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Berufsunfähigkeitsversicherung – Erwartungsbesorgnis Versicherter

OLG Köln – Az.: 20 U 10/15 – Urteil vom 20.04.2018

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.01.2015 verkündete Urteil des Landgerichts Köln – 26 O 378/06 – unter Zurückweisung der Berufung des Klägers teilweise abgeändert und die Klage in vollem Umfange abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der am 13.10.1963 geborene Kläger verlangt von der beklagten Versicherung Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung wegen einer von ihm behaupteten krankhaften, zur Berufsunfähigkeit führenden Überempfindlichkeit gegenüber diversen, insbesondere in Büroluft vorhandenen Chemikalien. Er machte mit Schreiben vom 27.10.2005 gegenüber der Beklagten geltend, beim Einatmen von Chemikalien in der Atemluft z.B. aus Deosprays, Parfums, Haarspray oder den Ausdünstungen von Teppichklebern, Drucker-Tonerstaub oder mit Weichspüler gewaschener Kleidung unter Beschwerden wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Schmerzen (u.a. im Kopf und verschiedenen Gelenken), Hautirritationen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen zu leiden. Er verwies dabei auf eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit seit dem 11.10.2004. Die Beklagte focht in der Folge den Versicherungsvertrag wegen arglistigen Verschweigens von vorbestehenden Erkrankungen an. Der Arglistanfechtung hielt der Kläger entgegen, in den letzten vier Jahren vor Vertragsschluss keine Beschwerden mehr erlitten zu haben und den Vermittler der Beklagten, den Zeugen A, hierüber informiert zu haben.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, wegen seiner Überempfindlichkeit gegenüber diversen Chemikalien – einer sog. Multiple Chemical Sensitivity (im Folgenden: MCS) – dauerhaft nicht in der Lage zu sein, seinen Beruf als angestellter Sachbearbeiter im Versicherungsinnendienst oder eine andere, seiner Ausbildung und Erfahrung und mithin seiner Lebensstellung entsprechende Tätigkeit auszuüben. Die Anfechtung der Beklagten gehe ins Leere, weil er in den letzten vier Jahren vor Vertragsschluss keine Beschwerden mehr gehabt und den Vermittler der Beklagten hierüber informiert habe.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1.  die Beklagte zu verurteilen, an ihn aus der Berufsunfähigkeit-Versicherung zu der Versicherungsscheinnummer 4.8290.231.05 für die Zeit vom 01.11.2004 bis zum 01.09.2006 Renten in Höhe von insgesamt 11.759,68 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2.  festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm aus der Berufsunfähigkeit-Versicherung zu der Versicherungsscheinnummer 4.8290.231.05 für die Zeit vom 01.11.2004 bis zum 01.09.2006 Beitragsfreiheit zu gewähren und geleistete Beiträge i.H.v. 831,45 EUR zurück zu zahlen;

3.  weiter festzustellen, dass die Beklagte auch über den 01.09.2006 hinaus – längstens bis zum Ablauf der Hauptversicherungen am 31.08.2021 – verpflichtet ist, ihm aus der Berufsunfähigkeit-Versicherung zu der Versicherungsscheinnummer 4.8290.231.05 bedingungsgemäß monatliche Rentenzahlungen zu leisten und Beitragsfreiheit zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die geltend gemachten Ansprüche nach Grund und Höhe bestritten und sich insbesondere auf die von ihr erklärte Anfechtung sowie Vorvertraglichkeit gestützt.

Das Landgericht hat – nach Vernehmung von Zeugen sowie Einholung von Sachverständigengutachten auf hautfachärztlichem, neurologischem und umweltmedizinischem Gebiet – mit dem angefochtenen Urteil festgestellt, dass die Beklagte ab 01.03.2014 bis längstens 31.08.2021 bedingungsgemäße Rentenzahlungen zu leisten und Beitragsfreiheit zu gewähren habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die von der Beklagte erklärte Anfechtung greife nicht durch, weil die Zeugenvernehmung eine arglistige Täuschung durch den Kläger nicht ergeben habe. Nach den Feststellungen des umweltmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. B sei davon auszugehen, dass der Kläger krankheitsbedingt zumindest seit dem 28.02.2014 – dem Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen – zu mindestens 50% außerstande gewesen sei, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Mitarbeiter im Innendienst einer Versicherung auszuüben. Zwar habe weder der hautärztliche Sachverständige Prof. Dr. C noch der neurologische Sachverständige Prof. Dr. D eine bedingungsgemäße Berufungsunfähigkeit seit November 2004 oder zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt. Der Sachverständige Prof. Dr. B sei jedoch nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger „aktuell“ nicht im Stande sei, seinen Beruf im Versicherungsinnendienst auszuüben. In seinen Ausführungen sei hinreichend deutlich geworden, dass der Sachverständige – auch wenn ihm eine sichere Zukunftsprognose hinsichtlich der Berufsunfähigkeit nicht möglich sei – jedenfalls von einem ununterbrochenen, die Fiktion des § 2 Abs. 3 der Versicherungsbedingungen erfüllenden Zeitraum von sechs Monaten ausgehe, während dessen dem Kläger die Berufsausübung nicht möglich gewesen sei.

Die weitergehenden Zahlungs- und Feststellungsansprüche seien dagegen abzuweisen, weil der Kläger nicht bewiesen habe, dass er bereits seit November 2004 bedingungsgemäß berufsunfähig gewesen sei. Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Einzelnen wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Der Kläger hält die Abweisung seiner Klageanträge, soweit diese den Zeitraum vom 01.11.2004 bis 28.02.2104 betreffen, für nicht berechtigt. Das Landgericht habe fehlerhaft davon abgesehen, dem Sachverständigen Prof. Dr. B, der für den genannten Zeitraum von einem völlig falschen Beurteilungs- und Prognosemaßstab ausgegangen sei, konkrete Vorgaben unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung zu machen. Der Sachverständige hätte ausgehend von der nachträglichen Auswertung der Behandlungsunterlagen des Klägers feststellen können und müssen, ab wann bei ihm, dem Kläger, ein die Berufsunfähigkeit begründender Zustand mit Krankheitswert eingetreten sei. Tatsächlich sei dies bereits seit dem 11.10.2004 in Form der Umwelterkrankung MCS und der hieraus resultierenden Folgen der Fall.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und gemäß den Schlussanträgen erster Instanz zu entscheiden, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an ihn aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zu der Versicherungsschein-Nr4.xx90.xx1.xx für die Zeit ab dem 01.09.2006 Renten in Höhe von monatlich 511,29 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen sowie – mit der von ihr eingelegten Berufung – das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Das Landgericht habe der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Der Sachverständige Prof. Dr. B habe die subjektiven Beschwerdeangaben des Klägers nicht kritisch hinterfragt und ohne Plausibilitätsüberprüfung übernommen. Er habe sich – ebenso wenig wie das Landgericht – auch nicht hinreichend mit den abweichenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. D auseinandergesetzt. Die Beschwerdeschilderung des Klägers sei insgesamt nicht glaubhaft und werde in jeder Einzelheit ausdrücklich bestritten. Das vom Sachverständigen Prof. Dr. B festgestellte, angeblich vorliegende ausgeprägte Vermeidungsverhalten bezüglich der vermeintlichen externen Krankheitsauslöser werde bestritten, denn der Kläger habe zu seinem Freizeitverhalten angegeben, er beschäftige sich mit Sport, Lesen, Musikhören, Ausflügen, Spaziergängen, Fernsehen, Computer und Kino und habe Europa und Nordamerika bereist. Er sei dabei überall chemischen Stoffen in der Luft ausgesetzt gewesen. Der Sachverständige habe zudem nicht überprüft, welche chemischen Stoffe gerade am Arbeitsplatz des Klägers vorhanden gewesen sein sollen und welche konkreten leistungslimitierenden Auswirkungen die behauptete Chemikalien-Überempfindlichkeit habe. Die MCS sei kein in Deutschland anerkanntes Krankheitsbild und es gebe keine anerkannten Diagnosekriterien.

Der Kläger beantragt,  die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Senat hat aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 04.09.2015 (GA 1150 ff.) und 17.10.2016 (GA 1383 ff.) weiteren Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses wird auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. E (GA 1190 ff.) und Prof. Dr. F (GA 1400 ff.) sowie dessen mündliche Anhörung im Termin vom 02.03.2018 (GA 1562ff.) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die beigezogenen Krankenunterlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet, während das – ebenfalls zulässige – Rechtsmittel der Beklagten Erfolg hat.

1.

Dem Kläger steht kein Anspruch aus dem streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag i.V.m. § 172 Abs. 1 VVG gegen die Beklagte zu. Er hat den ihm obliegenden Beweis, dass er seit dem 01.11.2004 – oder einem späteren Zeitpunkt – bedingungsgemäß berufsunfähig ist, nicht geführt.

a)

Berufsunfähigkeit i.S. von § 2 Abs. 1 der zwischen den Parteien vereinbarten AVB (Anl. K1, GA 13ff.) liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung seiner Lebensstellung entspricht, auszuüben. Als Krankheit – allein darauf stützt der Kläger die behauptete Berufsunfähigkeit – kommt jeder körperliche oder geistige Zustand in Betracht, der vom normalen Gesundheitszustand so stark und so nachhaltig abweicht, dass er geeignet ist, die berufliche Leistungsfähigkeit oder die berufliche Einsatzmöglichkeit dauerhaft auszuschließen oder zu beeinträchtigen (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 20.03.2003 – 3 U 102/02 – VersR 2003, 979). Dabei muss die Krankheit objektiv vorliegen; dass der Versicherte lediglich meint, krank zu sein, genügt nicht (vgl. Lücke, in: Prölss/Martin, VVG, 30 Aufl., § 2 BV Rn. 4-5). Ob der Versicherte von seiner Erkrankung weiß und/oder seine Beschwerden zutreffend als Krankheit einordnet, ist ohne Belang. Auch Schmerzen können eine Krankheit begründen, soweit sie auf körperliche oder auf psychische Ursachen mit Krankheitswert zurückgeführt werden können (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil v. 06.09.2016 – 12 U 79/16 – r+s 2017, 30 = VersR 2016, 1485).

Alternativ ist vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit nach § 2 Abs. 3 der AVB anzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer – ärztlich nachgewiesen – sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls vollständig oder teilweise außerstande war, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. In diesem Fall gilt die Fortdauer dieses Zustands als – vollständige oder teilweise – Berufungsunfähigkeit. Der ärztliche Nachweis einer Krankheit braucht dabei nicht in „Befunden der Apparatemedizin oder der sonstigen Zusatzdiagnostik“ zu bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. 4. 1999 – IV ZR 289/97 – NVersZ 1999, 418 = VersR 1999, 838). Nicht nur bei Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet, sondern auch bei einer Krankheit, die „gerade durch das Fehlen naturwissenschaftlich gewonnener Untersuchungsbefunde charakterisiert wird“, kann es als Nachweis genügen, wenn ein Arzt seine Diagnose auf die – glaubhafte – Beschwerdeschilderung des Patienten stützt (vgl. BGH aaO.)

b)

Im Streitfall hat weder die erstinstanzliche noch die vom Senat ergänzend durchgeführte Beweisaufnahme eine Berufsunfähigkeit des Klägers nach § 2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 3 der AVB ergeben. Keiner der gerichtlichen Sachverständigen hat mit der für eine Verurteilung der Beklagten gem. § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit das Vorliegen einer Erkrankung des Klägers festgestellt, die bei rückschauender Prognose zum 01.11.2004 bzw. zu einem späteren Zeitpunkt (§ 2 Abs. 1 AVB) oder nach dem vorgenannten Stichtag aufgrund ihrer tatsächlichen Dauer von mehr als sechs Monaten (§ 2 Abs. 3 AVB) zur Berufsunfähigkeit geführt hat.

aa)

Dabei bedarf es keiner Klärung der Frage, ob die vom Kläger für seine Person reklamierte und auf entsprechende Arztberichte (etwa des Fachkrankenhauses G (GA 73) oder der Spezialklinik H (GA 114 ff., GA 332 ff., GA 398 ff., GA 754 ff.)) gestützte Erkrankung „MCS“ in der medizinischen Wissenschaft nachgewiesen oder ob dies – wie den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. C (GA 264, 302), Prof. Dr. B (GA 821) und Dr. E (GA 1256) zu entnehmen sein dürfte – nicht der Fall ist. Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 17.10.2016 darauf hingewiesen, dass für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich ist, ob die Existenz der Erkrankung MCS anzuerkennen ist und ob es sich aus medizinischer Sicht um eine definitionsgemäße Erkrankung handelt (GA 1383R). Vielmehr kommt es allein darauf an, ob die vom Kläger behaupteten Beschwerden tatsächlich – zum 01.11.2004 oder einem späteren Zeitpunkt – bestanden und  eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit begründet haben. Diesen Beweis hat der Kläger nicht geführt.

bb)

Eine sich organisch auswirkende, somatische Erkrankung des Klägers hat keiner der gerichtlichen Sachverständigen feststellen können. Ausgehend von der Schilderung umfangreicher vielfältiger Beschwerden durch den Kläger (Auflistung GA 1220ff.) sowie der Auswertung seiner Krankenunterlagen ist weder eine Polyneuropathie – in einem für die Berufsfähigkeit relevanten Ausmaß -, eine Enzephalopathie oder eine Allergie noch eine andere erhebliche organische Erkrankung gemäß § 286 ZPO erwiesen.

(1)

Der Sachverständige Prof. Dr. C hat ausweislich seines schriftlichen Gutachtens vom 07.01.2010 (GA 259 ff.) aus hautfachärztlicher Sicht das Vorliegen einer Allergie als Ursache der – vielfältigen – Beschwerden nicht bestätigt (GA 266). Feststellungen zu den Voraussetzungen der vier immunologisch unterschiedlichen Kategorien von allergischen Reaktionen hat er nicht treffen können (GA 265). Seinen Ausführungen zufolge stehen allergische Beschwerden typischerweise in direktem zeitlichen Zusammenhang mit einer Exposition gegenüber dem Allergen. Dies stimmt bereits nicht überein mit den Beschwerdeschilderungen des Klägers, denen zu entnehmen ist, dass es teilweise ein zeitlicher Abstand von Tagen bis hin zu zwei Wochen an Reaktionszeit zwischen der von ihm behaupteten Exposition gegenüber einer Chemikalie in der Atemluft und der von ihm behaupteten körperlichen Reaktion gebe. Zudem seien Gelenkschmerzen, Knochenschmerzen, Muskelschmerzen, starke körperliche Erschöpfung, Gedächtnisprobleme, Empfindungsstörungen an Händen und Füßen, Druckempfindlichkeit an Knochen und Gelenke sowie Gewichtsschwankungen kein Ausdruck einer allergischen Erkrankung, so der Sachverständige Prof. Dr. C (GA 266).

(2)

Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. D besteht bei dem Kläger zwar eine leichtgradige Polyneuropathie, die von ihrer Ausprägung indes lediglich einen Grad der Behinderung von 10% ausmache (GA 497, GA 499-500, GA 544). Es liege lediglich eine leichte Herabsetzung der Berührungsempfindung und des Vibrationsempfindens an den Füßen, Unterschenkeln und teilweise am linken Oberschenkel vor. Anhaltspunkte für eine toxisch veranlasste Polyneuropathie gebe es nicht (GA 548-549). Übereinstimmend damit hat der Sachverständige Dr. E ebenfalls lediglich eine leichtgradige Polyneuropathie festgestellt, die funktionell nicht relevant sei (GA 1262).

(3)

Das Vorliegen einer toxischen Enzephalopathie hat der Sachverständige Prof. Dr. D klar ausschließen können (GA 500). Sowohl das durchgeführte Kernspintomogramm als auch das durchgeführte EEG seien normal gewesen, was gegen eine klinisch relevante toxische Enzephalopathie spreche, da sie sich in aller Regel nicht oder nicht wesentlich zurückbilde (GA 500, GA 540, GA 542). Auch der Sachverständige Dr. E hat ein normales EEG beschrieben (GA 1243, GA 1250). Anhaltspunkte für eine Marklagerläsion in einem Kernspintomogramm aus Dezember 2000, das damals bereits als schlechte Aufnahme bezeichnet worden sei, müssten im Hinblick auf ein späteres, als normal bewertetes Kernspintomogramm als Artefakt eingeordnet werden, da sich solche Läsionen – so der Sachverständige Prof. Dr. D (GA 540) – als permanent nachweisbare Vernarbungen nicht zurückbildeten. Die in den Krankenunterlagen an einer Stelle angesprochene, angeblich vorliegende Halbseitensymptomatik sei an keiner anderen Stelle in den Krankenunterlagen beschrieben oder dokumentiert worden und auch bei der sachverständigen Untersuchung habe sich keinerlei Hinweis auf sie gefunden, so dass ihr damaliges Vorliegen aus sachverständiger Sicht fragwürdig erscheine (GA 540). Auch der Sachverständige Dr. E vermochte ausweislich seines nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachtens vom 25.04.2016 (GA 1190 ff., 1250) keine Hinweise auf eine Hirnfunktionsstörung zu finden.

(4)

Schließlich hat der Sachverständige Prof. Dr. D eine Trigeminusneuralgie als Beschwerdeursache ausschließen können (GA 546).

cc)

Auch ein erhebliches, für die Berufsfähigkeit relevantes Ausmaß einer psychiatrischen bzw. psychosomatischen Erkrankung des Klägers ist nicht erwiesen.

Nach den übereinstimmenden, überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. D sowie des Sachverständigen Dr. E ist keine psychische Erkrankung in einem relevanten Umfang für einen konkreten 6-Monats-Zeitraum mit den erforderlichen Beweismaß (§ 286 ZPO) erwiesen.

Der Sachverständige Prof. Dr. D hat zu dem Bereich der psychischen Erkrankungen festgestellt, dass die in den Behandlungsunterlagen des Klägers im Zeitraum 2004 und 2005 beschriebenen psychiatrischen Auffälligkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit als Erschöpfungszustand oder leichtgradige Depressivität eingeordnet werden können, aus der sich jedoch eine Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit nicht ergeben habe. Es habe sich dabei um eine depressive Stimmungslage aber nicht um eine behandlungsbedürftige Depression gehandelt und eine relevante Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit habe dies daher nicht zur Folge gehabt (GA 500-501). Der Einschätzung der seinerzeit behandelnden Ärztin Dr. I, die in einem Verlaufsbericht vom 29.02.2005 die Diagnose einer schweren somatoformen Störung mit wahnhafter Körperstörung und larvierter Depression stellte, hat sich keiner der Sachverständigen angeschlossen.

Der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Dr. E hat nachvollziehbar festgestellt, dass die beim Kläger festzustellende Multiple Somatisierungsstörung keine funktionelle Relevanz habe, die sich auf seine Alltagskompetenzen oder seine Leistungsfähigkeit auswirken könnte (GA 1256-1257). Der Kläger habe bei der persönlichen Untersuchung keine affektive Beteiligung und kaum erkennbaren Leidensdruck bei der Schilderung seines Beschwerdebildes zu erkennen gegeben. Zudem spreche das Fehlen jeglicher körperlicher Beeinträchtigungszeichen gegen eine funktionelle Relevanz der multiplen Somatisierungsstörung (GA 1257). Die Darstellung des Beschwerdebildes sei inkonsistent und diffus und es gebe eine Diskrepanz zwischen den geklagten Beschwerden und den erhobenen organischen Befunden sowie den behaupteten Einschränkungen der Alltagskompetenzen, da die behaupteten körperlichen Reaktionen auf Chemikalien nicht zu den den Akten zu entnehmenden Freizeitbeschäftigungen passten (GA 1255).

dd)

Dasselbe gilt im Hinblick auf die vom Kläger behaupteten Symptome Erbrechen und Durchfall, mit denen der Kläger nach seiner Schilderung auf Chemikalien in Büroluft reagiere. Keiner der Sachverständigen hat anhand der vorliegenden Krankenunterlagen des Klägers ein – ggf. gesteigertes – Auftreten dieser Symptome bestätigt.

ee)

Nicht bewiesen sind schließlich erhebliche kognitive Störungen, die die behaupteten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen erklären könnten.

(1)

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. E ist nur eine leichte kognitive Störung zu erkennen, ohne dass eine Alltagsrelevanz derselben hätte ermittelt werden können (GA 1258, GA 1261). Eine leichte bis mäßige kognitive Einschränkungen im Bereich der Aufmerksamkeits- und verbalen Gedächtnisfunktion sowie eine allgemeine Reaktionsverlangsamung seien testpsychologisch zu erkennen gewesen. Die Daueraufmerksamkeit, die Reaktionskontrolle und die Reaktionsinhibition sowie das verbale Gedächtnis hätten sich deutlich eingeschränkt gezeigt, während das Gedächtnis für das figurale Material und die selektive Aufmerksamkeit durchschnittlich gut erhalten gewesen sei. Diese Einschränkung sei im Verlauf der Untersuchung nach mehreren Stunden zu Tage getreten, was für eine verminderte kognitive Belastbarkeit infolge der Intensität der Untersuchung spreche. Zu der Ursache dieser Einschränkung hat der Sachverständige Dr. E ausgeführt, dass es zwar in den achtziger Jahren eine übermäßige Exposition des Klägers gegenüber Lösemitteln gegeben habe, es indes an einer zu erwartenden Brückensymptomatik in den Folgejahren fehle, die die Annahme einer persistierenden Erkrankung bzw. Störung durch die seinerzeit verwendeten Lösemitteln begründen könnte. Die für die nachfolgenden Jahre geschilderte Exposition gegenüber Chemikalien sei nicht geeignet, eine nachhaltige und progrediente hirnorganische Störung herbeizuführen (GA 1259 unten, GA 1260-1261). In Betracht zu ziehen sei ein beginnender dementieller Prozess. Insgesamt sprächen die Beobachtungen für eine leichte bis allenfalls mäßige Einschränkung der Belastbarkeit, die sich bei Tätigkeiten auswirken könne, die unter besonderem Zeit- und Leistungsdruck, bei sehr regen Publikumsverkehr, bei jeweils besonderen Anforderungen an Konzentrations- und Merkfähigkeit zu verrichten seien (GA 1261). Aufgrund dessen sei der Kläger im Ergebnis, bei Berücksichtigung seines im Einzelnen gewürdigten Berufsbilds, indes weniger als zu 50% beeinträchtigt (GA 1268).

(2)

Auch der arbeits- und umweltmedizinische Sachverständige Prof. Dr. F hat vor diesem Hintergrund und aufgrund seiner ausführlichen, sorgfältigen Auswertung der Krankenunterlagen, die nach seiner nachvollziehbaren Bewertung im hohen Maße Diskrepanzen und nicht konsistente Ergebnisse zeigten und keine medizinisch-objektivierbaren Befundberichte enthielten (GA 1478, 1481, 1485), Indizien dafür gesehen, dass beim Kläger bei stärkerer zeitlicher Belastung zunehmend Beschwerden und funktionelle Einschränkungen im kognitiven Bereich auftreten könnten, die ggf. aufgrund einer zunehmenden Fehlerquote mit einer Tätigkeit im Versicherungsinnendienst nicht vereinbar sein könnten (GA 1484).

Eine deshalb zum Aspekt der kognitiven Einschränkung vom Sachverständigen Prof. Dr. F beabsichtigte Durchführung weiterer Testverfahren und Untersuchungen unter stationären Bedingungen, die der Objektivierung einer mit einer zeitlich zunehmenden Belastung einhergehenden kognitiven Leistungsminderung dienen sollten, hat der Kläger schriftsätzlich und mündlich abgelehnt (GA 1486). Dies hat er in einer – persönlich verfassten – ausführlichen Stellungnahme (GA 1504ff.) damit begründet, dass er einem nicht näher definierten stationären Aufenthalt, bei dem er vorsätzlich irgendwelchen chemischen Stoffen, die der Sachverständige nicht definieren könne, ausgesetzt werden solle (GA 1530), nicht habe zustimmen können (GA 1531). Nachvollziehbar hat der Sachverständige Prof. Dr. F hierzu in seiner auf Antrag des Klägers erfolgten Anhörung erläutert, dass eine Benennung der einzelnen Chemikalien gegenüber dem Kläger vor Durchführung des Testverfahrens die Überzeugungskraft ggf. zu gewinnender Ergebnisse beeinträchtigen würde, weil allein das Bewusstsein, in einem Testverfahren bestimmten Stoffen ausgesetzt zu sein, zu einer Belastung und entsprechenden Reaktion bei dem Betroffenen führen könne (GA 1563R-1564). Damit wäre ein in dieser Weise durchgeführtes Testverfahren offensichtlich ungeeignet, um die Beweisfrage zu beantworten. Hierzu mehrfach im Termin angehört, hat der Kläger keine Bereitschaft gezeigt, andere Vorstellungen als seine eigene zum Ablauf einer Beweisaufnahme zu akzeptieren.

Der Senat war vor diesem Hintergrund nicht gehalten, dem Kläger für die Zustimmung zu dem vom Sachverständigen Prof. Dr. F erwogenen Testverfahren ohne vorherige Benennung der einzelnen Stoffe eine Frist gem. § 356 ZPO zu setzen. Eine solche Fristsetzung ist angesichts der ausdrücklichen schriftlichen (GA 1531) und mündlichen (GA 1563, 1563 R) Verweigerung des Klägers entbehrlich, denn diese – in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.03.2018 wiederholte – Weigerung ist ernsthaft und endgültig. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger im vorgenannten Termin erklärt hat, es sei nicht zutreffend, dass er „die Testverfahren“ abgelehnt habe. Damit hat der Kläger lediglich zum Ausdruck gebracht, sich einem Testverfahren dann zu unterziehen, wenn ihm die Chemikalien und Stoffe, denen er dabei ausgesetzt würde, vorher benannt werden. Wie sich aus seiner nachfolgenden Äußerung („Richtig sei vielmehr, dass er erwarte, dass ihm auch gesagt werde, mit welchen Stoffen er bei diesen Tests konfrontiert werde“) ergibt, ist er für den umgekehrten Fall aber bei seiner zuvor schon schriftlich erklärten Weigerung geblieben. Unter diesen Umständen wäre eine  Fristsetzung gem. § 356 ZPO als bloße, nutzlose Förmelei anzusehen und ist daher entbehrlich (vgl. BGH, Urteil vom 1. 2. 1972 – VI ZR 134/70 – NJW 1972, 1133). Der Kläger ist zudem im Termin darauf hingewiesen worden, dass nach derzeitiger Aktenlage seine Berufung ohne Erfolgsaussicht ist. Dies ist ohne Wirkung auf die ernstliche und endgültige Verweigerung des Klägers geblieben.

ff)

Entgegen der Auffassung des Landgerichts vermögen die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B die Annahme einer Berufsunfähigkeit des Klägers ab dem 28.02.2014 nicht zu rechtfertigen. Die Berufung der Beklagten hat damit Erfolg.

Der Sachverständige Prof. Dr. B hat zunächst ausdrücklich verneint, aufgrund der von ihm ausführlich und sorgfältig ausgewerteten Krankenunterlagen des Klägers das Vorliegen einer seit November 2004 bestehenden Erkrankung bestätigen zu können (GA 823). Seine im Hauptgutachten nicht erläuterte Feststellung, dass dem Kläger „aktuell eine Ausübung des Berufes im Versicherungsinnendienst sicherlich nicht möglich“ sei (GA 823), hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten damit erläutert, dass der Kläger unter einer „ausgeprägten vorgreifenden Erwartungsbesorgnis“ leide sowie unter einem ebenfalls „ausgeprägten Vermeidungsverhalten“ bezüglich der vermeintlichen externen Auslöser, was also zu einer Meidung von Orten, Menschen, freizeitlichen und beruflichen Tätigkeiten führe. Daher sei „aktuell jede Berufsausübung kaum möglich“ (GA 963). Diese Ausführungen des Sachverständigen ergeben mithin nicht, dass er für die Gegenwart – und schon gar nicht für die Zukunft, wie das Landgericht erkannt hat, – mit einer § 286 ZPO genügenden Wahrscheinlichkeit festgestellt hätte, dass der Kläger an einer Erkrankung litte. Vielmehr ist der Sachverständige so zu verstehen, dass der Kläger meint, krank zu sein bzw. erwartet, krank zu werden und er deshalb, weil er Auswirkungen von Chemikalien, die in der Atemluft in den Büro-Räumlichkeiten vorkommen, auf seinen Körper befürchtet, diese Räumlichkeiten meidet. Wie ausgeführt, genügt es aber nicht, wenn ein Versicherter lediglich meint, krank zu sein (vgl. Prölss/Martin/Lücke 30 Aufl. VVG, § 2 BV Rn. 4-5). Dasselbe gilt nach Auffassung des Senats für den Fall, dass ein Versicherungsnehmer – wie hier – erwartet, krank zu werden, diese Erwartung sich jedoch nicht durch objektivierbare Anknüpfungstatsachen oder Befundergebnisse erhärten und beweisen lässt.

Dass die festgestellte Erwartungsbesorgnis und das daraus folgende Vermeidungsverhalten Ausdruck einer psychischen Erkrankung ist oder sein kann, hat der Sachverständige Prof. Dr. B gerade nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht aus den dargestellten psychiatrischen Beweisergebnissen. Im Gegenteil hat der Kläger selbst im Verlauf des gesamten Verfahrens eine psychiatrische Erkrankung nie behauptet, sondern vielmehr mit Nachdruck in Abrede gestellt. Es ergeben sich hierauf in den beigezogenen, überprüften Krankenunterlagen keine konstanten Befunde oder Hinweise, die eine weitere sachverständige Überprüfung und Fortsetzung der Beweisaufnahme als geboten erscheinen lassen.

2.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Ein Zulassungsgrund i.S. des § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.

Der Streitwert wird für die erste und die zweite Instanz festgesetzt auf 31.311,57 EUR.

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