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Berufsunfähigkeitsversicherung – Berufsunfähigkeit eines Auszubildenden

OLG Hamm – Az.: I-20 U 33/17 – Urteil vom 31.01.2018

Auf die Berufung des Klägers wird das am 30.01.2017 verkündete Urteil der 115. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.402,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 23.07.2017 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte an den Kläger ab dem 01.07.2016 bis längstens zum Ablauf der Versicherung zur Vertragsnummer … am 01.08.2042 bedingungsgemäß die monatliche Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen hat, zahlbar zum 1. eines jeden Monats, und dem Kläger von diesem Zeitpunkt an Beitragsbefreiung in Höhe der monatlichen Versicherungsbeiträge zu gewähren ist.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.

Die Parteien schlossen mit Versicherungsschein vom 02.07.2004 (Anl. K1, GA 19-25) eine Berufsunfähigkeitsversicherung auf Grundlage entsprechender AVB (Anl. K1, GA 26-32).

Dort heißt es in § 2:

„(1) Berufsunfähigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande ist, seiner vor Eintritt des Versicherungsfalles zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit nachzugehen, wie der Versicherte sie ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeübt hat.

Auf eine abstrakte Verweisung verzichten wir.

(2) Übt der Versicherte jedoch eine andere, seiner Ausbildung oder Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entsprechende berufliche Tätigkeit konkret aus, liegt keine Berufsunfähigkeit vor. Als entsprechend wird dabei nur eine solche Tätigkeit angesehen, die keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch in ihrer Vergütung und Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau der bislang ausgeübten beruflichen Tätigkeit absinkt.

[ … ]

(3) [ … ].“

Weiter heißt es in § 14:

„(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wird berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad [ … ] nachzuprüfen. Dabei können wir erneut prüfen, ob der Versicherte eine andere berufliche Tätigkeit im Sinne von § 2 konkret ausübt, wobei neu erworbene berufliche Fähigkeiten (z.B. durch Umschulung) zu berücksichtigen sind.

(2) [ … ].“

Der am 18.08.1982 geborenen Kläger befand sich bei Vertragsschluss laut Versicherungsantrag in der Ausbildung, nämlich als Student des Wirtschaftsingenieurwesens an der „Uni Q“. Er brach das 2003 begonnene Studium Mitte 2006 ab.

Sodann begann er ein Rechtspflegerstudium /-ausbildung. Zum 05.07.2006 ernannte der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm den Kläger zum Rechtspflegeranwärter (Anl. K3, GA 34) bei einem monatlichen Einkommen von bis zu knapp 900,00 EUR. Im ersten Zwischenzeugnis vom 16.07.2007 nach Abschluss des fachwissenschaftliches Studiums Teil 1 beurteilte der Direktor der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen den Kläger mit „ausreichend“ (5,56 Punkte) und wies darauf hin, dass das rechnerisch ermittelte Gesamtergebnis nicht darüber hinwegzutäuschen vermöge, dass das schriftlich Leistungsbild bedenklich sei (Anl. …5, GA 80 f.). Der Kläger setzte die Ausbildung mit der fachpraktischen Ausbildung Teil 1 fort. Seine Fähigkeiten in den diese Ausbildung begleitenden Lehrveranstaltungen unter Berücksichtigung der schriftlichen und mündlichen Leistungen wurden mit „vollbefriedigend“ (9,55 Punkte) bewertet (Anl. K8, GA 86).

Seit dem 31.03.2008 war der Kläger wegen einer Psychose arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte erkannte auf entsprechenden Antrag vom 18.10.2008 (Anl. … 3, GA 66-72) unter dem 20.05.2009 (Anl. K2, GA 33) rückwirkend zum 01.04.2008 die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente von zu diesem Zeitpunkt 876,12 EUR sowie die Beitragsfreistellung an. Der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm entließ den Kläger auf eigenen Antrag vom 17.08.2009 mit Bescheid vom 31.08.2009 mit Wirkung ab Zustellung als Rechtspflegeranwärter (Anl. K4, GA 35).

Im September 2011 begann der Kläger eine Ausbildung als technischer Zeichner, konkret technischer Produktdesigner, die er im Januar 2015 abschloss (GA 131). Zum 23.01.2015 begann der Kläger bei seinem Ausbildungsunternehmen auf befristeter Stelle eine Tätigkeit als technischer Produktdesigner für ein monatliches Gehalt von 2.801,00 EUR brutto = 1.777,87 EUR netto (Anl. …6, GA 82 f.). Konkret fertigte der Kläger Zeichnungen anhand konstruktiver Vorgaben, stimmte diese mit den zuständigen Stellen ab und nahm Detailänderungen vor. Er erstellte (Stück-)Listen und bearbeitete die notwendigen technischen Daten anhand von Vorlagen. Er kümmerte sich um Teileverwendung, Lagerbestände und Planzahlen. Wegen der Einzelheiten wird auf Seite 13 der Klageschrift (GA 13) verwiesen.

Dies teilte der Kläger der Beklagten mit, die ein Nachprüfungsverfahren einleitete und unter dem 11.03.2015 wegen konkreter Verweisung auf eine Tätigkeit als „Netztechniker“ die Leistungseinstellung zum 01.07.2015 erklärte (Anl. K5, GA 36). In der Vergleichsbetrachtung zuvor stellte die Beklagte auch auf die angezeigte Tätigkeit als technischer Zeichner ab.

Zuletzt zahlte die Beklagte eine Rente von 912,23 EUR.

Zwischenzeitlich wechselte der Kläger seinen Arbeitgeber und verdiente dort 3.000,00 EUR brutto = 1.879,49 EUR netto (GA 94-96).

Die Beklagte meint, der Kläger müsse sich auf den besseren Verdienst und die jedenfalls gleichwertige soziale Stellung eines technischen Zeichners gegenüber einem Rechtspflegeranwärter, hilfsweise einem Rechtspfleger, konkret verweisen lassen. Die Behauptung des Klägers, er hätte das Rechtspflegerstudium erfolgreich abgeschlossen, sei zu bestreiten.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger Zahlung rückständiger Renten (12 x 912,23 EUR) und überzahlter Beiträge (12 x 38,00 EUR) von Juli 2015 bis Juni 2016 sowie Feststellung der zukünftigen Leistungs- und Beitragsfreistellungspflicht.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger von der Tätigkeit des Rechtspflegers, auf die trotz fehlenden Abschlusses der Ausbildung abzustellen sei, auf die Tätigkeit als technischer Zeichner verwiesen werden könne. Ganz wesentlich sei dabei das Einkommen, das auch den sozialen Status präge. Als Rechtspfleger hätte der Kläger im Jahr 2008 bis zu knapp 2.075,00 EUR brutto = 1.750,00 EUR netto verdienen können, während er aktuell als technischer Zeichner knapp 3.000,00 EUR brutto = 1.878,49 EUR netto verdiene. Er sei finanziell mithin sogar besser gestellt. Auch sei der Beruf nicht sozial niedriger eingestuft. Für beide Berufe durchlaufe man eine dreijährige praktische und theoretische Ausbildung. Das Ansehen eines technischen Zeichners sei nicht geringer als das eines Rechtspflegers. Das Arbeitsplatzrisiko sei nicht mitversichert, so dass es auch nicht auf die Befristung der neuen Anstellungen gegenüber der Verbeamtung auf Lebenszeit ankomme.

Bezüglich des weiteren erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts (GA 134-141) verwiesen.

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts durch das Landgericht rügt und sein erstinstanzliches Klagebegehren – unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens – weiterverfolgt.

Eine Verweisung scheide aus. Ein technischer Zeichner sei nach deutschem Qualifikationsrahmen nur auf Niveau 4 angesiedelt, ein Rechtspfleger hingegen auf Niveau 6. Auch in der Öffentlichkeit genieße der Beruf des Rechtspflegers ein höheres Ansehen. Der Rechtspfleger arbeite selbständig und sei wie ein Richter weisungsungebunden. Er nehme eine tragende Rolle im Justizwesen ein. Er sei mithin einem Selbstständigen vergleichbar. Zudem habe ein Rechtspfleger ungleich bessere Aufstiegsmöglichkeiten, z. B. zum Amtsanwalt mit der Besoldung A12 Stufe 6. Der technische Zeichner hingegen führe Aufträge von Vorgesetzten aus und treffe keine freie Entscheidung. Es bestünden keine Aufstiegschancen.

Der Kläger beantragt nach teilweiser Klagerücknahme unter Abänderung des angefochtenen Urteils zuletzt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.402,76 EUR zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (Zustellung ist am 22.07.2016 erfolgt) zu zahlen; festzustellen, dass die Beklagte an ihn ab dem 01.07.2016 bis längstens zum Ablauf der Versicherung zur Vertragsnummer # am 01.08.2042 bedingungsgemäß die monatliche Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen hat, zahlbar zum 1. eines jeden Monats, und ihm von diesem Zeitpunkt an Beitragsbefreiung in Höhe der monatlichen Versicherungsbeiträge zu gewähren ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt – unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens – die angefochtene Entscheidung.

Jedoch sei schon nicht auf die Tätigkeit als Rechtspfleger, sondern nur auf die Tätigkeit als Rechtspflegeranwärter abzustellen, in der der Kläger wie als technischer Zeichner weisungsgebunden gewesen sei. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei auf diesen Fall nicht übertragbar; vor diesem Hintergrund müsse die Revision zugelassen werden. Es sei gar nicht sicher, ob ein Studium erfolgreich abgeschlossen werde. Nicht jeder Jurastudent werde am Ende Richter. Vorliegend sei ein erfolgreicher Abschluss insbesondere im Hinblick auf das Zeugnis vom 16.07.2007 zweifelhaft. Vor allem aber sei der Kläger gerade zu keinem Zeitpunkt selbstständig und weisungsungebunden tätig gewesen.

Zudem sei der technische Zeichner in seiner Tätigkeit ebenfalls frei, könne kreative Produkte entwickeln und frei über Materialauswahl und Umsetzung eines Auftrages entscheiden.

Aufstiegschancen bestünden auch bei einem technischen Zeichner. Er könne sich zum staatlich geprüften Techniker/Gestalter weiterbilden lassen.

Mitte Juli 2017 ist der Kläger wegen einer akuten psychischen Erkrankung in geschützte Behandlung der LWL-Klinik gegangen. Er arbeitet seitdem nicht mehr.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 31.01.2018 (GA 274 f.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist mit den zuletzt gestellten Anträgen zulässig und begründet.

1. Dem Kläger steht gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag sowie mit § 1 Abs. 1 Satz 1 lit. a, § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 AVB ein Rentenanspruch in Höhe von monatlich 912,23 EUR für die Zeit von Juli 2015 bis Juni 2016, also insgesamt in Höhe von 10.946,76 EUR, und über den 30.06.2015 hinaus ein Anspruch auf bedingungsgemäß zu berechnende Rentenzahlung zu.

a) Die Beklagte kann den Kläger nach dem ursprünglichen Leistungsanerkenntnis nicht im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 14 AVB auf die erlernte und (zwischenzeitlich) konkret ausgeübte Tätigkeit des technischen Zeichners verweisen.

Dies ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 AVB nur – kumulativ – bei einer Ausbildung oder Erfahrung und bisheriger Lebensstellung entsprechenden Tätigkeit möglich. § 2 Abs. 2 Satz 2 AVB wiederum setzt – kumulativ – voraus, dass die neue Tätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch in ihrer Vergütung und Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau der bislang ausgeübten beruflichen Tätigkeit absinkt.

Der Versicherte darf in dem von ihm ausgeübten Verweisungsberuf mithin unabhängig von einem – wie hier – unter Umständen auch höheren Einkommen nicht „unterwertig“, also seine frühere Qualifikation und seinen beruflichen oder sozialen Status unterschreitend, beschäftigt sein (BGH Urt. v. 20.12.2017 – IV ZR 11/16, VersR 2018, 152 = BeckRS 2017, 136995 Rn. 12 m. w. N.).

aa) Dies ist vorliegend aber bei der Tätigkeit als technischer Zeichner, konkret technischen Produktdesigner, gegenüber der Tätigkeit als Rechtspfleger der Fall.

(1) Bereits die Ausbildung als Rechtspfleger ist erheblich höherwertig als die Ausbildung zum technischen Zeichner.

Als Rechtspflegeranwärter in Nordrhein-Westfalen ist im Rahmen der drei fachwissenschaftlichen Ausbildungsabschnitte ein Studium von insgesamt 21 Monaten an der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen zu absolvieren (§ 2 Abs. 1 RPflG; § 8 Abs. 2 Rechtspflegerausbildungsordnung NRW; sowohl nach dem damals geltenden wie dem heutigen Recht, so auch im Folgenden). Dies setzt grundsätzlich eine zum Hochschulstudium berechtigende Schulbildung voraus (§ 2 Abs. 2 RPflG; § 3 Abs. 1 Nr. 3 Rechtspflegerausbildungsordnung NRW). Im Übrigen werden Rechtspflegeranwärter im Rahmen von zwei fachpraktischen Ausbildungsabschnitten insgesamt 15 Monaten an Gerichten / Staatsanwaltschaften ausgebildet (§ 2 Abs. 1 RPflG; § 8 Abs. 2 Rechtspflegerausbildungsordnung NRW). Es schließen sich die schriftlichen und die mündliche Prüfungen an. Die Rechtspflegerprüfung wird vor dem Landesjustizprüfungsamt abgelegt (§ 18 Abs. 1 Rechtspflegerausbildungsordnung NRW). Der Absolvent erhält nach erfolgreichem Abschluss zusätzlich von der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen den akademischen Grad des Diplom-Rechtspflegers.

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der anerkannten Ausbildung zum technischen Produktdesigner nur um eine mittlere Reife voraussetzende, duale Ausbildung, die nach §§ 37 ff. BBiG mit einer einfachen (Gesellen-)Prüfung abschließt. Die Ausbildung umfasst entsprechend den unstreitig gebliebenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die betriebliche (Ausbildungs-)Tätigkeit sowie den Besuch einer Berufsschule.

(2) Vor allem aber sind auch beruflicher und sozialer Status nicht vergleichbar.

Rechtspfleger werden nach Ablauf der Probezeit zu Beamten auf Lebenszeit ernannt. Der Rechtspfleger ist nach § 9 RPflG im Rahmen der ihm übertragenen Rechtsprechungsaufgaben sachlich unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden. Ihm kommen im Rahmen der dritten Gewalt Aufgaben von höchster Verantwortung zu, die sich aus §§ 3 ff. RPflG ergeben. Wird der Rechtspfleger statt mit Rechtsprechungsaufgaben mit Verwaltungsaufgaben betraut, fehlt es ihm zwar an der sachlichen Unabhängigkeit. Stattdessen nimmt er dann aber regelmäßig eine Stellung mit Führungsverantwortung ein. Es handelt sich dabei zugleich um eine der Möglichkeiten zum Aufstieg.

Technische Produktdesigner finden – wie hier maßgeblich auch der Kläger – nach der dualen Ausbildung regelmäßig zunächst Anstellung im Ausbildungsbetrieb. Sie genießen dort nur den gesetzlichen Kündigungsschutz. Sie sind mit einer deutlich geringeren Verwendungsbreite einsetzbar, was sich insbesondere aus der vom Kläger unstreitig vorgetragenen Tätigkeitsdarstellung (GA 13) ergibt, und dabei den Weisungen ihres Vorgesetzten unterworfen.

Die von der Beklagten angeführte Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker / Gestalter ist dabei ebenso wenig als Aufstiegsmöglichkeit zu berücksichtigen wie das mögliche Studium (Ausbildung) zum Amtsanwalt, weil es sich bei beidem um einen anderen Beruf nach einer gesonderten Ausbildung handelt.

bb) Entgegen der Meinung der Beklagten ist die Tätigkeit als technischer Produktdesigner für die Frage der konkreten Verweisung auch nicht mit der Tätigkeit als Rechtspflegeranwärter zu vergleichen oder die Unabhängigkeit des Rechtspflegers außer Betracht zu lassen, weil er diese als Anwärter nie erreichte.

Die Parteien haben, während sich der Kläger noch in der Ausbildung / im Studium befand, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Damit haben sie jedenfalls konkludent vereinbart, dass die angestrebte berufliche Tätigkeit versichert ist (vgl. BGH Urt. v. 30.3.2011 – IV ZR 269/08, r+s 2011, 259 Rn. 18 – „Maurer“; BGH Urt. v. 24.2.2010 – IV ZR 119/09, r+s 2010, 247 Rn. 18-20 – „Kreissekretärin“ für den Fall, dass die Berufsunfähigkeit während der Ausbildung erstmals eingetreten sowie vom Versicherer anerkannt worden ist und der Versicherungsnehmer anschließend nach Abschluss der Ausbildung die planmäßig ausgeübte Tätigkeit nur noch teilweise verrichten kann).

Dies war zunächst die angestrebte und im Vertrag vorgesehene berufliche Tätigkeit als Wirtschaftsingenieur nach dem Studium Wirtschaftsingenieurwesen. Der sodann erfolgte Wechsel der Ausbildung zu Rechtspflegerstudium / -ausbildung ist dabei zu behandeln wie der Wechsel des Berufs. Die neue Ausbildung mit der angestrebten beruflichen Tätigkeit ist für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit maßgeblich, weil es sich um die konkret zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte berufliche Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 AVB, § 172 Abs. 2 VVG) handelt. Ein solcher Wechsel der Ausbildung und damit des versicherten Berufs ist nicht anzeigepflichtig (vgl. nur m. w. N. Lücke in Prölss/Martin, 30. Aufl. 2018, § 2 BU Rn. 17).

Verliert der Versicherungsnehmer – wie hier von der Beklagten anerkannt – die Fähigkeit die Ausbildung abzuschließen, kann er die angestrebte und hier durch den gesetzlichen Aufgabenkreis auch hinreichend konkretisierte, versicherte berufliche Tätigkeit nicht ausüben. Er ist dann bedingungsgemäß berufsunfähig, die Ausbildungs- und die berufliche Tätigkeit auszuüben (so im Ergebnis auch Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 42 Rn. 35-38; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 172 Rn. 16; Dörner in MüKo-VVG, 2. Aufl. 2017, § 172 Rn. 108 f.; Mertens in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl. 2015, § 172 Rn. 26, § 174 Rn. 7 f.; Lücke in Prölss/Martin, 30. Aufl. 2018, § 172 Rn. 58; § 2 BUV Rn. 22; wohl a. A. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, Kap. M Rn. 53-55).

Da der Kläger ohne gesundheitliche Beeinträchtigung mittlerweile als Rechtspfleger tätig gewesen wäre, ist diese geplante Tätigkeit die maßgebliche Tätigkeit für die Prüfung der Verweisung.

Dass der Kläger seine Ausbildung zum Rechtspfleger tatsächlich erfolgreich abgeschlossen hätte und auf Lebenszeit verbeamtet worden wäre, steht nach seiner Anhörung und der Aktenlage – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert – zur Überzeugung des Senats fest (§ 286 ZPO). Zwar deutete das erste Zwischenzeugnis darauf hin, dass es Schwierigkeiten hätte geben können.

Aufgrund der im zweiten Zwischenzeugnis bescheinigten sehr ordentlichen Leistungen steht aber für den Senat – mit dem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet – fest, dass der Kläger ohne die versicherte Krankheit die Prüfungen bestanden hätte. Er wäre dann – das ist, wie erörtert, gerichtsbekannt – in den Rechtspflegerdienst übernommen und zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden, zumal als einer der relativ wenigen männlichen Anwärter.

b) Der eingeklagte Rentenanspruch beläuft sich für die Zeit bis zum 30.06.2016 – wie im Senatstermin erörtert – unstreitig auf die zuletzt gezahlten 912,23 EUR pro Monat. Ein Anspruch auf anschließende Dynamisierung dürfte im Übrigen gemäß § 4 Abs. 3 AVB (GA 29) grundsätzlich ausgeschlossen sein.

2. Dem Kläger steht aus den vorgenannten Gründen neben dem Rentenzahlungsanspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag sowie mit § 1 Abs. 1 Satz 1 lit. b, § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 AVB ein Anspruch auf Beitragsbefreiung zu. Soweit bereits Beitragszahlungen erfolgt sind, sind diese gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB zurückzuerstatten, für die Zeit von Juli 2015 bis Juni 2016 in Höhe von monatlich 38,00 EUR, also insgesamt 456,00 EUR.

3. Der Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen besteht gemäß § 291 Satz 1 Hs. 1, Satz 2, § 288 Abs. 1 BGB ab dem 23.07.2016 (§ 187 Abs. 1 BGB analog).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1, Satz 2, § 709 Satz 2 ZPO.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Rechtssache weist weder grundsätzliche Bedeutung auf noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

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