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Berufsunfähigkeitsversicherung – Obliegenheitsverletzung und ungültige Versicherungsbedingungen

LG Hamburg, Az.: 332 O 62/16, Urteil vom 09.11.2016

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer… 12.118,88 € zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 1.514,86 € ab dem 2.10., 3.11., 2.12.2015, 5.1., 2.2., 2.3., 2.4. und 3.5.2016,

2. Es wird festgestellt, dass die Klausel § 11 der „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung der Tarifgruppe SBU 07 – Ausfertigungstag 24.11.2007“ in der Fassung „Änderungen durch das neue Versicherungsvertragsgesetz für selbständige Berufsunfähigkeitsversicherungen“ nicht Inhalt des Berufsunfähigkeitsvertrages zur Versicherungsscheinnummer… geworden ist, der Vertrag vielmehr ohne diese gegen § 28 VVG verstoßende, unwirksame Klausel besteht.

3. Die weitergehende Klage (Feststellungsantrag zu Ziffer 3.1.) wird abgewiesen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 75.198,42 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin Obliegenheiten verletzt hat.

Zwischen den Parteien besteht eine Berufsunfähigkeitsversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung der Tarifgruppe SBU 07 – nach dem Vorbringen der Klägerin Stand 01.07 (AVB 2007) zugrunde liegen und wonach eine Berufsunfähigkeitsrente im Fall einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % in Höhe von monatlich 1.393,60 € und eine Befreiung von Beiträgen, zuletzt gezahlt 121,26 €, vereinbart ist (Anlage K1).

Die 1963 geborene Klägerin war als Qualitätsmanagerin bei der D. P. angestellt. Nachdem sie 2013 psychisch erkrankte und deswegen seit dem 2.4.2013 arbeitsunfähig war, erkannte die Beklagte nach Antragstellung und Prüfung mit Schreiben vom 28.5.2014 (Anlage K2) rückwirkend zum 1.5.2013 ihre Leistungspflicht an.

2015 leitete die Beklagte ein Nachprüfungsverfahren ein und forderte die Klägerin mit Schreiben vom 30.5.2015 (Anlage K3) auf, Vordrucke ihre Berufstätigkeit, etwaige Beschwerden und eine Rente sowie Schweigepflichtentbindungserklärungen betreffend (Anlage K4) auszufüllen und der Beklagten einzureichen.

Berufsunfähigkeitsversicherung - Obliegenheitsverletzung und ungültige Versicherungsbedingungen
Symbolfoto: fizkes/Bigstock

Nach Einschaltung ihrer Prozessbevollmächtigten, so die Klägerin, teilte diese der Beklagten mit Schreiben vom 29.6.2015 (Anlage K5) mit, dass derartige Mitwirkungspflichten nicht bestünden und dass sie auch zukünftig bei keinem Nachprüfungsverfahren mitmachen werde. Die Beklagte drohte daraufhin die Leistungseinstellung an, wenn die Klägerin nicht mitwirke (Anlage K6). Daraufhin wurde ihr durch die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt, dass eine Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren abgelehnt werde, weil die Beklagte ihre Bedingungen nicht dem neuen VVG angepasst habe (Anlage K7). Daraufhin behauptete die Beklagte, dass sie alle Verträge angepasst und ihre Kunden 2008 über die Umstellung der Altverträge informiert habe. Eine entsprechende Änderungsmitteilung sei der Klägerin nebst der Information „Änderungen durch das neue Versicherungsvertragsgesetz für selbständige Berufsunfähigkeitsversicherungen“ am 16.10.2008 versandt worden (Anlage K9). Daraufhin teilte Rechtsanwalt B. mit, dass die Klägerin keine entsprechende Änderungsmitteilung erhalten habe (Anlage K10).

Die Beklagte stellte daraufhin die Rentenzahlungen zum 30.9.2015 ein. Die Klägerin nahm die Beitragszahlungen in Höhe von monatlich 121,26 € ab dem 1.10.2015 wieder auf.

Mit Schreiben vom 28.6.2016 (Anlage K14) hat die Beklagte in Hinblick auf die von der Klägerin im Rechtsstreit eingereichte Stellungnahme der Fachärztin Frau K. R. sowie des Rentenbescheids (Anlagen K12 und 13) für die Zeit ab dem 1.6.2016 ihre Leistungspflicht anerkannt (Anlage K 14).

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, die Leistungen einzustellen, weil die AVB nicht an die neue Gesetzeslage angepasst worden seien und weil sie bereits auf der Grundlage der AVB 2007 nicht verpflichtet gewesen sei, die verlangten Unterlagen einzureichen. Die behauptete Änderungsmitteilung vom 16.10.2008 habe sie nicht erhalten, die Beklagte könne eine Kopie dieses Schreibens nicht einmal vorlegen. Auch ihr Versicherungsmakler habe dies nicht erhalten und sei auch nicht empfangsbevollmächtigt gewesen noch empfangszuständig (Art. 1 Abs. 3 EGVVG).

Auch die neuen Regelungen der AVB seien unwirksam, weil dort auch auf etwaige Obliegenheitsverletzungen des Anspruchsinhabers abgestellt werde, der jedoch, wenn er nicht Versicherungsnehmer oder versicherte Person sei, keine Obliegenheiten zu erfüllen habe. Außerdem werde aus den Neuregelungen nicht deutlich, dass auch der vorsätzliche Verstoß zu keiner Leistungsfreiheit führe, wenn er weder für die Feststellung noch den Umfang der Leistungspflicht ursächlich sei. Außerdem habe der Versicherungsnehmer auch nach neuem Recht nicht die Obliegenheit, Unterlagen einzureichen. Schließlich weist sie darauf hin, dass die Bedingungen keinen Hinweis darauf enthalten, dass durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen von Obliegenheitsverletzungen hingewiesen werden müsse.

Die Klägerin sei auch andauernd aufgrund ihrer psychischen Erkrankung vollständig erwerbsgemindert (Anlage K13).

Die Klägerin hat zunächst folgende Anträge angekündigt,

1.) die Beklagte zu verurteilen, an sie aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer… 7.574,30 € zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 1.514,86 € ab dem 2.10., 3.11., 2.12.2015, 5.1. und 2.2.2016,

2.) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer… beginnend ab März 2016 längstens bis zum 30.9.2028 eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von jeweils 1.393,60 € monatlich zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf und zwar jeweils ab dem auf den ersten Werktag eines jeden Monats folgenden Tag für den Fall, dass die Zahlung durch die Beklagte nicht am ersten Werktag eines jeden Monats erfolgt,

3.) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin ab dem 1.3.2016 bis längstens zum 30.9.2028 von der Prämienzahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer… zu befreien,

4.) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.393,60 € monatlich durch Überschusszuweisungen in Form einer etwaigen monatlichen Bonusrente, berechnet nach § 17 Abs. 5 AVB zu erhöhen, längstens bis zum 30.9.2028.

Die Klägerin beantragt zuletzt:

1.) die Beklagte zu verurteilen, an sie aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer… 12.118,88 € zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 1.514,86 € ab dem 2.10., 3.11., 2.12.2015, 5.1. , 2.2., 2.3., 2.4. und 3.5.2016,

2.) festzustellen, dass die Klausel § 11 der „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung der Tarifgruppe SBU 07 – Ausfertigungstag 24.11.2007“ in der Fassung „Änderungen durch das neue Versicherungsvertragsgesetz für selbständige Berufsunfähigkeitsversicherungen“ nicht Inhalt des Berufsunfähigkeitsvertrages zur Versicherungsscheinnummer… geworden ist, der Vertrag vielmehr ohne diese gegen § 28 VVG verstoßende, unwirksame Klausel besteht,

3. festzustellen,

3.1. dass die Beklagte § 11 der „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung der Tarifgruppe SBU 07 – Ausfertigungstag 24.11.2007“ zur Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Versicherungsnummer… nicht wirksam nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG mit Wirkung zum 1.1.2009 geändert hat.

Den zwischenzeitlich noch gestellten Antrag zu 3.2: festzustellen, dass die Beklagte folglich auch nicht eine etwaige Obliegenheitsverletzung der Klägerin in einem etwaigen Nachprüfungsverfahren mit einer Leistungskürzung oder gar Leistungsfreiheit sanktionieren kann, auch nicht über andere Rechtsinstitute wie Treu und Glauben, Verwirkung oder Zurückbehaltungsrecht- hat sie mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

Im Übrigen hat sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Beklagte schließt sich der Erledigungserklärung an und beantragt im Übrigen Klagabweisung.

Die Beklagte wendet folgendes ein: Sie sei wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung der Klägerin leistungsfrei.

Mit Schreiben vom 16.10.2008 (Anlage K9) sei der Vertrag an die Neuregelungen des VVG angepasst worden. Das Schreiben nebst den angeführten Anpassungen seien an die Postanschrift der Klägerin sowie an den jeweiligen Versicherungsmakler eines Versicherungsnehmers maschinell per Post versandt worden und auch nicht an die Beklagte zurückgelangt (Beweis: Vernehmung der Klägerin als Partei). Das Bestreiten der Klägerin sei unglaubwürdig. Die Beklagte habe anders als in den bisher vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen von einer Vertragsanpassung Gebrauch gemacht. Die Klägerin streite jedoch lediglich den Zugang der fraglichen Schriftstücke ab, was damit nicht zu vergleichen sei.

Die Beklagte habe keine Unterlagen, sondern lediglich Auskünfte in Hinblick auf ihre gesundheitlichen und beruflichen Verhältnisse gefordert. Dazu sei die Klägerin sowohl nach den alten wie auch nach den neuen AVB verpflichtet.

Von einer Unwirksamkeit der Regelungen sei nicht auszugehen. Höchstrichterlich entschieden sei dies lediglich für die Sachversicherung; demgegenüber sei dies auf die Personenversicherung, insbesondere die Berufsunfähigkeits-(zusatz)-Versicherung nicht übertragbar, bei der ein andauerndes und lauteres Vertrauensverhältnis erforderlich sei. Jedenfalls würden auch dann die Obliegenheiten bestehen bleiben, lediglich die Rechtsfolgen entfallen.

Jedenfalls seien die Ansprüche verwirkt wegen einer vorsätzlichen Weigerungshandlung der Klägerin, die einem unredlichen und arglistigen Verhalten vergleichbar sei.

Ferner macht die Beklagte hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht geltend. Die Weigerung der Klägerin mitzuwirken, stelle sich als positive Vertragsverletzung dar.

Zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist hinsichtlich des Zahlungsantrags zulässig.

Hinsichtlich der Feststellungsanträge ist die Klage lediglich bezüglich des Antrags zu 2. zulässig.

Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt wird.

Inwieweit bloße Vorfragen oder Elemente einer Rechtsbeziehung feststellungsfähig sind, ist streitig und vom Einzelfall abhängig. Die Frage der Wirksamkeit von § 11 AVB und deren Auswirkungen für das Vertragsverhältnis der Parteien erwächst nicht gesondert in Rechtskraft, auch wenn sie im Rahmen des Zahlungsantrages erörtert wird. Die Klägerin hat jedoch ein berechtigtes Interesse daran, zu klären, ob sich die Beklagte auch zukünftig auf diese Klausel berufen kann. Daher ist aus Sicht des Gerichts insoweit ein Feststellungsinteresse gegeben.

Bezüglich des Antrags zu 3.1. verneint das Gericht das Feststellungsinteresse vor dem Hintergrund, dass nach seiner Auffassung – wie noch auszuführen sein wird – § 11 AVB nF. unwirksam ist, so dass es auf die wirksame Umstellung nicht mehr ankommt und daher ein Rechtsschutzbedürfnis insoweit nicht besteht.

II.

Die Klage ist – soweit sie zulässig ist – begründet.

1.)

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente sowie auf die Rückzahlung der geleisteten Beiträge für die Monate Oktober 2015 bis Mai 2016.

Die Beklagte kann der Klägerin demgegenüber nicht entgegenhalten, dass sie eine Obliegenheitsverletzung begangen habe, so dass die Beklagte für diese Monate leistungsfrei sei.

Die Beklagte beruft sich insoweit auf §§ 10 und 11 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung der Tarifgruppe SBU 07, Ausfertigungstag: 24.11.2007. Gemäß § 10 Abs. 1 AVB ist die Beklagte berechtigt, nach Anerkennung ihre Leistungspflicht nachzuprüfen. Gemäß Abs. 2 kann sie auf ihre Kosten jederzeit sachdienliche Auskünfte – insbesondere aktuelle Nachweise über die Einkommensverhältnisse der versicherten Person in dem Zeitraum seit Eintritt des Versicherungsfalls – und einmal jährlich umfassende Untersuchungen der versicherten Person durch von ihr beauftragte Ärzte verlangen. Gemäß dem in Bezug genommenen § 7 Abs. 2 AVB kann die Beklagte außerdem u.a. „zusätzliche Auskünfte“ verlangen.

a.)

Zwar ist davon auszugehen, dass es sich bei dem als Anlage K4 überreichten Fragebogen, in dem die Klägerin Angaben zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer beruflichen Tätigkeit sowie dem Bezug einer Rente machen sollte, um sachdienliche Auskünfte im Sinne der Versicherungsbedingungen gehandelt hat und nicht um die Einreichung anderweitiger Unterlagen, auch wenn es im Schreiben der Beklagten vom 15.7.2015 heißt, dass Unterlagen einzureichen seien. Warum das Ausfüllen und Zurücksenden des Formularbogens nicht als Auskunftserteilung anzusehen ist, ist nicht nachvollziehbar. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass lediglich mündliche und keine schriftlichen Auskünfte verlangt werden können.

b.)

Es kann jedoch dahinstehen, ob die Klägerin diese vertragliche Obliegenheit grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt hat, weil die Versicherungsbedingungen hinsichtlich der geregelten Folgen nicht dem gesetzlichen Leitbild des § 28 VVG entsprechen und daher gemäß §§ 32 Satz 1, 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sind.

§ 11 AVB enthält – unterstellt die Beklagte hat diese (formal) wirksam an die seit dem 1.1.2009 geltenden gesetzlichen Regelungen angepasst – folgende Bestimmungen (Anlage K9):

„(1) Solange Sie, die versicherte Person oder der Anspruchsinhaber eine Mitwirkungspflicht vorsätzlich nicht erfüllen oder eine Nachprüfung vorsätzlich verhindern, sind wir von der Verpflichtung zur Leistung frei.

(2) Bei grob fahrlässiger Verletzung einer Mitwirkungspflicht oder der Verhinderung einer Nachprüfung mindert sich unsere Leistungspflicht in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis. Die Ansprüche aus der Versicherung bleiben jedoch insoweit bestehen, als die Verletzung ohne Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder die Feststellung oder den Umfang unserer Leistungspflicht ist, dies gilt nicht, wenn die Mitwirkung arglistig verletzt wurde.

(3) Wenn die Mitwirkungspflicht später erfüllt wird, sind wir ab Beginn des dann laufenden Monats nach Maßgabe dieser Bedingungen zur Leistung verpflichtet.“

Diese AVB weichen insoweit von § 28 Abs. 2 VVG ab, als sie nicht vorsehen, dass auch im Falle vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis eröffnet ist (§ 28 Abs. 3 VVG). Zwar heißt es einleitend vor den im Einzelnen dargestellten Abänderungen, dass „Eine vollständige oder anteilige Leistungsfreiheit des Versicherers …. nicht eintreten (kann), wenn die Obliegenheitsverletzung für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls gar nicht ursächlich war“, daraus kann der Versicherungsnehmer jedoch gerade in Hinblick auf die dezidierten Regelungen unter den Absätzen (1) und (2) nicht schließen, dass der Kausalitätsgegenbeweis auch im Falle des Vorsatzes möglich ist. Außerdem enthalten sie nicht den Hinweis darauf, dass Voraussetzung für die Leistungsfreiheit ist, dass der Versicherungsnehmer zuvor durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Rechtsfolgen hingewiesen worden ist (§ 28 Abs. 4 VVG).

Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung vom 2.4.2014, IV ZR 58/13, in der es um eine vor Inkrafttreten der Neuregelungen des Versicherungsvertragsgesetzes geltenden Bedingung einer Rechtsschutzversicherung gegangen ist, die abweichend von § 28 VVG die Beweislast für den nicht bestehenden Vorsatz dem Versicherungsnehmer auferlegt hat, den Kausalitätsgegenbeweis lediglich für den Fall der groben Fahrlässigkeit vorgesehen hat und nicht das Erfordernis der gesonderten Mitteilung in Textform aufgenommen hat, unabhängig von der Frage, ob im konkreten Fall von Arglist auszugehen sei, wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers die Unwirksamkeit gemäß §§ 32 Satz 1 VVG, 307 Abs. 1 Satz 1 BGB angenommen.

Die Grundsätze des Bundesgerichtshofes sind auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Dabei kommt es nicht darauf an, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Rechtsschutzversicherung, sondern um eine Berufsunfähigkeitsversicherung handelt. Das Gesetz unterscheidet in seinen Anforderungen an die Regelung von Obliegenheiten und den Folgen ihrer Verletzung nicht nach der Art der Versicherung. Ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis ist in jedem Fall vertragsimmanent. Es ist auch nicht entscheidend, dass Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofes eine vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung aufgestellte Versicherungsbedingung gewesen ist; eine zwar ggf. formal aber nicht materiell angepasste Regelung ist an denselben Maßstäben zu messen.

Auch im vorliegenden Fall weichen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen – wie dargestellt – in wesentlichen Teilen von dem gesetzlichen Leitbild ab. Auch gerade vor dem Hintergrund, dass eine ganze oder teilweise Leistungsfreiheit vereinbart worden ist ohne Rücksicht auf den nach dem Gesetz vorher zu erfolgenden gesonderten Hinweis auf die Rechtsfolgen stellt eine unangemessene Benachteiligung dar, die zur Unwirksamkeit der Sanktionsregelungen führt. Eine Aufspaltung in einen wirksamen und in einen unwirksamen Teil scheidet daher bereits aus diesem Grund aus.

Dass die Klägerin mit dem Auskunftsersuchen tatsächlich auf die Folgen der Verletzungen von Obliegenheiten hingewiesen worden ist (vgl. Anlage K4), vermag den Mangel der AVB nicht zu heilen, zumal die durch die Unwirksamkeit eingetretene Regelungslücke auch nicht durch die Anwendung der gesetzlichen Regelung ausgefüllt werden kann. Dies scheidet aus, weil das Gesetz selbst an eine vertragliche Regelung anknüpft, die hier nicht besteht (vgl. BGH vom 2.4.2014, IV ZR 58/13). Zwar hat der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung darauf abgehoben, dass es sich bei Art. 1 Abs. 3 EGVVG um eine gesetzliche Sonderregelung handele, die in ihrem Anwendungsbereich die Bestimmungen des § 306 Abs. 2 BGB verdränge. Unter Berufung auf die Entscheidung vom 12.10.2011, IV ZR 199/10 hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass es der mit der Anpassungsmöglichkeit nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG bezweckten Gewährleistung der Transparenz von Versicherungsbedingungen unvereinbar wäre, die Lücken durch die Anwendung der gesetzlichen Regelung zu füllen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 12.10.2011 folgendes ausgeführt:

„aa) Eine quotale Leistungskürzung wegen grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG setzt voraus, dass neben einer vertraglichen Obliegenheit auch eine Sanktion für den Fall ihrer Verletzung im Versicherungsvertrag vereinbart ist. § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG enthält kein gesetzliches Leistungskürzungsrecht. 34

Der Senat hält an der Rechtsprechung zu § 6 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., wonach der Versicherungsvertrag eine Vereinbarung über die Sanktion einer Obliegenheitsverletzung enthalten muss (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1989 II ZR 34/89, NJW-RR 1990, 405 unter 3), auch für das neue Recht fest. Für den Fall der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung regelt § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG ausdrücklich, dass der Vertrag bestimmen muss, dass der Versicherer bei Verletzung einer vom Versicherungsnehmer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist. Systematisch knüpft § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG unmittelbar an die allgemeinen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG an und ersetzt lediglich die vollständige Leistungsfreiheit nach § 28 Abs. 1 Satz 1 VVG für den Fall der groben Fahrlässigkeit durch ein Kürzungsrecht des Versicherers (MünchKomm-VVG/Wandt, § 28 Rn. 214; Schimikowski, r+s 2010, 195; Staudinger/Kassing aaO). Weiterhin finden sich in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/3945, S. 69) keine Anhaltspunkte dafür, dass das Erfordernis einer vertraglichen Vereinbarung zwar für eine vollständige Leistungsfreiheit, nicht jedoch für teilweise Leistungsfreiheit erforderlich sein soll (MünchKomm-VVG/Wandt aaO). 35

bb) Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG kann nicht gemäß § 306 Abs. 2 BGB zur Lückenfüllung herangezogen werden. Bei Art. 1 Abs. 3 EGVVG handelt es sich um eine gesetzliche Sonderregelung, die in ihrem Anwendungsbereich die allgemeine Bestimmung des § 306 Abs. 2 BGB verdrängt. 36

(1) Das Gesetzgebungsverfahren belegt, dass der Gesetzgeber die Schließung von Vertragslücken, die durch die Anwendung der Regelungen des VVG 2008 entstehen, allein durch eine Wahrnehmung der Anpassungsoption des Art. 1 Abs. 3 EGVVG seitens des Versicherers zulassen wollte, um die erforderliche Transparenz des vertraglichen Regelwerkes zu gewährleisten (vgl. von Fürstenwerth aaO 224 f.; Rogler aaO). … Der Gesetzgeber hat diesen Vorschlag nicht aufgegriffen, sondern an der Anpassungsmöglichkeit des Art. 1 Abs. 3 EGVVG in seiner jetzigen Fassung festgehalten. Damit hat er nicht nur einer ergänzenden Vertragsauslegung eine Absage erteilt, sondern auch deutlich gemacht, dass es ohne eine Anpassung gemäß Art. 1 Abs. 3 EGVVG für den Versicherer keine Möglichkeit geben soll, aus der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten in Altverträgen nachteilige Rechtsfolgen für den Versicherungsnehmer abzuleiten. 37

(2) Die Heranziehung des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG über die allgemeine Bestimmung des § 306 Abs. 2 BGB widerspräche der in Art. 1 Abs. 3 EGVVG vorgenommenen Interessenabwägung zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern bei der Anpassung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen an das VVG 2008.38

Hauptanliegen des Gesetzgebers bei der Reform des Versicherungsvertragsrechts war es, die Stellung des Versicherungsnehmers deutlich zu stärken und die Transparenz von Versicherungsbedingungen zu verbessern (vgl. Gesetzentwurf, BT-Drucks. 16/3945, S. 1). Vor diesem Hintergrund muss die Regelung des Art. 1 Abs. 3 EGVVG gesehen werden. Dem Gesetzgeber war das Problem der Unwirksamkeit von Allgemeinen Versicherungsbedingungen in Altverträgen durch Inkrafttreten des neuen Rechts bewusst. Deshalb hat er den Versicherern die Anpassungsoption des Art. 1 Abs. 3 EGVVG eingeräumt. Ein Versicherer kann die Unwirksamkeitsfolgen hiernach jedoch nur durch eine Anpassung seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen abwenden, indem er den Versicherungsnehmer in der durch Art. 1 Abs. 3 EGVVG geregelten Weise über die geänderte Vertragslage informiert (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 118, wo die Bedingungsanpassung als „geboten“ bezeichnet wird). Dies zeigt, dass es dem Gesetzgeber auch um eine rasche Umstellung auf transparente, neue Vertragswerke ging und er eine unterbliebene Vertragsumstellung durch den Wegfall der unwirksam gewordenen Vertragsbestimmung sanktionieren wollte (vgl. von Fürstenwerth aaO).39

Dieses Regelungsgefüge würde unterlaufen, wenn dem Versicherer auch ohne Umstellung seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen die Anwendung der Rechtsfolgen des VVG 2008 auf Obliegenheitsverletzungen gestattet wäre. Das Anpassungsverfahren nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG wäre in diesem Falle letztlich überflüssig. Eine Lückenfüllung durch § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG über die allgemeine Bestimmung des § 306 Abs. 2 BGB hätte entgegen dem Zweck des Art. 1 Abs. 3 EGVVG zur Folge, dass für den Versicherungsnehmer mangels Übersendung angepasster Allgemeiner Versicherungsbedingungen eine völlig intransparente Sanktionsregelung Bestand hätte, bei der er dem Vertrag insbesondere nicht seine nach § 28 VVG 2008 erweiterten Verteidigungsmöglichkeiten entnehmen kann. …

(5) Entgegen der Ansicht der Revision steht die Nichtanwendung des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG in den Fällen unterbliebener Bedingungsanpassung nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG nicht in Widerspruch zur Anwendung des Obliegenheitsrechts auf verhüllte Obliegenheiten. Zwar trifft es zu, dass in der Rechtsprechung des Senats bei verhüllten Obliegenheiten auf die gesetzliche Regelung des § 6 VVG a.F. zurückgegriffen wurde, obwohl es in den zu beurteilenden Klauseln keine Sanktionsregelung gab, da diese als Risikobegrenzung formuliert waren (Senatsurteile vom 24. Mai 2000 IV ZR 186/99, VersR 2000, 969 unter 1 c; vom 29. November 1972 IV ZR 162/71, NJW 1973, 284 unter II 2). Indes stellt die Anwendung des § 6 VVG a.F. auf verhüllte Obliegenheiten nichts anderes als eine Lückenfüllung i.S. von § 306 Abs. 2 BGB dar. Die allgemeine Bestimmung des § 306 Abs. 2 BGB wird jedoch für den speziellen Bereich der erst durch Inkrafttreten des VVG 2008 unwirksam gewordenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen durch die Sondervorschrift des Art. 1 Abs. 3 EGVVG verdrängt, die für die unwirksame Sanktionsregelung bei Verletzung vertraglicher Obliegenheiten gerade keine Schließung der Vertragslücke durch Rückgriff auf gesetzliche Regelungen zulässt. Aus dem dargestellten Zweck der Regelung und dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens folgt, dass im Anwendungsbereich dieser Vorschrift eine Lückenfüllung bei unterbliebener Bedingungsanpassung ausgeschlossen ist. 45 cc) Eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet aus.

(1) Grundsätzlich ist sie bei Unwirksamkeit einer Klausel in einem vorformulierten Vertrag möglich, wenn dispositive Gesetzesbestimmungen nicht zur Verfügung stehen, so dass das Regelungsgefüge eine Lücke aufweist (Senatsurteil vom 22. Januar 1992 IV ZR 59/91, BGHZ 117, 92 unter 5). Voraussetzung hierfür ist, dass die ergänzende Vertragsauslegung nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führt, es dem Versicherer gemäß § 306 Abs. 3 BGB ohne ergänzende Vertragsauslegung unzumutbar ist, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden, und der ergänzte Vertrag für den Versicherungsnehmer typischerweise von Interesse ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, tritt diejenige Gestaltungsmöglichkeit ein, die die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben redlicher Weise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen wäre (Senatsurteil vom 22. Januar 1992 aaO unter 6).

(2) Eine planwidrige Vertragslücke ist hier nicht anzunehmen. Die am hypothetischen Parteiwillen orientierte richterliche Vertragsergänzung soll eine Regelung herbeiführen, die die Parteien vereinbart hätten, wenn sie von der Unwirksamkeit der Klausel gewusst hätten. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass für eine richterliche Vertragsergänzung dann kein Raum ist, wenn der Verwender von der Unwirksamkeit der Klausel wusste und eine mögliche Vorsorge hiergegen nicht getroffen hat (vgl. Staudinger/Kassing aaO; Ulmer, NJW 1981, 2025, 2031). Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof eine ergänzende Vertragsauslegung abgelehnt, wenn der Verwender einer Klausel diese in Kenntnis ihrer Unwirksamkeit weiter verwendet (Urteil vom 4. Juli 2002 VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229 unter B II 2 c). Gleiches muss gelten, wenn der Verwender in Kenntnis der Unwirksamkeit einer Klausel die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit zu ihrer einseitigen Ersetzung durch eine gültige Regelung nicht wahrnimmt (insoweit abweichend der Sachverhalt in BGH, Urteil vom 1. Februar 1984 VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69, 74). Für eine richterliche Vertragsergänzung ist dann kein Raum mehr.

… Wenn der Verwender eine derartige Möglichkeit zur Schließung einer Vertragslücke nicht ergreift und diese Lücke etwa wegen der hiermit verbundenen Umstellungskosten hinnimmt, dann kann von einer planwidrigen Vertragslücke, die durch subsidiäre richterliche Vertragsergänzung geschlossen werden müsste, nicht mehr die Rede sein (vgl. Staudinger/Kassing, aaO). …

.. (4) Dem Versicherer ist es nicht unzumutbar, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden.

Ob eine unzumutbare Härte vorliegt, ist im Wege der Interessenabwägung zu ermitteln; zu berücksichtigen ist nicht nur die nachteilige Veränderung der Austauschbedingungen für den Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingung, sondern auch das berechtigte Interesse des anderen Teils an der Aufrechterhaltung des Vertrags (BGH, Urteil vom 22. Februar 2002 V ZR 26/01, NJW-RR 2002, 1136 unter II 3). Unzumutbar kann das Festhalten am Vertrag dann sein, wenn infolge der Unwirksamkeit einer Klausel das Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört ist. Allerdings genügt nicht schon jeder wirtschaftliche Nachteil des Verwenders, sondern es ist eine einschneidende Störung des Äquivalenzverhältnisses erforderlich, die das Festhalten am Vertrag für ihn unzumutbar macht (BGH, Urteil vom 22. Februar 2002 aaO).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn der Versicherer aus der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten keine Sanktionen mehr herleiten kann. Denn das Gesetz bietet dem Versicherer zahlreiche Auffangregelungen, zu denen die Regelungen über die Gefahrerhöhung gemäß §§ 23 ff. VVG, die Bestimmungen über die Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 81 VVG und die Obliegenheiten nach § 82 VVG gehören (vgl. Päffgen, VersR 2011, 837, 838 ff.; Stockmeier, VersR 2011, 312, 315 ff.). Der Senat verkennt nicht, dass diese Regelungen nicht das gesamte Spektrum möglicher vertraglicher Obliegenheiten abbilden, von anderen Tatbestandsvoraussetzungen abhängen und für den Versicherer verglichen mit den vertraglichen Obliegenheiten prozessuale Nachteile wie das Fehlen gesetzlicher Vermutungen zu grober Fahrlässigkeit und Kausalität bei § 81 Abs. 2 VVG mit sich bringen. Insofern verschiebt sich das Vertragsgleichgewicht zu Ungunsten des Versicherers. Die genannten gesetzlichen Auffangregelungen verhindern jedoch, dass das Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört ist (vgl. Schimikowski aaO 196). Zudem spricht die bewusst getroffene Entscheidung, die gesetzlich eingeräumte Anpassungsmöglichkeit nicht wahrzunehmen, ebenfalls gegen die Unzumutbarkeit.“

Die vom Bundesgerichtshof in den zuvor genannten Fällen abgelehnte ergänzende Vertragsauslegung basierte damit zum einem maßgeblich auf dem Vorrang der Übergangsregelung des Art. 1 Abs. 3 EGVVG sowie darauf, dass die Versicherer in den genannten Fällen davon abgesehen hatten, ihre Bedingungen an die Gesetzesänderung anzupassen, was auch für die Frage der Zumutbarkeit einer sanktionslosen Regelung eine Rolle gespielt hat.

Im vorliegenden Fall ist grundsätzlich nicht anzunehmen, dass die Beklagte keine Anpassung vorgenommen hat, weil sich diese jedenfalls aus dem als Anlage K9 überreichten Schreiben ergibt. Allerdings bedarf es zur Wirksamkeit der Anpassung im Verhältnis zur Klägerin des Zugangs dieses Schreibens, den die Klägerin bestreitet.

Sofern das Schreiben der Klägerin nicht zugegangen ist, hat die Beklagte nicht wirksam von ihrem Anpassungsrecht Gebrauch gemacht, so dass bereits aus diesem Grund nach der vorgenannten Rechtsprechung grundsätzlich richterliche Lückenausfüllung ausscheidet. Da es maßgeblich ist, ob im Einzelfall eine wirksame Anpassung erfolgt ist, greift insoweit der Vorrang des Art. 1 Abs. 3 EGVVG. In dem Fall würde auch nicht teilweise die alte Regelung des § 11 AVB zur Anwendung kommen, weil diese auch in der Frage der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung der Gesetzesänderung nicht entspricht. Ob überhaupt eine Aufspaltung in Betracht kommen kann, kann dahinstehen. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Beklagte nicht bereits grundsätzlich von einer Anpassung abgesehen – allerdings möglicherweise keine ausreichenden Vorkehrungen für den gesicherten Zugang getroffen hat – so führt dies nach Auffassung des Gerichts ebenso wie beim unterstellten Zugang des Anpassungsschreibens nicht zur Lückenausfüllung (nachfolgend).

Sofern wegen erwiesenem Zugangs des Schreibens von einer formal wirksamen Anpassung auszugehen ist, ist die Lücke nach Auffassung des Gerichts ebenfalls nicht durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Ein Rückgriff auf § 28 Abs. 2 VVG scheidet aus, weil dieser keine gesetzliche Sanktionsregelung enthält, sondern auf eine vertragliche Regelung abstellt (vgl. BGH vom 12.10.2011). Die mit einer Anpassung verbundene Beeinträchtigung der Transparenz der Sanktionsregelungen (siehe BGH a.a.O.) wäre auch für diesen Fall anzunehmen.

Der Hinweis auf § 174 VVG und ein daran nach dem Vortrag der Beklagten zum Ausdruck kommendes gesetzliches Leitbild hilft nicht weiter, weil sich deshalb nicht bereits aus dem Gesetz eine Sanktion ergibt. Die Folgen einer Verletzung der Auskunftspflicht gemäß § 31 VVG hat der Gesetzgeber der vertraglichen Regelung überlassen (Armbrüster in Prölss/Martin §§ 30 VVG Rdn. 10; 31 VVG Rdn. 47). Ein Schadensersatzanspruch scheidet aus, weil es sich um Obliegenheiten handelt, für die der Gesetzgeber im Rahmen des § 28 VVG eine abschließende Regelung vorgesehen hat (Armbrüster a.a.O. § 30 Rdn. 10).

Die Beklagte kann sich daher nicht auf § 11 AVB berufen und der Klägerin wegen Verletzung von Obliegenheiten einen Anspruch verweigern.

c.)

Der Versicherungsnehmer kann ohne eine entsprechende Vereinbarung seinen Anspruch ausnahmsweise gemäß § 242 BGB (Verwirkung) ganz oder teilweise verlieren, wenn ihm eine grobe Verletzung der Interessen des Versicherers anzulasten ist, die das vertragliche Vertrauensverhältnis erheblich stört und daher dem Versicherer die (volle) Erfüllung seiner Vertragspflichten unzumutbar macht (Prölss/Armbrüster § 28 VVG Rdn. 179; BGH VersR 1991, 1129). Dabei muss die Annahme einer nach § 242 BGB eintretenden Leistungsfreiheit des Versicherers auf besondere Ausnahmefälle von erheblichem Gewicht beschränkt bleiben (BGH a.a.O.). Dabei kann im Einzelfall auch eine arglistige Täuschung zur Leistungsfreiheit führen, wobei auch dies jeweils im konkreten Fall zu beurteilen und im Gegenzuge zu berücksichtigten ist, dass der Versicherer es in der Hand hat, dafür vertragliche Regelungen vorzusehen (vgl. Prölss a.a.O. Rdn. 180), so dass im Fall einer unwirksamen Regelung nicht ohne weiteres auf die allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen werden kann.

Dass die Klägerin ob anwaltlich beraten oder nicht, wobei ihr letzteres nicht zu widerlegen ist, die Auffassung vertreten hat, dass sie im Nachprüfungsverfahren nicht mitwirken müsse, kann jedenfalls nicht als so schwerwiegender Pflichtenverstoß angesehen werden, dass ihr ohne eine vertragliche Grundlage die Leistung entzogen werden konnte.

2.)

Aus den vorgenannten Gründen ist § 11 AVB n.F. auch kein wirksamer Vertragsbestandteil.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 2, 91a, 709 ZPO.

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