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Berufsunfähigkeitsversicherung – Berufsunfähigkeit Auszubildender

LG Kleve – Az.: 6 O 90/14 – Urteil vom 14.06.2018

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 28.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.000,- EUR seit dem 01.09.2012, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.10.2012, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.11.2012, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.12.2012, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.01.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.02.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.03.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.04.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.05.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.06.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.07.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.08.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.09.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.10.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.11.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.12.2013, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.01.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.02.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.03.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.04.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.05.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.06.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.07.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.08.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.09.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.10.2014, aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.11.2014 und aus weiteren 1.000,- EUR seit dem 01.12.2014 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, auch für Zeiträume ab Januar 2015 eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.000,- EUR im Monat an die Klägerin zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die am … 1995 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten am 24.04.2012, einen Vertrag namens „Vermögensaufbau & Sicherheitsplan“ abzuschließen, der auch eine Berufsunfähigkeitsversicherung enthält. Nach Einholung einer zusätzlichen Erklärung der Klägerin zu Erkrankungen des Bewegungsapparates schlossen die Parteien am 31.05.2012 den Vertrag mit der Nr. 00000 und einem Versicherungsbeginn zum 01.05.2012. Bei einer vor dem 01.05.2017 eingetretenen Berufsunfähigkeit der Klägerin war eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 909,09 Euro zuzüglich eines Kundenbonus vereinbart. Im Jahr 2012 betrug die monatliche Berufsunfähigkeitsrente einschließlich Kundenbonus 1.000 Euro. Wegen der weiteren Einzelheiten zu den Angaben wird auf den schriftlichen Antrag vom 24.04.2012 und die schriftliche „Zusätzliche Erklärung – Erkrankungen des Bewegungsapparates“ vom 23.05.2012 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten zu den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien wird auf den Versicherungsschein vom 31.05.2012 nebst dem Dynamiknachtrag vom 2014, dem Dynamiknachtrag vom 2015, den einbezogenen „Tarifbestimmungen für die Berufungsunfähigkeitsversicherung“ – AVB-BU – und nebst den einbezogenen „Besonderen Bedingungen für den Vermögensaufbau & Sicherheitsplan mit planmäßiger Erhöhung nach dem Dynamikplan“ – DYNB VASP – verwiesen.

Die Klägerin hatte im August 2011 eine Ausbildung zur Mechatronikerin bei der JJ GmbH in L begonnen. Die tarifliche Grundvergütung eines Mechatronikers nach abgeschlossener Ausbildung beträgt 2.867,- EUR brutto. Die Klägerin machte bei der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geltend und erteilte eine „Selbstauskunft zur Berufsunfähigkeit“. Wegen der Einzelheiten des Inhaltes wird auf die schriftliche Selbstauskunft vom 03.07.2013 verwiesen. Die Beklagte lehnte nach Prüfung mit Schreiben vom 06.09.2013 ab, Berufsunfähigkeitsleistungen zu gewähren. Die Klägerin nahm ab dem 01.10.2013 eine Tätigkeit als Auszubildende zur Fotoassistentin auf und schloss im Oktober 2015 eine Zusatzausbildung zur Fotodesignerin und im Oktober 2016 zur Grafikdesignerin ab.

Die Klägerin trägt vor: Sie sei seit August 2012 berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen. Seither könne sie ihren Beruf als Auszubildende zur Mechatronikerin nicht mehr zu mindestens 50 Prozent ausüben, weil sie am Ehlers-Danlos-Syndrom dritten Grades leide. Seit November 2012 habe sie zunehmende Beschwerden in der Hand, am Ellbogen am Knie und am Rücken bemerkt und sich deswegen in ärztliche Behandlung begeben, wobei für sich genommen unstreitig ist, dass die Klägerin in diesem Zeitraum ärztlich behandelt worden ist. Im ersten Lehrjahr habe sie diese Beschwerden nicht gehabt.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Klägerin seit August 2012 bis zur Klageerhebung 28.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 1.000,- EUR seit dem 01.09.2012, 01.10.2012, 01.12.2012, 01.01.2013, 01.02.2013, 01.03.2013, 01.04.2013, 01.05.2013, 01.06.2013, 01.07.2013, 01.08.2013, 01.09.2013, 01.10.2013, 01.11.2013, 01.12.2013, 01.01.2014, 01.02.2014, 01.03.2014, 01.04.2014, 01.05.2014, 01.06.2014, 01.07.2014, 01.08.2014, 01.09.2014, 01.10.2014, 01.11.2014 und 01.12.2014 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auch für die Zukunft an die Klägerin monatlich eine Rente von 1.000,- EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie wendet ein: Das Berufsbild der Klägerin in gesunden Tagen könne nicht festgestellt werden. Die Klägerin habe ihre ausgeübte Tätigkeit als Auszubildende zur Mechatronikerin nicht hinreichend dargetan. Die Beklagte bestreite die Ausübung sämtlicher Tätigkeiten, die sich aus der Mechatroniker-Ausbildungsverordnung ergeben, durch die Klägerin mit Nichtwissen. Die Klägerin sei vollumfänglich leistungsfähig. Es bestehe keine Funktionseinschränkung der Gelenke. Dass es „mit ihren Beschwerden auch in ursprünglicher Tätigkeit nicht weit her“ gewesen sein könne, ergebe sich auch aus dem nunmehr ausgeübten Beruf, da man Arme und Hände auch zum Zeichnen und zum Bedienen von Fotoapparaten gebrauche. Sofern eine Berufsunfähigkeit bestehen sollte, sei diese bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages eingetreten. Die Klägerin sei wegen ihrer Hypermobilität in Bezug auf den Beruf des Mechatronikers von Beginn an berufsunfähig gewesen. Überdies ergebe sich die fehlende Eignung der Klägerin für den Beruf des Mechatronikers bereits daraus, dass sei eine etwa 1,60 m große, höchstens 60 kg schwere Frau sei. Dadurch sei ihr das für einen Mechatroniker erforderliche Heben unzumutbar. Dies werde zusätzlich dadurch belegt, dass nur 5,7 % aller Mechatroniker Frauen seien. Die Beklagte meint, sie dürfe die Klägerin überdies auf ihre nunmehr ausgeübte Berufstätigkeit verweisen, was eine Berufsunfähigkeit ausschließe. Sie hat zunächst vorgetragen, der monatliche Verdienst im nunmehr von der Klägerin ausgeübten Beruf betrage bis zu 2.786,- EUR, hat dieses Vorbringen aber im Laufe des Rechtsstreits dahingehend geändert, dass der Monatslohn in der Berufsgruppe 2.400,- EUR betrage. Allgemein betrage der Verdienst der Entgeltgruppe EG08 (Eckentgeltgruppe) nach dem Rahmentarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie ab dem 01.02.2015 im Monat 2.550,- EUR. Vereinbart sei eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.000,- EUR nur bis zum 30.04.2017; ab dem 01.05.2017 betrage sie nur noch 454,55 EUR.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Gutachten des Sachverständigen Dr. med. V. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 14.03.2016, das schriftliche Ergänzungsgutachten vom 30.05.2016, das schriftliche Ergänzungsgutachten vom 20.11.2017 und das Sitzungsprotokoll vom 09.03.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 28.000,- EUR Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum August 2012 bis einschließlich Dezember 2014 gemäß § 172 Abs. 1 VVG i.V.m. dem Vertrag der Parteien.

1.)

Die Klägerin ist berufsunfähig im Sinne von § 172 Abs. 1 VVG i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 AVB-BU. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AVB-BU liegt Berufsunfähigkeit vor, „wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls [ … ] voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % ihren zuletzt vor Eintritt dieses Zustandes ausgeübten Beruf – so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war – nicht mehr ausüben kann.“

a.)

Im August 2012 war die Klägerin unstreitig Auszubildende zur Mechatronikerin. Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich ihr Berufsbild derart gestaltet hat, wie es aus der Mechatroniker-Ausbildungsverordnung vom 21.07.2011 (BGBl. I 2011, S. 1516-1525) hervorgeht. Es ist allgemein bekannt (§ 291 ZPO), dass in Lehrberufen die Ausbildung nach den dafür erlassenen Ausbildungsordnungen zu erfolgen hat und auch erfolgt. Die Ausbildungsinhalte einschließlich der hierfür erforderlichen praktischen Tätigkeiten sind somit vorliegend durch die vorgenannte Mechatroniker-Ausbildungsordnung vorgegeben. Die konkrete Ausgestaltung der Ausbildung bei der JJ GmbH kann nicht hinter der Ausbildungsordnung zurückbleiben, da andernfalls der Abschluss als Mechatronikerin nicht erreicht werden könnte. Dass ein völlig atypischer Einzelfall vorläge – somit die Klägerin mit der JJ GmbH eine Ausbildungsstelle gewählt gehabt hätte, die unzureichend ausbildet, so dass ihre Lehrlinge die Abschlussprüfungen nicht bestehen können – ist nicht im Ansatz ersichtlich und wird auch von keiner Partei behauptet. Eine solche Behauptung wird auch nicht durch die Erklärung mit Nichtwissen zur Tätigkeit der Klägerin aufgestellt. Sähe man das anders, unterstellte man der Beklagten eine nach § 138 ZPO unzulässige Behauptung ins Blaue hinein, die überdies gegenüber der Ausbildungsstelle durchaus ehrenrührig wäre. Angesichts des Vorstehenden hat die Kammer keinen Zweifel, dass das Tätigkeitsbild der Klägerin als Auszubildende zur Mechatronikerin so aussah, wie es in der der Ausbildung zugrundeliegenden Mechatroniker-Ausbildungsverordnung vorgeschrieben ist. Insoweit unterscheiden sich die Anforderungen bei der Darlegung des Berufsbildes für einen Auszubildenden von den Anforderungen an die Darlegung des Berufsbildes eines bereits ausgelernten Berufstätigen, da das Berufsbild eines bereits ausgebildeten Berufstätigen stärker differenziert und – anders als in der Ausbildung – bestimmte Tätigkeitsprofile eben nicht mehr zwingend erfüllen muss.

b)

Die Klägerin ist seit August 2012 erkrankungsbedingt nicht mehr in der Lage, ihren Beruf als Auszubildende zur Mechatronikerin unter Zugrundelegung des Tätigkeitsbildes der Mechatroniker-Ausbildungsverordnung vom 21.07.2011 zu mindestens 50 % auszuüben. Davon ist die Kammer nach durchgeführter Beweisaufnahme aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. V überzeugt (§ 286 ZPO). Der Sachverständige Dr. V führt überzeugend aus, er halte die Diagnose „Ehlers-Danlos-Syndrom“ der T-Klinik in Nimwegen für eine Verdachtsdiagnose. Er könne das Vorliegen dieses Syndroms bei der Klägerin gutachterlich nicht sicher feststellen, weil keine humangenetische und auch keine molekularbiologische Abklärung erfolgt sei. Die Klägerin leide aber – so der Sachverständige Dr. V überzeugend weiter – an einem Hypermobilitätssyndrom mit entsprechender Beschwerdesymptomatik im muskulo-skelettalen Bereich. Das Hypermobilitätssyndrom weise aber dieselben klinischen Symptome und Kriterien auf, welche für die hypermobile Form des Ehlers-Danlos-Syndroms herangezogen würden, so dass man Hypermobilität als mildere Form dieses Syndroms bezeichnen könne. Wegen des Hypermobilitätssyndrom führe die immer wiederkehrende körperliche Beanspruchung bei der Ausbildung zur Mechatronikerin (insbes. manuelles und maschinelles Spanen, Trennen, Umformen, Installieren elektrischer Baugruppen und Komponenten, Fügen, Montieren und Demontieren von Maschinen, Systemen und Anlagen, Transportieren, Sichern, Inbetriebnehmen, Bedienen und Instandhalten mechatronischer Systeme usw.) zu Gelenksbeschwerden im Bereich der oberen Extremität, im linken Knie und im Bereich der Wirbelsäule. Dadurch sei die Klägerin nicht in der Lage, ihren Beruf zu mindestens 50 % auszuüben. Die Belastung führe bei der Klägerin zu chronischen rezidivierenden schmerzhaften Phasen aufgrund artikulärer und periartikulärer Reizerscheinungen. Dies ergebe sich aus der vorgelegten Behandlungsdokumentation, die immer wieder Schwellneigungen im Bereich der Finger und Hände dokumentiere. Dass sich solche zum Zeitpunkt seiner eigenen Untersuchung nicht mehr gezeigt hätten, spricht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. V nicht dagegen, weil die Klägerin zu jenem Zeitpunkt bereits nicht mehr als Auszubildende zur Mechatronikerin tätig war und daher die auslösenden Überbelastungen fehlten. Hilfsmittel oder Therapien, die es der Klägerin ermöglichen könnten, doch noch in der Mechatronik tätig zu werden, gibt es nach den überzeugenden Bekundungen des Sachverständigen Dr. V nicht. Vielmehr sei die einzige gebotene Therapie das Vermeiden des Auslösers – vorliegend also der Tätigkeit als Mechatroniker. Die Kammer schließt sich dem Gutachten des Sachverständigen Dr. V vollinhaltlich an.

c.)

Die Kammer ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ebenfalls davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass die Klägerin nicht bereits in einem vorvertraglichen Zeitraum berufsunfähig geworden ist, sondern vielmehr erst im August 2012. Auch das ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Gutachtens des Sachverständigen Dr. V. Der Einholung weiterer Gutachten oder der Ergänzung des Gutachtens bedarf es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht, weil der Sachverständige Dr. V diese Frage bereits gutachterlich eingehend beantwortet hat. Zwar verweist die Beklagte zutreffend darauf, dass die Hypermobilität der Klägerin ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen Dr. V konstitutionell ist und schon immer bestanden hat. Der Sachverständige Dr. V führt jedoch überzeugend aus, dass Hypermobilität per se nur einen Zustand beschreibt, ohne Krankheitswert zu haben. Es sei eine Normvariante im Sinne einer vermehrten aktiven/passiven Gelenkbeweglichkeit, die in der Regel von Geburt an bestehe. Krankheitswert habe erst – so der Sachverständige weiter – ein davon zu unterscheidendes Hypermobilitätssyndrom, das aber erst im Falle chronisch rezidivierender Beschwerden bejaht werden könne. Es sei auch keineswegs so, dass monotone Bewegungen – wie etwa bei einer Tätigkeit als Mechatroniker – bei Personen mit Hypermobilität stets dazu führten, dass sich ein Hypermobilitätssyndrom entwickle. Es bestehe nur eine Veranlagung, die das als möglich erscheinen lasse, ohne dass ex ante eine entsprechende Prognose möglich sei. Eine solche sei bei der Klägerin ebenfalls nicht möglich gewesen. Bei der Klägerin habe nichts darauf hingedeutet, dass sie ein solches Syndrom entwickeln werde. Meistens lasse sich auch nur durch Ausprobieren feststellen, ob eine Tätigkeit geeignet sei oder nicht. Ein solches Hypermobilitätssyndrom besteht nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen bei der Klägerin erst ab August 2012 und ergibt sich insbesondere nicht bereits für das Jahr 2009, auch wenn man die in jenem Jahr festgestellten Beschwerden berücksichtigt. Die Kammer schließt sich dem Gutachten des Sachverständigen Dr. V auch insoweit vollinhaltlich an.

Soweit die Beklagte eine bereits vorvertragliche Berufsunfähigkeit der Klägerin daraus herleiten will, dass sie vorträgt, deren fehlende Eignung für den Beruf des Mechatronikers ergebe sich bereits daraus, dass sei eine etwa 1,60 m große, höchstens 60 kg schwere Frau sei, was ihr das für einen Mechatroniker erforderliche Heben per se unzumutbar mache, ist dieses – ohnehin substanzlose – Vorbringen unerheblich. Selbst wenn das der Fall wäre, wäre die Beklagte nach § 242 BGB daran gehindert, sich auf diesen Umstand zu berufen. Bereits aus dem Antrag der Klägerin auf Abschluss des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages geht ausdrücklich hervor, dass diese Mechatronikerin wird (Seite 1 des Antrages: derzeit ausgeübter Beruf: Mechatroniker/in), 1,62 m groß und 59 kg schwer ist (Seite 3 des Antrages: Wie groß und wie schwer sind Sie? 162 cm 59 kg.) Die Beklagte verhält sich treuwidrig, wenn sie diese Umstände, die ihr sämtlich bei Vertragsschluss bekannt waren, nunmehr als Begründung für einen Leistungsausschluss heranziehen will. Berufsunfähigkeitsschutz hätte dann entgegen der vertraglichen Vereinbarung per se niemals bestanden. In einem solchen Fall hätte die Beklagte den Vertrag nicht abschließen dürfen.

d.)

Die gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. V können entgegen der Auffassung der Beklagten der gerichtlichen Überzeugungsbildung zugrundegelegt werden, ohne gegen Vorschriften zur Beweiserhebung zu verstoßen oder das rechtliche Gehör der Beklagten zu beeinträchtigen. In dem der letzten mündlichen Verhandlung gleichstehenden Zeitpunkt liegen sämtliche den gutachterlichen Feststellungen zugrundeliegenden Behandlungsunterlagen vor. Der Sachverständige hat sämtliche verwendeten Unterlagen offengelegt. Ob und inwieweit vor der letzten Ergänzung des Gutachtens Unterlagen berücksichtigt wurden, die seinerzeit nicht zur Gerichtsakte gereicht worden waren, ist daher jedenfalls jetzt unerheblich. Sämtliche Unterlagen liegen vor, ohne dass eine Änderung der Bewertungen geboten gewesen wäre, wie sich aus dem letzten Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. V eindeutig und zweifelsfrei ergibt.

2.)

Die Beklagte kann die Klägerin nicht nach § 1 Abs. 1, Abs. 4 lit. a.) AVB-BU auf ihren nunmehr ausgeübten Beruf als Fotoassistentin, Fotodesignerin und Grafikdesignerin verweisen. Es handelt sich jedenfalls wegen der Einkommenseinbuße nicht um eine Tätigkeit, die im Sinne von § 1 Abs. 4 lit. a.) AVB-BU der „bisherigen Lebensstellung“ der Klägerin entspricht. Welche Einkommenseinbuße als zumutbar anzusehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, ohne dass eine generelle Prozentgrenze festgelegt werden könnte (BGH, Urteil vom 22.10.1997 – IV ZR 259/96, Juris-Rn. 14; OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.03.2007 – 12 U 196/06, Juris-Rn. 26). Bei Normallöhnen sind grundsätzlich nur geringere Abschläge zumutbar als bei Spitzengehältern (vgl. BGH, Urteil vom 22.10.1997 – IV ZR 259/96, Juris-Rn. 14; Lücke in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 2 BU, Rn. 50). Im Rahmen dieser gebotenen Einzelfallbetrachtung scheitert eine Vergleichbarkeit der Berufe an der erlittenen Einkommenseinbuße, die rund 16,29 % beträgt. Der monatliche Tariflohn eines Mechatronikers beträgt 2.867,- EUR (das allgemeinere Entgelt von 2.550,- EUR nach der Eckentgeltgruppe ist gegenüber dem von der Beklagten selbst konkret vorgetragenen Gehalt von 2.867,- EUR für den Beruf des Mechatronikers unerheblich), der Monatslohn im Verweisungsberuf nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten nur 2.400,- EUR. In diese Einzelfallbetrachtung sind auch die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien einzubeziehen. Die Parteien haben in § 1 Abs. 4 lit. a.) S. 4 AVB-BU vereinbart: „Bei Nicht-Selbständigen gilt eine Einkommensreduzierung von 20 % und mehr jedoch in jedem Fall als nicht zumutbar.“ Damit ist vereinbart, dass selbst bei einem außergewöhnlich hohen Spitzengehalt eine Verminderung um 20 % unzumutbar ist. Damit wurde eine für den Versicherungsnehmer im Verhältnis zu den allgemeinen Grundsätzen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22.10.1997 – IV ZR 259/96, Juris) günstigere Vereinbarung getroffen. Diese Wertung schlägt auf die Auslegung der gesamten Vereinbarung durch und führt dazu, dass die hier vorliegende Verringerung jedenfalls in Gehaltsklassen wie im vorliegenden Streitfall der Zumutbarkeit einer Verweisung entgegensteht.

3.)

Der Betrag von 28.000,- EUR ergibt sich daraus, dass die vereinbarte monatliche Rente von 1.000,- EUR für den Zeitraum August 2012 bis einschließlich Dezember 2014 verlangt wird.

II.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB i.V.m. §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 1 lit. b.) AVB-BU. Durch die vorgenannten AVB ist § 14 VVG zugunsten des Versicherungsnehmers abbedungen.

III.

Der Antrag, festzustellen, dass die Beklagte auch künftig eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 1.000,- EUR im Monat zu zahlen habe, ist gemäß § 256 ZPO zulässig. Er ist dabei analog §§ 133, 157 BGB dahingehend auszulegen, dass die Feststellung für Vertragszeiträume ab Januar 2015 begehrt wird. Diese Auslegung ergibt sich aus dem Zusammenspiel mit dem als Klageantrag zu 1.) gestellten Zahlungsantrag, der die Zeiträume von August 2012 bis Dezember 2014 erfasst. Ob die Klägerin für die Zeiträume ab Januar 2015 Klage auf Leistung bzw. künftige Leistung nach § 258 ZPO erheben könnte, kann offenbleiben. Zwar würde dies wegen des Grundsatzes des Vorranges der Leistungsklage im Regelfall zur Unzulässigkeit einer Feststellungsklage führen. Dieser Vorrang der Leistungsklage steht einer Feststellungsklage nicht jedoch entgegen, wenn die Beklagte als der deutschen Versicherungsaufsicht unterliegende Versicherungsgesellschaft die Erwartung rechtfertigt, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil leisten, ohne dass es eines auf Zahlung gerichteten Leistungstitels bedarf (BGH, Urteil vom 30.05.1995 – XI ZR 78/94 = NJW 1995, 2219; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.09.2017 – 4 U 87/17 = NJW-RR 2018, 154, 154/155). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat die Zulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage nicht in Abrede gestellt (BGH, Urteil vom 30.05.1995 – XI ZR 78/94 = NJW 1995, 2219). Durch den Feststellungsantrag wird auch die Höhe der streitigen Forderung verbindlich geklärt, so dass jedenfalls im konkreten Fall gesichert ist, dass das Feststellungsurteil den Streit der Parteien verbindlich beseitigen wird (BGH, Urteil vom 24.01.2017 – XI ZR 183/15 = MDR 2017, 587, Rn. 16).

Die Klägerin hat aus den unter Ziffer I. dargelegten Gründen Anspruch auf die begehrte Feststellung. Insoweit wird auf die vorgenannten Ausführungen verwiesen, um überflüssige Wiederholungen zu vermeiden. Die Berufsunfähigkeitsrente vermindert sich ab dem 01.05.2017 entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht auf 454,55 EUR. Wie u.a. Seite 2 des Dynamiknachtrages für 2014 entnommen werden kann, ist für die Höhe der Berufsunfähigkeitsrente maßgeblich, ob die Berufsunfähigkeit vor oder nach dem ersten Mai 2017 eingetreten ist. Die Klägerin ist aus den unter Ziffer I. dargestellten Gründen bereits vor dem 01.05.2017 berufsunfähig geworden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

V.

Streitwert: 61.600,- EUR

Der Streitwert ergibt sich aus der Summe der Streitwerte der Klageantrag zu 1.) und 2.). Der Klageantrag zu 1.) ist mit dem Nennbetrag von 28.000,- EUR zu bewerten. Der Streitwert des Feststellungsantrages ergibt sich gemäß §§ 3, 9 ZPO aus dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der Rente abzüglich eines zwanzigprozentigen Feststellungsabschlages.

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