Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Beweislast bei Unfallinvalidität: Ein wegweisender Fall im Fokus
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Beweise muss ich der Unfallversicherung für einen Invaliditätsanspruch vorlegen?
- Ab welchem Zeitpunkt muss ich psychische Unfallfolgen melden?
- Wie wird der kausale Zusammenhang zwischen Unfall und Invalidität nachgewiesen?
- Welche Ausschlüsse gelten typischerweise bei psychischen Unfallfolgen?
- Was sind die häufigsten Gründe für die Ablehnung von Invaliditätsansprüchen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Traunstein
- Datum: 19.11.2021
- Aktenzeichen: 1 O 872/18
- Verfahrensart: Zivilverfahren über Ansprüche aus einer Unfallversicherung
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht, Zivilrecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Versicherungsnehmerin der beklagten Versicherungsgesellschaft. Sie macht Ansprüche aus einer Unfallversicherung geltend, da sie behauptet, durch einen Unfall dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten zu haben. Die Klägerin fordert eine Invaliditätsleistung, rückständige Unfallrente und Umzugskosten.
- Beklagte: Versicherungsgesellschaft. Sie weist die Ansprüche der Klägerin mit der Begründung zurück, dass das Unfallereignis nicht so stattgefunden habe, wie von der Klägerin behauptet. Zudem liegen unfallunabhängige Vorerkrankungen vor, und die geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen seien vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin behauptet, in einer Filiale von einem Angestellten umgerannt worden zu sein, was zu erheblichen körperlichen und psychischen Beschwerden führte. Sie verlangt von der Versicherung die Zahlung von Invaliditätsleistungen und weitere finanzielle Entschädigungen.
- Kern des Rechtsstreits: Die Frage, ob der geltend gemachte Invaliditätsgrad sowie die darauf basierenden Ansprüche durch das Unfallereignis begründet sind oder ob sie nicht, wie von der Versicherung behauptet, durch unfallunabhängige Vorerkrankungen oder die Ausschlüsse in den Versicherungsbedingungen ausgeschlossen sind.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Klage wird abgewiesen.
- Begründung: Das Gericht befand, dass die Klägerin den Nachweis nicht erbringen konnte, dass der behauptete Unfall die Ursache für die geltend gemachte Invalidität ist. Die festgestellten körperlichen Verletzungen (Prellungen) waren nicht ausreichend, um die späteren Beschwerden zu erklären. Psychische Störungen, selbst wenn sie unfallbedingt wären, sind laut den Versicherungsbedingungen ausgeschlossen. Zudem waren die vom Klägervertreter eingeforderten Anwaltsgebühren überzogen.
- Folgen: Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist rechtskräftig, und damit hat die Klägerin keinen Anspruch auf die verlangten Leistungen aus der Unfallversicherung gegenüber der Beklagten. Die Entscheidung stellt klar, dass die Beweislast für einen kausal unfallbedingten Gesundheitsschaden bei der Versicherungsnehmerin liegt und diese auch die Vertragsbedingungen beachten muss.
Beweislast bei Unfallinvalidität: Ein wegweisender Fall im Fokus
Die private Unfallversicherung bietet einen finanziellen Schutz, wenn es nach einem Unfall zu einer dauerhaften Invalidität kommt. Eine wesentliche Frage in solchen Fällen ist die Beweislast für die Unfallbedingtheit der Invalidität. Das bedeutet, der Versicherte muss nachweisen, dass die gesundheitlichen Folgen des Unfalls tatsächlich zu einem Leistungsanspruch führen. Hierbei spielt der Nachweis der Invalidität durch ärztliche Gutachten eine zentrale Rolle, da er die Grundlage für den Leistungsanspruch darstellt.
Die Beweisführung ist oft eine komplexe Angelegenheit, die sowohl juristische als auch medizinische Aspekte umfasst. Im Falle von Streitigkeiten kann es zu einer Beweislastumkehr kommen, die den Nachweis der Unfallfolgen für die Versicherung entscheidend beeinflusst. Im Folgenden wird ein konkreter Fall betrachtet, der diese Fragestellungen aufgreift und umfassend analysiert.
Der Fall vor Gericht
Kein Anspruch auf Unfallversicherungsleistung nach Sturz im Supermarkt

Eine Frau, die nach einem Sturz in einer A-Markt-Filiale Leistungen aus ihrer privaten Unfallversicherung in Höhe von über 300.000 Euro geltend machte, ist vor dem Landgericht Traunstein mit ihrer Klage gescheitert. Das Gericht konnte keine unfallbedingte dauerhafte Invalidität feststellen, die Voraussetzung für die geforderten Versicherungsleistungen gewesen wäre.
Unfallhergang und medizinische Erstversorgung
Am 17. Oktober 2016 wurde die Klägerin in einer A-Markt-Filiale von einem Mitarbeiter umgerannt und stürzte. Bei der unmittelbar folgenden ambulanten Behandlung in der Kreisklinik wurden Prellungen an beiden Knien sowie eine Kopfprellung diagnostiziert. Der beim Unfall anwesende Rettungssanitäter bestätigte in seiner Zeugenaussage, dass die Patientin hauptsächlich über Knieschmerzen klagte und weder Schwindel noch Übelkeit äußerte.
Geltend gemachte Versicherungsansprüche
Die Versicherte forderte aufgrund des Unfalls eine Invaliditätsleistung von 300.000 Euro sowie eine monatliche Unfallrente von 1.000 Euro. Sie machte geltend, dass sie neben dauerhaften Funktionsbeeinträchtigungen in beiden Knien auch unter starken Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Gedächtnislücken leide. Der Gesamtgrad ihrer Invalidität betrage 100 Prozent.
Medizinische Begutachtung und Urteilsbegründung
Das Gericht holte zur Klärung der Ansprüche orthopädische und nervenärztliche Sachverständigengutachten ein. Die Gutachter konnten keinen Zusammenhang zwischen dem Sturz und den behaupteten dauerhaften Beschwerden feststellen. Nach Einschätzung des nervenärztlichen Sachverständigen wäre selbst eine Gehirnerschütterung, die hier nicht nachgewiesen wurde, nach wenigen Monaten folgenlos ausgeheilt. Die festgestellten Auffälligkeiten in den Hirnleistungstests stünden in keinem kausalen Zusammenhang mit der erlittenen Schädelprellung.
Beweislast und Versicherungsbedingungen
Das Gericht betonte, dass die Beweislast für den Zusammenhang zwischen Unfall und geltend gemachter Invalidität bei der Versicherungsnehmerin liegt. Dieser Nachweis konnte nicht erbracht werden. Zudem wären nach den Versicherungsbedingungen krankhafte Störungen in Folge psychischer Reaktionen ohnehin vom Versicherungsschutz ausgeschlossen gewesen. Die Klage wurde daher vollumfänglich abgewiesen, die Klägerin muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil stellt klar, dass in der privaten Unfallversicherung der Versicherungsnehmer die Beweislast für den Zusammenhang zwischen Unfall und geltend gemachter Invalidität trägt. Krankhafte Störungen aufgrund psychischer Reaktionen sind dabei grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Der Versicherungsnehmer muss sowohl den unfallbedingten Erstschaden als auch die daraus resultierende dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigung vollumfänglich nachweisen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie nach einem Unfall Leistungen aus Ihrer privaten Unfallversicherung beanspruchen möchten, müssen Sie lückenlos nachweisen können, dass Ihre gesundheitlichen Einschränkungen direkt durch den Unfall verursacht wurden. Psychische Folgen wie posttraumatische Belastungsstörungen oder Depressionen werden dabei in der Regel nicht berücksichtigt – auch wenn sie durch den Unfall ausgelöst wurden. Sammeln Sie daher unmittelbar nach dem Unfall alle medizinischen Unterlagen und lassen Sie sich von Ihrem Arzt die körperlichen Unfallfolgen genau dokumentieren. Eine reine ärztliche Bescheinigung über psychische Beschwerden reicht für die Durchsetzung von Ansprüchen nicht aus.
Gerechte Ansprüche durchsetzen
Das Urteil zeigt, wie wichtig eine detaillierte Dokumentation und fundierte Beweise für den Erfolg von Ansprüchen gegenüber der Unfallversicherung sind. Gerade die Herausforderungen im Nachweis psychischer Folgen nach einem Unfall erfordern besondere Aufmerksamkeit. Um Ihre Rechte optimal zu wahren und Fehlentscheidungen zu vermeiden, lohnt es sich, frühzeitig juristischen Rat einzuholen und die Weichen für eine erfolgreiche Durchsetzung Ihrer Ansprüche zu stellen.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Beweise muss ich der Unfallversicherung für einen Invaliditätsanspruch vorlegen?
Um einen Invaliditätsanspruch bei Ihrer Unfallversicherung geltend zu machen, müssen Sie umfangreiche Nachweise erbringen, die den Zusammenhang zwischen dem Unfall und der daraus resultierenden Invalidität belegen. Dabei gelten strenge Anforderungen an die Beweisführung und Fristen. Hier sind die wichtigsten Punkte:
1. Nachweis des Unfalls
- Unfallanzeige: Melden Sie den Unfall unverzüglich bei Ihrer Versicherung. Diese Anzeige dient als erste Grundlage für die Prüfung des Anspruchs.
- Dokumentation des Unfallhergangs: Halten Sie den genauen Hergang des Unfalls schriftlich fest, einschließlich Datum, Uhrzeit und Ort. Fügen Sie, wenn möglich, Fotos von der Unfallstelle und sichtbaren Verletzungen bei.
- Zeugen: Sammeln Sie Namen und Kontaktdaten von Zeugen, die den Unfall beobachtet haben.
2. Ärztliche Dokumentation
- Erstuntersuchung: Suchen Sie unmittelbar nach dem Unfall einen Arzt auf und schildern Sie den genauen Hergang sowie alle Beschwerden.
- Ärztliche Invaliditätsfeststellung: Diese muss schriftlich erfolgen und spätestens 15 Monate nach dem Unfall vorliegen. Der Arzt muss darin bestätigen:
- Die Dauerhaftigkeit der gesundheitlichen Beeinträchtigung (Dauerschaden).
- Den Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Invalidität.
- Den Grad der Invalidität (z. B. anhand einer Gliedertaxe).
- Medizinische Unterlagen: Sammeln Sie alle relevanten Berichte, wie Arztbriefe, Röntgenbilder oder MRT-Aufnahmen.
3. Nachweis der Kausalität
- Sie müssen belegen, dass die Invalidität direkt auf den gemeldeten Unfall zurückzuführen ist. Dies ist besonders wichtig, wenn:
- Vorerkrankungen vorliegen.
- Die Beschwerden erst mit zeitlicher Verzögerung auftreten.
- In solchen Fällen kann ein medizinisches Gutachten erforderlich sein, das die Kausalität zwischen Unfall und Dauerschaden bestätigt.
4. Einhaltung der Fristen
- Die Invalidität muss gemäß den Versicherungsbedingungen in der Regel innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sein.
- Die ärztliche Feststellung der Invalidität muss spätestens drei Monate nach Ablauf dieses Jahres erfolgen.
5. Weitere Beweise
- Sachbeweise: Falls Gegenstände (z. B. Kleidung oder Ausrüstung) durch den Unfall beschädigt wurden, bewahren Sie diese auf.
- Zusätzliche Gutachten: Bei Streitigkeiten kann ein unabhängiges medizinisches Gutachten erforderlich sein.
Wichtige Hinweise
- Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast für alle relevanten Tatsachen: das Vorliegen eines Unfalls, die daraus resultierende Gesundheitsschädigung und deren Dauerhaftigkeit.
- Für den unmittelbaren Gesundheitsschaden gilt ein strenger Vollbeweis (an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit). Für Folgeschäden genügt hingegen die überwiegende Wahrscheinlichkeit (§§ 286, 287 ZPO).
Wenn Sie diese Nachweise sorgfältig zusammenstellen und fristgerecht einreichen, erhöhen Sie Ihre Chancen auf eine erfolgreiche Regulierung Ihres Anspruchs erheblich.
Ab welchem Zeitpunkt muss ich psychische Unfallfolgen melden?
Psychische Unfallfolgen müssen innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfallereignis ärztlich festgestellt und bei der Versicherung geltend gemacht werden. Diese Frist gilt auch dann, wenn die psychischen Beeinträchtigungen erst später erkennbar werden.
Voraussetzungen für die Anerkennung
Die psychischen Beschwerden müssen einen nachweisbaren Krankheitswert haben und durch einen Facharzt diagnostiziert werden. Dabei ist es unerheblich, wie schwer der ursprüngliche Unfall war – entscheidend ist der nachgewiesene Kausalzusammenhang zwischen Unfall und psychischer Beeinträchtigung.
Besonderheiten bei der Meldung
Wenn Sie erste Anzeichen psychischer Beschwerden bemerken, sollten Sie unverzüglich einen Arzt aufsuchen. Die reine laienhafte Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Unfall und psychischen Beschwerden reicht für den Fristbeginn nicht aus. Der Fristlauf beginnt erst mit der konkreten ärztlichen Diagnose.
Wichtige Einschränkungen
Die Versicherung leistet bei psychischen Unfallfolgen nur dann, wenn diese auf einer durch den Unfall verursachten organischen Erkrankung des Nervensystems beruhen. Rein psychisch-reaktive Störungen, wie etwa eine posttraumatische Belastungsstörung ohne organische Ursache, sind in der Regel vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Wie wird der kausale Zusammenhang zwischen Unfall und Invalidität nachgewiesen?
Der Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Unfall und Invalidität erfolgt nach einem zweistufigen Prüfungsverfahren mit unterschiedlichen Beweisanforderungen.
Nachweis des unmittelbaren Unfallschadens
Für den unmittelbaren Gesundheitserstschaden gilt der strenge Beweismaßstab des § 286 ZPO. Sie müssen als Versicherter nachweisen, dass der Unfall tatsächlich zu einer ersten konkreten Gesundheitsschädigung geführt hat. Hierfür ist eine zeitnahe ärztliche Dokumentation aller Verletzungen durch bildgebende Verfahren wie MRT sowie das Sammeln sämtlicher Arztberichte und Befunde erforderlich.
Beurteilung der Dauerschäden
Für spätere Folgeschäden und deren dauerhafte Auswirkungen gilt der weniger strenge Beweismaßstab des § 287 ZPO. Hier reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit aus. Ein medizinisches Sachverständigengutachten spielt dabei eine zentrale Rolle. Das Gutachten muss detailliert darlegen, wie der Unfall zu den spezifischen Gesundheitsschäden geführt hat.
Bedeutung von Vorerkrankungen
Vorerkrankungen schließen einen Kausalzusammenhang nicht automatisch aus. Nach der Rechtsprechung des BGH genügt es für die Kausalität, wenn das Unfallereignis an der eingetretenen Funktionsbeeinträchtigung mitgewirkt hat und diese Mitwirkung nicht gänzlich außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt. Stellen Sie sich vor, Sie stürzen von einem Gerüst: Auch bei einer bestehenden Osteoporose haftet die Versicherung, wenn der Sturz auch ohne Vorerkrankung zu einer schweren Verletzung geführt hätte.
Die Beweislast für den Mitwirkungsanteil einer Vorerkrankung trägt der Versicherer. Kann die Versicherung den Einfluss der Vorerkrankung nicht eindeutig nachweisen, muss sie die volle Leistung erbringen. Ein medizinisches Gutachten muss dabei zwischen unfallbedingten und bereits vorher bestehenden Schäden differenzieren.
Welche Ausschlüsse gelten typischerweise bei psychischen Unfallfolgen?
In der privaten Unfallversicherung gibt es spezifische Ausschlussklauseln, die sich auf psychische Folgen eines Unfalls beziehen. Diese Klauseln sind in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) festgelegt und haben erhebliche Auswirkungen auf den Versicherungsschutz:
Ausschluss von psychischen Reaktionen
Die Versicherungsbedingungen schließen krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen aus, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden. Beispiele hierfür sind posttraumatische Belastungsstörungen oder Angststörungen nach einem Unfall. Der Ausschluss greift, wenn die psychische Störung nicht unmittelbar durch den Unfall verursacht wurde, sondern als Folge einer späteren psychischen Fehlverarbeitung auftritt.
Bewusstseins- und Geistesstörungen
Unfälle, die durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen verursacht werden, sind ebenfalls vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Dies umfasst auch Fälle, in denen die versicherte Person aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage ist, ihre Handlungen rational zu steuern. Ein Beispiel hierfür ist ein Suizidversuch, der auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen ist.
Organische Schädigung vs. Psychische Reaktion
Es gibt jedoch Ausnahmen, wenn die psychische Störung eine organische Ursache hat, die direkt mit dem Unfall in Verbindung steht. Wenn die psychische Reaktion eine unvermeidbare Begleiterscheinung des Unfalls ist und nicht lediglich eine spätere psychische Fehlverarbeitung darstellt, kann der Versicherungsschutz greifen. Ein Beispiel hierfür ist ein Versicherter, der nach einem schweren Unfall mit lebensbedrohlichen Folgen bis zum Beginn des operativen Eingriffs bei vollem Bewusstsein war und dadurch eine psychische Störung entwickelt hat.
Rechtsprechung und Interpretation
Die Rechtsprechung hat sich in verschiedenen Fällen mit diesen Ausschlussklauseln auseinandergesetzt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat entschieden, dass kein Versicherungsschutz für psychische Schäden vorliegt, wenn die Störung des Körpers nur mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden kann, also rein psychisch-reaktiver Natur ist. Das OLG Hamm hat klargestellt, dass der Ausschluss auch dann greift, wenn der Versicherte erhebliche körperliche Gesundheitsschäden erlitten hat, aber die psychische Störung aufgrund einer späteren Fehlverarbeitung auftritt.
Praktische Bedeutung
Wenn Sie eine private Unfallversicherung haben und nach einem Unfall psychische Folgen erleiden, ist es wichtig, die genauen Versicherungsbedingungen zu prüfen. Psychische Störungen, die nicht direkt durch den Unfall verursacht wurden, sondern als Folge einer späteren psychischen Fehlverarbeitung auftreten, sind in der Regel nicht versichert. Es ist daher ratsam, sich bei der Abschlussberatung oder bei der Geltendmachung von Ansprüchen genau über die Ausschlussklauseln zu informieren und gegebenenfalls zusätzliche Versicherungen abzuschließen, die psychische Folgen abdecken.
Was sind die häufigsten Gründe für die Ablehnung von Invaliditätsansprüchen?
Die häufigsten Gründe für die Ablehnung von Invaliditätsansprüchen in der privaten Unfallversicherung sind:
Fristversäumnis bei der Invaliditätsfeststellung
Wenn Sie die vertraglich festgelegte Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität versäumen, kann dies zum vollständigen Verlust Ihres Anspruchs führen. In den meisten Fällen muss die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und beim Versicherer geltend gemacht werden. Versäumen Sie diese Frist, kann der Versicherer die Zahlung verweigern, selbst wenn tatsächlich eine unfallbedingte Invalidität vorliegt.
Bestreiten der Kausalität
Versicherer lehnen Ansprüche häufig ab, indem sie den Zusammenhang zwischen dem Unfall und der eingetretenen Invalidität bestreiten. Wenn Sie beispielsweise nach einem Sturz unter anhaltenden Kopfschmerzen leiden, müssen Sie beweisen, dass diese direkt auf den Unfall zurückzuführen sind. Dies kann besonders bei Schmerzzuständen oder komplexen Verletzungsbildern schwierig sein.
Mitwirkung von Vorerkrankungen
Bestehende Vorerkrankungen oder degenerative Veränderungen können zu einer Kürzung oder Ablehnung der Leistung führen. Wenn Sie beispielsweise vor dem Unfall bereits an einer fortgeschrittenen Arthrose litten, kann der Versicherer argumentieren, dass diese zur Invalidität beigetragen hat. In solchen Fällen wird oft nur ein Teil der Invalidität als unfallbedingt anerkannt.
Unzureichende medizinische Dokumentation
Wenn die medizinischen Unterlagen den Invaliditätsgrad nicht eindeutig belegen oder wichtige Informationen fehlen, kann dies zur Ablehnung führen. Achten Sie darauf, dass alle relevanten Befunde und Diagnosen sorgfältig dokumentiert und dem Versicherer vorgelegt werden.
Streit um den Invaliditätsgrad
Häufig kommt es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und dem Versicherer bezüglich des tatsächlichen Invaliditätsgrades. Während Sie möglicherweise einen höheren Grad geltend machen, kann der Versicherer aufgrund eigener Gutachten zu einer niedrigeren Einschätzung kommen. Dies kann dazu führen, dass die Leistung geringer ausfällt als erwartet oder ganz abgelehnt wird, wenn der festgestellte Grad unter dem vertraglich vereinbarten Mindestgrad liegt.
Um Ablehnungen zu vermeiden, sollten Sie alle Fristen genau beachten, umfassende medizinische Dokumentationen vorlegen und bei komplexen Fällen frühzeitig fachkundige Unterstützung in Anspruch nehmen. Bedenken Sie, dass die Beweislast für die Unfallbedingtheit der Invalidität bei Ihnen als Versichertem liegt.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Invaliditätsleistung
Eine finanzielle Entschädigung aus der privaten Unfallversicherung, die gezahlt wird, wenn durch einen Unfall eine dauerhafte körperliche oder geistige Beeinträchtigung (Invalidität) entsteht. Die Höhe richtet sich nach dem Grad der Invalidität, der in Prozent angegeben wird. Grundlage ist die Gliedertaxe in den Versicherungsbedingungen gemäß § 172 VVG. Beispiel: Bei einem Invaliditätsgrad von 50% nach einem Unfall und einer vereinbarten Versicherungssumme von 100.000 Euro werden 50.000 Euro ausgezahlt.
Beweislast
Die rechtliche Pflicht einer Partei in einem Gerichtsprozess, die für ihren Anspruch relevanten Tatsachen zu beweisen. Im Versicherungsrecht muss gemäß § 286 ZPO der Versicherungsnehmer nachweisen, dass ein Versicherungsfall vorliegt und die Voraussetzungen für eine Leistung erfüllt sind. Kann der Beweis nicht erbracht werden, verliert die beweispflichtige Partei den Prozess. Beispiel: Ein Unfallversicherter muss beweisen, dass seine gesundheitlichen Beschwerden tatsächlich durch den Unfall verursacht wurden.
Sachverständigengutachten
Eine fachliche Beurteilung durch einen vom Gericht bestellten unabhängigen Experten (Sachverständigen) zu speziellen Fragen, die besondere Fachkenntnisse erfordern. Der Sachverständige wird nach § 404 ZPO bestellt und muss sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen erstellen. Im Unfallversicherungsrecht sind dies oft medizinische Gutachten zur Beurteilung von Verletzungsfolgen. Das Gutachten dient dem Gericht als wichtige Entscheidungsgrundlage.
Beweislastumkehr
Eine Ausnahme vom Grundsatz der normalen Beweislast, bei der die eigentlich nicht beweispflichtige Partei die Beweislast trägt. Dies kann durch Gesetz oder Rechtsprechung angeordnet sein, etwa wenn die beweispflichtige Partei außerhalb des von ihr zu beweisenden Geschehensablaufs steht. Geregelt in § 292 ZPO. Beispiel: Wenn ein Arzt grundlegende Befunde nicht dokumentiert hat, muss er beweisen, dass bestimmte Behandlungsschritte ordnungsgemäß durchgeführt wurden.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 286 ZPO (Beweismaß im Zivilprozess):
Im Zivilprozess muss die beweisbelastete Partei, hier die Klägerin, den unfallbedingten Erstkörperschaden und die daraus resultierende Invalidität mit dem Maßstab des § 286 ZPO voll beweisen. Dies bedeutet, dass das Gericht davon überzeugt sein muss, dass der Schaden tatsächlich unfallbedingt ist. Zweifel gehen zu Lasten der beweisbelasteten Partei.
Im konkreten Fall konnte die Klägerin diesen Beweis nicht erbringen. Es steht lediglich fest, dass sie Prellungen an den Knien und eine leichte Kopfprellung erlitt. Ein Zusammenhang zwischen dem behaupteten Sturz und den psychischen sowie neurologischen Beschwerden konnte nicht nachgewiesen werden. Daher scheitert der Anspruch auf Invaliditätsleistungen. - Ziffer 5.2.6 AUB 2015 (Ausschluss psychischer Störungen):
Nach den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2015) sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, selbst wenn sie durch ein Unfallereignis verursacht wurden. Dies bedeutet, dass rein psychische Folgen eines Unfalls keine Leistungspflicht der Versicherung auslösen.
Im vorliegenden Fall führte die Klägerin psychische Beeinträchtigungen wie Ängste, Depressionen und kognitive Einschränkungen an. Da diese Beschwerden nach den AUB ausdrücklich ausgeschlossen sind, besteht für diese Einschränkungen kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung. - Ziffer 27 Besondere Bedingungen Unfall premium (Umbaukosten):
Die Zahlung von Umbaukosten setzt voraus, dass die Invalidität unfallbedingt ist. Der Invaliditätsgrad muss gemäß den vertraglichen Bedingungen festgestellt und nachgewiesen werden. Ohne eine anerkannte Invalidität entfällt dieser Anspruch.
Da die Klägerin keine unfallbedingte Invalidität nachweisen konnte, sind auch die beantragten Umzugskosten in Höhe von 10.000 Euro nicht zu erstatten. Die Voraussetzungen der vertraglichen Klausel sind nicht erfüllt. - Beweislast des Versicherungsnehmers in der privaten Unfallversicherung:
In der privaten Unfallversicherung liegt die Beweislast für das Vorliegen eines Erstkörperschadens und einer daraus resultierenden dauerhaften Invalidität beim Versicherungsnehmer. Die vollständige Überzeugung des Gerichts ist erforderlich, bloße Wahrscheinlichkeiten genügen nicht.
Im Fall konnte die Klägerin weder die behauptete Gehirnerschütterung noch einen dauerhaften unfallbedingten Schaden an den Knien beweisen. Auch die Sachverständigen bestätigten keinen medizinischen Zusammenhang zwischen den Verletzungen und den geltend gemachten Beschwerden. Damit scheitert der Anspruch auf Invaliditätsleistungen. - Anspruch auf außergerichtliche Anwaltskosten (§ 91 ZPO):
Vorgerichtliche Anwaltskosten können nur geltend gemacht werden, wenn die Hauptforderung berechtigt ist. Sie sind Nebenforderungen und teilen das Schicksal der Hauptforderung. Zudem muss die Gebührenhöhe angemessen sein.
Da die Klage auf Invaliditätsleistungen abgewiesen wurde, besteht kein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten. Darüber hinaus kritisierte das Gericht die vom Klägervertreter angesetzte 2,5-Geschäftsgebühr als überhöht und „jenseits von Gut und Böse“.
Das vorliegende Urteil
LG Traunstein – Az.: 1 O 872/18 – Endurteil vom 19.11.2021
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