltung“ meines Berufs in der BU-Versicherung?
- Wie muss ich meinen Arbeitsalltag beschreiben, um die Darlegungspflicht im BU-Prozess zu erfüllen?
- Welche Dokumente oder Zeugen brauche ich, um meine täglichen Tätigkeiten im BU-Fall zu beweisen?
- Gilt die strenge Beweislast auch, wenn ich aufgrund einer schweren Depression Berufsunfähigkeit beantrage?
- Wie dokumentiere ich meine Arbeit am besten, damit die BU-Versicherung später nicht ablehnt?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 25 U 210/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
- Datum: 25.06.2025
- Aktenzeichen: 25 U 210/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht, Berufsunfähigkeitsversicherung, Zivilprozessrecht
- Das Problem: Ein ehemaliger Elektroinstallateur verlangte von seiner Versicherung die monatliche Berufsunfähigkeitsrente wegen einer diagnostizierten Depression. Die Versicherung verweigerte die Zahlung, da der Kläger seinen Job nicht ausreichend belegt habe.
- Die Rechtsfrage: Hat der Kläger genau genug beschrieben, wie sein Job vor der Erkrankung in Art, Umfang und Häufigkeit aussah, damit ein Gutachter seine Berufsunfähigkeit prüfen kann? Oder war seine Depression so schwer, dass diese Beschreibung nicht nötig war?
- Die Antwort: Nein. Der Kläger hat den Prozess endgültig verloren. Das Gericht konnte die Berufsunfähigkeit nicht prüfen, da der Kläger seinen konkreten Beruf nicht detailliert genug belegt hat.
- Die Bedeutung: Versicherte müssen ihren zuletzt ausgeübten Beruf im Detail darlegen und beweisen, um Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung durchzusetzen. Eine psychische Erkrankung macht diese Pflicht zur konkreten Beschreibung der Tätigkeit nicht automatisch überflüssig.
Der Fall vor Gericht
Worum ging es in diesem Fall?
Ein Elektroinstallateur kämpft um seine Berufsunfähigkeitsrente. Er legt ärztliche Atteste vor, die eine mittelgradige depressive Episode bescheinigen. Er fühlt sich im Recht. Am Ende scheitert er nicht an der medizinischen Frage, sondern an einer scheinbar simplen Hürde: Er konnte vor Gericht nicht exakt genug beschreiben, was er Tag für Tag in seinem Job eigentlich getan hatte. Ein Detail, das seinen gesamten Anspruch pulverisierte.

Der Mann war seit 2017 als DGUV-Prüfer angestellt. Sein Arbeitstag, so schilderte er es, war eine Mischung aus Bürotätigkeiten, Kundenbesuchen zur Aufwandschätzung und den eigentlichen Prüf- und Montagearbeiten vor Ort. Im April 2019 wurde er krankgeschrieben. Kurz darauf erhielt er die fristlose Kündigung wegen des Vorwurfs des Arbeitszeitbetrugs. In einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht wurde diese später in eine ordentliche Kündigung umgewandelt.
Aufgrund seiner ärztlich attestierten Depression beantragte der Mann bei seiner Versicherung Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Er forderte für den Zeitraum von Mai 2019 bis September 2020 eine monatliche Rente von 1.500 Euro. Die Versicherung lehnte ab. Der Fall landete vor dem Landgericht Konstanz und schließlich in der Berufung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe.
Weshalb ist die genaue Tätigkeitsbeschreibung so entscheidend?
Das Gericht stellte eine grundlegende Regel des Versicherungsrechts in den Mittelpunkt. Eine Berufsunfähigkeit wird nicht abstrakt festgestellt. Es geht nie allein um die Frage: „Ist diese Person krank?“. Die entscheidende Frage lautet: „Macht die Krankheit es dieser Person unmöglich, ihren zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben, so wie er konkret ausgestaltet war?“.
Um das zu beantworten, muss ein Gericht einen zweistufigen Prozess durchlaufen. Zuerst muss der Job des Versicherten glasklar auf dem Tisch liegen – nicht nur die Berufsbezeichnung, sondern ein detailliertes Bild des Arbeitsalltags. Welche Tätigkeiten fielen an? Wie oft? Wie lange dauerten sie? Welchen körperlichen oder geistigen Anforderungen war die Person ausgesetzt? Erst wenn dieses „Berufsbild“ feststeht, kann in einem zweiten Schritt ein medizinischer Sachverständiger beurteilen, ob die Krankheit den Versicherten daran hindert, genau diesen Job zu mehr als 50 Prozent auszuüben.
Die Last, dieses Berufsbild detailliert zu beschreiben und im Streitfall zu beweisen, liegt allein beim Versicherten. Fehlt diese Grundlage, läuft jede medizinische Begutachtung ins Leere. Ein Arzt kann nicht bewerten, ob jemand für eine Tätigkeit unfähig ist, deren Anforderungen er nicht kennt. Die Klage ist dann von vornherein unschlüssig.
Warum genügten die vorgelegten Beweise nicht?
Das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigte die Sicht des Landgerichts: Der Kläger hatte das Fundament für seinen Anspruch nicht gelegt. Er ist beweisfällig geblieben. Die Richter zerlegten seine vorgelegten Beweismittel Punkt für Punkt.
Der Arbeitsvertrag war wertlos. Er enthielt nur die allgemeine Berufsbezeichnung „Elektroinstallateur/Prüfer“, aber keine Details über die konkrete Ausgestaltung der Tätigkeit.
Die nachträglich eingereichten Wochen- und Monatsberichte kamen zu spät. Der Kläger legte sie erst nach dem Ende der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz vor. Das Prozessrecht ist hier streng. Neue Beweismittel sind in der Berufung nur unter engen Voraussetzungen zulässig (§§ 529, 531 ZPO). Das Gericht sah keinen Grund für eine Ausnahme, da der Mann die Berichte problemlos früher hätte vorlegen können.
Auch die ärztlichen Diagnosen allein halfen nicht weiter. Zwar gibt es seltene Ausnahmefälle, in denen eine Krankheit so offensichtlich und schwer ist – etwa eine Querschnittslähmung –, dass eine detaillierte Jobbeschreibung überflüssig wird. Das Gericht stellt fest, dass eine Depression, auch eine mittelgradige, nicht automatisch in diese Kategorie fällt. Die Auswirkungen einer psychischen Erkrankung auf die Arbeitsfähigkeit sind zu individuell, als dass man ohne Kenntnis der konkreten beruflichen Anforderungen von einer offenkundigen Berufsunfähigkeit ausgehen könnte.
Hätte das Gericht nicht andere Beweise erheben müssen?
Der Kläger hatte seine Ehefrau als Zeugin benannt. Sie sollte aber nur Angaben zu seiner Erkrankung machen, nicht zu den Details seiner Arbeit. Das war ein entscheidendes Versäumnis. Er hätte Vorgesetzte, Kollegen oder sogar Kunden als Zeugen für seinen Arbeitsalltag benennen können. Das tat er nicht.
Damit war auch der Weg zu einer anderen Beweismöglichkeit versperrt: der Parteivernehmung des Klägers selbst. Ein Gericht kann einen Kläger nicht einfach als Zeugen in eigener Sache vernehmen. Es kann eine solche Vernehmung von Amts wegen anordnen (§ 448 ZPO), aber nur als letztes Mittel, wenn eine Partei in „Beweisnot“ ist. Diese Beweisnot liegt laut Bundesgerichtshof aber nur vor, wenn zuvor alle anderen zumutbaren Beweismittel – wie eben Zeugen – ausgeschöpft wurden. Da der Kläger keine Zeugen für sein Berufsbild benannt hatte, befand er sich nach Ansicht des Gerichts nicht in einer solchen ausweglosen Beweissituation.
Ohne ein feststehendes Berufsbild gab es für das Gericht keine Grundlage, den Fall weiter aufzuklären. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Er musste die Kosten des Verfahrens tragen.
Die Urteilslogik
Die Substantiierung der konkreten Arbeitsausführung bildet das unverrückbare Fundament für jeden Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung.
- Die Pflicht zur präzisen Beschreibung des Berufs: Wer Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beansprucht, muss die konkrete Ausgestaltung des zuletzt ausgeübten Berufs präzise beschreiben und die gesamte Bandbreite der Tätigkeiten beweisen; die bloße Angabe der Berufsbezeichnung im Arbeitsvertrag genügt niemals.
- Priorität externer Beweismittel: Gerichte dürfen eine eigene Vernehmung der klagenden Partei nur als letztes Mittel anordnen, nachdem die zumutbare Benennung externer Zeugen – wie Kollegen oder Vorgesetzte – zur Klärung des Berufsbildes gescheitert ist.
- Enger Rahmen für die Offenkundigkeit der Krankheit: Die detaillierte Beschreibung der beruflichen Anforderungen entfällt nur bei Krankheitsbildern von solcher Schwere und Eindeutigkeit, dass die Berufsunfähigkeit unmittelbar offenkundig wird; psychische Erkrankungen erfordern aufgrund ihrer individuellen Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit stets eine konkrete Darlegung des Jobprofils.
Der Versicherte trägt im Streitfall die volle Beweislast dafür, das Gericht lückenlos über alle Anforderungen seines früheren Arbeitsalltags aufzuklären.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Viele Versicherte konzentrieren sich völlig auf die ärztliche Diagnose, dabei liegt die entscheidende Hürde woanders. Dieses Urteil zeigt konsequent, dass ohne eine glasklare und detaillierte Beschreibung der täglichen Arbeit, inklusive Zeitanteilen und Belastungen, der BU-Anspruch ins Leere läuft. Die beste medizinische Diagnose hilft nichts, wenn das Gericht nicht weiß, welche konkrete Tätigkeit die Krankheit unmöglich macht. Die Beweislast für dieses Berufsbild liegt komplett beim Versicherten, der entsprechende Zeugen für seine Routinen frühzeitig benennen muss – ein strategisches Versäumnis, an dem viele Klagen scheitern.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was genau ist die „konkrete Ausgestaltung“ meines Berufs in der BU-Versicherung?
Die „konkrete Ausgestaltung“ ist die juristische Definition Ihres Arbeitsalltags, so wie Sie ihn zuletzt ausgeführt haben. Dabei ist nicht die Berufsbezeichnung relevant, sondern das gerichtsfeste, detaillierte Bild aller Kerntätigkeiten und der damit verbundenen Anforderungen. Dieses Berufsbild muss die Haupttätigkeiten umfassen, die zusammen mehr als 50 Prozent Ihrer Arbeitszeit ausmachen.
Dieses detaillierte Tätigkeitsbild bildet die unverrückbare Grundlage für den gesamten BU-Prüfprozess. Versicherer und Gerichte benötigen exakte Angaben, welche Aufgaben Sie wie oft, wie lange und unter welchen spezifischen körperlichen oder geistigen Belastungen erledigt haben. Nur wenn dieses Fundament (Stufe 1) feststeht, kann ein medizinischer Sachverständiger (Stufe 2) beurteilen, ob Ihre Krankheit genau diesen Job zu mehr als der Hälfte verhindert. Die bloße Nennung der Jobbezeichnung, wie „Kundenbetreuer“ oder „Elektroinstallateur“, ist daher meist wertlos.
Die entscheidende Differenz liegt oft zwischen der vertraglichen Beschreibung und der tatsächlichen Praxis. Nehmen wir an, Sie sind offiziell Vertriebsleiter, verbringen aber 70% Ihrer Zeit mit administrativer Detailarbeit am Schreibtisch. Bei psychischen Erkrankungen müssen Sie beweisen, dass die Funktionseinschränkungen (zum Beispiel Konzentrationsmangel) exakt diese Detailarbeit unmöglich machen. Verlassen Sie sich nur auf den allgemeinen Arbeitsvertrag, fehlt dem Gutachter die entscheidende Bezugsgröße für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit.
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Wie muss ich meinen Arbeitsalltag beschreiben, um die Darlegungspflicht im BU-Prozess zu erfüllen?
Die Darlegungspflicht erfordert keine allgemeine Beschreibung, sondern eine quantitative Aufschlüsselung Ihrer beruflichen Tätigkeiten. Sie müssen dem Gericht beweisen, was Sie tatsächlich getan haben und welche Aufgaben wegfallen. Nur wenn Sie Ihren Arbeitsalltag exakt definieren, kann der Sachverständige die krankheitsbedingte Unfähigkeit feststellen. Ohne diese Grundlage riskieren Sie die Beweisfälligkeit des gesamten Anspruchs.
Der Schlüssel liegt in der Zuordnung konkreter Zeitanteile zu allen Haupttätigkeiten. Listen Sie alle Aufgaben akribisch auf, beispielsweise Bürotätigkeiten mit 35 Prozent und Prüf- und Montagearbeiten mit 40 Prozent. Diese Auflistung muss präzise 100 Prozent Ihrer Arbeitszeit ergeben. Nur durch diese exakte Quantifizierung identifiziert das Gericht die Aufgaben, die für Ihren Beruf unverzichtbar sind. Vage oder summarische Zusammenfassungen („eine Mischung aus…“ ) sind hierfür unzureichend.
Neben den Zeitanteilen benötigen Sie ein detailliertes Anforderungsprofil für jede Tätigkeit. Beschreiben Sie die damit verbundenen Belastungen, etwa die Dauer der maximalen Konzentrationsspanne oder die physische Intensität des Hebevorgangs. Der Vortrag muss dabei die Tätigkeiten hervorheben, die Sie aufgrund der Krankheit zu mehr als der Hälfte nicht mehr ausüben können. Nur wenn die konkrete Ausgestaltung des Jobs feststeht, kann ein Gutachten den notwendigen Kausalzusammenhang herstellen.
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Welche Dokumente oder Zeugen brauche ich, um meine täglichen Tätigkeiten im BU-Fall zu beweisen?
Der Arbeitsvertrag oder die bloße Stellenbeschreibung genügen vor Gericht fast nie als Beweis für die konkrete Ausgestaltung Ihres Berufs. Versicherte benötigen gerichtsfeste Dokumente, die zeitlich vor dem Eintreten der Berufsunfähigkeit erstellt wurden. Entscheidend ist die lückenlose, datierte Dokumentation Ihres Arbeitsalltags, ergänzt durch spezifische Zeugenbenennungen.
Gerichte bewerten alle Beweismittel, die erst nachträglich, also nach der Krankschreibung, erstellt wurden, als unglaubwürdig. Beweisen Sie Ihren Arbeitsalltag daher mit Berichten, die routinemäßig angefallen sind, wie Monats- oder Wochen-Rapporten, Arbeitszeitnachweisen oder Projektprotokollen. Achten Sie auf die Einhaltung der prozessualen Regeln. Dokumente, die Sie der ersten Instanz vorenthalten und erst im Berufungsverfahren vorlegen, sind gemäß §§ 529, 531 ZPO fast immer unzulässig.
Die Benennung geeigneter Zeugen ist essenziell und verhindert die sogenannte Beweisfälligkeit. Es ist ein häufiger Fehler, nahe Angehörige nur zur Schwere der Erkrankung aussagen zu lassen. Sie müssen zwingend Kollegen, Vorgesetzte oder auch Kunden namentlich benennen, die gezielt zu den konkreten Anforderungen und dem Umfang Ihrer täglichen Tätigkeiten bezeugen können. Nur wenn diese Zeugen den Arbeitsalltag beweisen, ist möglicherweise der Weg zur Parteivernehmung des Klägers selbst frei.
Sammeln Sie vorsorglich die digitalen Kopien Ihrer letzten sechs offiziellen Arbeitsberichte und die Kontaktdaten von zwei ehemaligen Kollegen zur sofortigen Sicherung.
Gilt die strenge Beweislast auch, wenn ich aufgrund einer schweren Depression Berufsunfähigkeit beantrage?
Ja, die strenge Beweislast und die detaillierte Darlegungspflicht Ihres Arbeitsalltags gelten auch bei schweren psychischen Erkrankungen uneingeschränkt. Gerichte sehen Depressionen nicht als eine offenkundige Berufsunfähigkeit an, bei der eine detaillierte Jobbeschreibung unnötig wird. Die Auswirkungen psychischer Leiden sind zu individuell, um automatisch eine Unfähigkeit von über 50 Prozent zu belegen. Sie müssen konkret darlegen und beweisen, welche Symptome Sie an der Ausübung Ihrer Haupttätigkeiten hindern.
Der juristische Grund liegt in der individuellen Natur der Erkrankung. Während bei einer Querschnittslähmung die Berufsunfähigkeit nahezu immer offenkundig ist, trifft dies auf eine depressive Episode nicht zu. Das Gericht muss zuerst Ihr exaktes Berufsbild kennen, bevor es die Schwere der psychischen Einschränkungen beurteilen kann. Ein medizinisches Attest allein beweist die Kausalität zwischen der Diagnose und einem tatsächlichen Verlust der Arbeitsfähigkeit nicht.
Es genügt deshalb nicht, allein die Diagnose einer mittelgradigen Depression vorzulegen. Sie müssen vielmehr beweisen, dass die spezifischen Symptome – wie zum Beispiel chronischer Konzentrationsmangel oder schnelle Reizbarkeit – die wesentlichen Anforderungen Ihres konkreten Berufs zu über 50 Prozent unmöglich machen. Wenn Ihre Haupttätigkeit stundenlange Präzisionsarbeit erforderte, müssen Sie dokumentieren, dass Ihre kognitive Belastungsgrenze diese Anforderung nun dauerhaft unterläuft. Ohne diese spezifische Verknüpfung bleibt der Anspruch unbewiesen.
Bitten Sie Ihren behandelnden Arzt, nicht nur die Diagnose, sondern explizit die Funktionseinschränkungen im Hinblick auf Ihre spezifischen Haupttätigkeiten zu dokumentieren.
Wie dokumentiere ich meine Arbeit am besten, damit die BU-Versicherung später nicht ablehnt?
Der wirksamste Schutz vor einer späteren Ablehnung ist die lückenlose und datierte Dokumentation Ihres Arbeitsalltags. Beginnen Sie mit dieser Beweissicherung, bevor gesundheitliche Probleme auftreten und die Berufsunfähigkeit droht. Nachträglich erstellte Berichte stufen Gerichte oft als unglaubwürdig oder taktisch ein, was den gesamten Anspruch gefährdet. Die präventive Erstellung eines Arbeitsjournals minimiert die Gefahr, später in die Beweisnot zu geraten.
Führen Sie deshalb unbedingt ein detailliertes Journal, in dem Sie regelmäßig Ihre tatsächlichen Tätigkeiten protokollieren. Tragen Sie in wöchentlichen Abständen die genaue Aufteilung Ihrer Arbeitszeit nach Aufgabentyp ein. Notieren Sie dabei auch ungewöhnliche Belastungsspitzen oder spezifische physische und geistige Anforderungen. Sichern Sie alle relevanten betrieblichen Unterlagen, wie etwa Tätigkeitsnachweise und Organigramme, extern ab. Nach einer Kündigung verlieren Sie oft den Zugriff auf das Firmennetzwerk und damit auf entscheidende Beweismittel.
Der Zeitpunkt der Vorlage von Dokumenten ist im Streitfall ein entscheidender Prozessfehler. Gerichte lehnen Dokumente, die erst schuldhaft verspätet in der Berufungsinstanz vorgelegt werden, meist ab (§§ 529, 531 ZPO). Im bekannten Fall des Installateurs führte dies zum Verlust des Anspruchs, weil seine nachträglich erstellten Berichte nicht mehr zugelassen wurden. Das bedeutet: Alle Beweise für die Konkrete Ausgestaltung des Berufs müssen bereits beim Antrag oder spätestens vor der ersten mündlichen Verhandlung lückenlos vorliegen.
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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Beweisfälligkeit
Beweisfälligkeit tritt immer dann ein, wenn eine Partei, die eine bestimmte Tatsache beweisen muss, die notwendigen Beweise nicht erbringen kann oder dem Gericht nicht rechtzeitig vorlegt. Juristen wenden dieses Prinzip an, um einen Anspruch sofort abzuweisen, da die notwendige Grundlage für eine sachliche Prüfung der Forderung fehlt.
Beispiel: Der Elektroinstallateur erlitt die Beweisfälligkeit, weil er keine Zeugen für die konkrete Aufteilung seiner täglichen Arbeitszeit benannt hatte.
Beweisnot
Beweisnot beschreibt eine juristische Zwangslage, in der sich eine Partei befindet, wenn ihr trotz aller zumutbaren Bemühungen keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen, um ihre streitige Behauptung zu untermauern. Das Gericht betrachtet dies als eine Vorbedingung, um unter Umständen extreme Beweismittel, wie die Vernehmung des Klägers selbst, anordnen zu können (§ 448 ZPO).
Beispiel: Da der Kläger es versäumte, seine Kollegen als Zeugen für die Details seiner Arbeit zu benennen, befand er sich nach Ansicht des Gerichts nicht in einer echten Beweisnot.
Darlegungspflicht
Die Darlegungspflicht ist die strenge Anforderung an den Kläger im Zivilprozess, alle Tatsachen, die seinen Anspruch begründen, detailliert, präzise und quantifiziert vor Gericht vorzutragen. Im Versicherungsrecht muss der Versicherte diesen Nachweis erbringen, damit der medizinische Sachverständige überhaupt eine Basis für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit erhält.
Beispiel: Zur Erfüllung der Darlegungspflicht hätte der Installateur die prozentuale Aufteilung seiner Bürotätigkeiten, Kundenbesuche und Prüfaufträge exakt auflisten und quantifizieren müssen.
Konkrete Ausgestaltung des Berufs
Die konkrete Ausgestaltung eines Berufs ist die juristische Beschreibung des tatsächlichen Arbeitsalltags, welche über die bloße Berufsbezeichnung hinausgeht und alle Kerntätigkeiten, Zeitanteile und Belastungen exakt erfasst. Gerichte benötigen dieses detaillierte Berufsbild, um festzustellen, ob die versicherte Person ihren zuletzt ausgeübten Job tatsächlich zu mehr als 50 Prozent nicht mehr ausüben kann.
Beispiel: Selbst wenn der Arbeitsvertrag ihn als „Prüfer“ nannte, war für die Feststellung der Berufsunfähigkeit die konkrete Ausgestaltung seiner Tätigkeit, nämlich die exakte Mischung aus Büro- und Außendiensten, entscheidend.
Offenkundige Berufsunfähigkeit
Offenkundige Berufsunfähigkeit liegt in seltenen Ausnahmefällen vor, in denen die Schwere der Erkrankung oder Verletzung so eindeutig ist (zum Beispiel eine Querschnittslähmung), dass eine detaillierte Beschreibung des früheren Berufs zur Feststellung der Leistungspflicht unnötig wird. Diese juristische Ausnahme soll das Verfahren bei offensichtlichen Fällen abkürzen, greift aber bei psychischen Leiden wie einer mittelgradigen Depression meistens nicht.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Karlsruhe stellte fest, dass die depressive Episode des Klägers keine offenkundige Berufsunfähigkeit darstellte, weil die individuellen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit zu unterschiedlich sind.
Parteivernehmung
Eine Parteivernehmung ist ein außergewöhnliches Beweismittel im Zivilprozess (§ 448 ZPO), bei dem das Gericht eine Partei – in der Regel den Kläger – als Zeugen in eigener Sache anhört. Das Gericht darf die Vernehmung nur als letztes Mittel von Amts wegen anordnen, um eine Klärung herbeizuführen, falls alle anderen Beweismöglichkeiten ausgeschöpft wurden und die Partei in Beweisnot geraten ist.
Beispiel: Die Richter konnten die Parteivernehmung des Klägers nicht anordnen, da dieser es unterlassen hatte, andere zumutbare Beweismittel wie die Benennung von Kollegen als Zeugen zu nutzen.
Das vorliegende Urteil
OLG Karlsruhe – Az.: 25 U 210/23 – Urteil vom 25.06.2025
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