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Berufsunfähigkeitsversicherung – Leistungseinstellung des Versicherers bei gesundheitlicher Besserung des Versicherungsnehmers

KG Berlin, Az.: 6 U 109/13, Beschluss vom 06.03.2015

In dem Rechtsstreit hat der Senat nunmehr über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 14. Mai 2013 beraten und beabsichtigt im Ergebnis dieser Beratung die Berufung des Beklagten durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

Zum Sachverhalt – unstreitiges Vorbringen, streitiger Vortrag sowie die im ersten Rechtszug gestellten Anträge – wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Das Landgericht hat gemäß Beschluss vom 31. Oktober 2011 (Bl. 52 d. A.) Beweis erhoben zur Frage der Berufsunfähigkeit des Klägers durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. … W… . Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 21. März 2012 (Bl. 66 ff d. A.), die ergänzende Stellungnahme vom 24. August 2012 (Bl. 100 ff d. A.) sowie die Anhörung vor dem Landgericht (Bl. 135 ff d. A.) verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und den Beklagten durch das angefochtene Urteil zur Fortzahlung der vereinbarten BU-Rente verurteilt.

Zu den Einzelheiten der Erwägungen wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er die Abweisung der Klage begehrt. Er macht im Wesentlichen geltend, die Beweiswürdigung durch das Landgericht sei fehlerhaft. Es hätten die von der Beklagten vorprozessual beauftragten Gutachter, die als Zeugen benannten Prof. Dr. M… und Dr. …, zu der Behauptung als Zeugen vernommen werden müssen, dass der Kläger bei der Untersuchung durch die Zeugen die Seitenneigung im physiologischen Umfang zu 100% schmerzfrei ausführen sowie den Langsitz mit einer Vornüberneigung von 10° (Bl. 187 d. A.) – dies entspreche dem normalen Bewegungsausmaß – einnehmen konnte.

Im Jahr 2004 seien auch Radikulärzeichen durch Dr. H… beim Kläger festgestellt worden, die im Jahr 2010 nicht mehr vorlagen (Bl. 187, 194 d. A.).

Das angefochtene Urteil beruhe ursächlich auf diesen Fehlern, weil auch der gerichtliche Sachverständige ausgeführt habe, dass die Feststellung einer Berufsunfähigkeit nicht zu rechtfertigen gewesen wäre, wenn es keine Funktionseinschränkungen bei der Beweglichkeit gegeben hätte (Bl. 191 d. A.).

Auch die Beschwielung der Hände und der Knie beim Kläger spreche dafür, dass er in seinem alten Beruf wieder tätig sei. Der Beklagte beruft sich zum Beweis auf die Einholung eines dermatologischen Gutachtens.

Die Einstellungsmitteilung entspreche den Anforderungen der Rechtsprechung (Bl. 195 d. A.).

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zu den Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1) Die Berufung kann gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einem Rechtsfehler beruht oder dass gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beide Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor.

2) Dem Beklagten gelingt der Nachweis nicht, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 der Allgemeinen Bedingungen für Berufungsunfähigkeitsleistungen (Anlage K 22= BED.BU.0197 – im Folgenden: BB-BUZ) vorliegen. Dies hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt.

a) Das Landgericht hat die Frage offen gelassen, ob die Einstellungsmitteilung vom 4. Januar 2011 die formalen Begründungsanforderungen erfüllt und damit überhaupt wirksam ist. Die Wirksamkeit der Einstellungsmitteilung ist zu verneinen, denn es fehlt der erforderliche Vergleich des Gesundheitszustandes des Klägers im Jahr 2004 mit dem im Jahr 2010 festgestellten unter Berücksichtigung der Auswirkungen für den Kläger, seinen bisher ausgeübten Beruf wieder zu einem bestimmten Prozentsatz ausüben zu können.

Gemäß § 7 Abs. 4 BB-BUZ stellt die Beklagte die Leistungen ein, wenn die Berufsunfähigkeit weggefallen ist oder sich auf einen Grad von weniger als 50 Prozent vermindert hat. Gemäß Abs. 1 kann die Beklagte dabei auch prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, wobei neu erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten zu berücksichtigen sein sollen. Aus diesem Wortlaut ergibt sich, dass eine Änderung der Verhältnisse gegenüber denen bei Leistungsanerkennung vorliegen muss.

Mit seinem Leistungsanerkenntnis entscheidet der Versicherer über den Grad der Berufsunfähigkeit. Er ist daher gehindert, sich bei unverändertem Fortbestand der für die damalige Beurteilung maßgeblichen, ihm bekannt gewordenen Umstände von dieser Erklärung wieder zu lösen. Der Versicherer ist aufgrund der mit seinem Leistungsanerkenntnis verbundenen Selbstbindung nicht befugt, die Berufsunfähigkeit der versicherten Person ohne Änderung der tatsächlichen Verhältnisse und/oder seiner Kenntnis hiervon abweichend zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – IV ZR 119/09 –, NJW 2010, 1755 ff – zitiert nach juris: Rdnr. 9 unter Hinweis auf Urt. vom 17. September 1986 – IVa ZR 252/84 – VersR 1986, 1113 unter 2).

Nachträglichen Änderungen im Gesundheitszustand des Klägers, die eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit entfallen lassen, kann der Versicherer nur im Wege eines Nachprüfungsverfahrens nach § 9 Abs. 1 BB-BUZ Rechnung tragen. Allein auf diese Weise kann er erreichen, dass seine bereits anerkannte Leistungspflicht wieder endet. Dabei ist es Sache des Versicherers, im Nachprüfungsverfahren zu beweisen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BB-BUZ nicht mehr gegeben sind. Maßgeblich dafür ist der Vergleich des Gesundheitszustandes, wie er dem Anerkenntnis zugrunde gelegen hat, mit dem Gesundheitszustand der versicherten Person zu einem späteren Zeitpunkt. Der Versicherer kann von seinem Leistungsanerkenntnis erst dann wieder abrücken, wenn er belegen kann, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten derart gebessert hat, dass dies zu bedingungsgemäß relevanten Auswirkungen auf seine beruflichen Betätigungsmöglichkeiten führt (vgl. BGH NJW 2010, 1755 ff – zitiert nach juris: Rdnr. 10; BGH VersR 2008, 521 – zitiert nach juris: Rdnr. 3 unter Hinweis auf BGHZ 137, 178, 181 f. – zitiert nach juris: Rdnr. 18).

Auch wenn § 7 der hier maßgeblichen BUZ eine Begründung der Entscheidung des Versicherers nicht ausdrücklich vorsieht, so ergibt sich jedoch aus Sinn und Zweck wie aus der Ausgestaltung der Klausel, dass in der Mitteilung über die Leistungseinstellung eine nachvollziehbare Begründung dafür gegeben werden muss, dass die Leistungspflicht des Versicherers enden soll. Sie soll dem obliegenheitstreuen Versicherten, der zuvor dem Versicherer für die Nachprüfung sachdienliche Auskünfte erteilt hat, die Informationen geben, die er benötigt, um sein Prozessrisiko abschätzen zu können. Voraussetzung dafür ist die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung des Versicherers. Sie ist für den Versicherten deshalb so bedeutsam, weil er es ist, der sich mit einer Klage gegen die durch eine Mitteilung ausgelösten Rechtsfolgen zur Wehr setzen muss (BGH VersR 2006, 102 – zitiert nach juris: Rdnr. 22 m. w. Nachw.).

Begründet der Versicherer seine Ansicht mit einem Gutachten, das er – wie in § 7 BB-BUZ vorgesehen – eingeholt hat, um seiner Beweislast zu genügen, so gehört es zu den Mindestvoraussetzungen für die Nachvollziehbarkeit seiner Entscheidung und damit für die Wirksamkeit seiner Mitteilung, daß er dieses Gutachten dem Versicherten mit der Mitteilung zugänglich macht, sofern es sich nicht bereits in den Händen des Versicherten befindet. Bloße Auszüge aus dem Gutachten oder Schlußfolgerungen des Versicherers, aus dem Gutachten ergebe sich, daß der Versicherte nicht mehr berufsunfähig sei, genügen für einen sachgerechten Nachvollzug der Entscheidung nicht (BGH, Urt. v. 17. 2. 1993 – IV ZR 264/91 -, NJW-RR 1993, 721 f. – zitiert nach juris: Rdnr. 19).

Allerdings ist dem Begründungserfordernis noch nicht damit genügt, daß der Versicherer unter bloßem Hinweis auf das mitübersandte (oder sich bereits in den Händen des Versicherten befindende) medizinische Gutachten die nicht näher erläuterte Ansicht vertritt, er sei nicht länger leistungspflichtig. Er muß dem Versicherten vielmehr aufzeigen, wie er – gegebenenfalls unter Heranziehung des von ihm eingeholten Gutachtens – zu seiner getroffenen Entscheidung gelangt ist. Da im Nachprüfungsverfahren der Vergleich des Gesundheitszustandes, wie ihn der Versicherer seinem Anerkenntnis zugrunde gelegt hat, mit dem Gesundheitszustand des Versicherten zu einem späteren Zeitpunkt maßgebend ist, lässt sich die Begründung der Nachprüfungsmitteilung im Regelfall nur in der Weise geben, daß der Versicherer seine Vergleichsbetrachtung und die aus ihr gezogenen Folgerungen aufzeigt (vgl. BGH, a. a. O. – zitiert nach juris: Rdnr. 20).

aa) Die Einstellungsmitteilung vom 4. Januar 2011 (K 10) stellt allein auf den Grad der Berufsunfähigkeit ab. Dies ist nicht ausreichend, denn es fehlt die Vergleichsbetrachtung beim Gesundheitszustand (vgl. BGH VersR 1996, 958 – zitiert nach juris: Rdnr. 3, 15).

bb) Der Beklagte hat zwar dem Kläger später das Gutachten vom 20. Dezember 2010 mit dem Anschreiben der Gutachter vom 20. Dezember 2010 übermittelt (Anlage K 11). Die Fragestellung des Gutachtens zeigt jedoch, dass keine vergleichende Einschätzung des Gesundheitszustandes des Klägers in den Jahren 2004 und 2008 mit dem im Jahr 2010 von den Gutachtern verlangt wurde und dass sie eine solche auch nicht vorgenommen haben.

Aus dem Anschreiben vom 20. Dezember 2010 des Prof. Dr. M… und des Dr. E… r ergibt sich, dass beide Gutachter von einer Verbesserung des Gesundheitszustandes und einer praktisch uneingeschränkten Beweglichkeit der Wirbelsäule ausgehen. Ferner sollte keine Ausstrahlung (Ischialgie) der Beschwerden bei endgradiger Hüftbeugung mit gestrecktem Bein vorliegen. Der Kläger konnte auch daraus jedoch nicht entnehmen, welcher Gesundheitszustand insoweit in den Vorgutachten angesetzt worden war. Eine vollständige Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit bestätigen die Gutachter beim Kläger gerade nicht. Der Kläger hatte seinerzeit in seinem Leistungsantrag seine Berufstätigkeit beschrieben und angegeben, dass alle Tätigkeiten eine große physische Leistungsfähigkeit von ihm benötigen, so dass er nicht mehr in der Lage sei, diese genannten Tätigkeiten auszuführen. Die Gutachter bestätigen im Gutachten, dass beim Kläger ein weiterer Bandscheibenvorfall in Zukunft nicht auszuschließen sei (S. 10 des Gutachtens). Wenn sie weiterhin davon ausgehen, dass nicht sicher festzustellen ist, dass der Kläger extrem schweres Tragen sowie Tätigkeiten in endgradigen Positionen der LWS ausführen kann, dann bleibt für ihn weiterhin unklar, warum nur eine Berufsunfähigkeit von 30% vorliegen soll. Der Kläger hat in dem als Anlage K 13 vorgelegten Schreiben verdeutlicht, warum jede einzelne im Leistungsantrag genannte Teiltätigkeit mit schwerem Heben und Tragen verbunden war und dass auch die Tätigkeit bei der Mauerwerksabdichtung in Zwangshaltung geschieht und körperlich anstrengend ist. Damit haben sich die Gutachter inhaltlich nicht auseinander gesetzt. Es geht zu Lasten des Beklagten, wenn er bei seinem Leistungsanerkenntnis das Berufsbild und die konkreten Teilaspekte und ihre Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit nicht weiter hinterfragt und die Ergebnisse als seine Entscheidungsgrundlage konkret mitteilt.

cc) Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, in dem eine Begründung nicht erforderlich ist, weil der Versicherungsnehmer selber am besten weiß, dass und wie sich sein Gesundheitszustand gebessert hat (vgl. BGH NJW-RR 1999, 1111 ff = VersR 1999, 958 – zitiert nach juris: Rdnr. 12; NJW-RR 1993, 1238 – zitiert nach juris: Rdnr. 14). Der Kläger trägt vor, dass er weiterhin Beschwerden bei bestimmten Bewegungen hat. Auch die von der Beklagten beauftragten Gutachter gehen von einer dauerhaften körperlichen Beeinträchtigung beim Kläger aus.

dd) Eine wirksame Änderungsmitteilung kann auch im Rechtsstreit – etwa durch einen Schriftsatz – mit Wirkung für die Zukunft nachgeholt werden (vgl. BGH NJW-RR 1996, 958 f = NJW-RR 1996, 1111 f. – zitiert nach juris: Rdnr. 19, 20). Hier ist eine hinreichende Änderungsmitteilung erst in der Klageerwiderung erfolgt, mit der die Vorgutachten vom 22. Juni 2004 und vom 2. Juni 2008 als Anlagen B 3 und B 5 zur Gerichtsakte gereicht worden sind. Mit diesen Unterlagen ist eine vergleichende Betrachtung des Gesundheitszustandes des Klägers und die Auswirkungen auf die Berufsfähigkeit möglich geworden.

b) Der Beklagten gelingt der Nachweis im Rechtsstreit nicht, wonach sich der Grad der Berufsunfähigkeit auf weniger als 50% beim Kläger verringert hat.

aa) Da die Änderungsmitteilung erst Wirkung für die Zukunft entfalten kann, kommt es für die Beurteilung des Gesundheitszustandes nicht auf den Zeitpunkt der Begutachtung durch die von der Beklagten beauftragten Gutachter an. Deren Wahrnehmungen zum Gesundheitszustand sind nur insoweit von Belang, als sie sich als dauerhaft darstellen und durch eine Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen bei dessen Untersuchung des Klägers bestätigt werden.

(1) Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Kläger bei der Untersuchung durch die von der Beklagten beauftragten Gutachter einen normalen Bewegungsumfang bei der Seitneigung des Oberkörpers sowie ein Vornüberbeugen um 10° im Langsitz möglich war, ohne dass der Kläger Beschwerden angab.

Der Sachverständige Prof. Dr. W… hat den Kläger untersucht sowie die Krankenunterlagen und Bilder ausgewertet. Er hat sich auch mit den Vorgutachten befasst. Der gerichtliche Sachverständige stellte insgesamt Bewegungseinschränkungen an der Wirbelsäule fest, führt in seinem Gutachten vom 21. März 2012 auf Seite fünf allerdings aus, dass die Beweglichkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule altersentsprechend normal erscheine. Die vom Sachverständigen Dr. W… aufgeführten Messwerte sind geringfügig besser als die im Gutachten vom 20. Oktober 2010 aufgeführten. Der Sachverständige hält die Schmerzangaben des Klägers bei Drehbewegungen sowie beim Heben schwerer Lasten für glaubhaft und nachvollziehbar.

Der Beklagte zieht aus der mündlichen Anhörung des Sachverständigen unzutreffende Schlüsse. Dort äußert er sich zwar zunächst über die Bedeutung des Schober’schen Zeichens und die Aussagekraft der Messung des Fingerspitzen-Bodenabstandes. Seine Äußerung, wenn im Jahr 2010 klinisch keine Funktionseinschränkungen hätten festgestellt werden können, wäre auch keine Berufsunfähigkeit von über 50% zu rechtfertigen gewesen, bezieht sich jedoch nicht allein auf den messbaren Bewegungsumfang der Wirbelsäule, sondern auf die Funktionseinschränkungen durch das Auftreten von Schmerzen bei bestimmten Tätigkeiten.

Einer Vernehmung der als Zeugen benannten Prof. Dr. M… und Dr. E… bedurfte es nicht. Auch diese Ärzte gehen von einer dauerhaften Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule aus. Sie bestätigen als Diagnose ein chronisch-rezidivierendes degeneratives Lumbalsyndrom ohne Ausstrahlung bei subligamentärer medianer Bandscheibenprotrusion L5/S1 ohne neurologische Defizite. Sie halten deswegen eine Belastbarkeit des Klägers für schweres Heben und Tragen sowie für Tätigkeiten in endgradigen Positionen der LWS nicht für nachgewiesen.

(2) Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, ob beim Kläger radikuläre Zeichen in der Vergangenheit aufgetreten sind. Entscheidend ist, ob der durch den Sachverständigen Prof. Dr. W… festgestellte Gesundheitszustand des Klägers sich soweit gebessert hat, dass er zu mindestens 50% wieder seinen Beruf ausüben kann. Dies ist unabhängig von in der Vergangenheit aufgetretenen möglichen Zeichen nicht der Fall.

Einer Vernehmung von Zeugen bedarf es zu dieser Frage nicht. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus dem Gutachten aus dem Jahr 2004 kein Anhalt für das Vorliegen radikulärer Zeichen beim Kläger. Der Dehnungsschmerz der Ischiasnerven (Lasègue’sches Zeichen) war gerade nicht auslösbar. Entsprechend ist im Gutachten aus dem Jahr 2008 als Diagnose ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom attestiert, bei dem die Schmerzen gerade nicht durch einen direkten Nervenwurzelreiz ausgelöst werden. Auf der CT-Aufnahme, die für das Gutachten im Jahr 2004 ausgewertet wurde (S. 8), war eine Verdickung des Ligamentum Flavum ohne Kompression der Nervenwurzelabgänge bei der Auswertung zu erkennen.

bb) Die Berufung des Beklagten bleibt deswegen ohne Erfolg, weil sich aus den vom ihm eingeholten gutachterlichen Einschätzungen keine Berufsfähigkeit des Klägers ergibt. Es ist bereits oben ausgeführt, dass auch Prof. Dr. M… sowie Dr. E… weiterhin von einer teilweisen Berufsunfähigkeit des Klägers ausgehen, weil sie nicht sicher sind, dass die Belastbarkeit des Klägers ein extrem schweres Heben sowie Tätigkeiten in endgradigen Positionen der Lendenwirbelsäule zulässt. Der gerichtliche Sachverständige kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis. Er stellt auf die Beschwerdeschilderung des Klägers ab, wonach dieser Schmerzen empfinde, wenn er bestimmte Drehbewegungen ausführe sowie schwer hebe und trage (S. 4 des Gutachtens = Bl. 69 d. A.). Prof. Dr. W… vertritt ebenfalls den Standpunkt, dass dem Kläger das wiederholte beziehungsweise ständige Heben und Tragen schwerer Lasten über 10 kg nicht zumutbar sei sowie Tätigkeiten in Zwangshaltungen – insbesondere gebückte Zwangshaltungen und Zwangshaltungen mit Torsion der Brust- und Lendenwirbelsäule. Diese Zwangshaltungen entsprechen Tätigkeiten in endgradigen Positionen der Lendenwirbelsäule gemäß der Einschätzung der Prof. Dr. M… und Dr. E… . Der gerichtliche Sachverständige nennt lediglich zusätzlich das Erfordernis, Tätigkeiten und Einfluss von Nässe, Kälte und Zugluft zu vermeiden.

Die Unterschiede bei der Einschätzung des Grades der Berufsunfähigkeit ergeben sich daraus, dass die vom Beklagten beauftragten Gutachter lediglich auf einen Zeitanteil dieser nicht mehr auszuführenden Einzelverrichtungen an der Gesamtarbeitszeit abstellen und die detailliertere Beschreibung des Berufsbildes gemäß dem Schreiben des Klägers vom 19. Januar 2011 (K 13) und gemäß der Darstellung in der Klageschrift nicht berücksichtigen. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem als Anlage B 16 eingereichten Schreiben der genannten Gutachter. Der Kläger hatte jedoch bereits in seinem Leistungsantrag angegeben, dass die Tätigkeiten Anfahrt, Baustelleneinrichtung, Aufnahme der gesamten Pflasterungen, Freilegen der Außenwände mit Handschachtungen, Baustellensicherung und Abfahrt “alle” eine große physische Leistungsfähigkeit voraussetzen. Der Beklagte hat auch nicht berücksichtigt, dass der Kläger seine eigentliche Werkleistung, das Anbringen des “Bautenschutzes”, dabei noch nicht einmal beschrieben hat. Erkannte der Beklagte die Leistungspflicht auf dieser Grundlage an, so kann er sich nicht darauf beschränken, die vom Kläger vorgenommene genauere Beschreibung seines bisherigen Berufes mit Nichtwissen zu bestreiten. Nachfrage hätte er vor ihrem Leistungsanerkenntnis halten müssen. Der Kläger beschreibt gerade keine neuen Tätigkeiten in seinem Beruf, sondern erklärt nur näher, warum alle aufgeführten Teilaspekte mit schwerem Heben und Tragen sowie teilweise mit Arbeiten in Zwangshaltungen verbunden sind. Genau auf diese Tätigkeiten hat der Sachverständige Prof. Dr. W… gemäß dem Beweisbeschluss (S. 2 zu 2b) = Bl. 53 d. A.) abgestellt.

Der Beklagte berücksichtigt in seiner Argumentation nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach ist bei der Bestimmung des Grades der Berufsunfähigkeit nicht nur auf den Zeitanteil abzustellen, der auf eine nicht mehr ausführbare Einzelverrichtung entfällt. Handelt es sich um keine abtrennbare und deshalb gesondert zu veranschlagende berufliche Einzelverrichtung, sondern um einen untrennbaren Teil eines einheitlichen Lebensvorganges, so ist auf den einheitlichen Lebensvorgang abzustellen, wenn eine prägende Einzelverrichtung entfällt (vgl. BGH NJW-RR 2003, 673 ff = VersR 2003, 631 ff., zitiert nach juris: Rdnr. 13 m. w. Nachw.; BGH VersR 2008, 770 – zitiert nach juris: Rdnr. 4). Diese Voraussetzung ist hier in Bezug auf das Arbeiten in Zwangshaltung und/oder mit schwerem Heben und Tragen gegeben. Da der Kläger allein in seinem Betrieb tätig war, konnte er auch diese Einzelverrichtungen nicht auf Angestellte übertragen und seinen Betrieb so in zumutbarer Weise umorganisieren.

cc) Auf Fragen der Beschwielung von Händen und Knien kommt es nicht an, denn selbst wenn der Kläger seine Hände benutzt und sich so häufig niederkniet, dass sich Schwielen an den Knien bilden, ist dies kein hinreichender Beleg dafür, dass der Kläger wieder seinen alten Beruf mit entsprechenden Zwangshaltungen und dem Heben und Tragen schwerer Lasten ausübt.

III.

Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil es um die Würdigung des Sachverhalts im Einzelfall geht. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt. Der Senat weicht von diesen Grundsätzen nicht ab. Deswegen ist auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erforderlich. Zur Rechtsfortbildung eignet sich der hier in Rede stehende Streitstoff nicht. Sonstige Gründe, die dafür sprechen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, sind nicht ersichtlich.

IV.

Dem Beklagten wird Gelegenheit gegeben, zu den rechtlichen Hinweisen binnen einer Frist von drei Wochen Stellung zu nehmen. Aus Kostengründen sollte eine Zurücknahme der Berufung erwogen werden.

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