Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Berufsunfähigkeit nachweisen: Ein Fall beleuchtet komplexe Anforderungen
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Antrag auf Berufsunfähigkeitsleistungen?
- Welche medizinischen Gutachten sind für den Nachweis der Berufsunfähigkeit erforderlich?
- Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen nach einer Ablehnung durch die Versicherung?
- Wie kann man sich optimal auf ein medizinisches Gutachten vorbereiten?
- Welche Bedeutung hat der Grad der Berufsunfähigkeit für den Leistungsanspruch?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Weitere Beiträge zum Thema
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Landshut
- Datum: 14.04.2022
- Aktenzeichen: 82 O 1710/20
- Verfahrensart: Klage auf Leistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Person, die Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend macht. Sie gibt an, seit dem 01.08.2017 berufsunfähig zu sein, da sie aufgrund mehrerer gesundheitlicher Probleme, darunter Angststörungen und körperliche Beschwerden, ihren Beruf als IT-Mitarbeiterin nicht ausüben kann.
- Beklagte: Versicherungsgesellschaft, die die Leistungspflicht aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ablehnt. Sie argumentiert, dass keine Berufsunfähigkeit im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen vorliegt, da die Klägerin nicht nachweisen kann, dass sie zu mindestens 50% berufsunfähig ist.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin fordert von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung, da sie seit dem 01.08.2017 der Meinung ist, zu mindestens 50% berufsunfähig und dadurch in ihrer Tätigkeit als IT-Mitarbeiterin eingeschränkt zu sein. Die Beklagte verweigert die Auszahlung, da sie keine ausreichenden Nachweise für die behauptete Berufsunfähigkeit sieht.
- Kern des Rechtsstreits: Ob die Klägerin in ihrem Beruf als IT-Mitarbeiterin tatsächlich mit mindestens 50% berufsunfähig ist und daher Anspruch auf Versicherungsleistungen hat.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Klage wurde abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung.
- Begründung: Das Gericht kam nach Einholung von Sachverständigengutachten zu dem Schluss, dass die Klägerin nicht nachweisen konnte, dass sie mit mindestens 50% berufsunfähig ist. Die medizinischen Gutachten bestätigten keine ausreichenden Einschränkungen, die eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen belegen würden.
- Folgen: Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung zugunsten der Beklagten. Eine Berufsunfähigkeit gemäß den Versicherungsbedingungen wurde nicht anerkannt, wodurch die Klägerin keine Leistungen von der Versicherung erhält. Das Urteil zeigt, wie hoch die Beweisanforderungen für die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit sind.
Berufsunfähigkeit nachweisen: Ein Fall beleuchtet komplexe Anforderungen
Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine wichtige Absicherung für Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr in der Lage sind, ihrem Beruf nachzugehen. Um einen Leistungsanspruch auf Versicherungsleistungen geltend zu machen, müssen Versicherte nachweisen, dass sie tatsächlich berufsunfähig sind. Diese Anspruchsprüfung erfolgt oft anhand medizinischer Dokumentation und Gutachten zur Berufsunfähigkeit, die entweder von relevanten Fachärzten oder durch die Krankenkasse angefordert werden.
Die Ursachen für Berufsunfähigkeit können vielfältig sein, von körperlichen Erkrankungen bis hin zu psychischen Belastungen. Insbesondere Selbstständige stehen hierbei vor besonderen Herausforderungen. Im Folgenden wird ein konkreter Fall untersucht, der die komplexen Anforderungen an den Nachweis der Berufsunfähigkeit beleuchtet und aufzeigt, wie dieser in der Praxis gelingt.
Der Fall vor Gericht
Berufsunfähigkeitsklage einer IT-Mitarbeiterin scheitert an medizinischen Gutachten
Eine IT-Mitarbeiterin ist mit ihrer Klage auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung vor dem Landgericht Landshut gescheitert. Die Versicherte hatte von ihrer Versicherung rückständige Berufsunfähigkeitsrenten für den Zeitraum August 2017 bis Mai 2020 in Höhe von insgesamt 26.075,96 Euro sowie laufende monatliche Rentenzahlungen von 766,94 Euro gefordert.
Mehrfache gesundheitliche Beschwerden als Grund für Leistungsantrag
Im Februar 2018 stellte die Klägerin einen Leistungsantrag bei ihrer Versicherung. Sie machte geltend, seit August 2017 zu mehr als 50 Prozent berufsunfähig zu sein. Als Gründe führte sie mehrere gesundheitliche Einschränkungen an: Eine schwere generalisierte Angststörung mit Zwangshandlungen, Spannungskopfschmerz sowie chronische Schulter-Nacken-Beschwerden beidseitig, die sich bei körperlicher Belastung und psychischem Stress verstärkten. Zudem leide sie unter einem Schlafapnoe-Syndrom. Diese Beschwerden würden ihre Gruppenfähigkeit im Publikumsverkehr, ihre Durchhaltefähigkeit sowie ihre Fähigkeit zur Selbstversorgung erheblich einschränken.
Versicherung verneint Leistungspflicht nach mehrfacher Prüfung
Die Versicherung lehnte den Antrag zunächst im Juli 2019 ab. Nach erneuter Prüfung teilte sie der Versicherten im Februar 2020 mit, dass weiterhin kein Anspruch auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit bestehe. Nach den geltenden Versicherungsbedingungen müsse eine gesundheitliche Beeinträchtigung von mindestens 50 Prozent vorliegen. Die Versicherung bestritt, dass die von der Klägerin beschriebenen Erkrankungen zu einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit führten.
Medizinische Gutachten bestätigen Arbeitsfähigkeit
Das Gericht holte zur Klärung des Falls mehrere medizinische Sachverständigengutachten ein. Der neurologische Sachverständige diagnostizierte bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung mit aktuell leichtgradiger Episode sowie eine leichtgradige Zwangserkrankung mit vorwiegend Zwangshandlungen. Eine schwere generalisierte Angststörung konnte er nicht bestätigen. Der Gutachter kam zu dem Schluss, dass aus neurologisch-psychiatrischer Sicht keine Berufsunfähigkeit von mehr als 50 Prozent vorliege.
Der orthopädische Sachverständige stellte bei der Untersuchung eine Tonuserhöhung der Halswirbelsäulenmuskulatur sowie ein Schulterimpingement links fest. Trotz dieser Befunde sah er keine qualitative oder quantitative Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit über 50 Prozent im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit als IT-Mitarbeiterin. Das von der Klägerin beschriebene Tätigkeitsprofil über 15 Stunden pro Woche entspreche einer überwiegend leichten bis zeitweise mittelschweren Tätigkeit mit wechselnder Körperpositionierung.
Da alle Sachverständigen übereinstimmend zu dem Ergebnis kamen, dass keine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit von über 50 Prozent vorlag, wies das Landgericht Landshut die Klage ab. Die Kosten des Verfahrens wurden der Klägerin auferlegt.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil unterstreicht die zentrale Bedeutung medizinischer Gutachten für die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit. Selbst bei mehreren gesundheitlichen Beschwerden muss durch Sachverständige nachgewiesen werden, dass diese tatsächlich zu einer Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit von mindestens 50% führen. Die subjektive Einschätzung der eigenen Beeinträchtigungen reicht nicht aus – entscheidend sind die objektiven Feststellungen der medizinischen Gutachter. Das Urteil verdeutlicht auch, dass die Versicherung bei der Prüfung des konkreten Berufsbildes sehr genau hinschaut.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie eine Berufsunfähigkeitsrente beantragen möchten, müssen Sie damit rechnen, dass mehrere Fachärzte Ihren Gesundheitszustand begutachten werden. Diese Gutachter prüfen sehr detailliert, ob und wie stark Ihre Beschwerden Sie bei Ihrer konkreten beruflichen Tätigkeit einschränken. Dabei reicht es nicht aus, wenn Sie selbst Ihre Einschränkungen als gravierend empfinden – die Gutachter müssen objektiv eine Beeinträchtigung von mindestens 50% feststellen können. Sammeln Sie daher von Anfang an alle medizinischen Befunde und dokumentieren Sie genau, wie sich Ihre gesundheitlichen Probleme auf Ihre tägliche Arbeit auswirken. Lassen Sie sich dabei von einem Fachanwalt beraten, um Ihre Chancen auf Anerkennung zu erhöhen.
Benötigen Sie Hilfe?
Bei der Beantragung einer Berufsunfähigkeitsrente ist die rechtliche Ausgangslage komplex und die Anforderungen an die medizinische Dokumentation sind hoch. Unsere Expertise hilft Ihnen dabei, Ihre individuelle Situation fundiert einzuschätzen und Ihre Interessen bereits von Beginn an optimal zu vertreten. Wir analysieren Ihren Fall, bewerten die vorhandenen Gutachten und entwickeln mit Ihnen eine zielführende Strategie. ✅ Fordern Sie unsere Ersteinschätzung an!
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Antrag auf Berufsunfähigkeitsleistungen?
Medizinische Voraussetzungen
Eine Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn Sie aufgrund von Krankheit, Körperverletzung oder einem über das altersübliche Maß hinausgehenden Kräfteverfall Ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Dies umfasst sowohl körperliche als auch geistige Beeinträchtigungen.
Der Grad der Berufsunfähigkeit muss mindestens 50 Prozent betragen. Bei einem vorherigen 40-Stunden-Job bedeutet dies beispielsweise, dass Sie nur noch maximal 20 Stunden pro Woche arbeiten können.
Zeitliche Anforderungen
Die gesundheitliche Beeinträchtigung muss voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern. Kann der Arzt keine klare Prognose abgeben, zahlt die Versicherung rückwirkend, wenn die Berufsunfähigkeit durchgehend sechs Monate bestanden hat.
Nachweispflichten
Für einen erfolgreichen Antrag benötigen Sie:
- Detaillierte ärztliche Berichte mit Diagnosen und Prognosen zur voraussichtlichen Dauer der Beeinträchtigung
- Ausführliche Dokumentation Ihrer beruflichen Tätigkeit mit genauen Angaben zu Ihren Aufgaben und deren zeitlichem Umfang
- Unterlagen über Ihren beruflichen Werdegang, einschließlich Ausbildung und Qualifikationen
Weitere wichtige Kriterien
Sie müssen nachweisen, dass Sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben, um Ihre Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Einfache Hilfsmittel wie eine Brille oder ein Hörgerät müssen Sie dabei akzeptieren.
Bei psychischen Belastungen durch Konflikte am Arbeitsplatz liegt keine Berufsunfähigkeit vor, wenn ein Arbeitsplatzwechsel Besserung verspricht.
Die Versicherung prüft zudem, ob Sie beim Vertragsabschluss wahrheitsgemäße Angaben gemacht haben, insbesondere bei den Gesundheitsfragen.
Welche medizinischen Gutachten sind für den Nachweis der Berufsunfähigkeit erforderlich?
Ein ärztliches Gutachten ist die zentrale Voraussetzung für die Feststellung der Berufsunfähigkeit. Ein einfaches Attest oder eine ärztliche Bescheinigung reicht für den Nachweis nicht aus.
Anforderungen an das Gutachten
Das ärztliche Gutachten muss mehrere Kriterien erfüllen:
- Es muss aktuell sein
- Es muss einen direkten Zusammenhang zwischen gesundheitlicher Beeinträchtigung und Berufsunfähigkeit nachweisen
- Es muss belegen, dass die Berufstätigkeit zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausgeübt werden kann
Erstellung des Gutachtens
Der Versicherer beauftragt in der Regel einen eigenen medizinischen Gutachter. Dieser untersucht die verbliebene Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers. Der Gutachter muss dabei:
- Die angegebenen Beschwerden auf Plausibilität prüfen
- Die Beeinträchtigungen durch medizinische Untersuchungen objektivieren
- Die konkreten Auswirkungen auf den Berufsalltag dokumentieren
Besonderheiten bei psychischen Erkrankungen
Bei psychischen Erkrankungen werden besonders häufig Gutachter eingeschaltet. In diesen Fällen reichen Atteste des behandelnden Arztes, Nervenarztes oder Psychotherapeuten nicht aus. Ein fachärztliches Gutachten ist hier zwingend erforderlich.
Nachprüfungsverfahren
Die Versicherung kann regelmäßige Nachprüfungen verlangen. Dies geschieht meist in jährlichen Abständen. Bei diesen Nachprüfungen müssen neue ärztliche Gutachten vorgelegt werden. Der Versicherer muss dabei das vollständige, ungeschwärzte Gutachten dem Versicherungsnehmer zur Verfügung stellen.
Der Gutachter stellt dabei ausschließlich die medizinischen Sachverhalte fest. Die endgültige Entscheidung über das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit trifft der Versicherer.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen nach einer Ablehnung durch die Versicherung?
Nach einer Ablehnung der Berufsunfähigkeitsversicherung steht Ihnen ein mehrstufiges Vorgehen zur Verfügung. Zunächst können Sie die konkreten Ablehnungsgründe bei der Versicherung erfragen, um die Basis für weitere Schritte zu schaffen.
Nachreichung von Unterlagen
Sie haben das Recht, zusätzliche Unterlagen und Belege nachzureichen. Dies können weitere ärztliche Atteste, Diagnosen oder ergänzende medizinische Dokumentationen sein. Die Versicherung muss aufgrund dieser neuen Unterlagen ihre Entscheidung überprüfen.
Widerspruchsverfahren
Ein formeller Widerspruch gegen die Ablehnung ist der nächste wichtige Schritt. Hierbei ist es entscheidend, dass Sie alle relevanten Dokumente und Nachweise sorgfältig zusammenstellen. Die Versicherung muss dann eine erneute Prüfung Ihres Falls vornehmen.
Rechtliche Durchsetzung
Bleibt die Versicherung bei ihrer Ablehnung, können Sie den Klageweg beschreiten. Wichtig ist dabei die Beachtung bestimmter Fristen:
- Die Versicherung hat bei Vorerkrankungen eine 10-Jahres-Frist für Anfechtungen wegen arglistiger Täuschung
- Die Beweislast für eine mögliche Täuschung liegt bei der Versicherung
Besondere Fallkonstellationen
In speziellen Situationen bestehen zusätzliche Möglichkeiten. Wenn Sie beispielsweise nachweisen können, dass Sie Vorerkrankungen beim Vertragsabschluss angegeben haben, die der Versicherungsvertreter nicht aufgenommen hat, muss die Versicherung dennoch leisten – dies wurde durch das Oberlandesgericht Bamberg bestätigt (Az. 1 U 181/06).
Bei psychischen Erkrankungen oder komplexen Krankheitsbildern ist die vollständige Dokumentation aller gesundheitlichen Einschränkungen besonders wichtig. Eine lückenlose Beweisführung erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Durchsetzung Ihrer Ansprüche.
Wie kann man sich optimal auf ein medizinisches Gutachten vorbereiten?
Eine gründliche Vorbereitung auf das medizinische Gutachten ist für die Durchsetzung von Rentenansprüchen entscheidend.
Dokumentation vorbereiten
Erstellen Sie einen detaillierten schriftlichen Tätigkeitsbericht über Ihren Berufsalltag vor der Erkrankung. Beschreiben Sie darin präzise die Art, Häufigkeit und Dauer der unterschiedlichen körperlichen und geistigen Belastungen.
Stellen Sie alle relevanten Unterlagen zusammen:
- Personalausweis
- Aktuelle Atteste
- Stellenbeschreibungen
- Einsatzpläne
- Bewerbungsausschreibungen
Beschwerdeschilderung
Machen Sie sich Ihre Erkrankungen und beruflichen Leistungseinschränkungen bewusst. Gleichen Sie alle Angaben mit den bereits bei der Versicherung eingereichten Unterlagen ab, um Widersprüche zu vermeiden.
Ablauf der Untersuchung
Die Begutachtung beginnt mit einem ausführlichen Gespräch zu Ihrer Krankheitsgeschichte. Der Gutachter dokumentiert Ihre Äußerungen wörtlich. Anschließend erfolgt eine körperliche Untersuchung, bei der häufig ein Entkleiden bis auf die Unterwäsche erforderlich ist.
Wichtige Verhaltensregeln
Schildern Sie Ihre Beschwerden realistisch und wahrheitsgemäß. Der Gutachter prüft, ob die angegebenen Beschwerden stimmig sind und wie sie sich auf Ihren Berufsalltag auswirken. Private Aktivitäten sollten nicht im Widerspruch zu Ihren geschilderten Beschwerden stehen.
Nutzen Sie die Gelegenheit, um vergessene oder unvollständig dargestellte Sachverhalte zu ergänzen oder zu erläutern. Der Gutachter wird einen Vergleich Ihrer beruflichen Tätigkeit in gesunden Tagen mit dem Berufsalltag seit der Erkrankung vornehmen.
Welche Bedeutung hat der Grad der Berufsunfähigkeit für den Leistungsanspruch?
Der Grad der Berufsunfähigkeit ist das zentrale Kriterium für die Leistungspflicht der Versicherung. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt, wenn Sie Ihren zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausüben können.
Ermittlung des Berufsunfähigkeitsgrades
Die Feststellung des Berufsunfähigkeitsgrades erfolgt durch ein medizinisches Gutachten von Fachärzten. Ein einfaches Attest des Hausarztes reicht dafür nicht aus. Der Versicherer prüft dabei detailliert Ihr Tätigkeitsprofil. Sie müssen dafür Ihren beruflichen Tages- oder Wochenablauf minutiös aufschlüsseln.
Bedeutung der 50-Prozent-Klausel
Die 50-Prozent-Klausel ist ein entscheidendes Kriterium. Der Versicherer analysiert dabei Ihre einzelnen Teiltätigkeiten und ermittelt, welche Tätigkeiten Sie noch ausführen können und welche nicht. Bei Teilzeitkräften greift eine besondere Günstigerprüfung: Können Sie Ihre Tätigkeit nicht mehr für mindestens drei Stunden täglich ausüben, werden die vereinbarten Leistungen ausgezahlt.
Zeitliche Komponente
Die Leistungspflicht der Versicherung tritt ein, wenn die Beeinträchtigung voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass kurzfristige Arbeitsunfähigkeiten, auch wenn sie zu einer 100-prozentigen Einschränkung führen, nicht automatisch einen Leistungsanspruch begründen.
Überprüfung des Leistungsanspruchs
Nach Anerkennung einer Berufsunfähigkeit kann der Versicherer regelmäßig überprüfen, ob die gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin bestehen. Liegt der Grad der Berufsunfähigkeit unter 50 Prozent, kann die Zahlung der Rente eingestellt werden. Die Rentenzahlung erfolgt maximal bis zum Ende der vertraglich vereinbarten Leistungsdauer, beispielsweise bis zum Beginn der gesetzlichen Altersrente.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Berufsunfähigkeit
Eine dauerhaft eingetretene gesundheitliche Beeinträchtigung, die es einer Person nicht mehr ermöglicht, ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Nach den üblichen Versicherungsbedingungen muss die Arbeitsunfähigkeit mindestens 50 Prozent betragen und voraussichtlich länger als 6 Monate andauern. Geregelt ist dies in §172 VVG (Versicherungsvertragsgesetz). Beispiel: Ein Chirurg kann wegen eines schweren Tremors nicht mehr operieren und gilt damit als berufsunfähig, auch wenn er noch andere ärztliche Tätigkeiten ausüben könnte.
Sachverständigengutachten
Eine schriftliche Beurteilung durch einen gerichtlich bestellten Experten (Sachverständigen) zu medizinischen, technischen oder anderen Fachfragen. Im Gerichtsverfahren dient es als wichtiges Beweismittel für die richterliche Entscheidungsfindung. Die Anforderungen sind in §§ 402-414 ZPO geregelt. Der Sachverständige muss dabei unabhängig und neutral sein. Beispiel: Ein Facharzt für Orthopädie erstellt ein Gutachten über die körperliche Leistungsfähigkeit eines Patienten.
Leistungsantrag
Ein formeller Antrag an eine Versicherung zur Geltendmachung von Versicherungsleistungen. Er muss alle relevanten Informationen und Nachweise enthalten, die den Versicherungsfall belegen. Die Anforderungen ergeben sich aus §§ 14, 15 VVG und den jeweiligen Versicherungsbedingungen. Bei einem Berufsunfähigkeitsantrag gehören dazu typischerweise ärztliche Befunde, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und eine detaillierte Tätigkeitsbeschreibung.
Versicherungsbedingungen
Die vertraglichen Regelungen zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer, die Details zu Leistungsumfang, Ausschlüssen und Obliegenheiten festlegen. Sie sind Teil des Versicherungsvertrags und müssen dem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss ausgehändigt werden (§7 VVG). Beispiel: In den Bedingungen einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist definiert, ab welchem Grad der Beeinträchtigung Leistungen gezahlt werden.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 172 VVG (Versicherungsvertragsgesetz): Dieser Paragraph regelt die Leistungsansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Er definiert, unter welchen Bedingungen der Versicherungsnehmer Anspruch auf Leistungen hat, insbesondere im Hinblick auf die Berufsunfähigkeit. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin diese Regelung angeführt, um ihre Ansprüche auf die Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum ab dem 01.08.2017 geltend zu machen.
- § 1 Abs. 2 SGB VI (Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch): Dieser Paragraph beschreibt die Merkmale der Berufsunfähigkeit und definiert, wann eine Person als berufsunfähig gilt. Hierbei werden verschiedene medizinische und persönliche Faktoren berücksichtigt. Die Klägerin beruft sich auf diese Definitionen, um zu untermauern, dass ihre gesundheitlichen Einschränkungen sie daran hindern, ihren Beruf als IT-Mitarbeiterin auszuüben.
- § 241 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Dieser Paragraph behandelt die Pflichten aus dem Versicherungsvertrag, insbesondere die Pflicht zur Leistung im Schadensfall. Daraus ergibt sich die Verpflichtung des Versicherers, der Klägerin rechtzeitig und korrekt eine Entscheidung über ihren Leistungsanspruch mitzuteilen. Die Beklagte hat jedoch den Leistungsanspruch der Klägerin abgelehnt, was im Rahmen dieser Vorschrift anzufechten ist.
- § 286 BGB: Dieser Paragraph befasst sich mit der Verzugspauschale und regelt die rechtlichen Folgen eines Zahlungsverzugs. Im Falle einer Ablehnung der Leistungen war auch davon auszugehen, dass die Beklagte in Verzug gerät, sobald ein Anspruch auf Werkleistung feststeht. Die Klägerin könnte hierüber klären, ob Abweisung oder Verzögerung der Zahlungen rechtswidrig war.
- § 3 Abs. 1 BGB (Allgemeine Vorschriften über den Vertrag): Diese Bestimmung betrifft die allgemeinen Verträge und deren Anwendung auf individuelle Vereinbarungen, wie im Versicherungsvertrag. So ist für die Klägerin entscheidend, ob der ursprüngliche Vertragsinhalt in Bezug auf die Berufsunfähigkeitsrente rechtlich bindend und klar formuliert ist, insbesondere in Anbetracht ihrer gesundheitlichen Einschränkungen.
Weitere Beiträge zum Thema
- Berufsunfähigkeitsversicherung – Leistungsklage bei Klage auf Feststellung des Fortbestandes
Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied, dass eine separate Leistungsklage mutwillig ist, wenn bereits ein Verfahren zum Fortbestand des Versicherungsvertrags anhängig ist. Die Klageerweiterung im bestehenden Verfahren wäre kostengünstiger und effizienter gewesen. → → Einsatz der Klageerweiterung in der Berufsunfähigkeitsversicherung - Berufsunfähigkeitszusatzversicherung – Unterlassung einer Behandlungsmethode
Das Oberlandesgericht Hamm urteilte, dass Versicherte trotz Ablehnung einer Behandlung Anspruch auf Leistungen haben, wenn die Berufsunfähigkeit eindeutig festgestellt werden kann. Die Beweislast liegt beim Versicherten. → → Rechte der Versicherten bei Behandlungsverweigerung - Berufsunfähigkeitsversicherung – Leistungspflicht bei erfolgreicher Wiedereingliederung
Das Oberlandesgericht Brandenburg entschied, dass die Leistungspflicht des Versicherers endet, wenn der Versicherte nach erfolgreicher Wiedereingliederung seinen Beruf wieder in Vollzeit ausüben kann. → → Ende der Leistungspflicht nach Wiedereingliederung - Berufsunfähigkeitsversicherung – Mitwirkungspflicht nach bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit
Das Oberlandesgericht Köln wies die Berufung eines Klägers ab, der seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllt hatte. Ohne ausreichende Informationen über die berufliche Tätigkeit kann die Versicherung die Leistung verweigern. → → Bedeutung der Mitwirkungspflichten in der Berufsunfähigkeit - Berufsunfähigkeitsversicherung – Leistungsanspruch bei mitgebrachter Berufsunfähigkeit
Das Oberlandesgericht Nürnberg bestätigte, dass kein Leistungsanspruch besteht, wenn die Berufsunfähigkeit bereits vor Vertragsabschluss vorlag und dem Versicherer nicht angezeigt wurde. → → Leistungsansprüche bei vorbestehender Berufsunfähigkeit
Das vorliegende Urteil
LG Landshut – Az.: 82 O 1710/20 – Endurteil vom 14.04.2022
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.