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Berufsunfähigkeitsversicherung – Leistungseinstellung wegen Besserung des Gesundheitszustandes

LG Münster – Az.: 115 O 132/16 – Urteil vom 16.05.2017

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab Februar 2016 bis längstens zum 30.04.2040 aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Nr. … Leistungen in Höhe von monatlich zurzeit EUR 385,40 zu zahlen, zahlbar monatlich im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Nr. … ab Februar 2016 bis längstens zum 30.04.2040 freizustellen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die durch die vorprozessuale Beauftragung der Rechtsanwältin entstandenen Gebühren in Höhe von EUR 1.171,67 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin, eine 41-jährige Floristin, begehrt von der Beklagten die Fortzahlung von Berufsunfähigkeitsleistungen.

Zwischen den Parteien besteht im Rahmen einer Lebensversicherung zu der Versicherungsschein-Nr. … eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Versicherungsschein-Nr….). Es sind ein Versicherungsbeginn zum 01.05.2001 und ein Versicherungsablauf zum 01.05.2040 vereinbart. Die monatliche Berufsunfähigkeitsrente beträgt 540,00 DM, der monatlich zu entrichtende Beitrag beträgt 37,65 DM. Es ist vereinbart, dass sowohl Leistungen als auch Beitrag dynamisch anwachsen. Ferner ist ein Ausschluss für allergische Erkrankungen vereinbart. Diesbezüglich wird auf den Versicherungsschein, Bl. 7ff. d.A. verwiesen.

Die Klägerin unterhält einen weiteren Berufsunfähigkeitsvertrag bei der Beklagten, der nicht streitgegenständlich ist. Aus diesem bezieht sie derzeit Leistungen, da hier ein Ausschluss allergischer Erkrankungen nicht erfolgt ist und sie an Heuschnupfen bzw. einer Allergie gegen Sommergräser und Sommerblumen leidet. Die Beklagte erbringt insoweit Leistungen, da sie davon ausgeht, dass die Tätigkeit als Floristin in Anbetracht dieser Allergie nicht leidensgerecht ist.

Für den streitgegenständlichen Vertrag gelten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die ergänzende Berufsunfähigkeitsvorsorge der Beklagten. Nach § 1 Abs. 1 der Bedingungen erbringt die Beklagte die vereinbarten Versicherungsleistungen, wenn die versicherte Person während der Versicherungsdauer zu mindestens 50% berufsunfähig wird. Gemäß § 2 Abs. 1 liegt vollständige Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens drei Jahre außerstande sein wird, ihren Beruf ( … ) auszuüben und sie auch keine andere Tätigkeit ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.

Im Jahr 2008 erkrankte die Klägerin an Depressionen. Mit Schreiben vom 28.05. 2009 meldete sie gegenüber der Beklagten Ansprüche an. Nach Erhalt eines nervenärztlichen Gutachtens von S vom 06.07.2009, eines Berichts der Diplom-Psychologin L vom 07.08.2009 und eines Gutachtens von M1 vom 09.12.2009 (jeweils Anlage C 3-5 im Anlagenkonvolut zum Schriftsatz vom 29.08.2016) erkannte die Beklagte eine Leistungspflicht rückwirkend für die Zeit ab dem 01.07.2008 an. Diesbezüglich wird auf die Schreiben vom 01.02. bzw. 09.02.2010, Bl. 13ff. d.A. verwiesen. Sie zahlte fortan die sich dynamisch erhöhenden Leistungen.

Im Jahr 2014 trat die Beklagte in das Nachprüfungsverfahren ein. Unter dem 10.03.2014 füllte die Klägerin einen Fragebogen der Beklagten aus. Sie gab an, mittlerweile als Produktionsmitarbeiterin 24 Stunden pro Woche in der Tortenproduktion tätig zu sein und hier alle insoweit anfallenden Arbeiten zu verrichten. Die tägliche Arbeitszeit betrage 8 Stunden. Einen Rentenantrag habe sie nicht gestellt, da sie in der derzeitigen Tätigkeit erwerbsfähig sei. Eine Veränderung der gesundheitlichen Verhältnisse sei nicht eingetreten. Die Klägerin gab an, weiterhin eine Gesprächstherapie und eine medikamentöse Behandlung durchzuführen. Krankgeschrieben sei sie aufgrund der Erkrankung nicht.

Nachdem die durch die Beklagte eingeholten Arztberichte vermeintlich kein eindeutiges Ergebnis ergaben, gab die Beklagte die Begutachtung der Klägerin bei Herrn M2, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, in Auftrag. Mit Gutachten vom 21.05.2015 gelangte der Privatsachverständige zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine rezidivierende Depression vorliege. Der jetzige Untersuchungsbefund zeige entgegen den Angaben der Klägerin selbst, dass die Depression leichtgradig sei. Diese leichte depressive Symptomatik führe nicht zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin. Insbesondere bestünden keine Einschränkungen mehr in den Bereichen Kundenbestellungen anfertigen, Kundenberatung, Pflanzenpflege, Schnittblumenpflege, Schnittblumen binden, Dekorationen, Bestellungen ausliefern und Vorbereitungen treffen. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich im Vergleich zu vorher deutlich gebessert. Ein wichtiger Beleg hierfür sei der im Rahmen der Begutachtung erhobene psychopathologische Befund. Die Prognose sei insgesamt günstig. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 16ff. d.A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 03.12.2015 kündigte die Beklagte die Einstellung ihrer Leistungspflicht zum 31.01.2016 an. In dem Schreiben, dem das Gutachten des Arztes M2 nicht beigefügt war, heißt es unter anderem:

„( … ) Herr M2 kam bei der Untersuchung und der Testpsychologie zu dem Ergebnis, dass sich Ihr Gesundheitszustand inzwischen deutlich gebessert hat. Es liegt eine rezidivierende Depression vor, die derzeit nur noch leichtgradig ist. Diese leichte depressive Symptomatik führt nicht zu einer Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit. Sie sind daher in allen Teiltätigkeiten als Floristin überhaupt nicht mehr eingeschränkt.

Zum Zeitpunkt unserer Leistungsanerkennung lagen uns mehrere ärztliche Berichte vor, unter anderem das Gutachten von Herrn M1 aus Dezember 2009, der damals die Einschränkungen wie folgt eingeschätzt hat:

Kundenbestellungen anfertigen, Pflanzenpflege und Schnittblumenpflege, Bestellungen Ausliefern – keine Einschränkungen.

Dekorationen, Vorbereitungen treffen – können nur noch eingeschränkt ausgeübt werden.

Kundenberatung, Blumensträuße binden – können nicht mehr ausgeübt werden.

Insgesamt betrugen die Einschränkungen 50%.

Nach Einschätzung Ihrer Psychotherapeutin, Frau L, litten Sie an einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradiger Episode. Es handelte sich nicht um eine chronische Erkrankung und die Symptome waren bei Erstellung des ärztlichen Berichts am 07.08.2009 bereits erheblich reduziert.

Gegenüber des Zeitpunktes unserer Leistungsanerkennung ergibt sich, aufgrund der bisher durchgeführten Behandlung, eine deutliche Verbesserung ihres Gesundheitszustandes bezüglich der psychischen Beschwerden.

Eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen ist somit nicht mehr gegeben. ( … )“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben, Bl. 29 d.A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 21.01.2016 leitete die Beklagte der Klägerin das Gutachten M2 vom 21.05.2015 zu. Die Ergebnisse des testpsychologischen Auswertungsverfahrens waren in dem übersandten Exemplar teilweise geschwärzt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.02.2016 rügte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass Teile des Gutachtens des Herrn M2 vom 21.05.2015 geschwärzt waren. Die Beklagte lehnte eine Übersendung des kompletten Gutachtens jedoch mit Schreiben vom 25.02.2016 mit dem Verweis darauf, dass man Verfälschungen bei künftigen Testverfahren vermeiden wolle, ab. Diesbezüglich wird auf Bl. 32 d.A. verwiesen.

Ab Februar 2016 erbrachte die Beklagte aus dem streitgegenständlichen Vertrag keine Leistungen mehr an die Klägerin. Die zuletzt aus dem Vertrag gezahlte monatliche Leistung betrug EUR 385,40.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte ihr bewusst Informationen vorenthalten habe, welche sie zur Grundlage ihrer Leistungsablehnung gemacht habe. Das Ergebnis des Herr M2, die Klägerin leide lediglich an einer leicht depressiven Gestimmtheit, welche die Leistungsfreiheit der Beklagten begründe, sei vollkommen isoliert getroffen worden. Umstände, aus welchen sich aus Sicht des Gutachters ergebe, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin angeblich gebessert habe, seien nicht dargelegt. Die Einstellungsmitteilung sei daher bereits unwirksam. Sie bestreitet, dass die Berufsunfähigkeit weggefallen sei. Die Klägerin leide nach wie vor an einer Depression mittelgradigen Ausmaßes. Sie behauptet, der Beruf der Floristin fördere bei der Klägerin Erwartungs- und Einstellungsängste. Der Klägerin falle es schwer, Entscheidungen zu treffen. Sie habe große Schwierigkeiten im Kundenkontakt. Sie fühle sich schnell unter Druck gesetzt und überfordert. Allein aus diesen Gründen sei ihr die Ausübung des Berufes der Floristin nicht mehr möglich.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie ab Februar 2016 aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Nr. … Leistungen in Höhe von monatlich zurzeit EUR 385,40 zu zahlen, zahlbar monatlich im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Nr. … ab Februar 2016 freizustellen, sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie die durch die vorprozessuale Beauftragung der Rechtsanwältin U entstandenen Gebühren i.H.v. EUR 1.171,67 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, dass bei der Klägerin keine Berufsunfähigkeit mehr vorliegt und dass die Klägerin nicht mehr zu mindestens 50% außer Stande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf als Floristin auszuüben.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, nach Übersendung des Gutachtens M2 mit Schreiben vom 21.01.2016 seien die formalen Voraussetzungen für die Leistungseinstellung vorprozessual erfüllt. Die teilweise Schwärzung der Ergebnisse auf den Seiten 10 und 11 des Gutachtens änderten hieran nichts, da die Leistungseinstellung nicht auf Grundlage der Selbstbeurteilung erfolgt sei. Sie stütze sich vielmehr auf den Untersuchungsbefund selbst, nach welchem die Depression lediglich leichtgradig sei.

Die Beklagte ist der Ansicht, eine Gegenüberstellung des ursprünglichen Gesundheitszustandes mit dem aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin ergebe sich hinreichend aus der Leistungseinstellungsmitteilung. Diese Gegenüberstellung müsse nicht im Rahmen der Begutachtung erfolgen.

Die Kammer hat die Sache in einem frühen ersten Termin am 17.11.2016 verhandelt und am Schluss der Sitzung zur weiteren Verhandlung und Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen. Nach Dezernatswechsel hat der nunmehr zuständige unterzeichnende Einzelrichter Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt auf den 04.04.2017. Ergebnis der Verhandlung ist ein Widerrufsvergleich gewesen. Ein Schriftsatznachlass ist von beiden Seiten nicht beantragt worden. Wegen des Inhaltes der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift, Bl. 117 d.A. verwiesen. Mit Schriftsatz vom 25.04.2017 hat die Beklagte den Vergleich widerrufen und die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird im Übrigen auf die Sitzungsniederschriften sowie die wechselseitigen Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Die Klageabweisung im Übrigen beruht auf dem Umstand, dass das späteste Leistungsende das Ablaufdatum des Vertrages ist.

Das Vorgehen der Beklagten Ende 2015/Anfang 2016 war ungeeignet für ein rechtswirksames Abrücken von dem Leistungsanerkenntnis, dass sie am 01.02.2010 abgegeben hatte.

Gemäß § 13 Abs. 4 AVB (Bl. 46 d.A.) kann der Versicherer die Leistungen einstellen, wenn die Berufsunfähigkeit weggefallen ist oder sich ihr Grad auf weniger als 50% vermindert hat. Die Einstellung muss dem Versicherten mitgeteilt werden. Sofern es nicht zu einer solchen Mitteilung kommt oder diese rechtsunwirksam ist, besteht die anerkannte Leistungspflicht auch dann fort, wenn sich die maßgeblichen Umstände derart geändert haben, dass sie den Versicherer zur Leistungseinstellung berechtigt hätten (vergleiche BGH, Urteil vom 17.02.1993, AZ IV ZR 162/91, Rn. 44, zit. nach juris). Für den Wegfall der Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit bei Nachprüfung ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet.

§ 13 Abs. 4 AVB sowie auch § 174 VVG enthalten keine Vorgaben, welchen Inhaltes die Mitteilung des Versicherers sein sollte, um die von ihm beanspruchte Rechtsfolge – das Ende seiner anerkannten Leistungspflicht – zu bewirken. Ausdrücklich vorgesehen ist eine Begründung nicht. Aus Sinn und Zweck wie aus der Ausgestaltung der Klausel ergibt sich jedoch, dass in der Mitteilung eine nachvollziehbare Begründung dafür gegeben werden muss, dass die Leistungspflicht des Versicherers nach § 13 Abs. 4 AVB enden soll. § 13 AVB sieht vor, dass der Versicherte dem Versicherer dabei behilflich zu sein hat, dass Letzterer seiner Beweispflicht im Nachprüfungsverfahren nachkommen kann. Unter Androhung des Anspruchsverlustes, ist der Versicherte gehalten, dem Versicherer jederzeit für die Nachprüfung sachdienliche Auskünfte zu erteilen und sich auf dessen Verlangen einmal jährlich einer Untersuchung durch einen vom Versicherer beauftragten Arzt zu unterziehen.

Spiegelbildlich zu diesen Obliegenheiten, die dem Versicherten im Interesse des Versicherers aufgegeben sind, hat jedoch der Versicherer seinerseits dafür Sorge zu tragen, dass der Versicherte seine Rechte aus dem Versicherungsverhältnis sachgerecht wahren kann. Dazu zählt, dass er in einer Einstellungsmitteilung, zu der ihn gerade der obliegenheitstreue Versicherte in den Stand gesetzt hat, diesem die Informationen gibt, die er benötigt, um sein Prozessrisiko abschätzen zu können. Voraussetzung dafür ist die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung. Sie ist für den Versicherten deshalb so bedeutsam, weil er es ist, der sich mit einer Klage gegen die durch eine Mitteilung ausgelösten Rechtsfolgen zu Wehr setzen muss (vgl. insgesamt BGH, a.a.O.; BGH, Urteil vom 17.02.1993, IV ZR 206/91, NJW 1993, 1532; Prölss/Martin, 29. Auflage 2015, § 174 VVG Rn. 23).

Sofern der Versicherer die Einstellung der Leistungen auf eine Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers stützen will, muss aus der Einstellungsmitteilung erkennbar sein, was sich am Gesundheitszustand des Versicherten gebessert haben soll. Zu einer solchen Einschätzung kann nur gelangen, wer zwei verschiedene Zustände miteinander verglichen hat; andernfalls handelt es sich um eine Behauptung ins Blaue hinein. Maßgebend im Nachprüfungsverfahren ist der Vergleich des Gesundheitszustandes, den der Versicherer seinem Anerkenntnis zugrunde gelegt hat, mit dem Gesundheitszustand des Versicherten zu einem späteren Zeitpunkt. Die Begründung der Mitteilung lässt sich demnach im Regelfall nur in der Weise geben, dass der Versicherer seine Vergleichsbetrachtung und die aus ihrem Ergebnis gezogenen Folgerungen aufzeigt (vgl. BGH, a.a.O., OLG Hamm, Urteil 19.12.2003, 20 U 129/03, NJOZ 2004, 490; Prölss/Martin, a.a.O.). Geht der Versicherer von einer Gesundheitsbesserung aus, muss der Versicherer darlegen, von welcher konkreten Veränderung im Gesundheitszustand er ausgeht (OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.09.2014, 12 U 204/12, r+s 2015, 81).

Zu den Mindestvoraussetzungen an eine wirksame Einstellungsmitteilung gehört auch, dass ärztliche Gutachten, auf die sich der Versicherer stützt, unverkürzt zugänglich gemacht werden (BGH, Urteil vom 12.06.1996, IV ZR 106/95, NJW-RR 1996, 1111).

1. In ihrem Schreiben vom 03.12.2015 spricht die Beklagte ein medizinisches Gutachten an, das sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigt habe. Sie teilt mit, dass der Gutachter bei der Untersuchung und der Testpsychologie zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin inzwischen deutlich gebessert habe. Die rezidivierende Depression sei derzeit nur noch leichtgradig. Diese leichte depressive Symptomatik führe nicht zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin. Sie sei daher in allen Teiltätigkeiten als Floristin überhaupt nicht mehr eingeschränkt.

Sodann stellt die Beklagte die Ergebnisse des Gutachtens aus dem Dezember 2009 (Anlage C 5 aus dem Anlagenkonvolut) dar, das ihr zum Zeitpunkt der Leistungsanerkennung vorlag. Sie gibt die Einschätzungen des damaligen Gutachters wieder. Sodann schreibt sie, gegenüber dem Zeitpunkt der Leistungsanerkennung ergebe sich aufgrund der bisher durchgeführten Behandlungen eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes zu der psychischen Beschwerden. Worin diese Besserung liegen soll, wird allerdings nicht ausgeführt. Insbesondere wird auch nicht ausgeführt, aus welchen Gründen die durch den zweiten Gutachter vorgenommene Untersuchung und die Testpsychologie auf eine Besserung des psychischen Gesundheitszustands der Klägerin schließen lassen. Zu der Beschaffenheit der gesundheitlichen Zustände der Klägerin (zum Zeitpunkt der Leistungsanerkennung und zum Zeitpunkt der Einstellungsmitteilung) schreibt die Beklagte nichts. Für die Klägerin bleibt völlig im Dunkeln, inwiefern bei ihr nun eine gesundheitliche Besserung eingetreten sein soll.

Dies gilt auch, wenn man das durch die Beklagte eingeholte Gutachten zugrundelegt, das zum Zeitpunkt der Mitteilung der Einstellung der Klägerin unstreitig nicht vorgelegt wurde. Im Rahmen des dort niedergelegten psychischen Befundes wird zwar dargestellt, dass in den Bereichen Aufmerksamkeit und Konzentration, Antrieb und Regulation des Verhaltens, Stimmungslage, Affektivität, Flexibilität, Konvergenzdenken, divergentes Denken, exekutive Funktionen, formales Denken, inhaltliches Denken, Orientierung, Gedächtnis, Selbstvertrauen und Identität als Personen, Krankenverarbeitung und Intelligenz keine Einschränkungen bestehen. Eine Begründung, wie der Sachverständige zu dieser Einschätzung jeweils gelangt, wird an keiner Stelle gegeben. Unter dem Punkt „Selbstvertrauen und Identität als Person, Krankheitsverarbeitung“ heißt es „Regelrechte Einschätzung der eigenen Person“, während es unter Punkt 4a. des Gutachtens heißt, dass sich die Klägerin in ihrer Selbsteinschätzung als deutlich depressiv eingeschätzt habe. Eine Auseinandersetzung mit diesem Widerspruch erfolgt ebenso wenig wie eine Auseinandersetzung mit den Gutachten aus 2009.

Insgesamt ist damit die Nachvollziehbarkeit der Einstellungsmitteilung nicht gegeben. Die gegebene Begründung ist nicht vorhanden. Das Gutachten ist inhaltsleer und erweist sich als bloße Floskel. Das macht die Mitteilung unwirksam.

2. Die Einstellungsmitteilung ist aber auch bereits deshalb unwirksam, weil das Gutachten, das Grundlage der Leistungseinstellung war, lediglich unvollständig und teilweise geschwärzt übergeben wurde.

Soweit die Beklagte diesbezüglich vorträgt, dass das testpsychologische Auswahlverfahren, dessen Ergebnisse von der Schwärzung betroffen waren, für die Einschätzung der Remission nicht (mit)ursächlich gewesen sei, widerspricht dem bereits die noch im Schreiben vom 25.02.2016, Bl. 32 d.A. geäußerte Einschätzung der Beklagten. Hier erklärte die Beklagte, dass es, um ein objektives Bild über die Einschränkungen der versicherten Person in der Ausübung der beruflichen Tätigkeit zu erhalten, erforderlich sei, bei einer psychiatrischen Begutachtung ein testpsychologisches Auswertungsverfahren durchzuführen. Hieraus lasse sich ableiten, wie stark eine psychische Erkrankung ausgeprägt sei. Wenn diese noch außergerichtlich abgegebene Einschätzung der Beklagten zutrifft, dürften auch die geschwärzten Ergebnisse die Einschätzung der Beklagten einer Gesundheitsbesserung getragen haben. Im Übrigen ergibt sich auch aus der Einstellungsmitteilung selbst Gegenteiliges, soweit es dort heißt, dass die Beklagte u.a. aufgrund der Testpsychologie zu dem Ergebnis gelangt sei, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin deutlich verbessert habe.

Hinzu kommt, dass das Postulat einer vollständigen Übergabe eines ärztlichen Gutachtens, auf das sich der Versicherer als Grundlage seiner Leistungseinstellung stützt, darauf fußt, dass die Beurteilungsgrundlage dem Versicherungsnehmer mitzuteilen ist. Der Versicherungsnehmer soll in die Lage versetzt werden, selbst einzuschätzen, ob sich das Risiko einer wehrhaften Auseinandersetzung im Prozess lohnt oder nicht. Die Einschätzung, ob auch die Ergebnisse des testpsychologischen Auswahlverfahrens die vorgetragene Gesundheitsbesserung bei der Klägerin und damit die Leistungseinstellung nach Anerkenntnis tragen, soll gerade nicht exklusiv dem Versicherer überlassen werden. Denn der Versicherungsnehmer ist derjenige, der im Zweifel zur Klage gezwungen ist.

3. Soweit die Beklagte mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 26.04.2017 die Wiederöffnung der mündlichen Verhandlung angeregt hat, war dem nicht zu folgen. Dass das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2017 einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt ins Feld geführt hat, der die Wiedereröffnung nach § 156 Abs. 2 ZPO gebieten würde, ist bereits deshalb nicht ersichtlich, da bereits der Klageschriftsatz unter anderem auf die Unwirksamkeit der Einstellungsmitteilung gestützt war. Im Übrigen hat das Gericht auf seine rechtliche Einschätzung in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Einen Schriftsatznachlass hat die Beklagte daraufhin nicht beantragt, was ihr unbenommen gewesen wäre. Genauso wäre es ihr unbenommen gewesen, bereits vor Aufnahme des Verfahrens aber auch noch zulässigerweise im Prozess eine modifizierte neue Einstellungsmitteilung nachzuholen. Diesbezüglicher neuer Vortrag erfolgte auch nicht im Widerrufsschriftsatz vom 26.04.2017.

Soweit die Beklagte ausführt, die Kammer habe im Rahmen des frühen ersten Termins eine andere Rechtsauffassung vertreten als der nunmehr zuständige Einzelrichter kann dies weder dem Protokoll zum Kammertermin am 17.11.2016 noch dem Terminsbericht (Bl. 133 d.A.) entnommen werden, soweit es dort heißt, dass „das Thema der geschwärzten Seiten nicht Gegenstand der Verhandlung“ war. Dass sich das Gericht zu der rechtlichen Frage, die bereits durchgängig Gegenstand der wechselseitigen schriftsätzlichen Korrespondenz der Parteien seit Beginn des Verfahrens war, so positionieren könnte, wie oben dargelegt, kann für die Beklagte vor diesem Hintergrund nicht überraschend gewesen sein. Soweit die Beklagte aus dem Umstand, dass eventuell ein Sachverständigengutachten zur Frage der Berufsunfähigkeit einzuholen sei, schließen wollte, dass die Einstellungsmitteilung wirksam ist, wäre ihr die Möglichkeit einer abweichenden rechtlichen Einschätzung des Gerichts auch spätestens mit der Entscheidung des Gerichtes vom 09.01.2017 einen Fortsetzungstermin anzuberaumen, anstatt unmittelbar einen Beweisbeschluss zu erlassen und einen Sachverständigen zu bestellen, deutlich geworden.

Da es demnach insgesamt an einer rechtswirksamen Mitteilung der Beklagten fehlt, sie sich aber nur mit einer wirksamen Mitteilung wieder von ihrer anerkannten Leistungspflicht freimachen konnte und eine „nachgeholte“ ordnungsgemäße Mitteilung nicht vorliegt war auf die Klage der Versicherten zur Weitergewährung der Leistungen zu verurteilen, die sich aus dem Anerkenntnis ergeben, ohne dass es auf weiteres ankommt.

4. Die von der Klägerin des Weiteren beanspruchte Erstattung der gegenüber ihrer Anwältin geschuldeten Geschäftsgebühr ist in voller geltend gemachter Höhe aus dem Gesichtspunkt des Verzugs gerechtfertigt. Die Einschaltung der Prozessbevollmächtigten war jedenfalls zur Prüfung der Ansprüche auf Fortzahlung einer monatlichen Rente, die die Beklagte auch schuldete, gerechtfertigt; die Berechnung nach einem Gegenstandswert von EUR 19.475,86 ist insoweit nicht zu beanstanden.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92, 709 ZPO.

 

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