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Berufsunfähigkeitsversicherung – Einkommensfortschreibung

OLG Celle – Az.: 8 U 271/18 – Urteil vom 14.11.2019

Die Berufung des Klägers gegen das am 13. November 2018 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der aufgrund der Urteile vollstreckbaren Beträge abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht mit seiner Klage Ansprüche auf weitere Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.

Zwischen den Parteien besteht zur Versicherungsnummer 1… seit September 2008 ein Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Vertrag sieht für den Fall der Berufsunfähigkeit Beitragsfreiheit sowie die Zahlung einer monatlichen Rente in Höhe von 800,00 € vor. Der nach Verrechnung von Überschüssen zu zahlende monatliche Beitrag liegt bei 30,69 €. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für die selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung (nachfolgend: AVB) zugrunde. Wegen weiterer Einzelheiten des Vertragsverhältnisses wird auf die Anlagen BLD B 1 und BLD B 2 (Bl. 45 ff., 51 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der am 4. August 1988 geborene Kläger trat im Jahr 2008 als Zeitsoldat in die Bundeswehr ein, und zwar in der Offizierslaufbahn. Nach 15-monatiger militärischer Ausbildung nahm er ein Studium der Elektrotechnik und Informationstechnik an der Universität der Bundeswehr H. auf. Am 1. Juli 2011 wurde der Kläger zum Leutnant befördert. Sein Studium schloss er im September 2013 mit der Erlangung des akademischen Grades Master of Science ab.

Ebenfalls im September 2013 wurden bei dem Kläger eine primäre sklerosierende Cholangitis sowie eine Pancolitis ulcerosa diagnostiziert. Ab Dezember 2013 war der Kläger „krank zu Hause“. Zum 28. Februar 2015 schied er krankheitsbedingt aus der Bundeswehr aus.

Im Februar 2014 machte der Kläger Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bei der Beklagten geltend. Diese trat in die Leistungsprüfung ein. Mit Schreiben vom 3. September 2014 erkannte sie Ansprüche des Klägers rückwirkend ab dem 1. Januar 2014 an.

Am 1. März 2015 nahm der Kläger eine Tätigkeit als Prüfingenieur in Fortbildung auf. Die Weiterbildung endete am 17. Dezember 2015 mit einem staatlichen Abschluss. Seit Januar 2016 ist der Kläger als Prüfingenieur tätig, seit Mai 2016 beim TÜV N.

Nachdem die Beklagte von dieser Tätigkeit Kenntnis erlangt hatte, leitete sie ein Nachprüfungsverfahren ein. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 (Anlage K 6, Bl. 19 f. d. A.) verwies sie den Kläger auf seine nunmehr ausgeübte Tätigkeit und kündigte die Einstellung ihrer Leistungen zum 31. März 2017 an. Entsprechend der Aufforderung der Beklagten nahm der Kläger ab April 2017 die Beitragszahlung wieder auf.

Das Gehalt des Klägers als Leutnant betrug im Jahr 2013 brutto 32.556,68 € (netto 26.279,79 €; Anlage BLD 4, Bl. 86 d. A.). Sein Gehalt als Prüfingenieur betrug im Jahr 2017 brutto 48.139,39 € (netto 32.493,23 €; Anlage K 5, Bl. 18 d. A.) und im Jahr 2018 brutto 52.036,73 € (netto 35.244,76 €; Anlage K 11, Bl. 192 d. A.).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, eine Verweisung auf seinen nunmehr ausgeübten Beruf sei nicht möglich, weil dieser nicht seiner bisherigen Lebensstellung entspreche und insbesondere von seinem Ansehen her nicht mit dem eines Offiziers zu vergleichen sei.

Hierzu hat er behauptet, ohne seine Erkrankung wäre er nach kurzer Zeit zum Oberleutnant und inzwischen zum Hauptmann befördert worden. Für die Zukunft seien eine Übernahme als Berufssoldat und weitere Beförderungen zumindest bis zum Oberstleutnant zu erwarten gewesen. Aufgrund einer Ausbildung zum Fallschirmspringer hätte er bei entsprechender Verwendung eine Fallschirmspringerzulage in Höhe von monatlich 161,06 € erhalten. Bei zu erwartenden Auslandseinsätzen hätte er kalendertägliche Zuschläge in Höhe von 110,00 € erhalten. Auch ohne diese Zulagen hätte er als Offizier monatlich netto 1.200,00 € mehr verdient als in seiner jetzigen Tätigkeit.

Soweit in seinem nunmehr ausgeübten Beruf als Prüfingenieur Aufstiegsmöglichkeiten bestünden, könne er diese aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9.968,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 1. April 2018 aus der Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. 1… in Höhe von monatlich 800,00 € längstens bis zum Tode des Klägers bzw. bis zum Vertragsende am 1. August 2043 zu zahlen, zahlbar monatlich im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. 1… ab dem 1. April 2018 freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Verweisung auf die Tätigkeit eines Prüfingenieurs als wirksam erachtet.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 13. November 2019 (Bl. 138 ff. d. A.), auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Einzelheiten der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe den Kläger wirksam auf dessen Tätigkeit als Prüfingenieur beim TÜV N. verwiesen. Diese Tätigkeit entspreche der Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung des Klägers. Der bisherige Beruf umfasse keine Hoffnungen und Erwartungen an einen noch nicht ausgeübten Beruf, sodass Beförderungen und Ähnliches unbeachtlich seien. Beide Tätigkeiten entsprächen einander hinsichtlich der erforderlichen Ausbildung und Erfahrung; insbesondere setzten beide Tätigkeiten einen Studienabschluss voraus, wie der Kläger ihn erlangt habe. Das Einkommen des Klägers sei gegenüber dem als Leutnant sogar leicht gestiegen. Bezüglich des Arbeitsplatzrisikos sei eine Verbesserung eingetreten, weil der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag habe, zuvor aber nur Zeitsoldat gewesen sei; die Möglichkeit einer Ernennung zum Berufssoldat stelle eine bloß erwartete berufliche Perspektive dar. Weitere Beförderungen hätten zumindest von der erfolgreichen Absolvierung des Offizierslehrgangs III abgehangen; das Bestehen der erforderlichen Prüfungen können nicht mit hinreichend sicherer Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden. Die Wertschätzung der neuen Tätigkeit bleibe nicht hinter der als Offizier zurück.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger macht geltend, das Landgericht habe zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass er ohne seine Erkrankung bei der Bundeswehr regelmäßig befördert worden wäre und dementsprechend ein höheres Einkommen erzielt hätte. Ferner habe das Landgericht zu Unrecht auf das Bruttogehalt abgestellt; insoweit habe es unberücksichtigt gelassen, dass er als Soldat freie Heilfürsorge genossen und keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt habe. Verkannt habe das Landgericht, dass er angesichts der knappen Personalsituation der Bundeswehr gute Aussichten gehabt habe, Berufssoldat zu werden, was zum einen mit weiteren Beförderungen verbunden gewesen wäre und zum anderen ein sicheres Dienstverhältnis ohne Arbeitsmarktrisiko zur Folge gehabt hätte. Schließlich gehe „die Betrachtung des sozialen Prestiges des Offiziersberufs … völlig fehl“. „Objektiv [sei] … die Wertung im Urteil keinesfalls, sondern [spiegele] … die persönliche Ansicht der Berichterstatterin der Zivilkammer wieder“.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 13. November 2018 zum Aktenzeichen 5 O 110/18 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9.968,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. April 2018 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 1. April 2018 aus der Berufsunfähigkeitsversicherung, policiert unter der Versicherungsnummer 1…, monatlich 800,00 € längstens bis zum Tode des Klägers bzw. bis zum Vertragsende am 1. August 2043 zu zahlen, zahlbar monatlich im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. 1… ab dem 1. April 2018 freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 11. April 2019 (Bl. 201 f. d. A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Stellungnahme des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 1. August 2019 (Bl. 241 f. d. A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit ab April 2017 zu.

Nachdem die Beklagte ihre Leistungspflicht mit Schreiben vom 3. September 2014 rückwirkend zum 1. Januar 2014 anerkannt hatte, konnte sie sich von ihrer Leistungspflicht nur nach den Grundsätzen des in § 13 AVB geregelten Nachprüfungsverfahrens lösen. Gemäß § 13 Abs. 5 AVB kann der Versicherer die Leistungen einstellen, wenn die Berufsunfähigkeit weggefallen ist und der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Veränderung in Textform dargelegt und dem Anspruchsberechtigten die Einstellung der Leistungen in Textform mitgeteilt hat. Diese Voraussetzungen einer Leistungseinstellung hat das Landgericht zutreffend bejaht.

a) Der Kläger war im Zeitpunkt der Einstellungsmitteilung, also im Dezember 2016, nicht mehr berufsunfähig.

Berufsunfähigkeit liegt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AVB auch dann nicht vor, wenn die versicherte Person eine andere ihrer Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entsprechende berufliche Tätigkeit ausüben kann. Eine solche Verweisungstätigkeit liegt, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, mit der von dem Kläger nunmehr ausgeübten Tätigkeit eines Prüfingenieurs beim TÜV N. vor.

Die Beweislast für das Entfallen der Berufsunfähigkeit trägt im Nachprüfungsverfahren der Versicherer. Macht der Versicherungsnehmer aber geltend, die vom ihm neu ausgeübte Tätigkeit entspreche nicht seiner bisherigen Lebensstellung, obliegt es ihm, konkrete Umstände darzulegen, aus denen sich die fehlende Vergleichbarkeit ergeben soll (BGH VersR 2017, 147, 148).

aa) Dass er aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung, insbesondere unter Berücksichtigung des absolvierten Studiums der Elektrotechnik und Informationstechnik und der Weiterbildung zum Prüfingenieur die Tätigkeit als Prüfingenieur nicht ausüben könne, macht der Kläger nicht geltend. Dies läge vor dem Hintergrund, dass er diese Tätigkeit seit Januar 2016, also seit nunmehr mehr als drei Jahren, tatsächlich ausübt, auch fern.

bb) Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit als Prüfingenieur der bisherigen Lebensstellung des Klägers entspreche.

Die bisherige Lebensstellung des Versicherungsnehmers wird vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt. Eine Vergleichstätigkeit liegt vor, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, wie sich die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellten (BGH VersR 2017, 147, 148).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist ein Erhalt der bisherigen Lebensstellung in der nunmehr ausgeübten Tätigkeit des Klägers zu bejahen.

(1) Dass die Tätigkeit als Prüfingenieur geringere Kenntnisse und Fähigkeiten erfordere als die Tätigkeit als Offizier, hat der – darlegungsbelastete – Kläger weder erstinstanzlich noch mit der Berufungsbegründung dargelegt. Es ist auch sonst nicht ersichtlich.

Zwar kann unschwer davon ausgegangen werden, dass der Kläger in seiner jetzigen Tätigkeit einige in der früheren Tätigkeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht verwenden kann. Das dürfte beispielsweise – jedenfalls solange der Kläger als Prüfingenieur im Kfz-Bereich tätig ist – für seine Waffenausbildung gelten, ebenso für die – streitige – Ausbildung zum Fallschirmspringer. Andererseits setzt die jetzige Tätigkeit des Klägers Kenntnisse und Fähigkeiten voraus, die er im Rahmen der Weiterbildung zum Prüfingenieur erwarb und die er in seiner früheren Tätigkeit nicht benötigte. In der Gesamtschau ist jedenfalls mangels Darlegung des Gegenteils durch den Kläger von einer Gleichwertigkeit auszugehen.

(2) Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Vergütung der jetzt ausgeübten Tätigkeit des Klägers nicht spürbar hinter derjenigen der früheren Tätigkeit zurückbleibt, sondern sogar höher ist.

(a) Ob bei dem erforderlichen Einkommensvergleich auf das Brutto- oder das Nettoeinkommen abzustellen ist, ist in der Rechtsprechung umstritten. Der Bundesgerichtshof hat beide Methoden gebilligt, sofern die gewählte Methode im jeweiligen Einzelfall geeignet ist, eine Vergleichbarkeit in wirtschaftlicher Hinsicht herzustellen (BGH VersR 2017, 147, 149; VersR 2012, 427, 428). Der Senat erachtet im vorliegenden Fall die Nettomethode für vorzugswürdig.

Der Kläger weist mit der Berufungsbegründung zu Recht darauf hin, dass sich seine frühere Tätigkeit von der jetzt ausgeübten maßgeblich dadurch unterscheidet, dass er als Offizier freie Heilfürsorge genoss und auch nicht der Rentenversicherungspflicht unterlag. Ein Vergleich des Bruttoeinkommens trägt dem nicht Rechnung, weil das Bruttoeinkommen bei der nunmehr ausgeübten Tätigkeit um Sozialversicherungsbeiträge gemindert wird. Ein Vergleich des Nettoeinkommens bildet demgegenüber die wirtschaftliche Situation des Klägers realistisch ab. Denn dieser Vergleich stellt auf das Einkommen ab, über das der Kläger frei verfügen und von dem er sein Leben gestalten kann.

(b) Als früheres Einkommen des Klägers ist das im Jahr 2013 zuletzt erzielte Gehalt als Leutnant in den Einkommensvergleich einzustellen.

Welches Einkommen aus der früheren Tätigkeit dem Einkommensvergleich zugrunde zu legen ist, war in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der Senat ist bei Erlass des Beweisbeschlusses vom 11. April 2019 davon ausgegangen, dass die Besonderheiten des Dienstverhältnisses als Soldat es rechtfertigen können, eine Fortschreibung des Einkommens entsprechend der hypothetischen Entwicklung der Dienstlaufbahn vorzunehmen.

Zwischenzeitlich – nach Erlass des Beweisbeschlusses – hat der Bundesgerichtshof die Rechtsfrage dahin geklärt, dass eine Fortschreibung des erzielten Einkommens jedenfalls im Regelfall nicht zu erfolgen habe. Die Berufsunfähigkeitsversicherung diene der Sicherstellung der individuellen bisherigen Lebensumstände, sichere aber nicht die künftige Verbesserung dieser Lebensumstände. Die Lohn- und Gehaltsentwicklung im Ursprungsberuf nach Eintritt des Versicherungsfalls habe daher grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Eine Ausnahme komme nur dann in Betracht, wenn aufgrund eines besonders langen Zeitraums zwischen dem Eintritt der Berufsunfähigkeit und ihrer Nachprüfung eine objektive Vergleichbarkeit des Einkommens und der damit verbundenen Lebensstellung nicht mehr gewährleistet wäre (BGH, VersR 2019, 1001, 1003).

Der Senat folgt der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nunmehr auch für den vorliegenden Fall, worauf der Kläger mit Beschluss vom 8. August 2019 hingewiesen worden ist.

Das Gehalt des Klägers als Leutnant betrug ausweislich der Anlage BLD B 4 im Jahr 2013 brutto 32.556,68 €, das sind netto 26.279,79 €. Eine fiktive Fortschreibung dieses Gehalts kommt angesichts der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Betracht. Die Zeit zwischen Eintritt der Berufsunfähigkeit Anfang 2014 und dem Zeitpunkt der Nachprüfung Ende 2016 kann mit rund drei Jahren schon deshalb nicht als besonders langer Zeitraum im Sinne der Entscheidung des Bundesgerichtshofs angesehen werden, weil in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall zwischen Eintritt der Berufsunfähigkeit und Nachprüfung mehr als vier Jahre lagen.

(c) In seiner Tätigkeit als Prüfingenieur erzielte der Kläger im Jahr 2017 ausweislich der Anlage K 5 ein Einkommen in Höhe von brutto 48.139,39 €, das sind netto 32.493,23 €.

Zugunsten des Klägers ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Kläger im Jahr 2017 zumindest zeitweise die Steuerklasse 3 hatte. Um eine Vergleichbarkeit mit dem früheren Einkommen herzustellen, erscheint es geboten, fiktiv mit der Steuerklasse 4 zu rechnen, die der Kläger ausweislich der Anlage BLD 4 vor Eintritt der Berufsunfähigkeit hatte und ausweislich der Anlage K 12 auch jetzt hat. Dann ergibt sich bei dem Bruttoeinkommen in Höhe von 48.139,39 € ein Nettoeinkommen in Höhe von ca. 29.400,00 €.

(d) Danach liegt nicht nur keine unzumutbare Einkommenseinbuße vor. Vielmehr verdient der Kläger in seiner Verweisungstätigkeit sogar rund 10 % mehr als in seiner früheren Tätigkeit als Offizier.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich bei einem Vergleich mit dem Jahr 2018 sogar eine noch höhere Einkommenssteigerung ergibt, nämlich von ca. 20 %. Der Kläger erzielte im Jahr 2018 ausweislich der Gehaltsabrechnung für Dezember 2018 (Anlage K 11) ein Bruttoeinkommen in Höhe von 52.036,73 €. Unter Zugrundelegung der Steuerklasse 4 entspricht das einem Nettoeinkommen in Höhe von ca. 31.400,00 €.

(3) Eine Einbuße an sozialer Wertschätzung hat das Landgericht zutreffend verneint. Der Kläger hat keine Umstände dargelegt, aus denen sich ein höheres Ansehen des Berufs des Offiziers gegenüber dem Beruf des Prüfingenieurs ergeben würde.

Soweit der Kläger auf die Verantwortung für untergebene Soldaten und militärisches Gerät abstellt, ist ihm zwar zuzugestehen, dass dies auf einen Prüfingenieur beim TÜV nicht zutrifft. Dieser trägt jedoch Verantwortung in anderer Hinsicht, nämlich im Rahmen der von ihm vorgenommenen Prüfungen, die den sicheren Betrieb von Kraftfahrzeugen gewährleisten und die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verhindern sollen. Gründe, der Verantwortung für zahlenmäßig begrenzte Soldaten und militärische Geräte größere Bedeutung beizumessen als der Verantwortung im Rahmen von Prüfungen, die für einen breiten Personenkreis von Bedeutung sind, sind nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger auf repräsentative Aufgaben verweist und dazu einen Auszug aus der Landeszeitung L. vorlegt, ergibt sich daraus ebenfalls kein Anhaltspunkt für hohe soziale Wertschätzung. Es mag sein, dass der Kommandeur einer Kaserne für die Lokalpresse von Interesse ist. Daraus folgt aber nicht, dass dies für jeden Oberstleutnant unabhängig von dessen konkreter Verwendung gilt. Erst recht ist nicht erkennbar, dass Offiziere niedrigerer Dienstgrade von medialem Interesse sind.

Soweit der Kläger dem Landgericht mit der Berufung vorwirft, keine objektive Wertung vorgenommen zu haben, vielmehr das Urteil die persönliche Ansicht der Berichterstatterin der Zivilkammer widerspiegele, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Letzterer Erwägung steht schon entgegen, dass das Urteil nicht von der Berichterstatterin, sondern von der Kammer erlassen worden ist. Es müssen also mindestens zwei Kammermitglieder – und nicht nur die Berichterstatterin – die im Urteil niedergelegte Beurteilung getroffen haben.

Soweit der Kläger im Verhandlungstermin vor dem Senat ein aus seiner Sicht höheres Ansehen eines Offiziers damit zu begründen versucht hat, dass er von Mitarbeitern der Autohäuser, in denen er Prüfungen vornehme, geduzt werde, wohingegen ein Offizier von Soldaten niedrigerer Dienstgrade gesiezt und gegrüßt werden müsse, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Kläger verkennt insoweit, dass es bei der Beurteilung der sozialen Wertschätzung einer Tätigkeit nicht primär auf die Sicht des Betroffenen, sondern auf die der Allgemeinheit ankommt. Zudem erscheint es in hohem Maße zweifelhaft, ob ein Siezen und Grüßen, das aufgrund einer dienstlichen Verpflichtung erfolgt, als Zeichen sozialer Wertschätzung angesehen werden kann.

Unabhängig davon gibt es objektive Anhaltspunkte dafür, die soziale Wertschätzung eines Prüfingenieurs jedenfalls nicht als geringer zu beurteilen als die eines Offiziers:

In einer Forsa-Umfrage 2016 wurden auf die Frage, welche Berufe ein hohes oder sehr hohes Ansehen genießen, Techniker von 63 % der Befragten (2015: 66 %) und Soldaten von 61 % der Befragten (2015: 58 %) genannt (https://www.dbb.de/fileadmin/pdfs/2016/forsa_2016.pdf). Bei einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung im Jahr 2016 wurden auf die Frage nach dem Vertrauen in bestimmte Berufe Ingenieure und Techniker von 86 % der Befragten (2014: 80 %) und Soldaten von 66 % der Befragten (2014: 67 %) genannt (vgl. https://fowid.de/meldung/berufsprestige-2013-2016-node3302). Schon diese beiden Umfragen sprechen jedenfalls nicht für ein höheres Ansehen des früheren Berufs des Klägers.

In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im April 2013 wählten auf die Frage, welche fünf der vorgegebenen Berufe die Befragten am meisten schätzten und vor denen sie am meisten Achtung hätten, nur 9 % den Beruf des Offiziers, 26 % dagegen den Beruf des Ingenieurs (https://www.ifd-allensbach.de/_uploads/tx_reportsndocs/PD_2013_05.pdf). Diese Umfrage spricht allenfalls für ein geringeres Ansehen des früheren Berufs des Klägers, nicht dagegen für ein geringeres Ansehen des jetzt ausgeübten Berufs eines Prüfingenieurs.

(4) Auch die mit den jeweiligen Tätigkeiten verbundenen Aufstiegsmöglichkeiten stehen einer Verweisung des Klägers auf seine jetzige Tätigkeit als Prüfingenieur nicht entgegen, und zwar auch dann nicht, wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass ihm ein Aufstieg in seiner jetzigen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei.

Das gilt bereits dann, wenn man entsprechend der Behauptung des Klägers davon ausgeht, dass der Kläger als Berufsoffizier übernommen und in seiner weiteren Laufbahn bis zum Oberstleutnant befördert worden wäre. Der Senat verkennt nicht, dass dies eine beachtliche Aufstiegschance darstellt, die zudem mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden ist. Dieser Vorteil der früheren Tätigkeit wird indes relativiert durch die mit der Verweisungstätigkeit verbundene Einkommensverbesserung (vgl. vorstehend (2)). Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Einkommensverbesserung den Wegfall der beruflichen Aufstiegschancen nicht vollständig ausgleicht, sind doch gewisse Nachteile zumutbar.

Vor allem aber ist aufgrund der Auskunft des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 1. August 2019 davon auszugehen, dass eine – einigermaßen – verlässliche Aussage zu einer Übernahme des Klägers als Berufsoffizier gar nicht getroffen werden kann. Denn die Möglichkeit einer Übernahme hinge ausweislich dieser Auskunft nicht allein von den Leistungen ab, die der Kläger in seiner weiteren Laufbahn erbracht hätte. Vielmehr hinge eine Übernahme auch davon ab, welche anderen Bewerber mit welchen Leistungen zum maßgeblichen Zeitpunkt vorhanden wären. Es wäre ohne weiteres denkbar, dass der Kläger selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen nicht als Berufsoffizier übernommen würde, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt ausreichend andere Bewerber mit noch besseren Leistungen vorhanden wären. Danach stellt die Übernahme als Berufsoffizier lediglich eine vage, nicht konkret planbare Möglichkeit dar. Ebenso gut wäre es möglich, dass der Kläger nach Ablauf seiner 13-jährigen Dienstzeit als Zeitsoldat aus der Bundeswehr ausscheiden müsste und ab Juli 2021 ohne konkrete berufliche Perspektive dastünde. Dies ist im Vergleich mit einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis mit der TÜV N. GmbH sogar nachteilig.

b) Eine den Anforderungen des § 13 Abs. 5 AVB entsprechende Einstellungsmitteilung liegt mit dem Schreiben der Beklagten vom 20. Dezember 2016 vor. Dies nimmt der Kläger ebenso wenig in Abrede wie den Zugang dieses Schreibens noch im Dezember 2016.

c) Die in § 13 Abs. 5 AVB entsprechend § 174 Abs. 2 VVG geregelte Fortzahlung für drei Monate ist berücksichtigt. Die Beklagte stellte die Leistungen zum 31. März 2017 ein.

2. Aus den gleichen Gründen kann der Kläger weder die Erstattung der für April 2017 bis März 2018 gezahlten Beiträge in Höhe von insgesamt 368,28 € verlangen, noch hat er einen Anspruch auf Freistellung von der Beitragszahlung ab April 2018.

3. Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache kann der Kläger keine Zahlung von Zinsen verlangen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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