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Berufsunfähigkeitsversicherung – Beweislast hinsichtlich Berufsunfähigkeit

OLG Stuttgart – Az.: 7 U 203/17 – Urteil vom 17.09.2020

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 08.11.2017, Az. 18 O 401/14, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte hinsichtlich der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 139.217,40 €.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch.

Die Klägerin, vormals Außendienstmitarbeiterin der Beklagten, unterhält bei letzterer ab dem 01.12.2004 unter der Nr. …5 eine – hier nicht streitgegenständliche – Berufsunfähigkeitsversicherung (Versicherungsschein in Anl. K 30, GA II 241 bis 252).

Darüber hinaus schloss die Klägerin bei der Beklagten eine weitere, unter der Nr. …3 geführte Berufsunfähigkeitsversicherung ab dem 01.04.2008 ab (Versicherungsschein in Anl. K 32, GA II 265 bis 271), die hier ebenfalls nicht streitgegenständlich ist.

Am 30.03.2011 erlitt die Klägerin eine Fehlgeburt. Nachdem sie am 19.01.2012 einen Sohn entbunden hatte, wurde sie am 26.01.2012 in einem guten körperlichen Zustand aus der Entbindungsklinik entlassen (vgl. Anl. K 10).

Am 08.05.2012 wurde die Klägerin wegen bestehender Rückenbeschwerden arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Mit Datum vom 09.05.2012 beantragte die Klägerin zum einen die jeweilige Erhöhung der Berufsunfähigkeitsrente ohne erneute Risikoprüfung hinsichtlich der beiden nicht streitgegenständlichen Versicherungsverträge (Anl. K 34, GA II 279/280) und stellte zum anderen einen Antrag auf Abschluss einer weiteren, den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bildenden Berufsunfähigkeitsversicherung (Anl. K 35, GA II 281 bis 292).

Die Beklagte nahm diesen Antrag an und policierte die Versicherung mit Datum vom 04.06.2012 unter der Nr. …7 (Versicherungsschein in Anl. K 1). Dem Versicherungsvertrag, der einen Versicherungsbeginn zum 01.05.2012 vorsieht, liegen die Allgemeinen und Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Anl. K 2) zugrunde.

Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen enthalten in § 7 u.a. folgende Regelung:

„§ 7  Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?

(1) Ist die versicherte Person voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder eines mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande oder bereits 6 Monate ununterbrochen außerstande gewesen, ihren Beruf auszuüben, und übt sie auch keine andere Tätigkeit aus, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, so liegt von Beginn an eine vollständige Berufsunfähigkeit vor. […]“

Mit Schreiben vom 21.06.2012 (Anl. B 2), der Beklagten per Telefax zugegangen am 22.06.2012, beantragte die Klägerin die Leistung von Berufsunfähigkeitsrenten aus sämtlichen Verträgen mit der Begründung, bei ihr sei am heutigen Tag Berufsunfähigkeit festgestellt worden. Auf entsprechende Anforderung der Beklagten reichte die Klägerin unter dem Datum vom 03.07.2012 eine entsprechende, ergänzende Angaben enthaltende Anmeldung von Ansprüchen aus den Berufsunfähigkeitsversicherungen ein (Anl. B 3).

Mit Schreiben vom 25.03.2013 (Anl. K 3 und K 18) erkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht aus den beiden nicht streitgegenständlichen Versicherungsverträgen ab dem 01.02.2012 an, lehnte demgegenüber jedoch Leistungen aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag Nr. …7 mit der Begründung ab, die Berufsunfähigkeit der Klägerin sei zu einem Zeitpunkt eingetreten, zu dem noch kein Versicherungsschutz bestanden habe.

An dieser Auffassung hielt die Beklagte trotz mehrerer außergerichtlicher Leistungsaufforderungen der Klägerin, letztmals mit Schreiben vom 03.07.2014 (Anl. K 8), fest.

Die Klägerin, die erstinstanzlich wie im Berufungsverfahren beantragt hat, hat im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte sei aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zur Leistung verpflichtet. Bei der Klägerin liege eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor. Sie sei aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung nicht mehr in der Lage, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Hauptvertreterin der Beklagten auszuüben. Insoweit handele es sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht um eine sog. mitgebrachte Berufsunfähigkeit. Sie sei nach der Entbindung des Sohnes in einem guten körperlichen Zustand aus der Klinik entlassen worden. Danach hätten sich zunächst Rückenbeschwerden eingestellt, die am 08.05.2012 zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt hätten. Eine psychische Erkrankung habe zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zur Diskussion gestanden. Vielmehr hätten sich ihre Beschwerden erst ab Mai/Juni 2012 dramatisch verschlechtert. Ihre Hausärztin, Frau Dr. P., sowie Herr A. hätten sodann Anfang Juli 2012 die Diagnose einer postpartalen Depression gestellt. Die Berufsunfähigkeit sei mithin erst nach Versicherungsbeginn eingetreten.

Unabhängig davon sei die Beklagte auch deshalb zur Leistung verpflichtet, weil sie ihre Leistungspflicht bezüglich der beiden anderen – nicht streitgegenständlichen – Versicherungsverträge anerkannt habe. Dieses Anerkenntnis binde die Beklagte auch hinsichtlich des streitgegenständlichen Vertrages. Zumindest sei jedoch von einem sog. fingierten Anerkenntnis der Beklagten auszugehen.

Hilfsweise stütze sie den geltend gemachten Anspruch auf eine sog. gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung. Sie habe bei der Beklagten ausdrücklich nachgefragt, ob sie die in den nicht streitgegenständlichen Verträgen enthaltene Erhöhungsoption ohne erneute Risikoprüfung auch dann in Anspruch nehmen könne, wenn sie derzeit erkrankt und arbeitsunfähig sei. Dies sei bejaht worden, ohne dass ein Hinweis dahingehend erfolgt sei, dass in diesem Fall lediglich ein eingeschränkter oder überhaupt kein Leistungsanspruch wegen Berufsunfähigkeit bestehe.

Äußerst hilfsweise – wenn von einer sog. mitgebrachten Berufsunfähigkeit auszugehen sei – könne die Klägerin nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) die Rückgängigmachung des streitgegenständlichen Vertrages und damit die Rückzahlung der geleisteten Prämien verlangen, weil die Parteien, was Geschäftsgrundlage geworden sei, zu Unrecht davon ausgegangen seien, dass eine Berufsunfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorgelegen habe.

Die Beklagte, die Klageabweisung beantragt hat, hat die Auffassung vertreten, ein Leistungsanspruch stehe der Klägerin bereits deshalb nicht zu, weil Berufsunfähigkeit bereits vor dem hier maßgeblichen Versicherungsbeginn eingetreten sei. Nach den eingereichten Unterlagen und den eigenen Angaben der Klägerin sei mithin davon auszugehen, dass Berufsunfähigkeit bereits seit der Geburt des Kindes am 19.01.2012 vorgelegen habe.

Ein Anerkenntnis habe die Beklagte lediglich bezüglich der nicht streitgegenständlichen Versicherungsverträge abgegeben. Dies binde sie nicht in Bezug auf den hier in Rede stehenden Vertrag. Die Voraussetzungen für ein fingiertes Anerkenntnis seien nicht gegeben.

Ansprüche wegen einer gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kämen ebenfalls nicht in Betracht.

Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 08.11.2017 (GA II 299 bis 305) abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, ein Leistungsanspruch stehe der Klägerin nicht zu, da sie nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht bewiesen habe.

Ein Anspruch auf gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung bestehe bereits deshalb nicht, weil sich ein eventuell fehlender Hinweis der Beklagten mangels Berufsunfähigkeit der Klägerin nicht ausgewirkt habe. Soweit die Klägerin Rückabwicklung des streitgegenständlichen Vertrages begehre, spiegele sich dieses Begehren nicht in den gestellten Klageanträgen wider.

Hinsichtlich der weiteren Feststellungen, die das Landgericht getroffen hat, sowie seiner rechtlichen Erwägungen wird ergänzend auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiterverfolgt.

Sie wendet ein, das Landgericht habe zu Unrecht Beweis über eine von der Beklagten behauptete „mitgebrachte“ Berufsunfähigkeit erhoben, weil die Beklagte entsprechenden Beweis nicht angetreten habe. Insoweit liege die Beweislast nicht bei der Klägerin, sondern bei der Beklagten. Ungeachtet dessen sei nach dem eigenen Vortrag der Beklagten von einem prozessualen Geständnis gemäß § 288 ZPO im Hinblick auf eine seit 08.05.2012 bestehende Berufsunfähigkeit der Klägerin auszugehen. Darüber hinaus sei die Beklagte an ihr am 25.03.2013 abgegebenes Leistungsanerkenntnis auch in Bezug auf den hier streitgegenständlichen Vertrag gebunden. Zumindest sei von einem fingierten Anerkenntnis auszugehen, weil es die Beklagte pflichtwidrig unterlassen habe, ein gebotenes Leistungsanerkenntnis auch in Bezug auf den hier in Rede stehenden Vertrag abzugeben.

Weiter rügt die Klägerin unter Verweis auf die Sk2-Leitlinie (Anl. K 38) eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Landgerichts. Dieses habe sich nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob es sich bei den vom Sachverständigen genannten Mitarbeits- und Verdeutlichungstendenzen um eine Aggravation der Klägerin gehandelt habe. Weiter habe das Landgericht zu Unrecht angenommen, dass eine eventuell vormals bestehende depressive Störung zwischenzeitlich zur Remission gekommen sei. Auch habe das Landgericht nicht weiter aufgeklärt, welche klinischen Befunde letztlich den beauftragten Sachverständigen zur Annahme veranlasst hätten, eine hirnorganische Erkrankung liege bei der Klägerin nicht vor. Schließlich habe es das Landgericht unterlassen, das vom Sachverständigen für erforderlich gehaltene neurologische Zusatzgutachten einzuholen und den Sachverständigen nicht angehalten, eine körperliche Untersuchung der Klägerin durchzuführen.

Nicht zuletzt habe sich das Landgericht auch nicht hinreichend mit dem Vortrag der Klägerin auseinandergesetzt, dass der streitgegenständliche Versicherungsvertrag fehlerhaft zustande gekommen sei, weil – statt eine Erhöhung der Berufsunfähigkeitsrenten aus den beiden nicht streitgegenständlichen Verträgen vorzunehmen – ein neuer Vertrag abgeschlossen worden sei. Dies stelle eine Abweichung vom Antrag dar mit der Folge, dass die Klägerin gemäß § 5 Abs. 3 VVG nicht schlechter gestellt werden dürfe als bei einer vorgenommenen Erhöhung.

Die Klägerin beantragt deshalb im Berufungsverfahren:

Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 08.11.2017 – 18 O 401/14 – wird wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 34.214,04 € zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 11.113,40 € seit 25.03.2013, aus jeweils 1.000,00 € seit 01.04.2013, aus jeweils 1.030,00 € seit 01.05., 01.06., 01.07., 01.08., 01.09., 01.10., 01.11., 01.12.2013, 01.01., 01.02., 01.03., 01.04.2014, aus 1.060,90 € seit 01.05., 01.06., 01.07., 01.08., 01.09., 01.10. und 01.11.2014, aus 111,34 € seit 01.04.2013, aus jeweils 114,68 € seit 01.05., 01.06., 01.07., 01.08., 01.09., 01.10., 01.11., 01.12.2013, 01.01., 01.02., 01.03., 01.04.2014 sowie aus jeweils 118,12 € seit 01.05., 01.06., 01.07., 01.08., 01.09., 01.10. und 01.11.2014 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab dem 01.12.2014 für die Dauer der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit, längstens bis zum Vertragsablauf am 30.04.2044, aus dem Vertrag Nr. …7 zum ersten jeden Monats 1.060,90 €, anzupassen jährlich, erstmals zum 01.05.2015, um 3 % der Vorjahresleistung, nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem Ersten jeden Monats zu zahlen.

3. Die Beklagte zahlt an die Klägerin die ins Ermessen des Gerichts gestellten notwendigen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung, mindestens jedoch 2.715,58 €.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Ergänzend weist sie darauf hin, dass das Landgericht zu Recht von einer Beweislast der Klägerin in Bezug auf eine während der Dauer des Versicherungsschutzes eingetretene Berufsunfähigkeit ausgegangen sei. Unter Heranziehung des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens sei es deshalb auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine entsprechende Berufsunfähigkeit der Klägerin verneint habe.

Die Beklagte sei weiter nicht aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten zur Leistung verpflichtet. Ein Geständnis im Sinne des § 288 ZPO habe sie nicht abgegeben, ebenso wenig ein Leistungsanerkenntnis in Bezug auf den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag. Das bezüglich der weiteren Berufsunfähigkeitsversicherungen abgegebene Anerkenntnis binde insoweit nicht. Die Voraussetzungen für ein fingiertes Anerkenntnis lägen nicht vor.

Schließlich habe das Landgericht auch zu Recht einen Anspruch unter dem Gesichtspunkt der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung verneint.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. med. J. S. sowie ein neurologisches Zusatzgutachten von Prof. Dr. H. M. eingeholt. Die Sachverständigen haben ihre Gutachten im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.07.2020 mündlich erläutert.

Auf die bezeichnete Sitzungsniederschrift sowie die Sitzungsniederschrift vom 04.02.2019 wird – auch hinsichtlich des Ergebnisses der ergänzenden Beweisaufnahme – verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Das Landgericht hat deshalb die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat nicht zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) den ihr obliegenden Nachweis geführt, dass sie ab Mai 2012 oder zu einem späteren Zeitpunkt berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen geworden ist.

1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit der Klägerin obliegt, und zwar auch insoweit, als der Ausschluss einer vorvertraglichen, mithin sog. mitgebrachten Berufsunfähigkeit in Rede steht:

a) Entgegen der Auffassung der Berufung trifft die Klägerin als Versicherungsnehmerin die Beweislast für die Behauptung, Berufsunfähigkeit sei erst nach Beginn der Versicherung eingetreten. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 172 Abs. 1 VVG, wonach der Versicherer verpflichtet ist, für eine nach Beginn der Versicherung eingetretene Berufsunfähigkeit die vereinbarten Leistungen zu erbringen, handelt es sich bei dem nach Vertragsbeginn eingetretenen Verlust der Fähigkeit, im Beruf tätig zu sein, um eine anspruchsbegründende Tatbestandsvoraussetzung der Berufsunfähigkeit, die der Versicherungsnehmer zu beweisen hat (OLG Hamm, Beschluss vom 11.12.2017 – 6 U 92/17 -, VersR 2018, 666, Tz. 17; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. 2020, Kapitel 3 Rn. 50).

Dem entspricht die vertragliche Vereinbarung der Parteien in § 1 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, wonach die Beklagte als Versicherer die Versicherungsleistungen erbringt, wenn die versicherte Person während der Versicherungsdauer zu mindestens 50 % berufsunfähig wird. Entsprechend hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 27.01.1993 – IV ZR 309/91 -, NJW-RR 1993, 671) ausgeführt, für die Feststellung der Berufsunfähigkeit sei entscheidend, ob der Versicherte „während der Dauer“ des Vertragsverhältnisses berufsunfähig geworden sei. Beweisbelastet hierfür sei der Versicherungsnehmer.

Hieraus folgt, dass Unklarheiten darüber, ob schon in vorvertraglicher Zeit ein dauerhafter gesundheitsbedingter Ausschluss der Fähigkeit zur Berufsausübung vorgelegen hat, zu Lasten des Versicherungsnehmers gehen (OLG Hamm a.a.O.).

b) Eine hiervon abweichende Beurteilung ist vorliegend nicht deshalb geboten, weil die Beklagte ihre Leistungspflicht in Bezug auf den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag anerkannt hätte und demzufolge für den Wegfall der anerkannten Berufsunfähigkeit beweisbelastet wäre:

aa) Das von der Beklagten abgegebene Anerkenntnis vom 25.03.2013 (Anl. K 3 und K 18) bezieht sich seinem Inhalt nach unzweifelhaft lediglich auf die beiden – hier nicht streitgegenständlichen – Versicherungsverträge. Darüber hinaus hat die Beklagte im bezeichneten Schreiben Leistungen aus dem hier in Rede stehenden Versicherungsvertrag ausdrücklich mit der Begründung abgelehnt, eine Berufsunfähigkeit der Klägerin sei bereits zu einem Zeitpunkt eingetreten, zu dem noch kein Versicherungsschutz bestanden habe.

Entgegen der Auffassung der Berufung bindet das Anerkenntnis in Bezug auf die beiden anderen Versicherungsverträge die Beklagte hinsichtlich des streitgegenständlichen Vertrages selbst dann grundsätzlich nicht, wenn in den jeweiligen Versicherungsbedingungen die Berufsunfähigkeit (nahezu) inhaltsgleich definiert wird.

Der Beklagten ist es grundsätzlich unbenommen, ihre Leistungspflicht für jeden einzelnen Versicherungsvertrag gesondert zu prüfen und insbesondere für jeden Vertrag gesondert zu entscheiden, ob sie Leistungen erbringt oder nicht. Denn die Leistungspflicht hängt nicht ausschließlich von der Definition des Begriffes der Berufsunfähigkeit ab, sondern auch von weiteren Voraussetzungen, insbesondere – wie der vorliegende Fall zeigt – auch davon, ob – bei abweichenden Zeiträumen des jeweils bestehenden Versicherungsschutzes – Berufsunfähigkeit in versicherter Zeit eingetreten ist. Davon abgesehen, kann die Leistungspflicht des Versicherers in Bezug auf einzelne Vertragsverhältnisse z. B. aufgrund von Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers eingeschränkt oder gar aufgehoben sein.

bb) Auch die von den Parteien aufgeworfene Frage, ob und inwieweit vorliegend ein sog. fingiertes Anerkenntnis der Beklagten vorliegt, ändert nichts an dem Umstand, dass die Klägerin (zunächst) den Eintritt einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit in vertraglicher Zeit zu beweisen hat.

Insoweit ist anerkannt, dass der Versicherer, der einen begründeten Anspruch des Versicherungsnehmers nicht anerkannt hat, von seiner Leistungspflicht grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Leistungseinstellung im sog. Nachprüfungsverfahren frei wird. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Versicherer – jedenfalls im Ergebnis – pflichtwidrig von einem Anerkenntnis Abstand genommen, Leistungen aus dem Versicherungsvertrag abgelehnt hat und der Versicherungsnehmerin deshalb zur Erhebung einer Leistungsklage gezwungen gewesen war (BGH, Beschluss vom 20.06.2007 – IV ZR 3/05 -, VersR 2007, 1398, Tz. 5; OLG Celle, Urteil vom 09.04.2018 – 8 U 250/17 -, DStR 2018, 1887, Tz. 57).

Abgesehen davon, dass vorliegend die Voraussetzungen für ein fingiertes Anerkenntnis nicht vorliegen, weil der Klägerin – wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen – kein begründeter Leistungsanspruch gegen die Beklagte zusteht, obliegt es der Klägerin auch in Fällen eines fingierten Anerkenntnisses als Versicherungsnehmerin im Rechtsstreit, zunächst den Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit zu führen. Ist danach ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Leistungspflicht gegeben, steht dem Versicherer im selben Rechtsstreit der Beweis offen, dass und ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Herabsetzung oder Einstellung der Leistungen eingetreten sind (BGH, Beschluss vom 20.01.2010 – IV ZR 111/07 -, RuS 2010, 251, Tz. 3). Aus der von der Klägerin im Schriftsatz vom 25.08.2020 zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 13.03.2019 – IV ZR 124/18 -, VersR 2019, 1134) ergibt sich insoweit nichts Anderes.

c) Ein prozessuales Geständnis (§ 288 Abs. 1 ZPO) in Bezug auf eine eingetretene Berufsunfähigkeit, welches die Klägerin des Beweises des Eintritts der Berufsunfähigkeit entheben würde, liegt ebenfalls nicht vor.

Zwar kann die hierfür erforderliche Erklärung im Sinne des § 288 Abs. 1 ZPO auch durch die Antragstellung im Termin zur mündlichen Verhandlung bzw. Bezugnahme auf das bisherige schriftsätzliche Vorbringen erblickt werden (BGH, Beschluss vom 09.02.2012 – IX ZR 48/11 -, NZI 2012, 514, Tz. 6 ff.; Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Rn. 5 zu § 288). Es fehlt jedoch an einem zuvor schriftsätzlich erklärten Geständnis der Beklagten.

aa) Hierfür genügt allein das Nichtbestreiten (§ 138 Abs. 3 ZPO) einer Behauptung des Gegners grundsätzlich nicht. Lediglich ausnahmsweise kann dem Nichtbestreiten förmliche Geständniswirkung zuerkannt werden, wenn es im Zusammenhang mit anderen Äußerungen der nicht bestreitenden Partei deren Willen erkennen lässt, der gegnerischen Behauptung bewusst nicht entgegentreten zu wollen (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1991 – XI ZR 85/90 -, VersR 1991, 1421, juris Tz. 12; BGH, Urteil vom 07.07.1994 – IX ZR 115/93 -, NJW 1994, 3109, juris Tz. 5; Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Rn. 3 zu § 288).

bb) Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, ist dem erstinstanzlichen, von der Klägerin im Schriftsatz vom 25.08.2020 referierten Sachvortrag der Beklagten nicht zu entnehmen. Insbesondere kann nach den gesamten Umständen des Falles dem zunächst gehaltenen Vortrag der Beklagten, sie gehe von einer Berufsunfähigkeit der Klägerin bereits ab 19.01.2012 und damit von einer nicht versicherten, so genannten mitgebrachten Berufsunfähigkeit aus, nicht der Wille entnommen werden, damit in jedem Fall (zumindest auch) eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit der Klägerin ab dem 08.05.2012 zugestehen und dieser Behauptung der Klägerin ausdrücklich nicht entgegentreten zu wollen, zumal dem Zeitpunkt des Eintritts einer behaupteten Berufsunfähigkeit mit Blick auf einen eventuellen Leistungsanspruch der Klägerin entscheidende Bedeutung zukam.

Mithin war es der Beklagten unbenommen, zunächst mit der Klageerwiderung dem geltend gemachten Leistungsanspruch mit der Begründung entgegenzutreten, es liege eine sog. mitgebrachte Berufsunfähigkeit vor und sodann nach Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit überhaupt zu bestreiten. Ein unzulässiges widersprüchliches Verhalten liegt hierin entgegen der Auffassung der Klägerin nicht.

2. Der Klägerin obliegt mithin die Beweislast dafür, dass sie in versicherter Zeit, mithin nach dem 01.05.2012, bedingungsgemäß berufsunfähig geworden ist.

a) Gemäß § 1 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist die Beklagte zur Leistung verpflichtet, wenn die versicherte Person (die Klägerin) während der Versicherungsdauer zu mindestens 50 % berufsunfähig wird.

Maßgeblich ist mithin, ob der Versicherungsfall während der Dauer der Gefahrtragung eingetreten ist, also während der Dauer des materiellen Versicherungsschutzes (vgl. Lücke in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, Rn. 21 zu § 172 VVG). Nicht maßgebend ist hingegen, wann der Versicherungsvertrag – wie hier mit Policierung am 04.06.2012 – tatsächlich zustande gekommen ist.

b) Hier haben die Parteien sowohl im Antrag (Anl. K 35, GA II 281 bis 292) als auch im Versicherungsschein (Anl. K 1) als Versicherungsbeginn den 01.05.2012 vereinbart. Dieser Zeitpunkt, der sowohl vor der Antragstellung am 09.05.2012 als auch vor dem tatsächlichen Vertragsschluss liegt, ist daher als Versicherungsbeginn im Sinne des materiellen Versicherungsbeginns zu verstehen und mithin grundsätzlich ohne weiteres von einer Rückwärtsversicherung gemäß § 2 Abs. 1 VVG auszugehen (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, Rn. 7 zu § 2 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

c) Ob und inwieweit die sog. Einlösungsklausel im Policenbegleitschreiben (Anl. B 1) hieran etwas im Hinblick auf § 2 Abs. 4 VVG i.V.m. § 37 Abs. 2 VVG zu ändern vermag, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet (vgl. zum Meinungsstand Armbrüster a.a.O., Rn. 43 zu § 2), bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, weil Anhaltspunkte für eine unterbliebene oder verspätete Zahlung des Einlösungsbetrages (Erstprämie) durch die Klägerin nicht ersichtlich sind.

3. Den ihr obliegenden Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nach dem 01.05.2012 hat die Klägerin jedoch nicht zu führen vermocht:

a) Berufsunfähigkeit liegt gemäß § 7 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vor, wenn die versicherte Person (die Klägerin) voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder eines mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande oder bereits sechs Monate ununterbrochen außerstande gewesen ist, ihren Beruf auszuüben, und auch keine andere Tätigkeit ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.

Zugrunde zu legen ist dabei die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit, mithin die von der Klägerin in ihrer Anmeldung von Ansprüchen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung vom 03.07.2012 (Anl. B 3) abgegebene Beschreibung der Tätigkeit als Außendienstmitarbeiterin der Beklagten, die auch von der Beklagten nicht angegriffen wird.

b) Hiervon ausgehend, fehlt es nach den für den Senat plausiblen und in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen an einer Berufsunfähigkeit der Klägerin in diesem Sinne.

aa) Vorauszuschicken ist, dass die Klägerin offensichtlich am 30.03.2011 eine Fehlgeburt erlitt und sodann am 19.01.2012 – unter erschwerten Bedingungen (Geburt mittels Saugglocke) – einen Sohn zur Welt brachte. Ausweislich des entsprechenden Berichts (Anl. K 10) wurde die Klägerin am 26.01.2012 in einem guten körperlichen Zustand aus der Entbindungsklinik entlassen.

In der Folge entwickelte die Klägerin nach ihrem Vortrag Rückenbeschwerden, die trotz Behandlung mit Massagen, Krankengymnastik und Fango zugenommen hätten. Herr Dr. W. diagnostizierte am 20.04.2012 eine Blockierung der BWS und LWS (Anl. K 26, GA I 48 bis 50). Am 08.05.2012 – mithin einen Tag vor Antragstellung – wurde die Klägerin von ihrer Hausärztin wegen der bestehenden Rückenbeschwerden arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Nach ihrem weiteren Vortrag habe sie ihr Gesundheitszustand danach dramatisch verschlechtert. Eine am 09.05.2012 und 10.05.2012 durchgeführte MRT der HWS/BWS erbrachte einen kleinen Bandscheibenvorfall C5/6, einen kleinen Bandscheibenvorfall TH6/7 sowie eine dorsale Bandscheibenprotrusion TH7/8. Die MRT der LWS zeigte Bandscheibenprotrusionen auf Höhe L4/5 und L5/S1 (Anl. K 11).

Herr A. hielt in seinem Arztbericht vom 23.05.2012 (Anl. K 12) sodann fest, die Klägerin sei wegen ihrer Beschwerden deprimiert und verzweifelt. Eine stationäre Behandlung oder aber eine Schmerztherapie sowie eine antidepressive Therapie seien dringend erforderlich.

Am 04.07.2012 äußerte Frau Dipl.-Psychologin P. den Verdacht einer postnatalen Depression (Anl. B 5). Ihren Ausführungen zufolge bestanden starke Schmerzzustände, Ängste und auch suizidale Absichten. Auch Herr A. stellte am 06.07.2012 die Diagnose einer postpartalen Depression (Anl. B 4) und vermerkte zusätzlich, die Beschwerden seien sehr ausgeprägt, teilweise fänden sich suizidale Gedanken.

bb) Der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige Prof. Dr. med. J. S. hat die Klägerin selbst untersucht, wobei sich eine Untersuchung bereits deshalb als schwierig erwies, weil sich die Klägerin weigerte, zwecks Untersuchung die Klinik aufzusuchen. Die Untersuchung wurde deshalb vom Sachverständigen im Rahmen dreier Hausbesuche durchgeführt.

(1) Die von Herrn A. angenommene depressive Störung konnte der Sachverständige zum Zeitpunkt seiner Untersuchung nicht bestätigen.

Seine eigene ausführliche Untersuchung einschließlich der neuropsychologischen Testung (vgl. GA II 176 bis 178) ergab einzelne depressive Symptome mit einer wechselhaften, zum Teil jammrig gefärbten Stimmung, einer zeitweise auftretenden Umständlichkeit und Weitschweifigkeit sowie einem reduzierten Antrieb, wie sie etwa als Restsymptome nach remittierten depressiven Erkrankungen fortbestehen können (S. 29/30 des Gutachtens, GA I 173/173 Rückseite, sowie S. 4/5 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020). Der Sachverständige hielt es deshalb für möglich, dass die Klägerin etwa um die Jahreswende 2012/2013 in einer schweren depressiven Verfassung war, die von Herrn A. erkannt und entsprechend behandelt wurde (S. 30 des Gutachtens, GA I 173 Rückseite, und S. 2 der Sitzungsniederschrift vom 20.09.2017, GA II 230). Zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen bestand jedoch eine derartige depressive Symptomatik nicht mehr.

Gegen das Vorliegen einer depressiven Episode spricht dabei – so der Sachverständige – insbesondere auch die von ihm zu beobachtende Aggravation. So gab die Klägerin etwa bei Prüfung der Zahlenspanne zahlreiche „fast richtige“ Antworten, indem sie hier einzelne Zahlen in ihrer Position vertauschte. Ferner kontrastierte der klinische Befund, der eben keine weitergehenden Störungen von Konzentration und Aufmerksamkeit enthielt, mit den Ergebnissen der neuropsychologischen Testung, die schwere, wenn nicht schwerste Defizite suggerierten. Insoweit verwies der Sachverständige ergänzend darauf, dass derartige Einschränkungen in einem einfachen Test wie der Zahlenspanne oder des Arbeitsgedächtnisses nur bei schon wenigstens mittelgradig ausgeprägten demenziellen Leiden klinisch zur Beobachtung kommen (S. 30 des Gutachtens, GA I 173 Rückseite, sowie S. 4 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020).

Das vorliegend zu beobachtende Ausmaß der Aggravation lässt auf ein so geplantes und intendiertes Verhalten schließen, wie es Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen in der Regel nicht mehr möglich ist (S. 5 der Stellungnahme vom 16.05.2018, GA III 375). Darüber hinaus korrespondiert dieses Verhalten nicht mit einer schweren depressiven Episode, die eine Berufsunfähigkeit zu begründen vermag, weil bei einer depressiven Episode – so der Sachverständige – der Patient vielmehr die Schuld bei sich sucht (S. 5 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020).

(2) Hinweise auf andere differenzialdiagnostisch zu erwägende psychiatrische Erkrankungen bestanden dem Sachverständigen zufolge nicht.

Ein hirnorganisches Geschehen schied bereits klinisch weitgehend aus (S. 30/31 des Gutachtens, GA I 173 Rückseite/174). Weiter war eine psychotische Symptomatik, insbesondere im Sinne einer schizophrenen Psychose, nicht eruierbar. Ebenso wenig waren Hinweise auf eine durchgemachte maniforme Phase zu sichern (S. 31 des Gutachtens, GA I 174).

Soweit die Klägerin ergänzend darauf hinwies, dass sie ein ausgeprägtes soziales Rückzugsverhalten zeige, führte der Sachverständige hierzu ergänzend aus, dass bei der Klägerin keine schwere psychiatrische Symptomatik vorliegt, in deren Rahmen ein derartiges ausgeprägtes Rückzugverhalten erklärt werden könnte (S. 3 der Stellungnahme vom 29.04.2017, GA II 218, sowie S. 5 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020).

(3)

Die Differenzialdiagnose einer postpartalen Depression vermochte der Sachverständige anhand der Aktenlage und der eigenen Untersuchungsergebnisse letztlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu stellen.

Zwar hatte Herr A. am 23.05.2012 und 06.07.2012 die Diagnose einer postpartalen Depression bei familiärer Belastung gestellt. Allerdings enthalten beide Berichte dem Sachverständigen zufolge kaum detaillierte Angaben, insbesondere psychopathologische Befunde, zumal die Klägerin ihren eigenen Angaben zufolge bis zum 07.05.2012 arbeitstätig blieb. Hiervon ausgehend, verstrich mithin zwischen der Entbindung und dem Einsetzen depressiver Symptome offenbar ein längeres Zeitintervall, das bis in den Mai, wenn nicht in den Juni 2012, reichte. Mit der Länge dieses Intervalls wird jedoch ein Zusammenhang zwischen Geburt und depressiver Erkrankung, wie im Begriff der postpartalen Depression – oder noch eindrücklicher dem der Wochenbettdepression – vorgenommen, unwahrscheinlich. Unter Ansatz der im ICD-10 vorgeschlagenen Sechs-Wochen-Frist nach der Geburt ist demnach ein Zusammenhang auszuschließen (S. 31/32 des Gutachtens, GA I 174/174 Rückseite).

Dieser Auffassung schließt sich der Sachverständige Prof. Dr. H. M. in seinem Gutachten an (dort Seite 25, GA III 481). Seinen Ausführungen zufolge stellt die postpartale Depression eine seelische Reaktion auf eine abrupte und massive hormonelle Umstellung („Hormonsturz“) bei der Geburt dar. Sie setzt wenige Tage, maximal einige Wochen, nach der Entbindung ein, nicht – wie vorliegend behauptet – drei oder gar erst sechs Monate später.

cc) Darüber hinaus hat der Senat das von Prof. Dr. J. S. für erforderlich gehaltene neurologische Zusatzgutachten eingeholt:

Der hiermit vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. H. M. hat die Klägerin zwar nicht selbst untersucht, weil die Klägerin zwar zunächst erklärt hatte, den anberaumten Untersuchungstermin wahrnehmen zu wollen, diesen jedoch dann kurzfristig mit Schreiben vom 28.10.2019 unter Beifügung eines Attestes abgesagt hat. Gleichzeitig hat sie sich in dem bezeichneten Schreiben jedoch damit einverstanden erklärt und darum gebeten, die Begutachtung ohne Untersuchung fortzusetzen.

(1) Herr Prof. Dr. H. M. gelangt in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten zum Ergebnis, dass zum streitgegenständlichen Zeitpunkt Anfang Mai 2012 der dokumentierte Ausprägungsgrad der neurologischen Symptome allenfalls eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, aber keine Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen rechtfertigte (Seite 38 des Gutachtens, GA III 494). Auch die dem Sachverständigen vorgelegten Dokumente rechtfertigen seiner Auffassung nach allenfalls gelegentliche kurzfristige Krankschreibungen, aber zu keinem Zeitpunkt die Annahme einer anhaltenden Arbeits- oder Berufsunfähigkeit. Dabei geht der Sachverständige von einer Arbeitsunfähigkeit von maximal drei Monaten aus und damit nicht über einen Zeitraum hinweg, der vorliegend die Annahme einer sog. fingierten Berufsunfähigkeit begründen könnte (S. 4 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020).

Vielmehr liegt es dem Sachverständigen zufolge nahe, in dem „Krankheitsmodell“ die behaupteten, von der Lendenwirbelsäule ausgehenden und in das Bein hinabziehenden Schmerzen und ein Bandscheibenleiden (Diagnose 2012) als Anknüpfungspunkte für die weitere intentionale Symptomverstärkung und -ausgestaltung aufzufassen. Dabei zeigt seiner Auffassung nach der vorliegende Fall, wie intentionales Verhalten einer Patientin (der Klägerin) durch Interaktion mit unsicher oder sogar affirmativ agierenden Ärzten verstärkt wird, so dass schlussendlich ein krankheitsähnlicher Zustand resultiert, der sich gegebenenfalls soweit verfestigen kann, dass der oder die Betroffene der festen Überzeugung ist, tatsächlich krank zu sein (Seite 37 des Gutachtens, GA III 493). Das Verhalten und Vorgehen der Klägerin zeigt – so der Sachverständige weiter – gewisse Überlappungen mit dem so genannten Münchhausen-Syndrom und damit einer Störung, die in aller Regel in der Neurologie diagnostiziert und mit der ein normabweichendes Verhalten bezeichnet wird, welches gekennzeichnet ist durch die Behauptung wechselnder und/oder inkurabler Symptome oder Krankheiten, die aber realiter nicht existieren, um einen ideellen oder materiellen Vorteil zu erhalten. Unter der ICD-Nr. F 68.1 wird dieses Verhalten als so genannte Artifizielle Störung definiert (Seite 29 ff. des Gutachtens, GA III 485 ff.).

Diese Ausführungen des Sachverständigen stehen entgegen der Auffassung der Klägerin im Schriftsatz vom 25.08.2020 (dort S. 4/5) nicht in Widerspruch zu denjenigen auf Seite 16 des Gutachtens (GA III 472), wonach der geschilderte Zustand der Klägerin unstreitig die Krankheitsdefinition der WHO erfülle, weil der Sachverständige dort ersichtlich lediglich eine Beurteilung auf der Grundlage der Sichtweise der Klägerin und deren Schilderungen vorgenommen hat.

(2) Der Sachverständige Prof. Dr. H. M. gelangt zu dieser Beurteilung aufgrund eingehender Auswertung der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen, insbesondere auch des ihm von der Klägerin zur Verfügung gestellten bildgebenden Materials, welches der Sachverständige ebenfalls eingesehen hat und aus dem sich für ihn keine weitergehenden Erkenntnisse oder Aufschlüsse ergaben (S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020). Der diesbezügliche Einwand mangelnder Sorgfalt des Sachverständigen im Schriftsatz der Klägerin vom 25.08.2020 (dort Seite 6/7) geht deshalb fehl.

(a) Der Gynäkologe T. K. berichtet am 04.03.2012 über eine Untersuchung der Klägerin vom 01.03.2012 und hält fest, dass zusammenfassend kein Befund vorliegt, der eine spezielle Therapie erforderlich mache. Nach einem weiteren Bericht vom 10.03.2015 war die Klägerin am 01.03.2012 beschwerdefrei zu einer Routinekontrolle nach Entbindung erschienen. Am 20.04.2012 habe sie über Rückenschmerzen geklagt, die in den Unterbauch ausgestrahlt hätten. Der Frauenarzt fand jedoch keine Hinweise auf eine krankheitsbedingte Einschränkung und auch nicht auf eine psychische Erkrankung (Seite 4 des Gutachtens, GA III 460).

Auch der (damalige) Hausarzt der Klägerin, Dr. W., nennt als gesicherte Diagnose eine BWS-Blockierung sowie den Verdacht auf eine Kiefergelenksluxation links. Einer Liquidation von Dr. H., Arzt für Chirurgie, vom 03.07.2012 sind die Diagnosen „Melanocyten Naevus Gesicht linker Fuß, BWS-Syndrom“ zu entnehmen. Aus dem Bericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis Prof. K. R. über kernspintomographische Untersuchungen der HWS, BWS und LWS vom 09./10.05.2012 ergeben sich ein kleiner links mediolateraler und bis nach links infraforaminal reichender Bandscheibenvorfall C5/6 sowie ein kleiner dorsomedian rechts betonter Bandscheibenvorfall Th 6/7. Im Übrigen werden Bandscheibenprotrusionen und beginnende degenerative Diskopathien beschrieben (Seite 6 des Gutachtens, GA III 462). Bei Herrn A., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, klagte die Klägerin anlässlich einer Untersuchung am 22.05.2012 anamnestisch über starke Schmerzen in der gesamten Wirbelsäule. Herr A. vermutete, dass die von der Klägerin geklagten Schmerzen Ausdruck einer beginnenden depressiven Episode mit ausgesprochener Somatisierung sein könnten (Seite 8 des Gutachtens, GA III 464). Nach einer weiteren ambulanten Vorstellung der Klägerin am 10.09.2012 berichtet Herr A. sodann von erheblichen Rückenschmerzen und einer erheblichen depressiven Verstimmung der Klägerin (Seite 9 des Gutachtens, GA III 465). In einer weiteren Stellungnahme vom 23.01.2013 hat er schließlich festgehalten, die Klägerin gehe nicht mehr aus dem Haus, der Ehemann versorge den Haushalt, kümmere sich um das Kind, habe seine Arbeit eingestellt, da die Frau zu Hause sonst nicht zurechtkomme. Die Klägerin liege im Bett, sie sei nicht dazu zu bewegen, aufzustehen, auch der Toilettengang finde im Bett auf der Bettschlüssel statt, sie komme nicht heraus. Nach seiner Einschätzung handelt es sich um eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, es werde von Halluzinationen berichtet, „die Arme kämen aus der Wand und Ähnliches“ (Seite 10 des Gutachtens, GA III 466).

(b) Beim Abgleich des von der Klägerin behaupteten und geschilderten Erkrankungsverlaufs mit den aktenkundigen Befunden zeigen sich verschiedene Diskrepanzen, die – so der Sachverständige – die klägerische Version der individuellen Krankheitsentwicklung infrage stellen.

(aa) Kurz vor der Erhöhung des Berufsunfähigkeitsschutzes (09.05.2012), nämlich am 20.04.2012, sind anlässlich einer routinemäßigen gynäkologischen Kontrolluntersuchung und einer am selben Tag erfolgten hausärztlichen Konsultation überhaupt erstmals Rückenschmerzen dokumentiert, die aber von den jeweiligen Ärzten nicht als einschränkend beurteilt wurden. Dessen ungeachtet schritten die Schmerzen wenig später rasch fort und es entwickeln sich den Berichten zufolge allgemeine Schwäche, Inkontinenz sowie affektive und kognitive Störungen, die die Klägerin letztendlich ans Bett fesselten. Diesen Zustand führten die Klägerin sowie die behandelnden Ärzte letztlich auf ihre „problematische“ Entbindung zurück; diskutiert wurden eine postpartale Depression und Spätwirkungen einer Periduralanästhesie.

Aus den vorgelegten Dokumenten und medizinischen Untersuchungsbefunden wird jedoch deutlich, dass sich die Klägerin von der Entbindung im Januar 2012 anscheinend zunächst gut erholt. Hinweise auf eine depressive Erkrankung der Klägerin wurden damals nicht wahrgenommen (Seite 17 des Gutachtens, GA III 473). Die Kernspintomographie der Wirbelsäule am 09./10.05.2012 erbrachte als Hauptbefund zwei kleine Bandscheibenvorfälle C5/6 links und Th 6/7 rechts betont. Daneben bestanden auf mehreren Segmenthöhen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, vor allem Diskopathien und Bandscheibenvorwölbungen. Es finden mithin dem Sachverständigen zufolge die geklagten Rücken- (vor allem BWS-)Beschwerden eine plausible Erklärung in dem Kernspintomographiebefund. Nach dem schriftlichen Befund scheint es sich dabei eher um wenig dramatische Veränderungen zu handeln. Erfahrungsgemäß bilden sich selbst große Bandscheibenvorfälle spontan innerhalb von mehreren Wochen bis einigen Monaten wieder zurück, und mit dieser Rückbildung verschwindet in der Regel auch der Schmerz. Der Sachverständige vermochte deshalb in den beschriebenen bildmorphologischen Veränderungen zwar eine hinreichende Erklärung für die diagnostizierten Wirbelsäulenbeschwerden zu sehen, die auch eine vorübergehende Krankschreibung rechtfertigen mögen, jedoch vorliegend keine hinreichende Begründung für eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liefern. Ein Zusammenhang mit der als Ursache der geklagten Beschwerden angenommenen Periduralanästhesie besteht insoweit nicht (Seite 17 ff. des Gutachtens, GA III 473 ff.).

(bb) Obwohl mithin dem Sachverständigen zufolge die Kernspintomographieuntersuchung der Klägerin eine plausible Erklärung für die Rückenbeschwerden geliefert hatte, berichtete sie sowohl dem von ihr konsultierten Nervenarzt, Herrn A., wie auch ihrem Hausarzt, Herrn Dr. W., davon, dass sie nach der Entbindung unter der Periduralanästhesie massive Rückenbeschwerden entwickelt habe. Gleiches erklärte sie gegenüber ihrer (späteren) Hausärztin Dr. P..

Diese diagnostizierte sodann am 13.08.2012 als neue Symptome Harn- und Stuhlinkontinenz, Depression, Angstzustände sowie Lebensangst (Seite 25 des Gutachtens, GA III 481). Jedoch fügen sich dem Sachverständigen zufolge die Symptome Harn- und Stuhlinkontinenz nicht in die bis dahin geklagten Beschwerden und dokumentierten Befunde ein: Sie bilden nicht mit den bis dato geklagten Beschwerden einen topographisch-anatomisch oder funktionell kohärenten Symptomenkomplex. Darüber hinaus werden neue Diagnosen oder Untersuchungsbefunde, welche eine diagnostische Einengung ermöglichen würden, nirgends erwähnt. Nicht zuletzt ist eine akut oder subakut auftretende Harn- und Stuhlinkontinenz wegen der gravierenden medizinischen und sozialen Implikationen als urologischer und neurologischer Notfall zu betrachten mit entsprechenden Handlungskonsequenzen (Seite 25 ff. des Gutachtens, GA III 481 ff.).

Dies führt nach den Ausführungen des Sachverständigen dazu, dass befremdliche Unstimmigkeiten zwischen vorgebrachten bzw. notierten Beschwerden und den daraus abgeleiteten Handlungskonsequenzen festzustellen sind. Deshalb erachtet der Sachverständige die Behauptung einer Inkontinenz für fragwürdig, solange nicht eine Substantiierung und Abklärung erfolgt ist (Seite 27 des Gutachtens, GA III 483). Einer solchen Abklärung durch eine apparative Untersuchung steht indes – was auch der Sachverständige so sieht (Seite 38 des Gutachtens, GA III 494) – die Verweigerungshaltung der Klägerin entgegen. Dem ihrem Schreiben vom 28.10.2019 beigefügten Attest von Herrn A. ist zu entnehmen, dass die Klägerin nach seiner Einschätzung lediglich „unter Anwendung von Gewalt“ das Haus verlassen werde.

(cc) Weiter ist nach den Ausführungen des Sachverständigen der Gedanke keineswegs fernliegend, dass bei der Konsultation von Herrn A. bereits die intentionale Symptomverstärkung und -produktion eine wesentliche Rolle gespielt hat, nachdem dem Allgemeinarzt Dr. W. kurz zuvor am 08.05.2012 aufgefallen war: „… ganze Symptomatik stimmt nicht. …“ (Seite 36 des Gutachtens, GA III 492).

(c) Dies alles zusammengenommen, erscheinen deshalb nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen geradezu zwangsläufig die initialen, im streitgegenständlichen Zeitraum gering bis allenfalls moderat ausgeprägten Symptome (Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Leiste und ins Bein) in einem neuen Licht, nämlich als „Anknüpfungspunkte“ einer intentionalen Symptomverstärkung. Gleiches gilt für die neu hinzugetretenen Symptome, die als Ausdruck einer intentionalen Symptomproduktion aufgefasst werden können. Der Effekt der Symptom-Eskalation wird verstärkt durch irreführende anamnestische Angaben (Seite 29 des Gutachtens, GA III 485).

Weiter erscheint die Verweigerung jedweder Diagnostik und Therapie als plausible Strategie zur Aufrechterhaltung des status quo (Seite 29 des Gutachtens, GA III 485).

Die Klägerin hat sich im vorliegenden Rechtsstreit jeweils einer Untersuchung durch die beauftragten Sachverständigen entzogen. Dem Sachverständigen Prof. Dr. med. J. S. war eine Untersuchung in der Klinik nicht möglich. Nachdem die Klägerin zunächst um die Beauftragung eines Sachverständigen in H. gebeten hatte, um den Untersuchungstermin wahrnehmen zu können, hatte sie sodann mitteilen lassen, es sei ihr nicht möglich, zur Untersuchung zu erscheinen. Dem Sachverständigen Prof. Dr. med. J. S. hat deshalb die Untersuchung im Rahmen dreier Hausbesuche durchgeführt.

Bereits anlässlich der Erstattung des Gutachtens in erster Instanz hatte der Sachverständige Prof. Dr. med. J. S. die Hinzuziehung eines Neurologen für erforderlich erachtet, woraufhin Prof. Dr. med. H. M. mit der ergänzenden Begutachtung beauftragt wurde. Auch hier sah sich die Klägerin außerstande, einen Untersuchungstermin in der Klinik wahrzunehmen, sofern nicht ein Liegendtransport organisiert werde, was in der Folge auch geschah. Gleichwohl hat die Klägerin sodann den Untersuchungstermin kurzfristig abgesagt. Deshalb wurde – mit Einverständnis des Klägervertreters – das Gutachten ohne neurologisches Zusatzgutachten erstattet. Ein ähnliches Verhalten zeigte die Klägerin sodann – wie oben bereits ausgeführt – im Rahmen der vom Senat in Auftrag gegebenen neurologischen Zusatzbegutachtung.

Dies, obwohl dem Sachverständigen Prof. Dr. H. M. zufolge zu keinem Zeitpunkt – weder 2012 noch jetzt – neurologische Ausfälle festgestellt worden wären, die eine gutachterliche Untersuchung der Klägerin ernsthaft beeinträchtigen könnten. Auch zeigen die dem Sachverständigen vorgelegten Unterlagen, dass die Klägerin offensichtlich in der Vergangenheit gleichwohl in der Lage war, Untersuchungstermine wahrzunehmen. In den von der Klägerin dem Sachverständigen überlassenen Unterlagen findet sich ein Entlassungsbrief der Universitäts-Frauenklinik H. vom 01.04.2014 über eine stationäre Behandlung der Klägerin vom 26./27.03.2014. Dem damals dort durchgeführten Eingriff gehen, so der Sachverständige, in aller Regel mehrere ambulante ärztliche und andere Konsultationen voraus, die üblicherweise ebenfalls nicht in der privaten Häuslichkeit absolviert werden. Hinweise auf derartige Untersuchungen sind in der vorliegenden Dokumentation jedoch nicht enthalten. Gleichwohl wertet der Sachverständige diesen Bericht als deutlichen Hinweis darauf, dass der unmittelbar zuvor abgeheftete Bericht von Herrn A. vom 10.07.2014 auf unrichtigen anamnestischen Angaben basiert. Es entsteht mithin der Eindruck, dass die behauptete Unfähigkeit zu externen ambulanten Untersuchungen keineswegs grundsätzlich gilt, sondern sich – möglicherweise – spezifisch auf die der Beklagten gegenüber behaupteten Erkrankungen bezieht, mithin, dass der Ablehnung externer Untersuchungen ein methodisch stringentes Procedere zu Grunde liegt, welches darauf abzielt, bewusst eine entsprechende Klärung zu verhindern (Seite 33/34 des Gutachtens, GA III 489/490, sowie S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020).

Dabei handelt es sich dem Sachverständigen zufolge zwar um ein erhebliches normabweichendes Verhalten der Klägerin. Irritierend ist nicht nur die jahrelange Regression und Selbstisolation der Klägerin an sich, sondern auch die methodisch anmutende Konsequenz, mit der ärztliche Klärung- und Hilfsangebote immer wieder zurückgewiesen werden. Dies ist – selbst wenn man dieses Verhalten bzw. diese Störung als Erkrankung begreifen wollte – nicht nachvollziehbar, weil es letztlich an einem für eine Erkrankung typischen Leiden an der Störung, welches den Kranken zur Therapie bringt, fehlt (Seite 33 des Gutachtens, GA III 489).

(3) Das Vorliegen einer somatoformen Störung – die Herr A. mehrfach diskutiert hatte, nachdem die Klägerin selbst eine Vielzahl körperlicher Symptome schilderte – konnte nicht festgestellt werden. Der Sachverständige Prof. Dr. J. S. vermochte diese Diagnose anhand der Aktenlage und der eigenen, im Rahmen dreier Hausbesuche gewonnener Untersuchungsergebnisse nicht mit ausreichender Sicherheit zu stellen bzw. zu bestätigen, nachdem die Klägerin sich geweigert hatte, einen Untersuchungstermin in der Klinik wahrzunehmen (Seite 31 und 33 des Gutachtens, GA I 174 und 175).

Das aus seiner Sicht erforderlich neurologische Zusatzgutachten (Seite 5/6 der ergänzenden Stellungnahme vom 16.05.2018, GA III 375/376) hat der Senat eingeholt. Der Sachverständige Prof. Dr. H. M. konnte jedoch eine entsprechende Untersuchung der Klägerin ebenfalls nicht durchführen, weil diese – wie bereits ausgeführt – einen Untersuchungstermin in der Klinik kurzfristig abgesagt hatte. Weiter hatte sie ausdrücklich darum gebeten, das Gutachten ohne Untersuchung zu erstatten.

Der Sachverständige Prof. Dr. H. M. hat aus seiner Sicht zum Vorliegen einer somatoformen Störung jedoch auf folgende Gesichtspunkte hingewiesen:

Als somatoforme Störung wird ein Beschwerdesyndrom bezeichnet, welches prima facie körperlich begründet (somatisch) erscheint, bei genauerer Analyse aber im Wesentlichen seelische Ursachen hat. Diese Diagnose wird im Allgemeinen nur dann gestellt, wenn bei der körperlichen Untersuchung keine Normabweichungen festgestellt wurden (Seite 24 des Gutachtens, GA III 480). Ein wesentliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen somatoformer Störung und Simulation ist, dass bei der somatoformen Störungen äußere Anreize nicht erkennbar sind, welche das gezeigte abnorme Verhalten und damit die Übernahme der Krankenrolle motivisch erklären könnten. Im streitgegenständlichen Fall bildet jedoch nach Auffassung des Sachverständigen – dem die Lebensstellung der Klägerin, soweit diese aus der ihm im Rahmen der Erstattung des Gutachtens überlassenen Verfahrensakte ersichtlich ist, bekannt war – der Abschluss der in Rede stehenden Berufsunfähigkeitsversicherung als Ausgangspunkt der gesamten Entwicklung einen hinreichend attraktiven äußeren Anreiz, wobei der zeitliche Zusammenhang frappierend ist (Seite 32 f. des Gutachtens, GA III 488 f., sowie S. 4 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020). Darüber hinaus belegt das Ergebnis der neuropsychologischen Leistungsdiagnostik im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung hinreichend eindeutig die intentionale Minderleistung (Seite 37 des Gutachtens, GA III 493).

Weiter wird eine somatoforme Störung – so der Sachverständige – gekennzeichnet durch einen Leidensdruck, aber auch durch den Druck, dass effektiv diagnostiziert wird. Das bedeutet, dass diese Patienten praktisch von Arzt zu Arzt gehen und sich diversen Untersuchungen unterziehen. Hier ist jedoch gerade das Gegenteil der Fall. Entsprechende Untersuchungen und Abklärungen werden von der Klägerin verhindert. Es soll mithin gerade die Ursache der Beschwerden nicht geklärt werden, wobei auch in den Blick zu nehmen ist, dass die Klägerin aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit auch weiß, wie eine Begutachtung in der Regel abläuft (S. 3/4 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020).

cc) In der Zusammenschau ergeben sich deshalb auf neurologischem Fachgebiet aus den dem Sachverständigen Prof. Dr. H. M. weder für das Jahr 2012 noch für einen danach liegenden Zeitraum neurologische Befunde, die zu einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit der Klägerin hätten führen können (S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020).

Darüber hinaus ergab sich auch zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen Prof. Dr. J. S. im Oktober 2015 keine psychopathologische Symptomatik. Für den davor liegenden Zeitraum vermochte der Sachverständige dies zwar nicht mit letzter Sicherheit zu beurteilen, die Gesamtumstände wie auch das Gesamtbild, das er von der Klägerin gewonnen hat, sprechen jedoch – so der Sachverständige weiter – dagegen (S. 5 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020).

Dies alles führt dazu, dass die insoweit beweisbelastete Klägerin eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht nachgewiesen hat, weshalb ihr auch Leistungen aus der in Rede stehenden Berufsunfähigkeitsversicherung nicht zustehen.

dd) Der Senat folgt den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. J. S. und Prof. Dr. H. M., die entgegen der Auffassung der Klägerin im Schriftsatz vom 25.08.2020 als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. als Facharzt für Neurologie über die erforderliche fachliche Qualifikation verfügen und an deren Sachkunde keine begründeten Zweifel bestehen.

Soweit das Vorliegen einer somatoformen Störung diskutiert wurde, hat der Sachverständige Prof. Dr. J. S. die Einholung eines neurologischen Zusatzgutachtens für erforderlich erachtet. Soweit Symptome in Rede stehen, die sich mit solchen des so genannten Münchhausen-Syndroms überlappen, erfolgt eine Diagnostik den Sachverständigen zufolge in der Neurologie. Abgesehen davon hat der Sachverständige Prof. Dr. J. S. insoweit die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. M. bestätigt (Seite 5 der Sitzungsniederschrift vom 20.07.2020). Darüber hinaus räumt die Klägerin selbst ein, dass sich der Sachverständige Prof. Dr. J. S. im Rahmen der Anhörung auch zu den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. M. geäußert hat (Seite 3 des Schriftsatzes vom 25.08.2020), was mit Blick darauf, dass dem Sachverständigen Prof. Dr. J. S. die Verfahrensakten einschließlich des neurologischen Zusatzgutachtens zur Vorbereitung des Termins vom 20.07.2020 überlassen worden waren, nicht zu beanstanden ist.

Die jeweiligen Ausführungen der Sachverständigen erscheinen dem Senat insgesamt nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Die von den Sachverständigen erstatteten Gutachten sind – insbesondere nach deren mündlicher Erläuterung vor dem Senat – für die Überzeugungsbildung des Senats in jeder Hinsicht ausreichend und leiden an keinerlei Mangel.

Die Sachverständigen haben sich insbesondere mit den Einwendungen der Klägerin nachvollziehbar und überzeugend auseinandergesetzt. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Sachverständigen relevante Unterlagen nicht beachtet oder nicht hinreichend gewürdigt hätten.

Die Einholung eines neuen bzw. weiteren Gutachtens gemäß § 412 ZPO ist auch unter Berücksichtigung der Einwendungen der Klägerin im Schriftsatz vom 25.08.2020 – auch soweit sie keine ausdrückliche Erwähnung gefunden haben – nicht veranlasst.

Die Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen zu der Behauptung der Klägerin, die jeweils gestellten Diagnosen hätten tatsächlich vorgelegen, ist ebenfalls nicht geboten. Die Frage, ob und inwieweit erhobene Befunde und gestellte Diagnosen tatsächlich vorliegen, ist – auch unter Berücksichtigung des Eindrucks, den die Klägerin vermittelt – durch einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen zu klären.

4. Weiter steht der Klägerin der ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz nicht zu.

a) Soweit die Klägerin erstinstanzlich auf einen Anspruch gemäß der sog. gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung abgehoben hat, besteht ein solcher Anspruch bereits deshalb nicht, weil das Institut der sog. gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung mit Einführung des VVG n.F. zum 01.01.2008 nach herrschender Meinung, der der Senat folgt, obsolet geworden ist, nachdem der Gesetzgeber in den §§ 6, 61 VVG umfassende Beratungs- und Hinweispflichten des Versicherers und Versicherungsvertreters normiert hat (vgl. Rudy in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, Rn. 78 zu § 6 VVG).

b) Ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gemäß den §§ 6, 61 VVG steht der Klägerin nicht zu.

aa) Mit Schriftsatz vom 30.10.2017 (GA II 234 bis 240) hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, entsprechend ihres Erhöhungsverlangens die Berufsunfähigkeitsrenten aus den vorbestehenden Versicherungsverträgen zu erhöhen und habe stattdessen einen neuen Versicherungsvertrag abgeschlossen.

Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin von einer entsprechenden Pflichtverletzung der Beklagten ausgehen wollte, wäre die Klägerin im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, wie sie bei einer entsprechend vorgenommenen Erhöhung der Berufsunfähigkeitsrenten stehen würde. Dies führt jedoch – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht dazu, dass sie Leistungen aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag beanspruchen könnte, sondern allenfalls dazu, dass ihr – bei Vorliegen der Voraussetzungen – ein Anspruch auf (erhöhte) Berufsunfähigkeitsrenten aus den nicht streitgegenständlichen Versicherungsverträgen zustünde. Einen solchen Anspruch macht die Klägerin nach ihrem Vortrag nicht geltend.

bb) Im Ergebnis nichts anderes gilt hinsichtlich der weiteren, von der Klägerin behaupteten und von der Beklagten bestrittenen Verletzungen der Hinweispflicht in Bezug auf die bei den beiden – nicht streitgegenständlichen – Verträgen bestehende Erhöhungsoption. Auch insoweit wäre ein Schadensersatzanspruch auf den Ersatz des sog. negativen Interesses gerichtet, die Klägerin mithin so zu stellen, wie sie stünde, wäre die Beratungs- oder Hinweispflicht nicht verletzt worden, der Klägerin mithin ein entsprechender Hinweis ordnungsgemäß erteilt worden. Dies führt aber ebenfalls nicht dazu, dass die Klägerin – wie sie geltend macht – Leistungen aus dem streitgegenständlichen Vertrag beanspruchen könnte.

5. Zu dem weiter erhobenen Anspruch auf Rückzahlung geleisteter Prämien unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) – den die Klägerin in der Berufung auch nicht mehr vertieft – sind weitergehende Ausführungen nicht veranlasst, weil die Klägerin diesen Anspruch hilfsweise lediglich für den Fall geltend macht, dass – wie nicht – von einer sog. mitgebrachten Berufsunfähigkeit auszugehen ist.

6. Nicht zuletzt ist auch der in der Berufung enthaltene Hinweis der Klägerin auf § 5 Abs. 3 VVG nicht zielführend.

Eine Abweichung des Versicherungsscheins vom Versicherungsantrag im Sinne des § 5 Abs. 1 VVG liegt – soweit für die zu treffende Entscheidung von Relevanz – nicht vor. Denn die Klägerin hat mit Datum vom 09.05.2012 nicht nur die Erhöhung der Berufsunfähigkeitsrenten aus den beiden nicht streitgegenständlichen Versicherungsverträgen beantragt (Anl. K 34, GA II 279/280), sondern darüber hinaus auch ausdrücklich einen Antrag auf Abschluss der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherung gestellt (Anl. K 35, GA II 281 bis 292).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit – auch bezüglich des angefochtenen Urteils – auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), liegt nicht vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat vielmehr eine an den Grundsätzen der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung sowie den Umständen des Falles ausgerichtete Einzelfallentscheidung getroffen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß den §§ 47, 48 GKG festgesetzt.

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