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Berufsunfähigkeitsversicherung – Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen

OLG Dresden – Az.: 4 U 2453/20 – Beschluss vom 29.04.2021

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Verhandlungstermin vom 4.5.2021 wird aufgehoben.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren soll auf 18.791, 70 € festgesetzt werden

Gründe

I.

Die inzwischen wieder voll berufsfähige Klägerin verlangt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Das Landgericht hat nach informatorischer Anhörung der Kläger die Klage abgewiesen. Es hielt die vorprozessual erklärte Anfechtung der Beklagten wegen arglistiger Täuschung durch die Klägerin für berechtigt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Klägerin verfolgt nach teilweiser Erledigungserklärung, der sich die Beklagte bislang nicht angeschlossen hat mit der Berufung ihr Klageziel weiter.

Sie rügt unter Wiederholung ihrer erstinstanzlichen Argumente die unterlassene Beweiserhebung durch das Landgericht im Wege der Vernehmung der behandelnden Ärzte als Zeugen und Beiziehung der Behandlungsunterlagen (Bl. 162 d. A.).

II.

Berufsunfähigkeitsversicherung - Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen
(Symbolfoto: REDPIXEL.PL/Shutterstock.com)

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch der Klägerin wegen wirksamer Anfechtung des Vertrages durch die Beklagte verneint. Die Berufungsbegründung zeigt keine Gesichtspunkte auf, die in den dem Senat durch § 529 ZPO gesetzten Grenzen eine andere Entscheidung oder auch nur ergänzende Beweisaufnahme rechtfertigen würden.

1.

Die Klägerin hat zunächst mehrere der gestellten Gesundheitsfragen objektiv falsch beantwortet. Die Gesundheitsfrage unter Ziffer 7.1 des Antrages lautet:

„Sind Sie in den letzten fünf Jahren von Ärzten oder Behandlern beraten oder untersucht worden oder haben Sie während dieser Zeit stationäre oder ambulante Krankenhausrehabilitations-/Kuraufenthalte oder Operationen stattgefunden oder sind solche für die nächsten zwei Jahre ärztlich empfohlen oder beabsichtigt?“

Diese Frage beantwortete die Klägerin mit Nein. Tatsächlich befand sie sich aber in den fünf Jahren vor Antragstellung am 15.05.2016 in ärztlicher Behandlung wegen eines chronischen Schmerzsyndroms (15.02.2012; 15.05.2012; 08.10.2012; 23.06.2014; 02.12.2014; 24.08.2015), wegen einer Erkältung, einer Angina und einer Mandelentzündung (08.10.2021; 29.10.2012), einer Sinusbronchitis (13.02.2013 und 25.02.2013 und 11.11.2013, 15.11.2013 und 15.11.2013), einer Augenbindehautentzündung (10.10.2011 und 13.02.2013), dazu wegen Magen-Darm-Problemen, unter anderem mehrfach wegen einer Gastritis, Oberbauchkoliken und Reizdarm (Gastritis 25.02.2013, 09.01.2014, 10.01.2014, Oberbauchkoliken 16.10.2014, Reizdarmstörungen 02.12.2014, 12.12.2014, 24.08.2015). Wegen Schmerzen im Oberbauch erfolgte zudem die Einweisung über die Notaufnahme eines Krankenhauses (23.06.2014), gefolgt von einem stationären Aufenthalt (09.12.2014 bis 11.12.2014). Die Klägerin wurde ferner wegen eines Schulter-Arm-Syndroms behandelt (24.08.2015), erhielt mehrfach eine Schmerzmedikation mit Novaminsulfon (Wirkstoff Metamizol) und hatte nach eigenen Angaben aus dem Jahre 2016 „seit sechs bis sieben Jahren Magenprobleme mit regelmäßiger Verschreibung von Protonenpumpenhemmern.

Hieraus ergibt sich zugleich die Falschbeantwortung der Gesundheitsfrage 7.8 c, wo es heißt:

„Bestehen oder bestanden in den letzten fünf Jahren Krankheiten oder Funktionsstörungen der Verdauungsorgane (z. B. Sodbrennen, Darmentzündung, Gastritis, …)“,

die die Klägerin auch mit Nein beantwortet hat sowie der Frage 7.10, wo es heißt:

„Haben oder hatten Sie in den letzten fünf Jahren Beschwerden mit Knochen und Gelenken sowie mit den dazugehörigen Muskeln, Bändern und Sehnen, weswegen Sie in Behandlung waren?“,

die die Klägerin ebenfalls mit Nein beantwortet hat.

2.

Die Möglichkeit der Anfechtung ist dem Versicherer nach § 22 VVG i.V.m. §§ 123 ff. BGB eröffnet, wenn der Versicherungsnehmer seine Offenbarungspflicht arglistig verletzt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werden kann (statt aller: Senatsbeschluss vom 18.09.2020 – 4 U 1059/20, juris Rz. 4 m.w.N.).

Der künftige Versicherungsnehmer hat die in einem Versicherungsformular gestellten Gesundheitsfragen grundsätzlich erschöpfend zu beantworten (BGH, Urteil vom 19.03.2003 – IV ZR 67/02). Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gesicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen. Es sind daher auch solche Beeinträchtigungen anzugeben, die noch keinen Krankheitswert haben, denn die Bewertung der Gesundheitsbeeinträchtigung ist Sache des Versicherers. Diese weit gefasste Pflicht zur Offenbarung findet ihre Grenze nur bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen. Ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen. Abzustellen ist auf das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers vermittelten (Senatsbeschluss vom 18.09.2020 – 4 U 1059/20 – juris, Rz. 4).

Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen die ihr obliegenden Offenbarungspflichten arglistig verletzt.

Es gibt zwar keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung dahingehend, dass eine unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand von früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gegeben wird, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen (BGH, Urteil vom 24.11.2010 – IV ZR 252/08 und Senatsbeschluss, a.a.O.). Umgekehrt gilt aber auch, dass es sich bei der Arglist und dem Arglistvorsatz um eine innere Tatsache handelt, so dass der Beweis nur durch Indizien geführt werden kann. Dabei ist auf die konkreten Umstände und insbesondere auf die Art, Schwere und Zweckrichtung der Falschangaben, den Umfang der verschwiegenen Tatsachen, die Dauer der Störungen, die Auswahl der genannten und nicht genannten Befunde sowie die zeitliche Nähe zur Antragstellung abzustellen (OLG Brandenburg, Urteil vom 11.12.2018 – 11 U 72/16; OLG München, Urteil vom 30.03.2012 – 25 U 5453/09; Senatsbeschluss vom 18.09.2020, a.a.O. und Senatsbeschluss vom 18.11.2018 – 4 U 927/18). Das starke Verharmlosen gewisser Umstände indiziert die Arglist hierbei ebenso, wie das Verschweigen entweder schwerer oder chronischer Erkrankungen (Nachweise bei Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 22 Rz. 15/16). Steht fest, dass Angaben beim Vertragsschluss objektiv falsch gewesen sind, trifft den Versicherungsnehmer zudem eine sekundäre Darlegungslast, in deren Rahmen er substantiiert und nachvollziehbar vortragen muss, wie und weshalb es dazu gekommen ist.

Letzteres ist der Klägerin nicht gelungen. Vielmehr spricht die starke Verharmlosung ihrer über Jahre währenden chronischen Schmerzen und Erkrankungen für die Annahme von Arglist.

Im Einzelnen:

Soweit die Klägerin vorträgt, die Vorsprachen bei den Ärzten stellten für sie keine Vorsprachen wegen gesundheitlicher Störungen und Beschwerden dar, sondern nur „gewöhnliche Vorstellungen“ (Bl. 159/160 d. A.), ist bereits für sich genommen unklar, was die Klägerin damit meint. Ersichtlich handelte es sich bei den zahlreichen Arztbesuchen jedenfalls nicht um reine Vorsorgeuntersuchungen, denn die Klägerin litt unter permanenten Schmerzen und war nach eigenen Angaben sowie nach dem Auszug aus den Behandlungsunterlagen mehr oder minder unter Dauermedikation sowohl was die Protonenpumpenhemmer als auch was die Schmerzmittel betraf. Widerlegt durch die Behandlungsunterlagen ist auch ihre Behauptung, die angeblichen Leiden seien ihr von den Ärzten „nicht offeriert“ (also offenbar nicht mitgeteilt) worden. Ausweislich der Krankenunterlagen hat sie selbst sich beispielsweise darüber beschwert, dass die Magen-Darm-Beschwerden seit Jahren behandelt, aber nicht besser geworden seien (Krankenunterlagen, Eigenanamnese der Klägerin vom 04.08.2016, Bl. 70 d. A.). Bereits im Jahr 2014 gab sie gegenüber der hausärztlich internistischen Gemeinschaftspraxis Dr. D… . und M.. .. an, ihr gehe es seit dreieinhalb Jahren nicht gut, sie sei bisher immer „auf Magen“ mit Protonenpumpenblockern (Bl. 86 d. A.) behandelt worden. Dies belegt eine zum Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 2016 bereits ca. sechsjährige erhebliche Leidensgeschichte. Vor diesem Hintergrund erscheint die als Anlage B11 vorgelegte Auskunft der Hausärztin R…… (Bl. 79 d. A.) zumindest stark beschönigend, denn nach eigenen Angaben der Klägerin leidet sie gerade nicht erst seit ca. 2014 an funktionellen Darmbeschwerden. Ihre Einschätzung, dass dies eher als Befindlichkeitsstörung denn als Krankheit zu werten sei, ist durch die Behandlungsunterlagen widerlegt. Ob die Zeugin R…… Beschwerden oder Krankheiten bei mehrfachem Auftreten „länger als drei Wochen“ bereits als „chronisch“ bezeichnet, ist ohne Belang, denn bei der Klägerin bestanden die Beschwerden und Krankheiten unstreitig tatsächlich nicht nur über Wochen, sondern über Jahre.

Soweit die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung ausführt, sie habe die Versicherungsbedingungen und Fragen so verstanden, dass gewöhnliche Arztvorstellungen und Befindlichkeiten nicht anzugeben seien, sondern nur bestehende konkrete Erkrankungen, so widerspricht ein solches Verständnis der Fragen dem eindeutigen Wortlaut, dessen Verständnis von der Klägerin als Sekretärin der Geschäftsleitung ohne Weiteres verlangt werden kann.

Die Klägerin litt weiter permanent an Schmerzen. Bei dem hiergegen verordneten Medikament Novaminsulfon und dem darin enthaltenen Wirkstoff Metamizol handelt es sich um ein starkes Medikament, das in nicht wenigen europäischen Ländern wegen erheblicher und gefährlicher Nebenwirkungen nicht zugelassen ist.

Insgesamt sprechen die durch die Behandlungsunterlagen belegte erhebliche und lang andauernde chronische Leidensgeschichte der Klägerin auf der einen Seite und die Tatsache, dass die Klägerin sich auf der anderen Seite bei der Antragstellung als vollkommen gesund dargestellt und die zuvor aufgetretenen Beschwerden heruntergespielt hat, für einen Täuschungsvorsatz (vgl. Senatsbeschluss vom 18.09.2020 – juris, Rz. 13). Für das bewusste Verschweigen spricht auch, dass sie umgekehrt die vergleichsweise geringfügige Beeinträchtigung einer Fehlsichtigkeit angegeben hat, während sie sowohl die bei ihr diagnostizierte Gastritis als auch das Sodbrennen, das mit Protonenpumpenhemmern behandelt wurde, verschwiegen hat, obwohl hiernach ebenso ausdrücklich gefragt worden war wie nach einer Visusstörung. All dies spricht dafür, dass die Klägerin ihre chronischen Beschwerden und Krankheiten bewusst verschwiegen hat, um in den Genuss des Versicherungsschutzes zu gelangen.

Angesichts dessen kommt es auf die Kausalität der verschwiegenen Beeinträchtigungen für den Vertragsabschluss nicht an.

Es bedarf auch nicht der Beweisaufnahme durch Vernehmung der klägerseits benannten Zeugin R…… (Hausärztin der Klägerin), wonach ihr niemals eine konkrete Diagnose mitgeteilt worden sei, denn unstreitig hat sich die Klägerin nicht nur im Rahmen allgemeiner Vorsorge bei den Ärzten vorgestellt, sondern wegen konkreter Beschwerden. Ob sie die dazugehörigen Krankheitsbezeichnungen nach der ICD-Klassifizierung kannte oder nicht und ob sie diese selbst nur als Befindlichkeitsstörung auffasste (dagegen sprechen die erhebliche Medikation, die häufigen Arztbesuche, Zeiten der Arbeitsunfähigkeit an insgesamt 88 Tagen im maßgeblichen Fünf-Jahreszeitraum und die Notfalleinweisung) oder nicht, ist ohne Belang, denn bei den Gesundheitsfragen wurde ausdrücklich nach Krankheiten oder Funktionsstörungen und krankheitsunabhängig nach ärztlicher Beratung und Untersuchung gefragt. Es kommt also nicht darauf an, ob der Klägerin die ICD-Klassifizierung mitgeteilt wurde und ob sich die ursprünglichen Diagnosen beispielsweise die Gastritis als zutreffend herausgestellt haben oder es sich in Wahrheit um Schmerzen und Beeinträchtigungen verursachende Verwachsungen im Bauchraum gehandelt hat. (Im Übrigen hätte diese dann auch Krankheitswert gehabt).

Nach alledem rät der Senat zu einer Berufungsrücknahme, die zwei Gerichtsgebühren spart.

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