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Berufsunfähigkeitsversicherung – zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit

OLG Frankfurt – Az.: 7 U 180/15 – Urteil vom 07.06.2017

Die Berufung des Klägers gegen das am 29.10.2015 verkündete Urteil des Einzelrichters der 23. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zur Vollstreckung gebrachten Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger, ist ein Beruf1, begehrt von dem Beklagten Leistungen wegen behaupteter Berufsunfähigkeit.

Seit 1994 ist der Kläger, der damals bei der Bank1 AG beschäftigt war, ursprünglich über diese Arbeitgeberin bei dem beklagten Verein, einer überbetrieblichen Pensionskasse, zur Versicherung angemeldet.

Neben der angestellten Tätigkeit des Klägers bei der Bank1 AG gründete der Kläger am XX.XX.2007 das Einzelunternehmen „X“ in Stadt1, das sich mit Anlagenbau im Meerwasserbereich und dem Import und der Zucht von X1 und F befasste und im Untergeschoss des Hauses des Klägers betrieben wurde. Der Kläger hatte bereits ungefähr 15 Jahre zuvor hobbymäßig begonnen, X1 zu züchten, um eine nachhaltige X1wirtschaft aufzubauen. Er hatte das Ziel, ab dem Jahr 2017 langfristig nur noch mit seinem Einzelunternehmen selbständig tätig zu sein und seine abhängige Tätigkeit vollständig aufzugeben. Vor dem Jahr 2011 machte er jedoch mit dem Einzelunternehmen Verluste, erstmals im Jahr 2011 erwirtschaftete er einen Gewinn von 8.434,- Euro.

Bereits zum 01.09.2009 hatte der Kläger die Bank1 AG verlassen und ein neues „vollzeitiges“ Arbeitsverhältnis bei A GmbH als Leiter der IT (CIO) begonnen. Seit diesem Zeitpunkt führte er den Vertrag mit der Beklagten persönlich in seinem Namen als freiwillige Weiterversicherung fort. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein vom 03.04.2009, K1 im Anlagenband, Bezug genommen. Im Jahr 2011 betrug das Einkommen des Klägers bei der A GmbH 123.523,- Euro. Sein Unternehmen X führte er daneben fort.

§ 15 Abs. 1 der für den Kläger maßgeblichen Versicherungsbedingungen der Beklagten im Tarif DA lautet:

„Im Falle von Berufsunfähigkeit hat der Versicherte ohne Rücksicht auf das Lebensalter Anspruch auf Rente. Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Tätigkeit auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.“

In § 18 heißt es:

„1) Die Rente wird monatlich im Voraus an den Rentenempfänger oder dessen gesetzlichen Vertreter gezahlt. (…)

3) Wird der Antrag auf Zahlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit später als drei Monate nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit gestellt, so beginnt die Rente mit dem ersten Tage des Antragsmonats. (…)“

Auf die Anlage B8, Bl. 96 ff., wird bezüglich der weiteren Versicherungsbedingungen Bezug genommen.

Am 13.01.2012 kam der Kläger bei dem Besuch eines B Großmarktes auf einer am Boden befindlichen „schmierigen“ Substanz zu Fall, stürzte schwer und zog sich diverse Verletzungen an den Beinen zu. Er erlitt insbesondere an beiden Knien jeweils Verletzungen der Kniescheibe, des Meniskus und des Kreuzbandes, musste am rechten Knie zwei und am linken eine Operation über sich ergehen lassen, wobei Einschränkungen und Schmerzen fortbestanden. Er leidet seitdem an Bewegungseinschränkungen und Gangstörungen, kann nicht lange stehen oder sitzen und muss seine Beinposition häufig ändern, um Schwellungen und Schmerzen zu verhindern. Entsprechend kann er auch nur bis zu einer Stunde schmerzfrei mit dem Auto fahren. Hinsichtlich der Art der Verletzungen und ihren körperlichen Folgen wird auf Bl. 4 und 5 d.A. Bezug genommen.

Der Kläger konnte sich verletzungsbedingt zunächst nicht um seine X1 kümmern. Am 28.01.2012 gingen alle X1 ein, da die Ehefrau des Klägers nicht in der Lage war, den richtigen Salzgehalt in den Becken zu wahren. Das Unternehmen X wurde eingestellt.

Am 10.12.2012 teilte die Ehefrau des Klägers, die Zeugin C, telefonisch dem Beklagten mit, dass ihr Ehemann einen Unfall erlitten habe und Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beanspruche.

Die nacheinander übersandten Fragebögen füllte der Kläger am 10.04.2013 und am 07.05.2013 aus. Hinsichtlich des Inhalts und der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen B11, Bl. 122 ff., K19 sowie K20 im Anlagenband Bezug genommen.

Am 26.08.2013 übermittelte der Kläger dem Beklagten weitere Unterlagen, die die wirtschaftliche Entwicklung seines selbständigen Unternehmens betrafen (u.a. einen Businessplan, Gewinn- und Verlustrechnungen und Bescheide des Finanzamtes).

Am 15.10.2013 lehnte der Beklagte die Leistungen ab. Er vertrat die Auffassung, in seinem Beruf als Leiter der IT sei der Kläger noch zu über 50 Prozent berufsfähig und der Beruf als selbständiger X1züchter sei ohne Bedeutung, da er im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse zu vernachlässigen sei.

Der Kläger hat zu seiner Tätigkeit bei A vorgetragen und behauptet, das Berufsbild IT-Leiter habe neben der Leitung der Abteilung IT auch eine höchstpersönliche Leistungsbearbeitung erfasst (Vorträge und Roadshows bei Kunden mit Dienstreisen vorwiegend per Pkw, Projektmanagement, IT-Consulting, Vertragsverhandlungen mit Kunden). Hierbei habe er Treppen steigen und bei Vorträgen länger stehen müssen. Durchschnittlich habe er 9 Stunden und 30 Minuten täglich bei der A GmbH gearbeitet, davon fünfeinhalb Stunden im Sitzen und viereinhalb im Stehen. Insoweit nehme er auf den von ihm ausgefüllten Fragebogen vom 07.05.2013 mit Anlagen (K15) Bezug.

Daneben habe er vorwiegend nach Rückkehr von seinem Arbeitsplatz und am Wochenende durchschnittlich täglich 5 Stunden und 10 Minuten für sein selbständiges Unternehmen gearbeitet. Neben den rein verwaltenden Tätigkeiten wie Buchhaltung und Buchung, Datenverarbeitung und Erstellen von Rechnungen und Bestellungen sei der überwiegende Teil seiner Tätigkeit körperlich belastend gewesen (tägliche Kontrolle der Zuchtanlagen auf Wassertemperatur, Salzgrad und Lichtstärke, Untersuchung und Auswahl der D und der zum Verkauf bestimmten G, Warten der Aquarien und Füttern der E). Hinsichtlich der Details der Beschreibung wird auf den Fragebogen K15 im Anlagenband Bezug genommen. Die geschilderten Tätigkeitsmerkmale seien typisch für den Beruf.

Insgesamt habe er wöchentlich durchschnittlich gut 84 Stunden gearbeitet.

Wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen könne er den Beruf als Leiter der IT nur noch eingeschränkt ausüben, die prägenden Merkmale seines selbständigen Berufes könne er überhaupt nicht mehr ausführen. Unter Sachverständigenbeweis hat er gestellt, dass er sämtliche die eigentliche Zuchtaufgabe betreffende Tätigkeit nicht mehr ausführen könne. Hinsichtlich seiner selbständigen Tätigkeit sei er zu 100 Prozent berufsunfähig. Eine Umorganisation sei ihm nicht zuzumuten, da zoologische Kräfte schwer zu finden und für das bisher als Ein-Mann-Betrieb geführte Unternehmen auch zu teuer gewesen seien. Der Kläger hat zunächst behauptet, das Unternehmen sei mit der ihm allein noch körperlich möglichen, rein verwaltenden Tätigkeit wirtschaftlich nicht erfolgsversprechend zu betreiben. In seiner persönlichen Anhörung bei dem Landgericht Frankfurt am 13.08.2015 hat der Kläger gleichwohl erklärt, er beabsichtige, seine Tätigkeit als X1züchter – etwaig unter Beschäftigung von Mitarbeitern – wieder aufzunehmen, wenn er aus einem Rechtsstreit wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, den er anlässlich des Unfalls führe, entsprechende Geldmittel erhalte.

Der Kläger hat behauptet, nach seinem Geschäftsmodell sei schon zu Beginn zu erwarten gewesen, dass sich der Break-Even-Point im Jahr 2011 einstelle, was auch tatsächlich geschehen sei. Bei Fortbestand des X1unternehmens sei 2017 eine deutliche Expansion zu erwarten gewesen, weshalb ab diesem Zeitpunkt weit höhere Einnahmen zu prognostizieren gewesen seien als sein Arbeitsentgelt bei der A GmbH. Deshalb sei auch beabsichtigt gewesen, seine Tätigkeit bei A GmbH im Jahr 2017 aufzugeben.

Seine Tätigkeit bei der A GmbH habe er aus gesundheitlichen Gründen (insbesondere durch Wegfall der Reisetätigkeit) auf 7 Stunden reduzieren müssen. Hieraus ergebe sich eine diesbezügliche Berufsfähigkeit von verbleibenden 73 Prozent als Angestellter.

Der Kläger hat gemeint, ihm stünde eine monatliche Rente von 989,40 Euro zu. Entsprechend habe er die Renteninformationen verstehen dürfen, die ihm übermittelt worden seien. Insoweit wird auf K2 und K3 im Anlagenband Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 20.736,49 Euro zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 12.821,29 Euro ab dem 16.12.2013 und aus jeweils 989,40 seit dem 03.01., 04.02., 04.03.,02.04., 05.05., 03.06., 02.07. und 04.08.2014 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für die Zeit ab September 2014, längstens jedoch bis August 2032, eine monatlich im Voraus zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente von wenigstens 989,40 Euro zu zahlen, zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem jeweils rückständigen Betrag ab dem 2. Werktag eines jeden Kalendermonats;

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für die Zeit ab dem 01.01.2015, längstens jedoch bis August 2032, den durch die Erhöhung entstandenen Teil der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen, der den im Antrag zu 2. genannten aktuellen Monatsbetrag von 989,40 Euro übersteigt, zzgl. Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem jeweils rückständigen Betrag ab dem 2. Werktag eines jeden Kalendermonats;

4. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtskosten in Höhe von 2.251,48 Euro zzgl. Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, er sei lediglich passivlegitimiert, soweit der Kläger eine monatliche Anwartschaft i.H.v. 667,15 Euro geltend mache. Die weitere Anwartschaft i.H.v. 315,90 Euro monatlich sei bei der Y e.V. entstanden. Er hat darauf Bezug genommen, dass die Versorgungsanwartschaften gegenüber dem Kläger immer nach jeweiligem Versorgungsträger getrennt ausgewiesen worden seien. Jedenfalls könne der Kläger Leistung frühestens ab Antragstellung mit Ausfüllen des Fragebogens im April 2013 erhalten. Abzustellen sei auf die Tätigkeit des Klägers bei der A GmbH.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, es bedürfe keiner Klärung, wie die Grenze von 50%-Berufsunfähigkeit des Klägers angesichts seiner beiden Tätigkeiten zu bestimmen wäre. Denn jedenfalls sei der Kläger schon deshalb nicht berufsunfähig, da er gemäß der Klausel über die abstrakte Verweisung fähig sei, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben. Dies sei die von ihm tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als Leiter der IT bei der A GmbH. Unstreitig könne er diese Tätigkeit in dem bedingungsgemäßen Ausmaß von über 50 Prozent ausüben. Es käme auf das Erfordernis des § 172 Abs. 3 VVG bereits nicht an, wonach die Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Versicherten entsprechen müsse, er also keine unzumutbaren Einkommensnachteile erleiden dürfe. Die Voraussetzung wäre jedoch gegeben, da die vom Kläger zuletzt aus seiner unternehmerischen Tätigkeit erzielten Einkünfte gegenüber denen aus seiner IT-Tätigkeit unbedeutend gewesen seien. Da er in den Jahren zuvor Verluste erzielt habe, stünde er ohne die Verluste nun sogar wirtschaftlich besser. Selbst wenn er (auch) durch die Stundenreduktion bei der A GmbH Einkommenseinbußen von 26 Prozent erlitten haben sollte (was er nicht vorgetragen habe), sei ihm das angesichts des hohen Einkommens nach der Rechtsprechung des BGH zuzumuten (NJW-RR 1998, 239 und 1396, 1397).

Im Rahmen der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge unter Wiederholung seines Vortrags fort. Er meint, in dem angefochtenen Urteil sei nicht berücksichtigt, dass er zuvor zwei Berufe ausgeübt habe und nun auf das Einkommen aus seinem zweiten Beruf verzichten müsse. Seine Prognose, wonach er als X1züchter bald bedeutend mehr verdient hätte als bei der A GmbH, sei wirtschaftlich realistisch gewesen.

Er beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 20.736,49 Euro zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 12.821,29 Euro ab dem 16.12.2013 und aus jeweils 989,40 seit dem 03.01., 04.02., 04.03.,02.04., 05.05., 03.06., 02.07. und 04.08.2014 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für die Zeit ab September 2014, längstens jedoch bis August 2032, eine monatlich im Voraus zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente von wenigstens 989,40 Euro zu zahlen, zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem jeweils rückständigen Betrag ab dem 2. Werktag eines jeden Kalendermonats;

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für die Zeit ab dem 01.01.2015, längstens jedoch bis August 2032, den durch die Erhöhung entstandenen Teil der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen, der den im Antrag zu 2. genannten aktuellen Monatsbetrag von 989,40 Euro übersteigt, zzgl. Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem jeweils rückständigen Betrag ab dem 2. Werktag eines jeden Kalendermonats;

4. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtskosten in Höhe von 2.251,48 Euro zzgl. Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Dem Kläger steht kein Anspruch aus § 15 Abs. 1 Satz 1 der Versicherungsbedingungen im Tarif DA (folgend Bedingungen) auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gegen den Beklagten zu.

§ 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen setzt voraus, dass der Kläger berufsunfähig i.e.S. ist, keine Verweisungsmöglichkeit besteht und der Beklagte hinsichtlich der klägerseits erworbenen Anwartschaften passiv legitimiert ist.

Es fehlt bereits nach dem Vortrag des Klägers an einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit.

Gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen setzt Berufsunfähigkeit voraus, dass der Kläger durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Tätigkeit auszuüben. Nach Satz 3 des Absatzes ist Berufsunfähigkeit anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.

Allein maßgebliche Tätigkeit ist die Beschäftigung des Klägers bei der A GmbH (folgend A). Der Kläger war zum maßgeblichen Zeitpunkt im Januar 2012 dort vollzeitig beschäftigt und erzielte 2011 ein Jahreseinkommen von 123.523,- Euro. Auch nach Januar 2012 blieb der Kläger dort unstreitig weiter tätig, wobei seine jetzige Tätigkeit jedenfalls zeitlich mehr als die Hälfte seiner ursprünglichen dortigen Tätigkeit ausmacht und er noch sein volles Gehalt erhält. Dass es zu Lohneinbußen gekommen sei, hat der Kläger jedenfalls nicht vorgetragen. Der streitige Vortrag, dass er seine dortige Arbeitszeit von neuneinhalb Stunden krankheitsbedingt dauerhaft auf 73 Prozent habe reduzieren müssen, ist unerheblich. Unstreitig ist die Berufsfähigkeit des Klägers in diesem Beruf nicht i.S.d § 15 Abs. 1 Satz 3 der Bedingungen um die Hälfte herabgesetzt.

Der Senat ist der Rechtsauffassung des Klägers nicht gefolgt, der meint, die jetzt von ihm geleistete Arbeitszeit sei im Rahmen einer Quote derjenigen gegenüberzustellen, die seine ursprüngliche Gesamttätigkeit bei A und in seinem selbständigen Unternehmen gemeinsam ausgemacht habe. Des Weiteren waren beide Tätigkeiten des Klägers auch nicht isoliert als zwei Berufe zu betrachten.

Die „zuletzt ausgeübte Tätigkeit“ wird in den Bedingungen nicht weiter definiert. Aus der Verwendung des Begriffs Berufsunfähigkeit in § 15 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 sowie § 18 der Bedingungen besteht jedoch kein Zweifel daran, dass es sich bei der Tätigkeit nur um den „Beruf“ handeln kann. Als Beruf i.S.d. § 172 Abs. 2 VVG wird der in gesunden Tagen zuletzt ausgeübte Beruf angesehen (Lücke, in Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage 2010, § 172, Rn. 53). Beruf ist dabei jede auf Dauer angelegte, der Schaffung oder der Erhaltung der Lebensgrundlage dienende Tätigkeit, wobei nicht notwendig Einkünfte erzielt werden müssen (Lücke, a.a.O., § 172 Rn. 54). Entscheidend ist vielmehr, wie die Erwerbstätigkeit des Versicherten konkret ausgestaltet war (Lücke, Rn. 55). Abzugrenzen ist die Erwerbstätigkeit von Hobbies, die nicht der Schaffung oder Erhaltung der Lebensgrundlage dienen. Hobbies sind kein Beruf (Rixecker, in: Langheid/Rixecker, VVG, 5. Auflage 2016, § 172 Rn. 7). Vorliegend hat der Kläger seine Lebensgrundlage bereits durch seine Erwerbstätigkeit bei der Bank1 und unmittelbar anschließend bei A geschaffen und auch erhalten. Die zusätzliche Tätigkeit als X1züchter war unstreitig zunächst nur ein Hobby.

Dies änderte sich auch nicht durch die Anmeldung des selbständigen Unternehmens im Jahr 2007 oder das etwaige Erreichen des Break-Even-Points mit einem Jahresgewinn von 8.434,- Euro im Jahr 2011. Zwar sprechen nicht bereits die mehrjährigen Verluste gegen die Einordnung der Tätigkeit des X1züchters als Beruf. Grundsätzlich kann auch eine Erwerbstätigkeit, bei der Verluste erzielt werden, einen Beruf darstellen. Im Rahmen der auch subjektiv geprägten Definition durch Verwendung des Begriffs „dienen“ ist maßgeblich, inwieweit der Versicherungsnehmer vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung den konkreten Beruf zur Erhaltung der Lebensgrundlage einsetzt. Vorliegend blieb die Tätigkeit des Klägers als X1züchter jedoch bis zum maßgeblichen Zeitpunkt trotz Erzielung von Einnahmen ein Hobby. Insoweit hat der Kläger selbst vorgetragen, dass die selbständige Tätigkeit seine Beschäftigung bei A erst im Jahre 2017 habe ablösen sollen. Nach seinem Vortrag sollte seine selbständige Tätigkeit erst ab dem Jahr 2017 der Erhaltung seiner Lebensgrundlage dienen. Wesentlich ist, ob die konkrete Tätigkeit vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung (zum maßgeblichen Zeitpunkt der Betrachtung BGH, Urteil vom 03.04.1996, IV ZR 344/94, zitiert nach juris, Rz. 12; Urteil vom 22.09.1993, IV ZR 203/92, zitiert nach juris Rz. 17; Rixecker, a.a.O., Rz. 7) der Schaffung oder Erhaltung der Lebensgrundlage diente. Der Begriff des Berufs wird im Rahmen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung insoweit eigenständig und unabhängig von einer gewerbe-, finanz- oder sozialrechtlichen Definition bestimmt (vgl. BGH, Urteil vom 30.09.1992, zitiert nach juris, Rz. 11). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Tätigkeit als X1züchter isoliert betrachtet, sofern sie von einem Versicherungsnehmer zur Schaffung oder Erhaltung der Lebensgrundlage eingesetzt wird, einen Beruf darstellen kann. Dies ließe sich nicht im Hinblick auf erzielte Verluste oder gar einen geringen Gewinn verneinen. Im Rahmen der erforderlichen subjektiven und individuellen Betrachtung war vielmehr darauf abzustellen, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2012 seine Lebensgrundlage vollständig durch seine Tätigkeit bei A geschaffen und erhalten hatte und dies im Jahr 2012 auch entsprechend fortsetzen wollte.

Soweit der Kläger vorträgt, die Tätigkeit in seinem Unternehmen als X1züchter habe seine abhängige Beschäftigung im Jahr 2017 ersetzen sollen, so ist der im Jahr 2017 beabsichtigte Wechsel im maßgeblichen Zeitpunkt 2012 noch unerheblich. Hoffnungen und Erwartungen auf einen künftigen Beruf, der noch nicht ausgeübt wird, sind nicht zu berücksichtigen (Lücke, Rn. 58).

Obwohl der Kläger vorträgt, er sei in zeitlicher Hinsicht bereits im Jahr 2011 und 2012 in zwei Tätigkeitsbereichen insgesamt durchschnittlich 12 Stunden an 7 Tagen die Woche tätig gewesen sei, stellten sich die verschiedenen Tätigkeiten des Klägers auch nicht gemeinsam als eine versicherte „Tätigkeit“ dar. Dagegen spricht zwar nicht bereits, dass nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 2 von bisheriger Tätigkeit im Singular die Rede ist. Vielmehr kann sich ein Beruf auch aus Haupt- und Nebentätigkeiten zusammensetzen, die ihn in einer Gesamtheit bilden (Rixecker, a.a.O.). Der Kläger behauptet indes nicht, dass seine selbständige und seine angestellte Tätigkeit gemeinsam eine Gesamtheit bilden. Zwar sollen grundsätzlich auch Mehrfachtätigkeiten, mehrere Tätigkeiten, die zur Sicherung des Lebensunterhaltes dienen, als ein Berufsbild mit verschiedenen Bereichen anzusehen sein (vgl. hierzu Wachholz, VersMed 2015, 184 ff.). So sind Versicherungsnehmer in der modernen Arbeitswelt manchmal gehalten, zur Schaffung und Erhaltung ihrer Lebensgrundlage verschiedenen Tätigkeiten nachzugehen. Vorliegend sollten die verschiedenen Tätigkeiten des Klägers jedoch gerade nicht kumulativ der Erhaltung seiner Lebensgrundlage dienen, sondern alternativ. Es war nach seinem Vortrag lediglich für die Zukunft zu erwarten, dass seine Tätigkeit in dem selbständigen Unternehmen im Bereich X1zucht seine andere Tätigkeit zur Erhaltung der Lebensgrundlage werde ablösen können. Auch wenn der Kläger in den Bereich der X1zucht mehr Zeit und Geld investierte als üblicherweise in ein Hobby, handelte es sich bei der Erwartung, dass er ab dem Jahr 2017 ein Unternehmen etabliert haben werde, mit dem er seinen Lebensunterhalt allein werde bestreiten können, lediglich um eine möglicherweise begründete, aber nicht versicherte Hoffnung.

Da im Hinblick auf die fortbetriebene Tätigkeit bei A keine Berufsunfähigkeit vorliegt, konnte offen bleiben, ob der Kläger seine selbständige Tätigkeit durch Umorganisation hätte aufrechterhalten können (vgl. hierzu Rixecker, a.a.O., § 172 Rn. 12).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Es besteht ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung der Frage, wie der Begriff des Berufes in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung auszulegen ist, wenn bereits parallel zu der vormals ausgeübten Tätigkeit Vorbereitungen zu einem Wechsel der Tätigkeit getroffen werden.

 

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