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Berufsunfähigkeitsversicherung – rückwirkender Leistungsausschluss

OLG Hamm – Az.: 20 U 22/21 – Beschluss vom 05.05.2021

Die Berufung des Klägers gegen das am 18.12.2020 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Der Kläger, der als Metallbauer mit Fachrichtung … tätig war, schloss den Vertrag mit Versicherungsbeginn zum 01.04.2014. Die Antragstellung war am 06.01.2014. In dem Antragsformular (Anl. K19, Bl. 59 ff. der elektronischen Gerichtsakte erster Instanz, im Folgenden: eGA-I und für die zweite Instanz eGA-II) ist eine im … 2013 erfolgte Operation an der Nasenscheidewand angegeben. Im Übrigen wurden sämtliche Gesundheitsfragen verneint. Die Höhe der bei Eintritt des Versicherungsfalls zu zahlenden Rente betrug vereinbarungsgemäß 1.000,- EUR monatlich.

Am … 2016 wurde der Kläger als Fußgänger von einem PKW angefahren und erlitt Verletzungen an der Wirbelsäule, insbesondere eine Deckplattenkompressionsfraktur im Bereich der Lendenwirbelkörper 2/3.

Im August 2018 beantragte der Kläger Leistungen aus der Versicherung und machte geltend, er sei in Folge dieses Verkehrsunfalls seit Januar 2017 berufsunfähig. Wegen der Wirbelsäulenverletzung leide er an Schmerzen, die eine Ausübung der Berufstätigkeit ausschlössen.

Im Zuge der Leistungsprüfung stellte die Beklagte fest, dass der Kläger vor Antragstellung zweimalig wegen Rückenbeschwerden in ärztlicher Behandlung gewesen war. Sie erklärte deshalb durch Schreiben vom 10.11.2018 (Anl. B1, eGA-I 74 ff.) den Rücktritt vom Vertrag. In dem Schreiben wird ferner ausgeführt, dass hilfsweise eine Anpassung des Vertrages erfolgen könne, wenn der Kläger nachweise, dass die Verletzung der Anzeigeobliegenheit nur fahrlässig erfolgte.

Der Kläger reagierte darauf mit Schreiben vom 16.01.2019 (Anl. B2, eGA-I 77). Darin wies er den Vorwurf einer vorsätzlichen Verletzung der Anzeigeobliegenheit zurück; er habe diese „höchstens fahrlässig“ verletzt. Mit dem Leistungsausschluss sei er einverstanden.

Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 30.01.2019 (Anl. B3, eGA-I 78 ff.) eine aktuelle Fassung des Versicherungsscheins verbunden mit dem Hinweis, dass sie den Vertrag „mit einem Leistungsausschluss aufgrund Erkrankungen der Wirbelsäule reaktiviert“ habe. In dem Versicherungsschein heißt es (eGA-I 81):

Besondere Vereinbarungen zu Erkrankungen an der Wirbelsäule

Es gilt als vereinbart, dass Minderbelastbarkeiten sowie alle Bewegungsstörungen und Schmerzsyndrome der Wirbelsäule einschließlich der beteiligten Wirbelsäulenmuskulatur, wirbelsäulenbedingte neurologische Symptome (z.B. Lähmungen, Gefühlsstörungen) einen Leistungsanspruch aus der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht bedingen und bei der Feststellung des Grades der Berufsunfähigkeit aus anderen Gründen unberücksichtigt bleiben.

Sofern sie aber Folgen erstmals nach Vertragsabschluss aufgetretener Tumorerkrankungen der Wirbelsäule, Frakturschäden der Wirbelsäule, Querschnittslähmung sowie Infektionserkrankungen der Wirbelsäule sind, sind sie in den Versicherungsschutz eingeschlossen und bei der Festsetzung des Grades der Berufsunfähigkeit mit zu berücksichtigen.

Der Nachweis, dass die vorgenannten Erkrankungen erstmalig nach Vertragsabschluss aufgetreten sind, ist vom Versicherten durch Vorlage objektivierbarer Befunde und ärztlich gesicherter Diagnosen sowie Aussagen zu Ausmaß und Grad der damit verbundenen Leistungseinschränkungen zu erbringen.

Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen bedingen in keinem Fall eine Leistungspflicht.

Besondere Vereinbarungen

Der Leistungsausschluss gilt ab Vertragsbeginn.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung rückständiger Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 1.000,- EUR für den Zeitraum von Februar 2017 bis einschließlich Oktober 2019, insgesamt also 33.000,- EUR nebst Zinsen, ferner die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer künftigen Rente von 1.000,- EUR monatlich ab November 2019, die Feststellung der Beitragsfreiheit seit Februar 2017, die Rückzahlung von Prämienleistungen sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers seien von dem Leistungsausschluss erfasst, da dieser für Schmerzen und Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule gelte. Eine Auslegung ergebe, dass der Leistungsausschluss rückwirkend für die gesamte Zeit seit dem ursprünglichen Abschluss des Vertrages gelte. Den Nachweis, dass die von ihm geltend gemachte Berufsunfähigkeit auf einer nach Vertragsschluss erfolgten Fraktur beruhe, habe der Kläger nicht erbracht.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der Anträge, des Tenors und der Begründung des Urteils wird auf dieses Bezug genommen (eGA-I 319 ff.).

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er ist insbesondere der Auffassung, das Landgericht habe den Leistungsausschluss fehlerhaft ausgelegt. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer in der Position des Klägers habe nicht erkennen können, dass ein rückwirkender Leistungsausschluss gewollt gewesen sei. Zudem könne sich die Beklagte wegen einer Verletzung ihrer Beratungspflichten nicht auf die Rückwirkung des Leistungsausschlusses berufen. Sie habe nicht nur nicht ausreichend deutlich gemacht, dass eine solche Rückwirkung gewollt sei, sondern dies sogar verschleiert. Ein wirksamer Rücktritt der Beklagten scheitere im Übrigen auch daran, dass diese den Kläger nicht gemäß § 19 Abs. 5 VVG hinreichend belehrt habe. Schließlich sei das Landgericht gehalten gewesen, ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten einzuholen. Wegen der Berufungsbegründung im Einzelnen wird verwiesen auf den Schriftsatz des Klägers vom 16.03.2021 (eGA-II 33 ff.).

Der Kläger beantragt, in Abänderung des landgerichtlichen Urteils

1.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Berufsunfähigkeitsrenten für den Zeitraum Februar 2017 bis einschließlich Oktober 2019 in Höhe von 33.000,00 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.08.2019 zu zahlen,

2.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn monatlich ab November 2019 längstens bis zum 01.01.2055 jeweils bis zum fünften Werktag des Monats eine Berufsunfähigkeitsrente von 1.000,00 EUR zu zahlen,

3.) festzustellen, dass der Kläger seit Februar 2017 von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeits-Versicherung Nr. 01 befreit ist,

4.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn Versicherungsbeiträge in Höhe von 2.671,48 EUR zurückzuzahlen,

5.) die Beklagte zu verurteilen, ihm vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.085,95 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat durch Beschluss vom 06.04.2021 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss des Senats (eGA-II 74 ff.) verwiesen.

Der Kläger hat sich gegen die beabsichtigte Zurückweisung gewandt. Wegen der Einwendungen wird verwiesen auf den Schriftsatz vom 10.04.2021 (eGA-II 84 ff.).

II.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

1.

Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat die auf Feststellung des Fortbestandes eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages und auf die Erbringung von Leistungen nach einem behaupteten Versicherungsfall gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufungsangriffe des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 16.03.2021 (eGA-II. 33 ff.) greifen – auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 03.05.2021 (eGA-II 92) – nicht durch.

a)

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erbringung von Rentenzahlungen nebst Zinsen, auf Rückzahlung geleisteter Prämien und auf Feststellung der Befreiung von der Prämienzahlungspflicht aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag.

Es besteht ein wirksamer Leistungsausschluss für Erkrankungen der Wirbelsäule (unten aa), und die vom Kläger geltend gemachte Berufsunfähigkeit aufgrund von Schmerzen der Wirbelsäule ist von diesem Leistungsausschluss erfasst (unten bb).

aa)

Der zwischen den Parteien bestehende Versicherungsvertrag beinhaltet einen rückwirkend ab Vertragsschluss geltenden Leistungsausschluss für Erkrankungen der Wirbelsäule.

(1)

Dies ergibt sich schon aus der vertraglichen Einigung der Parteien über die Geltung eines solchen Leistungsausschlusses.

(a)

Davon, dass die Beklagte in treuwidriger Weise auf die Entscheidung des Klägers, den Leistungsausschluss zu akzeptieren, Einfluss genommen hätte, kann keine Rede sein.

(b)

Entgegen der Auffassung des Klägers in der Berufungsbegründung ergibt eine Auslegung der beiderseitigen Erklärungen nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB eindeutig, dass dieser Leistungsausschluss rückwirkend ab Vertragsschluss gelten sollte.

Empfangsbedürftige Willenserklärungen, bei deren Verständnis regelmäßig auch der Verkehrsschutz und der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers maßgeblich ist, sind so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (st. Rspr, vgl. statt vieler BGH, Urteil vom 16.10.2012 – X ZR 37/12, VersR 2013, 779, juris Rn. 18).

Für einen objektiven Empfänger in der Position des Klägers ergab sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 10.11.2018 (Anl. B1, eGA-I 74 f.) eindeutig, dass diese von einer Verletzung der Anzeigepflicht insofern ausging, als der Kläger bei Antragstellung diverse Behandlungen wegen Rückenschmerzen verschwiegen habe. In dem Schreiben heißt es weiter ausdrücklich:

„Bei Kenntnis Ihrer Beschwerden vor Antragstellung hätten wir die Berufsunfähigkeitsversicherung nur mit einem Leistungsausschluss für Erkrankungen der Wirbelsäule angenommen.“

Angesichts dessen war für einen objektiven Empfänger in der Position des Klägers auch ohne ausdrückliche Klarstellung unschwer zu erkennen, dass der im weiteren Verlauf angesprochene Leistungsausschluss nur den Sinn haben konnte, Erkrankungen an der Wirbelsäule rückwirkend vom Versicherungsschutz auszunehmen. Denn die Beklagte teilte ausdrücklich mit, dass sie bei ordnungsgemäßer Information über die Vorbehandlungen des Klägers einen ebensolchen Leistungsausschluss von Anfang an zur Voraussetzung für den Vertragsschluss gemacht hätte.

Maßgeblich ist damit für die Auslegung der beiderseitigen Erklärungen entgegen dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 03.05.2021 nicht, ob die Beklagte sich einseitig von dem Vertrag hätte lösen können oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass die Erklärung der Beklagten ersichtlich auf einen rückwirkenden Ausschluss abzielte. Es liegt geradezu fern anzunehmen, dass die Beklagte bei der Prüfung eines Versicherungsfalls wegen Beschwerden der Wirbelsäule einerseits eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gerade wegen des Verschweigens von Rückenschmerzen geltend macht, andererseits aber dennoch einen Leistungsausschluss nur für die Zukunft vereinbaren und hinsichtlich der Wirbelsäulenbeschwerden Versicherungsschutz gewähren will. Entgegen der Berufungsbegründung bedurfte es keiner ausdrücklichen Klarstellung, dass der Leistungsausschluss „ex tunc“ gelten sollte, weil dies für einen objektiven Empfänger auf der Hand lag. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 03.05.2021, wonach es nach der „offenkundigen und auch für die Beklagte erkennbaren Interessenlage“ keinen Anlass für den Kläger gegeben habe, einem rückwirkenden Leistungsausschluss zuzustimmen, gehen an der Sache vorbei. Der Kläger konnte und durfte die Erklärung der Beklagten aus den dargelegten Gründen nur im Sinne eines solchen rückwirkenden Leistungsausschluss verstehen, und die Beklagte durfte deshalb auch die vom Kläger erklärte Zustimmung entsprechend einordnen.

Ob nicht ein auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlicher ausdrücklicher Hinweis auf die Geltung „ex tunc“ im Übrigen auch darin lag, dass in dem Schreiben vom 10.11.2018 auf Ziffer 3 der Belehrung nach § 19 Abs. 4 VVG verwiesen wurde, bedarf angesichts dessen keiner Prüfung.

(c)

Selbst wenn der Kläger womöglich – trotz des objektiv anderen Inhalts seiner Erklärung, siehe oben – davon ausgegangen sein sollte, er stimme nur der Einbeziehung eines Leistungsausschlusses für die Zukunft zu, hat der anwaltlich vertretene Kläger eine Anfechtung seiner Willenserklärung, mit der den Leistungsausschluss akzeptierte, nicht fristgerecht erklärt.

(d)

Die Beklagte ist auch nicht unter Schadensersatzgesichtspunkten gemäß § 6 Abs. 1, 4 und 5 VVG daran gehindert, sich auf die Rückwirkung des Leistungsausschlusses zu berufen. Wie bereits dargelegt war für einen objektiven Empfänger in der Position des Klägers offensichtlich, dass der Leistungsausschluss nur den Sinn haben konnte, auch rückwirkend Ansprüche des Klägers wegen Wirbelsäulenbeschwerden auszuschließen. Davon, dass – wie es der Kläger in seinem Schriftsatz vom 03.05.2021 geltend macht – die Beklagte die Rückwirkung des Ausschlusses „verschleiert“ habe, kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Beklagte hierüber nicht noch einmal gesondert gemäß § 6 Abs. 4 VVG beraten musste.

(2)

Im Übrigen wären aber auch die Voraussetzungen für eine einseitige rückwirkende Einbeziehung des Leistungsausschlusses gemäß § 19 Abs. 4 S. 2 VVG erfüllt. Der Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 03.05.2021, wonach die Parteien einen nachträglichen Leistungsausschluss nur im wechselseitigen Einvernehmen vereinbaren konnten, trifft nicht zu.

(a)

Es lag in objektiver Hinsicht eine Verletzung der Anzeigepflicht aus § 19 Abs. 1 VVG vor, was auch der Kläger nicht in Abrede stellt.

(b)

Diese Verletzung war vom Kläger zu vertreten. Da ihm die vor Antragstellung erfolgten Behandlungen bewusst und die entsprechende Antragsfrage (eGA-II 61) nach Erkrankungen, Gesundheits- oder Funktionsstörungen „der Wirbelsäule oder Bandscheiben (z.B. Bandscheibenvorfall, Nacken- oder Rückenschmerzen, …)“ unschwer verständlich war, erfolgte die Anzeigepflichtverletzung zumindest fahrlässig. Davon geht auch der Kläger selbst in seinem Schreiben an die Beklagte vom 16.01.2019 aus (Anl. B2, eGA-I 77). Wenn der Kläger in seinem Schriftsatz vom 03.05.2021 darauf verweist, die Beklagte habe sich bei einer nur einfach fahrlässigen Verletzung der Anzeigeobliegenheit nicht einseitig vom Vertrag lösen können, übersieht er, dass es hier um die nachträgliche Vereinbarung eines Leistungsausschlusses gemäß § 19 Abs. 4 S. 1 und 2 VVG geht, für die – anders als für den Rücktritt – einfache Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers ausreichend ist.

(c)

Es ist unstreitig, dass die Beklagte den Antrag des Klägers in Kenntnis der verschwiegenen Vorbehandlungen nur mit dem in Rede stehenden Leistungsausschluss angenommen hätte.

(d)

Soweit der Kläger erstmals in der Berufungsbegründung geltend macht, er sei nicht ordnungsgemäß nach § 19 Abs. 5 VVG belehrt worden, greift dies nicht durch unabhängig davon, ob dieser Vortrag nach Maßgabe von § 531 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz überhaupt noch zuzulassen wäre.

Das Antragsformular enthält auf Seite 2 (eGA-II 60) und damit vor den eigentlichen Antragsfragen eine drucktechnisch – durch Fettdruck – hervorgehobene Belehrung darüber, dass eine Verletzung der Anzeigepflicht zu einem Rücktritt, einer Kündigung oder einer Vertragsanpassung führen kann. Daneben wird auf die detaillierten Informationen in einer gesonderten Mitteilung nach § 19 Abs. 5 VVG verwiesen, wobei aus der Belehrung deutlich hervorgeht, dass der Versicherungsnehmer diese in der ihm überlassenen Verbraucherinformation findet.

Der pauschale Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung (dort S. 9, letzter Absatz, eGA-II 41), er habe eine solche Verbraucherinformation nie erhalten, ist unbeachtlich, und zwar wiederum unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Zulassung dieses Vorbringens in der Berufungsinstanz erfüllt sind. Denn aus dem von ihm selbst vorgelegten Antragsformular ergibt sich, dass der Kläger den Erhalt der Verbraucherinformation durch eine eigene Unterschrift bestätigte (eGA-II 62). Ein solches gesondert unterschriebenes Empfangsbekenntnis, das gemäß § 309 Nr. 12 lit. b) BGB auch in AVB zulässig ist, begründet ein beweiskräftiges Indiz für den Empfang der Unterlagen (BGH, Urteil vom 28.09.1987 – II ZR 35/87, NJW-RR 1988, 881; Senat, Beschluss vom 24.10.2014 – 20 U 73/14, juris Rn. 8; Senat, Beschluss vom 18.10.2019 – 20 U 165/19, juris Rn. 9; OLG Jena, Urteil vom 07.08.2020 – 4 U 1075/19, juris Rn. 49). Das einfache Bestreiten des Erhalts der Unterlagen durch den Kläger ohne nähere Darlegung, warum er dennoch das Empfangsbekenntnis unterzeichnete, ist ungeeignet, dieses Indiz zu entkräften.

bb)

Die vom Kläger geltend gemachte Berufsunfähigkeit seit Januar 2017 wegen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule ist von dem Leistungsausschluss erfasst.

(1)

Der Sachverständige A hat in erster Instanz überzeugend ausgeführt, dass an den oberen oder unteren Extremitäten keinerlei Vorerkrankungen, Verschleißleiden oder Unfallfolgen festgestellt werden konnten. Mögliche Leistungseinschränkungen bestünden daher allenfalls im Zusammenhang mit dem Rumpfskelett (eGA-I 230). Die Wirbelfrakturen, die der Kläger unstreitig durch den Unfall erlitt, waren aber dem Sachverständigen zufolge ohne eine Veränderung der Wirbelsäulenstatik verheilt (eGA-I 231). Diese Frakturen seien folgenlos ausgeheilt (eGA-I 231). Es seien im Rahmen der Begutachtung lediglich Verschleißerscheinungen an der Becken- und Lendenwirbelsäule nachgewiesen worden (a.a.O.). Diese seien „allein degenerativer Genese“ (eGA-I 232).

Eben solche degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen sind aber vom Leistungsausschluss seinem klaren Wortlaut nach eindeutig erfasst, denn dort heißt es, dass degenerative Wirbelsäulenerkrankungen in keinem Fall eine Leistungspflicht bedingen (eGA-I 81).

(2)

Zwar greift der Leistungsausschluss dann nicht ein, wenn Minderbelastbarkeiten, Bewegungsstörungen und Schmerzsyndrome Folgen eines erstmals nach Vertragsschluss eingetretenen Frakturschadens der Wirbelsäule sind.

Der Senat hat aber keine Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 ZPO an den vom Landgericht festgestellten Tatsachen und an der darauf gestützten Bewertung, dass der Kläger den ihm obliegenden Nachweis der Voraussetzungen dieses Wiedereinschlusses nicht erbracht hat und ein solcher Nachweis nicht zu erbringen ist.

Vielmehr ist es nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen so, dass die behaupteten Beeinträchtigungen des Klägers bei der Ausübung seines Berufs in keinem feststellbaren Zusammenhang mit den unstreitig erlittenen Wirbelfrakturen stehen. Der Sachverständige konnte zweifelsfrei feststellen, dass diese Wirbelfrakturen folgenlos verheilt waren und als objektivierbare Erklärung für die vom Kläger behaupteten Schmerzen ausscheiden. Der Sachverständige kommt deshalb zu dem Schluss, dass ein chronifiziertes Schmerzsyndrom führend sei, das aber mit dem Unfall – und mithin auch mit den bei diesem Unfall erlittenen Frakturen – in keinem Zusammenhang stehe (eGA-I 231).

Aus den vorstehenden Gründen greift auch der Berufungsangriff nicht, wonach der Sachverständige verkannt habe, dass es im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung – anders als etwa bei der Unfallversicherung – gerade nicht darauf ankomme, wodurch die gesundheitliche Beeinträchtigung genau verursacht wurde. Denn für die Frage, ob der Wiedereinschluss greift, weil die Beeinträchtigungen auf einer nach Vertragsschluss erlittenen Fraktur beruhen, kommt es hier – wie auch das Landgericht völlig zutreffend erkannt hat – eben doch auf die dargestellten Kausalzusammenhänge an.

(3)

Entgegen dem Vorbringen in der Berufungsbegründung war das Landgericht nicht gehalten, ein weiteres – neurologisch-psychiatrisches – Sachverständigengutachten einzuholen.

Das Gutachten des Sachverständigen A und seine Aussage, dass beim Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom führend sei, welches aber nicht mit dem Unfall in Zusammenhang stehe (eGA-I 231), sind klar und eindeutig. Es seien lediglich degenerative Veränderungen feststellbar, die aber „in keinem Zusammenhang mit dem stattgehabten Unfall“ stünden (eGA-I 231). Der Sachverständige hat an keiner Stelle angedeutet, dass ihm für diese Feststellung die nötige Erfahrung oder Sachkunde fehlen könnte; auch sonst sind dafür keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Der Sachverständige hat zwar seinem Gutachten die Bemerkung hinzugefügt, dass er eine neurologisch-psychiatrische Behandlung des Klägers für ratsam halte. Ein solcher Rat liegt ausgehend von dem Ergebnis des Gutachtens, dass die Schmerzen des Klägers nicht orthopädisch, sondern nur durch ein chronisches Schmerzsyndrom erklärlich seien, auch nahe. Das ändert aber nichts daran, dass der Sachverständige zu dem eindeutigen und klaren Ergebnis gekommen ist, dass zwischen den erlittenen Frakturen, die Anknüpfungspunkt für den Wiedereinschluss sein könnten, und den Schmerzen keinerlei Zusammenhang feststellbar ist. Sein Rat zu einer neurologisch-psychiatrischen Behandlung des Schmerzsyndroms betraf eben lediglich eine solche Behandlung und nicht die Feststellung von Folgen der Wirbelfrakturen.

Auf solche weitere Fragen zu den Folgen des Schmerzsyndroms für die Berufsunfähigkeit des Klägers oder eine Behandelbarkeit kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an. Das übersieht der Kläger weiterhin, wenn er auch im Schriftsatz vom 03.05.2021 noch ausführt, der Sachverständige habe „die entscheidungserheblichen Fragen zur Berufsunfähigkeit des Klägers“ nicht selbst beantworten können. Es geht vorliegend gerade nicht darum, ob und in welchem Umfang der Kläger aufgrund des Schmerzsyndroms gehindert war, seiner Tätigkeit nachzugehen. Entscheidend ist vielmehr, dass keine Zweifel an der landgerichtlichen Feststellung bestehen, wonach dieses Schmerzsyndrom jedenfalls nicht durch die erlittenen Frakturen verursacht ist und damit auch von dem Wiedereinschluss nicht erfasst wird.

(4)

Das Landgericht hat schließlich auch keinen Verfahrensfehler begangen, weil es mit Zustimmung der Parteien ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden und demnach auch dem hilfsweise gestellten Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nicht entsprochen hat.

(a)

Zwar ist eine mündliche Anhörung des Sachverständigen auf Antrag einer Partei grundsätzlich geboten, weil ihr ein Fragerecht gemäß §§ 402, 397 ZPO zusteht (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 07.05.2019 – VI ZR 257/17, MDR 2019, 1013). Auch das Berufungsgericht muss daher grundsätzlich einem in der Berufungsinstanz wiederholten Antrag stattgeben, ohne dass es darauf ankommt, ob das Gericht von sich aus noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von der Partei nachvollziehbar dargetan worden ist (BGH, Beschluss vom 30.05.2017 – VI ZR 439/16, VersR 2017, 1295).

Etwas anderes gilt jedoch ausnahmsweise, wenn der Antrag mit der Ankündigung von solchen Fragen begründet wird, die von vornherein beweisunerheblich sind (Zöller/Greger, ZPO. 33. Aufl. 2020, § 411 Rn. 5).

So liegt es hier.

Der Antrag auf mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen ist schon in erster Instanz und auch in der Berufungsinstanz damit begründet worden, dass der Sachverständige eine entscheidungserhebliche Frage nicht beantwortet habe, nämlich die Frage, in welchem Umfang die festgestellte Schmerzsymptomatik zu einer Berufsunfähigkeit des Klägers führte (Schriftsatz vom 03.11.2020, dort S. 3, eGA-I 267). Auf diese Frage kommt es aber aus den dargelegten Gründen entgegen der Auffassung des Klägers nicht beweiserheblich an. Denn selbst wenn die Schmerzsymptomatik zu einer Unfähigkeit des Klägers geführt haben sollte, seinen zuletzt ausgeübten Beruf (teilweise) weiter zu verrichten, würde dies nichts daran ändern, dass ein Zusammenhang zwischen der Schmerzsymptomatik und der erlittenen Wirbelfraktur nicht feststellbar ist und deshalb aus den oben ausführlich dargelegten Gründen der vereinbarte Leistungsausschluss eingreift. Auch in seiner Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Senats macht der Kläger unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen und die Berufungsbegründung weiterhin nur geltend, der Sachverständige habe entscheidungserhebliche Fragen zur Berufsunfähigkeit nicht beantworten können, weil er das chronische Schmerzsyndrom von orthopädischer Seite nicht habe erklären können. Eben dies, also dass es keine orthopädische Erklärung für das Schmerzsyndrom gibt, führt aber aus den dargelegten Gründen dazu, dass der Wiedereinschluss nicht greift.

Im Übrigen – worauf der Senat aber für seine Entscheidung nicht abstellt – hat der Kläger erstinstanzlich zudem die Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt (Schriftsatz vom 09.11.2020, eGA-I 278) und dabei nur wiederholt, dass aus seiner Sicht eine neurologisch-psychiatrische Zusatzbegutachtung erforderlich sei. Mit einer solchen Entscheidung im schriftlichen Verfahren war eine mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen zwangsläufig unvereinbar.

(b)

Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass auch für den Senat kein Anlass besteht, den Sachverständigen mündlich zu hören.

b)

Mangels Bestehen eines Hauptanspruchs kann der Kläger schließlich auch nicht den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten beanspruchen.

2.

Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichts. Schließlich ist eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 03.05.2021 hat die Frage, ob – wie nicht – eine Verletzung der Beratungspflicht nach § 6 Abs. 1, 4 und 5 VVG vorlag, keine grundsätzliche Bedeutung.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung dieses Beschlusses unmittelbar aus § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.

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