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Berufsunfähigkeitsversicherung: Unwirksame Verweisung, BU-Kündigung wegen Formfehlern

Nachdem eine Teamassistentin aufgrund einer schweren depressiven Episode berufsunfähig wurde, stellte die Berufsunfähigkeitsversicherung die Zahlungen ein und verwies sie auf eine neue Teilzeitstelle. Die Kündigung wegen Beitragsrückständen und die konkrete Verweisung scheiterten jedoch überraschend an rein formalen Anforderungen des Versicherungsrechts.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 5 U 97/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Saarbrücken
  • Datum: 07. Mai 2025
  • Aktenzeichen: 5 U 97/22
  • Verfahren: Berufungsverfahren (zweite Instanz)
  • Rechtsbereiche: Berufsunfähigkeitsversicherung, Leistungsanspruch, Kündigungsrecht

  • Das Problem: Eine ehemalige Sekretärin forderte die vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente von ihrem Versicherer wegen einer schweren Depression. Der Versicherer weigerte sich zu zahlen und kündigte den Vertrag später wegen angeblicher Beitragsrückstände.
  • Die Rechtsfrage: Musste die Versicherung die Rente zahlen, da die Kundin wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht mehr arbeiten konnte? Durfte die Versicherung die Zahlungen einstellen, weil die Kundin später eine neue Teilzeitstelle antrat? War die Kündigung des gesamten Vertrags durch die Versicherung rechtlich gültig?
  • Die Antwort: Ja. Das Gericht sah die Berufsunfähigkeit zu mindestens 50 Prozent seit März 2018 als bewiesen an. Die Versicherung durfte ihre Leistungspflicht nicht durch den Verweis auf eine neue Arbeit einstellen, weil die Begründung formal unzureichend war. Auch die Kündigung des Vertrags wegen Beitragsrückstands war wegen eines Formfehlers in der Mahnung unwirksam.
  • Die Bedeutung: Die Kundin erhält für den Zeitraum von März 2018 bis Dezember 2023 insgesamt 86.100 Euro und bleibt für diese Zeit von den Beiträgen befreit. Das Urteil bestätigt, dass Versicherer eine Einstellung der Leistungspflicht klar und nachvollziehbar begründen müssen und strenge Anforderungen an die Formulierung einer Kündigungsmahnung gelten.

Berufsunfähigkeitsversicherung: Warum eine unwirksame Verweisung den Leistungsstopp kippen kann

Ein plötzlicher Zusammenbruch, gefolgt von Panikattacken und einer schweren Depression, stellt das Leben einer Teamassistentin auf den Kopf. Sie meldet ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung den Leistungsfall. Doch der Versicherer lehnt ab, kündigt später sogar den Vertrag wegen ausstehender Beiträge und verweist die Frau auf eine neue Teilzeittätigkeit, die sie auf dem Weg der Besserung aufgenommen hat. Das Oberlandesgericht Saarbrücken musste in seinem Urteil vom 7. Mai 2025 (Az. 5 U 97/22) klären, ob dieser Versuch des Versicherers, die Leistungspflicht zu beenden, rechtens war. Die Entscheidung offenbart, wie entscheidend formale Anforderungen für den Schutz von Versicherten sind und warum ein scheinbar kleiner Fehler in einem Schreiben weitreichende finanzielle Folgen haben kann.

Was genau war passiert?

OLG Saarbrücken kippt Leistungsstopp: Unwirksame Verweisung beendete BU-Zahlungspflicht nicht. | Symbolbild: KI

Die Klägerin, eine 1978 geborene Kauffrau, arbeitete bis Anfang 2018 als Teamassistentin in Teilzeit. Ihr Arbeitsalltag war geprägt von dem, was man gemeinhin als „Multitasking“ bezeichnet: Sie jonglierte die Postbearbeitung, E-Mail- und Telefonkorrespondenz, verwaltete Terminkalender, plante Reisen, organisierte Schulungen und pflegte diverse IT-Systeme. Es war eine anspruchsvolle Tätigkeit, die ständige Konzentration und die Fähigkeit erforderte, mit unvorhersehbaren Unterbrechungen umzugehen.

Im Februar 2018 erlitt sie in einem Geschäft einen akuten Zusammenbruch. Was folgte, war ein langer Leidensweg mit wiederkehrenden Panikattacken, Angststörungen, depressiven Verstimmungen und körperlicher Erschöpfung. Mehrere Klinikaufenthalte und Therapien bestätigten die Diagnose: eine schwere depressive Episode bei vorbestehender Angststörung. Im Juli 2018 meldete sie ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung den Leistungsfall und stellte in der Annahme, leistungsberechtigt zu sein, ihre Beitragszahlungen ein.

Der Versicherer sah die Sache anders. Mit Schreiben vom Mai 2019 lehnte er eine Leistungspflicht ab und forderte die gestundeten Beiträge zurück. Als die Zahlung ausblieb, kündigte er den Vertrag im August 2019 wegen Beitragsrückstands. Die Frau klagte.

Während des laufenden Gerichtsverfahrens fasste die Klägerin beruflich wieder Fuß. Ab September 2020 nahm sie eine neue Tätigkeit bei einer anderen Firma auf, ebenfalls im Bürobereich, aber mit reduziertem Umfang von 20 Stunden pro Woche. Für den Versicherer war dies der entscheidende Punkt: Er sah darin den Beweis, dass die Frau nicht mehr berufsunfähig war, und erklärte, seine Leistungspflicht sei spätestens mit Aufnahme dieser neuen Tätigkeit beendet.

Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?

Das Oberlandesgericht Saarbrücken gab der Klägerin in den zentralen Punkten Recht und verurteilte den Versicherer zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum von März 2018 bis Ende 2023. Die Richter stützten ihre Entscheidung auf eine sorgfältige Analyse von drei juristischen Kernfragen, bei denen der Versicherer entscheidende Fehler beging.

Der erste Schritt: War die Frau überhaupt berufsunfähig?

Zunächst musste das Gericht klären, ob die Klägerin seit Februar 2018 tatsächlich berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen war. Laut Vertrag (§ 2 der AVB) liegt eine Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person ihren zuletzt ausgeübten Beruf infolge von Krankheit voraussichtlich für mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % nicht mehr ausüben kann.

Die Klägerin trug hierfür die Beweislast. Sie schilderte detailliert ihren früheren Arbeitsalltag als Teamassistentin, der durch eine Zeugin bestätigt wurde. Dies schuf ein klares Bild der konkreten Anforderungen, die sie in gesunden Tagen bewältigen musste.

Das Herzstück der Beweisführung war jedoch das fachpsychiatrische Gutachten einer gerichtlich bestellten Sachverständigen. Diese kam nach eingehender Untersuchung der Klägerin und Auswertung zahlreicher medizinischer Unterlagen zu einem klaren Ergebnis: Die Frau litt seit ihrem Zusammenbruch an einer schweren depressiven Episode (ICD-10 F32.2). Ihre Fähigkeit, konzentrative Bürotätigkeiten auszuüben, war massiv eingeschränkt – auf anfangs maximal zwei Stunden, später auf drei bis vier Stunden täglich. Damit unterschritt ihre Belastbarkeit die 50-Prozent-Marke im Verhältnis zu ihrer früheren 24-Stunden-Woche deutlich. Das Gericht sah das Gutachten als schlüssig und überzeugend an und stellte fest, dass die Klägerin den Nachweis der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit erbracht hatte.

Der entscheidende Formfehler: Warum die Verweisung scheiterte

Der Versicherer argumentierte, selbst wenn die Frau anfangs berufsunfähig gewesen sei, habe seine Leistungspflicht spätestens mit der Aufnahme der neuen Teilzeittätigkeit im September 2020 geendet. Juristisch spricht man hier von einer konkreten Verweisung: Der Versicherer versucht, seine Zahlungspflicht zu beenden, indem er auf eine neue, tatsächlich ausgeübte Tätigkeit verweist, die der versicherten Person in Bezug auf Einkommen und soziale Stellung zumutbar ist.

Genau hier scheiterte der Versicherer jedoch an formalen Hürden. Das Gesetz (§ 174 VVG) und die Versicherungsbedingungen (§ 12 Abs. 4 AVB) schreiben vor, dass der Versicherer eine solche Leistungseinstellung in einer Mitteilung nachvollziehbar begründen muss. Es reicht nicht aus, pauschal auf die neue Tätigkeit hinzuweisen. Der Versicherer muss dem Versicherten klar und verständlich darlegen, warum er die neue Tätigkeit für eine zumutbare Alternative hält. Er muss also die alte und die neue Tätigkeit konkret gegenüberstellen und aufzeigen, dass die Kriterien der Vergleichbarkeit erfüllt sind.

Die Mitteilung des Versicherers vom Dezember 2021 erfüllte diese Anforderungen nach Ansicht des Gerichts nicht. Sie enthielt keine einzelfallbezogene Begründung, aus der die Klägerin hätte ersehen können, warum ihre neue 20-Stunden-Stelle eine vollwertige, zumutbare Verweisungstätigkeit darstellen sollte. Da diese formale Voraussetzung für eine wirksame Leistungseinstellung fehlte, erklärte das Gericht den Versuch der Verweisung für unwirksam. Ob die neue Tätigkeit materiell überhaupt vergleichbar gewesen wäre, musste das Gericht daher gar nicht mehr prüfen. Die Leistungspflicht des Versicherers bestand unverändert fort.

Ein zweiter Formfehler: Warum die Kündigung unwirksam war

Auch die Kündigung des Versicherungsvertrages vom August 2019 wegen Beitragsrückstands erklärte das Gericht für nichtig. Eine Kündigung wegen Nichtzahlung der Prämie ist an strenge gesetzliche Voraussetzungen geknüpft (§ 38 VVG). Der Versicherer muss den Versicherten zuvor mit einer qualifizierten Mahnung zur Zahlung auffordern. Diese Mahnung muss nicht nur die rückständigen Beträge genau beziffern, sondern auch eine klare Zahlungsfrist von mindestens zwei Wochen setzen und unmissverständlich auf die drohende Kündigung hinweisen.

Der Versicherer hatte in seiner Mahnung eine Frist „innerhalb von zwei Wochen“ gesetzt. Das Gericht wertete diese Formulierung als nicht ausreichend klar und eindeutig. Die gesetzliche Regelung sieht eine Frist von mindestens zwei Wochen vor, was bedeutet, dass eine Zahlung auch am 15. Tag nach Zugang der Mahnung noch fristgerecht wäre. Die Formulierung „innerhalb“ erweckt jedoch den Eindruck, die Frist ende bereits früher. Wegen dieses Mangels in der Mahnung war die darauf basierende Kündigung unwirksam. Der Versicherungsvertrag bestand somit ununterbrochen fort.

Die Argumente der Versicherung: Warum das Gericht ihnen nicht folgte

Der Versicherer brachte mehrere Gegenargumente vor, denen der Senat jedoch nicht folgte. Er kritisierte das gerichtliche Gutachten und forderte ein neues, was das Gericht jedoch ablehnte, da keine groben Mängel erkennbar waren (§ 412 ZPO). Ebenso scheiterte der Vorwurf, die Klägerin habe ihre Mitwirkungspflichten verletzt, indem sie die Aufnahme der neuen Tätigkeit nicht sofort gemeldet habe. Das Gericht stellte klar, dass diese spezielle Pflicht erst greift, wenn die Berufsunfähigkeit vom Versicherer anerkannt wurde – was hier nie der Fall war. Die formalen Schutzvorschriften zugunsten des Versicherten wogen für das Gericht schwerer als die Argumente des Versicherers.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Dieses Urteil des OLG Saarbrücken verdeutlicht eindrucksvoll zwei zentrale Prinzipien im Recht der Berufsunfähigkeitsversicherung, die für Versicherte von großer Bedeutung sind. Es handelt sich hierbei um eine Analyse der richterlichen Logik und explizit nicht um eine Rechtsberatung.

Die erste Erkenntnis ist die überragende Bedeutung von Formalitäten zum Schutz des Versicherten. Sowohl bei der Einstellung der Leistung als auch bei der Kündigung des Vertrages ist der Versicherer an ein strenges, gesetzlich vorgegebenes Verfahren gebunden. Ein Fehler in der Begründung einer Verweisung oder eine unklare Formulierung in einer Mahnung können die gesamte Maßnahme unwirksam machen. Diese formalen Anforderungen sind keine bloßen Schikanen, sondern sollen sicherstellen, dass Versicherte die Entscheidungen des Versicherers nachvollziehen und ihre Rechte angemessen wahrnehmen können. Für Versicherte bedeutet dies, dass es sich lohnt, Schreiben des Versicherers, insbesondere Einstellungsmitteilungen oder Kündigungen, sehr genau zu prüfen oder prüfen zu lassen.

Die zweite Lehre betrifft die Beweislastverteilung. Zunächst muss der Versicherte beweisen, dass er berufsunfähig ist. Gelingt ihm dies, wie hier durch eine schlüssige Eigendarstellung, Zeugenaussagen und ein überzeugendes medizinisches Gutachten, kehrt sich die Last in bestimmten Situationen um. Will der Versicherer die einmal begründete Leistungspflicht wieder beenden – etwa durch eine Verweisung –, liegt es an ihm, die Voraussetzungen dafür lückenlos und formal korrekt darzulegen. Er kann sich nicht einfach darauf zurückziehen, dass der Versicherte wieder eine Tätigkeit ausübt, sondern muss aktiv und nachvollziehbar begründen, warum diese neue Tätigkeit die Leistungspflicht beendet.

Die Urteilslogik

Die strikte Anwendung des Versicherungsvertragsgesetzes verpflichtet Versicherer, formal korrekte Verfahren einzuhalten, um die berechtigten Leistungsansprüche von Versicherten nicht willkürlich zu gefährden.

  • Begründungspflicht bei Leistungsstopp: Will der Versicherer die Leistungspflicht durch Verweis auf eine neue Tätigkeit beenden, muss er dem Versicherten in der Mitteilung klar und nachvollziehbar die konkrete Vergleichbarkeit der alten und neuen Tätigkeit darlegen.
  • Beweislast und Anerkennung der Berufsunfähigkeit: Versicherte etablieren den Anspruch auf BU-Rente, indem sie mithilfe schlüssiger medizinischer Gutachten beweisen, dass ihre Arbeitsfähigkeit aufgrund von Krankheit um mindestens 50 Prozent reduziert ist.
  • Präzision bei der Kündigungsmahnung: Eine Mahnung wegen Beitragsrückständen gilt als unwirksam, wenn die gesetzlich geforderte Mindestfrist von mindestens zwei Wochen durch unklare oder restriktive Formulierungen wie „innerhalb von zwei Wochen“ unterschritten oder verwischt wird.

Formale Mängel in den Mitteilungen des Versicherers verhindern wirksam die Beendigung der Leistungspflicht und stellen den Fortbestand des Versicherungsvertrages sicher.


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Experten Kommentar

Man könnte meinen, im Recht zählten nur die medizinischen Fakten, doch dieses Urteil zeigt eindrücklich: Es kommt auf jedes einzelne Wort im Schreiben des Versicherers an. Der Versicherer ist gleich auf zwei formellen Hürden gestolpert: Bei der Verweisung auf eine neue Tätigkeit genügt es nicht, nur darauf hinzuweisen – der Leistungsstopp muss glasklar und nachvollziehbar begründet werden. Sogar die Fristsetzung in der Mahnung war zu ungenau und machte die darauf basierende Kündigung nichtig. Für Versicherte ist das eine wichtige Bestätigung: Die formalen Schutzmechanismen sind scharf und lassen dem BU-Versicherer keinen Spielraum für Schlampigkeit, wenn es darum geht, Leistungspflicht oder Vertrag zu beenden.


FAQ Versicherungsrecht: Waage, Geld und Versicherungspolice unter Schirm mit Fragezeichen-Schild illustrieren häufige Rechtsfragen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann ist die Verweisung auf eine neue Tätigkeit in der BU-Versicherung unwirksam?

Die Verweisung auf eine andere berufliche Tätigkeit wird primär unwirksam, wenn die Mitteilung des Versicherers formale Begründungspflichten verletzt. Der Versicherer muss nach § 174 VVG eine einzelfallbezogene und nachvollziehbare Gegenüberstellung der alten und neuen Beschäftigung liefern. Fehlt diese konkrete Begründung, gilt die Verweisung sofort als unwirksam, unabhängig davon, ob die neue Tätigkeit objektiv zumutbar wäre.

Die gesetzliche Regelung verpflichtet den Versicherer, seine Entscheidung zur Leistungseinstellung klar und verständlich darzulegen. Es reicht nicht aus, nur pauschal auf die neue Beschäftigung hinzuweisen. Stattdessen ist eine detaillierte Gegenüberstellung erforderlich. Der Versicherer muss explizit vergleichen, wie sich die Anforderungen der ursprünglichen Tätigkeit (z. B. Multitasking, Stresslevel, Konzentration oder soziale Stellung) von denen der neuen Tätigkeit unterscheiden.

Diese formale Pflicht dient dem Schutz des Versicherten und sorgt für Transparenz bei der Leistungsentscheidung. Ein Beispiel: Wenn ein Schreiben des Versicherers die konkreten Anforderungen der früheren Bürotätigkeit (wie Terminkalenderverwaltung) nicht explizit mit denen der neuen, reduzierten Teilzeitarbeit vergleicht, liegt ein Formfehler vor. Dadurch muss das Gericht die materielle Frage der Zumutbarkeit gar nicht mehr prüfen. Die Leistungspflicht des Versicherers besteht in diesem Fall trotz der neuen Tätigkeit unverändert fort.

Suchen Sie sofort in der Einstellungsmitteilung nach Absätzen, in denen die konkreten Anforderungen Ihrer alten und neuen Tätigkeit explizit verglichen wurden.


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Wie prüfe ich, ob die Kündigung meiner BU-Versicherung wegen Formfehlern unwirksam ist?

Die Kündigung Ihres BU-Vertrages wegen nicht gezahlter Beiträge ist unwirksam, wenn der Versicherer formale Mängel in der Mahnung begangen hat. Besonders kritisch ist die Fristsetzung nach § 38 VVG. Ein schwerwiegender Formfehler liegt vor, wenn der Versicherer die gesetzlich vorgeschriebene Frist von mindestens zwei Wochen nicht unmissverständlich einhält. Formulierungen, die eine kürzere Frist implizieren, sind bereits unzureichend.

Der Gesetzgeber schützt Versicherte durch strikte Anforderungen an die qualifizierte Mahnung, die eine drohende Kündigung erst rechtfertigt. Die Formulierung „innerhalb von zwei Wochen“ gilt als unklar und mangelhaft. Sie erweckt den Eindruck, die Frist ende bereits am 14. Tag und entzieht Ihnen somit den vollen gesetzlichen Schutzzeitraum. Die Zahlung muss jedoch auch am 15. Tag nach Zugang der Mahnung noch fristgerecht erfolgen können, was die Mahnung klarstellen muss.

Zusätzlich zur klaren Frist muss die Mahnung zwei weitere Erfordernisse erfüllen. Der Versicherer muss die genaue Höhe der rückständigen Beiträge präzise beziffern. Außerdem muss er unmissverständlich auf die konkrete Rechtsfolge hinweisen, nämlich die drohende Vertragsaufhebung durch Kündigung. Fehlt einer dieser Punkte – sei es die unklare Frist oder die fehlende Bezifferung der Beträge – gilt die Kündigung als formell unwirksam.

Suchen Sie Ihr Mahnschreiben heraus und überprüfen Sie die exakte Wortwahl der Zahlungsfrist, insbesondere ob das Wort „mindestens“ verwendet wurde, um Ihre volle Zahlungsfrist zu garantieren.


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Was tun, wenn die BU-Versicherung meine Leistung ohne ausreichende Begründung einstellen will?

Wenn Ihr Berufsunfähigkeitsversicherer (BU) die Zahlung einstellen möchte, ohne die Gründe klar darzulegen, müssen Sie sofort handeln. Fordern Sie den Versicherer formal zur Einhaltung der strengen Begründungspflicht nach § 174 VVG auf. Eine pauschale Mitteilung ist unwirksam und verhindert den Leistungsstopp. Die Beweislastumkehr schützt Sie in dieser Situation wirksam.

Der Gesetzgeber schützt Versicherte, sobald die Berufsunfähigkeit (BU) einmal festgestellt wurde und Leistungen gezahlt werden. Ab diesem Zeitpunkt muss der Versicherer beweisen, dass die Voraussetzungen für die Leistungseinstellung erfüllt sind. Liegt eine Anerkennung vor, kehrt sich die Beweislast um. Will der Versicherer Sie auf eine neue Tätigkeit verweisen, muss er diese Entscheidung klar und verständlich begründen. Sie müssen das Einstellschreiben daher minutiös auf formale Mängel prüfen.

Konkret muss der Versicherer die alte und die neue Tätigkeit explizit gegenüberstellen und die Zumutbarkeit formal korrekt darlegen. Fehlt diese lückenlose und einzelfallbezogenen Begründung – ein typischer Fehler in der Praxis –, ist die Leistungseinstellung formell unwirksam. Dieses formelle Versäumnis wiegt vor Gericht schwerer als die materiellen Argumente des Versicherers. Ihre Ansprüche auf die BU-Rente bestehen dann unverändert fort, auch wenn Sie zwischenzeitlich wieder eine Teiltätigkeit aufgenommen haben.

Protokollieren Sie die Mitteilung des Versicherers umgehend und fordern Sie ihn schriftlich unter Fristsetzung zur lückenlosen Begründung gemäß § 174 VVG auf.


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Wie muss der Nachweis der Berufsunfähigkeit bei Depressionen durch ein Gutachten erfolgen?

Der Nachweis der Berufsunfähigkeit bei psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, erfolgt nicht allein über die medizinische Diagnose. Entscheidend ist ein fachpsychiatrisches Gutachten, das die Leistungseinschränkung präzise quantifiziert. Dieses muss klar darlegen, wie stark die verbleibende Arbeitsfähigkeit in Ihrem zuletzt ausgeübten Beruf gemindert ist, um die juristisch notwendige 50-Prozent-Marke zu belegen.

Gerichte legen den Fokus auf die konkrete Gegenüberstellung Ihrer Symptome mit den Anforderungen der früheren Tätigkeit. Zuerst müssen Versicherte den zuletzt ausgeübten Beruf detailliert schildern, inklusive aller notwendigen Fähigkeiten wie Konzentration, Stressbewältigung und Multitasking. Das Gutachten muss anschließend die Minderung der Arbeitsfähigkeit messen. Es ist nötig, festzustellen, dass die Belastbarkeit im Hinblick auf die frühere Tätigkeit voraussichtlich über sechs Monate um mindestens 50 % eingeschränkt ist.

Das Gutachten gilt nur als schlüssig, wenn es nachvollziehbar darlegt, wie die Symptomatik (etwa eine schwere depressive Episode) die Fähigkeit zur Ausübung der konkreten Aufgaben einschränkt. Nehmen wir an, Ihre Bürotätigkeit umfasste regulär 8 Stunden konzentrierter Arbeit. Ein überzeugendes Gutachten muss belegen, dass Ihre Belastbarkeit infolge der Erkrankung auf maximal 3 oder 4 Stunden reduziert ist. Ohne diesen klaren Vergleich der tatsächlichen Stundenleistung mit den früheren Anforderungen fehlt der juristische Beweis für die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit.

Erstellen Sie eine detaillierte Liste Ihrer früheren Hauptaufgaben und lassen Sie diese durch Kollegen oder Vorgesetzte bestätigen, bevor der Gutachter tätig wird.


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Welche strengen Fristen und Formfehler gelten bei einer Mahnung zur BU-Prämienzahlung?

Die Kündigung der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) wegen ausstehender Prämien scheitert oft an formalen Mängeln der Mahnung. Der Versicherer muss nach § 38 VVG eine Frist von mindestens zwei Wochen setzen und die drohende Vertragsaufhebung klar ankündigen. Fristangaben wie „innerhalb von zwei Wochen“ stellen bereits einen schwerwiegenden Formfehler dar, da sie dem Versicherten den vollen Schutzzeitraum vorenthalten.

Diese strikte gesetzliche Vorgabe dient dem Schutz des Versicherten vor vorschneller Kündigung. Die Regelung „mindestens zwei Wochen“ garantiert, dass die Zahlung auch noch am 15. Tag nach Erhalt der Mahnung fristgerecht erfolgt. Wenn der Versicherer die unpräzise Formulierung „innerhalb von“ wählt, impliziert dies eine mögliche Verkürzung des gesetzlich gewährten Zeitraums. Aufgrund dieser Ungenauigkeit wird die Mahnung als juristisch nicht qualifiziert betrachtet und die gesamte Kündigungskette ist unwirksam.

Die Mahnung muss neben der korrekten Fristsetzung auch zusätzliche Anforderungen erfüllen. Sie muss zwingend die exakte Höhe der rückständigen Beträge beziffern, die zur Zahlung offenstehen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken erklärte in einem Fall eine Kündigung für nichtig, weil genau dieser Fehler bei der Fristformulierung vorlag. Der Fokus liegt bei der Prüfung nicht nur auf der Begleichung der Schuld, sondern darauf, ob der Versicherer die technischen Formalitäten korrekt eingehalten hat.

Messen Sie anhand des Zugangsdatums der Mahnung nach, ob die Frist tatsächlich 14 volle Tage oder mehr betrug.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Illustration zum Glossar Versicherungsrecht: Waage, aufgeschlagenes Buch und Siegelrolle.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit

Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn eine versicherte Person ihren zuletzt ausgeübten Beruf aufgrund von Krankheit oder Unfall voraussichtlich für mindestens sechs Monate zu mindestens 50 % nicht mehr ausüben kann. Dieser vertraglich definierte Zustand ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass der Versicherer überhaupt zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente verpflichtet wird. Die Bedingungen stellen sicher, dass nur schwere, langanhaltende Einschränkungen einen Leistungsanspruch begründen, um die Solidargemeinschaft der Versicherten zu schützen.

Beispiel: Das Gericht musste feststellen, ob die Klägerin die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit durch ein schlüssiges psychiatrisches Gutachten nachweisen konnte, welches ihre Arbeitsfähigkeit auf unter 50 Prozent reduzierte.

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Beweislastumkehr

Die Beweislastumkehr ist ein juristischer Mechanismus, bei dem die Pflicht zum Nachweis von Tatsachen im Laufe eines Gerichtsverfahrens vom Kläger auf den Beklagten übergeht. Dieses Prinzip schützt den Versicherten wirksam, sobald der Versicherer die Leistungspflicht einmal anerkannt hat; ab diesem Zeitpunkt muss der Versicherer beweisen, dass die Voraussetzungen für die Einstellung der Rente vorliegen. Der Gesetzgeber will damit vermeiden, dass Versicherte immer wieder ihre frühere Anspruchsberechtigung belegen müssen.

Beispiel: Nachdem die Klägerin ihre anfängliche Berufsunfähigkeit bewiesen hatte, lag die Beweislastumkehr beim Versicherer, der die Wirksamkeit der konkreten Verweisung formal korrekt belegen musste.

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Konkrete Verweisung

Juristen nennen dies die Möglichkeit des Versicherers, seine Leistungspflicht zu beenden, indem er auf eine andere, tatsächlich angetretene berufliche Tätigkeit verweist, die der versicherten Person in sozialer Stellung und Einkommen zumutbar ist. Dieses Regelwerk soll verhindern, dass der Versicherer dauerhaft zahlen muss, obwohl der Versicherte durch die Aufnahme einer vergleichbaren neuen Tätigkeit objektiv nicht mehr berufsunfähig ist. Dabei muss der Versicherer jedoch strenge formale Anforderungen an die Mitteilung nach § 174 VVG einhalten.

Beispiel: Die konkrete Verweisung scheiterte im vorliegenden Fall, weil der Versicherer in seiner Mitteilung die alte und die neue Teilzeittätigkeit nicht konkret und einzelfallbezogen gegenüberstellte und somit einen Formfehler beging.

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Qualifizierte Mahnung

Eine Qualifizierte Mahnung ist eine formstrenge Zahlungsaufforderung des Versicherers, die nach § 38 VVG gesetzlich notwendig ist, um eine spätere fristlose Kündigung wegen Beitragsrückstands zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber verlangt hier strikte Eindeutigkeit: Die Mahnung muss die genaue Höhe der Rückstände beziffern, unmissverständlich auf die drohende Vertragsaufhebung hinweisen und eine klare Frist von mindestens zwei Wochen setzen, um den Versicherten vor vorschneller Kündigung zu schützen.

Beispiel: Da die Mahnung des Versicherers lediglich eine Frist „innerhalb von zwei Wochen“ setzte und damit den vollen gesetzlichen Schutzzeitraum nicht garantierte, erfüllte sie nicht die Anforderungen einer qualifizierten Mahnung und die nachfolgende Kündigung war unwirksam.

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Das vorliegende Urteil


Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 97/22 – Urteil vom 07.05.2025


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