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Betriebsschließungsversicherung und Betriebsschließung wegen COVID-19

OLG Frankfurt – Az.: 12 U 20/22 – Urteil vom 16.11.2022

1. Das Versäumnisurteil vom 06.09.2022 wird aufrechterhalten.

2. Der Kläger hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie.

Der Kläger betreibt ein Wellness-Hotel mit etwa 90 Zimmern, wozu auch Schwimmbäder, Saunen, Fitness-Bereiche sowie Bereiche für nichtmedizinische Massage und Physiotherapie und für Freizeitaktivitäten im Rahmen körperlicher Betätigung gehören.

Der Kläger unterhält seit dem 01.09.2003 mit Änderung mit Wirkung zum 07.11.2019 bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung zur Versicherungsscheinnummer … (Anlage K 1/4 – Bl. 13 d.A.). Für den Versicherungsfall der Schließung infolge einer Infektionsgefahr ist eine Tagesentschädigung in Höhe von 50.000,- EUR vorgesehen, wobei eine Entschädigungsleistung bis zu einer maximalen Dauer von 30 Schließungstagen vereinbart ist. Dem Versicherungsverhältnis liegen insbesondere die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung – Stand 01.01.2019 (AVB-BS, Anlage K1/10, Bl. 24 ff. d.A.), die besonderen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung – Stand 01.01.2019 (BBR-BS, Anlage K1/6, Bl. 17 d.A.) und das Produktinformationsblatt zur Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr (Anlage K1/7, Bl. 18 f. d.A.) zugrunde.

§ 1 AVB-BS unter der Überschrift „Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren“ lautet auszugsweise wie folgt:

„1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetzt – IfSG1) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt (…);

(…)

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten

– (…)

b) Krankheitserreger

– (…)“

Betriebsschließungsversicherung und Betriebsschließung wegen COVID-19
(Symbolfoto: NewSaetiew/Shutterstock.com)

Die Buchstaben a) und b) enthalten die Aufzählung von 18 Krankheiten und 49 Krankheitserregern. Nicht genannt sind die Krankheit COVID-19 und der Krankheitserreger SARS-CoV-2.

In der Fußnote 1 zu § 1 Abs. 1 HS 1 AVB-BS heißt es: „Auf Wunsch werden Auszüge zu den genannten Gesetzestexten zur Verfügung gestellt.“

In § 3 der AVB-BS sind Ausschlüsse geregelt. Hier heißt es wie folgt:

„4. Krankheiten und Krankheitserreger

Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.“

Ziffer 2 der BBR-BS lautet unter der Unterschrift „Erweiterungen meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger“:

„Zusätzlich zu den in § 1 Ziff. 2 AVB-BS genannten Krankheiten und Krankheitserregern gelten darüber hinaus auch die folgenden Krankheiten des alten Bundes Seuchenschutz Gesetz von 1962 als ebenfalls mitversichert:

– Keuchhusten

– (…)“

Wegen der Einzelheiten der AVB-BS, der BBR-BS und des Produktinformationsblatts wird auf die Anlagen K1/10 (Bl. 24 ff. d.A.), K1/6 (Bl. 17 d.A.) und K1/7 (Bl. 18 f. d.A.) verwiesen.

Im März 2020 teilte die Beklagte auf ihrer Website mit:

„Am 01.02.2020 wurde der Corona-Virus als meldepflichtige Krankheit im IfSG mit aufgenommen. Da wir u.a. Krankheiten nach §§ 6 und 7 des IfSG versichert haben, gilt eine Betriebsschließung durch eine Behörde aufgrund des Corona-Virus im Rahmen unserer Bedingungen als mitversichert.“

Am 22.03.2020 wurde für das Land Brandenburg eine Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus veröffentlicht, wonach ab dem 23.03.2020 bis zum 19.04.2020 u.a. Einrichtungen, die Freizeitaktivitäten anbieten, für den Publikumsverkehr zu schließen waren (§ 3 Abs. 4), der Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimmbädern, Fitnessstudios u.a. sowie der Betrieb von Thermen, Wellnesszentren und ähnlichen Einrichtungen untersagt (§ 4 Abs. 1), die Schließung von Gaststätten für den Publikumsverkehr angeordnet (§ 6 Abs. 1) und den Betreibern von Beherbergungsstätten die Beherbergung von Personen zu touristischen Zwecken untersagt wurde (§ 6 Abs. 5). Mit Verordnung vom 17.04.2020 wurden diese Maßnahmen bis zum 08.05.2020 verlängert. Wegen der Einzelheiten der Verordnungen wird auf die Anlagen K 3 (Bl. 33 ff. d.A.) und K 4 (Bl. 39 ff. d.A.) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 31.03.2020 gab der Kläger über seine Versicherungsmaklerin, die X GmbH & Co. KG, gegenüber der Beklagten eine Schadensmeldung ab (Anlage BLD 1, Anlagenband). Mit Schreiben vom 08.04.2020 (Anlage K5, Bl. 47 ff. d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass kein Versicherungsschutz bestehe, und bot eine „Kulanzzahlung“ in Höhe von 15 % der vereinbarten Tagesentschädigung für die Dauer von 30 Schließungstagen an.

Der Kläger hat behauptet, sein Hotel sei komplett in der Zeit vom 22.03.2020 bis einschließlich 11.06.2020 geschlossen gewesen. Ohne die Schließung wäre es kontinuierlich – 365 Tage im Jahr – geöffnet gewesen. Die Beklagte habe ihm über das Versicherungsmaklerbüro X bereits am 26.02.2020 per E-Mail mitteilen lassen, dass am 01.02.2020 das Corona-Virus als meldepflichtige Krankheit im Infektionsschutzgesetz mit aufgenommen worden sei und, da sie u.a. Krankheiten nach §§ 6 und 7 des IfSG versichert habe, eine Betriebsschließung durch eine Behörde aufgrund des Corona-Virus im Rahmen ihrer Bedingungen als mitversichert gelte. Wegen der näheren Einzelheiten der E-Mail vom 26.02.2020 wird auf die Anlage K2 (Bl. 32 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Schließung seines Hotels sei durch die Versicherungsbedingungen gedeckt. Dass nur das Auftreten einer betriebsinternen Gefahr versichert sei, ergebe sich aus den Bedingungen nicht. Die Liste meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Abs. 2 AVB-BS solle allein dem Versicherungsnehmer einen Überblick über die mitversicherten Krankheiten und Krankheitserreger bieten, hingegen nicht bestimmte, bereits bei erstmaliger Verwendung der AVB-BS meldepflichtige oder später meldepflichtig gewordene Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz ausschließen.

Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger von ihrem Homepage-Eintrag Kenntnis hatte und dass sie der klägerischen Versicherungsmaklerin gegenüber in Bezug auf das hiesige Versicherungsverhältnis einen „Versicherungsschutz für Krankheiten nach §§ 6/7 des IfSG“ bestätigt habe. Die Beklagte hat behauptet, insbesondere habe sie eine dahingehende Aussage nicht „über das Versicherungsbüro X“ mitteilen lassen. Vielmehr gebe die Versicherungsmaklerin in ihrer E-Mail vom 26.02.2020 allein den Bedingungswortlaut des § 1 AVB-BS wieder.

Die Beklagte hat u.a. die Auffassung vertreten, es liege kein Versicherungsfall vor. Nach den Versicherungsbedingungen sei eine Betriebsschließung nur dann versichert, wenn sie aufgrund einer aus dem Betrieb selbst herrührenden (betriebsinternen) Gefahr erfolge. Ferner seien alle bedingungsgemäß versicherten Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Abs. 2 AVB-BS namentlich und abschließend aufgeführt und die tabellarische Aufzählung beinhalte weder COVID-19 als Krankheit noch SARS-CoV bzw. SARS-CoV-2 als Krankheitserreger. Belegt werde dies durch die namentliche Erweiterung der den Versicherungsfall auslösenden Krankheiten und Krankheitserreger in den BBR-BS. Zusätzlich zu der abschließenden Auflistung in § 1 Abs. 2 AVB-BS würden zu Gunsten des Versicherungsnehmers durch § 2 BBR-BS ausdrücklich die dort erwähnten Krankheiten mitversichert. Dieser expliziten Erweiterung hätte es nicht bedurft, wenn der Katalog in § 1 Abs. 2 AVB-BS nicht abschließend sei.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Y. Ferner hat das Landgericht den Kläger informatorisch angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme und der informatorischen Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.10.2020 (Bl. 220 ff. d. A.) verwiesen.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil vom 27.10.2021 (Bl. 228 ff. d.A.), der Beklagten zugestellt am 04.01.2022, verwiesen.

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.500.000,- EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 % in der Zeit vom 01.04.2020 bis zum 09.04.2020 und weitere Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, mindestens jedoch Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 10.04.2020 zu zahlen. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich einer Mehrforderung wegen eines weiteren Zinstages, hat es die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochten Urteils (Bl. 235 ff. d.A.) wird zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die am 03.02.2022 eingelegte Berufung der Beklagten (Bl. 271 d.A.). Auf Antrag der Beklagten vom 03.03.2022 (Bl. 301 d.A.) wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum 01.04.2022 verlängert (Bl. 304 d.A.). Die Beklagte hat die Berufung mittels des am 01.04.2022 bei Gericht eingegangenen Schriftsatzes (Bl. 307 ff. d.A.) begründet.

Die Beklagte wiederholt ihre erstinstanzlichen Einwände u.a. unter Bezug auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2022 in der Sache IV ZR 144/21. Ferner ist die Beklagte der Ansicht, dass es anders als in dem durch den Bundesgerichtshof beurteilten Vertragsverhältnis nicht ausschließlich auf die zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen ankomme, sondern ebenfalls auf den Inhalt des Produktinformationsblattes (Anlage K1/7, Bl. 18 f. d.A.), da dieses ausweislich des Versicherungsscheins gerade eine dem Versicherungsverhältnis zugrundeliegende Vertragsbestimmung bilde. Dort werde zum Umfang der Versicherung ausgeführt, dass allein eine „im Betrieb auftretende“ Infektion gedeckt sei. Ferner rügt die Beklagte, die Beweiswürdigung des Landgerichts verstoße gegen das Beweismaß des § 286 ZPO.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beklagtenvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 01.04.2022 (Bl. 307 ff. d.A.) sowie die weiteren zweitinstanzlichen Schriftsätze vom 29.08.2022 (Bl. 370 ff. d.A.) und 26.10.2022 (Bl. 419 f. d.A.) Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung vom 06.09.2022 ist aufgrund der Säumnis der Klägerseite im Wege des Versäumnisurteils unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 27.10.2021 die Klage vollumfänglich abgewiesen worden. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das Versäumnisurteil vom 06.09.2022 (Bl. 386 f. d.A.) Bezug genommen. Gegen dieses dem Kläger am 23.09.2022 zugestellte (Bl. 401 d.A.) Versäumnisurteil hat der Kläger am 23.09.2022 Einspruch eingelegt (Bl. 396 d.A.).

Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil vom 06.09.2022 aufrechtzuerhalten.

Der Kläger beantragt, das Versäumnisurteil vom 06.09.2022 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt insbesondere an, der vorliegende Sachverhalt unterscheide sich von dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2022 in der Sache IV ZR 144/21 zugrunde gelegen habe, weshalb im vorliegenden Fall § 1 AVB-BS jedenfalls gemäß § 305c Abs. 2 BGB aufgrund der unklaren Regelung hinsichtlich der erfassten Erreger zu seinen Gunsten so auszulegen sei, dass alle Krankheitserreger, die nach § 7 IfSG in seiner jeweils aktuellen Fassung meldepflichtig seien, einen Versicherungsfall begründen könnten.

Denn zur Bestimmung des Versicherungsumfangs komme es im vorliegenden Fall nicht ausschließlich auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen an, sondern gleichfalls auf den Inhalt des Produktinformationsblattes (Anlage K1/7, Bl. 18 f. d.A.), das ausweislich des Versicherungsscheins ebenfalls eine dem Versicherungsverhältnis zugrundeliegende Vertragsbestimmung bilde. Da das Produktinformationsblatt unter dem Punkt „Was ist versichert?“ das „Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“ ohne einschränkenden Hinweis auf eine Definition in den AVB-BS benenne, erwarte der Versicherungsnehmer einen umfassenden Schutz bei Betriebsschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz beim Auftreten von Krankheiten, die im Zeitpunkt der Betriebsschließung nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtig seien. Angesichts der umfassenden Aufzählung zu den Deckungsbeschränkungen im Produktinformationsblatt erwarte der Versicherungsnehmer zudem nicht, dass es weitere, im Produktinformationsblatt nicht einmal angedeutete und nur in den AVB-BS nachlesbare Leistungsausschlüsse geben könnte, erst recht nicht solche, die (anders als die im Produktinformationsblatt genannten Deckungsbeschränkungen) von höchster praktischer Bedeutung sein könnten. Daher sei die Regelung auch überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB.

Zudem werde dadurch, dass in der Fußnote zu § 1 Abs. 1 der AVB-BS die Übersendung von Gesetzestexten angeboten werde und die AVB-BS nicht auf eine bestimmte Fassung des Infektionsschutzgesetzes Bezug nähmen, beim durchschnittlichen Versicherungsnehmer die Erwartung begründet, dass die jeweils geltende Fassung des Infektionsschutzgesetzes maßgeblich sein werde (dynamische Verweisung), da die Übersendung einer bereits außer Kraft getretenen Gesetzesfassung irreführend und unlauter wäre und ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer damit auch nicht zu rechnen brauche, dies umso mehr, als die Bereitschaft zur Übersendung von Gesetzestexten nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses beschränkt sei. Durch die Bereitschaft zur Übersendung von Gesetzestexten, von der in dem vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26.01.2022 (IV ZR 144/21) entschiedenen Fall keine Rede gewesen sei, werde der Eindruck erweckt, dass künftige Rechtsänderungen Einfluss auf den Vertragsinhalt hätten.

Den AVB-BS und BBR-BS der Beklagten liege – anders als den Versicherungsbedingungen, die in dem vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26.01.2022 (IV ZR 144/21) entschiedenen Fall streitgegenständlich gewesen seien – die antiquierte Rechtslage vor dem 29.03.2013 zugrunde. Es sei mithin bei der Formulierung der AVB-BS schlicht vergessen worden, die seit dem 29.03.2013 erfolgten Rechtsänderungen im Infektionsschutzgesetz zu berücksichtigen, da es keinen rationalen Grund dafür gebe, den Keuchhusten im Jahr 2019 in einer Liste von Krankheiten zu führen, die nach dem Bundes-Seuchengesetz meldepflichtig gewesen seien, nach dem Infektionsschutzgesetz aber nicht. Es sei im Jahr 2019 schlicht unredlich gewesen, eine Betriebsschließungsversicherung am Markt zu vertreiben, die die bereits seit 2013 meldepflichtigen Krankheiten Keuchhusten und Windpocken nicht erfasse, ohne dies gegenüber den Versicherungsinteressenten beim Produktvertrieb zu verdeutlichen. Gerade weil der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem Versicherer kein derart unredliches Verhalten zu unterstellen brauche, dürfe er davon ausgehen, dass letztlich (in Übereinstimmung mit dem Produktinformationsblatt) alle meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien, mithin der Katalog des § 1 Abs. 2 AVB-BS nur beispielhaft und nicht abschließend zu verstehen sei. Jedenfalls sei die Regelung des § 1 Abs. 2 AVB-BS nicht klar und verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB und benachteilige ihn unangemessen.

Das Hauptargument des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 26.01.2022, die Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen wäre bei einer dynamischen Verweisung auf die aktuelle Rechtslage überflüssig, setze voraus, dass der Versicherer bewusst und gewollt den Versicherungsschutz von vornherein auf einen geschlossenen, nicht erweiterungsfähigen Kreis von Krankheiten und Krankheitserregern habe beschränken wollen, wogegen aber erkennbar vieles spreche: die Bereitschaft zur Übersendung von (aktuellen) Gesetzestexten, die im Falle eines abschließenden Katalogs nicht gegebene Versicherbarkeit von Keuchhusten und Windpocken entgegen den Markterwartungen und entgegen dem Angebot von Konkurrenten, und das Fehlen jedweden Hinweises auf einen numerus clausus der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger im Produktinformationsblatt.

Der Kläger ist der Ansicht, § 1 Abs. 2 AVB-BS sei gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden, da Versicherungsnehmer in Allgemeinen Versicherungsbedingungen, in deren Überschrift ausdrücklich „Stand 01.01.2019“ stehe, nicht damit rechnen müssten, dass die Liste meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger sich infolge eines nachlässigerweise unterbliebenen Abgleichs mit der im Jahr 2019 geltenden Rechtslage auf den Rechtszustand am 28.03.2013 beziehe. Allein die Nichterfassung von Keuchhusten und Windpocken im Katalog nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtiger Krankheiten in einem ausdrücklich als „AVB-BS Stand 01.01.2019“ überschriebenen Regelwerk führe für sich genommen bereits zum Verstoß der Gesamtregelung in § 1 Abs. 2 AVB-BS gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und damit zur Unwirksamkeit der Klausel.

Der Kläger behauptet ferner, ein Verständnis des Begriffs der „meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger“ in den AVB-BS im Sinne des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2022 würde auch nicht dem Willen der Parteien entsprechen. Die Beklagte sei noch im März 2020 selbst davon ausgegangen, dass jedwede meldepflichtige Krankheit und jedweder meldepflichtige Krankheitserreger versichert sei. Zwar seien Erklärungen zum Versicherungsumfang im Hinblick auf COVID-19 ihm gegenüber nicht unmittelbar durch die Beklagte abgegeben worden, sondern nur durch eine Maklerin. Anderen Versicherungsnehmern gegenüber habe die Beklagte jedoch sehr wohl Erklärungen mit gleichem Inhalt abgegeben. Zwar könnten diese nicht mehr nachträglich den Inhalt eines schon 2019 abgeschlossenen Versicherungsvertrages beeinflussen, jedoch seien sie durchaus indiziell für das über lange Zeit gepflegte Eigenverständnis ihrer AVB-BS durch die Beklagte. Beide Parteien hätten schon im Zeitpunkt der Ausstellung des Versicherungsscheins (und davor) § 1 Abs. 2 AVB-BS im Einklang mit dem Produktinformationsblatt dahingehend verstanden, dass der Katalog nicht abschließend sei, sondern Versicherungsschutz bei Betriebsschließungen infolge einer zu diesem Zeitpunkt meldepflichtigen Krankheit, wie beispielsweise Windpocken oder Keuchhusten bestehe. Erklärungen der Beklagten zu den seit dem 28.03.2013 meldepflichtigen, im Katalog nicht enthaltenen Krankheiten Windpocken und Keuchhusten, inklusive Leistungszusagen, gebe es auch in der Zeit vor Vertragsschluss und vor erstmaliger Verwendung der AVB-BS, d.h. im Zeitraum zwischen dem 28.03.2013 und dem 31.12.2018. Die Beklagte habe beide Krankheiten, nachdem sie mit Wirkung vom 28.03.2013 meldepflichtig geworden seien, stets als mitversichert betrachtet. Dies sei auch beklagtenseits nie bestritten worden. Daher sei das vom Bundesgerichtshof vertretene Verständnis des § 1 Abs. 2 AVB-BS entsprechend dem objektiven Empfängerhorizont als Fall einer vom übereinstimmenden Parteiwillen abweichenden und damit unbeachtlichen Darstellung (falsa demonstratio) anzusehen.

Der Eintritt eines Versicherungsfalls setze zudem – wie der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26.01.2022 (IV ZR 144/21) entschieden habe – nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sogenannten intrinsischen Infektionsgefahr voraus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Klägervortrags wird auf die Berufungserwiderung vom 01.06.2022 (Bl. 329 ff. d.A.) sowie die weiteren zweitinstanzlichen Schriftsätze vom 15.07.2022 (Bl. 361 ff. d.A.), 23.09.2022 (Bl. 398 f. d.A.) und 27.10.2022 (Bl. 423 ff. d.A.) Bezug genommen.

II.

A. Der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil, mit dem das Landgericht der Klage ganz überwiegend stattgegeben hat, bedarf der Abänderung, da die Klage unbegründet ist.

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 1.500.000,- EUR aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag i.V.m. § 1 S. 1 VVG und § 1 AVB-BS.

Es besteht zwar unstreitig ein Vertrag über eine Betriebsschließungsversicherung zwischen den Parteien, welcher die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Entschädigung in der vereinbarten Höhe zu zahlen, wenn es zu einer Schließung des versicherten Betriebs durch die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern kommt (§ 1 Abs. 1 lit. a) AVB-BS). Eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 ist jedoch nicht vom Versicherungsschutz umfasst (so grundlegend BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21, zitiert nach juris, zu im Wesentlichen identischen Versicherungsbedingungen).

1) Nach § 1 Abs. 1 lit. a) AVB-BS besteht Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem Katalog in § 1 Abs. 2 AVB-BS, der weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt. Die Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in dem Katalog des § 1 Abs. 2 lit. a) und b) AVB-BS ist abschließend. Die Klausel enthält insoweit keine dynamische Verweisung auf die §§ 6 und 7 IfSG. Dies ergibt die Auslegung der Klausel. Einer Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB bedarf es nicht (BGH, a.a.O., Rn. 15).

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, a.a.O., Rn. 10, m.w.N.).

a) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird anhand des Klammerzusatzes in § 1 Abs. 1 AVB-BS „(siehe Nr. 2)“ und der Formulierung in § 1 Abs. 2 AVB-BS „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind…“ erkennen, dass insoweit eine eigenständige Definition in den Bedingungen erfolgt. Da nach dem Klauselwortlaut ausdrücklich „die folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, wobei das Wort „folgenden“ im vorliegenden Fall zudem durch Fettdruck zusätzlich grafisch hervorgehoben ist, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer die anschließende umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern in den Buchstaben a) und b) als abschließend und nicht etwa als reine Information über den Inhalt des Infektionsschutzgesetzes erachten. Der Wortlaut der Klausel gibt ihm keinen Hinweis für eine lediglich beispielhafte Auflistung und dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird auffallen, dass es der Regelung des § 1 Abs. 2 AVB-BS nicht bedurft hätte, wenn die Beklagte alle nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger mit ihrem Leistungsversprechen hätte erfassen wollen (BGH, a.a.O., Rn. 16 f., m.w.N.).

b) Die ergänzende Bezugnahme in § 1 Abs. 2 AVB-BS auf die „im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserreger wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer lediglich als Klarstellung verstehen, dass sich die Beklagte bei der Abfassung des Katalogs inhaltlich an den §§ 6 und 7 IfSG orientiert hat. Diese Klarstellung hat für ihn insoweit Bedeutung, als nach § 1 Abs. 1 AVB-BS nur ein behördliches Handeln aufgrund des Infektionsschutzgesetzes versichert ist. Zudem wird er davon ausgehen, dass bei einer gewollten dynamischen Verweisung auf die §§ 6 und 7 IfSG die Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserregern nicht erfolgt wäre (BGH, a.a.O., Rn. 19 m.w.N.). Dass in § 1 Abs. 2 AVB-BS das Infektionsschutzgesetz als „Infektionsgesetz“ bezeichnet ist, wird den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht zu einem abweichenden Verständnis veranlassen, da diese Formulierung für ihn offenkundig als Schreibfehler zu erkennen ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 22.06.2022 – IV ZR 437/21, zitiert nach juris, Rn. 6).

c) Der erkennbare Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel spricht ebenfalls für die Abgeschlossenheit des Katalogs. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird zwar einerseits ein Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, andererseits aber nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen will, die – wie hier COVID-19/SARS-CoV-2 gerade zeigt – unter Umständen erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich ist (BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21, zitiert nach juris, Rn. 21, m.w.N.).

d) Diesem Verständnis steht auch nicht der ausdrückliche Risikoausschluss bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf in § 3 Abs. 4 AVB-BS entgegen. Selbst wenn ein solcher Risikoausschluss bei einer abschließenden Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger grundsätzlich nicht erforderlich sein sollte, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht allein aus der Existenz eines solchen Ausschlusses auf eine fehlende Abgeschlossenheit des Katalogs schließen. Im Übrigen wird er mangels medizinischer Fachkenntnisse nicht beurteilen können, ob in den Bedingungen aufgeführte Krankheiten auf Prionenerkrankungen zurückgehen könnten, sodass er bereits nicht erkennen wird, ob der Risikoausschluss überhaupt überflüssig ist (BGH, a.a.O., Rn. 22, m.w.N.).

2) Die Klausel hält auch der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB stand.

a) § 1 Abs. 2 AVB-BS verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ist nicht schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können. Zudem ist für den Versicherungsnehmer hinreichend erkennbar, dass der Katalog in § 1 Abs. 2 AVB-BS nicht sämtliche nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erfasst und daher Lücken im Versicherungsschutz bestehen. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei. Vielmehr ist für ihn erkennbar, dass mit der abschließenden Aufzählung von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern in § 1 Abs. 2 AVB-BS eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die dort genannten Krankheiten und Krankheitserreger verbunden ist. Aus der Bezugnahme des § 1 Abs. 2 AVB-BS auf die „im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserreger folgt für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer – wie dargestellt – nur, dass die nachfolgend in der Klausel genannten Krankheiten und Krankheitserreger zugleich im Infektionsschutzgesetz aufgeführt werden. Er wird daraus jedoch nicht entnehmen, dass trotz der für ihn erkennbar einschränkenden Definition in § 1 Abs. 2 AVB-BS sämtliche nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien. Er kann angesichts der Formulierung in § 1 Abs. 2 AVB-BS („Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen…“) auch nicht erwarten, dass der Katalog in § 1 Abs. 2 AVB-BS mit dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG enthaltenen Katalog wortidentisch übereinstimmt. Selbst wenn die in § 1 Abs. 2 AVB-BS genannten Krankheiten und Krankheitserreger nicht identisch sind mit den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern, ergibt sich daraus mithin keine Intransparenz. Ferner wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennen, dass durch Änderungen des Infektionsschutzgesetzes andere Krankheiten und Krankheitserreger in das Gesetz aufgenommen werden können, die nicht von der abschließenden Aufzählung in den Bedingungen erfasst werden (BGH, a.a.O., Rn. 32 ff., m.w.N.).

b) Die Klausel benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen.

Ein gesetzliches Leitbild i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, von dem § 1 Abs. 2 AVB-BS abweicht, gibt es nicht. Ein solches lässt sich weder dem Infektionsschutzgesetz noch dem § 1a VVG entnehmen.

Eine Gefährdung des Vertragszwecks (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) ist mit der Klausel ebenfalls nicht verbunden. Eine solche liegt erst dann vor, wenn die Einschränkung den Vertag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht. Das ist hier nicht der Fall. Mit dem Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung bezweckt der Versicherungsnehmer Schutz vor finanziellen Einbußen aufgrund von behördlichen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz. Dem wird die vom Kläger gehaltene Betriebsschließungsversicherung trotz der Begrenzung des nach § 1 Abs. 1 AVB-BS gegebenen Leistungsversprechens auf die in § 1 Abs. 2 AVB-BS abschließend aufgezählten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger gerecht. Angesichts der Vielzahl der nach § 1 Abs. 2 AVB-BS vom Versicherungsschutz erfassten Krankheiten und Krankheitserreger, bei deren Vorliegen nach dem Infektionsschutzgesetz Maßnahmen zulässig sind, ist ein erhebliches Risiko abgedeckt.

Schließlich ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Für eine verlässliche Risikoeinschätzung des Versicherers ist eine abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger zweckmäßig. Diese dient nicht nur dem Schutz der Versichertengemeinschaft, sondern aufgrund der damit möglichen Begrenzung der Prämienhöhe auch dem Versicherungsnehmer (vgl. im einzelnen BGH, a.a.O., Rn. 38 ff. m.w.N.).

3. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Klägers, dass aufgrund maßgeblicher Unterschiede im Sachverhalt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sei.

a) Dass das Produktinformationsblatt (Anlage K 1/7, Bl. 18 f. d.A.) ausweislich des Versicherungsscheins vom 08.11.2019 (Anlage K 1/4, Bl. 13 f. d.A.) eine dem Versicherungsverhältnis zugrunde liegende Vertragsbestimmung bildet und dieses Produktinformationsblatt keine Einschränkung auf bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger andeutet, während es vergleichsweise lange Ausführungen zu weniger praxisrelevant erscheinenden Deckungsbeschränkungen (wie z.B. Schäden durch Kriegsereignisse, innere Unruhen) enthält, vermittelt dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht den Eindruck, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei.

Denn das Produktinformationsblatt kann nicht losgelöst von den übrigen Vertragsbestimmungen betrachtet werden, zu denen ausweislich des Versicherungsscheins (Anlage K1/4, Bl. 13 f. d.A.) unter anderem die AVB-BS sowie die BBR-BS gehören. Das Verhältnis dieser Regelungen zueinander wird auch im Produktinformationsblatt in der Einleitung deutlich festgestellt. Dort heißt es wörtlich:

„Dieses Blatt dient nur Ihrer Information und gibt Ihnen einen kurzen Überblick über die wesentlichen Inhalte Ihrer Versicherung. Die vollständigen Informationen finden Sie in Ihren Vertragsunterlagen (Versicherungsantrag, Versicherungsschein und Versicherungsbedingungen). Damit Sie umfassend informiert sind, lesen Sie bitte alle Unterlagen durch.“

Die in dem Produktinformationsblatt enthaltene Beschreibung des Versicherungsschutzes enthält damit keine gegenüber den Versicherungsbedingungen vorrangige Regelung der Leistungspflicht (so auch BGH, Beschluss vom 18.05.2022 – IV ZR 243/21, zitiert nach juris, Rn.6). Dies ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht auch ohne weiteres erkennbar. Der zitierte Hinweis findet sich unmittelbar unter der Überschrift am Anfang des lediglich zweiseitigen Produktinformationsblattes. Der eindeutige Hinweis lässt auch klar erkennen, dass das Produktinformationsblatt lediglich einen kurzen Überblick über die wesentlichen Inhalte der Versicherung gibt und zur vollständigen Information die Durchsicht der übrigen Vertragsunterlagen erforderlich ist. Zudem muss der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch aus der äußeren Gestaltung des nur zweiseitigen Produktinformationsblattes schließen, dass es sich hierbei nur um eine grobe Zusammenfassung des Inhalts der Betriebsschließungsversicherung handelt, schon allein da die Versicherungsbedingungen demgegenüber acht Seiten in viel kleinerem und engerem Druckbild umfassen.

Ferner kann bei dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer aufgrund der Formulierung des Produktinformationsblattes gerade nicht die Erwartung begründet werden, diese Beschreibung sei abschließend und begründe einen Anspruch gegenüber der Beklagten als Versicherer für jede Maßnahme, die die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes ergreift. So ergibt sich aus der Formulierung des Produktinformationsblattes keine Definition der dort genannten „meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger“. Der Formulierung kann weder klar entnommen werden, dass alle nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erfasst sind, noch dass nur bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger versichert sein sollen. Hieraus wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Schluss ziehen, dass der Versicherungsumfang einer weiteren Konkretisierung bedarf, die sich entsprechend der Formulierung in der Einleitung des Produktinformationsblattes u.a. aus den Versicherungsbedingungen ergibt.

Angesichts dessen kann aufgrund des Produktinformationsblattes beim verständigen Versicherungsnehmer gerade nicht die berechtigte Erwartung geweckt werden, dass ein umfassender Schutz bei Betriebsschließungen wegen des Auftretens von im Zeitpunkt der Betriebsschließung nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger besteht. Die Regelung des § 1 Abs. 2 AVB-BS ist daher auch unter Einbeziehung des Produktinformationsblattes weder intransparent noch überraschend.

b) Der Senat teilt ferner nicht die Auffassung des Klägers, durch die in der Fußnote zu § 1 Abs. 1 der AVB-BS bekundete Bereitschaft der Beklagten zur Übersendung von Gesetzestexten, von der in dem von dem Bundesgerichtshof entschiedenen Fall keine Rede gewesen sei, werde der Eindruck erweckt, dass künftige Rechtsänderungen Einfluss auf den Vertragsinhalt hätten und bei etwaigen Differenzen zwischen dem Gesetz und den AVB-BS allein das Gesetz maßgeblich sein werde.

So ist schon zweifelhaft, ob die drucktechnisch sehr klein gestaltete Fußnote überhaupt geeignet ist, von der Auslegung der Klausel gemäß dem Urteil des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) abweichende berechtigte Erwartungen des Versicherungsnehmers zu wecken. Darüber hinaus wird von der Fußnote der ihr von dem Kläger beigemessene Eindruck auch nicht erweckt. Zum einen dürfte das Angebot aus der Sicht eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers so zu verstehen sein, dass die Beklagte ihm die zur Zeit der Änderung der AVB-BS gültigen Gesetzestexte zur Verfügung stellen möchte, nicht aber dahin, dass die Beklagte den Versicherungsnehmer dauerhaft mit allen jeweils aktuellen Gesetzestexten versorgen möchte. Selbst wenn der Versicherungsnehmer aber die Fußnote als Angebot zur Übersendung aktueller Gesetzestexte verstehen würde, wird hierdurch zum anderen nicht der Eindruck erweckt, dass künftige Rechtsänderungen Einfluss auf den Vertragsinhalt hätten. Vielmehr würde aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers die Übersendung aktueller Gesetzestexte es ihm ermöglichen, durch einen Vergleich zwischen den Katalogen des Infektionsschutzgesetzes einerseits und der Versicherungsbedingungen andererseits zu erkennen, welche nach dem aktuellen Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger gerade nicht vom Versicherungsschutz umfasst werden.

c) Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer durfte auch nicht aufgrund des Umstandes, dass in dem Katalog des § 1 Abs. 2 AVB-BS mehrere bereits seit dem 29.03.2013 in den §§ 6 und 7 IfSG als meldepflichtig aufgeführte Krankheiten (darunter Keuchhusten und Windpocken) fehlen, annehmen, dass eine Aktualisierung versehentlich unterlassen worden wäre und letztlich alle nach aktueller Rechtslage meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert wären.

Es besteht schon keine Grundlage für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, davon auszugehen, dass die Beklagte einen Abgleich mit der 2019 geltenden Rechtslage aus Nachlässigkeit unterlassen hätte. Vielmehr wurde durch diese Regelung in § 1 Abs. 2 AVB-BS der in den zuvor gültigen und zwischen den Parteien bei Vertragsschluss vereinbarten AVB-BS Stand 01.01.2002 (Anlage K1/2 und K1/3, Bl. 8 ff. d.A.) geregelte Umfang aufrechterhalten. Nach § 1 Abs. 2 der AVB-BS Stand 01.01.2002 bestand Versicherungsschutz „für die in den §§ 6 und 7 IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 genannten Krankheiten und Erreger“, ohne dass die Krankheiten im Einzelnen in den AVB-BS Stand 01.01.2002 genannt wurden. Der Katalog des § 1 Abs. 2 der AVB-BS stimmt mit dem Katalog der §§ 6 und 7 IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 überein. Es ist daher davon auszugehen, dass mit der Aufnahme des Katalogs in die AVB-BS zum 01.01.2019 der zuvor bestehende Versicherungsumfang aufrechterhalten werden sollte. Hinzu kommt, dass die Krankheit Keuchhusten nach Ziffer 2 der BBR-BS Stand 01.01.2019 (Anlage K 1/6, Bl. 17 d.A.) ausdrücklich zusätzlich zu den in § 1 Abs. 2 AVB-BS genannten Krankheiten und Krankheitserregern als mitversichert gilt. Schon dies spricht klar und für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar dagegen, dass die Beklagte eine Anpassung an die Rechtslage des im Jahr 2019 geltenden Infektionsschutzgesetzes aus Nachlässigkeit unterlassen haben könnte. Vielmehr spricht diese Vorgehensweise für die bewusste Entscheidung der Beklagten, den Versicherungsumfang nicht um alle neu meldepflichtigen Krankheiten zu erweitern.

Der Zusatz bei der Bezeichnung der AVB-BS „Stand 01.01.2019“ gibt offensichtlich lediglich das Datum des Inkrafttretens dieser AVB-BS an. Er ist daher – entgegen der Auffassung des Klägers – auch nicht geeignet, gegenüber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer den Anschein zu wecken, dass alle nach dem Infektionsschutzgesetz zu diesem Tag meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien.

Die im vorliegenden Fall bestehenden Diskrepanzen zwischen den Katalogen des § 1 Abs. 2 AVB-BS und der zum 01.01.2019 gültigen Fassung der §§ 6, 7 IfSG stehen auch einer Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gemäß dem Urteil vom 26.01.2022 auf den vorliegenden Fall nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat in dem zitierten Urteil (a.a.O., Rn. 35) gerade offengelassen, ob die dort in den allgemeinen Versicherungsbedingungen genannten Krankheiten und Krankheitserreger identisch mit den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern sind, da auch im Falle fehlender Deckungsgleichheit – wie vorliegend in § 1 Abs. 2 AVB-BS – keine Intransparenz gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB gegeben sei. Hierzu führt der Bundesgerichtshof wörtlich aus:

„Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird durch § 2 Nr. 2 ZBSV 08 nicht suggeriert, dass die dort in den Katalogen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger mit denjenigen identisch sind, die dem Stand der §§ 6, 7 IfSG im Zeitpunkt des Vertragsschlusses entsprachen. Anderenfalls hätte der Versicherer auf eine derartige Liste von vornherein verzichten können. So hat sich auch hier die Beklagte für eine enumerative und abschließende Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger entschieden und damit den Umfang ihrer Einstandspflicht klar umrissen. Es geht auch nicht darum, dass es dem Versicherungsnehmer unzumutbar ist, vor Vertragsschluss den Katalog des § 2 Nr. 2 ZBSV 08 mit dem in den §§ 6, 7 IfSG zu vergleichen. Das kann von ihm zwar nicht verlangt werden. Er kann aber angesichts der Formulierung in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 („Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen…“) auch nicht erwarten, dass der Katalog in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 mit dem in den §§ 6, 7 IfSG bei Vertragsschluss wortidentisch übereinstimmt.“ (BGH, a.a.O., Rn. 35 f.)

Vor diesem Hintergrund kann auch kein Verstoß des § 1 Abs. 2 AVB-BS gegen § 305c Abs. 1 BGB angenommen werden.

4. Soweit der Kläger geltend macht, das Verständnis des Katalogs des § 1 Abs. 2 lit. a) und b) AVB-BS als abschließende Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger widerspreche dem übereinstimmenden Willen der Parteien und sei daher unbeachtlich, teilt der Senat diese Auffassung des Klägers nicht.

a) Für den Umfang des Versicherungsschutzes ist allein die rechtliche Einschätzung der Parteien bei Vertragsschluss bzw. bei einer nachträglichen Vertragsänderung maßgebend. Die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen hat dabei nach einem objektiv – generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet sein muss. Daher kommt es hier auf das Verständnis der Versicherten in ihrer Gesamtheit an. Der tragende Grund für eine solche Auslegung liegt im Massencharakter der unter Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geschlossenen Verträge und dem fehlenden Einfluss der Kunden bzw. Versicherten auf ihren Inhalt (st. Rspr. des BGH, vgl. Urteil vom 14.6.2006 – IV ZR 45/05, zitiert nach juris, Rn. 15 m.w.N.). Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz nur dann, wenn sich Verwender und Versicherungsnehmer im Einzelfall über ein von dem Ergebnis objektiver Auslegung abweichendes Verständnis des Sinngehalts der Regelung – auch durch schlüssiges Handeln – einigen; dann geht diese übereinstimmende Vorstellung wie eine Individualvereinbarung dem Ergebnis der objektiven Auslegung vor (BGH, a.a.O.).

Dabei ist eine über den Klauselinhalt hinausgehende, rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen den jeweiligen Parteien erforderlich, durch die der Sinn der streitigen Klausel speziell im Verhältnis zwischen den Parteien für diese verbindlich festgelegt wird (BGH, a.a.O., Rn. 16; vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.11.2021 – 1 U 118/21, VersR 2022, S. 166 ff., Ziffer 1; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.03.2022 – 1 U 152/21, zitiert nach juris, Rn. 26).

Dass eine derartige bindende Vereinbarung zwischen den Parteien des Rechtsstreits über den Sinngehalt des § 1 Abs. 1 und 2 AVB-BS und den sich daraus ergebenden erweiterten Versicherungsumfang getroffen worden wäre, ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht.

b) Eine derartige Vereinbarung bei Vertragsschluss bzw. bei der nachträglichen Vertragsänderung zum 01.01.2019 kann nicht angenommen werden.

aa) Daraus, dass die Beklagte – wie der Kläger von der Beklagten unbestritten geltend macht – die Krankheiten Keuchhusten und Windpocken, nachdem sie mit Wirkung vom 28.03.2013 meldepflichtig geworden sind, stets als mitversichert betrachtet und hierfür Versicherungsleistungen erbracht hat, kann nicht geschlossen werden, die Beklagte habe den Versicherungsumfang auf sämtliche nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ausweiten wollen. Zum einen ist Keuchhusten – wie dargetan – nach Ziff. 2 der BBR-BS mitversichert. Zum anderen gibt es neben Keuchhusten und Windpocken noch weitere seit 2013 meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger, die nicht von dem Katalog des § 1 Abs. 2 AVB-BS erfasst sind, wie Mumps und Röteln, bezüglich derer aber auch der Kläger nicht behauptet, die Beklagte habe den Deckungsumfang auf diese Krankheiten erweitert. Dies spricht deutlich dagegen, dass die Beklagte den Leistungsumfang auf alle weiteren im Infektionsschutzgesetz neu aufgenommenen Krankheiten und Krankheitserreger erweitert hätte. Selbst wenn die Beklagte mithin auch Windpocken als mitversichert behandelt haben sollte, rechtfertigt dies nicht die Annahme, sie habe ihren Leistungsumfang auch hinsichtlich weiterer in § 1 Abs. 2 AVB-BS nicht genannter Krankheiten/Krankheitserreger – insbesondere gegenüber dem Kläger – erweitern wollen. Dies zumal der Kläger nicht dargetan hat, dass er von dieser Regulierungspraxis der Beklagten vor der Leistungsablehnung durch die Beklagte mit Schreiben vom 08.04.2020 überhaupt Kenntnis hatte.

bb) Etwas anderes kann auch nicht aus den Äußerungen der Beklagten im März 2020 auf ihrer Homepage geschlossen werden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass für die Ermittlung des wirklichen Willens zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bzw. der Vertragsänderung auch das spätere Verhalten der Parteien Anhaltspunkte liefern kann, lässt sich diesen Äußerungen nicht entnehmen, dass die Beklagte bereits bei Vertragsänderung zum 01.01.2019 die Auffassung vertreten hätte, § 1 Abs. 2 AVB-BS enthalte eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Fassung der §§ 6, 7 IfSG. Nach lebensnaher Betrachtung kann die Beklagte sich die aus dem Eintrag auf ihrer Homepage ersichtliche Meinung auch erst später gebildet haben, nachdem das aufkommende Pandemiegeschehen im Zusammenhang mit dem Krankheitserreger Sars-CoV-2 hierzu Anlass gegeben hat (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 04.11.2021 – 1 U 55/21, BeckRS 2021, 56643, Rn. 34).

Gleiches gilt im Hinblick auf die E-Mail der Versicherungsmaklerin des Klägers, der X GmbH & Co. KG, vom 26.02.2020 (Anlage K 2, Bl. 32 d.A.).

c) Auch von einer nachträglichen Vereinbarung zwischen den Parteien des Rechtsstreits über den Sinngehalt des § 1 Abs. 1 und 2 AVB-BS und den sich daraus ergebenden erweiterten Versicherungsumfang kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

aa) Die Äußerungen der Beklagten im März 2020 auf ihrer Homepage stellen kein konkludentes Vertragserweiterungsangebot dar.

Die Mitteilung kann nicht als eine einen Diskurs über die richtige Lesart der in § 1 Abs. 1 und 2 AVB-BS enthaltenen Regelungen beendende rechtsverbindliche Erklärung verstanden werden. Insoweit fehlt es erkennbar an dem erforderlichen Rechtsbindungswillen der Beklagten für ein Vertragsabänderungsangebot an alle Versicherungsnehmer. Aus der allgemein gefassten Information kann der verständige Versicherungsnehmer nicht schließen, dass sämtliche Versicherungsverträge – unabhängig von den zugrundeliegenden Bedingungen – abgeändert werden sollten.

Auch der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 22.06.2022 (IV ZR 437/21, zitiert nach juris, Rn. 6) zu einer gleichlautenden Mitteilung hinsichtlich des Versicherungsschutzes von Betriebsschließungen infolge des Corona-Virus auf der Homepage des dortigen Beklagten im März 2020 (vgl. Tatbestand des der Entscheidung vorangegangenen Urteils des OLG Oldenburg vom 04.11.2021 – 1 U 55/21, BeckRS 2021, 56643, Rn. 8) einen hierauf gestützten Anspruch des Versicherungsnehmers abgelehnt. Die Erklärung des Beklagten sei ohnehin nur „im Rahmen unserer Bedingungen“ erfolgt, aus denen sich hier indessen gerade kein Versicherungsschutz ergebe.

Darüber hinaus hat der Kläger nicht dargetan, von dem Homepage-Eintrag der Beklagten im März 2020 vor der Leistungsablehnung durch die Beklagte Kenntnis gehabt zu haben. Vortrag des Klägers zu diesem von der Beklagten bestrittenen (Bl. 88 d.A.) Umstand ist nicht erfolgt. Wenn der Kläger jedoch von dem Eintrag keine Kenntnis hatte, konnte er – selbst wenn man die Äußerungen auf der Homepage als konkludentes Vertragserweiterungsangebot auffassen würde – dieses nicht annehmen. Eine Annahme gemäß § 151 S. 1 BGB setzt eine nach außen hervortretende eindeutige Betätigung des Annahmewillens voraus (Ellenberger in Grüneberg, BGB-Kommentar, 81. Auflage 2022, § 151 Rn. 2). Ohne Kenntnis des Angebots kann der Kläger jedoch auch keinen Annahmewillen gehabt haben.

bb) Gleiches gilt für die von dem Kläger vorgelegte E-Mail der Versicherungsmaklerin des Klägers, der X GmbH & Co. KG, vom 26.02.2020 (Anlage K 2, Bl. 32 d.A.).

Seinen erstinstanzlichen streitigen Vortrag, die Beklagte habe ihm über seine Versicherungsmaklerin bereits am 26.02.2020 mitteilen lassen, dass eine Betriebsschließung durch eine Behörde aufgrund des Corona-Virus im Rahmen ihrer Bedingungen als mitversichert gelte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27.10.2022 aufgegeben. Ihm gegenüber seien keine Erklärungen zum Versicherungsumfang unmittelbar durch die Beklagte abgegeben worden, sondern nur durch eine Maklerin (Bl. 423 d.A.).

Der E-Mail der Versicherungsmaklerin vom 26.02.2020 (Anlage K2, Bl. 32 d.A.) kann nicht entnommen werden, dass ihr eine konkrete Anfrage des Klägers bzw. der Versicherungsmaklerin für den Kläger im Hinblick auf das streitgegenständliche Versicherungsverhältnis zugrunde gelegen hätte. Auch kann ihr eine konkrete Auskunft der Beklagten im Hinblick auf das zwischen den Parteien bestehende Versicherungsverhältnis nicht entnommen werden. Es heißt dort lediglich: „Ihr Versicherer bestätigt Versicherungsschutz für Krankheiten nach §§ 6/7 des InfSG.“ Dass diese Bestätigung durch die Beklagte gegenüber der Versicherungsmaklerin in Bezug auf das hiesige Versicherungsverhältnis erfolgt ist oder die Mitteilung der Versicherungsmaklerin mit E-Mail vom 26.02.2020 an den Kläger von der Beklagten veranlasst worden ist, lässt sich der E-Mail nicht entnehmen.

Schon aus diesem Grund kann der E-Mail vom 26.02.2020 kein an den Kläger gerichtetes konkludentes Vertragserweiterungsangebot der Beklagten entnommen werden.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 27.10.2022 (Bl. 423 d.A.) geltend macht, es dürfte gerichtsbekannt sein, dass die Beklagte gegenüber anderen Versicherungsnehmern sehr wohl Erklärungen mit gleichem Inhalt abgegeben habe, ist dies für den hiesigen Rechtsstreit ohne Belang. Erklärungen gegenüber anderen Versicherungsnehmern sind nicht geeignet, ein Vertragserweiterungsangebot gegenüber dem hiesigen Kläger darzustellen.

II. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch des Klägers auf die beantragte Zinszahlung.

B. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen, da er in vollem Umfang unterlegen ist, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

C. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung aber mit Abwendungsbefugnis des Schuldners vorläufig vollstreckbar, da ein Fall des §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO vorliegt.

D. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Es ist weder eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung gegeben, noch zur Fortbildung des Rechts eine höchstrichterliche Entscheidung erforderlich.

Dass es sich bei dem Katalog des § 1 Abs. 2 AVB-BS um eine abschließende Aufzählung handelt und dass auch im Falle fehlender Deckungsgleichheit zwischen den Katalogen der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in den AVB-BS und dem Infektionsschutzgesetz keine Intransparenz der AVB-BS gegeben ist, hat der Bundesgerichtshof bereits mit dem zitierten Urteil vom 26.01.2022 (IV ZR 144/21) entschieden. Zur Bedeutung von in Produktinformationsblättern enthaltenen Beschreibungen des Versicherungsumfangs im Verhältnis zu den Versicherungsbedingungen hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18.05.2022 (IV ZR 243/21, zitiert nach juris, Rn. 6) Stellung genommen und zu den Auswirkungen einer mit der hiesigen gleichlautenden Mitteilung auf der Homepage des Versicherers mit Beschluss vom 22.06.2022 (IV ZR 437/21, zitiert nach juris, Rn. 6). Dem Regulierungsverhalten der Beklagten bezüglich der Krankheit Windpocken kommt schon – wie dargelegt – aus tatsächlichen Gründen die ihm von der Klägerseite beigemessene Bedeutung nicht zu.

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