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Berufsunfähigkeitszusatzversicherung – Verschweigen einer MPU des Versicherungsnehmers

LG Itzehoe – Az.: 3 O 235/17 – Urteil vom 26.06.2019

1. Es wird festgestellt, dass die bei der Beklagten unterhaltene fondsgebundene Risikoversicherung G. P. mit Einschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung des Klägers mit der Versicherungsnummer … seit dem 01.08.2011 ununterbrochen unverändert fortbesteht und nicht durch den erklärten Rücktritt beendet worden und auch nicht durch die Anfechtungserklärungen der Beklagten, insbesondere vom 18.10.2016 sowie aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 05.09.2017 sowie aus den Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 05.09.2017, gefaxt am 21.09.2017 um 10:31 Uhr und vom 21.09.2017, gefaxt am 21.09.2017 um 10:36 Uhr, weggefallen ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 63.000,00€ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 49.500,00€ seit dem 18.10.2016 und aus jeweils 1.500,00€ seit dem 01.11.2016, aus 1.500,00€ seit dem 01.12.2016, aus 1.500,00€ seit dem 01.01.2017, aus 1.500,00€ seit dem 01.02.2017, aus 1.500,00€ seit dem 01.03.2017, aus 1.500,00€ seit dem 01.04.2017, aus 1.500€ seit dem 01.05.2017, aus 1.500,00€ seit dem 01.06.2017 und aus 1.500,00€ seit dem 01.07.2017 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.08.2017 monatlich im Voraus, längstens bis zum 01.08.2045 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.500,00€ zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Überschusszuweisungen nach Leistungsbeginn eine jährliche Steigerung der versicherten Berufsunfähigkeitsrente – längstens bis zum 01.08.2045 – bewirken und die Erhöhungen zum Ende eines jeden Versicherungsjahres, frühestens nach einem vollen Rentenbezugsjahr erfolgt.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.803,24€ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.08.2017 zu bezahlen.

6. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Leistungen aus einem Versicherungsvertrag wegen Berufsunfähigkeit.

Der Kläger schloss bei Beklagten am 01.07.2011 eine fondsgebundene Berufsunfähigkeitszusatzversicherung („G. P.“), mit dem Tarif „FC08-3“, Versicherungsscheinnummer … bei einer ursprünglich garantierten Berufsunfähigkeitsrente für den Fall der Berufsunfähigkeit in Höhe von monatlich 1.500,00 € ab. Als Versicherungsbeginn wurde der 01.08.2011 und als Ende der Leistungs- und Beitragszahlungsdauer der 01.08.2045 vereinbart Für die Einzelheiten wird auf die Anlagen K 1 – 3 verwiesen. Als Tätigkeit wurde das Berufsbild „selbständiger Tischler“ zugrunde gelegt.

Der Kläger zahlte die jeweils fälligen Versicherungsprämien in Höhe von 132,44 €.

Gemäß der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) tritt der Versicherungsfall nach § 4 VI (2) AVB unter folgender Bedingung ein:

„Wird die versicherte Person innerhalb der für die Berufsunfähigkeit vereinbarten Versicherungsdauer zu mindestens 50% berufsunfähig im Sinne der Bedingungen, so zahlen wir über die verbleibende Leistungsdauer eine Berufsunfähigkeitsrente in vereinbarter Höhe“.

Berufsunfähigkeit wird gemäß § 4 VI AVG in Anhang II 3 zu den AVB wie folgt definiert:

„(1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn

a. die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich länger als 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, tätig zu sein, und

b. sie keiner anderen Tätigkeit nachgeht, die zu übernehmen sie aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, und

c. sie keiner anderen Tätigkeit nachgeht, die sie innerhalb der letzten Monate vor Eintritt der Berufsunfähigkeit konkret ausgeübt hat. […]

(3) Für Selbständige […] liegt keine Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person nach wirtschaftlich zumutbarer Umorganisation als Selbständiger […] so weiter tätig sein könnte, dass eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen vermieden wird. Eine Umorganisation ist zumutbar, wenn sie wirtschaftlich und betrieblich sinnvoll ist und vom Versicherungsnehmer oder der versicherten Person auch durchgeführt werden kann. Ferner muss die bisherige Lebensstellung des Selbständigen […] gewahrt bleiben.

(5) Teilweise Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die genannten Voraussetzungen für die vollständige Berufsunfähigkeit nur in einem bestimmten Grad voraussichtlich länger als sechs Monate ununterbrochen erfüllt sind.

(6) Ist die versicherte Person sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außerstande gewesen, ihrem zuletzt ausgeübten Beruf, wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, tätig zu sein, so gilt die Fortdauer dieses Zustandes von Beginn an als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit. Wir erbringen in diesem Fall unsere Leistung rückwirkend mit Ablauf des Monats, in dem der 6-monatige Zeitraum begonnen hat.

[…]“.

Der Anspruch auf Versicherungsleistung entsteht gemäß § 4 VI (5) AVB

„[…] mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Bei verspäteter Meldung leisten wir bis zu 3 Jahre ab Zeitpunkt der Meldung rückwirkend. Wenn die Verspätung der Meldung nicht auf das Verschulden des Versicherungsnehmers zurückzuführen ist, leisten wir rückwirkend für die nachgewiesene Zeit der Berufsunfähigkeit.“.

Wegen des weiteren Inhalts der AVB wird auf die Anlage K 2 zur Klage vom 03.07.2017 verwiesen.

Im Versicherungsantrag vom 01.07.2011 (Anlage K 3) erklärte der Kläger auf Seite 4 die generelle Entbindung von der Schweigepflicht für alle Angehörigen von Heilberufen und Krankenanstalten, die an der Heilbehandlung beteiligt waren. Als Alternative bestand auch die Möglichkeit einer Einzelfallentbindung. Die Wirksamkeit dieser Schweigepflichtsentbindung ist zwischen den Parteien im Streit.

Darüber hinaus finden sich auf Seite 3 folgende Gesundheitsfragen, die der Kläger jeweils verneinte:

„6. Bestehen oder bestanden bei Ihnen in den letzten 10 Jahren Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder Funktionsstörungen der folgenden Organsysteme bzw. der folgenden Art? […]

f) Psyche z.B. ADHS Depression, Angststörungen, Essstörungen, psychosomatische Störungen, Schizophrenie, Suchterkrankung, Alkoholabhängigkeit, Suizidversuch

[…].

11. Werden oder wurden Sie innerhalb der letzten 10 Jahre wegen Medikamentenmissbrauch, des Konsums von Alkohol, von Betäubungsmitteln oder von Drogen beraten oder behandelt? […]“.

Den Gesundheitsfragen (Anlage 3 der Klage) gehen auf derselben Seite – links und rechts durch breite schwarze Balken eingerahmt – folgender Erläuterung als „Hinweis zur vorvertraglichen Anzeigepflicht“ voraus:

„Bitte immer beantworten. Achten Sie bitte auf eine vollständige und richtige Beantwortung der nachfolgenden Fragen, da bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht der Versicherer vom Vertrag zurücktreten oder ihn anfechten kann und ggf. Leistungen verweigern kann. Bitte beachten Sie die Hinweise zur vorvertraglichen Anzeigepflicht, die Schlusserklärung sowie die Erläuterungen zur Durchführung genetischer Tests auf der Seite „Erklärungen und wichtige Hinweise“. Bekannte Erkrankungen sind unabhängig von der dort beschriebenen gesetzlichen Regelung anzugeben. Angaben, die Sie hier nicht machen möchten, sind unverzüglich und unmittelbar der G. L. AG schriftlich mitzuteilen. […]“.

Auf Seite 5 des Versicherungsantrags stehen weitere Erläuterungen und Hinwiese unter anderem zur „Vorvertraglichen Anzeigepflicht“, wegen deren Inhalts auf die Anlage 3 zur Klage vom 03.07.2017 verwiesen wird.

Der Kläger war bis zu seiner Erkrankung als selbständiger Tischler tätig.

Der Gesellenbrief gemäß Anlage K 35 nennt eine Ausbildung des Klägers zum Tischler im Zeitraum 1997 – 2000, später arbeitete er im Zeitraum 2000 – 2004 als angestellter Tischler, eher er sich ab dem Jahr 2004 als Tischler ohne eigene Angestellte selbständig machte.

In den der Krankheit vorausgehenden Veranlagungszeiträumen wiesen die Steuerbescheide des Klägers Einkünfte in Höhe von (VZ 2012) 30.081,00 € und (VZ 2013) 23.828,00 € aus, bevor seine steuerlichen Einkünfte nach Krankheitsbeginn im Veranlagungszeitraum 2014 auf 8.465,00 € fielen (vgl. Anlagen K 22ff).

In seiner Jugend konsumierte der am … geborene Kläger Cannabis und Alkohol. Infolge einer drogeninduzierten Psychose erfolgte im Alter von 20 Jahren im Zeitraum 02.05.2001 – 29.05.2001 eine stationäre Behandlung im Universitätsklinikum H. E.. Darüber hinaus wurde ihm im Jahr 2004 wegen Cannabiskonsums der Führerschein für vier Wochen entzogen. Der Fahrerlaubnisentziehung folgten zwei Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen in den Jahren 2004 und 2009 in deren Rahmen jeweils medizinische und psychologische Tests erfolgten und ein Gespräch zum Thema Fahren unter BTM-Einfluss angeboten wurde.

Am 23.01.2014 wurde der Kläger bei der Psychiatrie der Regioklinik E. mit dem Verdacht auf eine Manie vorstellig. Der psychische Zustand des Klägers verschlechterte sich bis zum 25.01.2014 so stark, dass eine Unterbringung nach dem PsychKG angeordnet, der Kläger in die geschützt-geschlossene Aufnahmestation des Klinikums untergebracht und bis zum 04.02.2014 behandelt wurde. Er wurde unter der Diagnose einer Manie mit psychotischen Symptomen bei Verdacht auf eine bipolare Störung behandelt (vgl. Anlage K 4).

Am 19.02.2014 begab sich der Kläger in die Behandlung der Fachärztin für Nervenheilkunde Frau Dr. med. M. T., die eine bipolare affektive Psychose mit einer aktuell gemischten Episode, ICD: F31.6, diagnostizierte (Anlage K 5).

Im Zeitraum 01.04.2014 – 02.05.2014 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im A. – Krankenhaus in H.. Dort wurde eine bipolare Störung mit einer aktuell gemischten Episode, ICD: F31.6, diagnostiziert (Anlage K 6).

Aufgrund seiner Beschwerden stellte der Kläger bei der Beklagten am 15.05.2014 einen ersten Antrag auf Leistung wegen Berufsunfähigkeit (Anlage K 8).

Im Zeitraum 16.07.2014 – 25.07.2014 wurde im Rahmen einer teilstationären Behandlung wiederum eine bipolare affektive Störung mit aktuell mittelgradigen depressiven Episoden, ICD: F31.3, diagnostiziert ((Anlage K 7).

Den Leistungsantrag vom 15.05.2014 zog der Kläger mit Schreiben vom 15.10.2014 zurück.

Ab dem 01.11.2014 nahm der Kläger an einem Wiedereingliederungsversuch teil, der jedoch im Januar 2015 scheiterte, nachdem bei ihm am 15.01.2015 erneut eine depressiv manisch gemischte Phase diagnostiziert wurde (Anlage K 10).

Am 17.12.2015 beantragte der Kläger erneut eine Berufsunfähigkeitsrente bei der Beklagten (Anlage K 11). Frau Dr. med. T. dokumentierte sodann am 23.12.2015 das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit für das Berufsbild „selbständiger Tischler“ fest. Darüber hinaus diagnostizierte sie Anfang Januar 2016 eine bipolare affektive Psychose, ICD: F31.3. (Anlage K 13). Insgesamt lagen nach Feststellung von Frau Dr. med. T. seit Anfang 2014 ununterbrochen und andauernd, wechselnd (hypo-) manische und depressive Symptome vor.

Mit Schreiben vom 18.10.2016 wies die Beklagte ihre Eintrittspflicht zurück und erklärte den Rücktritt wegen vorsätzlicher oder mindestens grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 19 II VVG sowie Anfechtung der von ihr abgegebenen Willenserklärung auf Abschluss des Versicherungsvertrags. Sie begründete dies mit Falschangaben des Klägers zu seinem Cannabiskonsum und dem Verschweigen einer drogeninduzierten Psychose im Alter von 20 Jahren und des Führerscheinentzugs im Jahr 2004 (Ablage K 14).

Mit Schriftsatz vom 13.09.2017 wies der Kläger die Anfechtungs- und Rücktrittserklärung wegen fehlender Originalvollmacht zurück.

Der Kläger ist der Ansicht seit dem 23.01.2014 einen Anspruch auf die vereinbarte Berufsunfähigkeitsleistung zu haben und behauptet, berufsunfähig zu sein.

Der Kläger arbeitete nach seinem Vortrag in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als selbstständiger Tischler 12 Stunden pro Tag, von 7:00 Uhr bis 19:00 Uhr. Von 7:00 Uhr bis 9:00 Uhr erfolgte die Arbeitsvorbereitung mit Anreise zum Kunden. Von 9:00 Uhr – 16:00 Uhr erbrachte er Montageleistungen mit einer 45 minütigen Mittagspause. Zwischen 16:00 Uhr und 19:00 Uhr erfolgte das Aufräumen und Säubern der Werkstätte sowie die Fahrt nach Hause mit anschließender Vorbereitung des nächsten Arbeitstages. Darüber hinaus entfiel weitere Arbeit auf den kaufmännischen Teil seiner selbständigen Tätigkeit, wie Kundenarbeit, Buchhaltung und Materialverwaltung.

Für die Einzelheiten wird auf die Darstellungen in der Klageschrift auf Seite 7ff und die Angaben des Klägers im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2018 verwiesen.

Die Ausübung dieser Tätigkeiten sein ihm krankheitsbedingt nicht mehr zu noch mindestens 50% möglich. Er leide unter starken Konzentrationsstörungen und Muskelbeschwerden, einer enormen Müdigkeit, hoher Anspannung und Stress. Dies führe zu Schweißausbrüchen, ohne dass diese auf eine schwere körperliche Belastung zurückzuführen seien und zu totaler Erschöpfung. Seine depressiven Phasen zeichneten sich u.a. durch depressive Stimmung, Angstgefühle, Interessensverlust, Energieverlust, Schlafstörung, Selbstabwertung, während er in den manischen Phasen enthemmt sei und unter Aufmerksamkeitsstörungen, Selbstüberschätzung, Streitlust und Aggression leide. Er sei aufgrund seiner psychischen Verfassung daher nicht mehr in der Lage, die handwerklichen und kaufmännischen Tätigkeiten auszuüben.

Der Kläger ist der Ansicht, dass auch eine Umorganisation des Betriebs nicht zumutbar wäre. Er behauptet, die Einstellung eines Mitarbeiters wäre bei seinem Einmannbetrieb wirtschaftlich nicht zumutbar und es bliebe kein für ihn ausfüllbarer Tätigkeitsbereich.

Der Kläger beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass die bei der Beklagten unterhaltene fondsgebundene Risikoversicherung G. P. mit Einschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung des Klägers mit der Versicherungsnummer … seit dem 01.08.2011 ununterbrochen unverändert fortbesteht und nicht durch den erklärten Rücktritt beendet worden und auch nicht durch die erklärte Anfechtung weggefallen ist,

2. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 63.000,00€ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 49.500,00€ seit dem 18.10.2016, aus 1.500,00€ seit dem 01.11.2016, aus 1.500,00€ seit dem 01.12.2016, aus 1.500,00€ seit dem 01.01.2017, aus 1.500,00€ seit dem 01.02.2017, aus 1.500,00€ seit dem 01.03.2017, aus 1.500,00€ seit dem 01.04.2017, aus 1.500€ seit dem 01.05.2017, aus 1.500,00€ seit dem 01.06.2017 und aus 1.500,00€ seit dem 01.07.2017 zu zahlen,

3. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.08.2017 monatlich im Voraus, längstens bis zum 01.08.2045 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.500,00€ zu zahlen,

4. es wird festgestellt, dass die Überschusszuweisungen nach Leistungsbeginn eine jährliche Steigerung der versicherten Berufsunfähigkeitsrente – längstens bis zum 01.08.2045 – bewirken und die Erhöhungen zum Ende eines jeden Versicherungsjahres, frühestens nach einem vollen Rentenbezugsjahr erfolgt,

5. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.803,24€ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.08.2017.

und klageerweiternd mit Schriftsatz vom 27.12.2017:

6. es wird festgestellt, dass die bei der Beklagten unterhaltene fondsgebundene Risikoversicherung G. P. mit Einschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung des Klägers mit der Versicherungsnummer … nicht durch die Anfechtungserklärungen aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 05.09.2017 sowie aus den Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 05.09.2017, gefaxt am 21.09.2017 um 10:31 Uhr und vom 21.09.2017, gefaxt am 21.09.2017 um 10:36 Uhr, weggefallen ist, sondern seit dem 01.08.2011 ununterbrochen und unverändert fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte stellt eine Berufsunfähigkeit des Klägers in Abrede und behauptet hilfsweise, der Kläger sei bereits bei Vertragsschluss berufsunfähig gewesen („mitgebrachte Berufsunfähigkeit“).

Sie ist darüber hinaus der Ansicht, dass dem Anspruch des Klägers sowohl der erklärte Rücktritt vom Vertrag wegen vorsätzlicher oder mindestens grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 19 II VVG sowie eine erklärte Anfechtung der von ihr abgegebenen Willenserklärung auf Abschluss des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung entgegen stünde. Sie trägt vor, der Kläger sei im Mai 2001 wegen einer psychischen Erkrankung behandelt worden, die der Kläger bei Vertragsschluss arglistig verschwiegen habe. Darüber hinaus behauptet sie, der Kläger sei aufgrund einer Fahrerlaubnisentziehung im Jahr 2004 im Rahmen zweier Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen in den Jahren 2004 und 2009 zu seinem Drogenkonsum ärztlich und psychologisch, mindestens jedoch rechtsanwaltlich beraten worden.

Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2018 ausgiebig persönlich angehört. Wegen des Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift vom 04.04.2018 (Bl. 173 – 178 d.A.) verwiesen.

Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. med. K. J. – C. sowie durch deren ergänzende persönliche Anhörung.

Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das psychiatrische Gutachten vom 22.10.2018 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22.05.2019 (Bl. 300-306 d.A.) verwiesen.

Die Klage ist der Beklagten am 16.08.2017 zugestellt worden.

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist in vollem Umfang zulässig und begründet.

A) Zulässigkeit

Die Klage ist insgesamt zulässig.

Im Hinblick auf den Antrag, der sich auf zukünftige wiederkehrende Leistungen richtet, folgt die Zulässigkeit aus § 258 ZPO.

Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Fortbestands der Versicherung und der Überschussbeteiligung und damit ein Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO (vgl. hierzu Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3 Auflage, Abschnitt R, Rd. 117f).

B) Begründetheit

Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche vollumfänglich zu.

Sie ergeben sich in der Hauptsache aus dem am 01.07.2011 abgeschlossenen fondsgebundene Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag („G. P.“), mit dem Tarif „FC08-3“, Versicherungsscheinnummer … i.V.m § 172 VVG.

I. Zahlungsanspruch

Die Zahlungsansprüche entsprechend der Anträge 2., 3. und 4. bestehen aufgrund der vereinbarten Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.

Sie sind weder aufgrund eines erklärten Rücktritts noch aufgrund einer erklärten Anfechtung erloschen.

1. Kein Erlöschen wegen Rücktritts

Der am 18.10.2016 erklärte Rücktritt führt – ungeachtet der Fragen über eine ordnungsgemäße Belehrung des Klägers im Antragsformular nach § 19 Abs. 5 VVG, über die Wirksamkeit der Rücktrittserklärung wegen verspäteter Zurückweisung nach § 174 BGB und dem Streit der Parteien über die Einhaltung der Monatsfrist des § 21 Abs. 1 VVG – nicht zum Erlöschen des Anspruchs, da der Beklagten kein Rücktrittsrecht gemäß § 19 II VVG wegen Anzeigepflichtverletzung zusteht.

Der Kläger hat seine Anzeigepflicht nicht verletzt.

Gemäß § 19 I VVG hat der Versicherungsnehmer bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen.

Das Verschweigen der Behandlung einer drogeninduzierten Psychose im Mai 2001 begründet keine Anzeigepflichtverletzung.

Gemäß Nr. 6 f) der gesundheitsbezogenen Selbstauskunft sollte der Kläger angeben, ob bei ihm in den letzten 10 Jahren psychische Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder Funktionsstörungen bestehen oder bestanden.

Das ist nicht der Fall. Die Behandlung im Mai 2001 liegt außerhalb des abgefragten 10 Jahreszeitraums vor dem Vertragsschluss am 01.07.2011.

Das Verschweigen der Medizinisch- Psychologischer Untersuchungen in den Jahren 2004 und 2009 begründet ebenfalls keine Anzeigepflichtverletzung.

Gemäß Nr. 11 der gesundheitsbezogenen Selbstauskunft sollte der Kläger angeben, ob er innerhalb der letzten 10 Jahre wegen Medikamentenmissbrauchs, des Konsums von Alkohol, von Betäubungsmitteln oder von Drogen „beraten oder behandelt“ wurde?

Eine Beratung im Sinne der Nr. 11 der gesundheitsbezogenen Selbstauskunft fand bei den Medizinisch- Psychologischen Untersuchungen nicht statt.

Der Begriff „Beratung“ ist als unbestimmter Begriff seines Inhalts und Umfangs nach den Umständen des Einzelfalls und der jeweiligen Interessenslage unter Berücksichtigung des Versicherungsrisikos „Berufsunfähigkeit“ auszulegen. Insofern kollidieren das klägerische Interesse an möglichst weitgehendem Versicherungsschutz mit dem Interesse der Beklagten an einem möglichst kalkulierbaren – das bedeutet vorhersehbaren – Risiko. Aus dem systematischen Zusammenhang mit dem Begriff „Behandlung“ ergibt sich eine therapiebezogene Bedeutung des Beratungsbegriffs. Beratung in diesem Sinne setzt eine heilungsbezogene informatorische Aufklärung voraus. Die Medizinisch- Psychologische Untersuchung dient hingegen der Beurteilung der Fahrtauglichkeit des Betroffenen im öffentlichen Straßenverkehr und hat eine sicherheitsrechtliche Zielsetzung, keine therapeutische.

Diese Unklarheiten in der Formulierung der Antragsfragen gehen zulasten der Beklagten als Verwenderin. Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist bei der konkreten Frageformulierung jedenfalls nicht erkennbar, dass die Beklagte auch eine verkehrsrechtliche Medizinisch- Psychologische Untersuchung abfragen möchte.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2018 überzeugend dargelegt, dass eine Beratung hinsichtlich seines BTM-Konsums in einem therapeutischen Sinne weder im Jahr 2004, noch im Jahr 2009 stattgefunden hat.

Für eine Beratung des Klägers über diese verkehrssicherheitsbezogenen Maßnahmen hinaus bestehen keine Anhaltspunkte.

Darüber hinaus kann sich die Beklagte in diesem Rechtsstreit zur Begründung eines Rücktritts (und einer Anfechtung) nicht auf die von ihr vorgebrachten Arztberichte (insbesondere K4 und K9) berufen, weil sie ihre Kenntnis von Vorerkrankungen des Klägers widerrechtlich erlangt hat. Sie hat diese Arztberichte auf Grundlage der generellen Schweigepflichtentbindungserklärung im Antragsformular erlangt, die den Anforderungen des § 213 VVG nicht gerecht wird.

Die generelle Schweigepflichtentbindung zeigt sich bei Abwägung des Offenbarungsinteresses des Versicherers mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Versicherungsnehmers als nicht grundsätzlich unzulässig. Der Versicherer kann dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit einer uneingeschränkten Schweigepflichtentbindung zur Beschleunigung der Leistungsprüfung anheim stellen. Denn als Träger des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung steht es diesem frei, Daten anderen gegenüber zu offenbaren. Zur Wahrung des Schutzes der informationellen Selbstbestimmung ist dem Versicherungsnehmer jedoch die Möglichkeit zu lassen, bei der Erhebung von Daten durch den Versicherer nur insoweit mitzuwirken, als dies zur Prüfung des Leistungsfalles relevant ist. Dem Versicherungsnehmer ist dementsprechend auch die Möglichkeit einer für den Einzelfall zu erteilenden Schweigepflichtentbindung zu geben und ihn darüber entsprechend zu informieren. Diese Entbindung muss zur effektiven Wahrung der informationellen Selbstbestimmung ihrerseits – gemäß dem durch den Bundesgerichtshof entwickelten Grundsatz des „gestuften Dialogs“ – beschränkt auf die erforderliche Datenerhebung sein. In diesem Rahmen darf der Versicherer daher zunächst nur Informationen allgemeiner Art erheben, auf deren Grundlage er sodann einzelne, spezifische Anfragen zu stellen vermag, deren Beantwortung unter Umständen wiederum zur Grundlage noch weiter ins Detail gehender Erkundigungen werden kann (BGH, Urteil vom 22.02.2017 – IV ZR 289/14 –, BGHZ 214, 127- 146).

Die von der Beklagten eingeholte generelle Schweigepflichtentbindung ist unzulässig, da sie diesen Anforderungen nicht entspricht. Die ermöglichte Alternative einer einzelfallbezogenen Schweigerechtsentbindungserklärung reicht zur Wahrung der Zulässigkeit nicht aus. Diese für den Einzelfall abzugebende Schweigepflichtentbindungserklärung ist in ihrem Umfang ihrerseits wiederum nicht beschränkt und entspricht somit nicht dem vom Bundesgerichtshof vorausgesetzten „gestuften Dialog“. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages ergab sich für den Kläger daher nicht, dass ihm zur Wahrung seines informationellen Selbstbestimmungsrechts das Recht zustand, die im Einzelfall abzugebende Schweigepflichtentbindungserklärung in ihrem Umfang zu beschränken. Ferner ist die von der Beklagten angebotene Schweigepflichtentbindung im Einzelfall für den Kläger keine gleichwertige Alternative in der Antragssituation gewesen, weil ihm nur hier eine gesonderte Kostenpflicht von 19,00 € für jeden Einzelfall aufgebürdet wird.

Die generelle Schweigepflichtentbindung kann daher nicht die beim Kläger angewandte Datenerhebung rechtfertigen. Denn die Wahl der generellen Schweigepflichtentbindungserklärung des Klägers erfolgte auf Grundlage der – der Beklagten obliegenden – unvollständigen Information über die Rechtslage. Der uninformierte Kläger war in seiner Willensbildung mithin nicht frei, als er die generelle Schweigerechtsentbindung abgegeben hat.

Dieser Informationspflichtverletzung beruht auf einem treuwidrigen Verhalten, da das Wissensdefizit der Beklagten zielgerichtet geschaffen und nicht aufgehoben wurde. Der Grundsatz des „gestuften Dialogs“ gehörte im Zeitpunkt der Datenerhebung im Jahr 2015 zur gefestigten Praxis. Es war auch nicht Sache des Klägers, eine von der Beklagten vorgegebene, zu weit gefasste Schweigepflichtentbindungserklärung auf das korrekte Maß zurück zu stutzen.

Berufsunfähigkeitszusatzversicherung - Verschweigen einer MPU des Versicherungsnehmers
(Symbolfoto: Von SP-Photo/Shutterstock.com)

Die Beklagte kann sich in diesem Verfahren somit nicht auf das Vorliegen von Vorerkrankungen zur Begründung einer Anzeigepflichtverletzung berufen (BGH NJW 2013, 1727).

2. Kein Erlöschen wegen Anfechtung

Die von der Beklagten erklärten Anfechtungen wegen arglistiger Täuschung führen ebenso nicht zum Erlöschen des Anspruchs, da es bereits an einem Anfechtungsgrund mangelt.

Täuschung i.S.v. § 22 VVG i.V.m. § 123 I BGB ist das Hervorrufen eines Irrtums über Tatsachen. Einer Täuschung durch Unterlassen steht grundsätzlich das Prinzip der informationellen Selbstverantwortung entgegen. Es sei denn, dem Täuschenden wird explizit eine zulässige Frage gestellt oder nach Verkehrsauffassung ist eine Aufklärung zu erwarten. Letzteres setzt etwa ein besonderes persönliches Näheverhältnis oder eine erkannte Geschäftsunerfahrenheit der gegnerischen Partei voraus, die hier jeweils im Bezug auf die Beklagten nicht besteht. Für den Kläger war im Jahr 2011 unter Berücksichtigung der konkreten Antragsfragen (für 10 zurückliegende Jahre) und seiner bisherigen unbeeinträchtigten Berufstätigkeit nicht ersichtlich, dass die Beklagte auch weitere gesundheitliche Umstände außerhalb des 10-Jahreszeitraums abfragen könnte.

Die Fragen der gesundheitsbezogenen Selbstauskunft im Versicherungsantrag wurden vom Kläger ordnungsgemäß beantwortet (vgl. o.).

Auch hier kann sich die Beklagte auf die erlangten Gesundheitsdaten nicht berufen.

Entsprechendes gilt für die Anfechtungserklärungen vom 05.09.2017 und 21.09.2017.

3. Berufsunfähigkeit

Der Kläger ist spätestens seit dem 23.01.2014 berufsunfähig, weil er aufgrund einer bipolaren affektiven Störung seine bisherige Tätigkeit als selbstständiger Tischler nicht mehr fortführen kann. Dies hat die Beweisaufnahme klar ergeben.

Eine vollständige Berufsunfähigkeit gemäß § 4 VI AVG, § 172 VVG liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich länger als 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, tätig zu sein, und sie keiner anderen Tätigkeit nachgeht, die zu übernehmen sie aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, und sie keiner anderen Tätigkeit nachgeht, die sie innerhalb der letzten Monate vor Eintritt der Berufsunfähigkeit konkret ausgeübt hat.

Für die konkrete Berufstätigkeit des Klägers bis zum 23.01.2014 wird auf die überzeugenden Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2018 und die Darlegungen in der Klageschrift verwiesen. Der Kläger war zuvor als selbstständiger Tischler im Umfang von etwa 55 bis 60 Wochenstunden tätig. Auch die vorgelegten Einkommenssteuerbescheide des Klägers sind zu der vorgetragenen Tätigkeit plausibel.

Soweit die Beklagte im Prozessverlauf sogar den Abschluss einer Tischlerausbildung durch den Kläger in Abrede stellte, erfolgt dies zumindest treuewidrig. Denn die Beklagte hat den Kläger als selbstständigen Tischler versichert und es ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte, die Zweifel in dieser Hinsicht begründen konnten, wie der vorgelegte Gesellenbrief denn auch zeigt.

a) Aufgrund des eingeholten schriftlichen Gutachtens und insbesondere der mündlichen Erläuterung durch die bestellte Sachverständige Prof. Dr. med. K. J. – C. hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger ab dem 23.01.2014 zu mindestens 50% außerstande war, seiner vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeitnachzugehen.

Nach den detaillierten Ausführungen der Sachverständigen – Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, … in K. – ist der Kläger zu weniger als 35 % in der Lage seine bisherige Tätigkeit fortzuführen.

Ausgangspunkt der Beurteilung einer vereinbarungsgemäßen Berufsunfähigkeit des Klägers ab 23.01.2014 seien die zeitnahen medizinischen Vorbefunde.

Es ergebe sich aus der ambulanten Untersuchung in der Regionalklinik E. vom 23.01.2014 zu diesem Zeitpunkt der Verdacht einer manischen Episode aufgrund überwertiger Ideen des Klägers.

Aus dem Entlassungsbrief vom 20.02.2014 von Dr. J. O. und Dr. B. L. gehe hervor, dass sich der Kläger vom 25.01.2014 bis zum 04.02.2014 in der stationären Behandlung der Regioklinik E. aufgrund einer Manie mit psychotischen Symptomen bei Verdacht auf bipolare Störung befand. Bei der Aufnahme wurde eine Unterbringung nach PsychKG beantrag und bis zum 31.01.2014 verfügt.

Dem ärztlichen Bericht von Frau Dr. T. vom 26.05.2014 sei zu entnehmen, dass sich der Kläger seit dem 19.02.2014 aufgrund einer bipolaren affektiven Psychose, aktuell gemischter Episode, bei ihr in Behandlung befinde. Ein Abschluss der Behandlung sei nicht absehbar. Der Kläger könne keine Tätigkeit als selbständiger Tischler aktuell durchführen.

Dem Entlassungsbrief vom 15.08.2014 vom A. Krankenhaus sei zu entnehmen, dass der Kläger vom 17.06.2014 bis zum 25.07.2014 aufgrund einer bipolar- affektiven Psychose, – gegenwärtig mittelgradig depressiv, cannabinoidabhängig, gegenwärtig abstinent – und einer Persönlichkeitsakzentruierung mit selbstunsicheren und emotional instabilen Anteilen tagesklinisch behandelt worden sei.

Dem ärztlichen Bericht von Frau Dr. T. vom 23.12.2014 ließe sich entnehmen, dass der Kläger im November mit einer stufenweisen beruflichen Wiedereingliederung begonnen habe und ca. 30 Stunden in der Woche arbeiten würde. Zu dem Zeitpunkt wäre bei dem Kläger die Diagnose einer bipolar affektiven Störung, gegenwärtig remittiert, gestellt worden.

Dem ärztlichen Bericht von Frau Dr. T. vom 02.03.2015 sei zu entnehmen, dass sich der Kläger am 15.01.2015 akut bei ihr vorgestellt habe und von einem Einbruch mit depressiven und maniformen Symptomen berichtet habe. Der Kläger sei daraufhin krankgeschrieben worden. Bis zum 23.02.2015 habe sich der Zustand des Klägers nicht gebessert. Beim Kläger wäre eine bipolar affektive Psychose, gegenwärtig gemischte Phase diagnostiziert worden. Frau Dr. T. attestierte dem Kläger, dass er bis auf weiteres nicht arbeitsfähig sei.

Dem Arztfragebogen vom 31.01.2016 von Frau Dr. T. ließe sich entnehmen, dass der Kläger erstmalig im Januar 2014 unter einer manischen Episode gelitten habe. Seit Januar 2014 läge bei ihm wechselnde hypomanische und depressive Symptome vor. Die Beschwerden, welche nicht auf ein Ereignis oder berufliche Exposition zurückzuführen seien, hätten akut begonnen und bestünden dauernd. Es gäbe auch keine speziellen Situationen in denen die Beschwerden vorkommen. Die Beschwerden hätten sich in letzter Zeit gebessert. Unter Alltagsbelastungen sei der Kläger relativ stabil, unter zusätzlicher Belastung, wie zum Beispiel des stufenweise durchgeführten Wiedereingliederungsversuchs in die Arbeitswelt oder bei privater Belastung, wie Beziehungsproblemen, käme es zu depressiven Einbrüchen.

Anlässlich der gutachterlichen Untersuchung vom 03.08.2018 schildert die Sachverständige Prof. Dr. med. K. J. – C., der Kläger habe berichtet, noch bis vor zwei Wochen unter einer depressiven Stimmung, vermindertem Interesse an Freude und beinah allen Aktivitäten, Antriebsmangel, Schlafstörung, psychomotorischer Unruhe, anhaltendem Erschöpfungsgefühl, Gefühlen der Wertlosigkeit, verminderter Fähigkeit sich zu konzentrieren sowie unter Suizidgedanken gelitten zu haben. Vor dieser Phase sei es zu einer Phase gekommen, bei der ein vermindertes Schlafbedürfnis, erhöhte Gesprächigkeit, subjektive Erfahrung des Gedankenrasens, Zerstreutheit und eine Zunahme sozialer Aktivität vorgelegen habe. Gegenwärtig leide der Kläger unter anhaltende innerer Unruhe, leichter Niedergestimmtheit, einer Ein- und Durchschlafstörung, verminderter Erholsamkeit des Schlafes, sowie unter Aufmerksamkeitsstörungen und Entscheidungsschwierigkeiten.

Im schriftlichen Gutachten sowie in der mündlichen Anhörung hat die bestellte Sachverständige Prof. Dr. med. K. J. – C. überzeugend die Erkrankung und die daraus folgende Berufsunfähigkeit des Klägers dargestellt.

Die Sachverständige legt dar, dass die Berufsunfähigkeit des Klägers auf dem Vorliegen einer bipolar- affektiven Störung basiere. Bei der Erkrankung handele es sich um eine bipolar- affektive Störung Typ I, mit prognostisch ungünstigem „rapid-cycling“, also einem schnellen Wechsel zwischen den Krankheitsphasen. Dabei käme es bei Erkrankten im Laufe eines Jahres zu mindestens vier verschiedenen Krankheitsepisoden. Erkrankte würden dabei auch in symptomarmen Intervallen, in denen die Diagnosekriterien einer Depression, Hypomanie bzw. einer Manie nicht erfüllt seien Störungen im Sinne einer Stimmungslabilität, fehlende Tagesstruktur, Beeinträchtigung im interpersonellen und im beruflichen Bereich zeigen. Aus den ärztlichen Befunden, den Untersuchungen des Klägers, sowie seinen anamnestischen Angaben ließen sich seit 2014 mindestens 14 verschiedene Krankheitsphasen feststellen, die nach Darstellung der Sachverständigen die Kriterien des rapid-cycling eindeutig erfüllen würden. Die Berufsunfähigkeit sei dabei auch in den symptomarmen Krankheitsphasen aufgrund der dem „rapid-cycling“- typischen sekundären schwerwiegenden Anpassungsproblematik gegeben.

Die bestellte Sachverständige Prof. Dr. med. K. J. – C. folgerte die Berufsunfähigkeit überzeugend aus dem Berufsbild des Klägers als selbständiger Tischler unter Bewertung der einzelne Aufgaben und Herausforderungen.

Als selbständiger Tischler sei der Kläger für die Organisation der Arbeitsabläufe, auf und um die Baustelle, Kundenakquise, buchhalterische Tätigkeiten und Kundenpflege zuständig und trage die Gesamtverantwortung für das wirtschaftliche Ergebnis seiner Firma. Die selbständige Tätigkeit sei mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand sowie hohem Ausmaß an vorausschauendem Handeln und der Notwendigkeit einer guten Tages- und Aufgabenstrukturierung verbunden.

Die Sachverständige beurteilte die Berufsunfähigkeit, aufgrund der wiederholt auftretenden Phasen der Depression, Hypomanie bzw. Manie, sowie aufgrund des Schweregrades der Komorbiditäten.

Demnach ergäben sich Einschränkungen im Bereich der Arbeitsvorbereitung und Einrichtung der Baustelle, aus Minderung der Konzentration, schnellen Überforderungsgefühlen, Antriebsminderung, inneren Unruhe und Gereiztheit. Die handwerkliche Tätigkeit sei aus reduzierter psychischer und körperlicher Belastbarkeit, leichter Reizbarkeit, schneller Müdigkeit, innerer Anspannung und körperlicher Erschöpfung eingeschränkt.

Ebenfalls ergäben sich Einschränkungen im Bereich Aufräumen und Säubern der Baustelle aufgrund schneller körperlicher Erschöpfbarkeit, Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, reduzierter Belastbarkeit und depressiver Verstimmung.

Darüber hinaus sei die Fahrt nach Haus, sowie das Be- und Entladen des Fahrzeugs zusätzlich aufgrund der Minderung der Konzentration, Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, reduzierter Belastbarkeit, Überforderungsgefühle, Antriebsminderung und körperlicher Erschöpfbarkeit eingeschränkt.

Schließlich sei auch die Büroarbeit aufgrund der Minderung der Konzentration, Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, Vergesslichkeit, innere Unruhe, depressive Verstimmung, Grübelneigung, Antriebsminderung und Überforderungsgefühle eingeschränkt.

Die Sachverständige folgert hieraus überzeugend und nachvollziehbar eine ununterbrochene Minderung der Berufsunfähigkeit in Höhe von 66%. Darüber hinaus wäre eine Wiederaufnahme der Tätigkeit kontraindiziert und würde zu dem erhöhten Risiko einer weiteren Symptomverschlechterung führen und mit Chronifizierung der Symptomatik einhergehen.

Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen der Sachverständigen vollumfänglich nach eigener Prüfung an. Die sehr fachkundige Sachverständige hat die gesamte Krankheitsgeschichte des Klägers einbezogen und alle Nachfragen und Einwendungen der Parteien oder des Gerichts umfänglich und überzeugend beantwortet bzw. ausgeräumt. Diese Überzeugung des Gerichts beruht auch auf den Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2018. Er konnte dem Gericht die verheerenden Auswirkungen seiner Krankheit auf seine Berufstätigkeit sehr überzeugend schildern. Der bisherige Krankheits- und Behandlungsverlauf zeigt die schwere der Erkrankung und die Einschränkungen des Klägers sehr deutlich auf.

b) Ebenfalls stellt die Sachverständige Prof. Dr. med. K. J. – C. zur Überzeugung des Gerichts dar, dass die Berufsunfähigkeit nicht auf einen Drogenabusus – namentlich Cannabisintoxikation und -missbrauch – beruhe.

Die diagnostizierte bipolar- affektive Störung stelle eine eigenständige Diagnose dar, welche unabhängig von einem Cannabiskonsum oder – missbrauch existiere. Ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen der bipolar- affektiven Störung und einem Cannabiskonsum sei ausgeschlossen. Vielmehr schlössen sich die Krankheitsbilder wechselseitig aus und wären in ihren Symptomen verschieden.

c) Schließlich ist das Gericht aufgrund der Darlegung der Sachverständigen Prof. Dr. med. K. J. – C. auch der Überzeugung, dass nicht bereits bei oder vor Vertragsschluss am 01.07.2011 eine Berufsunfähigkeit des Klägers vorlag („mitgebrachte Berufsunfähigkeit“).

Nach Darstellung der bestellten Sachverständigten zeige die Anamnese bzw. der Lebenslauf des Klägers, dass dieser seine Berufsausbildung erfolgreich absolvieren und bis Mitte des Jahres 2013 als selbständiger Bautischler tätig sein konnte. Der Kläger habe nach Beendigung der Realschule erfolgreich eine Lehre zum Tischler absolviert und habe im Anschluss vier Monte lang in der Ausbildungsfirma gearbeitet. Er sei bis 2003 bei vier verschiedenen Tischlereien eingestellt gewesen, bevor er nach einjähriger Arbeitslosigkeit beschlossen habe, sich als Tischler selbständig zu machen. Dieser Tätigkeit sei der Kläger auch bis 2013 erfolgreich nachgegangen. Diese Angaben werden zur weiteren Überzeugung des Gerichts auch durch die Steuerbescheide in den Veranlagungszeiträumen 2012 und 2013 gestützt mit einem zu versteuernden Einkommen von 30.081,00€ und 23.828,00€. Hinweise für eine Raubbautätigkeit in der vorvertraglichen Zeit lägen nach Ansicht der bestellten Sachverständigen aufgrund fehlender Symptome nicht vor.

d) Eine Umorganisation des Betriebs entsprechend der vertraglichen Bestimmungen kommt nicht in Betracht.

Voraussetzung für eine Umorganisation ist, dass für den Kläger als faktischen Betriebsinhaber noch ein ihn ausfüllender Tätigkeitsbereich verbliebe und außerdem ihm keine unwirtschaftlichen Ausgaben zugemutet werden.

Dem Kläger ist eine Umorganisation seiner selbständigen Tätigkeit nicht zumutbar. Der Kläger führte einen Einmannbetrieb. Die Einstellung eines Mitarbeiters würde nahezu den gesamten Tätigkeitsbereich ausfüllen. Die Einstellung eines Mitarbeiters ist darüber hinaus auch wirtschaftlich nicht zumutbar, da dies zu einer erheblichen Verminderung der Einkünfte führen würde, und damit dem Betriebsinhaber allenfalls geringe Einkünfte verbleiben, die eine Aufrechterhaltung seines Betriebs wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll erscheinen lässt. Der Kläger ist krankheitsbedingt insbesondere nicht in der Lage, planende und zuverlässige Bürotätigkeiten zu verrichten (vgl. Hauptgutachten Seite 19), diese Tätigkeiten könnten von ihm als Betriebsinhaber aber auch bei Einstellung einer Hilfsperson nicht delegiert werden.

e) Zusammenfassend steht für das Gericht fest, dass der Kläger aufgrund einer bipolar- affektiven Störung seit dem 23.01.2013 für mindestens 6 Monate berufsunfähig im Sinne der vertraglichen Vereinbarung war. Diese Berufsunfähigkeit kann nicht auf Cannabisintoxikation oder –missbrauch zurückgeführt werden und die Berufsunfähigkeit ist darüber hinaus auch erst nach Vertragsschluss entstanden. Die Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vom 22.05.2019 überzeugend ausgeführt, dass der Kläger im Rückblick seit diesem Zeitpunkt durchgehend Berufsunfähig war, auch wenn eine ärztliche Prognose zu diesem Zeitpunkt wohl günstiger ausgefallen wäre. Angesichts der Rückwirkungsfiktion in Anhang II, Abschnitt 3 Abs. 6 der AVB gilt der Kläger damit als von Beginn an berufsunfähig.

II. Nebenforderungen

Der Anspruch auf Überschussbeteiligung folgt für den Kläger aus Teil A § 8 der AVB, hier insbesondere Abschnitt II. (3).

Die Zinsansprüche aus den Anträgen 1, 2 und 5 sind gemäß §§ 286, 291, 288 I BGB begründet.

Der Anspruch des Klägers auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten beruht auf §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB. Der Ansatz eines vorgerichtlichen Streitwerts von 121.500,00 € ist ebensowenig zu beanstanden wie der Ansatz einer 2,0-Gebühr nach RVG für diese komplexe Angelegenheit von enormer Bedeutung für den Kläger.

C) Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

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