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Berufsunfähigkeitsversicherung – Berufstätigkeit als Student

OLG Dresden, Az.: 4 W 1091/18, Beschluss vom 19.12.2018

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 04.10.2018 – 3 O 2923/17 – aufgehoben und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für die I. Instanz bewilligt.

Ihm wird Rechtsanwalt L… aus Köln zu den Kosten eines in Leipzig ansässigen Rechtsanwaltes beigeordnet.

Gründe

I.

Der am 20.01.1983 geborene Antragsteller schloss zum 01.12.2011 bei der Antragsgegnerin eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.000,00 € monatlich zuzüglich einer jährlichen Steigerung um 2 % im Leistungsfall bis zum 01.12.2048 ab (Anlage K1). Der Antragsteller war zu diesem Zeitpunkt Student der Fächer Literatur, Kultur und Medien mit dem Abschlussziel Bachelor. Als Berufsziel hatte er im Antrag „Museumsleiter“ angegeben. Die dem Vertrag zugrunde liegenden AVB enthalten unter anderem folgende Regelungen:

(1.1) Wird der Versicherte während der Dauer der Versicherung mindestens zu einem vereinbarten Mindestgrad (wahlweise 50 oder 75 %) berufsunfähig, erbringen wir folgende Leistungen …

(2.1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgestaltet war, auszuüben. Die Tätigkeiten von Hausfrauen/-männern, von Schülern, Studenten und Auszubildenden sehen wir als Beruf an. Wir verzichten auf eine abstrakte Verweisung.

(2.3) Ist der Versicherte bei Eintritt der Krankheit, der Körperverletzung oder des Kräfteverfalls noch in der Berufsausbildung oder im Studium und hat er mindestens die Hälfte der gesetzlich vorgesehenen oder im Durchschnitt üblichen Ausbildungs- bzw. Studienzeit absolviert, wird im Rahmen der konkreten Verweisung (auf einen tatsächlich ausgeübten anderen Beruf oder eine andere Ausbildung) auf die Lebensstellung hinsichtlich Vergütung und sozialer Wertschätzung abgestellt, die regelmäßig mit dem erfolgreichen Abschluss einer solchen Berufsausbildung oder eines solchen Studiums erreicht wird.

(2.5) Ist der Versicherte sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außerstande gewesen, seinen zuletzt ausgeübten Beruf oder eine der in Nr. 2.1 genannten Tätigkeiten auszuüben, gilt die Fortdauer dieses Zustandes als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit. Wir erbringen in diesem Fall unsere Leistungen vorbehaltlich der Nr. 1.3 rückwirkend ab Beginn dieses sechsmonatigen Zeitraumes.

Vereinbart war eine Leistungserbringung ab einer Berufungsunfähigkeit von 50 %. Der Antragsteller befand sich im Jahr 2014 im 11. Semester und erhielt am 17.02.2014 seine Bachelor-Arbeit ausgehändigt, die er am 28.04.2014 hätte abgeben müssen. Am 03.03.2014 stellte er sich im Augenzentrum B. in S. notfallmäßig wegen Verschwommensehens und am 04.03.2014 im Universitätsklinikum B. vor. Es wurde eine Uveitis posterior (Entzündung, die den hinteren Augenabschnitt im Bereich der Aderhaut befällt) und ein Makulaödem (Ansammlung von extrazellulärer Flüssigkeit im Bereich des gelben Flecks des menschlichen Auges) am linken Auge diagnostiziert. Eine Wiedervorstellung erfolgte am 15.07.2014. Im November 2014, Juli 2015 sowie Juli 2016 wurden am linken Auge Netzhautoperationen wegen Netzhautablösung (Traktive Amotio) durchgeführt. Die zweite Bachelor-Arbeit erhielt der Antragsteller im März 2016 und gab sie am 24.05.2016 ab (Anlage K8, Bl. 119 d. A.).

Berufsunfähigkeitsversicherung - Berufstätigkeit als Student
Symbolfoto: PathDoc/Bigstock

Der Antragsteller hat vorgetragen, die Antragsgegnerin sei einstandspflichtig, denn er sei berufsunfähig. Vor seiner Erkrankung habe er als Student an Seminaren und Vorlesungen teilgenommen. Nebenberuflich sei er einer Beschäftigung am Stadttheater nachgegangen. Diese Beschäftigung habe er aber wegen der Abschlussarbeit aufgegeben. In den letzten Monaten vor Beginn der Abschlussarbeit habe er keine Seminare und Vorlesungen besucht, sondern insgesamt vier Hausarbeiten geschrieben. Zum Zeitpunkt der Erkrankung habe er für seine Bachelor-Arbeit überwiegend Recherchen in der Bibliothek oder am Computer betrieben. Er habe an mindestens fünf Tagen die Woche sieben bis zehn Stunden gearbeitet, wobei er circa 90 bis 95 % gelesen und 5 bis 10% der Zeit nachgedacht und seine Überlegungen notiert habe. Er sei seit März 2014 bis heute als Student und auch in dem angestrebten Beruf als Redakteur berufsunfähig. Denn er habe mit dem linken Auge praktisch nichts mehr sehen können. Sein visus habe sich auf 0,2 so verschlechtert, dass er nur noch „Handbewegungen“ sehen könne. Zudem sei das Auge sehr lichtempfindlich. Er habe sich schon im März 2014 einer intensiven Kortisonbehandlung unterziehen müssen, die zu starken Nebenwirkungen (Müdigkeit, Gewichtszunahme, Muskelschwund) geführt habe. Er habe keine dreidimensionale Wahrnehmung mehr. Am rechten Auge bestehe eine Hornhautverkrümmung und die Lesestärke betrage 1,75 Dioptrin. Er könne daher maximal noch zwei Stunden am Tag lesen oder schreiben. Er habe seine erste Bachelor-Arbeit im April 2014 abbrechen müssen. Ihm sei ein Grad der Behinderung von 30 % bescheinigt worden.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, der Antragsteller habe keine konkrete Arbeitsbeschreibung für seinen Beruf als Student in der Examensphase abgegeben. Die vom Antragsteller geschilderten Beschwerden schränkten seine Tätigkeit nicht im bedingungsgemäßen Umfang ein. Weder als Student noch als Redakteur sei ein dreidimensionales Sehen erforderlich. Es werde auch bestritten, dass das Auge schneller ermüde und der Antragsteller zu mehr als 50 % in seiner Berufsausübung beeinträchtigt sei. Die Beeinträchtigung der Sehleistung werde bestritten. Unabhängig davon könne der Antragsteller auch mit seinem rechten Auge sehen und lesen. Die Unterbrechung des Studiums sei gesundheitlich nicht indiziert gewesen.

Das Landgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 04.10.2018 – zugestellt am 24.10.2018 – zurückgewiesen. Der am 23.11.2018 eingegangenen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß §§ 127, 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger war für die beabsichtigte Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die Kosten des Rechtsstreites nicht aufbringen kann und die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint, §§ 114, 115 ZPO.

1.

Der Antragsteller hat die Voraussetzungen des Anspruchs schlüssig dargelegt. Für die Prüfung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist, ist grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d. h., so lange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht eingeschränkt war (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2016 – IV ZR 527/15 – juris; Senat, Urteil vom 27.03.2018 – 4 U 1519/17 – juris). Maßgeblich ist, wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung in der konkreten Berufsausübung auswirke (Senat, a.a.O.). Dazu muss bekannt sein, wie das Arbeitsumfeld des versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen an ihn stellt. Als Sachvortrag genügt dazu nicht die Angabe des Berufsbildes und der Arbeitszeit, vielmehr muss eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfanges und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (vgl. Senat, a.a.O., Senat, Urteil vom 09.10.2018 – 4 U 448/18; vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2004 – IV ZR 200/03 – juris). Es darf nicht aus dem Blick geraten, dass die Klärung des Berufsbildes vornehmlich den Zweck verfolgt, dem Sachverständigen die notwendigen tatsächlichen Vorgaben zur medizinischen Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit in die Hand zu geben (so Senat, Urteil vom 27.03.2018 – 4 U 1519/17).

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Antragstellers. Er hat zuletzt dargelegt, dass er an fünf Tagen der Woche mindestens sieben Stunden, in der Regel jedoch acht bis zehn Stunden an Lese- und Recherchearbeiten geleistet hat. Er habe diese Tätigkeit in der Bibliothek und zu Hause durch Lesen von Büchern oder am Computer durchgeführt, um die Bachelor-Arbeit fertigzustellen. Zum überwiegenden Teil von ca. 90 bis 95 % habe er gelesen und einen Anteil von ca. 5 bis 10 % mit Nachdenken oder auch Niederschreiben seiner Gedanken zugebracht. Er habe seine Arbeit für eine Mittagspause von ca. einer Stunde und für weitere kleinere Pausen für ca eine weitere Stunde unterbrochen. Zwar ist in der Regel die Vorlage eines exemplarischen Wochenplanes einer typischen Arbeitswoche in Form eines Stundenplans angezeigt. Dies ist hier jedoch schon deshalb entbehrlich, weil die Tätigkeit des Antragstellers an jedem Tag nach seinen Ausführungen gleich gewesen ist. Die Anforderungen an die Darlegung der Berufsausübung hängt im Wesentlichen von der Art des ausgeübten Berufes ab. Eine nähere Konkretisierung, was unter Recherche- und Lesearbeit zu verstehen ist, ist entbehrlich, da allgemein bekannt ist, was darunter zu verstehen ist. Die Recherchearbeit besteht hier bei der Vorbereitung der Bachelorarbeit im Wesentlichen aus Lesen, denn sie stellt die Sichtung von Texten dar, die bei der Ausarbeitung herangezogen werden können. Unschädlich ist, dass der Antragsteller zum Teil sehr unterschiedliche Angaben zum Umfang seiner Tätigkeit gemacht hat, die von sieben bis acht Stunden an sechs Tagen, ca. zehn Stunden an fünf bis sechs Tagen bis zu sieben bis zehn Stunden an fünf Tagen in der Woche variierten. Dies ist vielmehr eine Frage der Richtigkeit des Vortrages. Dem Antragsteller stehen für seine Tätigkeiten keine Zeugen zur Verfügung, weshalb insoweit seine persönliche Anhörung zum Umfang seiner Tätigkeit pro Woche in Betracht kommt. Der vom Landgericht sodann festgestellte Sachverhalt kann Grundlage einer Sachverständigenbegutachtung zu den Einschränkungen des Antragstellers bei seiner Berufsausübung dienen. Ob und inwieweit die Sehfähigkeit und die sonstigen vom Antragsteller geschilderten Einschränkungen tatsächlich vorlagen und zu einer Einschränkung der Berufsausführung geführt haben, wird nur ein Sachverständiger beantworten können. Zwar ist im Prozesskostenhilfeverfahren eine Beweisantizipation im begrenzten Rahmen zulässig. Dies setzt jedoch voraus, dass die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zu Gunsten des Hilfsbedürftigen als ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. Geimer in Zöller, Kommentar zur ZPO, 32. Aufl., § 114 Rdnr. 26). Dies ist hier aber nicht der Fall, denn allein aus den vorgelegten Arztbriefen lässt sich der tatsächlichen Umfang und die Dauer der Beeinträchtigung nicht feststellen.

2.

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers war nur zu den Kosten eines in Leipzig ansässigen Anwalts beizuordnen, § 121 Abs. 3 ZPO.

3.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.

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