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Berufsunfähigkeitsversicherung – Berufsunfähigkeit bei Berufswechsel

KG Berlin – Az.: 6 U 111/18 – Beschluss vom 28.04.2020

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin vom 19. Juni 2018 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO -soweit Versicherungsleistungen wegen orthopädischer Leiden für die Zeit bis zum 29.02.2016 geltend gemacht werden- gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen und im Übrigen durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

Der Kläger ist seit Dezember 2001 bei der Beklagten gegen Berufsunfähigkeit versichert. Im vorliegenden Rechtsstreit beansprucht er wegen (behaupteter) eingetretener Berufsunfähigkeit in seinem früheren Beruf als angestellter Verkaufsdirektor eines Versicherungsunternehmens zum 27.06.2013 oder einem späteren Zeitpunkt Versicherungsleistungen von der Beklagten. Er hat behauptet, an ständigen Schmerzen in der Lendenwirbelsäule, an Schmerzen beim Heben von Gegenständen sowie längerem Sitzen, an durch Schonhaltungen ausgelösten Verspannungen und Schmerzen im Rücken, an Bewegungseinschränkungen in der Lendenwirbelsäule, an Taubheitsgefühl bis nach vorn zur Bauchdecke hineinziehend und eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit und Auffassungsgabe durch Dauerschmerzen zu leiden. Unstreitig hatte der Kläger bei einem Reitunfall im Juni 2013 eine LWK-1-Berstungsfraktur erlitten, die operativ versorgt werden musste. Als Verkaufsdirektor ist er, abgesehen von einem Eingliederungsversuch im sogen. Hamburger Modell, anschließend nicht mehr tätig geworden. Zum 01.07.2014 hat der Kläger sich selbständig gemacht und eine Generalagentur seines bisherigen Arbeitgebers übernommen. Er hat insoweit behauptet, dieser Berufswechsel sei wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen erfolgt. Auf diese neue Tätigkeit sei er wegen geringeren Einkommens und geringerer Wertschätzung nicht verweisbar.

Nach den vorliegend vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Berufsunfähigkeits-Versicherung (BUV, Anlage K 3) tritt der Versicherungsfall “Berufsunfähigkeit” infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, ein, wenn die versicherte Person voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außer Stande ist, ihrem zuletzt vor Eintritt dieses Zustands ausgeübten Beruf nachzugehen (§ 1 Ziff. 1 BUV). Nach § 1 Ziff. 4 BUV gilt auch der Nachweis, dass der in Ziff. 1 beschriebene Zustand ununterbrochen vorgelegen hat, von Beginn an als Berufsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit ist gemäß § 1 Ziff. 2 BUV jedoch ausgeschlossen, wenn die versicherte Person nach Eintritt des in Ziff. 1 beschriebenen Zustandes eine andere, ihrer Ausbildung und Erfahrung sowie ihrer bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit ausübt und sie dazu auf Grund ihrer gesundheitlichen Verhältnisse zu mehr als 50 % in der Lage ist.

Das Landgericht hat ein medizinischen Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie/Unfallchirurgie Dr. G. eingeholt, der in seinem schriftlichen Gutachten vom 1.7.2016, das er in der mündlichen Verhandlung vom 13.3.2018 erläutert hat (Bd. I/173 ff.), zu einer Beeinträchtigung der vom Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Anforderungen an seine berufliche Tätigkeit als Verkaufsdirektor von maximal 30 % kam.

Mit Schriftsätzen vom 16.3.2017 (Bd. I/95 ff.) und vom 9.4.2018 (Bd. II/2 ff.), auf deren Inhalt verwiesen wird, hat der Kläger behauptet, wegen eines im Februar 2016 erlittenen Alkoholrückfalls nach vorhergehender langjähriger Alkoholabstinenz und einer sich daraufhin entwickelten Depression seither außerdem unter gedrückter Stimmung, Niedergeschlagenheit, Antriebsstörung, Unkonzentriertheit, schneller Ermüdung und Erschöpfung, sowie auftretendem Suchtdruck zu leiden. Jedenfalls in Kombination mit den durch das Sachverständigengutachten festgestellten unfallbedingten körperlichen Gesundheitsstörungen sei er seit dem 29.02.2016 bzw. ab dem 29.08.2016 berufsunfähig, da er seit dieser Zeit nicht in der Lage gewesen wäre, seine zuletzt in gesunden Tagen vor dem 27.6.2013 ausgeübten beruflichen Tätigkeit als Verkaufsdirektor bei der S. zu mindestens 50 % auszuüben. Hierzu hat er ergänzend zu den Anforderungen an die psychische Leistungsfähigkeit in seinem früheren Beruf als Verkaufsdirektor vorgetragen.

Das Landgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil vom 19.6.2018, auf dessen Inhalt einschließlich der dort aufgeführten Klageanträge zu 1) bis 5) verwiesen wird, angewiesen. Die als Unfallfolge geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen hätten nach den überzeugend begründeten Ausführungen des Gerichtssachverständigen bei dem Kläger zu keinem Zeitpunkt das Ausmaß angenommen, wie es für die vertraglich definierte Berufsunfähigkeit erforderlich sei. Einer weitergehenden Beweiserhebung zum Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit im Februar 2016 wegen depressionsbedingter Einschränkungen bedürfe es nicht, weil der Vortrag des Klägers nicht ausreichend sei. Sein schriftsätzlicher Vortrag sei im Hinblick auf seine Angaben im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht ansatzweise konsistent. Die vom Kläger geltend gemachten depressionsbedingten psychischen Beschränkungen ließen sich nicht mit der geschilderten Entwicklung und dem Umfang seiner im Sommer 2014 aufgenommenen selbständigen Tätigkeit vereinbaren.

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgt, gegen das Unterlassen einer weiteren Beweiserhebung. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass seine frühere Tätigkeit als Verkaufsdirektor einen viel höheren zeitlichen Arbeitsumfang als die jetzige Tätigkeit hatte und viel weniger zwischenzeitliche Freiräume geboten habe. Die damalige Tätigkeit sei auch wegen der höheren Ausbildung und der höheren Kenntnisse und Fähigkeiten im Vergleich zu der Tätigkeit als Generalvertreter nicht vergleichbar, wozu er weiter vorträgt. Auch habe das Landgericht nicht bedacht, dass aufgrund der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehenden körperlichen Leistungsbeschränkungen von 30 % von ihm auf psychiatrischem Fachgebiet nur noch ein entsprechend geringer Grad nachzuweisen sei, um auf berufliche Leistungseinbußen von mehr als 50 % zu kommen. Dem Landgericht fehle es an eigener medizinischer Fachkunde, die Unvereinbarkeit der aktuellen Tätigkeit mit dem Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit seiner früheren Tätigkeit als Verkaufsdirektor festzustellen. Wegen des weiteren Vorbringens und der Berufungsrügen im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 11.9.2018 (Bd. II/114 ff.) verwiesen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend, bestreitet das neue Vorbringen und vertieft und wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie ist u. a. der Auffassung, dass die auf den Eintritt der Berufsunfähigkeit zum 29.2.2016 gestützte Klage schon unschlüssig sei, weil es hierfür nach den Bedingungen auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ankomme, also allein auf die des Generalagenten. Auf die Berufungserwiderung vom 30.11.2018 (Bd. II/143 ff.) wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Terminsprotokoll der mündlichen Verhandlung erster Instanz verwiesen.

II.

1.) Die Berufung des Klägers ist nur teilweise zulässig. Soweit der Kläger Versicherungsleistungen für den Zeitraum bis zum 29.02.2016, gestützt auf eine Erkrankung orthopädischer Natur, geltend gemacht hat, ist die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlichen Form (§ 520 Abs. 3 ZPO) begründet ist. Denn der Kläger hat insoweit weder eine Rechtsverletzung i.S.v. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO noch Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen i.S.v. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO dargelegt und auch keine neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel i.S.v. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO vorgebracht. Der Kläger tritt den Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, nach dem auf orthopädischem Fachgebiet eingeholten medizinischen gerichtlichen Sachverständigengutachten sei der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht bewiesen, in keiner Weise entgegen.

2.) Im Übrigen ist die Berufung zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Senat ist nach Vorberatung einstimmig der Auffassung, dass das Rechtsmittel in der Sache offensichtlich unbegründet ist (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Die Berufung kann gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beide Voraussetzungen liegen hier offensichtlich nicht vor.

Dem Landgericht ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen, dass dem Kläger auch ab dem 29.02.2016 bzw. einem danach liegenden Zeitpunkt kein Anspruch auf die geltend gemachten Versicherungsleistungen zusteht. Dabei kann dahinstehen, ob das Landgericht ohne Hinzuziehung medizinischer Sachkunde aus dem vom Kläger geschilderten Berufsalltag als Generalagent schließen durfte, dass der Kläger nicht seit Februar 2016 wegen der geltend gemachten psychischen Erkrankung bedingungsgemäß berufsunfähig war. Denn die Feststellung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit muss schon aus verschiedenen anderen Gründen scheitern.

a) Die auf den Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit am 29.2.2016 bzw. 29.8.2016 gestützte Klage ist schon nicht schlüssig. Denn nach den Bedingungen (§ 1 Ziff. 1 BUV) liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich zu mindestens 50 % außerstande ist, ihrem zuletzt vor Eintritt dieses Zustandes ausgeübten Beruf nachzugehen.

aa) Der Kläger behauptet nicht, in seinem zuletzt vor dem 29.2.2016 tatsächlich ausgeübten Beruf als Generalagent der S., auf den es nach den Bedingungen ankommt, berufsunfähig geworden zu sein.

Soweit er behauptet, dass er wegen der zu den orthopädischen Beeinträchtigungen hinzugekommenen Einschränkungen auf psychiatrischem Gebiet nicht in der Lage gewesen wäre, seinen früheren Beruf als Verkaufsdirektor auszuüben, kann er sich darauf angesichts der hier vorliegenden Konstellation nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des BGH stützen, wonach es auch bei einem Berufswechsel für die Feststellung der Berufsunfähigkeit auf die zuletzt „in gesunden Tagen“ ausgeübte Tätigkeit ankommt, wenn der Berufswechsel ausschließlich leidensbedingt erfolgt ist (vgl. Urteil vom 14.12.2016 – IV ZR 527/15, Rn. 24 m.w.N.; Urteil vom 30.11.1994 – IV ZR 300/93 Rn. 20; Bußmann, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Versicherungsrechts – Berufsunfähigkeitsversicherung und Rechtsschutzversicherung, RuS 2018, 453 ff., 455). Denn nach dem Ergebnis des orthopädischen Sachverständigengutachtens sind die aus dem Reitunfall verbliebenen orthopädischen Beeinträchtigungen mit 20 % zu bewerten, wobei er wegen der physiologischen Ermüdung eine höhere Beeinträchtigung von maximal 30 % eingeschätzt hat. Da es sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine körperlich wenig belastende Tätigkeit handelte, die dazu noch einen regelmäßigen Wechsel zwischen den Belastungssituationen des Sitzens, Gehens und Stehens aufweist, kann es auf der Grundlage der orthopädischen Beeinträchtigungen nicht als erwiesen erachtet werden, dass der Wechsel ausschließlich leidensbedingt erfolgt ist. Dabei wird nicht verkannt, dass ein Unfall mit nachfolgender längerer Arbeitsunfähigkeit durchaus Auslöser für die Entscheidung sein kann, künftig einen Beruf mit geringerer Belastung ausüben zu wollen. Dies ist jedoch eine Entscheidung im Rahmen der eigenen Lebensplanung und führt nicht zu dem Nachweis, dass der Wechsel rein leidensbedingt erfolgt sei.

bb) Für die behaupteten hinzugekommenen psychiatrischen Leiden fehlt es zudem an der Vorlage von ärztlichen Befunden, die Grundlage für eine Beweiserhebung sein könnten.

Mit der Definition bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit in § 1 Ziff. 1 und 3 BUV wird mit dem Zusatz “die ärztlich nachzuweisen sind” unmissverständlich herausgestellt, dass es für den Nachweis der Krankheit, Körperverletzung oder des Kräfteverfalls eines medizinischen Befunds bedarf (für die insoweit gleichlautenden Musterbedingungen BUZ 1975: BGH, Urteil vom 27. September 1995 – IV ZR 319/94 –, VersR 1995, 1431, Rn. 13 nach juris; vgl. auch: Lücke in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 2 BU Rn. 7; Baumann in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2019, § 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen? Rn. 125 ff.; HK-VVG/Mertens, 4. Aufl., § 2 Rn.2 i.V.m. Rn. 48; Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, 1. Aufl., § 2 BUV Rn. 233ff; Gramse in Staudinger/Halm/ Wendt, Versicherungsrecht, 2. Aufl., § 1 BUV 2008 Rn. 3; im Ergebnis ebenso: OLG Hamm, Urteil vom 27.04.2018 – 20 U 75/17 -, VersR 2018, 1241, Rn. 106 nach juris; Urteil vom 19.12.2018 – 20 U 39/18 -, Rn. 52 nach juris, – insoweit in faktischer Abkehr von seiner früheren, vom Kläger zitierten Rspr.). Mit diesem Verlangen eines “ärztlichen Nachweises” in den Versicherungsbedingungen ist nicht das im Rechtsstreit bei streitigen Tatsachenbehauptungen zur Erkrankung der versicherten Person gerichtlich einzuholende Sachverständigengutachten gemeint. Dafür bedürfte es keiner besonderen vertraglichen Vereinbarung, was auch jedem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer geläufig ist. Sinnträchtig – auch für den Versicherungsnehmer – ist dagegen, einen außergerichtlichen Nachweis zu erfordern, weil andernfalls eine sachgerechte Anspruchsprüfung durch den Versicherer nicht möglich ist (i.d.S. auch: Baumann a.a.O., Rn. 125; Rogler a.a.O., Rn. 235). Kommt dem vertraglich ausbedungenen ärztlichen Nachweis danach aber eigenständige Bedeutung zu, liegt bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht vor, wenn der Nachweis nicht beigebracht werden kann. Der nach den Bedingungen geforderte “ärztliche Nachweis” muss von einem Arzt herrühren und auf aussagekräftigen physischen oder psychischen Befunden beruhen. Diese müssen gerade bei psychischen Erkrankungen zwar nicht in Befunden der Apparatemedizin oder sonstigen objektivierbaren Befunden bestehen, ausreichend ist vielmehr eine ärztliche Feststellung, die auf die Beschwerdeschilderung des Patienten gestützt ist (BGH, Urteil vom 14.04.1999 – IV ZR 289/97 –, Rn. 15 nach juris, VersR 1999, 838), die allerdings nach richtiger Ansicht nicht allein in der Übernahme der reinen Beschwerdeschilderung liegen darf (Baumann a.a.O., Rn. 129; Rogler a.a.O., Rn. 242; Mertens a.a.O., Rn. 2).

Dem genügen die hier vorliegenden medizinischen Unterlagen hinsichtlich der behaupteten psychischen Erkrankungen des Klägers nicht. Für die Stellungnahmen der Dipl.-Psychologin E. gilt dies schon deshalb, weil diese keine Ärztin ist. Für die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Episode fehlt ihr die fachpsychiatrische Approbation und Sachkunde. Abgesehen hiervon ergibt sich aus der Beantwortung von Fragen mit dem Schreiben vom 29.2.2016 nur, dass sich der Kläger nach einer früheren Alkoholabhängigkeit und einer im Jahr 2007 erreichten Abstinenz beginnend in 2007 bis letztmalig 01/2016 in die ambulante Psychotherapie begeben hatte. Die in diesem Schreiben auf unbekannte Fragen gegebenen Antworten können sich daher ohnehin nur auf diesen Zeitraum beziehen.

Aus der Stellungnahme vom 11.4.2016 (Anlage K 23) ergibt sich nur, dass der Kläger starke Existenzängste hat und sie eine Traumatherapie wegen des „furchtbaren“ Reitunfalls empfiehlt. Der Bericht zum Erstantrag vom 4.12.2017 (Anlage K 30) zeigt, dass der Kläger die Verhaltenstherapie aufgrund der Bewilligung seines Antrags erst wieder aufnehmen wollte.

Bei dem Entlassungsbericht der O.kliniken GmbH vom 15.3.2017 (Anlage K 28) handelt es sich zwar um einen fachpsychiatrischen Befund aufgrund der stationären Behandlung vom 15.2.2017 bis zu 1.3.2017 nach einem erneuten Alkoholrückfall am 15.2.2017. Für die Zeit bis dorthin lassen sich dem Bericht aber die eigenen Angaben des Klägers entnehmen, dass er den kurzen Rückfall im Februar 2016 in ambulanter Behandlung aufarbeiten konnte. Die Entlassungsprognose ist positiv (Psychopathologischer Befund am 1.3.2017 S. 2, Ergebnis Testpsychologie bei Entlassung S. 3, Therapeutischer Verlauf und Zusammenfassung S. 4).

Es liegt damit kein medizinischer Befund vor, dem für die Zeit ab dem 29.2.2016 die behaupteten psychischen Beschwerden und hierauf beruhenden Beeinträchtigungen für die Ausübung seines – gegenwärtigen oder vergangenen – Berufes entnommen werden könnten.

Selbst wenn man von dem Erfordernis eines solchen Befundes als tatbestandliche Voraussetzung für die Berufsunfähigkeit absehen würde, lägen jedenfalls keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines gerichtlichen psychiatrischen Sachverständigengutachtens vor. Hierfür bedarf es ärztlicher Dokumentationen aus der Vergangenheit, die ein gerichtlicher Sachverständiger für die von ihm zu treffenden Feststellungen und seine darauf beruhende sachverständige Beurteilung auswerten kann. Die zum Beweis angebotene eigene Anhörung/Vernehmung des Klägers zu seinen Beschwerden und die Vernehmung der Dipl.-Psychologin als Zeugin zu deren Wahrnehmungen können diese erforderlichen Unterlagen für ein aussagekräftiges Gutachten nicht ersetzen.

b) Zum anderen hat der Kläger seiner Vortrags- und Beweislast hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit, für die er Berufsunfähigkeit geltend macht, nicht genügt. Erforderlich ist eine konkrete Arbeitsbeschreibung derart, dass die anfallenden Tätigkeiten nach ihrer Art, ihres Umfangs, wie ihrer Häufigkeit für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden. Daran fehlt es, selbst wenn man zugunsten des Klägers auf seine Tätigkeit als angestellter Verkaufsdirektor, für die allein er gesundheitsbedingte Leistungseinschränkungen behauptet, als Ausgangsberuf abstellt. Seiner Darstellung in der Tabelle der Anlage K 6 mangelt es (mit Ausnahme der Fahrten mit dem eigenen PKW) an nachvollziehbaren Angaben zum inhaltlichen Gehalt der angeführten Verrichtungen. Sie ist als Grundlage für die Beurteilung der Auswirkungen von orthopädischen Beeinträchtigungen ausreichend, da sie die körperlichen Anforderungen erkennen lässt. Sie bleibt aber, soweit es um die Auswirkungen der behaupteten psychischen Leiden geht, für die es neben der körperlichen Beanspruchung verstärkt auch auf die Anforderungen an die geistige Leistungsfähigkeit ankommt, inhaltlich zu pauschal.

c) Ferner stünde der Feststellung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit auch unzureichender Vortrag des Klägers zur fehlenden Verweisbarkeit auf eine andere berufliche Betätigung, wie in § 1 Ziff. 2 BUV festgelegt, entgegen.

Der Auffassung des Klägers, es sei der Beklagten verwehrt, ihn auf seine Tätigkeit als Generalagent zu verweisen, vermag der Senat nicht zu folgen. Es besteht generell keine Bindung an die Ablehnungsgründe, die ein Berufsunfähigkeits-Versicherer anführt, wenn er es ablehnt, vom Versicherungsnehmer beantragte Versicherungsleistungen zu erbringen. Die vom Kläger für seine Auffassung angeführte Rechtsprechung ist zu Nachprüfungsverfahren ergangen, wo aufgrund eines tatsächlichen bzw. fiktiven Anerkenntnisses gerade eine Bindungswirkung für den Versicherer besteht. Die Rechtsprechung zu Nachprüfungsfällen ist deshalb nicht übertragbar.

Eine Verweisung des Versicherten, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließt, setzt nach § 1 Ziff. 2 BUV eine Tätigkeit voraus, die seiner Ausbildung und Erfahrung und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Da die bisherige Lebensstellung vor allem durch die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit geprägt wird, ist diese in den Blick zu nehmen. Die Lebensstellung des Versicherten wird von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt, die sich – ebenso wie die Vergütung dieser Tätigkeit – wiederum daran orientiert, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt (BGH Urteil vom 07.12.2016 – IV ZR 434/15 – m.w.N. seiner Rspr., Rn. 15 nach juris, VersR 2017, 147). Da die Berufsausübung in gesunden Tagen vor Eintritt des Versicherungsfalles die Vergleichsmaßstäbe dafür liefert, ob die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspricht, muss bekannt sein, wie sie konkret ausgestaltet war, welche Anforderungen sie an den Versicherten stellte, welche Fähigkeiten sie voraussetzte, welches Einkommen sie ihm sicherte und wie sich seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellten (BGH a.a.O Rn. 16).In gleicher Weise muss – nur dann ist ein aussagekräftiger Vergleich möglich – bekannt sein, wie die Vergleichstätigkeit konkret ausgestaltet ist. Eine Verweisung kommt nach der Gestaltung der Verweisungsklausel in § 1 Ziff. 2 BUV nur in Betracht, wenn der Versicherte der betreffenden Verweisungstätigkeit tatsächlich nachgeht und wenn er dazu aufgrund seiner gesundheitlichen Verhältnisse zu mehr als 50 % in der Lage ist. Letzteres beinhaltet ein abstraktes Element. Die Verweisung soll nicht davon abhängig sein, ob sich der zeitliche Aufwand im Ausgangsberuf und im Verweisungsberuf deckt. Eine Verweisung soll bereits dann erlaubt sein, wenn der Versicherte gesundheitlich zu einer Berufsausübung von mehr als 50 % in der Lage ist.

Der Vortrag des insoweit darlegungsbelasteten Klägers lässt nicht erkennen, dass seine Tätigkeit als Generalagent der S. nicht seiner bisherigen Lebensstellung als Verkaufsdirektor entspricht. Als gelernter Versicherungskaufmann, der in beiden Tätigkeitsfeldern mit dem Vertrieb von Versicherungsprodukten befasst war/ist, hat er die notwendige Ausbildung und Erfahrung für die neue berufliche Betätigung mitgebracht. Auch ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass aufgrund des Wechsels des Klägers in eine Generalagentur seine bisherige Lebensstellung, wie sie die Tätigkeit als angestellter Verkaufsdirektor vermittelt hatte, nicht mehr gewahrt war. Insoweit fehlt es insbesondere an einer konkreten Beschreibung der Verweisungstätigkeit zum Umfang und Inhalt, die er lediglich im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht grob skizziert hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich die beiden beruflichen Betätigungen hinsichtlich des mit ihnen verbundenen Sozialprestiges unterscheiden. Soweit der Kläger insoweit auf die Personalverantwortung, die seine Tätigkeit als Verkaufsdirektor gegenüber einer Mehrzahl von Außendienstmitarbeitern mit sich gebracht hatte, verweist, steht dem die eigene Weisungsgebundenheit gegenüber dem ihm vorgesetzten Filialdirektor gegenüber, dem er täglich zu berichten und Rechenschaft abzulegen hatte. Demgegenüber übt er als Generalvertreter eine selbständige Tätigkeit (mit nur einer Angestellten) aus, die er selbst als Tätigkeit beschreibt, die ihm sehr viel größere Freiräume bei der Gestaltung seines Arbeitstages eröffnet hat. Sowohl das eine wie das andere Merkmal heben das Ansehen, das einem Beruf gemeinhin entgegengebracht wird. Auch ist ein Generalagent im oberen Bereich der Hierarchie der Außendienstpartner der S., direkt nach der Filialdirektion, angesiedelt. Unterschiedliche Aufstiegschancen für den Kläger in den verschiedenen Berufsfeldern sind ebenfalls nicht nachvollziehbar dargetan. Der Kläger führt zwar an, als Verkaufsdirektor könne er in die Position eines Filialdirektors aufsteigen. Dass er diese Möglichkeit als Generalagent nicht hat, hat er schon nicht behauptet. Solches wäre auch nicht plausibel, da er als Generalagent für das gleiche Versicherungsunternehmen tätig geblieben ist, sodass seine Verdienste, die er in seiner Eigenschaft als Verkaufsdirektor erworben hat, durch den Tätigkeitswechsel nicht entwertet worden sein können. Der Senat kann dem Vorbringen des Klägers auch nicht entnehmen, dass die neue Tätigkeit im Vergleich zum Ausgangsberuf unterwertig ist. Der von ihm angeführten Schulung im Personalentwicklungsprogramm P. (Anlage K 33, K 34) misst der Senat insoweit im Hinblick auf die Dauer von nur gut drei Wochen keine erhebliche Bedeutung bei. In diesem Zusammenhang fällt zudem aufgrund der vorgelegten Auszeichnungen für hervorragende Vertriebsergebnisse (Anlage K 35, K36) auf, dass der Kläger offenbar auch schon als Verkaufsdirektor in sehr weitgehendem Ausmaß mit der Vermittlung von Versicherungsprodukten an Versicherungsnehmer befasst gewesen sein muss. Eine Einschätzung der Veränderungen im Einkommen lässt sich nach dem gegebenen Sachstand nicht vornehmen. Besonders die Angaben des Klägers zu dem Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit reichen nicht. Der Vortrag der Einkommenssteuerbescheide für 2015 und 2016 (Anlage K 31, K 32) genügt nicht. Dieser Bescheid lässt das mit der neuen selbständigen Stellung verbundene wirtschaftliche Potential nicht erkennen. Da sich der Betrieb des Klägers 2016 noch in den Gründungsjahren befand, bedurfte es zum einen auch der Darlegung der Einkommenssituation auch in den Folgejahren. Zum anderen sind Einkommenssteuerbescheide insoweit nicht ausreichend aussagekräftig, da eine Bewertung der wirtschaftlichen Situation nicht ohne Kenntnis der betrieblichen Ein- und Ausgaben möglich ist. Zu Recht fordert die Beklagte – gerade im Hinblick auf die großen Unterschiede in 2011-2013 – auch eine nähere Aufschlüsselung der angegebenen Jahreseinkommen.

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung fordern eine Entscheidung des Senats durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den vorstehenden Hinweisen binnen dreier Wochen Stellung zu nehmen oder gegebenenfalls die Berufung zurückzunehmen, wodurch sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens um die Hälfte reduzieren würden.

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