Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Berufsunfähigkeit: Urteil zur konkreten Verweisung und Leistungsansprüchen
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Welche Rolle spielt der ursprünglich erlernte Beruf bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit?
- Wie bindend ist ein Leistungsanerkenntnis des Versicherers bei späteren Überprüfungen?
- Welche Kriterien werden bei der Prüfung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit berücksichtigt?
- Wie wirkt sich die Aufnahme einer neuen Tätigkeit auf bestehende Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung aus?
- Welche Rechte haben Versicherte bei einer Leistungseinstellung durch den Versicherer?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der Kläger fordert weiterhin Zahlungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung.
- Der Beklagte hatte zuvor in einem Urteil des Landgerichts Karlsruhe entschieden, dass die Versicherungspflicht besteht.
- Der zentrale Streitpunkt beschäftigt sich mit der Definition von Berufsunfähigkeit und der Zumutbarkeit anderer Tätigkeiten.
- Das Gericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, was die Vorgängerverhandlung bestätigt.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
- Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, was dem Kläger eine schnelle Zahlung sichert.
- Es gibt keine Möglichkeit für eine Revision, wodurch das Urteil endgültig ist.
- Die Leistungspflicht besteht, solange die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit erfüllt sind.
- Die Beurteilung, ob alternative Tätigkeiten zumutbar sind, beeinflusst die Ansprüche des Klägers auf weitere Leistungen.
- Die Entscheidung hat bedeutende Auswirkungen auf den Anspruch von Versicherten, welche gesundheitliche Einschränkungen erlebt haben.
Berufsunfähigkeit: Urteil zur konkreten Verweisung und Leistungsansprüchen
Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist ein wichtiges Instrument der Risikovorsorge, das Menschen finanzielle Sicherheit bietet, wenn sie aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten können. Bei Antragsstellung müssen Versicherungsnehmer ihre Versicherungsbedingungen genau kennen, da diese oft komplexe Klauseln enthalten. Ein häufiger Streitpunkt ist die Leistungseinstellung durch die Versicherung, die häufig auf die sogenannte „konkrete Verweisung“ zurückzuführen ist. Hierbei geht es darum, ob der Versicherte in der Lage ist, einen anderen, zumutbaren Beruf auszuüben, bevor er einen Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente geltend machen kann.
Im Falle einer Leistungsprüfung wird der Gesundheitszustand des Antragstellers regelmäßig durch ärztliche Gutachten und Leistungsnachweise bewertet. Die Entscheidung des Versicherers hängt stark von der individuellen Situation ab, sowie von den spezifischen Regelungen in den Verträgen. Ein Beispiel für einen Berufsunfähigkeitsfall, der die Herausforderungen und rechtlichen Fragestellungen um die konkrete Verweisung eindrücklich verdeutlicht, wird im folgenden Abschnitt näher betrachtet und analysiert.
Der Fall vor Gericht
Gericht bestätigt Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente für ehemaligen Kaufmann
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einem aktuellen Urteil den Anspruch eines ehemaligen Groß- und Außenhandelskaufmanns auf Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung bestätigt. Der Versicherer hatte versucht, die Rentenzahlungen einzustellen, nachdem der Mann eine Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter aufgenommen hatte.
Streit um maßgebliche Vergleichstätigkeit
Kernpunkt des Rechtsstreits war die Frage, welche berufliche Tätigkeit für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit herangezogen werden muss. Der Versicherer argumentierte, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Produktionshelfer maßgeblich sei. Das Gericht folgte jedoch der Auffassung des Klägers, wonach auf seinen ursprünglichen Beruf als Groß- und Außenhandelskaufmann abzustellen sei.
Bindende Wirkung des Anerkenntnisses
Entscheidend war die Auslegung des Anerkenntnisses, mit dem der Versicherer 2016 die Leistungspflicht bestätigt hatte. Das Gericht stellte fest, dass sich der Versicherer darin auf ein Gutachten bezog, welches die Berufsunfähigkeit im Hinblick auf die Tätigkeit als Kaufmann festgestellt hatte. An diese Einschätzung sei der Versicherer gebunden.
Neue Tätigkeit entspricht nicht der bisherigen Lebensstellung
Das OLG Karlsruhe prüfte, ob die neue Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter der bisherigen Lebensstellung des Klägers entsprach. Dies wurde verneint, da das erzielte Einkommen um 28% unter dem früheren Gehalt als Kaufmann lag. Laut Versicherungsbedingungen ist eine Einkommensminderung von maximal 20% zumutbar. Zudem wertete das Gericht die gesellschaftliche Wertschätzung der Sicherheitstätigkeit als geringer im Vergleich zum Beruf des Groß- und Außenhandelskaufmanns.
Fortsetzung der Rentenzahlungen und Beitragsbefreiung
Das Gericht verpflichtete den Versicherer zur Fortsetzung der monatlichen Rentenzahlungen von knapp 595 Euro. Zudem muss der Kläger keine Versicherungsbeiträge mehr zahlen. Die Berufung des Versicherers gegen das erstinstanzliche Urteil wurde vollumfänglich zurückgewiesen.
Bedeutung für Versicherte
Das Urteil stärkt die Position von Berufsunfähigkeitsversicherten. Es zeigt, dass Versicherer an frühere Leistungsanerkenntnisse gebunden sein können, auch wenn der Versicherte später eine andere Tätigkeit aufnimmt. Für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit kann der ursprünglich erlernte Beruf maßgeblich bleiben, selbst wenn dieser längere Zeit nicht mehr ausgeübt wurde.
Die Schlüsselerkenntnisse
Diese Entscheidung verdeutlicht die bindende Wirkung eines Leistungsanerkenntnisses in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie stärkt die Position der Versicherten, indem sie klarstellt, dass für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit der ursprünglich erlernte Beruf maßgeblich bleiben kann, auch wenn dieser längere Zeit nicht mehr ausgeübt wurde. Zudem unterstreicht das Urteil die Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Vergleichbarkeit bei der Verweisung auf eine andere Tätigkeit.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil stärkt die Rechte von Berufsunfähigkeitsversicherten erheblich. Wenn Sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung haben und Leistungen beziehen, kann der Versicherer diese nicht einfach einstellen, weil Sie eine neue Tätigkeit aufnehmen. Entscheidend ist, ob die neue Tätigkeit Ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Dabei wird nicht nur das Einkommen verglichen, sondern auch die gesellschaftliche Wertschätzung des Berufs. Wichtig für Sie: Der Versicherer ist an frühere Anerkenntnisse gebunden und muss bei einer Leistungseinstellung sehr sorgfältig begründen, warum die neue Tätigkeit zumutbar sein soll. Sie haben gute Chancen, Ihre Ansprüche durchzusetzen, wenn die neue Tätigkeit nicht Ihrem ursprünglichen Berufsbild entspricht.
FAQ – Häufige Fragen
In unserer FAQ-Rubrik finden Sie umfassende Informationen rund um das Thema Berufsunfähigkeitsversicherung und die damit verbundene Anspruchsprüfung. Hier beantworten wir Ihre häufigsten Fragen und geben Ihnen wertvolle Einblicke, damit Sie fundierte Entscheidungen treffen können. Tauchen Sie ein in die Details, die Ihnen helfen, die für Ihre Situation passenden Antworten zu finden.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Welche Rolle spielt der ursprünglich erlernte Beruf bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit?
- Wie bindend ist ein Leistungsanerkenntnis des Versicherers bei späteren Überprüfungen?
- Welche Kriterien werden bei der Prüfung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit berücksichtigt?
- Wie wirkt sich die Aufnahme einer neuen Tätigkeit auf bestehende Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung aus?
- Welche Rechte haben Versicherte bei einer Leistungseinstellung durch den Versicherer?
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie spezielle Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Welche Rolle spielt der ursprünglich erlernte Beruf bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit?
Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit spielt in der Regel nicht der ursprünglich erlernte, sondern der zuletzt ausgeübte Beruf die entscheidende Rolle. Dies gilt, sofern Sie diesen Beruf vor Eintritt der Berufsunfähigkeit mindestens sechs Monate ausgeübt haben. Der Versicherer prüft, ob Sie aufgrund von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall außerstande sind, Ihre zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit auszuführen.
Ausnahmen und besondere Umstände
Es gibt jedoch Situationen, in denen der ursprünglich erlernte Beruf relevant werden kann:
- Kurzzeitige Berufsausübung: Wenn Sie Ihren letzten Beruf weniger als sechs Monate ausgeübt haben, kann der davor ausgeübte Beruf für die Beurteilung herangezogen werden.
- Berufswechsel aus gesundheitlichen Gründen: Haben Sie Ihren Beruf aufgrund gesundheitlicher Probleme gewechselt, kann unter Umständen der vorherige Beruf als Maßstab dienen.
- Spezielle Vertragsklauseln: Einige Versicherungsverträge enthalten Klauseln, die den erlernten Beruf explizit berücksichtigen. In diesem Fall kann der ursprünglich erlernte Beruf durchaus relevant sein.
Bedeutung für die Verweisung
Die Frage nach dem maßgeblichen Beruf ist besonders bei der konkreten Verweisung wichtig. Hierbei prüft der Versicherer, ob Sie trotz gesundheitlicher Einschränkungen eine andere Tätigkeit ausüben, die Ihrer Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entspricht.
Wenn Sie beispielsweise als gelernter Hufschmied aufgrund von Rückenproblemen nicht mehr in Ihrem Beruf arbeiten können und stattdessen als Maschinenführer tätig sind, könnte der Versicherer argumentieren, dass keine Berufsunfähigkeit vorliegt. Der Bundesgerichtshof hat jedoch entschieden, dass eine Tätigkeit nur dann vergleichbar ist, wenn sie ähnliche Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und zudem in Bezug auf Einkommen und soziale Wertschätzung auf demselben Niveau liegt.
Praktische Auswirkungen für Sie
Wenn Sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen oder bereits abgeschlossen haben, sollten Sie:
- Ihre Vertragsbedingungen genau prüfen, um zu verstehen, welcher Beruf als Maßstab für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit herangezogen wird.
- Bei einem Berufswechsel Ihren Versicherer informieren und gegebenenfalls eine Anpassung des Vertrags in Betracht ziehen.
- Im Falle einer Leistungsprüfung detaillierte Angaben zu Ihrem zuletzt ausgeübten Beruf machen, einschließlich Ihrer konkreten Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten.
Beachten Sie, dass die genaue Beurteilung immer vom Einzelfall und den spezifischen Vertragsbedingungen abhängt. Die Versicherungsbedingungen definieren letztendlich, wie der Versicherer die Berufsunfähigkeit beurteilt und welche Rolle der ursprünglich erlernte Beruf dabei spielt.
Wie bindend ist ein Leistungsanerkenntnis des Versicherers bei späteren Überprüfungen?
Ein Leistungsanerkenntnis des Versicherers in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist grundsätzlich bindend. Wenn der Versicherer die Leistungspflicht unbefristet anerkannt hat, muss er die vereinbarten Leistungen erbringen, solange der Versicherungsfall andauert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Versicherer die Leistungen unbegrenzt zahlen muss.
Nachprüfungsrecht des Versicherers
Trotz des bindenden Charakters des Anerkenntnisses hat der Versicherer das Recht, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Leistungspflicht weiterhin vorliegen. Dieses Nachprüfungsrecht ist in den Versicherungsbedingungen verankert und erlaubt es dem Versicherer, den Gesundheitszustand des Versicherten erneut zu untersuchen.
Voraussetzungen für eine Leistungseinstellung
Um die Leistungen einstellen zu können, muss der Versicherer nachweisen, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten wesentlich verbessert hat. Eine bloße Vermutung oder geringfügige Verbesserung reicht nicht aus. Der Versicherer trägt hierbei die Beweislast. Er muss belegen, dass der Grad der Berufsunfähigkeit unter die in den Versicherungsbedingungen festgelegte Grenze (meist 50%) gesunken ist.
Schutz des Versicherten
Das Leistungsanerkenntnis bietet Ihnen als Versichertem einen wichtigen Schutz. Es kehrt die Beweislast um: Nicht Sie müssen beweisen, dass Sie weiterhin berufsunfähig sind, sondern der Versicherer muss nachweisen, dass dies nicht mehr der Fall ist. Dies erleichtert Ihre Position erheblich, da Sie nicht ständig Ihre Berufsunfähigkeit neu belegen müssen.
Fristen und Verfahren bei Leistungseinstellung
Wenn der Versicherer nach einer Nachprüfung die Leistungen einstellen möchte, muss er Sie darüber schriftlich informieren. Die Leistungseinstellung darf in der Regel erst nach Ablauf des dritten Monats nach Zugang dieser Mitteilung erfolgen. Diese Frist gibt Ihnen die Möglichkeit, sich auf die neue Situation einzustellen oder gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten.
Bedeutung der ursprünglichen Anerkenntnisgrundlage
Bei der Nachprüfung ist entscheidend, welche Feststellungen und Bewertungen der Versicherer seinem ursprünglichen Anerkenntnis zugrunde gelegt hat. Der aktuelle Gesundheitszustand wird mit dem Zustand zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses verglichen. Auf einen möglicherweise abweichenden, dem Versicherer aber zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses unbekannten Zustand können Sie sich im Nachprüfungsverfahren nicht berufen.
Ein Leistungsanerkenntnis bietet Ihnen also eine starke Position gegenüber dem Versicherer, ohne dass dieser auf sein Recht zur Überprüfung verzichtet. Es schafft Rechtssicherheit und entlastet Sie von der ständigen Beweisführung, solange sich Ihr Gesundheitszustand nicht wesentlich verbessert.
Welche Kriterien werden bei der Prüfung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit berücksichtigt?
Bei der Prüfung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung werden mehrere wichtige Kriterien berücksichtigt:
Einkommenshöhe
Die neue Tätigkeit muss ein vergleichbares Einkommen ermöglichen. In der Regel gilt eine Einkommenseinbuße von bis zu 20% des Bruttoeinkommens als zumutbar. Wenn Sie also in Ihrem bisherigen Beruf 4.000 Euro brutto verdient haben, wäre eine Verweisungstätigkeit mit einem Einkommen von mindestens 3.200 Euro brutto noch als angemessen anzusehen.
Gesellschaftliche Wertschätzung
Die alternative Tätigkeit muss in Bezug auf die soziale Wertschätzung mit dem bisherigen Beruf vergleichbar sein. Stellen Sie sich vor, Sie waren zuvor als Abteilungsleiter tätig. In diesem Fall wäre eine Verweisung auf eine einfache Hilfstätigkeit ohne Führungsverantwortung in der Regel nicht zumutbar, da dies einen deutlichen Abstieg in der sozialen Stellung bedeuten würde.
Erforderliche Qualifikationen
Die Verweisungstätigkeit muss den Kenntnissen, Fähigkeiten und der Ausbildung des Versicherten entsprechen. Wenn Sie beispielsweise eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bankkaufmann haben, käme eine Verweisung auf eine ungelernte Tätigkeit nicht in Betracht. Die neue Tätigkeit sollte Ihre erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen berücksichtigen.
Gesundheitliche Eignung
Die alternative Tätigkeit muss unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen ausgeübt werden können. Leiden Sie etwa an Rückenproblemen, die schweres Heben unmöglich machen, wäre eine Verweisung auf eine körperlich belastende Tätigkeit nicht zumutbar.
Mobilität und Arbeitsweg
Bei der Prüfung wird auch die Zumutbarkeit des Arbeitsweges berücksichtigt. In der Regel gilt eine Fahrtstrecke von maximal 40 km ab dem Wohnort als zumutbar. Ein Umzug kann Ihnen dabei nicht zugemutet werden.
Arbeitsmarktlage
Die abstrakte Verweisung berücksichtigt nicht die konkrete Arbeitsmarktlage. Es ist daher unerheblich, ob tatsächlich eine Stelle in der Verweisungstätigkeit verfügbar ist. Entscheidend ist nur, dass der Versicherte theoretisch in der Lage wäre, die alternative Tätigkeit auszuüben.
Berufliche Stellung
Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit hängt auch von Ihrer bisherigen beruflichen Stellung ab. Das Bundessozialgericht hat hierfür ein Schema entwickelt, das Berufsgruppen in verschiedene Ebenen einteilt. Eine Verweisung ist in der Regel nur auf die nächstniedrigere Ebene zulässig. Waren Sie beispielsweise als Facharbeiter tätig, wäre eine Verweisung auf eine Tätigkeit als angelernter Arbeiter möglicherweise noch zumutbar, nicht jedoch auf eine Tätigkeit als ungelernter Arbeiter.
Wie wirkt sich die Aufnahme einer neuen Tätigkeit auf bestehende Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung aus?
Die Aufnahme einer neuen Tätigkeit kann erhebliche Auswirkungen auf Ihre bestehenden Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung haben. Der Versicherer ist berechtigt, im Rahmen einer Nachprüfung zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Leistungspflicht weiterhin vorliegen. Wenn Sie eine neue Tätigkeit aufnehmen, kann dies zu einer Leistungskürzung oder sogar zur vollständigen Einstellung der Leistungen führen.
Konkrete Verweisung
Bei der Beurteilung Ihrer neuen Tätigkeit spielt das Konzept der konkreten Verweisung eine zentrale Rolle. Wenn Sie eine Tätigkeit ausüben, die Ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, kann der Versicherer Sie auf diese Tätigkeit verweisen und die Leistungen einstellen. Die neue Tätigkeit muss dabei hinsichtlich der sozialen Wertschätzung und des Einkommens mit Ihrem ursprünglichen Beruf vergleichbar sein.
Beurteilung der Lebensstellung
Bei der Beurteilung Ihrer Lebensstellung werden verschiedene Faktoren berücksichtigt:
- Einkommenshöhe: In der Regel sollten Sie mit der neuen Tätigkeit mindestens 80% des Bruttoeinkommens Ihres ehemaligen Berufes verdienen.
- Soziale Wertschätzung: Die neue Tätigkeit sollte in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ähnlich angesehen sein wie Ihr vorheriger Beruf.
- Qualifikationen und Kenntnisse: Ihre erworbenen Fähigkeiten und Erfahrungen werden ebenfalls berücksichtigt.
Auswirkungen auf die Leistungen
Wenn Sie eine neue Tätigkeit aufnehmen, können folgende Szenarien eintreten:
- Fortsetzung der Leistungen: Wenn die neue Tätigkeit nicht Ihrer vorherigen Lebensstellung entspricht, müssen die Leistungen fortgeführt werden.
- Einstellung der Leistungen: Entspricht die neue Tätigkeit Ihrer vorherigen Lebensstellung, kann der Versicherer die Leistungen einstellen.
- Teilweise Leistungskürzung: In manchen Fällen kann es zu einer teilweisen Reduzierung der Leistungen kommen, wenn Sie teilweise erwerbsfähig sind.
Beachten Sie, dass die tatsächliche Ausübung einer neuen Tätigkeit grundsätzlich als Indiz dafür gilt, dass diese Ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Es liegt dann an Ihnen zu beweisen, dass dies nicht der Fall ist.
Mitwirkungspflichten
Wenn Sie eine neue Tätigkeit aufnehmen, haben Sie in der Regel Mitwirkungspflichten gegenüber dem Versicherer. Sie müssen relevante Änderungen Ihrer beruflichen Situation mitteilen und bei der Nachprüfung kooperieren. Eine Verletzung dieser Pflichten kann zu einer vorübergehenden Leistungseinstellung führen.
Rechtliche Auseinandersetzungen
Sollte es zu Unstimmigkeiten bezüglich der Beurteilung Ihrer neuen Tätigkeit kommen, kann eine rechtliche Auseinandersetzung notwendig werden. Gerichte berücksichtigen dabei alle relevanten Umstände des Einzelfalls. Besonders bei einem Wechsel von einer selbstständigen zu einer angestellten Tätigkeit oder umgekehrt kann die Beurteilung komplex sein.
Welche Rechte haben Versicherte bei einer Leistungseinstellung durch den Versicherer?
Bei einer Leistungseinstellung durch den Versicherer haben Sie als Versicherter mehrere Rechte und Handlungsmöglichkeiten:
Widerspruchsrecht: Sie können innerhalb von einem Monat nach Erhalt der Einstellungsmitteilung schriftlich Widerspruch einlegen. Begründen Sie Ihren Widerspruch ausführlich und fügen Sie neue ärztliche Atteste oder Gutachten bei, die Ihre fortbestehende Berufsunfähigkeit belegen.
Beweislast: Bei einer Leistungseinstellung trägt der Versicherer die Beweislast für die Verbesserung Ihres Gesundheitszustandes. Er muss nachweisen, dass sich Ihre Situation seit dem ursprünglichen Leistungsanerkenntnis wesentlich gebessert hat.
Prüfung der Einstellungsbegründung
Prüfen Sie die Begründung des Versicherers sorgfältig. Er muss detailliert darlegen, warum er die Leistung einstellt. Achten Sie besonders auf folgende Punkte:
- Vergleich Ihres aktuellen Gesundheitszustands mit dem Zustand bei Leistungsanerkenntnis
- Berufsbezogene Begründung der angeblichen Verbesserung
- Nachvollziehbarkeit der ärztlichen Gutachten und Untersuchungsergebnisse
Einholung eigener Gutachten
Wenn Sie mit der Einschätzung des Versicherers nicht einverstanden sind, können Sie eigene ärztliche Gutachten einholen. Diese können Ihre fortbestehende Berufsunfähigkeit bestätigen und als Grundlage für Ihren Widerspruch dienen.
Klageerhebung
Bleibt der Versicherer bei seiner Entscheidung, können Sie innerhalb der Verjährungsfrist (in der Regel 3 Jahre) Klage beim zuständigen Gericht einreichen. Hier gilt:
- Sie müssen Ihre fortbestehende Berufsunfähigkeit beweisen
- Das Gericht wird in der Regel ein neutrales Sachverständigengutachten einholen
- Der Prozess kann sich über mehrere Instanzen erstrecken
Vorläufiger Rechtsschutz: In dringenden Fällen können Sie einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen, um die Fortsetzung der Rentenzahlung bis zur endgültigen Entscheidung zu erwirken.
Mitwirkungspflichten beachten
Während des gesamten Verfahrens müssen Sie Ihre vertraglichen Mitwirkungspflichten erfüllen. Dazu gehört:
- Bereitstellung aller relevanten medizinischen Unterlagen
- Teilnahme an zumutbaren ärztlichen Untersuchungen
- Meldung von Änderungen Ihres Gesundheitszustands oder Ihrer beruflichen Situation
Beachten Sie, dass bei einer konkreten Verweisung der Versicherer die Leistung einstellen kann, wenn Sie tatsächlich eine andere Tätigkeit ausüben, die Ihrer Ausbildung und bisherigen Lebensstellung entspricht. In diesem Fall müssen Sie nachweisen, dass diese neue Tätigkeit nicht zumutbar ist oder Ihrer bisherigen Lebensstellung nicht entspricht.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Anerkenntnis: Ein Anerkenntnis ist eine verbindliche Erklärung des Versicherers, dass er die Leistungspflicht akzeptiert. Es bindet den Versicherer an seine Entscheidung, solange sich die Umstände nicht wesentlich ändern. Im vorliegenden Fall hatte der Versicherer 2016 ein Anerkenntnis ausgesprochen, an das er gebunden blieb. Ein Anerkenntnis gibt dem Versicherten Rechtssicherheit und erschwert es dem Versicherer, die Leistungen später einzustellen.
- Konkrete Verweisung: Bei der konkreten Verweisung prüft der Versicherer, ob der Versicherte tatsächlich eine andere Tätigkeit ausübt, die seiner Ausbildung und Erfahrung entspricht und seiner bisherigen Lebensstellung angemessen ist. Im Gegensatz zur abstrakten Verweisung reicht es nicht aus, dass der Versicherte theoretisch eine solche Tätigkeit ausüben könnte. Die konkrete Verweisung kann zur Einstellung der Leistungen führen, wenn die neue Tätigkeit als zumutbar eingestuft wird.
- Lebensstellung: Die Lebensstellung umfasst sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen Aspekte der beruflichen Position. Sie beinhaltet das Einkommen, aber auch die gesellschaftliche Wertschätzung und das berufliche Ansehen. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer neuen Tätigkeit wird geprüft, ob diese der bisherigen Lebensstellung entspricht. Eine deutliche Verschlechterung der Lebensstellung kann dazu führen, dass eine Verweisung auf die neue Tätigkeit als unzumutbar gilt.
- Zumutbare Einkommensminderung: In Versicherungsbedingungen wird oft eine maximale Einkommensminderung festgelegt, die als zumutbar gilt. Im vorliegenden Fall waren dies 20%. Überschreitet die Einkommensminderung durch eine neue Tätigkeit diesen Wert, gilt die Verweisung als unzumutbar. Dies soll verhindern, dass Versicherte auf deutlich schlechter bezahlte Tätigkeiten verwiesen werden und so ihren Lebensstandard erheblich senken müssen.
- Auslegung: Die Auslegung ist ein juristisches Verfahren zur Ermittlung des Inhalts und der Bedeutung von Willenserklärungen, Verträgen oder Gesetzen. Bei der Auslegung wird der objektive Empfängerhorizont zugrunde gelegt, d.h. wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Erklärung verstehen durfte. Im Fall des Anerkenntnisses wurde durch Auslegung ermittelt, dass sich dieses auf den ursprünglichen Beruf als Kaufmann bezog.
- Beweislast: Die Beweislast regelt, wer im Prozess welche Tatsachen beweisen muss. Bei der Einstellung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung liegt die Beweislast beim Versicherer. Er muss nachweisen, dass sich die Verhältnisse so geändert haben, dass keine Berufsunfähigkeit mehr vorliegt oder eine zumutbare Verweisungstätigkeit ausgeübt wird. Diese Regelung schützt den Versicherten, da er nicht selbst beweisen muss, dass er weiterhin berufsunfähig ist.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 B-SBU (Berufsunfähigkeit): Dieser Paragraph definiert die vollständige Berufsunfähigkeit. Sie liegt vor, wenn die versicherte Person aufgrund von Krankheit, Körperverletzung oder altersbedingtem Kräfteverfall voraussichtlich für mindestens 6 Monate nicht in der Lage ist, ihren Beruf so auszuüben, wie sie es ohne gesundheitliche Einschränkungen könnte. Im vorliegenden Fall wurde geprüft, ob der Kläger seinen ursprünglichen Beruf als Kaufmann im Groß- und Außenhandel aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ausüben kann.
- § 3 Abs. 1 B-SBU (Versicherter Beruf): Gemäß diesem Paragraphen gilt als versicherter Beruf die berufliche Tätigkeit, die zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübt wurde. Hier war strittig, ob die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Produktionshelfer oder der ursprüngliche Beruf als Kaufmann für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit maßgeblich ist.
- § 2 Abs. 4 B-SBU (Zumutbare Tätigkeit): Dieser Paragraph legt fest, dass keine Berufsunfähigkeit vorliegt, wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht und wirtschaftlich sowie in ihrer gesellschaftlichen Wertschätzung ihrer früheren Lebensstellung gleichkommt. Eine zumutbare Einkommensreduzierung ist dabei begrenzt. Das Gericht prüfte, ob die neue Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter der bisherigen Lebensstellung des Klägers entsprach und ob die damit verbundene Einkommensminderung zumutbar war.
- § 14 Abs. 1 B-SBU (Nachprüfung): Dieser Paragraph erlaubt dem Versicherer, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad auch nach Anerkennung der Leistungspflicht zu überprüfen. Dabei kann neben dem ursprünglichen Beruf auch eine inzwischen aufgenommene Tätigkeit berücksichtigt werden, sofern sie der früheren Lebensstellung entspricht. Der Versicherer berief sich auf diesen Paragraphen, um die Rentenzahlungen einzustellen, nachdem der Kläger eine neue Tätigkeit aufgenommen hatte.
- § 1 Abs. 1 B-SBU (Leistungen): Dieser Paragraph regelt die Leistungen, die der Versicherer bei Berufsunfähigkeit erbringt. Dazu gehören die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente und die Befreiung von der Beitragspflicht. Das Gericht entschied, dass der Kläger Anspruch auf die Fortsetzung der Rentenzahlungen und Beitragsbefreiung hat.
Das vorliegende Urteil
OLG Karlsruhe – Az.: 12 U 179/23 – Urteil vom 18.06.2024
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