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Betriebsschließungsversicherungen – Entschädigungsanspruch coronabedingte Betriebsschließung

LG Köln – Az.: 24 O 262/20 – Urteil vom 26.11.2020

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien verbinden u.a. zwei Betriebsschließungsversicherungen für die Restaurants „K“ unter der Anschrift # in ##### K1 und unter der Anschrift E Straße # in ##### K2. Auf den Versicherungsschein vom 27.07.2017 betreffend das Restaurant in K1, Versicherungsbeginn: 01.05.2017, (Anlage K 1, AH), den Versicherungsschein vom 19.02.2019, Versicherungsbeginn: 03.10.2018, sowie den Nachtrag Nr. 1 vom 08.04.2020 mit Wirkung vom 05.04.2020 betreffend das Restaurant in K2 (Versicherungsschein Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 29.10.2020, AH, und Nachtrag Anlage K 2, AH) und die zugehörigen Versicherungsbedingungen, die im Termin vom 15.10.2020 übergeben worden sind (SH; hinsichtlich der Klausel B 03001 Betriebsschließung Plus s. bereits Anlage K 3, AH) wird Bezug genommen.

Ferner wird Bezug genommen auf S. 5 eines Antrags betreffend die Betriebsschließungsversicherung (Anlage K 12, Bl. 67 GA).

In Klausel B03001 heißt es u.a.:

1.

Versicherungsumfang

1.1

Sofern sich nicht aus den folgenden Bestimmungen etwas anderes ergibt, leistet der Versicherer in Ergänzung von Teil B und Teil C ABS/PR Entschädigung gemäß Ziffer 4 bis zur vereinbarten Entschädigungsgrenze und soweit die Schäden nicht durch die Gefahrengruppen oder Gefahren nach Teil B Ziffer 3.1 bis 3.17 bzw. Teil C ABS/PR versichert sind, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten oder Krankheitserregern gemäß Nr. 2

a)

den versicherten Betrieb ganz oder teilweise zur Verhinderung und Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

b)

2.

Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieses Vertrages sind nur die im Folgen aufgeführten:

a)

Krankheiten

(Anmerkung der Kammer: Es folgt eine Aufzählung von zahlreichen Krankheiten, zu denen SARS-CoV-2 nicht gehört.)

b)

Krankheitserreger

(Anmerkung der Kammer. Es folgt die Aufzählung zahlreicher Krankheitserreger, zun denen Covid 19 nicht gehört.)

3.

Ausschlüsse

3.1

Der Versicherer haftet nicht für Schäden,

e)

bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.

4.

Umfang der Versicherung

4.1

Der Versicherer leistet Entschädigung für den Unterbrechungsschaden. Unterbrechungsschaden ist der entgehende Gewinn und der Aufwand an fortlaufenden Kosten in dem versicherten Betrieb.

4.4

Der Versicherer haftet für den Unterbrechungsschaden, der während der Dauer der vereinbarten Haftzeit anfällt, längstens für die Zeit von 12 Monaten.

Eine ausdrückliche Regelung, inwieweit ggf. öffentlich-rechtliche Leistungen aus Anlass einer Betriebsschließung von Seiten der öffentlichen Hand gewährt werden, findet sich in dem Baustein B03001 nicht.

In den Versicherungsscheinen ist die Haftzeit mit 12 Monaten vereinbart. Weiter heißt es: auf Erstes Risiko Versicherungssumme 50.000,- EUR (betreffend das Restaurant in K1) bzw. 10.000,- EUR (betreffend das Restaurant in K2).

Am 08.06.2020 erklärte die Beklagte die Deckungsablehnung hinsichtlich der am 29.04.2020 angemeldeten Deckungsansprüche (Anlage BLD 1 und 2, Bl. 47 f GA).

Die Klägerin ist der Ansicht, alle Fälle der Betriebsschließung aufgrund von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz stellten gedeckte Fälle dar. Hiervon sei sie aufgrund der Formulierung im Antragsformular ausgegangen. Auch der Deckungsausschluss für Prionenerkrankungen zeige, dass in Ziff. 2 nicht abschließend die Krankheiten und Krankheitserreger aufgeführt seien, aufgrund deren eine Betriebsschließung als gedeckt anzusehen sei. Dass der Wortlaut der Bedingungen nicht wörtlich zu nehmen sei, zeige sich auch darin, dass in der entsprechenden Klausel von Betriebsschließungen „zur Verhinderung und Verbreitung“ von meldepflichtigen Krankheiten die Rede sei.

Die Klägerin behauptet, beide Restaurants seien ab dem 19.03.2020 und jedenfalls während des gesamten Monats April 2020 vollständig geschlossen gewesen. Die Klägerin habe auch kein Liefer- oder Mitnahmegeschäft betrieben.

Die Klägerin macht den Ertragsausfall für den Monat April 2020 geltend und trägt hierzu im Einzelnen unter Bezugnahme auf Umsatzsteuervoranmeldungen und betriebswirtschaftliche Auswertungen (Anlagen K 7 bis K 11, AH) vor. Sie behauptet, im Monat April für beide Restaurants einen Umsatzausfall von 209.046,- EUR gehabt zu haben.

Die Klägerin trägt vor, für die beiden Restaurants eine Soforthilfe von insgesamt 25.000,- EUR erhalten zu haben.

Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 29.10.2020 hat die Klägerin die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beantragt. Sie trägt hierzu vor, unmittelbar nach Schluss der mündlichen Verhandlung sei dem Geschäftsführer der Klägerin, der an der Sitzung persönlich teilgenommen hat, bewusst geworden, dass ihm die Agentur der Beklagten, der Zeuge W, am 08.06.2016 vor Ort in einem ausführlichen Gespräch vor Abschluss des Versicherungsvertrages erklärt habe, dass der Versicherungsschutz in der Betriebsschließungsplus-Versicherung sich auf „sämtliche hoheitliche Betriebsschließungsmaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz“ erstrecke. Er habe hierzu auch ein Beispiel gebildet und erläutert, wie entsprechende behördliche Maßnahmen gegen Salmonellen versichert seien. Der Geschäftsführer der Klägerin habe an das Gespräch zunächst keine konkrete Erinnerung mehr gehabt. Erst nachdem das Gericht im Termin darauf hingewiesen habe, dass es nicht auf den Text des Antrags ankomme sondern auf das in der Klausel B03001 enthaltene Wort „nur“, habe er sich nach Verlassen des Sitzungssaales den genauen Gesprächsablauf und Inhalt am 08.06.2016, also einen Tag vor Stellung des Versicherungsantrag, wieder ins Gedächtnis zurückrufen können.

In dem nicht nachgelassenen Schriftsatz stützt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch hilfsweise auf § 280 BGB in Verb. mit § 1a Abs. 3 S. 1 VVG. Die Klägerin behauptet, es liege von Seiten der Beklagten eine unredliche und uneindeutige Information vor. Allein die im Antrag enthaltene Kurzbeschreibung des Versicherungsschutzes unter Angabe der Klauselbezeichnung führe dazu, dass ohne umfangreiche Lektüre und auch selbst dann eine eindeutige Einschränkung des Versicherungsumfangs nicht ersichtlich sei. Hinzu komme die (angebliche) Erklärung der Agentur im Zusammenhang mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages über den Umfang des Deckungsschutzes. Zudem hätte die Beklagte ggf. ihr Produkt auch mit Produkten der Wettbewerber vergleichen müssen. Wenn der Klägerin sodann klar geworden wäre, dass kein umfassender Deckungsschutz gegen alle hoheitliche Maßnahmen nach dem IfSG in Rede stehe, hätte sie bei einem anderen Unternehmen einen umfassenden Versicherungsschutz eingekauft.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 100.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.973,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, nach den Versicherungsbedingungen werde nur Deckung gewährt, wenn eine der in den Bedingungen abschließend genannten Krankheiten oder Krankheitserreger Grund für eine Betriebsschließung sei. Sie trägt hierzu im Einzelnen vor.

Die Beklagte meint, nur eine öffentlich-rechtlich wirksame Betriebsschließung löse eine Deckungspflicht aus. Sie meint, es fehle an einer öffentlich-rechtlich wirksamen Betriebsschließung und trägt hierzu vor. Auch fehle es an einer individuell behördlichen Schließung; es stehe nur eine Allgemeinverfügung des Landes in Rede.

Da Lieferungen außer Haus und Abholangebote jedenfalls weiter zulässig gewesen seien, liege auch weder eine Schließung noch eine Teilschließung vor.

Die Beklagte meint, aus den Versicherungsbedingen ergebe sich, dass nur betriebsinterne Gefahren in der Deckung seien, vorliegend also nur, wenn im Betrieb selbst Corona aufgetreten sei.

Die Beklagte bestreitet die Höhe des geltend gemachten Betriebsschließungsschadens.

Die Beklagte macht geltend, aufgrund der Schadensminderungsobliegenheit sei die Klägerin gehalten gewesen, Ansprüche gegen Dritte anzumelden und durchzusetzen, etwa Ansprüche auf Kurzarbeitergeld, staatliche Soforthilfe und Ansprüche nach §§ 56, 65 IfSG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht kein Entschädigungsanspruch wegen der coronabedingten Betriebsschließung nach Ziffer 1 der Klausel B03001, § 1 S. 1 VVG zu.

Die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen sehen einen Deckungsschutz nur bei Betriebsschließungen aufgrund der unter 2. im Einzelnen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger vor. Covid-19/SARS-CoV-2 sind dort nicht mitaufgeführt. Covid-19/SARS-CoV-2 waren zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages noch nicht bekannt.

Die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen sind klar und eindeutig gefasst. Sie halten auch einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle stand.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind -wie allgemein anerkannt (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., Einleitung Rz 258 ff mit zahlreichen Nachw. aus der Rspr.) – aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen. Maßgeblich ist die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und verständig unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs  würdigt. Maßgeblich ist in erster Linie der Klauselwortlaut. Vom Versicherer verfolgte Zwecke sind nur insoweit maßgeblich, sofern sie in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen Ausdruck gefunden haben, so dass sie dem aufmerksamen und verständigen Versicherungsnehmer erkennbar sind oder ihm zumindest Anlass zu einer Nachfrage geben. Risikoausschlüsse dürfen nicht weiter ausgelegt werden, als ihr Zweck es erfordert. Der Versicherungsnehmer muss nicht mit Deckungslücken rechnen, die ihm die Klausel nicht hinreichend verdeutlicht. Auf die – dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer in der Regel unbekannte – Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und auf den Vergleich mit anderen – dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer in der Regel ebenfalls unbekannten – Bedingungswerken kommt es nicht an. Maßgeblich sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.

Legt man diese Auslegungsgrundsätze zugrunde, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass Betriebsschließungen aufgrund von Covid-19/SARS-CoV-2 nicht in der Deckung sind. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist die Bedeutung des Wortes „nur“ bekannt. „Nur“ hat dieselbe Bedeutung wie „ausschließlich“. Hierüber kann man nicht streiten, ohne den Wortsinn, der nicht weiter auslegungsfähig ist, zu verdrehen. Es ist auch kein konkreter Anhaltspunkt dafür ersichtlich, weshalb der durchschnittliche Versicherungsnehmer annehmen sollte, entgegen dem klaren Wortlaut seien alle zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger deckungsrechtlich von Bedeutung, zumal in Ziff. 2 nichtmals auf  §§ 6, 7 IfSG Bezug genommen worden ist. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird auch nicht auf den Gedanken kommen, die Aufzählung unter Ziff. 2 beinhalte nur eine nachrichtliche Mitteilung, welche Krankheiten und Krankheitserreger zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages in §§ 6, 7 IfSG namentlich aufgelistet sind. Er wird vom Regelfall ausgehen und im Regelfall beinhalten Versicherungsbedingungen Regelungen und keine bloßen Mitteilungen ohne Regelungscharakter. Auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer weiß, dass der Versicherer grundsätzlich bestrebt ist, keine nur schwer oder gar nicht zu kalkulierende Deckung für Fälle zu versprechen, die er nicht kennt, wie etwa vorliegend das Auftreten neuer Krankheiten und Krankheitserreger, die unter das IfSG fallen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat auch keine Veranlassung, aus dem Deckungsausschluss in Ziff. 3.1 e) betreffend Prionenerkrankungen zu schließen, entgegen dem klaren Wortlaut unter 2. („nur“) handele es sich doch nicht um eine abschließende Regelung. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat nicht nur auf juristischem Gebiet keine Spezialkenntnisse sondern auch nicht auf medizinischem Gebiet. Er weiß nicht, dass die Krankheiten und Krankheitserreger, die in Ziff. 2 aufgelistet sind, nie in einem Zusammenhang mit Prionenerkrankungen stehen. Er wird den Deckungsausschluss vielmehr dahingehend verstehen, dass der Versicherer kein Leistungsversprechen in den Fällen abgibt, in denen die in Ziff. 2 aufgezählten Krankheiten aufgrund (neuerer) medizinischer Erkenntnisse doch als Prionenerkrankung anzusehen sind. Ob juristisch besonders qualifizierte Personen Bedenken wegen des Umfangs des Deckungsschutzes entwickeln, ist für die Auslegung nicht maßgeblich. Aus dem offensichtlich sprachlichen Versehen der Beklagten an anderer Stelle (Betriebsschließungen „zur Verhinderung und Verbreitung“ von meldepflichtigen Krankheiten) zu schließen, auch das Wort „nur“ sei nicht ernst gemeint, ist zu weitgehend.

Es handelt sich bei der Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in Ziff. 2 auch nicht um eine Deckungseinschränkung, sondern um eine primäre Beschreibung des Leistungsversprechens. Weder der Versicherungsschein, der ausdrücklich auf die Klausel B03001 Bezug nimmt, noch die Klausel B03001 selbst stellen den Satz auf, dass grundsätzlich Deckungsschutz für alle Betriebsschließungen aufgrund des IfSG gewährt wird, denn Ziff. 1 nimmt wiederum ausdrücklich Bezug auf die Aufzählung in Ziff. 2.

Selbst wenn man Ziff. 2 als Deckungseinschränkung auffassen wollte, nähme dies der Regelung nicht ihre Eindeutigkeit.

Da die Klausel in Ziff. 2 eindeutig ist, ist auch für die Anwendung der AGB-rechtlichen Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) ebensowenig Raum wie für die Annahme eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).

Die Klausel stellt in Bezug auf die Formulierung ihres abschließenden Charakters („nur“) auch keine unangemessene Benachteiligung i.S. des § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB dar. Es ist bereits fraglich, ob eine Inhaltskontrolle nach der vorbezeichneten Vorschrift überhaupt zulässig ist, denn primäre Leistungsbeschreibungen sind grundsätzlich nicht auf ihre Angemessenheit AGB-rechtlich überprüfbar (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 307 Rz 44 ff). Selbst wenn man von der Zulässigkeit der Inhaltskontrolle ausgeht, bestehen insoweit keine Bedenken. Kein Versicherungsnehmer kann davon ausgehen, dass grundsätzlich alle Risiken auf einem bestimmten Gebiet in der Deckung sind, sofern sich dies nicht aus den Versicherungsbedingungen ergibt. Gegen eine solche Erwartung spricht auch der Umstand, dass der Versicherungsnehmer auf ein umfangreiches Bedingungswerk hingewiesen wird, das in dieser Ausführlichkeit nicht erforderlich wäre, wenn alles und jedes in der Deckung wäre. Der Vertragszweck des vorliegenden Betriebsschließungsvertrages besteht darin, Deckungsschutz zu gewähren bei Betriebsschließungen aus Anlass des Auftretens der im Einzelnen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger. Die Erreichung dieses Vertragszwecks wird durch die Beschränkung der Einstandspflicht auf Betriebsschließungen aufgrund von Krankheiten oder Krankheitserregern, die im Einzelnen benannt werden, in keiner Weise gefährdet. Den Gerichten ist es über § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht gestattet, das Leistungsversprechen über den eindeutigen Wortlaut und Sinn hinaus  auszudehnen, weil sie der Ansicht sind, eine andere – aber eben nicht vereinbarte – Regelung, die umfassender Deckungsschutz gewähren würde, sei angemessener.

Die Klägerin verweist zur Begründung eines abweichenden Klauselverständnisses nicht mit Erfolg auf das Antragsformular, das sie – auszugweise – als Anlage K 12 vorgelegt hat. Im Antrag ist ausdrücklich auf die Klausel B03001 Bezug genommen worden. Auch sind die Angaben zu diesem Versicherungsbaustein so rudimentär, dass sich wegen der Einzelheiten eine Sicht in die Versicherungsbedingungen aufdrängt. Der bloße Umstand, dass es ohne Einschränkung heißt „Ertragsausfallschäden infolge hoheitlichen Eingriffs nach dem Infektionsschutzgesetz“ führt deshalb nicht dazu, dass die Klägerin keinen hinreichenden Anhaltspunkt für die Annahme haben durfte, die Versicherungsbedingungen würden nicht die Einzelheiten der Anspruchsvoraussetzungen näher regeln. Auch ergibt sich aus dem Versicherungsantrag keine bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen sich ergebende Unklarheit, denn die Formulierung „nur“ in Ziff. 2 der Bedingungen, zudem ohne Verweis auf das IfSG in diesem Zusammenhang, lässt keine Unklarheit zu.

Ein Grund für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht gegeben.

Ein Fall des § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist nicht gegeben. Die nachträglich vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen stellen nach § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur dann einen zwingenden Grund für eine Wiedereröffnung dar, wenn sie einen Wiederaufnahmegrund nach §§ 579, 580 ZPO bilden. Letzteres ist nicht der Fall. Die bloße Erinnerung einer Partei nach Schluss der mündlichen Verhandlung an ein bestimmtes rechtserhebliches Geschehen stellt ebensowenig einen Wiederaufnahmegrund dar wie die hierzu erfolgende Benennung von Zeugen.

Die Kammer übt das ihr in § 156 Abs. 1 ZPO eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass auch eine fakultative Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht stattfindet. In dem nachgeschobenen Vortrag liegt eine Nachlässigkeit der Klägerin, die es nicht rechtfertigt, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Die Versicherungsbedingungen sind mit der „nur-Formulierung“ eindeutig. Um hierüber hinweg zu kommen, hätte es sich der anwaltlich beratenen Partei aufdrängen müssen, bereits vor Schluss der mündlichen Verhandlung auf besondere Umstände im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Vertrages umfassend hinzuweisen, die ein abweichendes Ergebnis rechtfertigen könnten. Dass mit der Kurzbeschreibung des Deckungsumfangs im Versicherungsantrag allein keine hinreichende Erwartung eines allumfassenden Deckungsschutzes bei Betriebsschließungen aufgrund des IfSG begründet werden kann, wenn zugleich auf die entsprechende Klausel verwiesen wird und es sich angesichts des Umfangs der der Klägerin insgesamt zur Verfügung gestellten Versicherungsbedingungen aufdrängte, dass nähere Einzelheiten zum Deckungsumfang und dessen Grenzen in der entsprechenden Klausel beschrieben werden, lag auf der Hand und hätte schon vor Schluss der mündlichen Verhandlung hinreichende Veranlassung gegeben, das Gedächtnis zu etwaigen mündlichen Erklärungen der Agentur im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss anzustrengen und das Ergebnis sodann vorzutragen.

Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist auch nicht zur Prüfung eines etwaigen Schadensersatzanspruches, der nunmehr hilfsweise neben dem vor Schluss der mündlichen Verhandlung allein streitgegenständlichen Erfüllungsanspruchs geltend gemacht werden soll, geboten. Soweit in diesem Zusammenhang wieder die (angebliche) Erklärung des Zeugen W am 08.06.2016 bemüht wird, kann hierauf aus den oben genannten Gründen nicht abgestellt werden. Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB in Verb. mit § 1a Abs. 3 VVG besteht jedenfalls dann, wenn man die (angebliche) Erklärung des Zeugen W nicht mitberücksichtigt, ebensowenig wie ein Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 5 VVG. Hierbei kann dahinstehen, inwieweit § 1a VVG, der erst am 23.02.2018 in Kraft getreten ist, angesichts des bereits 2016 erfolgten Vertragsabschlusses anwendbar ist. Ein Verstoß gegen die Verhaltensgrundsätze, die § 1 a VVG für den Versicherer aufstellt, ist jedenfalls nicht gegeben. Die Informationen der Beklagten im Zusammenhang mit der Beschreibung des Deckungsumfangs waren eindeutig. Über die Bedeutung des Wortes „nur“ sollte man nicht streiten müssen. Was an dem Verhalten der Beklagten unredlich gewesen sein soll, erschließt sich der Kammer nicht. Eine Verpflichtung eines Versicherers, darauf hinzuweisen, dass Produkte von Mitbewerbern ggf. einen weitergehenden Deckungsschutz bieten, lässt sich § 1a VVG nicht entnehmen und lässt sich auch nicht aus § 6 VVG herleiten. Wenn ein Versicherungsnehmer eine solche Beratung wünscht, muss er sich entweder selbst kundig machen oder sich eines Versicherungsmaklers bedienen, den dann die Pflichten aus § 60 Abs. 1 VVG treffen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: 100.000,- EUR

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