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Betriebsschließungsversicherung – Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz

LG Potsdam – Az.: 13 O 280/20 – Urteil vom 18.03.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung in Anspruch.

Die Klägerin betreibt ein Hotel mit Gastronomiebetrieb, wobei sie über 80% ihrer Einnahmen durch das Ausrichten von Hochzeitsfeiern erzielt. Sie unterhält bei der Beklagten einen Versicherungsvertrag (Versicherungsschein-Nr. …), der auch eine sog. Betriebsschließungsversicherung umfasst. Der Betriebsschließungsversicherung liegen neben den „Versicherungsbedingungen für die Verbundene Firmen-Sachversicherung (VFS 08)“ die „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) – 2008 (ZBSV 08)“ (im Folgen ZBSV) zugrunde. In den ZBSV heißt es u.a.:

㤠2 Versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigungen, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2):

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt

[…]

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten: […]

b) Krankheitserreger […]

§ 3 Umfang der Entschädigung

1. Entschädigungsberechnung

Der Versicherer ersetzt im Fall

a) einer Schließung nach § 2 Nr. 1 a) den Ertragsausfallschaden nach Teil B § 2 Nr. 2 VFS 08 bis zu einer Haftzeit von 30 Tagen.

[…]

§ 4 Ausschlüsse

[…]

3. Krankheiten und Krankheitserreger

Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.

[…]“

Wegen der unter § 2 Nr. 2 a) und b) ZBSV ausgeführten Krankheiten und Krankheitserreger wird auf die ZBSV (Bl. 69f. der Gerichtsakte) verwiesen. Die Krankheit Covid-19 und der Krankheitserreger SARS-CoV sind dort nicht genannt.

Gemäß § 15 Nr. 1 VFS 08 kann der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls verlangen, dass die Höhe des Schadens in einem Sachverständigenverfahren festgestellt wird.

Am 01.02.2020 trat die Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 und § 7 Abs.1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus („2019-nCoV“) in Kraft, mit der die Pflicht zur namentlichen Meldung nach §§ 6 und 7 IfSG bis zunächst zum 31.01.2021 auf das neuartige Coronavirus ausgedehnt wurde.

Wegen der sich auch in Deutschland zunehmend ausbreitenden sog. Corona-Pandemie untersagte die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg durch § 6 Abs. 5 der Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg (SARS-CoV-2-EindV) vom 17.03.2020 die Nutzung inländischer Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken und ordnete mit § 6 Abs. 1 der SARS-CoV-2-EindV vom 22.03.2020 die Schließung von Gaststätten für den Publikumsverkehr an. Beide Anordnungen traten im Laufe des Mai 2020 außer Kraft.

In der Zeit vom 18.03.2020 bis Mai 2020 stellte die Klägerin ihren Geschäftsbetrieb vollständig ein. Nachdem sie die Beklagte deshalb zur Zahlung einer Entschädigung aus der Betriebsschließungsversicherung aufgefordert hatte, lehnte diese mit Schreiben vom 23.04.2020 ihre Eintrittspflicht ab und bot ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Einmalzahlung in Höhe von 4.192,00 € an. Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.07.2020 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos dazu auf, ihre Leistungspflicht binnen 10 Tagen anzuerkennen. Ihre Prozessbevollmächtigten berechneten für die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe unter Ansatz einer 1,5fachen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG vorgerichtliche Kosten in Höhe von 2.251,48 €.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Beklagte sei ihr zur Leistung aus der Betriebsschließungsversicherung verpflichtet. Covid-19 stelle eine meldepflichtige Krankheit im Sinne der ZBSV dar. Dieser Ansicht stünde insbesondere nicht die Aufzählung in § 2 Nr. 2 ZBSV entgegen, da diese ausweislich ihres Wortlautes sowie angesichts der Regelung in § 4 Nr. 3 ZBSV nicht abschließend sei. Zudem handele es sich um eine bedrohliche Krankheit im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG. Bei anderer Betrachtung sei die Versicherungsklausel als intransparent und überraschend zu beurteilen, was gemäß §§ 305c, 307 BGB ihre Unanwendbarkeit zur Folge hätte.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung mit dem Versicherungsschein-Nummer … zur Schaden-Nummer … verpflichtet ist, der Klägerin für eine Haftzeit von 30 Tagen ihren Ertragsausfallschaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass die Klägerin ihren Hotel- und Gaststättenbetrieb im März und April 2020 wegen der zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erlassenen Rechtsverordnungen des Landes Brandenburg schließen musste,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 2.251,48 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie meint, es lägen weder eine meldepflichtige Krankheit noch eine behördliche Schließung im Sinne der Versicherungsbedingungen vor. Die Schließungen gingen auf Rechtsverordnungen der Landesgesundheitsministerin und damit nicht auf Anordnungen nach § 28 IfSG zurück. Zudem sei es während der Geltungsdauer der Verordnungen möglich gewesen, nicht-touristische Übernachtungen sowie einen Außerhaus-Verkauf von Speisen anzubieten.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

I.

Betriebsschließungsversicherung - Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz
(Symbolfoto: Von Vadym Pastukh/Shutterstock.com)

Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere steht der Klägerin das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO für die Erhebung einer Feststellungsklage erforderliche Interesse an der Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten zu. Sie kann insoweit nicht auf den Vorrang der zu beziffernden Leistungsklage verwiesen werden, da sie sich bei Erhebung einer Leistungsklage ihres in § 15 Nr. 1 VSF 08 geregelten Rechts begeben müsste, ein außergerichtliches Sachverständigenverfahren zur Ermittlung der Schadenshöhe zu beantragen. Eine Verpflichtung der Klägerin, sich schon im Rechtsstreit zu erklären, ob sie das Sachverständigenverfahren beantragen werde, besteht nicht (BGH, Urteil vom 16.04.1986 – IVa ZR 210/84 –, Rn. 11, juris).

II.

Die Klage ist indes unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung zur Versicherungsschein-Nummer … hat.

1. Eine Betriebsschließung wegen des Auftretens der neuartigen Krankheit Covid-19 bzw. des neuartigen Krankheitserregers SARS-CoV-2 ist nicht von der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung umfasst. Die Voraussetzungen des den Versicherungsumfang definierenden § 2 Nr. 1 ZBSV sind im Falle der Betriebsschließung wegen des Coronavirus nicht erfüllt.

a) Ausgangspunkt der insoweit vorzunehmenden Prüfung ist der Umstand, dass bei der Auslegung von Versicherungsverträgen und -bedingungen vom Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszugehen ist, der ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und dabei die Interessen der Beteiligten und den erkennbaren Sinnzusammenhang berücksichtigt (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Auflage 2021, Einleitung Rn. 116, beck-online).

b) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist § 2 Nr. 1 ZBSV dahingehend auszulegen, dass die neuartige Erkrankung Covid-19 ebenso wenig von den Versicherungsbedingungen erfasst ist wie das neuartige Coronavirus, weil die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 2 Nr. 2 ZBBS abschließend ist.

(1) Nach der mit „Versicherungsumfang“ überschriebenen Klausel § 2 Nr. 1 lit. a) ZBSV leistet der Versicherer Entschädigung, „wenn die zuständige Behörde […] beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger (siehe Nr. 2)“ den versicherten Betrieb schließt. Durch den Klammerzusatz „siehe Nr. 2“ wird dabei für den verständigen Versicherungsnehmer nachvollziehbar verdeutlicht, dass § 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZBSV zusammengelesen werden müssen und folglich nur solche Krankheiten und Krankheitserreger eine Einstandspflicht des Versicherers auslösen sollen, die der Regelung des § 2 Nr. 2 ZBSV unterfallen. Mit anderen Worten versteht der verständige Versicherungsnehmer diese Systematik so, dass es sich bei § 2 Nr. 2 ZBSV um eine Konkretisierung bzw. nähere inhaltliche Definition von § 2 Nr. 1 ZBSV und nicht, wie die Klägerin meint, um eine Einschränkung des Versicherungsumfangs handelt.

(2) Die unter der Überschrift „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ stehende Regelung des § 2 Nr. 2 ZBSV enthält schon dem Wortlaut nach („meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind“) sowie aufgrund der genannten Inbezugnahme in § 2 Nr. 1 ZBSV erkennbar eine Definition jener Krankheiten und Erreger, für welche im Falle einer behördlichen Betriebsschließung Versicherungsschutz besteht. Diese Definition erfolgt unter Voranstellung der Formulierung „die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ mittels Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern. Diese beiden Aufzählungen erfassen weder die Krankheit Covid-19 (unter Nr. 2 lit. a) noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 (unter Nr. 2 lit. b).

(3) Entscheidend kommt es daher darauf an, ob die Aufzählungen in § 2 Nr. 2 lit. a) und lit. b) ZBSV als abschließend zu verstehen sind oder aber der Einbeziehung neu aufgetretener Krankheiten und Erreger gegenüber offen sind. Diese Frage ist im erstgenannten Sinne zu entscheiden.

 

Bereits der Umstand einer namentlichen Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserreger in § 2 Nr. 2 ZBSV legt nahe, dass der Versicherer nur für diese besonderen aufgezählten und vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will. Zugleich wird der Versicherungsnehmer durch die Aufzählung der Krankheiten und Erreger in die Lage versetzt, im Falle einer behördlichen Anordnung schnell feststellen zu können, ob ein potentieller Versicherungsfall vorliegt.

Die eigentliche Auslegung der Regelung hat vom Wortlaut auszugehen. Bereits dieser macht durch die Voranstellung der Formulierung „die folgenden“ vor der Aufzählung an Krankheiten und Krankheitserreger deutlich, dass letztere definitorisch-abschließend aufgelistet werden.

Aus Sicht eines verständigen Verbrauchers wäre zu erwarten, dass für den Fall, dass bestimmte Krankheiten enumerativ aufgezählt werden, für die der Versicherungsfall gelten soll, es ausdrücklich klargestellt würde, wenn diese Aufzählung nicht abschließend sein soll, etwa durch Verwendung der Wörter „insbesondere“, „beispielsweise“ oder „etwa“. Derartige verbalisierte Einschränkungen enthält § 2 Nr. 2 ZBSV gerade nicht.

Eine solche Klarstellung kann entgegen Stimmen in der Literatur (zuletzt Griese, VersR 2021, 147 (151)) insbesondere nicht in der Verwendung des Wortes „namentlich“ in § 2 Nr. 2 ZBSV gesehen werden. Der Gebrauch des Wortes „namentlich“ kann nur in dem Kontext der Verwendung interpretiert werden. Aus diesem Kontext erschließt sich, dass „namentlich“ vorliegend gerade nicht als Synonym anstelle von „insbesondere“ o.ä. verwendet wurde. So spricht § 2 Nr. 2 ZBSV von „die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“. Die Kombination des bestimmten Artikels „die“, die kumulative Verwendung von „namentlich“ und „folgende“ sowie die Bezugnahme auf §§ 6 und 7 IfSG machen hierbei deutlich, dass das Wort „namentlich“ im Sinne von „mit ihrem Namen benannt“ gebraucht wird, also jene Krankheiten gemeint sind, die (auch) in §§ 6 und 7 IfSG mittels ihrer Namensbezeichnung aufgeführt werden. Umgekehrt wäre, wenn „namentlich“ tatsächlich als Synonym für „insbesondere“ hätte verwendet werden sollen, von der Satzstellung her zu erwarten gewesen, dass das Wort zu Beginn der Satzkonstruktion stehen würde, beispielsweise also formuliert worden wäre: „Namentlich die folgenden Krankheiten“. Dass allein die hier vorgenommene Auslegung des Wortes „namentlich“ überzeugen kann, zeigt sich deutlich, wenn man „namentlich“ im verwendeten Kontext durch „insbesondere“ ersetzt: Der Satz „die folgenden, in den §§ 6 und 7 [IfSG] insbesondere genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ ergibt schlichtweg keinen Sinn (vgl. insgesamt LG Bayreuth, Urteil vom 15.10.2020 – 22 O 207/20 – Rn. 27 – 33 m.w.N, juris; im Ergebnis auch OLG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2021 – 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002 Rn. 18 – 29, beck-online)

Ein verständiger Versicherungsnehmer bezieht schließlich auch mit in die Betrachtung ein, dass Versicherer ihren Versicherungsbedingungen eine Risikoanalyse zu Grunde legen und hierbei insbesondere den Umfang der versicherten Risiken in Relation zur Höhe der zu zahlenden Prämie setzen. Einem solchen verständigen Versicherungsnehmer muss es sich geradezu aufdrängen, dass bei einer Versicherungsprämie von wenigen hundert Euro im Jahr einerseits und einer Leistungspflicht im Versicherungsfall im hohen fünf- oder gar sechsstelligen Bereich – vorliegend nach Angabe der Klägerin bis zu über 80.000,- € – andererseits schon wegen der extremen Diskrepanz der Beträge bei gleichzeitig fehlender Kalkulierbarkeit des Risikos im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte Krankheiten nicht vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen (so auch LG Bayreuth, a.a.O, Rn. 34, juris; im Ergebnis ebenso OLG Stuttgart, a.a.O, Rn. 32, beck-online)

(4) Aus der Inbezugnahme der §§ 6 und 7 IfSG ergibt sich nichts anderes. Der in Teilen der Literatur gezogene Schluss, dass es der Nennung der §§ 6 und 7 IfSG nicht bedurft hätte, wenn die Aufzählung einen abschließenden Katalog darstelle, weshalb die Inbezugnahme der §§ 6, 7 IfSG als dynamische Verweisung verstanden werden müsse, ist nicht zwingend, lässt er doch die bereits vom Wortlaut der Klausel her naheliegende Möglichkeit, dass lediglich für beide Vertragsparteien aus Gründen der Klarstellung und Transparenz wiederholend die bereits in §§ 6, 7 IfSG namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger aufgezählt werden, völlig außer Betracht. Eine solche Interpretation als wiederholende Erwähnung fügt sich in den Gesamtkontext der Norm (kumulative Verwendung mit der definitorischen Einschränkung „folgende“, Syntax der Regelung; vgl. bereits unter (3)), während eine dynamische Verweisung im Gegensatz zur vorangehenden Formulierung „die folgenden“ stünde.

Gegen eine dynamische Verweisung auf §§ 6, 7 IfSG spricht ferner, dass die an die fragliche Formulierung anschließende Aufzählung gerade nicht die gesamte, zum Zeitpunkt der Verfassung der ZBSV im Jahr 2008 geltende Regelung der §§ 6 und 7 IfSG a. F. in Bezug nimmt, sondern nur die dort seinerzeit explizit in § 6 Abs. 1 Nr.1-4 IfSG a.F. aufgeführten Krankheiten weitestgehend wiederholend aufzählt, während der Auffangtatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG („Auftreten a) einer bedrohlichen Krankheit oder b) von zwei oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird“) in § 2 Nr. 2 ZBSV gerade keinen Widerhall findet. Anders gesagt findet gerade der dynamischen Entwicklungen Rechnung tragende Teil des § 6 IfSG (vgl. hierzu BeckOK-Infektionsschutzrecht/Thiery, 1. Ed. Stand 01.07.2020, § 6 IfSG Rn. 17; Kießling/Müllmann, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 6 Rn. 15) in § 2 Nr. 2 ZBSV keine Entsprechung. Hieraus ist zu folgern, dass die Verweisung gerade keinen dynamischen Charakter haben soll, jedenfalls keinen solchen, der auf die jeweils geltenden Normen in ihrer Gesamtheit Bezug nimmt. Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahegelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten und allgemein auf die Regelungen der §§ 6 und 7 IfSG zu verweisen (so etwa in dem der Entscheidung LG Mannheim, BeckRS 2020, 7522 zugrunde liegenden Fall („sind die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“)) (vgl. LG Bayreuth, a.a.O, Rn. 35 – 36 m.w.N., juris, ebenso LG Ellwangen, Urteil vom 17.09.2020 – 3 O 187/20 –, Rn. 111, juris)

(5) Selbst wenn man eine dynamische Verweisung des § 2 Nr. 2 ZBSV auf §§ 6, 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung unterstellt, könnte die Klägerin hierauf ihre Ansprüche nicht stützen. Die Coronavirus-Krankheit 2019 (Covid-19) und der Erreger SARS-CoV-2 waren im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht explizit im IfSG erwähnt und wurden erst zum 23.05.2020 unter lit. t) in § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG bzw. unter Nr. 44a in § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG aufgenommen. Dass Covid-19 unter § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG i.d.F. vom 01.03.2020-22.05.2020 („einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist“) subsumiert werden konnte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Aufgrund der nachvollziehbaren Aussparung einer dynamischen Entwicklungen Rechnung tragenden Auffangklausel (siehe dazu bereits (4)) und dem Kriterium der definitorischen Einschränkung auf die „folgenden, namentlich“ genannten Krankheiten in § 2 Nr. 2 ZBSV könnte sich eine dynamische Verweisung hinsichtlich ihrer Reichweite allenfalls auf die jeweils in der jeweils aktuellen Fassung der §§ 6, 7 IfSG namentlich bezeichneten Krankheiten und Erreger beziehen (vgl. LG Bayreuth, a.a.O, Rn. 37 m.w.N., juris).

(6) Insgesamt ist für einen verständigen Versicherungsnehmer aus dem Gesamtbild der Regelung des § 2 ZBSV im relevanten Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohne hinreichenden Zweifel erkennbar, dass der Versicherer nicht für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Infektionskrankheiten einstandspflichtig sein wollte, sondern eben nur hinsichtlich jener Krankheiten und Erreger, die bereits bekannt waren und explizit im Rahmen der Aufzählung aufgeführt wurden.

2. Die Regelungen in § 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZBSV sind auch wirksam.

a) Es handelt sich insbesondere um keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift wird eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die nach den jeweiligen Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, überraschend ist, nicht Vertragsbestandteil. Entscheidend für die Einordnung einer Klausel als überraschend ist es, ob zwischen den Erwartungen des Versicherungsnehmers und dem Klauselinhalt eine deutliche Diskrepanz besteht, mit der der Versicherungsnehmer vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 06.07.2011 – IV ZR 217/09 –, Rn. 19 m.w.N., juris).

Danach ist die streitgegenständliche Regelung nicht überraschend. Ein durchschnittlicher und verständiger Versicherungsnehmer kann und muss damit rechnen, dass der Versicherer den Versicherungsschutz auf im Vertrag ausdrücklich genannte Fälle beschränkt und gerade keinen Versicherungsschutz für künftig auftretende, jedoch bei Vertragsschluss unbekannte meldepflichtige Krankheiten bzw. Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er bei Vertragsschluss nicht kalkulieren und deshalb auch nicht bei der Bemessung von Versicherungsumfang und -prämien berücksichtigen konnte (LG Hamburg, Urteil vom 26.11.2020 – 332 O 190/20 –, Rn. 35 – 36, juris).

b) Aus den vorstehend unter 1. dargelegten Gründen sind die Klauseln auch nicht mehrdeutig im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB.

c) Sie halten schließlich auch einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.

(1) Zunächst verstoßen die Klauseln nicht gegen das in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB niedergelegte Transparenzgebot. Danach ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Es kommt insoweit nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Beschluss vom 11.02.2009 – IV ZR 28/08, Rn. 14, juris).

Diesen Anforderungen genügen die Klauseln, weil sie – wie oben unter Nummer 1 dargelegt – bei einem durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer angesichts ihres eindeutigen Wortlauts nicht die Erwartung wecken können, dass noch andere als die § 2 Nr. 2 ZBSV genannten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sind. Dass man die Klauseln noch klarer hätte fassen können – etwa durch eine ausdrückliche Klarstellung, dass Versicherungsschutz „nur“ oder „ausschließlich“ in Bezug auf die nachfolgend genannten Krankheiten oder Krankheitserreger besteht –, reicht für die Annahme einer Verletzung des Transparenzgebots nicht aus (LG Hamburg, aaO, Rn. 40, juris).

Nichts anderes gilt angesichts des ausdrücklichen Ausschlusses für Prionenerkrankungen (z.B. BSE) in § 4 Nr. 3 ZBSV. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat nämlich keine Veranlassung, aus diesem Deckungsausschluss zu schließen, entgegen dem klaren Wortlaut unter § 2 Nr. 2 ZBSV handele es sich doch nicht um eine abschließende Regelung, weil es eines solchen Ausschlusses sonst nicht bedurft hätte (so aber LG München I, Urteil vom 01.10.2020 – 12 O 5895/20 – Rn. 105, juris). Zum einen scheint diese Erwägung nicht zwingend, weil die Ausschlüsse auch als bloße Klarstellung verstanden werden können und weil die gezeigte Argumentation über die an einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer zu stellenden Anforderungen zum Verständnis dieser Zusammenhänge – sowohl in medizinischer als auch juristischer Sicht – hinausgehen dürfte. Zum anderen greift dieses systematische Argument der Klägerin auch deshalb nicht ein, weil mit der „humanen spongiformen Enzephalopathie“ in § 2 Nr. 2 lit. a) ZBSV gerade eine Prionen-Erkrankung in den Katalog aufgenommen worden ist (LG Lübeck, Urteil vom 08.01.2021 – 4 O 164/20 –, Rn. 54; LG Köln, Urteil vom 26.11.2020 – 24 O 262/20 –, Rn. 44; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 29.12.2020 – 2 O 5654/20 –, Rn. 56 m.w.N; LG Bochum, Urteil vom 02.12 2020 – 4 O 199/20 –, Rn. 35, im Ergebnis ebenso LG Münster, Urteil vom 26.11.2020 – 115 O 109/20 –, Rn. 70, jeweils zitiert nach juris; zuletzt auch OLG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2021 – 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002 Rn. 34, beck-online).

Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ergibt sich ferner nicht aus der Rechtsprechung des BGH zu den den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklauseln (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 23.06.2004 – IV ZR 130/03 –, Rn. 29f, juris). Soweit die Klägerin meint, die Klauseln würden eine zur Intransparenz führende Einschränkung des in § 2 Nr. 1 ZBSV dargelegten Versicherungsschutzes zur Folge haben, verkennt sie bereits, dass die Regelungen in § 2 Nr. 2 ZBSV den in § 2 Nr. 1 ZBSV – unter ausdrücklichem Verweis auf § 2 Nr. 2 ZBSV – dargelegten Versicherungsfall konkret definieren und damit überhaupt erst klarstellen, in welchen Fällen die Beklagte einstandspflichtig ist. Von einem Ausschluss kann insoweit keine Rede sein.

(2) Ferner ist eine Vertragszweckgefährdung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht zu erkennen, da im Hinblick auf den umfangreichen Katalog versicherter Krankheiten und Krankheitserreger nicht zu erkennen ist, dass die Einschränkungen den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlen und damit in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos machen (vgl. zu den Voraussetzungen BGH, Beschluss vom 11.02.2009, aaO, Rn. 21, juris).

(3) Aus den unter Nr. 1 (6) dargelegten Gründen ist schließlich auch eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin bei Betrachtung der Aufzählungen in § 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZBSV als abschließend nicht zu erkennen.

3. Keiner Entscheidung bedürfen vor diesem Hintergrund die zwischen den Parteien weiter streitigen Fragen, ob der Betrieb der Klägerin vollständig oder nur teilweise geschlossen war und ob dieser Schließung eine Anordnung der zuständigen Behörde im Sinne der Versicherungsbedingungen zugrunde lagen.

4. Mangels Erfolgs in der Hauptsache sind auch die geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) unbegründet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

 

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