Oberlandesgericht Saarbrücken, Az.: 5 U 24/13, Urteil vom 08.02.2017
I. Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin werden das am 17.01.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – Az.: 14 O 47/10 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
„1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.907,68 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.02.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin jeweils ab dem 01.01.2010 bis zum 01.05.2016 aus dem Versicherungsvertrag Nr. AAAAAAA eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 700 € sowie aus dem Versicherungsvertrag Nr. BBBBBBB eine monatliche Berufungsfähigkeitsrente in Höhe von 758,58 € zu zahlen, wobei beide Renten monatlich im Voraus zu zahlen sind.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagten für die Dauer der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit der Klägerin von mindestens 50 % aus den Versicherungsverträgen Nr. AAAAAAA und Nr. BBBBBBB keine Beitragsansprüche gegen die Klägerin zustehen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die A. Rechtsschutzversicherung AG zur Leistungsnummer C CC-CCCCCC-C-CC-CC ein Anwaltshonorar in Höhe von insgesamt 1.094,32 € zu erstatten zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 24.02.2010.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die weitergehende Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 62 % und die Beklagte zu 38 %.
IV. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
VI. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 76.353,76 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus zwei Berufsunfähigkeitsversicherungsverträgen in Anspruch. Aus dem seit dem Jahr 2003 bestehenden Versicherungsvertrag Nr. BBBBBBB, dem als AVB die EBO 902 zugrunde liegen, begehrt sie monatliche Rentenleistungen in Höhe von 758,58 €, aus dem seit dem Jahr 2007 bestehenden Versicherungsvertrag Nr. AAAAAAA, dem als AVB die EBO 107 zugrunde liegen, monatliche Rentenleistungen in Höhe von 700 €. Beide Versicherungsverträge enthalten einen Verzicht auf eine abstrakte Verweisung und sehen eine Dynamisierung der Beiträge und Renten vor.
Sowohl nach den AVB EBO 902 (§ 15 Abs. 1) als auch nach den AVB EBO 107 (§ 15 Abs. 1) tritt der Versicherungsfall Berufsunfähigkeit (unter anderem) ein, wenn die versicherte Person gesundheitlich bedingt voraussichtlich mindestens 6 Monate außerstande ist, ihrem vor Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübten Beruf nachzugehen. Sowohl nach den AVB EBO 902 (§ 31 Abs. 4) als auch nach den AVB EBO 107 spricht die Beklagte „grundsätzlich keine besondere Befristung unserer Leistungspflicht aus“. Sei jedoch anzunehmen, dass sich Umstände, die für die Beurteilung der Frage, ob Berufsunfähigkeit besteht, innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten gerechnet ab dem Tag des Eingangs einer Mitteilung über das Bestehen von Berufsunfähigkeit, ändern werden, könne die Beklagte ihrer Leistungspflicht zunächst einmalig oder mehrmals, längstens aber bis zum Ablauf dieses Zeitraums befristen.
Beide Bedingungswerke sehen vor, dass die Beklagte bei Minderung des Grades der Berufsunfähigkeit unter 50 % ihre Leistungen – nach einer entsprechenden Mitteilung an die versicherte Person unter Hinweis auf deren Rechte – einstellen darf; diese Einstellung wird dann nicht vor Ablauf eines Monats „nach Absenden“ wirksam.
Die Klägerin hat abgeschlossene Berufsausbildungen als Kauffrau im Groß- und Einzelhandel, als welche sie von 1987 bis 1997 tätig war, und als Versicherungsfachfrau. In der Zeit von 1998 bis 2006 war sie zunächst als Bürofachangestellte in der Versicherungsagentur W. im Innendienst der Beklagten beschäftigt. Ab Januar 2007 war sie freiberuflich als Versicherungsfachfrau für eine Generalagentur der Beklagten tätig. Mitarbeiter hatte sie nicht beschäftigt.
Seit Mitte 2008 war die Klägerin arbeitsunfähig krankgeschrieben und befand sich in ambulanter Behandlung bei wechselnden Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen, darüber hinaus in stationärer ärztlicher Behandlung. Während eines Aufenthalts vom 05.11. bis 07.11.2008 in der Caritas Klinik D… – Abteilung Neurologie – wurden eine „wahrscheinlich prolongierte Migräneattacke und eine leichte reaktive Depression mit Schlafstörung“ festgestellt (Bl. 66 d.A.). Anlässlich einer stationären Behandlung vom 16.03. bis 13.05.2009 in der F…-A…-Klinik wurden eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2) und eine soziale Phobie (F40.1) diagnostiziert (Anlage K11).
Daraufhin beantragte die Klägerin am 27.05.2009 (Anlage K8) Leistungen wegen einer seit Juli 2008 bestehenden Berufsunfähigkeit.
Die Beklagte holte zunächst ein psychiatrisches Gutachten des Dr. Al. vom 06.11.2009 (Anlage K17) ein. Dem lag die Beschreibung der beruflichen Tätigkeit aus dem Auftragsschreiben der Beklagten vom 22.09.2009 (Bl. 69 d.A.) zugrunde, nach welchem täglich vier bis sechs Stunden auf Akquise, Beratung und Betreuung von Privat- und Gewerbekunden, ein bis zwei Stunden auf die Aufnahme von Schadens- und Leistungsfällen und ein bis zwei Stunden auf allgemeine kaufmännische und administrative Aufgaben entfielen (Bl. 54 d.A.).
Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, die Klägerin habe „nachvollziehbare Schwierigkeiten“, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als selbständige Bezirksagentin auszuüben, soweit sie sich im unmittelbaren Kontakt zu Kunden befinde. Es sei allerdings seit der Entlassung aus der F…-A…-Klinik eine deutliche Besserung des gesundheitlichen Zustands eingetreten und – unter bestimmten therapeutischen Bedingungen – eine weitere Stabilisierung zu erwarten. Die Klägerin sei bei der Kundenakquise, Kundenbetreuung und Schadensbearbeitung „zu 50 % eingeschränkt“. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit habe sie vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009 zu mindestens 50 % nicht ausüben können. Ab Ende Mai 2009 sei sie jedoch – ausgenommen die beschriebenen Kundenkontakte – beruflich einsatzfähig.
Mit Schreiben vom 16.11.2009 (Anlage K3) teilte die Beklagte daraufhin der Klägerin mit, auf der Grundlage des dem Schreiben beifügten psychiatrischen Gutachtens sei davon auszugehen, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009 in der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit zu mehr als 50 % eingeschränkt gewesen sei und erkannte für diesen Zeitraum ihre Leistungspflicht aus beiden Verträgen an. Eine Berufsunfähigkeit über den Monat Mai 2009 hinaus habe nicht nachgewiesen werden können, so dass kein weiterer Leistungsanspruch bestehe und die Beitragszahlung wieder übernommen werden müsse. Nachdem die Klägerin dem mit Schreiben vom 02.12.2009 (Anlage K4) entgegen getreten war, lehnte die Beklagte die Erbringung weiterer Versicherungsleistungen mit Schreiben vom 16.12.2009 (Anlage K5) – unter konkreter Darlegung der aus ihrer Sicht zum Wegfall der Berufsunfähigkeit führenden Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse – endgültig ab.
Auf der Grundlage des neurologischen/psychiatrischen Gutachtens für die gesetzliche Rentenversicherung des Dr. Ju. vom 22.10.2009 (Anlage K15) wurde die Klägerin mit Rentenbescheid vom 19.01.2010 wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.06.2009 befristet bis zum 30.06.2011 (Anlage K16) berentet.
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin rückständige Leistungen ab dem 01.06.2009 und laufende Leistungen bis längstens zum jeweiligen Vertragsablauf – 2025 bzw. 2030 – geltend sowie – mit Ermächtigung des Rechtsschutzversicherers – die Erstattung außergerichtlicher Kosten auf der Grundlage einer 2,0-Geschäftsgebühr.
Sie hat behauptet, im Februar 2008 zunächst durch einen Unfall ein Tinnitusleiden erlitten und im Anschluss hieran ein schwerwiegendes Depressionsleiden entwickelt zu haben. Dieses mache ihr die Kontaktaufnahme zu Kunden unmöglich, welche als prägende Tätigkeit ihres Berufs anzusehen sei. Reine Innendiensttätigkeit fielen ohne Kundenkontakte zwangsläufig nicht mehr an. Wie sich aus dem Schreiben der behandelnden Dermatologin Ma. vom 06.08.2009 (Anlage K12) ergebe, schwitze sie außerdem ständig an den Handinnenflächen, was sich in Stresssituationen verstärke. Weitere orthopädische Beeinträchtigungen ergäben sich aus dem Schreiben des behandelnden Orthopäden Le. (Anlage K13).
Im Übrigen könne die Beklagte sich unabhängig vom Fortbestehen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen nur im Wege eines bislang nicht eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens von ihrem Anerkenntnis lösen (Bl. 77 d.A.).
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.907,68 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen;
2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an die Klägerin für die Dauer einer mindestens 50%igen Berufsunfähigkeit ab dem 01.01.2010 aus dem Versicherungsvertrag Nr. AAAAAAA bis längstens zum 01.06.2030 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von derzeit 700 € sowie aus dem Versicherungsvertrag Nr. BBBBBBB bis längstens zum 01.06.2025 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von derzeit 758,58 € zu zahlen, wobei beide Renten monatlich im Voraus zu zahlen sind;
3. festzustellen, dass der Beklagten für die Dauer der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit der Klägerin von mindestens 50 % aus den Versicherungsverträgen Nr. AAAAAAA sowie Nr. BBBBBBB keine Beitragsansprüche gegen die Klägerin zustehen;
4. die Beklagte zu verurteilen, an die A. Rechtsschutzversicherung AG zur Leistungs-Nr. C CC-CCCCCC-C-CC-CC Anwaltshonorar in Höhe von 2.879,80 € zu erstatten, wobei dieser Betrag ebenfalls ab Rechtshängigkeit mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat das Fortbestehen von Berufsunfähigkeit nach dem 31.05.2009 bestritten. Entgegen der Ansicht der Klägerin habe sie die erforderliche Vergleichsbetrachtung in ihren Leistungsentscheidungen vom 16.11. und 16.12.2009 angestellt. In Verbindung mit dem der Klägerin übersandten Gutachten des Dr. Al. sei ohne weiteres nachvollziehbar gewesen, weshalb Leistungen nur für den Zeitraum von Dezember 2008 bis einschließlich Mai 2009 gewährt worden seien. Im Übrigen fehle es dem Klagevorbringen bereits an einer hinreichend substantiierten Darlegung krankheitsbedingter Funktionsbeeinträchtigungen und deren Folgen auf die berufliche Tätigkeit. Das Vorliegen entsprechender Beeinträchtigungen hat die Beklagte unter Hinweis auf die Feststellungen des vorgerichtlich beauftragten Gutachters in Zweifel gezogen, der anlässlich der Untersuchung am 13.10.2009 deutliche Hinweise auf negative Antwortverzerrung und Beschwerdeaggravation gesehen habe. Aus den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen ergäben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin sich schlicht bei der Berufswahl vertan habe.
Das Landgericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 07.02.2011 (Bl. 149 d.A.) – mit konkreten zeitlichen Vorgaben zu den beruflichen Einzeltätigkeiten (Bl. 151 d.A.) – über die Behauptung der Klägerin, sie sei aufgrund einer Depression bereits seit Juli 2008 in bedingungsgemäßem Umfang an der Berufsausübung gehindert, durch Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens der Dr. med. C. Bi. vom 10.08.2011 (Bl. 165 d.A.) – mit Ergänzungsgutachten vom 12.03.2012 (Bl. 269 d.A.) – einschließlich eines testpsychologischen Fachgutachtens der Dipl. Psych. R.-W. vom 17.08.2011 (Bl. 184 d.A.) – mit Ergänzungsgutachten vom 02.04.2012 (Bl. 285 d.A.) – Beweis erhoben.
Nach ergänzender mündlicher Anhörung der Sachverständigen (Bl. 348 d.A.) hat das Landgericht die Beklagte mit am 17.01.2013 verkündetem Urteil zu den beanspruchten Leistungen antragsgemäß verurteilt. Die ebenfalls geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat es lediglich in Höhe einer 1,5-Gebühr – statt der beantragten 2,0-Gebühr – als begründet erachtet.
Die Beklagte will mit ihrer Berufung die vollständige Klageabweisung erreichen. Sie rügt formale und inhaltliche Mängel der gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten und weist darauf hin, dass auch diese Anhaltspunkte für Aggravation aufzeigten. Insgesamt könne hierauf die Annahme bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht gestützt werden. Aufgrund der Unterlassung einer sachgemäßen Behandlung ihrer Persönlichkeitsstörung fehle es zudem bereits an der erforderlichen Kausalität der Erkrankung für die Berufungsfähigkeit.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Saarbrücken aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Im Wege der Anschlussberufung beantragt sie, die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Urteils zu verurteilen, an die A. Rechtsschutzversicherung AG zur Leistungsnummer C CC-CCCCCC-C-CC-CC ein Anwaltshonorar in Höhe von insgesamt 2.879,80 € zu erstatten zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 24.02.2010.
Die Beklagte beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die erstinstanzliche Verurteilung der Beklagten. Mit ihrer Anschlussberufung begehrt sie weiterhin die Erstattung einer 2,0-Geschäftsgebühr, welche mit Blick auf Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit billigem Ermessen entspreche.
Der Senat hat gemäß den Beweisbeschlüssen vom 15.01.2014 und 15.09.2014 – über die erstinstanzliche Beweiserhebung hinaus – auch Beweis über die Frage erhoben, ob in der Zeit ab dem 31.05.2009 eine Besserung gegenüber dem anerkannten Zeitraum vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009 eingetreten ist, welche den Zustand der Berufsunfähigkeit entfallen ließe, durch Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens des Prof. Sp. vom 02.06.2015 (Bl. 618 d.A.). Ergänzend hat er den Sachverständigen am 12.04.2016 (Bl. 861 d.A.) und am 18.01.2017 persönlich angehört.
Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 23.03.2016 (Bl. 844 d.A.) – der am 05.04.2016 abgesandt worden ist und den die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 06.04.2016 erhalten haben (Bl. 855/856 d.A.) – unter Gegenüberstellung der für das Jahr 2009 und 2016 erhobenen Befunde und erstellten Diagnosen eine deutliche Besserung konstatiert und festgehalten, dass jedenfalls nun keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit mehr vorliege.
II.
Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg, die Anschlussberufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
A. Berufung der Klägerin
Die Beklagte schuldet die Erbringung weiterer Leistungen aus den streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherungen, allerdings nur bis Mai 2016. Mit jenem Zeitpunkt ist die dem Schriftsatz der Beklagten vom 23.03.2016 zu entnehmende Einstellungsmitteilung wirksam geworden. Darüber hinausgehende Leistungen – bis zum Ende der jeweils vertraglich vereinbarten Leistungsdauer – schuldet sie nicht.
1.
Nach den beiden von der Klägerin bei der Beklagten seit 2003 und 2007 unterhaltenen Verträgen über eine Berufsunfähigkeitsversicherung tritt der Versicherungsfall Berufsunfähigkeit ein, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 6 Monate ununterbrochen zumindest zu 50 % außerstande ist, ihrem vor Eintritt des Versicherungsfalles zuletzt ausgeübten Beruf – so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war – nachzugehen und sie in dieser Zeit auch keine andere Tätigkeit ausübt, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Der Anspruch auf Versicherungsleistungen aus dem 2003 geschlossenen Versicherungsvertrag entsteht mit dem Ablauf des Monats, in dem Berufsunfähigkeit eingetreten ist (§ 5 Abs. 1 EBO902), jener aus dem 2007 abgeschlossenen mit dem auf den Eintritt des Versicherungsfalls folgenden nächsten Monat.
2.
Ungeachtet des Eintritts der bedingungsgemäßen Voraussetzungen des Versicherungsfalls wurde die Leistungspflicht der Beklagten durch das Anerkenntnis vom 16.11.2009 (Anlage K3) ausgelöst. Entgegen der Ansicht der Beklagten bestand ihre Leistungspflicht auch über den 31.05.2009 – das im Anerkenntnis vorgesehene Ende der Leistungspflicht – hinaus fort. Sie hat ihr Anerkenntnis weder in zulässiger Weise befristet, noch hat sie dieses wirksam mit einer Einstellungsmitteilung verbunden.
a)
Die Beklagte hatte auf den Leistungsantrag der Klägerin vom 27.05.2009 ein psychiatrisches Gutachten des Dr. Al. vom 06.11.2009 (Anlage K17) eingeholt. Legt man dieses Gutachten zugrunde, war die Klägerin ab Dezember 2008 in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf als selbständige Versicherungsagentin berufsunfähig. Diese von der Klägerin zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit bestand unabhängig von dem zeitlichen Umfang einzelner Teiltätigkeiten und vor allem unabhängig von einer bis zu zwei Stunden täglich umfassenden Büroarbeit im Wesentlichen in der Kommunikation mit Kunden bei der Werbung um Vertragsabschlüsse, der Vertragsanbahnung, den Vertragsverhandlungen und Kontakten während der Laufzeit von Versicherungsverträgen aufgrund von Aufnahmen eines Versicherungsfalls. Dabei handelte es sich um die den Beruf der Klägerin prägenden Verrichtungen, deren Einschränkung notwendigerweise auch zu einer Reduzierung der sich allein in der Agentur abspielenden administrativen Vorbereitung und Nachbereitung führen musste. Aus der Feststellung des Gutachters, die Klägerin sei ab Anfang Dezember 2008 bis Ende Mai 2009 zu 50% gesundheitlich gehindert gewesen, mit Kunden zu kommunizieren, folgte – nach § 1 Abs. 1 EBO 107 und § 1 Abs. 1 EBO 902 – bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit.
b)
Auf dieser Grundlage teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 16.11.2009 (Anlage K3) unter Beifügung des psychiatrischen Gutachtens mit, dass davon auszugehen sei, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009 in der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit zu mehr als 50 % eingeschränkt gewesen sei und erkannte für diesen Zeitraum ihre Leistungspflicht aus beiden Verträgen an. Eine Berufsunfähigkeit über den Monat Mai 2009 hinaus habe wegen einer vom Gutachter angenommenen Besserung des Gesundheitszustands nicht nachgewiesen werden können, so dass kein weiterer Leistungsanspruch bestehe und die Beitragszahlung wieder übernommen werden müsse.
c)
Dieses Anerkenntnis löste die Leistungspflicht der Beklagten ab dem anerkannten Zeitraum aus. Hieran war die Beklagte unabhängig davon gebunden, ob das Anerkenntnis zu Recht erfolgt ist (vgl. BGH, Urt. v. 30.03.2011 – IV ZR 269/08 – VersR 2011, 655; OLG München, NJW-RR 2010, 1619; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, L II 1, S. 559). Die Beklagte hat ihr Anerkenntnis weder wirksam auf die Zeit vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009 befristet, noch hat sie ihre Leistungspflicht dadurch auf den vorgenannten Zeitraum beschränkt, dass sie ihr Anerkenntnis wirksam mit einer Nachprüfungsentscheidung verbunden hat.
aa)
Die von ihr ausgesprochene Befristung war nicht nach § 173 Abs. 2 VVG n.F. zulässig.
Die dem Versicherer die einmalige Befristung des Anerkenntnisses erlaubende Bestimmung ist gemäß Art. 4 Abs. 3 EGVVG zwar grundsätzlich auch auf Altverträge wie die vorliegenden anwendbar. Da Art. 4 Abs. 3 EGVVG die allgemeinen Regelungen des Art. 1 Abs. 2 und Abs. 3 EGVVG aber nicht durchbricht, ist § 173 VVG allerdings erst mit Ablauf der Übergangsfrist am 01.01.2009 auf Altverträge anwendbar, also dann nicht, wenn der Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist (vgl. LG Dortmund, ZfSch 2015, 522; LG Berlin, ZfSch 2015, 223). Es kann deshalb offen bleiben, ob diese Bestimmung nicht ohnehin nur sich in die Zukunft erstreckende Befristungen betrifft, nicht aber – wie im Streitfall – in der Vergangenheit liegende abgeschlossene Zeiträume (so LG Berlin, ZfSch 2015, 223 unter Bezugnahme auf den in der Regierungsbegründung vom 20.12.2006 zu § 173 VVG-E in BT-Drucks. 16/3945, S. 105 f. angesprochenen Zweck der Vorschrift, „in zweifelhaften Fällen bis zu einer abschließenden Klärung zunächst eine vorläufige Entscheidung zu ermöglichen.“).
Die Befristung war auch nicht nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zulässig.
Denn nach § 31 Abs. 1 EBO 902 und nach § 31 Abs. 1 EBO 107 verspricht die Beklagte, nach Prüfung der ihr vorgelegten und hinzugezogenen Unterlagen anzuerkennen „ob und von welchem Zeitpunkt an“ – also gerade nicht „für“ welchen Zeitraum – sie ihre Leistungspflicht anerkenne. Allerdings behält sie sich vor (§ 31 Abs. 2 EBO 902 und § 31 Abs. 2 EBO 107), eine Befristung der Leistungspflicht für die Dauer von längstens 12 Monaten auszusprechen, wenn anzunehmen sei, dass sich die Umstände, die für die Beurteilung der Frage, ob Berufsunfähigkeit bestehe, innerhalb dieses Zeitraums ändern werden.
Ob diese Klauseln wirksam sind, obwohl die Beklagte gleichzeitig den eine zeitlich unbeschränkte Leistungspflicht auslösenden Versicherungsfall Berufsunfähigkeit schon dann vertraglich zusagt (unter dem bloßen Vorbehalt der Nachprüfung) anzunehmen, wenn die Berufsunfähigkeit der versicherten Person voraussichtlich sechs Monate bestehen wird, die dem widersprechende Befristungserlaubnis also wesentliche Teile des Leistungsversprechens zurücknimmt, kann dahinstehen.
Denn zum 16.11.2009 als dem Zeitpunkt der rückwirkenden Befristung durfte die Beklagte eine derartige – befristete – Ungewissheit des Fortbestands des Versicherungsfalls auf der Grundlage des von ihr selbst für maßgeblich erachteten Gutachtens des Sachverständigen Dr. Al. gerade nicht annehmen.
bb)
Die Beklagte hat eine Beendigung ihrer Leistungspflicht zum 31.05.2009 auch nicht im Wege des Nachprüfungsverfahrens herbeigeführt.
(1)
Allerdings darf ein Versicherer, der zum Zeitpunkt seiner Erklärung über seine Leistungspflicht meint, dass Berufsunfähigkeit zwar vorgelegen habe, zwischenzeitlich aber wieder entfallen sei, sein Anerkenntnis mit der Ablehnung weiterer Leistungen – also mit einer Nachprüfungsentscheidung – verknüpfen. Anders als in den Fällen einer Befristung beruht ein solches Vorgehen allerdings nicht auf einer „Erstprüfung“, sondern auf einer Nachprüfung mit der Folge, dass es dem Versicherer obliegt, den Wegfall der Voraussetzungen der Leistungspflicht nachzuweisen und einen eventuell versprochenen – jetzt in § 174 Abs. 2 VVG geregelten – Nachleistungszeitraum zu beachten (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.1997 – IV ZR 6/97 – VersR 1998, 173; OLG Hamm, RuS 1999, 294; LG Berlin, ZfSch 2015, 223; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, L IV Rdn. 40).
(2)
Das bedeutet zugleich, dass die den Wegfall der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit annehmende Beklagte der – in gleicher Weise wie in einem zeitlich nachgeschalteten Nachprüfungsverfahren schutzbedürftigen – Klägerin die Einstellung ihrer Leistungen mitteilen (§ 33 Abs. 4 EBO 902 und EBO 107) und durch eine Vergleichsbetrachtung – anhand eventuell eingeholter Gutachten – nachvollziehbar darlegen musste, dass sie trotz zunächst nachgewiesener Berufsunfähigkeit zu der Annahme gelangt ist, die Berufsunfähigkeit sei zwischenzeitlich wieder entfallen (BGH, Urt. v. 19.11.1997 – IV ZR 6/97 – VersR 1998, 173; OLG Hamm, RuS 1999, 294).
Eine solche Mitteilung ist nicht schon in dem Schreiben der Beklagten vom 16.11.2009 enthalten. Es stellt keine Vergleichsbetrachtung der gesundheitlichen Situation der Klägerin zu Beginn und zum Ende des von der Beklagten angenommenen Leistungszeitraums dar, sondern teilt nur mit, dass keine Berufsunfähigkeit mehr bestehe. Das genügt nicht.
Allerdings erfüllt das Schreiben vom 16.12.2009 alle Erfordernisse einer formal wirksamen, dem Versicherungsnehmer gegenüber erfolgenden Nachprüfungsentscheidung. Es enthält – neben der erneuten Mitteilung, dass die Beklagte ihre Leistungen zum Ende Mai 2009 einstelle und einer Beschreibung der letzten beruflichen Tätigkeit der Klägerin – eine umfassende Darstellung der von der Beklagten angenommenen gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin zum Zeitpunkt des zugesagten Leistungsbeginns sowie zum Zeitpunkt des von der Beklagten angenommenen Wegfalls der Voraussetzungen. Das von ihr eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. Al. vom 06.11.2009 (Anlage K17), aus dem sich die – vermeintlichen – Grundlagen der Annahme der Beklagten ergaben, die Klägerin sei ab Juni 2009 wieder beruflich einsatzfähig, hatte die Beklagte der Klägerin schon zuvor zur Verfügung gestellt. Damit war der Zweck der von der Rechtsprechung an Form und Inhalt der Mitteilung der Einstellung der Leistungen wegen Berufsunfähigkeit, dem Versicherungsnehmer Klarheit über deren Grundlagen und seine eigenen Möglichkeiten, gegen dieses Verhalten seines Versicherers mit Aussicht auf Erfolg vorzugehen, erfüllt.
Dass das Schreiben vom 16.12.2009 den von den Bedingungen vorgesehenen Hinweis auf die Rechte des Versicherungsnehmers nicht enthielt, ist unerheblich. Damit gemeint ist erkennbar lediglich die in § 32 EBO 902 und EBO 107 geregelte „Befugnis“, die von ihm angenommenen Ansprüche gerichtlich nach Maßgabe des § 12 Abs. 3 VVG a.F. geltend zu machen. § 12 Abs. 3 VVG a.F. galt aber zum Zeitpunkt der Einstellungsmitteilung der Beklagten nicht mehr.
(3)
Das Schreiben vom 16.12.2009 rechtfertigte aber inhaltlich die Einstellung der Leistungen der Beklagten von vornherein nicht.
Zwar hat das Gutachten des Dr. Al. eine deutliche Besserung des gesundheitlichen Zustands der Klägerin festgestellt. Ungeachtet dessen hat es angenommen, dass „kundenorientierte und kundenüberzeugende Gespräche der Probandin auch in ihrem jetzigen Krankheitszustand nur unter Schwierigkeiten gelingen“ und dass sie ab Ende Mai 2009 wieder in der Lage gewesen sei, ihre bisherige Tätigkeit „ausgenommen die Kundenkontakte“ auszuüben. Sind die Kundenkontakte aber der prägende Teil der letzten Tätigkeit der Klägerin gewesen und konnte sie sie weiterhin nur zu den bedingungsgemäßen 50 % unterhalten, war das Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Al. – bei rechtlich zutreffendem Verständnis – der Fortbestand der Berufsunfähigkeit.
(4)
An die in der Einstellungsmitteilung angegebene unzutreffende Begründung war die Beklagte gebunden. Sie kann nicht später – etwa im Prozess – andere Gründe „nachschieben“, um auf diese Weise die frühere Leistungseinstellung zu „heilen“ (vgl. Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 174 Rdn. 9; OLG Nürnberg, VersR 2012, 843; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, M VI 5, Seite 617).
Das folgt aus dem Sinn und Zweck des Erfordernisses der dem Versicherer obliegenden Mitteilung und den mit ihr verbundenen Darlegungserfordernissen. Sie sollen das Vertrauen des Versicherungsnehmers in den Fortbestand der einmal eingetretenen Leistungspflicht des Versicherers schützen und Kompensation seiner Obliegenheit bieten, sich Aufklärungen und Untersuchungen über die weitere Dauer des Versicherungsfalls stellen zu müssen. Fehlt der Mitteilung des Versicherers, er stelle seine Leistungen wegen Wegfalls ihrer Voraussetzungen ein, jedoch jede tatsächliche Grundlage, muss sich der Versicherungsnehmer nicht auf einen möglichen Wegfall seiner Absicherung einstellen. Auch würde eine andere Sicht der Dinge die Gefahr des Missbrauchs bergen: Versicherer könnten ihre Leistungen – formal korrekt – einstellen und zuwarten, zu welchem späteren Zeitpunkt sich ihre Entscheidung als tatsächlich gerechtfertigt erweisen würde. Sie würde davon abgesehen auch zu Unsicherheiten führen, zu welchem unter Berücksichtigung der in den Bedingungen – und heute in § 174 Abs. 2 VVG – vorgesehenen Nachleistungspflicht eine Beendigung der Leistungspflicht eintritt.
d)
Allerdings war die Beklagte nicht gehindert, später – auch im vorliegenden Prozess – mit einer anderen Begründung und mit Wirkung für die Zukunft ein neues Nachprüfungsverfahren einzuleiten (vgl. Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 174 Rdn. 9; OLG Nürnberg, VersR 2012, 843; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, M VI 5, Seite 617).
aa)
Die hierzu erforderliche (erneute) Einstellungsmitteilung ist in dem Schriftsatz der Beklagten vom 23.03.2016 zu sehen. Der Schriftsatz enthält unter Bezugnahme auf die der Klägerin vorliegenden Gutachten eine Gegenüberstellung der von der Beklagten angenommenen Grundlagen ihrer Leistungspflicht zum Dezember 2008 mit dem gesundheitlichen Zustand der Klägerin zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung.
bb)
Nach den oben dargelegten Grundsätzen hatte die Beklagte ferner zu beweisen, dass die Klägerin zum Ende März 2016 gesundheitlich wieder in der Lage war, ihre frühere Tätigkeit als selbständige Versicherungsagentin zu mehr als 50 % auszuüben. Das ist ihr gelungen.
Der Senat ist überzeugt (§ 286 ZPO), dass die Klägerin jedenfalls ab dem Zeitpunkt ihrer Untersuchung durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Sp. nur noch zu 30 % in den ihren letzten Beruf prägenden Tätigkeiten eingeschränkt ist.
Der Sachverständige hat in seinem psychiatrischen Gutachten vom 02.06.2015 die Diagnosen einer somatoformen Schmerzstörung F45.4, einer mittelgradigen depressiven Episode F32.11 und einer Dysthymie F34.1 als im Gesamtquerschnitt mit dem ICD10 kompatibel angesehen. Die Erkrankungsbilder seien chronifiziert und führten zu Einschränkungen in der eigenverantwortlichen Entscheidungsfähigkeit, der Ausdauer (Faktor Schmerz) und der Kommunikationsfähigkeit, die für die Teiltätigkeiten „Kundenkontakt, Kundenakquise“ und „vorbereitende/nachbereitende Tätigkeiten“ jeweils zu einer 30%igen Berufsunfähigkeit führten. Das hat er in seinen mündlichen Anhörungen überzeugend erläutert. Dabei hat er das für die prägende Tätigkeit der Wahrnehmung von Kundenkontakten relevante Verweigerungsverhalten der Klägerin bei persönlichen Kontakten mit einer Persönlichkeitsproblematik begründet, in welcher er das Kernproblem für die festgestellten Beeinträchtigungen der Klägerin gesehen hat. In der Zeit des fünftägigen stationären Aufenthalts habe die Klägerin eine Vielzahl sogenannter Kundenkontakte, also Kontakte mit Behandlern, Pflegepersonal und Mitpatienten, gehabt. Dabei sei festzustellen gewesen, dass sie in Einzelgesprächen durchaus ohne Einschränkungen kommunikationsfähig gewesen sei. Lediglich Kontakte mit mehreren Personen seien ihr etwas schwerer gefallen. Dabei habe die Klägerin bei der Kommunikation aber weder extreme vegetative Zeichen gezeigt, noch hätten sich sonst bedeutsame Auffälligkeiten ergeben. Auf dieser Grundlage ist der Senat von der Schlussfolgerung des Sachverständigen überzeugt, dass insgesamt eine relevante Einschränkung der Kommunikationsfähigkeit nicht festgestellt werden konnte.
Was die depressiven Entwicklungen und die von der Klägerin behaupteten Schmerzen anbelangt, hat der Sachverständige die während des stationären Aufenthalts in der F…-A…-Klinik vom 16.03. bis zum 13.05.2009 getroffene und von dem Gutachter Dr. Al. für diesen Zeitraum offenbar übernommene Diagnose einer schweren depressiven Episode schon mangels hinreichender Objektivierung für fragwürdig erachtet; insbesondere der Umstand, dass die Klägerin seinerzeit mit einer Geringstdosierung in die Klinik aufgenommen worden sei, lasse den Rückschluss auf eine schwere depressive Episode nicht zu. Der Sachverständige selbst ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin subjektiv sicher einen hohen Leidensdruck empfinde und dass deren subjektives Leistungsempfinden stark eingeschränkt sei.
Allerdings waren dem Sachverständigen bei der Begutachtung der Klägerin deutliche Hinweise auf Aggravation aufgefallen, die sich so auch schon bei den Vorbefunden gezeigt hatten. So hat er die Klägerin bei der Exploration auch einer Simulationskontrolle unterzogen, die eine deutliche Erhöhung der Werte ergeben habe, was zugunsten der Klägerin nicht als Simulation, sondern (lediglich) als Aggravation gewertet worden ist. Aufgrund dieser Ergebnisse hat der Sachverständige bei seiner persönlichen Anhörung durch den Senat selbst die Annahme einer 30%igen Berufsunfähigkeit in Frage gestellt.
Soweit die Klägerin sich insbesondere durch unkontrolliertes Weinen und starkes Schwitzen an den Händen bei der Wahrnehmung von Kundenkontakten beeinträchtigt sieht, hat der Sachverständige hierin für die Diagnose einer Double Depression typische Einzelsymptome gesehen, denen im Fall der Klägerin stark appellativer Charakter beizumessen sei. Auch insoweit waren für die Einschätzung des Sachverständigen die festgestellten Hinweise auf Aggravation ausschlaggebend, derentwegen ihm letztlich die notwendige Objektivierung der Symptome nicht gelungen ist. Diese Einschätzung ist auch vor dem Hintergrund plausibel, dass die – behaupteten – Beeinträchtigungen jedenfalls bei der Exploration durch den Sachverständigen nicht zu relevanten Beeinträchtigungen geführt haben, obwohl gerade in dieser Situation vegetative Zeichen zu erwarten gewesen wären. Auch die von der Klägerin behaupteten Anfälle hat der Sachverständige – unterstellt, es habe sie wirklich gegeben – lediglich als Symptom gewertet, das allerdings eine eigenständige neue Diagnose nicht rechtfertige.
Auf dieser Grundlage ist der Sachverständige im Ergebnis nachvollziehbar davon ausgegangen, dass die Klägerin trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen – selbst unter Berücksichtigung des derzeitigen unbehandelten Zustands und der nicht leitliniengerechten Einnahme von Medikamenten – einer Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Umfang von 70 % standhalten könne. Das hat sich dem Sachverständigen insbesondere auch in den Untersuchungssituationen so bestätigt.
cc)
Allerdings hat der Sachverständige bezweifelt, dass sich der gesundheitliche Zustand der Klägerin seit ihrer Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. Al. gebessert hat. Das führt im Streitfall aber nicht dazu, dass die Beklagte die Voraussetzungen eines Wegfalls ihrer Leistungspflicht nicht bewiesen hätte. Denn der Klägerin ist es nach Treu und Glauben genommen, sich auf diese Unschärfen der Feststellbarkeit ihrer gesundheitlichen Entwicklung zu berufen. Denn ihre Begutachtung hat unter mangelnder Kooperationsbereitschaft und unter – bewusstseinsnahen, nicht krankheitsbedingten – Beeinträchtigungen gelitten, die eine Verlaufsanalyse nicht mit der gebotenen Gewissheit erlaubt haben. Das geht mit der Klägerin heim.
Schon der von der Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. Al. hat nennenswerte und nicht auf der Erkrankung der Klägerin beruhende – also bewusstseinsnahe – deutliche Zeichen der Aggravation ihres Leidens angenommen und testpsychologisch belegt.
Die erstinstanzlich beauftragte Sachverständige Dr. Bi. hat in ihrem Gutachten vom 10.08.2011 lediglich allgemein festgestellt, dass psychische Störungen von Juli 2008 bis Mai 2009 zu einer mehr als 50%igen Einschränkung der Berufsfähigkeit geführt hätten. Für den Zeitpunkt danach, der einerseits eine gewisse Besserung verzeichnen lasse, andererseits weiterhin eine stark schwankende Belastbarkeit bei stark schwankenden Stimmungen aufweise, sei davon auszugehen, „dass ab Mai 2009 bis heute eine durch mittelgradige Defizite fluktuierende Leistungsfähigkeit mit starken Schwankungen“ vorliege, weswegen „derzeit eine Berufsfähigkeit zu 50 %“ gegeben sei. Auf eine Wiederherstellung der Berufsfähigkeit in bedingungsgemäßem Umfang ab Juni 2009 könne hieraus aber nicht mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden. Konkret zu den prägenden Kundenkontakten hat sie in ihrem Ergänzungsgutachten vom 12.03.2012 allerdings ausgeführt, die Frage nach der Möglichkeit von Kundenkontakten könne nicht mit ausreichender Genauigkeit beantwortet werden, ohne dass eine Verhaltensbeobachtung längerer Dauer bei einer Reha-Maßnahme für psychisch Kranke erfolge. Kundenkontakte seien jedenfalls nicht völlig auszuschließen, da es durchaus Phasen der normalen Kontaktfähigkeit zu beobachten gebe. In dem fachpsychologischen Ergänzungsgutachten der Dipl. Psych. R.-W. vom 02.04.2012 heißt es lediglich, das Befinden der Klägerin scheine sich ausweislich des Entlassungsberichts der N…-Klinik B… vom 07.10.2011 so weit verbessert zu haben, „dass Kundenkontakte jetzt eher möglich erscheinen als zum Zeitpunkt der Begutachtung“. Beide Sachverständige haben ausgeführt, die Klägerin habe der Begutachtung erhebliche Widerstände entgegen gesetzt, so dass das Gesamtergebnis nur mit Einschränkung bewertet werden könne. Aufgrund der Defizite der Kooperation und der hiermit erfolgten Verzerrung des Bildes sei nur von sehr ungefähren Angaben auszugehen.
Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige Prof. Dr. Sp. sich in seiner persönlichen Anhörung durch den Senat außerstande gesehen, für den vor dem Untersuchungszeitraum liegenden Zeitraum eine schwerere, die Annahme bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit rechtfertigende Erkrankung nachzuvollziehen.
Ob und zu welchem Zeitpunkt also welche konkret – vor allem zeitlich – zu veranschlagenden funktionellen Einschränkungen der Klägerin in der Ausübung der ihren Beruf prägenden Tätigkeit der Wahrnehmung von Kundenkontakten (noch) bestanden, ist damit aufgrund des Verhaltens der Klägerin in den Untersuchungssituationen nicht feststellbar. Fest steht lediglich, dass sie zur Zeit der Untersuchung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Sp. daran jedenfalls nicht mehr in bedingungsgemäßem Maße gehindert war. Damit hat sie treuwidrig vereitelt, der Beklagten den Beweis zu ermöglichen, dass und wann eine Änderung ihres gesundheitlichen Zustands eingetreten ist und sie ihre Fähigkeiten zur Fortführung ihres Berufs in bedingungsgemäßem Maße wiedergewonnen hat.
Das geht zu ihren Lasten.
Das folgt allerdings nicht aus der Verletzung einer die Klägerin im Nachprüfungsverfahren treffenden Obliegenheit (§ 29, § 30 EBO 902, EBO 107). Unabhängig davon, ob die Beklagte die vertraglich geregelte Rechtsfolge einer Verletzung dieser Obliegenheit dem neuen Recht angepasst hat, gilt sie schon deshalb nicht, weil die Beklagte ihre Leistungen eingestellt hat, die Klägerin also nicht ihrerseits weiterhin zu obliegenheitsgemäßem Verhalten verpflichtet wäre.
Ein Versicherer, dem vertraglich zusteht, die Fortdauer des Versicherungsfalls Berufsunfähigkeit zu prüfen, ist jedoch in besonderem Maße auf die Loyalität seines Versicherungsnehmers angewiesen. Gerade in Fällen, in denen bildgebende Methoden zur Feststellung des gesundheitlichen Zustands des Versicherungsnehmers nicht zur Verfügung stehen, und in denen es deshalb maßgeblich darauf ankommt, auf der Grundlage der Darstellung der Beschwerden des Versicherungsnehmers sachverständig einschätzen zu können, ob eine einmal angenommene Berufsunfähigkeit als solche oder in dem dem Anerkenntnis des Versicherers zugrunde gelegten Grad fortbesteht, ist es entscheidend, dass der Versicherungsnehmer sich einer ärztlichen Befunderhebung und Einschätzung offen und redlich unterwirft. Dabei gilt es natürlich, subjektive aber krankheitsbedingte Verzerrungen zu würdigen. Stehen indessen bewusstseinsnahe und damit willensgesteuerte Aggravationen fest und ergeben sich aufgrund des Verhaltens des Versicherungsnehmers in der Untersuchungssituation Verzerrungen, die keine Feststellung dahin erlauben, dass er sich vor Zeiten einmal in einer schlechteren gesundheitlichen Lage befunden hat, darf er sich nach Treu und Glauben – beweisrechtlich – nicht darauf berufen, die Voraussetzungen der Leistungspflicht des Versicherers seien nicht weggefallen, weil sie nie bestanden hätten (vgl. Senat, Urt. v. 25.2.2015 – 5 U 31/14 – ZfSch 2015, 579; vgl. auch Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, M V 2 a) bb), S. 587: Stehen ausnahmsweise erst in der Nachprüfung neue und verbesserte Untersuchungsmethoden zur Verfügung, darf der Versicherer hiermit den unveränderten Gesundheitszustand überprüfen und ggf. die Leistungen unter Berufung auf das neue Beweismittel mit der Behauptung einstellen, es habe nie Berufsunfähigkeit vorgelegen). Würde man das anders sehen, hätte das Versicherungsnehmern nachteilige Vorwirkungen: Versicherer müssten im Interesse der Versichertengemeinschaft mit einem Anerkenntnis ihrer Leistungspflicht zuwarten, bis eine umfassende Dokumentation aller belegbaren gesundheitlichen – psychischen – Einschränkungen des Versicherungsnehmers vorläge; sie müssten von ihrem Vertragspartner im Nachprüfungsverfahren noch umfassendere psychiatrische Explorationen unter besonderer Betonung einer Einschätzung der Glaubwürdigkeit ihrer Beschwerdedarstellung verlangen und weitere umfassende Recherchen zur Kompatibilität des Verhaltens des Versicherungsnehmers mit seinen Beschwerdeschilderungen veranlassen. Das entspricht dem auf Vertrauen gegründeten Verhältnis der Parteien eines Versicherungsvertrages nicht.
Zu einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin führt das nicht. Nähme man zu ihren Gunsten an, dass sie in den früheren Untersuchungssituationen redlich gewesen ist, wäre von einer die Leistungseinstellung ohne Weiteres rechtfertigenden Besserung der Gesundheitsverhältnisse auszugehen.
dd)
Die das Nachprüfungsverfahren regelnde Vorschrift des § 174 VVG, die vorsieht, dass der Versicherer frühestens mit dem Ablauf des dritten Monats nach Zugang der Einstellungsmitteilung beim Versicherungsnehmer leistungsfrei wird, ist im Streitfall nicht einschlägig. Sie zählt nicht zu den in Art. 4 Abs. 2 EGVVG aufgelisteten Vorschriften des Rechts der Berufsunfähigkeitsversicherung, die auch auf Altverträge anwendbar sind (vgl. Rixecker in Römer/Langheid, VVG, 5. Aufl. 2016, § 174 Rdn. 1; Dörner in MünchKommVVG, 2. Aufl. 2017, § 174 Rdn. 4).
Im Streitfall sind die eine Nachleistungspflicht regelnden Bestimmungen in § 33 Abs. 4 EBO 902 und EBO 107 einschlägig, wonach die Einstellungsmitteilung nicht vor Ablauf eines Monats nach Absenden des Schriftsatzes vom 23.03.2016 wirksam wird. Die Frist lief mithin Ende Mai 2015 ab, so dass die Leistungspflicht der Beklagten ab dem 01.06.2016 entfallen ist.
ee)
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin war auch zur Entgegennahme der Einstellungsmitteilung bevollmächtigt. Die Prozessvollmacht gemäß § 81 ZPO ermächtigt den Bevollmächtigten zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen. Sie ermächtigt den Bevollmächtigten ferner zur Abgabe und Entgegennahme rechtsgeschäftlicher empfangsbedürftiger Willenserklärungen materiell-rechtlichen Inhalts, soweit sie sich im Rahmen des Streitgegenstands halten und der Erreichung des Prozessziels dienen (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 81 Rdn. 10). Hierunter fällt auch die als Gestaltungserklärung zu qualifizierende (vgl. Rixecker in Römer/Langheid, VVG, 5. Aufl. 2016, § 174 Rdn. 7) Einstellungsmitteilung des Versicherers (vgl. OLG Karlsruhe, RuS 2015, 81).
B. Anschlussberufung der Klägerin
Der mit der Anschlussberufung – aufgrund der Ermächtigung des Rechtsschutzversicherers vom 14.01.2010 (Anlage K7), auf welchen der Anspruch gemäß § 86 VVG übergegangen ist – in zulässiger Weise im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft weiterverfolgte Anspruch der Klägerin auf Erstattung weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren hat keinen Erfolg.
Allerdings war entgegen der Ansicht des Landgerichts die in Ansatz gebrachte 2,0-Geschäftsgebühr nicht zu beanstanden. Gemäß § 14 Abs. 1 RVG steht dem Rechtsanwalt bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 3200 ein Ermessensspielraum zu. Eine Geschäftsgebühr von mehr als 1,3 kann nach den in der Nr. 3200 aufgestellten Voraussetzungen aber nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich und schwierig war. Daraus folgt, dass eine Ausnutzung des Gebührenrahmens unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 RVG bis zum 2,5-fachen der Gebühr nur bei schwierigen und umfangreichen Sachen im billigen Ermessen des Anwalts steht, während es bei der Regelgebühr von 1,3 verbleibt, wenn Umfang und Schwierigkeit der Sache nur von durchschnittlicher Natur sind (BGH, Urt. v. 11.7.2012 – VIII ZR 323/11 – NJW 2012, 2813).
Angesichts der Schwierigkeit der im Streitfall zu klärenden Rechtsfragen, wie sie im Rahmen der Erfolgsaussichten der Berufung erörtert worden sind, bedarf die Annahme einer schwierigen Rechtsangelegenheit keiner weiteren Begründung. Dass die Angelegenheit auch umfangreich ist, schließt die Klägerin zu Recht aus dem Umstand, dass es sich um zwei Versicherungen mit unterschiedlichen Bedingungswerken handelt. Dass sich die Unterschiede möglicherweise in der rechtlichen Bewertung nicht auswirken, ändert nichts daran, dass der Aufwand einer notwendigen Überprüfung beider Bedingungswerke zunächst einmal entstanden ist. Unter diesen Umständen erscheint die geltend gemachte 2,0-Geschäftsgebühr auch nicht als unbillig (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG).
Die Klägerin kann die Erstattung ihrer außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten jedoch nur – entsprechend der Quote ihres Obsiegens – in Höhe von 1.094,32 € verlangen.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, wobei die Kostenquote sich daran orientiert, in welchem Umfang die Parteien gemessen am Gesamtstreitwert jeweils unterlegen sind. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt – entsprechend der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung 76.353,76 €.
Die Revision wird zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, soweit eine Leistungseinstellung in der Nachprüfung ohne den Nachweis einer relevanten Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse nach Treu und Glauben für zulässig gehalten worden ist.