Übersicht
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der Kläger begehrte Leistungen wegen Berufsunfähigkeit von der Beklagten, seiner Versicherung.
- Der Kläger war als Versicherungsvermittler tätig und meldete wegen Depressionen Berufsunfähigkeit an.
- Er forderte rückständige Rentenzahlungen und Beitragsbefreiungen aus vier Versicherungen.
- Die Versicherung lehnte die Zahlung ab und bestritt die Berufsunfähigkeit des Klägers.
- Das Landgericht entschied zugunsten des Klägers und verurteilte die Beklagte zur Zahlung.
- Das OLG Hamm hat das Urteil teilweise abgeändert, indem es die Dauer der Rentenzahlung und die Höhe der monatlichen Renten korrigierte.
- Die Schwierigkeiten lagen in der Bewertung, ob der Kläger tatsächlich unter schwerer Depression leidet und wie sich dies auf seine Berufsfähigkeit auswirkt.
- Das Gericht entschied, dass dem Kläger die Berufsunfähigkeit nachgewiesen werden konnte und er Rentenzahlungen ab Juli 2016 erhält.
- Die Ablehnung der Behandlung durch Antidepressiva war aufgrund der Nebenwirkungen und unsicheren Heilungsaussichten zumutbar.
- Zinsen und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten wurden teilweise nicht gewährt, da die Beklagte nicht rechtzeitig in Verzug war.
- Das Urteil hat Auswirkungen auf die Behandlungspflichten von Versicherten und deren Zumutbarkeit bei der Annahme von Berufsunfähigkeitsleistungen.
Urteil zur Berufsunfähigkeitsversicherung: Wenn Versicherte Behandlungen ablehnen
Eine Berufsunfähigkeitsversicherung soll im Ernstfall das Einkommen absichern, wenn man seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Doch was passiert, wenn man eine ärztlich empfohlene Behandlungsmethode ablehnt? Kann die Versicherung dann die Zahlung verweigern? Diese Frage beschäftigt immer wieder Gerichte und Versicherungsnehmer gleichermaßen.
Grundsätzlich gilt: Versicherte sind verpflichtet, alles Zumutbare zu tun, um ihre Berufsunfähigkeit zu vermeiden oder zu verkürzen. Dazu gehört in der Regel auch, ärztliche Behandlungen in Anspruch zu nehmen. Doch was ist „zumutbar“? Wo endet die Pflicht zur Mitwirkung und wo beginnt das Recht auf Selbstbestimmung?
Ein aktuelles Gerichtsurteil hat sich mit genau dieser Frage auseinandergesetzt. Es ging um einen Versicherten, der eine bestimmte Behandlungsmethode ablehnte und daraufhin seine Berufsunfähigkeitsrente gestrichen bekam. Doch das Gericht entschied anders…
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Der Fall vor Gericht
Berufsunfähigkeitsversicherung: Ansprüche trotz Ablehnung von Behandlungen
Ein Versicherungsnehmer hatte bei der Beklagten, einer Versicherungsgesellschaft, insgesamt vier Berufsunfähigkeitsversicherungen abgeschlossen. Ende 2013 begab er sich aufgrund einer schweren Depression in stationäre Behandlung und anschließend in ambulante psychologische Behandlung. Im Februar 2015 meldete er bei der Beklagten Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit an.
Die Beklagte holte psychiatrische Gutachten ein und lehnte mit Schreiben vom September 2015 ihre Leistungspflicht ab, da keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit von mindestens 50% vorliege. Der Kläger klagte daraufhin auf Rentenzahlungen und Beitragsbefreiungen aus den Versicherungen seit Oktober 2013.
Gerichtliche Entscheidung und Begründung
Das Oberlandesgericht Hamm entschied zugunsten des Klägers und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von Berufsunfähigkeitsrenten sowie zur Beitragsbefreiung ab November 2016.
Das Gericht befand, dass dem Kläger der Beweis der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gelungen sei. Maßgeblich waren hierfür die Feststellungen eines gerichtlichen Sachverständigen, wonach der Kläger zumindest vom 17.12.2015 bis zum 28.06.2016 und darüber hinaus infolge einer schweren depressiven Störung mit somatischen Beschwerden mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande war, seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Versicherungsvermittler zu mindestens 50% auszuüben. Damit griff die in den Versicherungsbedingungen geregelte Vermutung ein, dass die Berufsunfähigkeit voraussichtlich dauerhaft bestand.
Konsequenzen für Ansprüche aus Berufsunfähigkeitsversicherungen
Das Urteil zeigt, dass Versicherte auch dann Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung haben können, wenn sie empfohlene Behandlungen ablehnen. Entscheidend ist, ob die gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar machen, unabhängig davon, ob der Versicherte alle möglichen Behandlungen durchläuft.
Zentral sind die konkreten Auswirkungen der Erkrankung auf die Berufsfähigkeit. Kann der Versicherte seinen Beruf seit mindestens sechs Monaten ununterbrochen nicht mehr zu einem bestimmten Grad ausüben, greift die Vermutungsregel der Versicherungsbedingungen. Die Berufsunfähigkeit gilt dann als dauerhaft, ohne dass der Versicherer eine mögliche Besserung durch Behandlung nachweisen muss.
Bedeutung für Versicherte
Das Urteil stärkt die Rechte von Versicherten. Sie müssen bei Vorliegen der Vermutungstatbestände keine aufwändigen Nachweise über den dauerhaften Charakter ihrer Berufsunfähigkeit erbringen. Vielmehr obliegt es dem Versicherer, substantiiert darzulegen, weshalb im konkreten Fall eine Ausnahme von der Vermutungsregel anzunehmen ist.
Versicherte können Behandlungen ablehnen, solange diese keine einfachen, gefahrlosen Maßnahmen mit sicherer Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung sind. Die Ablehnung führt nicht automatisch zum Leistungsausschluss. Entscheidend bleibt die tatsächliche Auswirkung der Erkrankung auf die Berufsfähigkeit.
Die Schlüsselerkenntnisse
Die Kernbotschaft dieses Urteils lautet: Versicherte haben auch bei Ablehnung empfohlener Behandlungen Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung, sofern ihre Erkrankung die Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar macht. Entscheidend sind die konkreten Auswirkungen der Erkrankung auf die Berufsfähigkeit, nicht die Durchführung jeder denkbaren Behandlung. Das Urteil stärkt die Rechte der Versicherten gegenüber den Versicherern erheblich.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung haben und berufsunfähig werden, müssen Sie empfohlene Behandlungen nicht zwingend annehmen, um Leistungen zu erhalten. Das Urteil stärkt Ihre Rechte als Versicherungsnehmer. Entscheidend sind die tatsächlichen Auswirkungen Ihrer Erkrankung auf die Berufsfähigkeit, nicht ob Sie alle möglichen Therapien durchlaufen. Solange die Behandlung keine einfache, gefahrlose Maßnahme mit sicherer Aussicht auf Heilung ist, können Sie sie ablehnen, ohne Ihren Anspruch zu verlieren. Wenn Ihre Berufsunfähigkeit mindestens sechs Monate ununterbrochen andauert, greift die Vermutungsregel der Versicherungsbedingungen. Der Versicherer muss dann nachweisen, dass eine Besserung durch Behandlung möglich ist – andernfalls gilt Ihre Berufsunfähigkeit als dauerhaft. Sie müssen dies nicht aufwendig belegen. Das Urteil erleichtert den Nachweis Ihrer Ansprüche erheblich.
FAQ – Häufige Fragen
Berufsunfähigkeitsversicherung: Ansprüche trotz Ablehnung von Behandlungen – ein komplexes Thema, das viele Fragen aufwirft. Wir haben die häufigsten Fragen unserer Leserinnen und Leser gesammelt und geben Ihnen klare, verständliche Antworten. Informieren Sie sich jetzt über Ihre Rechte und Pflichten als Versicherungsnehmer.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
Unter welchen Voraussetzungen kann eine Behandlung abgelehnt werden?
Die Ablehnung einer Behandlung ist ein komplexes Thema, das sowohl medizinische als auch rechtliche Aspekte umfasst. Grundsätzlich hat jeder Patient das Recht, eine vorgeschlagene Behandlung abzulehnen. Dieses Recht basiert auf dem Prinzip der Patientenautonomie und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Allerdings kann die Ablehnung einer Behandlung in bestimmten Fällen Konsequenzen haben, insbesondere wenn es um Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geht.
Bei der Beurteilung, ob eine Behandlung abgelehnt werden kann, ohne negative Folgen für den Versicherungsschutz zu riskieren, spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Ein zentrales Kriterium ist die Zumutbarkeit der Behandlung. Eine Behandlung gilt als zumutbar, wenn sie medizinisch indiziert ist, eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit aufweist und keine unverhältnismäßigen Risiken oder Nebenwirkungen mit sich bringt.
Die Versicherten sind grundsätzlich verpflichtet, zumutbare Behandlungen durchführen zu lassen, um ihre Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen oder zu erhalten. Dies ergibt sich aus der Schadensminderungspflicht, die in den meisten Versicherungsverträgen verankert ist. Allerdings gibt es Grenzen dieser Pflicht. Eine Behandlung kann abgelehnt werden, wenn sie mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, schwerwiegende Nebenwirkungen hat oder ein hohes Risiko für Komplikationen besteht.
Bei psychischen Erkrankungen stellt sich oft die Frage, ob eine Psychotherapie abgelehnt werden kann. Hier gilt: Eine Psychotherapie ist in der Regel als zumutbare Behandlung anzusehen, sofern sie von qualifizierten Therapeuten durchgeführt wird und keine konkreten Gründe gegen ihre Durchführung sprechen. Die Ablehnung einer Psychotherapie könnte daher den Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung gefährden.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Entscheidung, ob eine Behandlung zumutbar ist, immer im Einzelfall getroffen werden muss. Dabei werden verschiedene Aspekte berücksichtigt, wie die Art der Erkrankung, die persönliche Situation des Versicherten und die zu erwartenden Erfolgsaussichten der Behandlung. In Zweifelsfällen ist es ratsam, sich mit dem Versicherer abzustimmen und gegebenenfalls eine unabhängige medizinische Zweitmeinung einzuholen.
Bei der Ablehnung einer Behandlung sollten Versicherte ihre Gründe sorgfältig dokumentieren. Dies kann wichtig sein, falls es später zu Streitigkeiten mit der Versicherung kommt. Gültige Gründe für die Ablehnung einer Behandlung können beispielsweise religiöse Überzeugungen, frühere negative Erfahrungen mit ähnlichen Behandlungen oder begründete Zweifel an der Wirksamkeit der vorgeschlagenen Therapie sein.
Es ist zu beachten, dass die Ablehnung einer zumutbaren Behandlung nicht automatisch zum Verlust des Versicherungsschutzes führt. Die Versicherung muss nachweisen, dass die abgelehnte Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit geführt hätte. Dieser Nachweis kann in der Praxis schwierig sein, insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern.
Für Versicherte ist es ratsam, bei Unsicherheiten bezüglich der Zumutbarkeit einer Behandlung frühzeitig das Gespräch mit dem behandelnden Arzt und dem Versicherer zu suchen. Eine offene Kommunikation kann dazu beitragen, Missverständnisse zu vermeiden und gemeinsam eine Lösung zu finden, die sowohl den medizinischen Erfordernissen als auch den persönlichen Bedürfnissen des Versicherten gerecht wird.
Welche Auswirkungen hat die Ablehnung auf den Versicherungsschutz?
Die Ablehnung einer Behandlung durch den Versicherten hat nicht zwangsläufig negative Auswirkungen auf den Versicherungsschutz in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Versicherungsschutz bleibt grundsätzlich bestehen, solange die Berufsunfähigkeit auf andere Weise nachgewiesen werden kann.
Ein Leistungsausschluss ist nur unter bestimmten Umständen gerechtfertigt. Der Versicherer muss Leistungen gewähren, wenn die Berufsunfähigkeit trotz Ablehnung einer Behandlung eindeutig festgestellt werden kann. Dies kann durch ärztliche Gutachten, Befunde oder andere medizinische Nachweise erfolgen. Die Beweislast für die Berufsunfähigkeit liegt beim Versicherten.
Allerdings gibt es Situationen, in denen die Ablehnung einer Behandlung den Versicherungsschutz beeinträchtigen kann. Dies ist der Fall, wenn die abgelehnte Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit geführt hätte. Der Versicherer kann in solchen Fällen argumentieren, dass der Versicherte seine Mitwirkungspflicht verletzt hat.
Die Mitwirkungspflicht des Versicherten umfasst zumutbare Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitszustands. Dabei muss die Zumutbarkeit im Einzelfall geprüft werden. Faktoren wie Erfolgsaussichten, Risiken und Nebenwirkungen der Behandlung spielen eine wichtige Rolle. Eine Operation mit erheblichen Risiken oder starken Nebenwirkungen gilt in der Regel als unzumutbar.
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit werden auch persönliche Umstände des Versicherten berücksichtigt. Dazu gehören beispielsweise Alter, Gesundheitszustand und individuelle Ängste. Ein älterer Versicherter mit Vorerkrankungen muss möglicherweise weniger riskante Behandlungen akzeptieren als ein junger, ansonsten gesunder Versicherter.
Der Versicherer muss nachweisen, dass die abgelehnte Behandlung zumutbar war und mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit geführt hätte. Gelingt dieser Nachweis nicht, bleibt der Versicherungsschutz bestehen. Der Versicherte sollte daher die Gründe für die Ablehnung einer Behandlung sorgfältig dokumentieren und dem Versicherer mitteilen.
In Streitfällen kann eine gerichtliche Klärung erforderlich sein. Gerichte prüfen dann, ob die Ablehnung der Behandlung gerechtfertigt war und welche Auswirkungen sie auf den Versicherungsschutz hat. Dabei werden alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.
Eine offene Kommunikation zwischen Versichertem und Versicherer ist entscheidend. Der Versicherte sollte den Versicherer über die Gründe für die Ablehnung einer Behandlung informieren. Der Versicherer kann dann die Situation bewerten und gegebenenfalls alternative Nachweismöglichkeiten für die Berufsunfähigkeit akzeptieren.
Es ist ratsam, bei Unsicherheiten bezüglich der Auswirkungen einer Behandlungsablehnung auf den Versicherungsschutz fachkundigen Rat einzuholen. Rechtsanwälte mit Spezialisierung auf Versicherungsrecht oder unabhängige Versicherungsberater können in solchen Fällen wertvolle Unterstützung bieten.
Wie wird die Berufsunfähigkeit nachgewiesen?
Der Nachweis der Berufsunfähigkeit erfolgt in der Regel durch ärztliche Gutachten und weitere medizinische Unterlagen. Entscheidend ist dabei die Beurteilung, inwieweit der Versicherte aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen seinen zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben kann. Die konkreten Auswirkungen der Erkrankung auf die berufliche Leistungsfähigkeit müssen detailliert dargelegt werden.
Ärztliche Gutachten spielen eine zentrale Rolle beim Nachweis der Berufsunfähigkeit. Sie müssen die gesundheitlichen Beeinträchtigungen genau beschreiben und deren Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit erläutern. Dabei ist es wichtig, dass die Gutachten von Fachärzten der jeweiligen Fachrichtung erstellt werden. Bei psychischen Erkrankungen wäre dies beispielsweise ein psychiatrisches Gutachten.
Neben den ärztlichen Gutachten können auch weitere Unterlagen zum Nachweis der Berufsunfähigkeit herangezogen werden. Dazu gehören Arztberichte, Befunde, Laborergebnisse oder bildgebende Verfahren wie Röntgenaufnahmen oder MRT-Bilder. Auch Bescheinigungen des Arbeitgebers über Fehlzeiten oder Leistungseinschränkungen können relevant sein.
Die Versicherungsbedingungen enthalten häufig sogenannte Vermutungsregelungen, die den Nachweis der Berufsunfähigkeit erleichtern können. Eine typische Regelung besagt, dass Berufsunfähigkeit als nachgewiesen gilt, wenn der Versicherte sechs Monate ununterbrochen außerstande war, seinen Beruf auszuüben. Diese Regelung schafft Rechtssicherheit für den Versicherten, da er nicht die dauerhafte Berufsunfähigkeit nachweisen muss.
Die Beweislast für das Vorliegen der Berufsunfähigkeit liegt grundsätzlich beim Versicherten. Er muss darlegen und beweisen, dass er aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Allerdings gibt es auch Mitwirkungspflichten des Versicherers. Dieser muss beispielsweise konkret darlegen, welche beruflichen Tätigkeiten er dem Versicherten noch zumutet.
Der Versicherte hat bestimmte Mitwirkungspflichten im Rahmen der Prüfung des Leistungsanspruchs. Dazu gehört es, dem Versicherer alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und sich gegebenenfalls ärztlich untersuchen zu lassen. Die Verweigerung zumutbarer Untersuchungen kann zum Verlust des Leistungsanspruchs führen.
Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit wird das konkrete Berufsbild des Versicherten zugrunde gelegt. Es kommt darauf an, welche Tätigkeiten er in seinem zuletzt ausgeübten Beruf tatsächlich verrichtet hat. Ein Büroangestellter mit überwiegend sitzender Tätigkeit wird anders beurteilt als ein Dachdecker mit körperlich anspruchsvoller Arbeit.
Die Prognose über die voraussichtliche Dauer der Berufsunfähigkeit ist ein wichtiger Aspekt. In der Regel muss die Berufsunfähigkeit voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern. Bei bestimmten schweren Erkrankungen kann aber auch eine kürzere Prognose ausreichen.
Für den Nachweis der Berufsunfähigkeit ist es ratsam, frühzeitig alle relevanten medizinischen Unterlagen zu sammeln und aufzubewahren. Dazu gehören Arztberichte, Krankenhausentlassungsberichte und Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit. Diese Dokumente können im Leistungsfall wichtige Nachweise sein.
Bei komplexen Krankheitsbildern oder Streitigkeiten mit dem Versicherer kann die Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens sinnvoll sein. Dieses kann helfen, strittige medizinische Fragen zu klären und den Grad der Berufsunfähigkeit objektiv zu beurteilen.
Welche Rolle spielt die Vermutungsregel?
Die Vermutungsregel in Versicherungsbedingungen ist ein zentrales Element für die Inanspruchnahme von Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Sie greift, wenn bestimmte objektive Voraussetzungen erfüllt sind, und führt zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Versicherten.
Bei Vorliegen der in den Versicherungsbedingungen definierten Umstände wird vermutet, dass eine Berufsunfähigkeit im Sinne des Vertrages vorliegt. Dies entlastet den Versicherten von der sonst üblichen Pflicht, alle Voraussetzungen für seinen Leistungsanspruch nachzuweisen. Stattdessen muss der Versicherer das Gegenteil beweisen, wenn er die Leistung verweigern möchte.
Die Vermutungsregel kann beispielsweise an eine behördliche Feststellung der Berufsunfähigkeit oder an das Vorliegen bestimmter medizinischer Diagnosen anknüpfen. Entscheidend ist, dass die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutung objektiv überprüfbar sind.
Für den Versicherten bedeutet die Vermutungsregel eine erhebliche Erleichterung. Er muss lediglich die Tatsachen darlegen und beweisen, die die Vermutung auslösen. Die oft schwierige Beweisführung hinsichtlich des Grades der Berufsunfähigkeit oder der Dauerhaftigkeit der Einschränkungen entfällt für ihn.
Der Versicherer kann die Vermutung widerlegen. Dafür muss er jedoch den vollen Beweis erbringen, dass trotz Vorliegens der Vermutungsvoraussetzungen keine Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen gegeben ist. Dies stellt eine hohe Hürde dar und führt in der Praxis häufig dazu, dass der Versicherer leisten muss.
Es gibt jedoch Grenzen der Vermutungsregel. Sie greift nicht, wenn der Versicherte seine vertraglichen Obliegenheiten verletzt hat. Auch bei Vorliegen von Ausschlussgründen, wie etwa einer vorsätzlichen Herbeiführung der Berufsunfähigkeit, entfaltet die Vermutungsregel keine Wirkung.
Ein wichtiger Aspekt betrifft die Unterlassung von Behandlungsmethoden durch den Versicherten. Grundsätzlich ist der Versicherte verpflichtet, zumutbare Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu ergreifen. Die Vermutungsregel kann jedoch dazu führen, dass der Versicherer die Beweislast dafür trägt, dass eine unterlassene Behandlung tatsächlich zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes geführt hätte.
Die konkrete Ausgestaltung der Vermutungsregel kann je nach Versicherungsvertrag variieren. Entscheidend ist stets der genaue Wortlaut der Klausel in den Versicherungsbedingungen. Versicherte sollten daher ihre Vertragsunterlagen sorgfältig prüfen, um die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Vermutungsregel in ihrem individuellen Fall zu verstehen.
Für Versicherer stellt die Vermutungsregel ein erhebliches wirtschaftliches Risiko dar. Sie müssen sorgfältig abwägen, in welchen Fällen sie trotz greifender Vermutung eine Leistung verweigern und den aufwändigen Gegenbeweis antreten wollen.
Die Rechtsprechung hat die Bedeutung der Vermutungsregel in mehreren Entscheidungen betont. Gerichte legen die entsprechenden Klauseln tendenziell zugunsten der Versicherten aus. Dies entspricht dem Grundgedanken des Versicherungsvertragsrechts, das den Versicherten als schutzbedürftige Partei ansieht.
Trotz der Vermutungsregel bleibt es für Versicherte wichtig, ihre Ansprüche sorgfältig zu dokumentieren. Auch wenn die Beweislast umgekehrt ist, müssen sie die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutung nachweisen können. Eine gute Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten und eine vollständige Dokumentation des Krankheitsverlaufs sind daher unerlässlich.
Welche Obliegenheiten bestehen für den Versicherten?
Obliegenheiten sind rechtliche Verhaltensanforderungen, die der Versicherte in der Berufsunfähigkeitsversicherung beachten muss, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Diese Pflichten dienen dazu, das Risiko für den Versicherer zu minimieren und eine faire Vertragsabwicklung zu gewährleisten.
Eine zentrale Obliegenheit des Versicherten besteht in der unverzüglichen Meldung des Versicherungsfalls. Sobald eine Berufsunfähigkeit eintritt oder absehbar ist, muss der Versicherte dies dem Versicherungsunternehmen mitteilen. Hierbei ist es wichtig, alle relevanten Informationen wahrheitsgemäß und vollständig anzugeben.
Der Versicherte ist verpflichtet, an der Feststellung der Berufsunfähigkeit mitzuwirken. Dies beinhaltet die Bereitschaft, sich von Ärzten untersuchen zu lassen, die vom Versicherer bestimmt werden. Zudem müssen alle erforderlichen Unterlagen und Nachweise zur Verfügung gestellt werden, die für die Beurteilung des Versicherungsfalls relevant sind.
Eine weitere wichtige Obliegenheit betrifft die Schadensminderungspflicht. Der Versicherte muss zumutbare Maßnahmen ergreifen, um seine Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen oder zu verbessern. Dies kann medizinische Behandlungen, Rehabilitationsmaßnahmen oder berufliche Umschulungen umfassen.
Die Zumutbarkeit von Behandlungen ist ein wichtiger Aspekt bei der Beurteilung von Obliegenheiten. Nicht jede mögliche Behandlung muss vom Versicherten akzeptiert werden. Als zumutbar gelten in der Regel Maßnahmen, die gefahrlos und ohne erhebliche Schmerzen durchgeführt werden können. Operative Eingriffe oder Behandlungen mit erheblichen Nebenwirkungen übersteigen in der Regel die Zumutbarkeitsgrenze.
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, wie die Art und Schwere der Erkrankung, die Erfolgsaussichten der Behandlung und die persönlichen Umstände des Versicherten. Es ist wichtig zu betonen, dass die Ablehnung einer zumutbaren Behandlung zu einer Leistungskürzung oder sogar zum Verlust des Versicherungsschutzes führen kann.
Obliegenheitsverletzungen können schwerwiegende Folgen haben. Je nach Schwere der Verletzung und dem Grad des Verschuldens kann der Versicherer berechtigt sein, die Leistung zu kürzen oder ganz zu verweigern. Bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen droht in der Regel der vollständige Verlust des Versicherungsschutzes. Bei grober Fahrlässigkeit kann eine Kürzung der Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens erfolgen.
Es ist zu beachten, dass eine Obliegenheitsverletzung nur dann rechtliche Konsequenzen hat, wenn der Versicherte Kenntnis von der entsprechenden Pflicht hatte. Die Versicherungsunternehmen sind verpflichtet, ihre Kunden über die bestehenden Obliegenheiten zu informieren.
In der Praxis kann es zu Streitigkeiten kommen, wenn der Versicherte eine bestimmte Behandlung ablehnt. Ein anschauliches Beispiel hierfür wäre ein Versicherter mit Rückenproblemen, der eine empfohlene Operation ablehnt. In solchen Fällen muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Ablehnung der Behandlung eine Obliegenheitsverletzung darstellt oder ob sie aufgrund der individuellen Umstände gerechtfertigt ist.
Um Konflikte zu vermeiden, ist es ratsam, dass Versicherte bei Unsicherheiten bezüglich ihrer Obliegenheiten Rücksprache mit ihrem Versicherer oder einem Rechtsanwalt halten. Eine offene Kommunikation und die sorgfältige Dokumentation aller Schritte können dazu beitragen, spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Berufsunfähigkeit: Der zentrale Begriff in diesem Urteil ist die Berufsunfähigkeit. Sie liegt vor, wenn der Versicherte aufgrund von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall seinen zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr oder nur noch zu einem bestimmten Grad ausüben kann. Die Berufsunfähigkeit muss ärztlich nachgewiesen und voraussichtlich dauerhaft sein. Im konkreten Fall litt der Kläger an einer schweren Depression, die ihn berufsunfähig machte.
- Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Dies ist eine Zusatzversicherung zur Hauptversicherung (z.B. Risikoleben- oder Rentenversicherung). Sie leistet im Fall der Berufsunfähigkeit, indem sie eine monatliche Rente zahlt und die Beitragszahlung für die Hauptversicherung übernimmt. Der Kläger hatte solche Zusatzversicherungen bei der beklagten Versicherungsgesellschaft abgeschlossen.
- Vermutungsregel: Nach den Versicherungsbedingungen wird vermutet, dass die Berufsunfähigkeit voraussichtlich dauerhaft besteht, wenn der Versicherte sechs Monate ununterbrochen außerstande war, seinen Beruf auszuüben. Diese Vermutung greift unabhängig von der Ursache der Berufsunfähigkeit. Im Urteilsfall war dies für den Kläger entscheidend.
- Mitwirkungsobliegenheit: Der Versicherte ist verpflichtet, zumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um seine Gesundheit wiederherzustellen und die Berufsunfähigkeit zu vermeiden oder zu verkürzen. Dazu gehören in der Regel ärztliche Behandlungen. Eine Verletzung dieser Obliegenheit kann zu Leistungskürzungen führen.
- Zumutbarkeit: Ob eine Behandlungsmaßnahme für den Versicherten zumutbar ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Entscheidend sind die Schwere der Erkrankung, der Nutzen der Behandlung, ihre Risiken und Nebenwirkungen. Nicht zumutbar sind gefährliche oder mit großen Schmerzen verbundene Behandlungen ohne Aussicht auf Heilung.
- Beweislast: Grundsätzlich muss der Versicherte die Voraussetzungen für den Versicherungsfall nachweisen. Greift aber die Vermutungsregel, trägt der Versicherer die Beweislast dafür, dass die Berufsunfähigkeit nicht von Dauer ist. Dies erleichtert dem Versicherten den Nachweis erheblich.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 1 (1) der „Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung“: Diese Klausel definiert den Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit, der eintritt, wenn der Versicherte seinen Beruf zu mindestens 50% nicht mehr ausüben kann. Im vorliegenden Fall ist dies die Grundlage für die Ansprüche des Klägers gegen die Versicherung.
- § 2 (1) und (2) der „Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung“: Diese Klauseln definieren die vollständige und teilweise Berufsunfähigkeit. Sie legen fest, dass die Berufsunfähigkeit auf Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall beruhen und voraussichtlich dauerhaft sein muss. Im vorliegenden Fall ist entscheidend, ob die Depression des Klägers diese Voraussetzungen erfüllt.
- § 2 (3) der „Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung“: Diese Klausel enthält eine Vermutungsregel, wonach eine Berufsunfähigkeit als dauerhaft gilt, wenn sie sechs Monate ununterbrochen bestanden hat. Diese Vermutung war im vorliegenden Fall entscheidend, da sie die Beweislast für die Dauerhaftigkeit der Berufsunfähigkeit von der Beklagten auf den Kläger verlagerte.
- § 242 BGB (Treu und Glauben): Dieser allgemeine Grundsatz des Zivilrechts verpflichtet die Vertragsparteien zu einem fairen und loyalen Verhalten. Im Versicherungsrecht bedeutet dies, dass der Versicherer seine Leistungspflicht nicht ohne triftigen Grund verweigern darf und der Versicherte seinerseits zur Mitwirkung verpflichtet ist. Im vorliegenden Fall war zu prüfen, ob die Ablehnung einer Behandlung durch den Kläger einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt.
- § 103 VVG (Versicherungspflicht bei Gefahrerhöhung): Diese Vorschrift regelt die Pflichten des Versicherungsnehmers bei einer Gefahrerhöhung, z.B. durch eine Verschlechterung des Gesundheitszustands. Im vorliegenden Fall war zu prüfen, ob die Ablehnung einer Behandlung durch den Kläger eine solche Gefahrerhöhung darstellt und ob dies Auswirkungen auf seinen Versicherungsschutz hat.
Das vorliegende Urteil
OLG Hamm – Az.: 20 U 67/21 – Urteil vom 26.11.2021
Lesen Sie hier das Urteil…
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das am 27.01.2021 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld, berichtigt mit Beschluss vom 14.04.2021, teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger
a)
16.059,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2016 zu zahlen.
b)
ab November 2016 längstens bis zum 31.03.2031 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 255,64 EUR im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zu zahlen
c)
ab November 2016 längstens bis zum 31.03.2026 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 248,86 EUR im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zu zahlen .
d)
ab November 2016 längstens bis zum Ablauf des Versicherungsende am 31.03.2026 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 2.650,20 EUR im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monates zu zahlen .
Es wird festgestellt, dass der Kläger
a)
ab November 2016 von der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen in Höhe von 59,66 EUR zu der Versicherung Nr. 1 befreit ist.
b)
ab November 2016 von der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen in Höhe von 44,99 EUR zu der Versicherung Nr. 2 befreit ist.
c)
ab November 2016 von der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen in Höhe von 610,27 EUR zu der Versicherung Nr. 3 befreit ist.
d)
ab November 2016 von der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen zu der Versicherung Nr. 4 befreit ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen werden die Berufung und die Anschlussberufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger zu 53% und die Beklagte zu 47%.
Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz tragen der Kläger zu 40% und die Beklagte zu 60%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen wegen behaupteter Berufsunfähigkeit.
Insgesamt unterhält er bei ihr vier Berufsunfähigkeitsversicherungen.
Die Versicherung mit der Versicherungsschein-Nr. 1 (ehemals 01) besteht unter anderem aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Diese sieht für den Fall der Berufsunfähigkeit die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 255,64 EUR monatlich (6.000 DM jährlich) sowie Beitragsbefreiung bis zum 31.03.2031 vor.
Der Versicherungsfall besteht nach § 1 (1) der „Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung“ in einer Berufsunfähigkeit zu mindestens 50%.
Diese ist in § 2 wie folgt definiert:
(1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.
(2) Teilweise Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die in Ziffer 1 genannten Voraussetzungen nur in einem bestimmten Grad voraussichtlich dauernd erfüllt sind.
(3) Ist der Versicherte sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außerstande gewesen, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht, so gilt die Fortdauer dieses Zustandes als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit.
Wegen der Einzelheiten der versprochenen Leistungen und der Versicherungsbedingungen wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung des Versicherungsscheins und der Bedingungen (Bl. 16 ff des Anlagenbandes zur Klage der elektronischen Akte, im Folgenden Anl-Bd zur Klage eA) Bezug genommen.
In der Versicherung mit der Versicherungsschein-Nr. 2 ist ebenfalls eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung enthalten. Diese mit Wirkung zum 01.04.1996 abgeschlossene Versicherung sieht für den Fall der Berufsunfähigkeit die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 248,86 EUR monatlich (5.840,70 DM jährlich) sowie eine Beitragsbefreiung bis zum 31.03.20131 jeweils „in den ersten 30 Versicherungsjahren“ vor. Wegen der Einzelheiten und wegen der Versicherungsbedingungen, die denjenigen zur Versicherung Nr. 1 entsprechen, wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung des Versicherungsscheins und der Bedingungen (Bl. 77 ff Anl-Bd zur Klage eA) Bezug genommen.
Die Versicherung mit der Versicherungsschein-Nr. 3 enthält ebenfalls eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Diese sieht für den Fall der Berufsunfähigkeit die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente sowie eine Beitragsbefreiung vor. Es ist eine Dynamisierung von Rente und Beitrag vereinbart. Ausweislich des Nachtrags vom 25.02.2016 betragen mit Wirkung zum 01.04.2016 die monatliche Rente 2.650,20 EUR und der zu zahlende Beitrag unter Berücksichtigung einer Überschussbeteiligung 610,27 EUR monatlich. Wegen der Einzelheiten und wegen der Versicherungsbedingungen wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung des Versicherungsscheins und der Bedingungen (Bl. 113 ff Anl-Bd zur Klage eA) sowie auf den Nachtrag vom 25.02.2016 (Bl. 1273 ff der elektronischen Akte erster Instanz, im Folgenden eA-I und für die zweite Instanz eA-II) Bezug genommen.
In der Lebensversicherung mit der Versicherungsschein-Nr. 4 (ehemals 04) ist für den Fall der Berufsunfähigkeit eine Beitragsbefreiung für die Lebensversicherung vorgesehen. Wegen der Einzelheiten und wegen der Versicherungsbedingungen wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung des Versicherungsscheins und der Bedingungen (Bl. 150 ff Anl-Bd zur Klage eA) Bezug genommen.
Der Kläger war als Versicherungsvermittler in einer Generalvertretung im Konzernverbund der Beklagten tätig.
Ende November 2013 begab er sich wegen Depressionen in stationäre Behandlung, welche bis zum 18.02.2014 dauerte. Im März 2014 begab er sich in ambulante psychologische Behandlung bei Herrn T. Diese Behandlung dauert bis zum heutigen Tage an.
Jedenfalls am 18.02.2015 meldete der Kläger bei der Beklagten per Email Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit an.
Die Beklagte holte daraufhin ein psychiatrisches Gutachten sowie zwei neuropsychologische Zusatzgutachten ein. Zwischenzeitlich hatte der Kläger seine jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt, welche sich mit Schreiben vom 03.08.2015 bei der Beklagten meldeten.
Mit Schreiben vom 23.09.2015 lehnte die Beklagte ihre Einstandspflicht mit der Begründung ab, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit von zumindest 50% nicht festgestellt werden könne.
Der Kläger hat mit seiner daraufhin erhobenen Klage Rentenzahlungen und Beitragsbefreiungen aus den Versicherungen seit Oktober 2013 geltend gemacht Er hat behauptet, aufgrund einer schweren Depression berufsunfähig zu sein. Er leide unter ständiger Unruhe, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Angstzuständen und an einem Druckgefühl im Kopf. Aufgrund dessen könne er nicht mehr in seinem Beruf als Versicherungsmakler tätig sein. Er habe bereits im Oktober 2013 bei der Beklagten einen Leistungsantrag gestellt.
In erster Instanz hat er zudem Leistungen aus einer weiteren Berufsunfähigkeitsversicherung begehrt, die bei einem anderen Versicherer abgeschlossen wurde. Ansprüche aus dieser Versicherung sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.
Die Beklagte hat demgegenüber die von dem Kläger behaupteten Einzelheiten der beruflichen Tätigkeit bestritten sowie, dass der Kläger an einer Depression oder anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen leide.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C und D und durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen X, welches dieser in der mündlichen Verhandlung erläutert hat und durch eine ergänzende schriftliche Stellungnahme ergänzt hat.
Mit dem angefochtenen Urteil, berichtigt mit Beschluss vom 14.04.2021, hat das Landgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte unter anderem zur Zahlung von rückständigen Renten und Rückzahlung von gezahlten Prämien für den Zeitraum von Juli 2018 bis Oktober 2016 sowie zur Zahlung von künftigen Renten und zur Beitragsbefreiung ab November 2016 verurteilt.
Hierbei hat das Landgericht hinsichtlich der künftigen Rente bezüglich des Vertrags Nr. 3 einen Betrag in Höhe von 2.526,20 EUR monatlich und hinsichtlich des Vertrags Nr. 2 eine Rentenzahlungsverpflichtung der Beklagten bis zum 31.03.2031 zugesprochen.
Ferner hat es unter dem Gesichtspunkt des Verzugs außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.539,04 und Zinsen seit dem 07.01.2016 zugesprochen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger der Beweis der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gelungen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger „in gesunden Tagen“ für gewöhnlich 11,5 Stunden täglich in seiner Agentur sowohl im vertrieblichen als auch im administrativen Bereich tätig gewesen sei. Hiervon habe er unter anderem 5 Stunden für den Kundendienst und die Beratung im Außendienst, 3 Stunden für Bürotätigkeiten und Schriftwechsel, 1 Stunde für Telefonate und 1,5 Stunden für Fahrten zu den Kunden aufgewandt.
Aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen stehe zudem fest, dass der Kläger jedenfalls vom 17.12.2015 bis zum 28.06.2016 infolge Krankheit mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande gewesen sei, seinen zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50% auszuüben, und dieser Zustand bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung andauere. Nach den Feststellungen des Sachverständigen leide der Kläger zumindest seit dem 17.12.2015 ununterbrochen an einer schweren depressiven Störung mit somatischen Beschwerden. Die hierdurch bedingten Beschwerden und Beeinträchtigungen, hauptsächlich der „Kopfdruck“, würden sich vertiefen, wenn der Kläger beruflichen Belastungen ausgesetzt sei. Es bestünden keine Zweifel an der Authentizität der Schilderungen des Klägers.
Aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen könne der Kläger keinen Kundendienst und keine Kundenberatung mehr durchführen, sei hinsichtlich seiner Verkaufstätigkeit ganz erheblich eingeschränkt und könne keine effektive Bürotätigkeit mehr ausüben.
Aufgrund dieser Feststellungen stehe fest, dass der Kläger insgesamt länger als sechs Monate ununterbrochen krankheitsbedingt außerstande sei, seinen zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50% auszuüben. Aufgrund dessen greife die Vermutung von § 3 Abs.3 der BUZ ein, wonach die Berufsunfähigkeit unwiderleglich vermutet werde.
Hinsichtlich des vor dem 01.07.2016 liegenden Zeitraums sei dem Kläger indes der ihm obliegende Beweis der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht gelungen. Der Sachverständige habe für diesen Zeitraum keine verlässlichen Feststellungen treffen können. Die Klage sei daher hinsichtlich dieses Zeitraums abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der erstinstanzlichen Anträge und der Einzelheiten der Begründung des Urteils wird auf das angefochtene Urteil (1396 ff eA-I) sowie auf den Berichtigungsbeschluss (1416 f eA-I) Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit welcher sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf Abweisung der Klage vollumfänglich weiter verfolgt.
Sie rügt Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen sowie fehlerhafte Rechtsanwendung.
Zu Unrecht habe das Landgericht bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit angenommen. Das Sachverständigengutachten sei widersprüchlich und unvollständig. Das Landgericht habe ihre Einwendungen hiergegen nicht hinreichend berücksichtigt. Jedenfalls hätte der Sachverständige hierzu erneut mündlich angehört werden müssen. Insbesondere ergebe sich aus den Feststellungen nicht, dass der Kläger sechs Monate lang ununterbrochen außerstande gewesen sei, seinen Beruf auszuüben. Insofern sei zu berücksichtigen, dass bereits bei einer kurzfristigen Berufsfähigkeit von auch nur einem Tag die Vermutung des § 3 Abs.3 der BUZ nicht eingreife.
Die Feststellungen des Sachverständigen und des Landgerichts stünden im Widerspruch zu den in den Behandlungsunterlagen dokumentierten beruflichen Plänen und den privaten Freizeitaktivitäten und Urlauben des Klägers. Zu berücksichtigen sei zudem, dass der Kläger die ihm ärztlicherseits verordneten Medikamente nicht eingenommen habe.
Hinsichtlich des Vertrags Nr. 2 habe das Landgericht zu Unrecht eine Rentenzahlungsverpflichtung der Beklagten bis zum 31.03.2031 zugesprochen. Tatsächlich ende ihre Verpflichtung zur Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente bereits fünf Jahre vorher, mithin am 31.03.2026. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Versicherungsschein.
Auch hinsichtlich des Ausspruchs zu den Zinsen und zu den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien dem Landgericht Rechtsfehler unterlaufen. So könne sie keine Zinsen auf die Hauptforderung schulden, wenn auch nach den Ausführungen des Landgerichts zu diesem Zeitpunkt mangels bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit keine Hauptforderung bestanden habe. Sie sei auch nicht zum Ersatz von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verpflichtet, da sie sich zum Zeitpunkt der Beauftragung des jetzigen Prozessbevollmächtigte nicht in Verzug befunden habe.
Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Zu Recht sei das Landgericht von bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ausgegangen. Die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen seien nachvollziehbar und überzeugend.
Mit seiner unselbständigen Anschlussberufung wendet sich der Kläger zudem gegen die Abweisung der Klage hinsichtlich der Ansprüche für den Zeitraum von Oktober 2013 bis einschließlich Juni 2016 sowie hinsichtlich der von dem Landgericht angenommenen Höhe der Rente aus dem Vertrag Nr. 3 von 2.526,20 EUR monatlich.
Zur Begründung macht er geltend, dass sich dem angefochtenen Urteil zum einem nicht entnehmen lasse, aus welchen Gründen Berufsunfähigkeit erst seit dem 01.07.2016 bestehen solle. Gleiches gelte dafür, aus welchen Gründen die Rente aus dem betreffenden Vertrag lediglich 2.526,20 EUR monatlich betragen solle.
Der Kläger beantragt im Wege der Anschlussberufung, die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn
1.
146.853,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.01.2016 zu zahlen.
2.
ab November 2016 längstens bis zum Ablauf des Versicherungsendes am 31.01.2031 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 255,70 EUR aus dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer 1 (ehemals 01) im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zu zahlen sowie ihn von der Beitragspflicht in Höhe von 59,66 EUR zu dieser Versicherung freizustellen.
3.
ab November 2016 längstens bis zum Ablauf des Versicherungsendes am 31.03.2031 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 248,90 EUR aus dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer 2 im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zu zahlen sowie ihn von der Beitragspflicht in Höhe von 44,99 EUR zu dieser Versicherung freizustellen.
4.
ab November 2016 längstens bis zum Ablauf des Versicherungsendes am 31.03.2026 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.650,20 EUR aus dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer 3 im Voraus bis zum dritten Werktag eins jeden Monats zu zahlen sowie ihn von der Beitragspflicht in Höhe von 610,27 EUR freizustellen.
5.
ihn ab November 2016 längstens bis zum Ablauf des Versicherungsendes am 31.08.2024 von der Verpflichtung, Beiträge von den zu dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer 4 (ehemals 04) zu zahlen, freizustellen.
6.
vorgerichtliche nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.539,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2016 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit ihr günstig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in dieser Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen X. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 22.05.2019 (Bl. 243 ff eA-II) Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers haben lediglich im geringen Umfang Erfolg.
Auf die Berufung der Beklagten (vgl. zu A.) ist das angefochtene Urteil insofern abzuändern, als die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente aus dem Vertrag Nr. 2 auf den Ablauf des 31.03.2026 – anstatt des 31.03.2031 – zu begrenzen ist. Ferner hat die Berufung der Beklagten Erfolg, soweit mit der Klage außergerichtliche Rechtsanwaltskosten sowie Zinsen vor dem 17.12.2016 geltend gemacht wurden. Zudem ist das angefochtene Urteil dahin abzuändern, die monatliche Rente aus der Versicherung mit der Versicherungsnummer 1 nicht, wie vom Landgericht angenommen, 255,70 EUR, sondern 255,64 EUR beträgt. Gleiches gilt für die monatliche Rente aus der Versicherung mit der Versicherungsnummer 2 ; diese beträgt 248,86 EUR anstatt, wie vom Landgericht angenommen, 248,90 EUR. Ferner ist auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil abzuändern, soweit das Landgericht die Beklagte verpflichtet hat, den Kläger ab November von der Beitragspflicht freizustellen.
Im Übrigen bleibt die Berufung ohne Erfolg.
Auf die Anschlussberufung des Klägers (vgl. zu B) ist das angefochtene Urteil insofern abzuändern, als das Landgericht hinsichtlich der künftigen Rente bezüglich des Vertrags Nr. 3 einen Betrag in Höhe von 2.526,20 EUR monatlich zugesprochen hat. Im Übrigen ist die Anschlussberufung unbegründet.
Hieraus ergeben sich Zahlungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte für den Zeitraum von Juli 2016 bis einschließlich Oktober 2016 von insgesamt 16.059,72 EUR. Hinsichtlich der Versicherung mit der Versicherungsnummer 1 beträgt die monatliche Rente 255,64 EUR. Ferner steht dem Kläger aus dieser Versicherung ein Rückzahlungsanspruch in Höhe des monatlichen Beitrags in Höhe von 59,66 EUR zu. Die monatliche Rente aus dem Vertrag mit der Versicherungsnummer 2 beträgt 248,86 EUR, der monatliche Beitrag 44,99 EUR. Die monatliche Rente aus dem Vertrag mit der Versicherungsnummer 3 beträgt 2.650,20 EUR, der monatliche Beitrag 610,27 EUR. Aus der Versicherung mit der Versicherungsnummer 4 stehen dem Kläger Rückzahlungsansprüche wegen zu viel gezahlter Beiträge – diese Versicherung sieht keine Rente, sondern nur Beitragsbefreiung vor – in Höhe von monatlich 145,31 EUR zu. Für den genannten Zeitraum von 4 Monaten ergibt sich hieraus der Gesamtbetrag von 16.059,72 EUR.
A. Zur Berufung der Beklagten
1.
Die Berufung der Beklagten bleibt dem Grunde nach ohne Erfolg.
Dem Kläger stehen aus sämtlichen mit der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsverträgen Ansprüche aus den Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen wegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit für den Zeitraum ab dem 01.07.2016 zu.
Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass der Kläger zumindest für den Zeitraum vom 17.12.2015 bis zum 28.06.2016 infolge Krankheit ununterbrochen außerstande gewesen ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50% auszuüben, dieser Zustand also nach mehr als sechs Monaten noch andauerte und aus diesem Grunde die unwiderlegliche Vermutung von § 3 Abs. 3 bzw. von § 2 Abs. 3 der jeweils vereinbarten BUZ eingreift. Da in sämtlichen in Rede stehenden Versicherungen (in § 3 Abs.3 bzw. in § 2 Abs.3) eine identische Vermutungsregelung vereinbart wurde, kommt es darauf, dass sich die Definitionen der Berufsunfähigkeit in den einzelnen Bedingungswerken – ohnehin nur unwesentlich – teilweise unterscheiden, nicht an. In jeder der vier Versicherungen greift die unwiderlegliche Vermutung von § 3 Abs.3 bzw. § 2 Abs.3 BUZ ein.
a)
Die Einwendungen der Beklagten gegen die Feststellungen des Landgerichts zu der mindestens 6 Monate ununterbrochen währenden Berufsunfähigkeit zu mindestens 50% bleiben ohne Erfolg.
aa)
Gegen die Feststellungen des Landgerichts zu den Einzelheiten der beruflichen Tätigkeit des Klägers, wie sie in der Zeit vor Beginn seiner krankheitsbedingten beruflichen Einschränkungen ausgestaltet waren, wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung nicht. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen im Sinne von § 529 Abs.1 Nr. 1 ZPO werden von ihr mit keinem Wort geltend gemacht; solche Zweifel werden auch anderweitig nicht ersichtlich.
Aus diesem Grunde ist von dem Berufsbild des Klägers in „gesunden Tagen“ auszugehen, wie es vom Landgericht festgestellt wurde. Insofern wird auf S. 8 ff des angefochtenen Urteils (Bl. 1403 ff eA-I) Bezeug genommen.
bb)
Die Beklagte wendet sich vergeblich gegen die Feststellungen des Landgerichts dazu, dass der Kläger zumindest für den Zeitraum vom 17.12.2015 bis zum 28.06.2016 infolge Krankheit mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande gewesen ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50% auszuüben, und dass dieser Zustand auch noch zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen andauerte.
Der Sachverständige hat in seiner Anhörung vor dem Senat – in Ergänzung zu seinem vor dem Landgericht erstatten Gutachten – seine in dem Rechtsstreit in erster Instanz getroffenen Feststellungen bestätigt und überzeugend ausgeführt, dass der Kläger zumindest in dem genannten Zeitraum an einer schweren depressiven Episode gelitten habe, welche es ihm unmöglich gemacht habe, seinen zuvor ausgeübten Beruf zu mindestens 50% auszuüben. Dies ergebe sich aus seinen eigenen Untersuchungen des Klägers und den außergewöhnlich ausführlichen und detailreichen Behandlungsunterlagen des behandelnden Arztes T. Hieraus ergebe sich, dass der Kläger in dem Zeitraum und auch heute noch an einer schweren depressiven Störung mit somatischen Beschwerden – insbesondere einem Kopfdruck – leide. Dieser Befund sei – über den gesamten Zeitraum hinweg – eindrucksvoll dokumentiert und werde durch das Ergebnis seiner Untersuchung bestätigt.
Es hätten sich auch keinerlei Anzeichen einer Aggravation gezeigt. Er, der Sachverständige, sei aufgrund der ungewöhnlichen Umstände misstrauisch gewesen und habe deswegen den Kläger in den drei Gesprächsterminen gründlichst untersucht und beobachtet. Der Kläger habe jedoch nach seiner, des Sachverständigen, beruflichen Erfahrung und Expertise weder aggraviert noch simuliert. Dem stünden auch nicht die von der Beklagten behaupteten Urlaube und sonstigen Freizeitaktivitäten des Klägers entgegen. So steht es nach den Ausführungen des Sachverständigen der Diagnose einer schweren depressiven Störung nicht entgegen, dass ein hieran Erkrankter in den Urlaub fahre und Freizeitaktivitäten nachgehe. Der Sachverständige hat zudem bereits in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten und auch in seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat ausgeführt, dass sich die Beschwerden und Symptomatik bei bestimmten Belastungen, insbesondere beruflichen, deutlich verschlechtern würden.
Demgegenüber bleibt auch der Einwand der Beklagten, dass das Vorhaben des Klägers bezüglich eines beruflichen Neubeginns bei einem anderen Versicherer der Diagnose einer schweren Depression und einer hierdurch bedingten Berufsunfähigkeit entgegenstehe, ohne Erfolg. Der Kläger hat in seiner persönlichen Anhörung glaubhaft angegeben, dass der berufliche Neuanfang bei dem anderen Versicherer lediglich anfangs geplant gewesen sei. Letztlich sei es hierzu aber nicht mehr gekommen, weil seine Erkrankung dies nicht zugelassen habe. Zudem sei es bei den Vertragsgesprächen mit dem anderen Versicherer auch um seinen „Namen“ gegangen, obwohl seine Frau für den Versicherer habe tätig werden sollen und geworden sei.
Diese glaubhaften Angaben, denen im Übrigen die Beklage keine konkreten Indizumstände entgegengesetzt hat, werden durch den Inhalt der Behandlungsunterlagen eindrucksvoll bestätigt. Aus diesen ergibt sich, dass nicht der Kläger, sondern seine Frau den Vertrag abgeschlossen hat (Eintrag vom 21.08.2015, Bl. 92 AnlBd z. SS. v. 26.05.2020 eA), er für die Agentur seiner Frau allenfalls die Werbung umgestaltet hat (Bl.97 aaO) und seine Frau bzw. „die Damen“ in der Agentur gute Zahlen produzieren würden, was ihm „Ruhe geben“ würde (Bl. 100 aaO). Am 15.12.2016 (Bl. 101 aaO) hat er zudem in der Sitzung seinem Arzt gegenüber angegeben, dass er nicht arbeite und nicht wisse, wie sich sein Zustand entwickele, wenn er wieder „in seinem alten Beruf“ arbeiten würde. Er „probiere dies“ noch nicht aus. Am 28.04. und am 07.07.2017 (Bl. 101 f aaO) hat er angegeben, dass, nachdem er wegen eines Unfalls seiner Frau eine Woche lang vertretungsweise „ins Büro“ gemusst habe und seine Frau wieder habe arbeiten können, die Anforderungen, welchen er nicht gewachsen sei, nicht mehr vorhanden seien.
Hierdurch wird der Vortrag des Klägers bestätigt. Der Senat schließt aus, dass der Kläger gegenüber seinem behandelnden Arzt bewusst falsche Angaben gemacht hat, um sich hierdurch in einem späteren Rechtsstreit gegen die Beklagte Vorteile zu verschaffen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass sich unter dem 27.09.2016, also wesentlich später als die angebliche Aufgabe des beruflichen Neueinstiegs des Klägers, ein Eintrag in den Unterlagen findet, wonach der Kläger gegenüber dem Mitarbeiter des anderen Versicherers geäußert hat, er ziehe „sein“ Angebot zurück. Nicht verkannt wird auch, dass sich der Kläger nach dem Inhalt der Behandlungsunterlagen am 07.01.2016 im Gespräch mit seinem Arzt darüber geärgert hat, dass er nicht aus dem Vermittlerregister ausgetragen wird und dies Voraussetzung dafür sei, dass er und seine Ehefrau („wir“) am 01.02.2016 „starten“ könnten. Auch diese Einträge lassen sich letztlich aber mit dem Vorbringen des Klägers und insbesondere auch mit dem übrigen Inhalt der Behandlungsunterlagen in Einklang bringen. Die oben dargestellten, wesentlich späteren Eintragungen bestätigen nämlich, dass der Kläger, auch wenn er anderes vorgehabt haben mag, letztlich keinen Vertrag mit dem anderen Versicher abgeschlossen und auch nicht in der Agentur seiner Frau – mit Ausnahme unbedeutender Aufgaben wie die Umgestaltung der Werbung und der einwöchigen Vertretung während der unfallbedingten Abwesenheit seiner Frau im April 2017 – gearbeitet hat.
Angesichts dessen und aufgrund des persönlichen Eindrucks, welchen der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemacht hat, aber auch aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen im Senatstermin, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger nicht, wie von der Beklagten behauptet, „heimlich“ in der Agentur seiner Ehefrau arbeitet und seine Erkrankung nur vorgegaukelt hat bzw. vorgaukelt. Hiergegen spricht nicht zuletzt auch der von dem Sachverständigen ebenfalls hervorgehobene Umstand, dass der Kläger gegenüber seinem behandelnden Arzt oftmals auch „schädliche“ Umstände angegeben hat, wie beispielsweise, dass es ihm (derzeit) gut gehe.
Auch der Einwand der Beklagten, aus den Feststellungen des Sachverständigen ergebe sich nicht, dass der Kläger in dem Zeitraum vom 17.12.2015 bis zum 28.06.2016 tatsächlich ununterbrochen berufsunfähig gewesen sei und selbst bei einer nur eintägigen Unterbrechung die Vermutung von § 2 Abs. 3 bzw. von § 3 Abs.3 der BUZ nicht eingreife, bleibt ohne Erfolg.
Richtig ist hieran zwar, dass gesunde Phasen den Lauf der Fiktionszeit beenden.
Eine solche Phase lag hier aber nicht vor.
Der Sachverständige hat hierzu nämlich – auch insofern überzeugend – ausgeführt, dass der bloße Umstand, dass es möglicherweise in diesem Zeitraum auch Tage gegeben habe, an denen es dem Kläger „gut gegangen“ sei, nicht bedeute, dass der Kläger an diesen Tagen in der Lage gewesen wäre, seinen Beruf auszuüben. Hinzu trete aber auch, dass bereits aus medizinischen Gründen nicht vertretbar gewesen wäre, ihn an solchen Tagen arbeiten zu lassen.
Auch aus diesem Grunde wäre die Fiktionszeit von 6 Monaten selbst dann nicht unterbrochen gewesen, wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgehen würde, dass der Kläger aufgrund seiner guten Stimmung theoretisch seinen Beruf an vereinzelten Tagen hätte ausüben können.
Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liegt nämlich auch dann vor, wenn die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen die Fortsetzung der Tätigkeit vernünftigerweise und im Rahmen der Zumutbarkeit nicht mehr gestatten. Auch dann, wenn eine Fortsetzung der Tätigkeit zwar praktisch möglich, aber nicht zumutbar ist, ist die Feststellung der Berufsunfähigkeit gerechtfertigt. Der Versicherungsnehmer muss nämlich keinen „Raubbau“ an seinem Körper oder an seiner psychischen Gesundheit betreiben (vgl. Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung, Kapitel 6. Medizinische Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit Rn. 98).
Auch die übrigen Einwendungen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung hat der Sachverständige im Senatstermin überzeugend ausgeräumt, sofern er hierzu nicht ohnehin bereits in erster Instanz überzeugend Stellung genommen hat. So hat der Sachverständige ausgeführt, dass bei dem Kläger drei der Hauptkriterien im Sinne der ICD-10 Diagnosestellung (gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Freudlosigkeit, Antriebsverlust) feststellbar seien. Ohnehin hat er bereits in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 12.11.2020 die sich aus den Behandlungsunterlagen ableitbaren und von ihm festgestellten Symptome dargestellt.
Auch mit dem Einwand der Beklagten, dass bei dem Kläger eine Dysthymia vorliege, hat sich der Sachverständige bereits in seinem Ergänzungsgutachten in erster Instanz überzeugend auseinandergesetzt und im Senatstermin zudem hierzu ausgeführt, dass es letztlich irrelevant sei, ob bei dem Kläger anstatt einer depressiven Störung eine Dysthymia vorliege. Entscheidend seien die funktionellen Auswirkungen der Erkrankung, welche bei beiden Formen der psychischen Erkrankung vorlägen. Das Vorliegen einer – von der Beklagten behaupteten – Hypochondrie hat der Sachverständige ebenfalls überzeugend ausschließen können, da diese Krankheit durch eine krankhafte Angst vor Krankheiten gekennzeichnet sei, was bei dem Kläger nicht gegeben sei.
Auch der Umstand, dass der Kläger – ohne das Wissen seines behandelnden Arztes – die verordneten Antidepressiva abgesetzt und nicht länger eingenommen hat, steht dem Umstand, dass der Kläger an Depressionen leidet, nicht entgegen. Der Kläger hat das Absetzen der Medikamente – auch nach Auffassung des Sachverständigen – plausibel erklärt, vgl. hierzu näher unten zu ee).
Der Sachverständige hat im Senatstermin zusammenfassend ausgeführt, dass der Kläger nach seiner fachlichen Erfahrung und Einschätzung entgegen der Darstellung der Beklagen nicht simuliert/aggraviert und in dem Zeitraum vom 17.12.2015 bis zum 28.06.2016 infolge Krankheit mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande gewesen ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50% auszuüben. Dieser Zustand habe auch noch zum Zeitpunkt der Untersuchung durch ihn angedauert.
Diese Feststellungen des Sachverständigen sind insgesamt nachvollziehbar und überzeugend. Der Senat schließt sich ihnen nach eigener Wertung an. Der Sachverständige hat seine Feststellungen nicht nur auf den Inhalt der Behandlungsunterlagen von Herrn T gestützt, sondern auch auf sehr gründliche Explorationen des Klägers, aufgrund welcher der Sachverständige seine eigenen Rückschlüsse getroffen hat. Er hat überzeugend ausgeführt, dass der Kläger nach seiner eigenen fachlichen Einschätzung, welche er aufgrund der Untersuchungen des Klägers gewonnen hat, an einer schweren Depression in dem Zeitraum vom 17.12.2015 bis zum 28.06.2016 gelitten hat und auch noch weiterhin hieran leidet.
cc)
Gegen die Feststellungen des Landgerichts zu den Auswirkungen der – hiernach, wie auch vom Landgericht angenommen, bewiesenen – Erkrankung im Einzelnen auf die jeweiligen Teiltätigkeiten des Klägers sowie dazu, aus welchen Gründen der Umfang der Berufsunfähigkeit weit mehr als 50% besteht, wendet sich die Beklagte nicht. Auch sonst ergeben sich hieran keine Zweifel.
Aus diesem Grunde ist von den Feststellungen des Landgerichts auszugehen. Insofern wird auf S. 12 ff des angefochtenen Urteils (Bl. 1407 ff eA-I) Bezeug genommen.
dd)
Aufgrund dessen greift die unwiderlegliche Vermutung des § 3 Abs. 3 bzw. von § 2 Abs. 3 der jeweils vereinbarten BUZ ein. Dem Kläger ist aus den oben genannten Gründen der Beweis gelungen, dass er sechs Monate ununterbrochen gesundheitsbedingt außerstande war, seinen Beruf zu mindestens 50% auszuüben und dass dieser Zustand aus damaliger Sicht unverändert andauerte. Aus diesem Grunde wird die Prognose ausbleibender Besserung unwiderlegbar vermutet, also, dass der Kläger „voraussichtlich dauernd“ bzw. „voraussichtlich mindestens drei Jahre“ im Sinne von § 2 Abs. 1 BUZ außerstande war, seinen Beruf zu mindestens 50% auszuüben.
ee)
Die Beklagte wendet mit ihrer Berufung auch vergeblich ein, dass Ansprüche des Klägers nicht bestünden, da dieser – unstreitig – die ihm von seinem behandelnden Arzt T empfohlenen Medikamente nicht eingenommen habe.
Der Umstand, dass der Kläger – ohne das Wissen seines behandelnden Arztes – die verordneten Antidepressiva Clomipramin und Mirtazapin abgesetzt und nicht länger eingenommen hat, ändert nichts daran, dass die Berufsunfähigkeit „infolge“ Krankheit im Sinne von § 2 Abs. 1 der BUZ eingetreten ist (zur Frage nach einer Obliegenheitsverletzung noch sogleich unter b).
Die Kausalität zwischen der Erkrankung und der Berufsunfähigkeit ist bei vorhandener Erkrankung unter dem Gesichtspunkt einer unterlassenen Behandlungsmethode nur dann nicht gegeben, wenn durch eine einfache, gefahrlose und nicht mit besonderen Schmerzen verbundene, sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung versprechende medizinische Maßnahme Berufsunfähigkeit vermieden werden kann (vgl. Lücke in Prölss/Martin, 31. Aufl. 2021, AVBBU § 2 Rn. 9 sowie Senatsurteil vom 24. 11. 2017 – 20 U 194/16).
Hiervon kann vorliegend keine Rede sein. Bei der Einnahme von Antidepressiva handelt es sich um nicht um eine solch einfache und gefahrlose medizinische Maßnahme. Die Einnahme der hier in Rede stehenden Antidepressiva ist mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, welche der Kläger nicht hinnehmen muss. Der Kläger hat nach seinem Vortrag die Medikamente gerade wegen der Nebenwirkungen (extrem erhöhtes Schlafbedürfnis) und den hieraus resultierenden ehelichen Problemen angesetzt.
Zudem versprechen die Antidepressiva keine sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung. Nach den Ausführungen des Sachverständigen im Senatstermin besteht nur eine unsichere Erfolgserwartung; es besteht keine Erfolgsgarantie.
ff)
Der Kläger muss sich auch nicht auf einen Vergleichsberuf verweisen lassen. Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass mangels substantiierten Vortrags der Beklagten von dem Vortrag des Klägers, er könne auch keine anderen Tätigkeiten verrichten, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung von ihm ausgeübt werden können und seiner bisherigen Lebensstellung entsprechen, auszugehen ist. Aus diesem Grunde greift die – abstrakte – Verweisungsklausel in den Verträgen mit den Versicherungsnummern 1 , 2 und 4 nicht ein. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung hiergegen auch nicht. In dem Vertrag mit der Versicherungsnummer 3 ist ohnehin keine abstrakte, sondern eine konkrete Verweisungsklausel vereinbart.
b)
Die Beklagte beruft sich auch vergeblich auf eine Obliegenheitsverletzung des Klägers. Der Kläger hat dadurch, dass er die ihm verordneten Medikamente abgesetzt hat, nicht gegen eine Obliegenheit verstoßen.
Eine solche Obliegenheit ist lediglich in den Verträgen mit den Versicherungsnummern 1 und 2 vereinbart. Nur in diesen Verträgen hat der Kläger nach in § 4 (4) BUZ die Obliegenheit, ärztliche Anordnungen, die der untersuchende oder behandelnde Arzt nach gewissenhaftem Ermessen trifft, um die Heilung zu fördern oder die Berufsunfähigkeit zu mindern, zu befolgen, wobei sich die Anordnungen jedoch im Rahmen des Zumutbaren halten müssen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klausel überhaupt wirksam ist (vgl. hierzu Lücke in Prölss/Martin, 31. Aufl. 2021, AVBBU § 7 Rn. 21). Aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen der Medikamente und der unsicheren Erfolgsaussichten war die Einnahme für den Kläger unzumutbar im Sinne von § 4 (4) BUZ. Darauf, ob überhaupt eine wirksame ärztliche Anordnung vorlag, kommt es daher nicht an. Ohnehin hat der Kläger gegenüber seinem behandelnden Arzt am 29.10.2015 eingeräumt, die Medikamente eigenmächtig abgesetzt zu haben. Eine – erneute – Anweisung seines Arztes, die Medikamente wieder zu nehmen, lässt sich den Behandlungsunterlagen nicht entnehmen und wird auch von der Beklagten nicht behauptet. Die Obliegenheit besteht aber ohnehin nur dann und für den Zeitraum, für welchen der Versicherungsnehmer Leistungen begehrt (Lücke in Prölss/Martin, 31. Aufl. 2021, AVBBU § 7 Rn. 22). Auch aus diesem Grunde liegt keine Obliegenheitsverletzung vor, da dem Kläger Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit nur für den Zeitraum ab Juli 2016 zustehen.
2.
Aus den oben genannten Gründen ergibt sich zugleich, dass dem Kläger seit dem 01.07.2016 aus allen vier Versicherungen auch Ansprüche auf Beitragsbefreiung zustehen. In allen Versicherungsverträgen ist die Beklagte für den Fall der Berufsunfähigkeit zur Befreiung von den Beiträgen zu der jeweiligen Versicherung verpflichtet.
Hinsichtlich des Zeitraums von Juli 2016 bis einschließlich Oktober 2016 stehen dem Kläger daher Rückzahlungsansprüche wegen der für diesen Zeitraum gezahlten Beiträge zu; für den Zeitraum ab November 2016 hat die Beklagte den Kläger von der Beitragspflicht freizustellen.
Allerdings ist eine auf „Freistellung“ gerichtete Leistungsklage, welcher das Landgericht stattgegeben hat, nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf „Freistellung“, da die Beklagte ihn nicht von ihrer eigenen Verbindlichkeit „freistellen“ kann. Er ist aufgrund des Leistungsversprechen der Beklagten lediglich von der Pflicht zur Beitragszahlung „befreit“, muss also im Versicherungsfall die Prämien nicht zahlen und könnte einem entsprechenden Zahlungsverlagen der Beklagten die vertraglich vereinbarte „Befreiung“ entgegenhalten. Ohnehin wäre ein auf „Freistellung“ gerichteter Leistungstitel nicht vollstreckbar
Begründet ist allerdings eine entsprechende Feststellungsklage. Hiermit wird dem Rechtsschutzbegehren des Klägers hinreichend Rechnung getragen. Er erwirkt hiermit einen Titel, mit dem rechtskräftig festgestellt wird, dass er nicht zur Beitragszahlung verpflichtet ist.
Das angefochtene Urteil ist daher entsprechend abzuändern. Ein Verstoß gegen § 308 ZPO liegt hierin nicht, da in der Leistungsklage des Klägers als „Minus“ ein entsprechender Feststellungsklage enthalten ist.
3.
Die Berufung der Beklagten hat hinsichtlich der Dauer ihrer Verpflichtung zur Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente teilweise Erfolg. Dies betrifft die Rentenleistungen aus dem Vertrag mit der Versicherungsnummer 2.
Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Landgericht die Verpflichtung der Beklagten fälschlicherweise bis zum 31.03.2031 angenommen hat. Tatsächlich endet diese Verpflichtung fünf Jahre eher, also mit Ablauf des 31.03.2026. Nach dem eindeutigen Inhalt des Versicherungsscheins hat die Beklagte eine Berufsunfähigkeitsrente für die „ersten 30 Versicherungsjahre“ zugesagt. Versicherungsbeginn war am 01.04.1996. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Rente endet daher am 31.03.2026. Das angefochtene Urteil ist insoweit abzuändern.
4.
Auf die Berufung der Beklagten hin, welche auch die Höhe der Rentenverpflichtungen umfasst, ist das Urteil ferner insofern abzuändern, als das Landgericht aus der Versicherung mit der Versicherungsnummer 2 eine monatliche Rente von 255,70 EUR und aus der Versicherung mit der Versicherungsnummer 2 eine monatliche Rente in Höhe von 248,90 EUR zugesprochen hat. Tatsächlich betragen die Renten 255,64 EUR und 248,86 EUR monatlich. Das Landgericht hat hierzu die von dem Kläger geltend gemachten Beträge übernommen. Die Beklagte hatte aber bereits in ihrer Klageerwiderung auf die richtigen Beträge hingewiesen. Diese ergeben sich aus einer Umrechnung der in den Versicherungsscheinen ausgewiesenen Beträge von 6.000 DM jährlich und 5.849,70 DM jährlich mit dem amtlichen Umrechnungskurs.
5.
Die Berufung der Beklagten hat auch hinsichtlich der Nebenforderungen teilweise Erfolg.
a)
Sie rügt zu Recht, dass das Landgericht dem Kläger einen Schadensersatzanspruch auf Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus zugesprochen hat. Die Klage ist insoweit abzuweisen.
Dem Kläger steht ein solcher Anspruch aus § 280 Abs. 1 und 2. BGB nicht zu.
Zum Zeitpunkt der Beauftragung seines jetzigen Prozessbevollmächtigten hat sich die Beklagte nicht in Verzug im Sinne von § 286 BGB befunden.
Der Kläger hat seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten bereits im August 2015 beauftragt, welcher von der Beklagen mit Schreiben vom 21.12.2015 Zahlung forderte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte ihre Feststellungen im Sinne von § 14 VVG noch nicht abgeschlossen; die Forderungen waren noch nicht fällig. Dies ergibt sich ohnehin bereits daraus, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit bestanden hat. Diese ist erst zum 01.07.2016, also weit nach der Beauftragung des jetzigen Prozessbevollmächtigten eingetreten.
b)
Die Beklagte rügt zudem zu Recht, dass das Landgericht Zinsen auf die Hauptforderung – die rückständigen Renten und die Rückzahlungsansprüche wegen zu viel gezahlter Prämien – bereits seit dem 07.01.2016 zugesprochen hat.
Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Beklagte nicht in Verzug im Sinne von § 286 BGB befunden. Das angefochtene Urteil ist insofern widersprüchlich, indem es einerseits Leistungen aus den Versicherungen erst ab dem 01.07.2016, andererseits aber Zinsen bereits ab dem 07.01.2016 zugesprochen hat.
Dem Kläger steht daher ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen aus den §§ 280, 286, 288 BGB erst ab Rechtshängigkeit, also seit dem 18.12.2016 zu. Ein vorheriger Verzug ist seitens des Klägers nicht dargelegt worden. Die Klage ist daher insoweit abzuweisen.
B. Zur Anschlussberufung des Klägers
Die zulässige Anschlussberufung des Klägers hat ebenfalls nur im geringen Umfang Erfolg.
1.
Bedenken dagegen, ob die Anschlussberufungsbegründung den inhaltlichen Anforderungen gemäß § 524 Abs. 3 S.2 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 3 ZPO genügt und die Anschlussberufung zulässig ist, greifen letztlich nicht durch.
Die Begründung des Klägers, welcher das Urteil in zwei Punkten angreift, ist freilich nicht schlüssig.
Zum einem macht der Kläger mit seiner Anschlussberufung die rückständigen Berufsunfähigkeitsrenten aus den drei Versicherungen von November 2013 bis einschließlich Juni 2016 mit der Begründung geltend, das Landgericht habe diese Renten ohne Begründung nicht zugesprochen und sei wohl einem bloßen Rechenfehler unterlegen. Indes hat das Landgericht ausführlich begründet, warum Berufsunfähigkeit erst seit Juli 2016 besteht und dem Kläger Ansprüche daher erst ab diesem Zeitraum zustehen.
Auch die Begründung des Klägers hinsichtlich des zweiten Angriffspunktes ist nicht nachzuvollziehen. Er macht geltend, dass das Landgericht „ohne nähere Begründung“ bezüglich des Vertrags 3 von einer Rente in Höhe von lediglich 2.526,20 EUR monatlich anstatt von 2.650,20 EUR monatlich ausgegangen sei. Auch hierbei verkennt der Kläger, dass das Landgericht ausführlich begründet hat, aus welchen Gründen lediglich von einer Rentenhöhe von 2.526,20 EUR auszugehen sei.
Gleichwohl genügt die Anschlussberufungsbegründung den Anforderungen nach § 524 Abs. 3 S.2 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 3 ZPO. Die Begründung lässt erkennen, aus welchen rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig sein soll, wenngleich sie nicht nachzuvollziehen ist. Es ist für die Zulässigkeit ohne Bedeutung, ob die Ausführungen des Klägers in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind.
2.
Die demnach zulässige Anschlussberufung hat indes nur zu einem geringen Teil Erfolg.
a)
Bezüglich der Höhe der von der Beklagten geschuldeten Rente aus dem Vertrag mit der Versicherungsnummer 3 ist das Landgericht von dem Vortrag der Beklagten ausgegangen, welche einen Betrag von lediglich 2.526,20 EUR monatlich behauptet hat.
Tatsächlich beträgt die Rente 2.650,20 EUR monatlich. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Nachtrag zu der Versicherung vom 25.02.2016 (Bl. 1273 eA-I) mit Wirkung zum 01.04.2016. Der Versicherungsfall ist erst hiernach eingetreten. Es ist unschädlich, dass die Frist von sechs Monaten des § 2 Abs. 3 BUZ bereits vorher zu laufen begonnen hat. Lediglich dann, wenn diese Frist vor dem 01.04.2016 abgelaufen gewesen wäre, wäre der Versicherungsfall eingetreten und hätte der Nachtrag hierfür keine Gültigkeit (vgl. Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung, Kapitel 6. Medizinische Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit Rn. 164 zur Vorvertraglichkeit).
Das angefochtene Urteil ist daher insoweit in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang abzuändern.
b)
Im Übrigen bleibt die Anschlussberufung des Klägers ohne Erfolg.
Er macht vergeblich geltend, dass das Landgericht aufgrund eines „Rechenfehlers“ die Klage abgewiesen habe, soweit er hiermit Ansprüche aus den Verträgen für den Zeitraum von November 2013 bis Juni 2016 geltend gemacht habe.
Wie bereits ausgeführt, hat das Landgericht ausführlich begründet, aus welchen Gründen keine Berufsunfähigkeit vor dem 01.07.2016 besteht. Der Senat nimmt zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf diese zutreffenden Ausführungen, denen nichts hinzuzufügen ist. Der Kläger, der das angefochtene Urteil mit einer nicht verständlichen Begründung angreift, hat keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen dargelegt. Auch sonst sind solche Zweifel nicht ersichtlich. Das Landgericht hat daher die Klage insoweit zu Recht abgewiesen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO.
Grundlage für die Bemessung der Anteile des Klägers und der Beklagten am Obsiegen und Unterliegen sind nicht die an Grundsätze der Streitwertbemessung (§ 9 ZPO), sondern die tatsächlichen wirtschaftlichen Werte der geltend gemachten Ansprüche. Der Wert der Renten und der Beitragsbefreiung entspricht dem wahren Wert, also der gesamtem Laufzeit des jeweiligen Versicherungsvertrags.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Berufung der Beklagten hinsichtlich der Laufzeit des Vertrags mit der Versicherungsnummer 2 Erfolg hatte, was sich bei einer kürzeren Laufzeit von 5 Jahren erheblich auf die Kostenentscheidung auswirkt.
Bei der Kostenentscheidung für die erste Instanz ist zudem der Umstand zu berücksichtigen, dass der Kläger zunächst Ansprüche aus einem weiteren Vertrag (Versicherungsnummer 5 ) in erheblicher Höhe (1.000,10 EUR/Monat) geltend gemacht hat, mit welchen er nicht durchgedrungen ist.
Unter Berücksichtigung der einzelnen „Werte“ der Versicherungen und des Obsiegens und Unterliegens der Parteien in dem oben ausgeführten Umfang ergeben sich die aus dem Tenor ersichtlichen Kostenquoten.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.