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Betriebsunterbrechungsversicherung – Praxisschließung wegen eines Wasserschadens

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 163/05-13 – Urteil vom 20.08.2008

I. Auf die Berufung der Beklagten wird Ziffer 1) des Urteils des Landgerichts vom 24.03.2005 (14 O 74/03) – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

„Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.933,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.01.2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers werden zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagte zu 80 % und der Kläger zu 20 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 83 % und der Kläger zu 17 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger, ein niedergelassener Orthopäde, nimmt die Beklagte aus einer Betriebsunterbrechungsversicherung als Teil einer gebündelten Geschäftsversicherung für die Praxis (Bl. 184 ff. d.A.) in Anspruch, nachdem es in seiner Praxis aufgrund eines Wasserschadens in der Zeit vom 07.02. bis zum 11.02.2000 zu einem Betriebsausfall gekommen war. Dem Versicherungsvertrag liegen die Zusatzbedingungen für die einfache Betriebsunterbrechungs-Versicherung (Klein-BU-Versicherung ZKBU 87) zugrunde.

Der Kläger hat auf der Grundlage eines durchschnittlichen Tagesumsatzes von 4.375,88 DM, der zwischen den Parteien unstreitig ist, einen Ausfallschaden für die 5 Tage der Praxisschließung geltend gemacht. Die Beklagte hat die Zahlung verweigert, weil der von ihr vorprozessual beauftragte Sachverständige W. M. in seinem Gutachten vom 10.08.2001 auf Grund der von dem Kläger vorgelegten – unvollständigen – Unterlagen keinen Unterbrechungsschaden habe feststellen können. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass der 5-tägige Ausfall im Laufe des Jahres 2000 durch eine Nachholung der Behandlungstermine vollständig kompensiert worden sei.

Betriebsunterbrechungsversicherung - Praxisschließung wegen eines Wasserschadens
Symbolfoto: Von pramot/Shutterstock.com

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, eine hinreichende Grundlage für eine zuverlässige Schadensschätzung geliefert zu haben. Bei der Schätzung eines Verdienstausfallschadens sei grundsätzlich von dem durchschnittlichen Umsatz abzüglich etwa ersparter variabler Kosten auszugehen. Dies beruhe auf der Überlegung, dass ein selbstständiger Arzt an jedem Ausfalltag tatsächlich eine Leistung erbracht hätte, die das dafür erzielbare Honorar wert gewesen wäre. Der Sachverständige M. habe zu Unrecht unterstellt, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Praxisschließung als Facharzt für Orthopädie am Markt eine Ausnahmestellung besessen und ausschließlich oder überwiegend Stammpatienten auf der Grundlage fester Terminsvereinbarungen behandelt habe, die er problemlos nach Wiedereröffnung der Praxis habe weiterbehandeln können. Tatsächlich nehme der Kläger täglich eine Vielzahl von Neu- und Akutpatienten auf, die sich noch nicht an ihn als den Arzt ihres Vertrauens gebunden fühlten. Es sei daher davon auszugehen, dass gerade diese Patientengruppe in der Zeit der Betriebsschließung dauerhaft zu einem anderen Orthopäden gewechselt sei. Dies liege umso näher, als bis Mai 2000 – unstreitig – noch ein weiterer Orthopäde in der Stadt Lage ansässig gewesen sei. Deshalb sei dem Kläger durch die fehlende Aufnahmemöglichkeit gerade dieser Patienten ein großer Schaden entstanden. Nichts anderes gelte im Ergebnis aber auch für die Stammpatienten. Insoweit hat der Kläger – unwidersprochen – vorgetragen, dass die Praxis sowohl vor als auch nach der Schließung voll ausgelastet gewesen sei. Dies werde auch durch die EDV-Patientenunterlagen (Bl. 89 ff d. A.) belegt, wonach in der Woche vor Praxisschließung 343 Patienten und in der Woche danach 336 Patienten behandelt worden seien. Schon aufgrund der Auslastung der Praxis sei auch eine Nachholung bzw. Verschiebung der Behandlungstermine der Stammpatienten in der von der Beklagten unterstellten Form nicht möglich gewesen.

Gegen die Annahme eines Unterbrechungsschadens spreche auch nicht der Umstand, dass sich im Jahr 2000 insgesamt – aufgrund eines Anstiegs der Anzahl der Kassenpatienten – ein Umsatzzuwachs ergeben habe. Dieser sei nämlich darauf zurückzuführen, dass die Praxis des Klägers ab dem ersten Quartal des Jahres 2000 nicht mehr als reine Bestellpraxis geführt worden sei, also weitaus mehr Akut-Patienten behandelt worden seien. Demgegenüber sei der auf die Behandlung von Privatpatienten entfallende Umsatz von 188.552,42 DM im Jahr 1999 auf 179.282,46 DM im Jahr 2000 sogar gesunken (vgl. die Aufstellungen „Erlöse Privatpatienten“ 1999 und 2000, Bl. 39 ff und Bl. 51 ff d. A.). Die auf die Privatpatienten entfallenden Umsatzzahlen habe der Sachverständige M. völlig außer acht gelassen. Unabhängig davon sei allein der Umsatzzuwachs im Jahr 2000 schon deshalb nicht geeignet, die von der Beklagten behauptete Schadenskompensation zu belegen, weil dieser vielfältige Ursachen haben könne und anderenfalls das Florieren der Praxis des Klägers völlig unberücksichtigt bleibe.

Die Praxisschließung habe sich auch nicht deshalb weniger gravierend ausgewirkt, weil für die Kassenpatienten nach Ansicht der Beklagten unabhängig von der Anzahl der ärztlichen Behandlungen ohnehin lediglich eine „Fallpauschale“ berechnet werden könne. Zwar gebe es hier nach oben gedeckelte Pauschalen; diese müssten durch eine entsprechende Dauer und Intensität der Behandlung aber erst einmal erreicht werden.

Da die Praxiskosten sich fast ausschließlich aus Gemeinkosten i. S. v. erstattungsfähigen fortlaufenden Kosten gemäß § 2 Abs. 1 ZKBU 87 zusammensetzten, seien hier Umsatz und zu ersetzender Gewinn i. S. d. § 2 Abs. 1 ZKBU 87 gleichzusetzen. Hinsichtlich der in Abzug zu bringenden variablen Kosten hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass diese sich in einer orthopädischen Arztpraxis in der Größenordnung von maximal 2 bis 4 % bewegen dürften.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.186,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe einen schadensbedingten Betriebsausfall nach wie vor nicht schlüssig dargetan. Schon die unbestrittene Tatsache, dass in dem ersten Quartal 2000 „unter dem Strich“ kein Minderumsatz eingetreten, sondern vielmehr ein im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Jahren überdurchschnittliches Ergebnis erzielt worden sei, spreche dafür, dass Umsatzausfälle gerade nicht eingetreten, sondern mehr als kompensiert worden seien. Der Umstand, dass sich hinsichtlich der Privatpatienten über das Jahr gerechnet ein Rückgang von ca. 8.000,- DM ergeben habe, besage gar nichts, zumal sich aus den Unterlagen nicht ergebe, dass die Minderung in irgendeinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Betriebsausfall stehe.

Bei der Frage nach einem Unterbrechungsschaden sei zum einen zu beachten, dass der Kläger als Orthopäde erfahrungsgemäß im Wesentlichen „Stammpatienten“ betreue. Weiter sei zu beachten, dass die Praxis lediglich für einen kurzen Zeitraum von 5 Arbeitstagen habe geschlossen werden müssen. Bei dieser Sachlage sei davon auszugehen, dass der Kläger die für diese Tage bereits vereinbarten Termine auf einen späteren Zeitpunkt verlegt habe, so dass eine schlichte Verschiebung der Umsätze stattgefunden habe. Etwas anderes könne allenfalls bei Akut-Patienten angenommen werden. Insoweit habe der Kläger jedoch keinerlei Zahlen angegeben, aus denen sich das Verhältnis zwischen Erst- bzw. Akut-Patienten einerseits und Stammpatienten andererseits nachvollziehen lasse. Ebenso wenig habe dieser nachprüfbare Zahlen zu den Honorareinnahmen bei Erst-Patienten und bei Stammpatienten vorgelegt. Schließlich habe der Kläger auch deshalb keinen Ausfall erlitten, weil er für die von ihm überwiegend behandelten Kassenpatienten ohnehin nur eine „Fallpauschale“ erhalte.

Das Landgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil vom 24.03.2005 (Bl. 196 d. A.) zur Zahlung eines Betrages von 9.620,61 € nebst Zinsen verurteilt und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Dabei ist es davon ausgegangen, dass der Kläger einen Ausfallschaden schlüssig dargelegt habe, der auf der Grundlage eines täglichen Umsatzausfalls von 4.375,88 DM (= 2.237,35 €) zu berechnen sei. Hiervon seien aber die variablen Kosten in Abzug zu bringen, die wegen der Praxisschließung nicht angefallen seien. Deren Höhe hat das Landgericht gemäß dem Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2005 auf eine Entscheidung des OLG Hamm (NZV 1995, 316 zu den variablen Kosten einer Zahnarztpraxis) nach § 287 ZPO auf 14 % geschätzt. Im Übrigen sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger in wesentlichem Umfang Termine verlegt habe. Hiergegen spreche schon der unbestritten gebliebene Vortrag des Klägers, dass in den Wochen vor und nach der Praxisschließung in etwa gleich viele Patienten behandelt worden seien.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlussberufung eingelegt.

Die Beklagte wiederholt mit ihrer Berufung im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Darüber hinaus ist sie der Auffassung, der Kläger hätte zur Ermittlung eines etwaigen Gewinnausfalls konkret darlegen müssen, wie viele Patienten für den Zeitraum der Praxisschließungen bereits Festanmeldungen gehabt hätten und welche Vereinbarungen mit diesen aufgrund der Betriebsunterbrechung getroffen worden seien. Sie rügt ferner, dass der Kläger dem gerichtlichen Hinweis nicht nachgekommen sei, näher vorzutragen und unter Beweis zu stellen, wie viele Akut-Patienten er in dem streitgegenständlichen Zeitraum behandelt habe. Da die Praxisangestellten während der Praxisschließung vor Ort gewesen seien, sei der Kläger durchaus in der Lage, vorzutragen, wie viele Akut-Patienten hätten abgewiesen werden müssen. Die Beklagte meint ferner, das Landgericht habe die für eine Zahnarztpraxis geschätzten variablen Kosten nicht ohne weiteres auf die orthopädische Praxis des Klägers übertragen dürfen, sondern die variablen Kosten vielmehr konkret im Einzelnen ermitteln müssen.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 24.03.2005 (14 O 74/03) vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Mit seiner Anschlussberufung beantragt der Kläger weiter, die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 24.03.2005 (14 O 74/03) zur Zahlung weiterer 1.118,68 € zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger wendet sich mit seiner Anschlussberufung ebenfalls gegen die Berücksichtigung von variablen Kosten in Höhe von 14 %. Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass er erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen habe, dass diese Kosten sich maximal auf 3 – 4 % beliefen. Eine Zahnarztpraxis sei mit wesentlich höheren verbrauchsabhängigen Kosten belastet als eine orthopädische Praxis. Im Übrigen verteidigt er die angefochtene Entscheidung. Dem Berufungsvorbringen der Beklagten hält er im Einzelnen entgegen, dass er sich während der Zeit der Praxisschließung auf einen Aushang mit dem Hinweis auf die Schließung und die Möglichkeit einer anderweitigen Behandlung bei dem vor Ort ansässigen Kollegen habe beschränken müssen. Unabhängig davon, dass es im Jahr 2000 die von der Beklagten behaupteten „Fallpauschalen“ für Kassenpatienten nicht gegeben habe, könne solchen Abrechnungsmodalitäten aber auch kein entscheidender Einfluss auf die Ermittlung des entgangenen Gewinns zukommen, denn auf das gesamte Jahr hochgerechnet ergäben sich für den Zeitraum der Praxisschließung im Februar 2000 keinerlei Besonderheiten. Der Einfluss unterschiedlicher Abrechnungsmodalitäten bei Kassen- und bei Privatpatienten habe sich daher bereits bei der Ermittlung des durchschnittlichen Tagesumsatzes niedergeschlagen, und könne nicht – durch einen weiteren Abschlag von dem durchschnittlichen Tagesumsatz – noch einmal berücksichtigt werden.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen betriebswirtschaftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Oec. K. V. sowie einer ergänzenden Stellungnahme.

Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrages sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl. Oec. K. V. (lose in der Akte liegend) nebst ergänzender Stellungnahme vom 27.02.2008 (Bl. 430 d. A.), die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 03.03.2005 (Bl. 193 d. A.) und des Senats vom 09.11.2005 (Bl. 255 d. A.) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 24.03.2005 (Bl. 196 d. A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zum geringen Teil begründet, die Anschlussberufung ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch in Höhe von lediglich 8.933,93 € und nicht, wie erstinstanzlich zugesprochen, 9.620,61 € zu.

Dass der Kläger gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz des Unterbrechungsschadens hat, ist zwischen den Parteien unstreitig.

Nach § 2 Nr. 1 ZKBU 87 ist unter dem Unterbrechungsschaden der entgehende Betriebsgewinn und der Aufwand an fortlaufenden Kosten in dem versicherten Betrieb zu verstehen. Nach § 3 Nr. 1 ZKBU 87 ist auch der Gewinn aus Dienstleistungen versichert. Zu ersetzen ist nach § 4 Nr. 3 ZKBU 87 der Betriebsgewinn, den der Kläger infolge der Praxisschließung während der Haftzeit (vgl. hierzu § 2 Nr. 3 ZKBU 87: 12 Monate seit Eintritt des Sachschadens) nicht erwirtschaften konnte.

Im Hinblick auf den Umfang der Entschädigung sieht § 4 Nr. 2 ZKBU lediglich vor, dass die Entschädigung nicht zu einer Bereicherung führen darf und dass bei der Feststellung des Unterbrechungsschadens alle Umstände zu berücksichtigen sind, die den Gang und das Ergebnis des Betriebes während der Haftzeit günstig oder ungünstig beeinflusst haben würden, wenn die Unterbrechung nicht eingetreten wäre.

1. Ausgehend hiervon hat der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten die Entstehung eines Unterbrechungsschadens schlüssig dargetan. Da keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass das Ergebnis des Praxisbetriebes während des Zeitraums der Praxisschließung aus anderen Gründen ungünstig ausgefallen wäre (vgl. § 4 Nr. 2 ZKBU 87), ist davon auszugehen, dass der Kläger auch in diesem Zeitraum täglich eine Arbeitsleistung erbracht hätte, die das dafür erzielbare Honorar wert gewesen (vgl. KG, Urt. v. 05.10.1989 – 12 U 4524/88 – zitiert nach juris, Rn. 6 zur Darlegung eines Verdienstausfallschadens) und die dem Umfang nach nicht hinter der durchschnittlichen Arbeitsleistung zurückgeblieben wäre.

2. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte sich nicht darauf berufen kann, der Kläger habe deshalb keinen Ausfallschaden erlitten, weil er den Umsatzausfall durch eine Verlegung oder Nachholung von Behandlungsterminen nach Wiedereröffnung der Praxis kompensiert habe.

a) Hinsichtlich der Patientengruppe der Akut- und Neupatienten hat die Beklagte selbst eingeräumt, dass hier ein endgültiger Behandlungsausfall nahe liegt. Bei akuten Beschwerden kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Patient die Wiedereröffnung einer Praxis abwarten wird; bei den Neupatienten fehlt es noch an einer Bindung bzw. einem Vertrauensverhältnis zu dem Arzt, so dass aus diesem Grund ein (möglicherweise dauerhafter) Wechsel zu einem anderen Arzt zu erwarten ist. Dies gilt vorliegend umso mehr, als im Zeitraum der Praxisschließung noch ein weiterer Orthopäde in der Stadt Lage ansässig gewesen ist, wie der Kläger unwidersprochen vorgetragen und durch die Vorlage der Telefonbucheinträge auch belegt hat.

b) Anders stellt sich die Situation im Ausgangspunkt jedoch bei den Stammpatienten dar. Soweit diese sich in einer langfristig angelegten Behandlung befinden, wird ein kurzfristiger Ausfall an sich regelmäßig später durch eine Nachholung der Behandlung möglich sein (vgl. KG, aaO., Rn. 6). Aber auch anderenfalls wird ein Stammpatient, der zu dem Arzt ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, sich an den behandelnden Arzt gebunden fühlen und dazu neigen, die Behandlung zunächst zurückzustellen, anstatt zu einem anderen Arzt zu wechseln; dies gilt umso mehr, wenn die Behandlung durch den Arzt des Vertrauens nur für einen sehr kurzen Zeitraum ausgeschlossen ist (vgl. OLG Nürnberg, VersR 1977, 63 f.).

Aber auch bei dieser Patientengruppe kann hier nicht von einer Schadenskompensation durch Nachholung von Behandlungsterminen ausgegangen werden.

Hiergegen spricht nicht nur der unbestritten gebliebene Vortrag des Klägers, dass in den Wochen vor und nach der Praxisschließung in etwa gleich viele Patienten behandelt worden seien. Hinzu kommt der Umstand, dass aufgrund des ebenfalls unbestritten gebliebenen Vortrages des Klägers von der vollständigen Auslastung seiner Praxis auszugehen ist, mit der Folge, dass eine Nachholung von Behandlungsterminen vor allem auch aus diesem Grunde nicht in Betracht kam.

Aber selbst wenn man aufgrund der Lebenserfahrung davon ausgehen wollte, dass eine Nachholung von Behandlungen – zumindest in geringem Umfang – stattgefunden haben muss, so wirkt sich dies im Hinblick auf die Auslastung der Praxis jedenfalls nicht zugunsten der Beklagten aus. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde: Nach § 62 Abs. 1 VVG ist der Versicherungsnehmer gehalten, bei dem Eintritt des Versicherungsfalls nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen. Der BGH hat diese gesetzliche Vorgabe dahingehend konkretisiert, dass dem Versicherungsnehmer auferlegt werde, „die in der jeweiligen Situation möglichen und zumutbaren Rettungsmaßnahmen unverzüglich und mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu ergreifen, wie wenn er nicht versichert wäre“ (vgl. BGH, Urt. v. 12.07.1972 – IV ZR 23/71 – VersR 1972, 1039 f.; Berliner Kommentar/Beckmann, § 62 VVG, Rn. 9 und 25; Prölss/Martin, 27. Aufl., § 62 VVG, Rn. 11). Vor dem Hintergrund einer vollständigen Auslastung seiner Praxis war der Kläger zu einer Nachholung von Behandlungen außerhalb der Behandlungszeiten jedoch nicht gehalten, weil dies nach der oben dargestellten Rechtsprechung des BGH über den Rahmen des Zumutbaren hinausgehen würde. Eine Nachholung wäre in diesem Fall vielmehr als überpflichtmäßige Maßnahme anzusehen. Die hierdurch entstehenden Vorteile müssen deshalb bei der Feststellung des Unterbrechungsschadens – ebenso wie im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 16.02.1971 – VI ZR 147/69 – NJW 1971, 836 – zur Nachholung sämtlicher infolge der unfallbedingten Beschädigung ihres Kfz ausgefallenen Fahrstunden einer Fahrschule; OLG Hamm, NZV 1995, 316 ff.; juris PraxisKommentar/Rüßmann, § 254 BGB, Rn. 18) – außer Betracht bleiben.

Bei dieser Sachlage kommt es daher weder auf die konkrete Patientenstruktur in der Praxis des Klägers – Anzahl der Akut- bzw. Neupatienten und der Stammpatienten – noch auf die Terminsvereinbarungen des Klägers für die Woche der Praxisschließung an.

3. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich das Fehlen eines Ausfallschadens auch nicht daraus ableiten, dass sich im Jahr 2000 – insbesondere auch in dem ersten Quartal – „unter dem Strich“ ein Umsatzzuwachs gegenüber den Vorjahren ergeben hat. Der Kläger hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass bei einer solchen Argumentation das Florieren der Praxis völlig unberücksichtigt bliebe. Bei dieser Sachlage ist daher vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger auch in der Zeit der Praxisschließung einen erhöhten Umsatz erzielt hätte. Da somit allein die Tatsache eines Umsatzzuwachses für sich genommen nicht geeignet ist, die Annahme eines Ausfallschadens zu widerlegen, kommt es auch nicht auf die konkreten Gründe für den Umsatzanstieg an; ob die Praxis des Klägers tatsächlich seit dem ersten Quartal des Jahres 2000 nicht mehr als reine Bestellpraxis geführt worden ist, und daher weitaus mehr Akut-Patienten behandelt worden sind, kann daher offen bleiben.

4. Ebenso wenig greift der Einwand der Beklagten, dem Kläger könne auch deshalb kein Ausfallschaden entstanden sein, weil er überwiegend Kassenpatienten behandele, für die er – unabhängig von der Anzahl der ärztlichen Behandlungen – lediglich eine sogenannte Fallpauschale erhalte. Die Beklagte verkennt, dass sich die jeweiligen Abrechnungsmodalitäten – „nach oben gedeckelte Pauschale“ oder „Fallpauschale“ – bei der Berechnung des konkreten Unterbrechungsschadens schon deshalb nicht auswirken können, weil diese sich bereits bei der vom Sachverständigen vorgenommenen Ermittlung des Gewinns niedergeschlagen haben (vgl. unten 5)). Wie der Kläger zu Recht ausführt, kann die jeweilige Abrechnungsmodalität deshalb nicht nochmals – durch einen weiteren Abschlag von dem ermittelten Gewinn – berücksichtigt werden. Dass sich für den Zeitraum der Praxisschließung Besonderheiten gegenüber den Zeiträumen davor oder danach ergeben hätten, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

5. Was die Höhe des Unterbrechungsschadens anlangt, kann – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht auf den durchschnittlichen täglichen Umsatz abgestellt werden. Vielmehr ist maßgeblich, welcher konkrete Betriebsgewinn infolge der Praxisschließung vom 07.02. bis zum 11.02.2000 nicht erwirtschaftet werden konnte und welche konkreten fortlaufenden Kosten in diesem Zeitraum angefallen sind.

a) Aus dem Gutachten des Sachverständigen Dipl. Oec. V. ergibt sich, dass der Kläger in der Zeit vom 07.02. bis zum 11.02.2000 einen Verdienstausfall von 17.473,25 DM erlitten hat (S. 52 des Gutachtens). Der Sachverständige hat dieses Ergebnis nachvollziehbar und schlüssig begründet. Er hat zunächst auf der Grundlage der entsprechenden Einahmen-Überschuss-Rechnungen die Umsatzsituation der Praxis des Klägers in den Jahren 1999 bis 2001 ermittelt (S. 18 ff des Gutachtens). Sodann hat er die Fallzahlen, d. h. die Behandlungsfälle und die budgetrelevanten Fallzahlen ermittelt (S. 24 ff des Gutachtens). Ebenso wurde die jeweilige Anzahl pro Woche behandelter Patienten aufgelistet und analysiert (S. 26 ff des Gutachtens). Hieraus hat der Sachverständige ausgehend von der durchschnittlichen täglichen Patientenzahl einen Ausfall von 328 Behandlungen in der fünftägigen Ausfallzeit ermittelt (S. 29 des Gutachtens).

Des Weiteren hat der Sachverständige die Anzahl der Kassenpatienten aus der Gesamtzahl der Patienten herausgerechnet, um insoweit die spezielle Abrechnungsart unter Berücksichtigung der Fallpauschalen zu Grunde legen zu können (S. 30 f des Gutachtens). Gesetzlich versichert waren 91,7 % der Patienten, somit im Ausfallzeitraum 301 Patienten (S. 31 des Gutachtens). Ausgehend hiervon hat der Sachverständige ausgehend von der Abrechnung der Kassenärztlichen Vereinigung W. das Gesamthonorar für das 1. Quartal 2000 mit 164.878,50 DM ermittelt, worin das Praxisbudget sowie qualitätsgebundene Zusatzbudgets ebenso wie nicht budgetierte Leistungen enthalten sind (S. 33 des Gutachtens). Bei einer Erhöhung der budgetrelevanten Fallzahlen um 301 Patienten im Ausfallzeitraum resultiert damit hieraus ein entgangenes Honorar von 8.009,86 DM (S. 35 f des Gutachtens) sowie ferner ein solches von 4.571,05 DM bezüglich qualitätsgebundener Zusatzbudgets (S. 37 des Gutachtens). Insgesamt ist somit ein Kassenhonorar von 13.352,68 DM entgangen (S. 38 des Gutachtens).

Hinzu kommen die entgangenen Privatpatientenhonorare, welche der Sachverständige auf der Grundlage des im 1. Quartal 2000 erzielten Durchschnittsumsatzes ermittelt hat (S. 39 f des Gutachtens). Hieraus ergibt sich ein Umsatzausfall von 4.127,68 DM (S. 41 des Gutachtens). Unter Berücksichtigung weiterer Erlöse (S. 41 ff des Gutachtens) resultiert daraus ein Gesamtumsatzausfall von 19.414,72 DM.

Hiervon hat der Sachverständige ersparte Aufwendungen in Abzug gebracht (S. 44 ff des Gutachtens), denen variable, d. h. umsatzabhängige Kosten zu Grunde liegen. Deren Anteil an den Praxiseinnahmen hat der Sachverständige auf Grund der ihm vorliegenden Geschäftsunterlagen auf 10 % der Praxiseinnahmen geschätzt (S. 50 des Gutachtens) und vom Umsatzausfall in Abzug gebracht, woraus sich der Gesamtunterbrechungsschaden von 17.473,25 DM ergibt (S. 52 des Gutachtens).

Diese Ausführungen des Sachverständigen sind einleuchtend, in sich schlüssig und nachvollziehbar. Der Senat geht daher davon aus, dass es mit der gemäß § 287 ZPO erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Unterbrechungsschaden 17.473,25 DM = 8.933,93 € beträgt.

b) Die hiergegen von der Beklagten erhobenen Einwände greifen nicht durch, da sie von dem Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.02.2008 (Bl. 430 d. A.) entkräftet wurden.

Bezüglich der von der Beklagten behaupteten Übertragungs- und Rechenfehler (Bl. 418 d. A.) hat der Sachverständige zunächst ausgeführt, dass sich eine Änderung der ermittelten entgangenen 145 budgetrelevanten Fälle nicht ergeben würde, wenn man bezüglich der 13. Kalenderwoche 2000 von fünf Behandlungstagen ausgehen würde, während sich der Verdienstausfallschaden sogar erhöhen würde, wenn der 27.03.2000 und der 28.03.2000 nicht als Behandlungstage berücksichtigt würden. Der Sachverständige hat dies durch eine Vergleichsberechnung belegt (Bl. 430 – 432 d. A.).

Hinsichtlich der gerügten Abweichungen in der 5. sowie der 7. bis 9. Kalenderwoche hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich nicht um Übertragungsfehler handle, sondern die zur Verfügung gestellten Quellen Abweichungen enthielten. In das Gutachten seien die Angaben aus den Deckblättern der Tagesprotokolle für die einzelnen Kalenderwochen mit Angaben zur Summe der Patienteneinträge in den einzelnen Wochen übernommen worden. Dagegen sei der Anteil der gesetzlich Versicherten und der Privatpatienten aus den für die einzelnen Wochen vorliegenden Tagesprotokollen ermittelt worden. Auf eine Auswertung der kompletten Tagesprotokolle, die für die in dem Gutachten genannten Kalenderwochen mehrere hundert Seiten und mehrere tausend Patienteneinträge umfassten, sowie auf eine Einzelabstimmung der verschiedenen Quellen sei auf Grund des damit verbundenen Zeitaufwands verzichtet worden (Bl. 433 d. A.). Eine solche Einzelauswertung ist nach Auffassung des Senats im Rahmen der gemäß § 287 ZPO veranlassten Schätzung auch nicht erforderlich, da die von der Beklagten aufgezeigten geringfügigen Abweichungen bezüglich der Ermittlung von Durchschnittswerten nicht wesentlich ins Gewicht fallen.

Schließlich hat der Sachverständige – ausgehend von den unwidersprochenen Angaben des Klägers (Bl. 423 f d. A.) – ausgeführt, dass die Personalkosten während der Praxisschließung weiterhin angefallen sind, da weder eine Beurlaubung noch eine Erkrankung der Praxismitarbeiter vorlag. Es wurden ferner im Ausfallzeitraum auch keine Verwaltungsarbeiten in den Praxisräumen ausgeführt und auch keine Kosten durch einen zuständigen Versicherer ersetzt. Mithin ist davon auszugehen, dass die Personalkosten als fixe Kosten angefallen und nicht von dem entgangenen Umsatz in Abzug zu bringen sind (Bl. 439 d. A.). Soweit im Ausfallzeitraum zwei Behandlungsfälle vermerkt sind, hat der Kläger vorgetragen, dass es sich insoweit nicht um Behandlungen in der klägerischen Praxis, sondern in einer physiotherapeutischen Praxis gehandelt hat und lediglich die Abrechnung über die Praxis des Klägers erfolgt ist (Bl. 452 d. A.). Dies hat die Beklagte bestritten (Bl. 434 d. A.). Auch insoweit geht der Senat davon aus, dass hierdurch die Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO nicht wesentlich beeinflusst wird und daher eine Aufklärung der umstrittenen Behauptung nicht erforderlich ist.

Mithin verbleibt es bei dem Ausfallschaden von 8.933,93 €. Da erstinstanzlich 9.620,61 € zugesprochen wurden, ist das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. § 713 ZPO ist anwendbar, da die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, für jede der Parteien unzweifelhaft nicht gegeben sind. Dies folgt daraus, dass die Revision nicht zugelassen ist und gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO die Nichtzulassungsbeschwerde für jede der Parteien unzulässig ist, da die Beschwer einer jeden der Parteien im Berufungsverfahren nicht mehr als 20.000,- € beträgt.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO).

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 10.739,29 € (Berufung: 9.620,61 €; Anschlussberufung: 1.118,68 €).

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